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Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Hilflos stand ich da und sah, wie das Paillettenkleid wie ein körperloses Gespenst in der Luft schwebte. Nach und nach entfaltete es sich, eine Gestalt formte sich darin, bis schließlich eine Frau zu sehen war. Sie war durchscheinend wie ein Geist. Die Frau war uralt, zahlreiche Runzeln durchfurchten ihr eingefallenes Gesicht. Auf dem fast kahlen Schädel sprossen einige wenige rote Haarsträhnen. Die schwarzen Rattenaugen starrten mich böse an. Mit ihren Geisterfingern tätschelte sie meine Wangen, dann fuhren ihre Hände meine Kehle hinab bis zu meinen Brüsten. Ich spürte die eisige Kälte, die von ihr ausging. »Kleine Mädchen wie dich habe ich zum Frühstück vernascht. Allerdings könntest du etwas mehr Speck auf den Rippen vertragen.« »Wer bist du?«, fragte ich. Obwohl mir schwante, wer vor mir stand, gab ich mir keine Blöße. »Elisabeth Báthory. Man nennt mich auch die Blutgräfin ...«
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Was bisher geschah
REBECCAS BABY
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt.
Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.
Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. Während eines Schwarzen Sabbats wird Asmodi von Thekla Zamis vorgeführt. Aus Angst vor seiner Rache flüchten die Zamis vorübergehend aus Wien, kehren schließlich jedoch dorthin zurück. Asmodi verlangt von Coco, seinen missratenen Sohn Dorian Hunter zu töten. Es gelingt Coco, Dorian zu becircen – doch anstatt den Auftrag sofort auszuführen, verliebt sie sich in ihn. Zur Strafe verwandelt Asmodi Dorian Hunter in einen seelenlosen Zombie, der fortan als Hüter des Hauses in der Villa Zamis sein Dasein fristet.
In Wien übernimmt Coco ein geheimnisvolles Café. Sie beschließt, es als neutralen Ort zu etablieren, in dem Menschen und Dämonen gleichermaßen einkehren. Zugleich stellt Coco fest, dass sie von Dorian Hunter schwanger ist. Bald erhält das Café Zamis Besuch von Osiris' Todesboten. Sie überbringen die Nachricht, dass Coco innerhalb einer Woche sterben wird. Ebenso erhalten ihr Vater Michael und Skarabäus Toth die Drohung. Alle drei bitten Asmodi um Hilfe, müssen dafür jedoch das für sie jeweils Wertvollste als Pfand hinterlegen. So wird Coco ihr ungeborenes Kind genommen.
Mit Hilfe von Cocos Bruder Volkart gelingt es, die Todesboten zu besiegen. Doch Asmodi gibt den Fötus zunächst nicht wieder her. Schließlich gelingt es Coco mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen. Aber dann ist es ihr eigener Vater Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert. Mit Hilfe ihres neuen Liebhabers, Damon Chacal, gelingt es Coco, das ungeborene Kind zu finden und es im Totenreich zu verstecken. Danach trennt sie sich wieder von Chacal, wird jedoch bald von Albträumen heimgesucht, in denen Chacal und auch sie als grausame Hexe vorkommen. Coco will all das hinter sich lassen. Ein Anruf ihrer Freundin Rebecca kommt ihr da gerade recht. Rebecca lädt Coco zu sich nach New York ein ...
REBECCAS BABY
von Logan Dee
Ich erwachte von der einschmeichelnden Stimme. Sie sprach in einem mir vertrauten, aber zugleich fremdartig klingenden Dialekt.
Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich ein Leuchten. Es ging von der Truhe aus, in die ich mein Paillettenkleid und meine Blutpeitsche verbannt hatte. Seit meinem unrühmlichen Auftritt im Zirkusrund hatte ich beides nicht mehr angefasst. Sie waren mir verhasst. Zu sehr waren sie mit meiner Niederlage gegen meinen Konkurrenten Chacal verknüpft.
