Das Haus Zamis 63 - Wiener Blut - Logan Dee - E-Book

Das Haus Zamis 63 - Wiener Blut E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

In Wien stehen die Zamis mit dem Rücken zur Wand. Tag- und Nacht wird ihre Villa von dämonisierten Menschen umlagert. Dennoch findet Michael Zamis einen Weg, um hinauszugelangen und nach Paris zu reisen. Sein Ziel: Seinen vermissten Sohn Georg und dessen Halbschwester Juna aus den Fängen des Dämonischen SEKs zu befreien …

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Seitenzahl: 266

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Wiener Blut

 

Band 63

 

Wiener Blut

 

von Logan Dee und Michael Marcus Thurner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

© Zaubermond Verlag 2021

© »Das Haus Zamis – Dämonenkiller«

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis
Wiener Blut
Was bisher geschah
Erstes Buch: Die Büchse der Pandora
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Zweites Buch: Wiener Blut
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Epilog
Vorschau
Fußnoten

 

Was bisher geschah

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.

Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.

Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. Sie bringt Ficzkó einen Zauber bei, den dieser anwenden soll, sobald er Junas habhaft wird. Von Georg verfolgt, flüchtet Ficzkó in einen Schrank und versetzt sich und Juna in die Vergangenheit. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.

Doch etwas ging schief: Fortan ist ein Durchgang zu anderen – höllischen – Dimensionen entstanden. Ein neuer Dämon taucht so in Wien auf: Monsignore Tatkammer. Niemand weiß, woher er stammt, doch er sät Böses, wo immer er ist. Noch ist die Schwarze Familie nicht auf ihn aufmerksam geworden, sodass er ungehindert wirken kann.

Unterdessen wird der verschwundene Schiedsrichter der Schwarzen Familie, Skarabäus Toth, in Wien gesichtet. Michael Zamis hatte ihn, um ihn loszuwerden, in ein Chamäleon verwandelt. Offensichtlich aber hat Toth eine Möglichkeit gefunden, zumindest als Geistererscheinung auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Michael Zamis will ihn daher endgültig loswerden und beauftragt dafür Coco.

Sie macht sich widerwillig auf die Reise und lässt den Sarg mit Toth über dem Ätna abwerfen.

Auftrag erledigt, doch sie zieht es nicht sofort nach Wien zurück, denn dort warten weitere Probleme auf sie. Nicht zuletzt ein Dämon namens Youssef, dem sie ihr Café »verkauft« hat.

In Italien lernt sie Alessandro Wolkow kennen. Als Sohn einer weißen Hexe und eines schwarzblütigen Dämons ist er eine zwiegespaltene Persönlichkeit. Die beiden verlieben sich ineinander, auch wenn Coco bewusst ist, dass sie ihre magischen Fähigkeiten dadurch zum großen Teil verliert. Dafür erkennt sie, warum sie sich so sehr verändert hat: Ihr Vater hat die Neiddämonin Invidia auf sie angesetzt. Doch gegen die Liebe ist auch die Neiddämonin machtlos – und verschwindet. Coco hofft, sie für immer los zu sein, und flüchtet mit Alessandro nach Frankreich.

Unterdessen finden sich Georg Zamis, Juna und Ficzkó im Jahr 1888 in Paris wieder. Sie sind getrennt worden, und Georg macht sich auf die verzweifelte Suche nach Juna. Dort treffen sie auf den damals noch jungen Michael Zamis, mit dessen unfreiwilliger Hilfe sie wieder in die Gegenwart gelangen – genau in die Arme einer Pariser SEK, die von der Existenz des Übersinnlichen – und vor allem von den Mächten und Machenschaften der Schwarzen Familie – weiß. Beide, Georg und Juna, werden seitdem verhört und in Gefangenschaft gehalten, haben jedoch ihr Gedächtnis verloren.

Währenddessen verbringt Coco mit ihrem Liebhaber Alessandro entspannende Wochen an der Côte d’Azur. Nach Wien zieht es sie nicht mehr. Sie ahnt nicht, dass die Zeit des Friedens bald vorbei sein wird. Jemand hat einen dämonischen Kopfgeldjäger auf sie angesetzt: den berüchtigten Charles Axman und seine Rocker-Crew! Cocos Liebhaber stirbt, als er in die Fänge eines fluchbeladenen Hauses gerät und dieses ihn verschlingt. Coco selbst entkommt dem Inferno und erblickt erneut Invidia – als habe die Neiddämonin nur auf den passenden Moment gewartet, sich Coco erneut zu nähern.

Unterdessen schart ein mächtiger Dämon weltweit Jünger um sich: Abraxas. Niemand weiß, was genau er bezweckt, doch selbst Asmodi, der amtierende Fürst der Finsternis, sieht in ihn einen gefährlichen Gegenspieler.

