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Komm, lockte die Stimme. Es war eine andere als die, die ich seit Kalis Kuss vernommen hatte, und ich konnte mich ihr nicht verschließen.
Der Weg vor mir verengte sich zu einem tunnelförmigen Schlund. Der Boden unter meinen Füßen war glitschig und schleimig. Jeden Moment drohte ich auszurutschen.
Schau nicht nach unten, Coco. Schau nicht nach oben.
Ich stieß gegen eine fleischartige Wand. Links und rechts von mir öffneten sich zwei lippenartige Scharten. Ich wusste selbst nicht, warum ich die linke wählte. Mit den Händen zog ich die wulstigen Wandlippen auseinander, bis der Spalt so breit geworden war, dass ich mich hindurchquetschen konnte ...
Zusammen mit Adalmar und Lydia betritt Coco das unheimliche Labyrinth, das Madame Estelle seit zwei Jahrhunderten versteckt gehalten hat. Obwohl Coco wachsam bleibt, verliert sie ihre Geschwister aus den Augen ... und ist dem Schicksal hilflos ausgeliefert!
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Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Was bisher geschah
DAS LABYRINTH DES SCHICKSALS
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Auf weitere Konsequenzen verzichtet Asmodi vorerst, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Coco gelingt es, ihn zu befreien, doch im Anschluss verliert sie ihre Erinnerungen an die Reise ins centro terrae, so wie Merlin es ihr prophezeit hat.
Zurück auf der Erdoberfläche, erfährt Coco, dass Asmodis Groll auf die Zamis nicht geschwunden ist. Dennoch schließen Asmodi und Michael Zamis einen Burgfrieden. Die Leidtragende ist Coco, die in der Kanzlei des Schiedsrichters der Schwarzen Familie Skarabäus Toth von einer Armee von Untoten attackiert wird. Coco flieht aus der Stadt, doch als sie bald darauf nach Wien zurückkehrt, hat der Dämon Gorgon der Zamis-Sippe den Krieg erklärt. Die gesamte Stadt – Menschen wie Dämonen – sind unter einer magischen Glocke zu Stein erstarrt. Wieder gelingt Coco im letzten Moment die Flucht, diesmal nach Indien, doch führt der Bann dazu, dass sie ihre Erinnerungen verliert. Kurz darauf erhält sie eine Einladung zu einem »Familientreffen« in einer Herberge in Frankreich. Dort trifft Coco auf Lydia und Adalmar. Gemeinsam entdecken sie in der Nähe der Herberge den Eingang zu einem magischen Labyrinth ...
DAS LABYRINTH DES SCHICKSALS
von Logan Dee
Komm, lockte die Stimme. Es war eine andere als die, die ich seit Kalis Kuss vernommen hatte. Diese neue Stimme schien nirgendwo ihren Ursprung zu haben.
Und sie war eindeutig verlockender, zwingender.
Ich konnte mich ihr nicht verschließen.
Der Weg vor mir verengte sich zu einem tunnelförmigen Schlund. Der Boden unter meinen Füßen war glitschig und schleimig. Jeden Moment drohte ich auszurutschen. Ich wollte nach unten schauen, doch die Stimme schien nicht nur meinen Geist, sondern auch meinen Körper fest in ihrer Gewalt zu haben.
Schau nicht nach unten, Coco. Schau nicht nach oben.
Die Stimme dirigierte mich wie eine Marionette.
Lydia und Adalmar kamen mir in den Sinn. Waren sie mir gefolgt? Ich wollte mich vergewissern, ob sie sich hinter mir befanden, doch auch dies ließ die Stimme nicht zu.
Schau nicht zurück, Coco. Schau nur nach vorn!
Automatisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Zugleich erfasste mich eine unendliche Trauer. Mit jedem Schritt wurde sie größer. Lydia und Adalmar. Gerade erst hatte uns das Schicksal wieder zusammengeführt. Nicht, dass mir die beiden in der kurzen Zeit unseres Wiedersehens ans Herz gewachsen wären.
Aber sie gehörten zu meiner Familie.
Waren Teil meiner Vergangenheit.
Und nun wurden sie mir abermals entrissen.
Zugleich hörte ich einen Laut. Er klang wie das Schlagen eines Herzens. Zugleich veränderten sich die Lichtverhältnisse. Es wurde plötzlich dunkel.
Ich hatte das Gefühl, mich unter der Wasseroberfläche in der Dämmerzone eines Ozeans zu befinden. Von den Wänden ging nur noch ein kaum wahrnehmbares Leuchten aus. Sie schienen transparent zu sein. Seltsam, von außen hatte der Irrgarten wie ein gewöhnliches Heckenlabyrinth ausgesehen. Die Struktur in seinem Inneren war eine ganz andere. In den durchsichtigen Wänden konnte ich schwache Lichtreflexe ausmachen. Irgendetwas daran flößte mir Angst ein.