Ich hörte Gundulas lautes Schnarchen. Notgedrungen musste ich mir wieder den Wohnwagen mit der alten Hexe teilen. Chacal, der mich zuletzt wie eine Dienerin behandelt hatte, hatte mir eine weitere Demütigung versetzt, indem er mich aus seinem Wohnwagen rausgeworfen hatte. So war ich nun wieder darauf angewiesen, dass Gundula sich meiner erbarmte.
Aber nicht von ihrem Schnarchen war ich erwacht. Doch die Stimme mit dem Wiener Dialekt war verstummt. Dabei konnte ich schwören, dass ich sie mir nicht bloß eingebildet hatte.
Ich schlug die Decke zurück und erhob mich von meinem Strohlager. Gundel schnaufte, im nächsten Moment schnappte sie nach Luft, als würde sie ersticken. Ich verharrte und hielt den Atem an. Nach einer halben Minute war sie wieder fest eingeschlafen und schnarchte weiter.
Der Sichelmond verbarg sich hinter dichten Wolkenschleiern, sodass es in unserem Wohnwagen eigentlich hätte dunkel sein müssen. Dennoch war alles von einem rötlichen fluorisierenden Licht erfüllt, das wie träger Nebel der Truhe entströmte.
Ich schlich dorthin, horchte noch einmal nach der schnarchenden Gundula und riss die Truhe mit einem Ruck auf. Etwas zischte auf mich zu. Instinktiv wollte ich einen Abwehrzauber weben, aber es ging alles viel zu schnell. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Hilflos stand ich da und sah, wie das Paillettenkleid wie ein körperloses Gespenst in der Luft schwebte. Nach und nach entfaltete es sich, eine Gestalt formte sich darin, bis schließlich eine Frau zu sehen war. Sie war durchscheinend wie ein Geist. Die Frau war uralt, zahlreiche Runzeln durchfurchten ihr eingefallenes Gesicht. Auf dem fast kahlen Schädel sprossen einige wenige rote Haarsträhnen. Die schwarzen Rattenaugen starrten mich böse an.
»Endlich! Ich dachte schon, ich müsste ewig in der Truhe verrotten!«
»Du – du warst darin?«, fragte ich fassungslos.
»Natürlich nur mein Geist, du dumme Gans! Er ist mit der Peitsche verwoben.«
»Sei vorsichtig!«, drohte ich. »Niemand beleidigt mich ungestraft!« Gleichzeitig wollte ich mich nach Gundula umdrehen, weil ich Sorge hatte, dass sie von unserem Disput erwachte. Doch nach wie vor konnte ich mich nicht bewegen.
Die Unbekannte lachte spöttisch auf. »Willst du mir drohen, Kindchen?« Mit ihren Geisterfingern tätschelte sie meine Wangen, dann fuhren ihre Hände meine Kehle hinab bis zu meinen Brüsten. Ich spürte die eisige Kälte, die von ihr ausging. Dabei fühlte ich mich wie ein Pferd, das taxiert und abgeschätzt wird. »Kleine Mädchen wie dich habe ich zum Frühstück vernascht. Allerdings könntest du etwas mehr Speck auf den Rippen vertragen.«
»Wer bist du?«, fragte ich. Obwohl mir schwante, wer vor mir stand, gab ich mir keine Blöße.
»Elisabeth Báthory. Man nennt mich auch die Blutgräfin.«
»Elisabeth Báthory starb am 21. August 1614 zwei Stunden nach Mitternacht an dem Gift, das man ihr verabreicht hatte«, entgegnete ich kühl. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht. Schließlich besaß ich die Blutpeitsche bereits seit einigen Jahren. Der Wiener Händler, der sie mir verkauft hatte, hatte mich darauf hingewiesen, dass sie einst der berüchtigten Blutgräfin gehört hatte. Daraufhin hatte ich mich über sie kundig gemacht. Angeblich hatte sie im Laufe ihres Lebens über sechshundert Jungfrauen auf sadistische Weise zu Tode gequält und anschließend ihr Blut getrunken oder darin gebadet.