Inzwischen ist ein ganzes Jahr vergangen, in dem Coco vor Invidia auf der Flucht war und versucht hat, sie abzuschütteln.

Der geheimnisvolle Monsignore Tatkammer wird indes wie magisch von dem Café Zamis angezogen. Und vor allem von dem Gemälde mit den darin verbliebenen Todsünden.

Sein Herr, der Dämon Abraxas, offenbart ihm seinen Werdegang. Tatkammer selbst hat das Gemälde als junger Mönch vor vielen Jahrhunderten in Abraxas’ Auftrag erschaffen – und geriet dabei immer stärker in dessen Bann.

Unterdessen ist Coco Zamis in Hamburg angekommen. Sie ist in der Welt umhergereist – auf der Flucht vor ihren Erinnerungen und der Neiddämonin Invidia, die jedoch inzwischen von Michael Zamis wieder in das Gemälde verbannt wurde. In Hamburg lernt sie Merle kennen, die sich als ihre Halbschwester entpuppt. Da erreicht Coco der Todesimpuls ihrer Geschwister – Adalmar und auch Lydia werden Opfer von Tatkammers Intrigen.

Nun ist Coco gefragt, ihren Eltern beizustehen und den Tod der Geschwister zu rächen.

Sie tötet Monsignore Tatkammer, doch Abraxas erweckt ihn wieder zum Leben – wovon die Zamis aber nichts ahnen …

 

Erstes Buch: Die Büchse der Pandora

Die Büchse der Pandora

von Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

Kapitel 1

Er war schon so oft hier vorbeigekommen, dass er sich wunderte, dass ihm das Gebäude erst heute zum ersten Mal auffiel. Johnny Holzpichler war bekennender Obdachloser. Er lebte freiwillig auf der Straße. Nach seinem Philosophiestudium vor drei Jahren hatte er sich dazu entschieden, sein Leben auf diese unkonventionelle Art zu gestalten. Sein größter Luxus war sein iPhone, ein zwar schon älteres Modell, aber er hielt damit sein Dasein auf Fotos und kleinen Filmchen fest, die er ins Internet stellte. Seine Facebook-Seite hatte einige tausend Abonnenten. Oftmals erhielt er Anfragen, weil Leute ihm Geld spenden wollten. Er lehnte derlei Offerten brüsk ab. Wichtig war ihm allein, seine Philosophie des freien Lebens zu verbreiten und vielleicht einigen Leuten Vorbild zu sein, ihm nachzueifern.

Es war Herbst, und die Nächte wurden bereits kühler. Außerdem war es unter den Brücken und an den anderen Schlafplätzen in letzter Zeit immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Auch hieß es, dass sich Mörder in der Stadt herumtrieben, die es speziell auf Obdachlose abgesehen hätten und grausam verstümmelte Leichen hinterließen. Manchen war das Blut entnommen worden. Gerüchte von Sadisten machten die Runde. Die Abergläubischen schwafelten von Vampiren, die ihre ahnungslosen Opfer aussaugten. Kurzum: Johnny musste sich für die nächsten Wochen ein halbwegs warmes und sicheres Plätzchen suchen.

Er blieb stehen und betrachtete das Gebäude genauer, insbesondere die Glasfront, auf der in verblichenen Buchstaben etwas von einem Café stand. Café Z__is? Zwei der Buchstaben waren so unleserlich, dass er sie nicht entziffern konnte.

Er trat näher an die Glasscheibe heran und versuchte, einen Blick in das Innere zu werfen, doch die Scheibe war so verschmiert, dass er nichts erkennen konnte. Überhaupt schien das ganze Gebäude verwahrlost und unbewohnt zu sein. Eigentlich verwunderlich, befand sich das Haus doch in der Mariahilfer Straße, einer beliebten Einkaufsmeile in der Wiener Innenstadt.

Es gab noch einen Grund, warum ihn das Gebäude so interessierte: Lost Places waren seine Leidenschaft. Und er hatte schon eine ganze Menge dieser leerstehenden und vor sich hingammelnden Häuser und Fabriken in Wien erkundet. Er hatte ein besonderes Gespür dafür, die spezielle Atmosphäre solcher Orte auf sich wirken zu lassen. Er war überzeugt, dass jedes Gebäude die Aura der Menschen, die darin gelebt hatten, konservierte. Manchmal, wenn er sich sehr konzentrierte oder zu viel Schnaps getrunken hatte, glaubte er sogar, die Stimmen der ehemaligen Bewohner zu hören und ihre Schatten umherhuschen zu sehen. Ganz schlimm war es in leerstehenden Krankenhäusern, Irrenanstalten und Heimen – die mied er, weil das darin erlittene Leid der Menschen noch immer allgegenwärtig in den Mauern wie eingemeißelt war und nur darauf lauerte, einen unvorsichtigen Eindringling anzufallen. Genau wie er einmal, ohne es zu wissen, in eine gelbe verlassene Villa in Hietzing eingedrungen war, die sich als Haus eines Selbstmörders entpuppt hatte. Ausgerechnet in dem Zimmer, in dem der Bewohner sich erhängt hatte, hatte er seinen Schlafsack ausgebreitet. Er würde nie vergessen, wie er in der Nacht aufgewacht war und der Schemen des Toten wie ein Schattenriss direkt vor ihm von der Decke gebaumelt war …