Was hat es mit ihnen auf sich?, fragte ich in Gedanken.
Kümmere dich nicht um sie, antwortete die Stimme. Früher oder später wirst du es ohnehin herausfinden. Fürs Erste konzentriere dich allein auf den Weg. Lass dich nicht von ihm abbringen!
Schließlich hatte ich das Ende des Ganges erreicht. Ich stieß gegen eine fleischartige Wand. Doch noch ehe ich überhaupt an Umkehr denken konnte, öffneten sich links und rechts von mir zwei lippenartige Scharten.
Ohne zu zögern, wählte ich die linke – ich vermochte selbst nicht zu sagen, warum.
Mit den Händen zog ich die wulstigen Wandlippen auseinander, bis der Spalt so breit geworden war, dass ich mich hindurchquetschen konnte.
Ich erinnere mich ...
»Coco, komm spielen« ... Ein heiseres Bellen folgte den Worten.
Ich stürmte zum Fenster und schaute hinunter auf den Hof.
»Wirst du wohl still sein, Rupi!«, schimpfte ich. Er konnte vom Glück reden, dass mein Patenonkel ausgeflogen war. Wie so oft hatte er mich allein zurückgelassen. Seitdem meine Freundschaft zu einem Menschen – Rupert Schwinger – aufgeflogen war, hatten mein Onkel und die Hexe die Daumenschrauben angezogen.
Sie ließen mich kaum mehr aus den Augen, geschweige denn, dass ich das Burggelände verlassen durfte. Magische Augen beobachteten jeden meiner Schritte – selbst wenn meine beiden Peiniger nicht anwesend waren.
Ich war eine Gefangene – da machte ich mir nichts vor.
Dass Rupi aufgetaucht war, machte mich glücklich. Wenigstens einer, dem ich etwas bedeutete. Allerdings verhieß sein Besuch Ärger. Falls meine Kerkermeister davon Wind bekamen ...
So schnell ich konnte, rannte ich die Treppen hinab und lief auf Rupi zu.
Er wedelte glücklich mit dem Schwanz und kläffte ausgelassen.
»Wirst du wohl still sein«, tadelte ich ihn lächelnd und erlaubte, dass er an mir hochsprang. Dabei löste sich eine Pfote.
Rupi bemerkte es nicht einmal, während mir wieder einmal schmerzhaft bewusst wurde, dass er kein lebendiges Wesen war.
Er war nur ein Ersatz.
Und ich war seine Schöpferin. Ich hatte ihn erweckt, weil ich meine Einsamkeit nicht mehr ausgehalten hatte. Auf meinen Streifzügen im Burgpark hatte ich eines Abends einen toten Fuchs entdeckt. Er war an der Tollwut verendet. Augenblicklich war mir die Idee gekommen, ihn sozusagen als Basis zu verwenden.
Schon als kleines Mädchen hatte ich mir einen Hund gewünscht, aber nie einen besessen.
Auch damit war ich ins Fettnäpfchen getreten und hatte mich eindeutig als schwarzes Schaf meiner Familie geoutet.
»Wie kannst du nur!«, hatte meine Mutter mich gescholten, das Gesicht verzerrt vor Ekel. »Hunde sind für Menschen gedacht, von ihnen gezüchtet, um ihnen zu Willen zu sein. Es sind widerliche, speichelleckerische Geschöpfe!«
»Ich will trotzdem einen Hund! Einen süßen, kleinen Cockerspaniel zum Schmusen!« Um meine Worte zu unterstreichen, hatte ich mit dem Fuß aufgestampft. Es geschah nicht oft, dass ich meiner Mutter zu widersprechen wagte. Meistens setzte es dafür Prügel.
Auch jetzt bekam ich links und rechts zwei Ohrfeigen verpasst, dass mir die Backen glühten.
Ich schrie auf und schützte mein Gesicht vor weiteren Schlägen.
»Mach, dass du auf dein Zimmer kommst!«, befahl Mutter. Ich lief an ihr vorbei nach oben und warf wütend die Tür hinter mir zu.
Später klopfte es. Lydia und Adalmar standen auf der Schwelle.
Misstrauisch schaute ich sie an. Lydia drangsalierte mich, wo sie nur konnte. Ich traute ihr nicht über den Weg.
»Mutter hat erzählt, dass du einen Hund willst, Coco«, sagte meine Schwester mit freundlichstem Lächeln.