»Du zweifelst an meinen Worten?« Ihre eiskalte Hand krallte sich schmerzhaft in meine linke Brust. Ich sah die Begierde in ihren Augen aufblitzen. »Ich sagte dir doch, dass ich ein Geist bin. Das Blut meiner Opfer hat mich unsterblich gemacht. Selbst die Hölle hat mich wieder ausgespuckt.«
»Genauso siehst du auch aus. Als hättest du mit dem Teufel gebuhlt!« Ich dachte nicht daran, mich von ihr ins Bockshorn jagen zu lassen. Der Preis dafür war, dass sie noch schmerzhafter zupackte. Ich schrie auf.
»Schrei, so laut du willst«, sagte sie gehässig. »Weder deine Gundula noch jemand anders wird dich hören. Sie schlafen alle tief und fest, solange ich mich mit dir befasse.«
Ich versuchte erneut, mich aus ihrem Bann zu befreien, aber sie war zu stark.
»Hör zu, ich habe keine Lust, meine Zeit mit unnötigen Tändeleien zu vergeuden. Die Blutpeitsche hat schon länger keine Nahrung mehr erhalten. Nur durch sie erlange ich meine Kraft und Stärke zurück. Es wird Zeit, dass du ihr neue Opfer zuführst! Sie ist hungrig. Erwecke sie zu neuem Leben!«
Obwohl es mir zuwider war, Befehle zu erhalten, sagte ich: »Nur zu gerne. Vielleicht benötige ich dabei aber deine Hilfe.«
Ich wollte ihr erzählen, wie ich den Kampf gegen Chacal verloren hatte und dadurch fast verbannt worden wäre. Nur Gundula hatte mir beigestanden. Und nur weil sie mich aufgenommen hatte, hatte ich überhaupt ein Dach über dem Kopf. Meinen eigenen Wagen hatte Dragomir, der Zirkusdirektor, Chacal überlassen.
Aber die Blutgräfin winkte ab. »Das weiß ich alles längst. Erspar mir deine langweilige Lebensgeschichte. Du musst Chacal besiegen, damit die Peitsche wieder Blut trinken kann. Wie du das machst, ist deine Sache!«
»Ich bin längst dabei, einen Plan in die Tat umzusetzen«, erwiderte ich verärgert. »Ich brauche keine Ratschläge, sondern echte Hilfe!«
»Gib der Peitsche das, nach dem sie verlangt«, sagte die Erscheinung. »Dann wird sich alles finden.«
Von einem Moment zum anderen löste sie sich in Luft auf. Gleichzeitig stellte ich fest, dass ich mich wieder bewegen konnte.
Das Paillettenkleid fiel zu Boden. Die Peitsche, die in der Truhe lag, leuchtete jedoch noch immer.
Ich bückte mich danach und wog sie in den Händen. Dabei spürte ich die Kraft, die von ihr ausging und mich durchströmte. Die Kraft, die Stärke, die Macht – aber auch den Hunger, das Blut, nach dem sie lechzte.
Langsam wandte ich mich um und ging auf das Bett der schlafenden Gundula zu. Sollte ich ...?
Im letzten Augenblick zögerte ich davor zurück, sie ins Jenseits zu befördern.
Da spürte ich, wie die Peitsche in meiner Hand ein Eigenleben entwickelte. Wie der Geist der Báthory, der in ihr schlummerte, nach meinem Willen griff. Ich wehrte mich.
Und ich war stärker.
Als ahnte ich, dass die alte Gundula mir noch zu Nutzen sein würde.
Die Alte schlief derweil weiter, ohne zu ahnen, dass sie nur knapp mit dem Leben davongekommen war.
Ich zog mir etwas über und schlich nach draußen. Der Zirkus Dragomir hatte auf einer Lichtung sein Lager aufgeschlagen. Ringsum lagen undurchdringliche Wälder. Der klagende Ruf eines Wolfs hallte durch die Nacht. Vielleicht war es auch ein Werwolf. Wir hatten in der letzten Nacht hier haltgemacht. Unter den Dämonen in der Umgebung hatte es sich schnell herumgesprochen, dass wir angekommen waren. Die Nachtvorstellung war ausverkauft gewesen.