Fluchtartig hatte er die gelbe Villa des Selbstmörders verlassen.

Aber als er durch den verwilderten Garten lief, sah er dort die beiden maskierten Gestalten: eine Frau und einen Mann. Zu ihren Füßen lag die Leiche eines Jungen. Eine Grube tat sich vor ihnen auf.

Sie beachteten ihn nicht, so als befänden sie sich in einer anderen Dimension, auf die er nun einen Blick erhaschte.

Johnny ahnte, dass sich hier ein entsetzliches Drama abgespielt hatte. Hatte der Mann den Jungen getötet und sich dann selbst erhängt?

Er war vor Schreck einen Moment lang stehen geblieben. Aber nun erhob sich der Mann und nahm lächelnd die Maske ab, während die Frau zu schluchzen anfing.

Johnny erkannte den Mann sofort wieder: Es war der Gehenkte aus der Villa!

Von Panik erfüllt rannte er endlich weiter, und erst, als er weit genug davongelaufen war, fiel ihm ein, dass er sein ganzes Hab und Gut zurückgelassen hatte. Doch nichts auf der Welt hätte ihn bewegen können, umzukehren. Zumindest nicht in dieser Nacht mehr. Denn er hätte schwören können, dass er die flüsternde Stimme des Erhängten vernommen hatte – schmeichelnd und klagend zugleich. Und sie hatte ihn aufgefordert, sich einen Strick zu nehmen und sich ebenfalls aufzuhängen.

Johnny hatte niemals einen Gedanken daran verschwendet, sich umzubringen. Er liebte sein Leben auf der Straße. Aber jetzt, während er noch immer zitternd und atemlos in irgendeinem Park hockte, kam ihm der Gedanke gar nicht mehr so absurd vor. Als hätte der Tote eine Saat in ihm gepflanzt.

Ja, in jener Nacht hatte er den Wunsch, sich das Leben zu nehmen, sehr stark in sich wachsen gespürt. Erst bei Tagesanbruch war der Wunsch wieder erloschen. Und er hatte sich sogar überwinden können, nun, im Hellen, noch einmal zurückzukehren in die Villa, um seine Sachen zu holen.

Aber selbst da, während die Sonnenstrahlen durch die hohen, teilweise zerbrochenen Fensterscheiben gefallen waren und die Staubkörnchen in der Luft hatten tanzen lassen, hatte er sich die ganze Zeit von unsichtbaren Augen beobachtet gefühlt. Mehrmals hatte er sich umgeschaut, weil er sicher gewesen war, dass jemand hinter ihm stand. Aber da war niemand gewesen. Das Haus war so leer gewesen wie eine taube Nuss. Und auch die Grube im Garten war verschwunden.

Dennoch, als er das Zimmer betreten hatte, das er in der Nacht so fluchtartig verlassen hatte, war ihm eine Gänsehaut über den Körper gekrochen. Seine gesamten Habseligkeiten waren im Zimmer verstreut gewesen. Der Inhalt des Rucksacks war ausgeleert worden, und die Decke, auf der er geschlafen hatte, war zerfetzt, als hätte ein tollwütiges Tier sich daran vergangen.

Auch war es in dem Raum ungewöhnlich kühl gewesen, viel kälter als in den anderen Zimmern.

So schnell wie möglich hatte er die wichtigsten Dinge zusammengeklaubt. Das meiste hatte er zurückgelassen, aber das war ihm egal. Er hatte nur so schnell wie möglich wieder verschwinden wollen.

Nichts war weiter geschehen. Und dennoch verfolgte ihn die Erinnerung bis heute. Nach dem Erlebnis war ihm zunächst die Lust auf verlassene Villen und ähnliche Örtlichkeiten vergangen. Er hatte nur noch draußen genächtigt – in der freien Natur, unter Büschen und Brücken. Und jede Nacht war er schreiend aus seinen Albträumen aufgewacht. Da hatte er gewusst, dass er sich seinen Ängsten stellen musste, anstatt sie zu verdrängen und vor ihnen davonzulaufen. Also hatte er es gewagt, wieder in Häusern zu übernachten, auch in alten, verlassenen Villen und Fabriken. Und allmählich waren die Träume verschwunden.