»Jawohl, einen Cockerspaniel«, bestätigte ich trotzig.
»Einen Cockerspaniel können wir dir leider nicht bieten«, schaltete sich mein Bruder Adalmar in das Gespräch ein. »Aber wie wär's mit einem Rauhaardackel?«
Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein Rauhaardackel aussah, es gelang mir jedoch kaum. Aber schön, irgendein Hund war immerhin besser als kein Hund. Außerdem vertraute ich Adalmar. Zumindest mehr als Lydia.
»Abgemacht, wir treffen uns heute Nacht im Garten – zur Geisterstunde«, sagte Lydia. »Dann bekommst du deinen Hund. Aber zu niemandem ein Wort, verstanden?«
Ich nickte.
Jedenfalls stand ich pünktlich um Mitternacht im Garten. Lydia und Adalmar erwarteten mich schon.
»Wo ist der Hund, den ihr mir versprochen habt?«, fragte ich enttäuscht, als ich sah, dass sie mit leeren Händen gekommen waren.
»Den holen wir uns jetzt«, antwortete Lydia. »Halt jetzt den Mund, damit uns niemand hört, und folge uns einfach.«
Die beiden gingen voran, öffneten das hohe Gartentor, das unser Anwesen von der Außenwelt abschnitt, und gaben mir mit ihren Gesten zu verstehen, dass ich mich beeilen sollte. Auf dem Bürgersteig beschleunigten wir unsere Schritte. Niemand war so spät abends noch unterwegs. Wahrscheinlich hätte man uns sonst angesprochen, was wir Kinder zu nachtschlafender Zeit hier draußen zu suchen hätten.
Lydias und Adalmars Ziel lag nur wenige Häuser weiter. Es befand sich auf der anderen Straßenseite und gehörte der alten Witwe Kneisel. Ein verwunschen wirkender Kräutergarten verbarg das dahinter liegende, windschiefe Haus.
Es gab nicht wenige, die glaubten, dass die alte Kneisel eine Hexe sei. Einmal hatte ich heimlich beobachtet, wie sich eine ganze Anzahl Schulkinder zusammengerottet hatte, um vor ihrem Haus Schabernack zu treiben. Sie warfen mit Knallfröschen und Steinen.
Dazu schrien sie Spottverse. Als ich Mutter einmal fragte, ob es sich bei der alten Kneisel wirklich um eine Hexe handelte, schalt sie mich eine dumme Gans. »Natürlich ist sie keine Hexe. Sie ist ein Mensch, aber unter ihresgleichen nicht allzu wohlgelitten. Uns soll es recht sein – dann wird jedenfalls die Aufmerksamkeit nicht auf uns gelenkt.«
Ich fragte mich, ob die Menschen wirklich so dumm waren und echte Hexen nicht von unechten unterscheiden konnten.
Wir umrundeten das Haus und überkletterten die niedrige Bruchsteinmauer. Trotz der Aussicht auf einen Hund wurde mir zusehends mulmiger zumute. Falls unsere Eltern erfuhren, was wir hier trieben, würde es eine gehörige Abreibung geben. Es galt als Tabu, unnötig die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen. Erst recht, wenn diese in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnten.
Adalmar und insbesondere Lydia schienen keine derartigen Skrupel zu haben. Zielstrebig schritt Lydia voran, bis sie auf ein angelehntes Fenster stieß.
»Wusste ich's doch, die Alte lässt das Fenster jeden Abend offen stehen!«, flüsterte sie zufrieden.
Adalmar zog etwas aus der Tasche und grinste breit.
»Jetzt schnappen wir uns den kleinen Köter!«
Dafür, dass er so respektlos von meinem Hund sprach, hätte ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt.
Aus dem Innern des Hauses war ein Geräusch zu hören. Ein unterdrücktes Bellen, das im nächsten Moment in ein leises Winseln überging.
Dann drückte sich ein kleines Fellknäuel durchs Fenster. Zwei nachtschwarze Augen funkelten uns an, die feuchte Nase schnüffelte erregt, und der kurze Schwanz wedelte freudig hin und her.
»Feiner Hund«, lobte Adalmar und hielt ihm etwas hin. Jetzt erkannte ich, dass es Würstel waren. Wahrscheinlich hatte mein Bruder den verheißungsvollen Geruch durch einen Zauber noch zusätzlich verstärkt.
Der Hund war jedenfalls völlig begeistert und ließ sich mühelos vom Haus weglocken.
Er lief mit uns mit, als hätte er schon immer zu uns gehört.