Ich kam an dem Wagen mit den beiden Yetis vorbei. Sie rochen mich und zerrten an ihren Ketten. Ich belegte sie mit einem leichten Ruhezauber, damit sie niemanden aufweckten.
Endlich hatte ich das Ziel meines nächtlichen Ausflugs erreicht.
Ich wunderte mich, dass leises Geigenspiel aus dem Wohnwagen drang. Die dissonanten Töne, die George Botosani seinem Instrument entlockte, schraubten sich wie Ohrenkneifer in meine Gehörgänge.
Aber gut, wenn er eh wach war, brauchte ich ihn nicht groß aus dem Schlaf zu rütteln. Um keine weitere Aufmerksamkeit zu erwecken, klopfte ich nicht an, sondern öffnete leise die Tür.
Umso erstaunter war ich, dass der Wohnwagen leer war!
Im selben Augenblick verstummte die Musik mit einem dissonanten Krächzen. Schnell erkannte ich, woher sie stammte: aus einem Grammofon. Außer auf Abbildungen hatte ich so ein Gerät noch nie gesehen. Umso beeindruckter war ich. Neugierig trat ich näher und bestaunte die Apparatur. Die Schallplatte, auf der die Musik gespeichert war, drehte sich noch immer.
Mein erster Gedanke war, dass Botosani darauf sein eigenes Geigenspiel verewigt hatte. Doch dann las ich das Etikett, auf das jemand mit krakeliger Handschrift verfasst hatte:
Sonata per diavolo von Niccolò Paganini
Ich staunte. Paganini war auch mir ein Begriff. Innerhalb der Schwarzen Familie wurde kolportiert, dass er Asmodi seine Seele verkauft habe. Auch unter ihnen galt er als Teufelsgeiger.
Aber wie gelangte sein Spiel auf die Schallplatte? Zu Paganinis Lebzeiten hatte es noch keine Aufzeichnungsgeräte gegeben. Oder war es doch Botosani, der zu hören gewesen war?
Wie auch immer, es war ein kleines Geheimnis mehr, das es zu lösen galt. Noch immer war ich mir nicht sicher, wie stark Botosani wirklich war. Als Gegner. Aber auch als möglicher Verbündeter.
Ich wandte mich wieder der Frage zu, wo er wohl steckte. In seinem Wohnwagen jedenfalls nicht. Ich suchte jeden Winkel ab. Schließlich verließ ich den Wagen wieder und stand etwas ratlos herum.
Was sollte ich tun? Zurückgehen und mich wieder schlafen legen. Der Knauf der Peitsche vibrierte leicht in meiner Hand. Nein, sie würde keine Ruhe geben. Nicht eher, bis sie wieder Blut geleckt hatte. Und auf eine weitere Begegnung mit der Blutgräfin verspürte ich wenig Lust. Also konnte ich genauso gut weiter nach Botosani suchen.
Er konnte natürlich in irgendeinem der anderen Wagen stecken. Doch wusste ich, dass er keine Freunde unter den Zirkusleuten hatte. Ich hatte ihn nur ein paarmal dabei gesehen, wie er mit den Freaks aus dem Orchester zusammenhing, aber das mochte auch damit zusammenhängen, dass er mit ihnen irgendwelche Musikstücke besprach. Nein, Botosani war ein Einzelgänger.
Außerdem lagen alle Wagen im Dunklen. Ich schlich mich an ihnen vorbei und entdeckte einen Pfad, der tiefer in den Wald führte.
Ich gab einer Eingebung nach und folgte dem Pfad. Vielleicht war ja auch Botosani hierher gegangen. Bereits nach ein paar Schritten fühlte ich mich wie in einem tiefen Urwald. Kein Licht drang hier herunter. Der Pfad verengte sich zusehends. Zweige streiften mein Gesicht.
Schon nach kurzer Zeit bereute ich meinen Entschluss.