Er hatte seine Angst besiegt.

Doch als er nun vor dem Café stand, dessen Namen er kaum entziffern konnte, da spürte er erneut das Grauen in sich erwachen.

Und dennoch konnte er sich nicht einfach von dem Ort lösen und weitergehen.

Im Gegenteil, er trat näher heran und versuchte durch die verdreckte Scheibe zu spähen. Während er sich fast die Nase plattdrückte, glaubte er drinnen kurz einen schwachen Lichtschein aufblitzen zu sehen …

»Da ist nix mehr! Schon lang nicht mehr!«

Die schrille hohe Stimme ließ ihn herumfahren. Vor ihm stand ein zwergenhaftes, in graue Lumpen gekleidetes Wesen. Im Vergleich zu dem gebückten Körper war der hässliche Kopf riesig. Mit einer Mischung aus Mitleid und Ekel sah Johnny auf den Freak hinab.

Dessen Haut war gerötet und voller Schorf. Auch jetzt kratzte er sich unentwegt, während er Johnny aus wässrigen Augen anstarrte.

»Ich … ich dachte, ich hätte drinnen was gesehen.«

»Unmöglich, Bruder. Ich sag doch, der Laden steht schon lange leer. Und unsereins ist da schon ewig nicht mehr erwünscht …«

Was meinte der Verwachsene mit »unsereins«? Verglich er sich mit ihm? Johnny war immer noch ein gut aussehender junger Mann. Die Jahre auf der Straße hatten kaum Spuren hinterlassen, sah man von seiner nicht mehr frischen Kleidung und den schulterlangen blonden Haaren ab, die schon länger keine Wäsche und keinen Frisör mehr gesehen hatten.

»Früher war hier das Café Zamis. Coco Zamis hieß die Besitzerin. Ein geiles Weib! Die ließ alle rein, ich mein, ins Café.«

Der Freak kicherte und machte eine obszöne Geste.

Johnny wollte sich schon angewidert abwenden, als der Freak fortfuhr: »Suchst wohl eine Bleibe für die Nacht, was?«

Das war in der Tat so. Es dämmerte bereits, und die nächsten Stunden versprachen kalt zu werden. Ein kühler Ostwind fegte durch die Straßen und ließ die welken Blätter vor sich hertanzen.

Aber allein der Gedanke, das Lager mit dem Freak zu teilen, ließ Johnny schnell den Kopf schütteln. »Nein, lass mal, ich habe schon was in petto …«

»Das sieht aber nicht so aus.« Der Verwachsene ließ nicht locker. »Ich kann dir helfen.« Seine Stimme klang nun beinahe schmeichelnd.

Johnny fühlte eine ungewohnte Wut in sich aufsteigen. »Du sollst dich trollen!« Drohend ballte er die Fäuste.

Aber der Freak ließ sich nicht abwimmeln.

»Ich kann dich da reinführen.«

»Wo rein? In das Café?« Es war, als hätte das Angebot eine alte, lange nicht mehr angeschlagene Saite in Johnny zum Erklingen gebracht. Ja, er hatte sich damals, nach der Nacht in der gelben Villa, nach und nach seinen Ängsten gestellt. Aber es war nur halbherzig gewesen, wie er jetzt erkannte. Denn instinktiv hatte er Orte gemieden, vor denen ihn sein Instinkt gewarnt hatte.

Orte wie diesen. Lange hatte er nicht mehr den verbotenen Reiz gespürt, eine Grenze zu übertreten. Das Café zog ihn an. Es lockte ihn mit aller Macht. Es barg etwas im Verborgenen, das er erkunden musste. Wie einen Schatz, auch wenn dieser Schatz mit unermesslichen Schrecken verbunden sein würde.

So wie damals in der gelben Villa und in dem verwilderten Garten. Denn auch wenn er vor Angst fast gestorben wäre, so war sein Blick auf diese Welt geweitet worden. Er wusste seitdem, dass die Realität wie ein Vorhang war, hinter dem sich noch andere Wirklichkeiten versteckten. Und auch wenn sie kaum zu ertragen waren, so fühlte sich Johnny wie ein Forscher auf unbekanntem Terrain. So musste sich ein Armstrong gefühlt haben, als er als erster Mensch einen Schritt auf den Mond gesetzt hatte. Oder ein Galileo Galilei, der zu seiner Zeit die Sicht auf die Welt völlig auf den Kopf gestellt hatte.

Aber wenn er tiefer in sich hineinhorchte, dann war da noch etwas anderes, das ihn in das ominöse Café zog. Er wollte es sich kaum eingestehen, aber es war das Böse selbst, das er dort drinnen spürte und das ihn lockte.