Doch statt nach Hause führte uns Lydia in einen anderen Nachbargarten.
Zugleich drückte mir Adalmar die Würstel in die Hand.
»Ich will nach Hause«, quengelte ich. Die Situation gefiel mir nicht. Trotzdem siegte meine Faszination, was meinen neuen Begleiter anging. Ich kniete mich nieder und hielt ihm ein Würstel hin:
»Komm, mein Süßer, komm ...«
Gierig schnappte der Rauhaardackel nach dem ihm dargebotenen Festmahl.
Seine winzigen Zähne waren scharf, aber er achtete darauf, mich nicht zu verletzten. Zärtlich streichelte ich das drahtige Fell. Augenblicklich verliebte ich mich in den kleinen Kerl. Endlich hatte ich einen Spielkameraden!
Plötzlich hörte ich einen anderen Laut. Ein tiefes, bedrohliches Knurren war hinter mir zu hören.
Ich fuhr herum. Adalmar und Lydia waren verschwunden. An ihrem Platz stand ein riesiger Schäferhund. Noch bevor ich reagieren konnte, sprang er auf mich los!
Ich schloss die Augen, als könnte ich ihn dadurch wegzaubern und hielt den Atem an. Ein Lufthauch streifte mich.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, was passiert war: Der Schäferhund war über mich hinweggesprungen und hatte sich auf meinen Liebling gestürzt. Der kleine Schatz hing in den riesigen Fängen und quiekte jämmerlich, während der Schäferhund – rasend in seiner Blutgier – den winzigen Körper hin und her schleuderte.
Im Haus gingen Lichter an. Langsam wich ich zurück. Ich ballte die Fäuste vor hilflosem Zorn.
Da geschah etwas, das ich zuvor noch nicht erlebt hatte. Die beiden so ungleichen Hunde erstarrten mitten im Kampf. Es war, als würde die Zeit stillstehen.
Hatte ich das verursacht?
Vorsichtig näherte ich mich dem Schäferhund. Langsam streckte ich die Hand nach ihm aus. Jeden Moment mochte er wieder erwachen. Ich wusste ja nicht, dass ich mich erstmals in meinem Leben in einen schnelleren Zeitablauf versetzt hatte. Es war unbewusst geschehen. In diesem Fall hatten meine Furcht und die Angst um den kleinen Hund den Zauber ausgelöst.
Der Rauhaardackel hing als blutiges Fellknäuel im Maul seines Feindes. Die scharfen Zähne hatten sich tief in sein Fleisch gegraben.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und bog die Fänge des Schäferhundes auseinander. Dann löste ich den Rauhaardackel vorsichtig aus ihnen und nahm ihn in meine Arme. In diesem Moment war es mir egal, ob ich mein Shirt mit seinem Blut beschmierte. Hätte ich weinen können, so wären jetzt dicke Tränen über meine Wangen gekullert.
Aber ich war eine Hexe. Meine Augen blieben trocken.
Zudem wusste ich nicht, ob – wie ich es wahrnahm – der kleine Hund nur in eine ebensolche Starre verfallen war wie der Schäferhund oder ob er tot war. Jedenfalls hing der winzige Körper völlig leblos in meinen Armen.
Ich zögerte nicht länger und lief fort. Als wäre der Bann dadurch aufgehoben, hörte ich in meinem Rücken den Schäferhund augenblicklich die Verfolgung aufnehmen. Sein schauerliches Gebell machte mir eine Heidenangst.
»Hierher! Coco!«, hörte ich plötzlich Lydia rufen. Also hatten sich meine Geschwister doch nicht aus dem Staub gemacht! Sie hatten nur hinter der Mauer Deckung gesucht.
Noch während ich auf die beiden zulief, wurde mir bewusst, dass ich es nicht schaffen würde. Der Schäferhund würde mich einholen und zerfleischen.
Da trat Adalmar hinter der Mauer hervor.
Er murmelte ein paar Worte, die ich nicht verstand, aber bereits im nächsten Augenblick begann sich das Fellknäuel in meinen Armen zu bewegen. Der kleine Hund war wieder lebendig! Ehe ich es verhindern konnte, entwand er sich meinen Armen und sprang auf die Erde.
In meinem Rücken erhob sich nun ein fürchterliches Gebell und Geknurr. Doch ich wagte es erst, zurückzublicken, nachdem ich erneut über die Mauer geklettert war und mich in scheinbarer Sicherheit wiegen konnte.
Abermals hatten sich die Hunde ineinander verbissen. Aber nun war der Schäferhund eindeutig in der schwächeren Position. Mein kleiner Liebling fügte ihm Wunde um Wunde zu.