Da hörte ich erneut das Heulen des einsamen Wolfes. Es klang ganz aus der Nähe. Angst hatte ich nicht. Mich trieb nun eher die Neugier, ob es sich tatsächlich um einen Werwolf handelte. Vielleicht war es irgendein Einzelgänger. Ich stellte mir vor, wie ich ihn überreden oder zwingen konnte, sich unserem Zirkus anzuschließen. Und wenn auch nur als Opfer, das in der Manege sein Leben lassen würde. Wie auch immer, wenn er ein Gewinn für uns war, konnte ich vielleicht wieder in der Gunst Dragomirs steigen.
Nachdem ich mich eine Weile vorangekämpft hatte, vernahm ich ein weiteres Geräusch. Eine dissonante Melodie. Trotz oder gerade wegen ihrer Dissonanz erkannte ich sie sofort wieder: Es war die gleiche Melodie, die auf der Schallplatte zu hören gewesen war.
Ich schlich weiter. Schon nach kurzer Zeit erstreckte sich vor mir eine weitere Lichtung. Gerade noch rechtzeitig duckte ich mich hinter einem Gebüsch.
Meinen Augen bot sich ein groteskes Bild. Botosani stand inmitten der Lichtung und spielte wie ein Entfesselter auf seiner Geige. Die Augen geschlossen, sein Gesicht noch bleicher als sonst, seine langen schwarzen Haare standen ihm zu Berge. Mit dem Klumpfuß stampfte er wild im Takt. Selbst aus der Entfernung erkannte ich die feurige Glut in seinen Augen.
Viele Male hatte ich ihn so in der Manege erlebt, aber noch nie im Freien. Und noch nie hatte sein Geigenspiel derart dämonisch geklungen.
Weitaus seltsamer aber als Botosani selbst war das Publikum, das er um sich versammelt hatte. Schweigsam saßen oder hockten sie kreisförmig um ihn und schienen gebannt seiner Musik zu lauschen. Es waren die Bewohner des Waldes: Füchse, Hasen, Rehe und Hirsche, Wildschweine ... aber auch die überirdischen Wesen – eine Elfe, eine Dryade und der Wolf, dessen Heulen ich gehört hatte. Er war eindeutig ein Werwolf, denn er stand aufrecht auf den Beinen.
Ich musste zugeben, dass Botosani wahrhaftig ein mächtiger Hexer war. Warum er diesen Zirkus aufführte, erschloss sich mir nicht. Aber Zirkus war das Stichwort. Für den Zirkus Dragomir wäre diese Nummer garantiert etwas Besonderes. Vielleicht fühlte sich der Geiger ja zu Höherem berufen, und sein Streben galt dem Spektakel in der Manege. Ich hatte ihn bisher nur als herausragendes Mitglied des Orchesters gesehen. Doch vielleicht genügte ihm das nicht mehr.
Je länger ich seinem Spiel lauschte, umso träger wurde ich. Ich spürte, wie die Töne meinen Geist gefangen nahmen und Bilder heraufbeschworen. Bilder von verzauberten Landschaften, bizarren Bewohnern und dämonischen Mächten. Sie waren so fremdartig, dass selbst mir als Hexe davor graute. Und dennoch konnte ich mich ihrem unheimlichen Zauber nicht entziehen.
Gleichzeitig spürte ich, wie der Peitschengriff, den ich noch immer umfasst hielt, wärmer und wärmer wurde und immer stärker pulsierte. Es war, als würde der Geist der Blutgräfin, welcher der Peitsche innewohnte, mich in die Wirklichkeit zurückrufen wollen.
Tatsächlich wurde der Knauf so heiß, dass ich fast aufgeschrien hätte. Aber ich riss mich zusammen. Ich ließ den Peitschengriff los, aber die Peitsche fiel nicht zu Boden. Der Knauf hatte sich tief in mein Fleisch gebrannt. Rasch wirkte ich einen Heilzauber, damit die Schmerzen verschwanden.
Aber zumindest stand ich nun nicht mehr unter Botosanis Bann. Dafür griffen nun andere Gedanken nach mir, Gedanken, die sich mit meinem eigenen Willen vermischten, sodass ich schließlich nicht mehr wusste, ob ich aus eigenem Antrieb handelte oder die Peitsche mich lenkte.