Als der Gnom nicht sofort antwortete, spürte Johnny erneut Wut in sich aufsteigen. Wollte der ihn hinhalten? Womöglich auch noch bezahlt werden wollen und den Preis hochtreiben? Dann würde der kleine Mistkerl schon sehen, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte.

In seinem Leben war Johnny Streit immer aus dem Weg gegangen, erst recht seitdem er auf der Straße lebte, wo seinesgleichen oft dem Alkohol zusprach und aggressiv wurde. Aber jetzt hätte er sich den Zwerg am liebsten gekrallt und ihn durchgeschüttelt. Nur sein Ekel hielt ihn noch davon ab. Hinterher holte er sich auch noch die Krätze.

Ein widerliches Grinsen stahl sich in die Fratze des Freaks. »Nicht so ungeduldig, Bruder. Ich führe dich ja schon da rein …« Er sah sich hastig um. »Aber wir sollten die Dunkelheit abwarten. Die Straße ist noch zu belebt …«

»Ich will aber nicht abwarten! Jetzt oder gar nicht!«

Das Grinsen seines Gegenübers wurde noch breiter. Der Mund zog sich von einem Ohrläppchen zum anderen. Nadelspitze Zähne wurde sichtbar, als sich die Lippen leicht öffneten. Das war doch nicht möglich, oder?

Aber auch das war Johnny jetzt egal. Er wollte nur so schnell wie möglich seinen Drang befriedigen.

»Also schön«, schnarrte der Zwerg. Wieder spähte er nach allen Seiten. »Aber wenn uns jemand sieht und es Ärger gibt …«

»Red nicht!«

»Folge mir, Bruder. Ich sehe, du kannst es kaum erwarten!«

Die zwergenhafte Kreatur drehte sich um und ging fort.

»Heh, wo willst du hin?«

»Folge mir, habe ich gesagt!«

Die Stimme klang nun nicht mehr schmeichelnd, sondern befehlend. Als wisse der Freak, dass er sein Opfer am Haken hatte.

Johnny blieb nichts anderes übrig, als ihm zu hinterherzugehen. Der Kleine war erstaunlich schnell. Aber es ging nicht sehr weit. Nur bis zum nächsten Haus. Zwischen dem Haus und dem Gebäude, in dem sich das Café Zamis befand, war ein schmaler Weg. Er war gerade mal so breit, dass ein einzelner Mensch hindurchpasste.

Johnny musste sogar seinen Rucksack abschnallen, weil der ihn behinderte. Fluchend setzte er ihn am Boden ab und betrat den Gang. Hier war es so dunkel, dass er den Freak schon nicht mehr sah. Hoffentlich hielt der ihn nicht zum Narren.

Oder lockte ihn in einen Hinterhalt.

Bei dem Gedanken musste Johnny grinsen. Es gab ja nichts, was man ihm groß hätte stehlen können. Er hatte noch nicht mal einen Euro in der Tasche, und in dem zurückgelassenen Rucksack befanden sich nur seine Decken und zerschlissene Kleidung. Das Grinsen verging ihm jedoch, als er an sein iPhone dachte. Das war sein wertvollster Besitz …

»Jetzt komm schon, oder willst du Wurzeln schlagen!« Die drängende Stimme des Zwerges erklang irgendwo vor ihm. Es war jetzt nicht mehr nur dunkel, sondern stockfinster. Inmitten der Schwärze glaubte Johnny schwarze Schemen zu sehen, die wie Nebelschwaden vor ihm herwaberten. Aber das war sicherlich eine Täuschung.

Fast wäre er mit dem Zwerg zusammengeprallt. In letzter Sekunde nahm er ihn wahr.

»Hier müssen wir runter! Hilf mir, die Platte hochzuheben!«

»Welche Platte?«

Er zog sein iPhone hervor und schaltete die Taschenlampenfunktion ein, auch wenn er riskierte, damit die Gier des anderen zu wecken.

Für einen kurzen Moment schälte sich in dem Lichtstrahl eine runde gusseiserne Schachtabdeckung heraus.

»Funzel aus, du Dillo1!«

Johnny gehorchte, wobei ihm gar nicht bewusst wurde, dass der Freak den Spieß umgedreht hatte und den Ton angab.

Johnny steckte das iPhone rasch zurück in die Hosentasche. Er bückte sich und tastete nach dem Deckel. Kurz berührte er dabei die Hände seines Führers. Fast wie Klauen kamen sie ihm vor – lang und mit spitzen Krallen. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie diese Krallen in seine Augen fuhren und sich tiefer hinein in seinen Kopf bohrten …

»Jetzt – anheben!«

Der Deckel war erstaunlich schwer, aber der Freak schien über erstaunliche Kraft zu verfügen. Er atmete noch nicht einmal schneller, während Johnny laut keuchte.

Dann hatten sie es geschafft.

»Dort müssen wir rein«, erklärte der Zwerg. »Ich kletter voran, und du kommst nach. Aber pass auf, dass du mir nicht auf den Kopf trittst.«

»Und das ist der Weg ins Café?« Johnny war skeptisch.

Der Freak schnaubte nur, dann hörte Johnny nur noch leise verhallende Klettergeräusche.

Am liebsten hätte er den Deckel wieder zugeworfen, oder besser noch, er hätte Reißaus genommen. Doch nach wie vor war die Verlockung größer die innere Stimme, die ihm riet umzukehren. Auch die Taschenlampe wagte er nicht mehr anzuknipsen, so gern er auch in den Schacht hineingeleuchtet hätte.

Vorsichtig beugte er sich über das Loch, das er mehr erahnte, als dass er es erkennen konnte.

Tief unten glaubte er etwas aufblitzen zu sehen, ähnlich dem Licht, das er im Innern des Cafés kurz hatte flackern sehen.

Er atmete noch einmal tief durch und hangelte sich dann vorsichtig hinab. Seine Füße stießen auf Leitersprossen. Die Leiter war senkrecht an der Schachtwand angebracht, aber es war nicht allzu schwierig, sie hinunterzusteigen.

Nach drei Metern erreichte er den Boden. Knöcheltief versank er in eine feuchte, morastige Masse. Es stank bestialisch nach Abwasser und Unrat.

»Hier entlang!«, hörte er die Stimme seines gnomenhaften Führers wieder. Er tastete sich vorwärts, bis er mit dem Kopf gegen einen Mauervorsprung stieß.

Er schrie laut auf vor Schmerz und Schrecken. Der Schrei hallte schaurig in dem Kanal. Von dem Freak war dafür nichts mehr zu hören. Und nach wie vor auch nichts zu sehen.

Abermals durchzuckte Johnny kurz der Gedanke, den Rückweg anzutreten. Noch konnte er auf sein Bauchgefühl hören.

Doch dann ging er doch wieder weiter, tastete sich blind durch die Finsternis.

Wie blöd ist das denn, dass ich diesem Zwerg gehorche, dachte er plötzlich. Hier unten kann niemand das Licht sehen, wenn ich es anknipse.

Er zog erneut das iPhone aus der Tasche. Der Lichtschein zeigte ihm, dass er direkt vor einer massiven Eisentür stand. War der Gnom da durch verschwunden? Aber er hätte es doch hören müssen, oder? Schließlich öffnete man solch eine Tür nicht völlig geräuschlos.

Aber dann sah er, dass die Tür einen Spaltbreit angelehnt war. Auch ließ sie sich problemlos nach innen aufdrücken.

Hinter der Tür war ein weiterer Gang, der wiederum vor einer Tür endete. Es war eine simple Holztür, und auch sie war nur angelehnt.

Dahinter erwartete Johnny ein Raum, der voller Gerümpel war. Offensichtlich war er in einen Keller gelangt. Von dem Gnom war nach wie vor nichts zu sehen.

Vielleicht hatte er auch irgendeinen weiteren Gang oder eine Abzweigung übersehen, und sein Führer hatte sich längst wieder aus dem Staub gemacht.

Johnny sah sich um. Hier gab es nichts, was ihn interessierte. Er dachte kurz an seinen zurückgelassenen Rucksack. Entweder musste er noch mal zurück, um sich wenigstens eine Decke daraus zu holen, oder er musste hier was für die Nacht finden.

Er ging weiter und stieß auf eine steile steinerne Treppe, die nach oben führte. Als er sie halb erklommen hatte, nahm er über sich einen Lichtschein wahr. Diesmal war es nicht nur ein sekundenkurzes Aufblitzen, sondern er blieb.

Johnnys Herz klopfte bis zum Hals. Wieder sagte ihm sein Instinkt, dass es klüger wäre umzukehren. Aber es war, als würde das Licht ihn unwiderstehlich anlocken.

Wie eine Motte, schoss es ihm durch den Kopf.

Als er die oberste Stufe erreicht hatte, fand er sich im Innern des Cafés wieder. Aber das verstaubt wirkende Interieur nahm er nur am Rande wahr. Sein Blick wurde wie magisch angezogen von der hohen Gestalt, die ihm mit grimmiger Miene entgegenschaute. Der Mann wirkte in seinem schwarzen Anzug wie ein Priester. Vielleicht war er sogar einer. Aber dann erkannte Johnny, dass er anstelle eines Kruzifixes ein rundes Amulett um den Hals trug.

Der Gnom stand nun an der Seite des Mannes. Er schaute heischend zu ihm hoch und wirkte wie ein Schoßhündchen.

»Habe ich Euch nicht versprochen, Monsignore, dass ich Euch heute noch einen weiteren Willigen herbeibringe?«

Johnny wunderte sich nicht, dass der Freak den Schwarzgekleideten derart ehrfurchtsvoll anredete. Denn auch er spürte die ungeheure Macht, die von ihm ausging. Die Aura des absolut Bösen, die auch ihn augenblicklich in ihren Bann schlug.

»Tritt näher!«, befahl der Monsignore.

Johnny folgte dem Befehl. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er direkt vor dem Geistlichen stand. Der blickte ihn nur an, und Johnny kniete nieder.

Er spürte die Hand des Monsignores auf seinem Kopf. Es durchzuckte ihn wie ein schmerzhafter Blitz. Und dennoch empfand er es als Wonne. Als Segnung.

Als der Monsignore die Hand wieder fortnahm, war sein eigener Wille ausgelöscht. Stattdessen vernahm er die flüsternden Stimmen in seinem Kopf. Sie sagten ihm, was er zu tun hatte.

Töte ihn, ich brauche ihn nicht mehr!

Bevor der Gnom begriff, was geschah, hatte sich Johnny auf ihn gestürzt und presste ihn zu Boden. Der Freak schrie in schrillen Tönen und wehrte sich aus Leibeskräften. Kurzerhand schlug Johnny die Zähne in dessen Kehle und biss zu. Immer wieder. Blut spritzte hervor, lief Johnny ins Gesicht, und er genoss es. Ebenso die immer verzweifelter klingenden Schreie des Freaks. Er geriet in einen wahren Blutrausch.

Es ist genug!

Nur widerwillig ließ Johnny von seinem Opfer ab. Leblos, mit zerfetzter Kehle, lag der Gnom vor ihm auf dem Boden.

Langsam erhob sich Johnny. Er keuchte. Die blutverschmierten Hände schlossen und öffneten sich hektisch. Nun war er es, der den Monsignore heischend anblickte. »Habe ich nach Eurer Zufriedenheit gehandelt, Herr?«

Ein leises Lächeln umspielte nun die schmalen Lippen des Priesters. »Du hast dich als würdig erwiesen, mir zu dienen.«

»Also war es eine Prüfung, Herr?«

»Nein, deine wahre Prüfung kommt erst noch.«

Der Monsignore vollführte schlangengleiche Bewegungen mit den feingliedrigen Händen, und vor Johnnys Augen erschien die Projektion eines hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes. Das markante bärtige Gesicht wirkte ernst. Die Augen schauten streng und düster.

Der Monsignore wies auf die Erscheinung, die er herbeigeschworen hatte. »Das ist deine wahre Prüfung: Töte Michael Zamis! Ihn und seine ganze Rotte!«

 

Kapitel 2

 

Ich schaute aus dem oberen Fenster über den Garten und die Mauer hinweg auf die Straße.

»Sie sind wieder da«, sagte mein Vater. »Und jeden Abend werden es mehr. Wie Schmeißfliegen, die sich um ein verrottetes Stück Fleisch sammeln.«

»Nur dass wir kein verrottetes Fleisch sind«, sagte meine Mutter. »Du versteigst dich in seltsame Vergleiche, mein Lieber.«

Mein Vater wandte sich vom Fenster ab und sah meine Mutter an. »Du hast natürlich recht. Wir sollten denen da unten zeigen, dass wir noch lebendig sind. Quicklebendig!« Wut sprach aus seinen Worten. Und Wut, so wusste ich, war nie ein guter Ratgeber und hatte auch meinen Vater schon des Öfteren in die Bredouille gebracht.

Wir waren jetzt seit einer Woche nach Wien zurückgekehrt und hatten uns mehr oder weniger in unserer Villa verschanzt. Sie war unsere Festung. Der einzige Ort, an dem wir uns wirklich sicher fühlten.

Zwei meiner Geschwister waren tot. Lydia und Adalmar hatte Tatkammer auf dem Gewissen. Dämonen empfanden keine Trauer. Dennoch spürte ich noch immer den Verlust fast körperlich. So als hätte man mir zwei Beine amputiert.

Ärgerlicher war der Tod der beiden für meinen Vater. Um Lydia war es, wie er mehrfach betont hatte, nicht schade. Er hatte sie immer für eine minderbegabte Hexe gehalten. Mein Bruder Adalmar jedoch war sein ganzer Stolz gewesen. Er war gewissermaßen seine rechte starke Hand gewesen. Seitdem mein Vater Wien als seinen Herrschaftssitz auserkoren und sich mit roher Kraft und mithilfe vieler Intrigen den ersten Platz in der hiesigen dämonischen Nomenklatura erobert hatte, waren mehr als hundert Jahre vergangen, und es war abzusehen gewesen, dass Adalmar in nicht zu ferner Zukunft seinen Platz eingenommen hätte.

Nun war von seinen Söhnen und Töchtern nur noch ich übrig geblieben. Georg und meine Halbschwester Juna mochten noch irgendwo leben, aber sie waren in der Versenkung verschwunden. Niemand wusste, wo die beiden steckten. Allerdings gab es da ja auch noch Merle, die ich in Hamburg kennen gelernt hatte und die sich ebenfalls als meine Halbschwester entpuppt hatte. Sie war aus einem Seitensprung meiner Mutter mit dem Hamburger Dämon Henri Zamis hervorgegangen – sehr zum Verdruss meines Vaters, der Merle nicht besonders mochte. Merle war ein Werwesen. Sie vermochte sich in eine riesige Ratte zu verwandeln – eine Spezialität, auf die sie nicht besonders stolz war. Auch war sie in der Lage, ein Heer von Ratten herbeizurufen.

Bereits als wir vor einer Woche in unsere Villa in der Ratmannsdorfgasse zurückkehren wollten, waren uns die seltsamen Gestalten aufgefallen, die wie Zombies die Straße auf und ab gingen. Aber es waren keine Zombies. Es waren Menschen, Männer wie Frauen. Etwa ein Dutzend waren es gewesen. Und es hatte verdammt so ausgesehen, als würden sie uns bei unserer Ankunft einen Empfang bereiten wollen.

»Fahr weiter!«, hatte meine Mutter Thekla geraunt, die die Gefahr noch vor mir richtig eingeschätzt hatte. Mein Vater hatte sie stirnrunzelnd angeschaut, hatte aber instinktiv das Gaspedal weiter durchgedrückt, anstatt unsere Einfahrt anzusteuern.

Erst zwei Straßen weiter hatte er den Wagen geparkt, und wir waren durch einen magisch getarnten Tunnel auf anderem Wege in die Villa gelangt. Danach hatten wir den Tunnel versiegelt.

»Wie ein Einbrecher muss man in sein eigenes Haus schleichen«, hatte mein Vater gewettert, aber auch er hatte schließlich eingesehen, dass es am schlauesten war, erst einmal die Lage zu checken.

Zumindest war während unserer Abwesenheit niemand in das Haus eingedrungen. Aber das war auch so gut wie unmöglich. Ein menschlicher Einbrecher hätte kaum wenige Meter überlebt, wenn er die Mauer überklettert hätte. Und auch gegen dämonische Übergriffe hatten wir etliche Fallen magischer Natur installiert: Schlingpflanzen, unsichtbare Fallschächte, Feuerlanzen, die sich just in dem Moment entzündeten, sobald ein unerwünschter Besucher an ihnen vorbeischritt … Und natürlich hielten wir uns etliche stets hungriger Hausdämonen und Hilfsgeister, die ebenfalls nur darauf warteten, jemanden zwischen ihre Fänge zu kriegen.

Last not least war da auch Oskar, der Hüter des Hauses in der Villa Zamis. Zu seinen ersten Lebzeiten hatte er zweiunddreißig sadistische Morde verübt. Seine Spezialität war es gewesen, sich als Butler in betuchte Häuser einzuschleimen und die Bewohner grausam zu foltern und schließlich zu töten, um an ihr Vermögen zu kommen. Am Ende seines Lebens geriet Oskar an den Falschen. Er erschlich sich unter falscher Identität eine Anstellung in einem Dämonenhaushalt. Dort setzte man seinem Treiben ein jähes Ende und versteigerte ihn auf Debay.

Seine ehemaligen Besitzer bestraften ihn, indem sie ihn bei lebendigem Bewusstsein in Salzsäure badeten. Da sein Aussehen selbst hartgesottene Dämonen auf Dauer schockierte, war er meistens unsichtbar, worüber auch ich sehr froh war.

Wir hatten also abgewartet. Doch am nächsten Abend waren noch mehr dieser Gestalten in der Ratmannsdorfgasse aufgetaucht. Es war offensichtlich, dass sie die Villa Zamis belauerten. Aber wer waren sie? Und was hatten sie vor?

Mein Vater beauftragte mich, es herauszufinden.

Also nahm ich abermals den Geheimgang. Zuvor jedoch wirkte meine Mutter einen Zauber, der mich in eine alte Frau verwandelte. Der Zauber war so echt, dass ich nur noch gebeugt mit krummen Rücken daherhumpeln konnte und jeden Knochen schmerzhaft spürte.