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Eine Falle!
Rasch robbte Coco zurück. Der Nebel wurde dichter. Innerhalb von Sekunden sank die Temperatur. Eine unnatürliche Kälte kroch in ihr hoch. Die eisige Trägheit, die ihre Glieder erfasste, war ihr vertraut. Sie wusste, was das bedeutete!
Eine hoch aufgerichtete Gestalt schälte sich aus dem Nebel. Sie trug ein mittelalterlich anmutendes Gewand. Das Gesicht lag tief verborgen im Schatten der Kapuze.
»Was willst du?«, fragte Coco. »Mich töten?«
»Wenn einer unredlich spielt, verlieren alle. Wenn alle verlieren, gewinnt der Verräter. Wenn der Verräter gewinnt, verliert das Spiel.« Die raschelnde Stimme erinnerte an welke, im Herbstwind taumelnde Blätter. Die Sätze klangen, als würde ein Irrer sie reklamieren.
»Wenn das Spiel verliert«, nahm Coco den Faden auf, »was passiert dann mit den Spielern?«
»Sie sterben ...«
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Was bisher geschah
TODESFRIST
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrundeliegt. Die Zamis sind Teil der Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht Coco den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Ihr Vater sieht mit Entsetzen, wie sie den Ruf der Zamis-Sippe zu ruinieren droht. So lernt sie während der Ausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Auf einem Sabbat soll Coco zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an, doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut und verwandelt Rupert Schwinger in ein Ungeheuer.
Seitdem lässt das Oberhaupt keine Gelegenheit aus, gegen die Zamis-Sippe zu intrigieren. Michael Zamis sucht indes Verbündete unter den Oppositionsdämonen, die sich Asmodis Sturz auf die Fahnen geschrieben haben. Sein Unternehmen scheitert, und er wird von Asmodi zur Strafe in eine krötenartige Kreatur verwandelt. Während eines Schwarzen Sabbats wird Asmodi von Thekla Zamis vorgeführt. Aus Angst vor seiner Rache flüchten die Zamis aus Wien. Während Thekla verzweifelt versucht, Verbündete zu gewinnen, sind ihnen die Verfolger dicht auf den Fersen. Am Ende kehren alle ohne Ergebnisse zurück nach Wien. Der Grund: Michael Zamis hat sich in seiner Freakgestalt ebenfalls auf den Weg dorthin gemacht.
Schließlich erlöst Asmodi Michael Zamis von seinem Freak-Dasein. Im Gegenzug soll Coco Asmodis missratenen Sohn Dorian Hunter töten. Es gelingt Coco, Dorian zu becircen – doch anstatt den Auftrag sofort auszuführen, verliebt sie sich in ihn. Zur Strafe verwandelt Asmodi Dorian Hunter in einen seelenlosen Zombie, der fortan als Hüter des Hauses in der Villa Zamis sein Dasein fristet.
In Wien entdeckt Coco ein geheimnisvolles Café, das nur auf sie gewartet zu haben scheint. Sie beschließt, das Café zu führen, um es fortan als neutralen Ort zu etablieren, in dem Menschen und Dämonen gleichermaßen einkehren. Das Café Zamis erhält Besuch von Osiris' Todesboten. Sie überbringen die Nachricht, dass Coco innerhalb einer Woche sterben wird. Doch nicht nur sie erhält diese Drohung, sondern ebenso ihr Vater Michael und Skarabäus Toth. Alle drei bitten Asmodi um Hilfe, müssen dafür jedoch das für sie jeweils Wertvollste als Pfand hinterlegen.
Unterdessen verschwindet Cocos Bruder Volkart. Er hat sich auf die Suche nach seinem tot geglaubten Zwillingsbruder Demian begeben.
TODESFRIST
von Logan Dee
Mephistopheles:»Blut ist ein ganz besondrer Saft.«(Goethe: Faust I)
Volkart
Tsutomos Beschwörungszirkel war gänzlich anders geartet als die magischen Kreise, die Volkart von zu Hause her kannte. Seltsame Paraphernalien von Schlangenhäuten, Kobrazähnen, Affenpfoten und anderen undefinierbareren Pulvern und Substanzen bedeckten den Boden in einem komplizierten Muster. Auf Kerzen verzichtete Tsutomo, dafür hatte er überall Reisschüsseln verteilt und Räucherstäbchen hineingesteckt. Sie brannten gemächlich ab und verströmten einen betörenden Moschusgestank.
Der Kitsune hatte mittlerweile seine Dämonengestalt angenommen. Er verfiel in einen dumpfen Gesang und wiegte sich in einem langsamen Tanz.
Mit jeder Strophe seines Liedes gewann seine Stimme an Kraft, wenn auch nicht an Lautstärke. Doch ihr Klang wurde durchdringender, tiefer und grollender.
Schließlich schien er aus dem schwarzen Schleier der Wände selbst zu dringen, als die gepeinigten Seelen Hiroshimas aus der Dunkelheit der Zeit aufstiegen, um gemeinsam ihre Zeit zurückzudrehen.
Die Räucherstäbchen brannten herunter, Volkarts Opfer wand sich trotz der Hypnose wie ein Träumender, und wieder erklang das warnende Ticken.
Zugleich verloren die Wände an Substanz. Der verbrannte Stein wurde schwächer, unwichtiger, als darauf neblige Konturen erkennbar wurden. Putz. Plakate. Regale.
Um die Beschwörungszirkel herum entstand eine neue, alte Welt.
Wände, Türen, Schreibtische, Bilder, Bleistifte und sogar durchscheinende Blumen.
Junge und alte Männer in kurzen einfachen Yukatas hockten hinter den Schreibtischen und machten Abschriften von Dokumenten oder füllten vielblättrige Formulare aus.
Das Kratzen von Schreibfedern über Papier klang wie ein Echo, ebenso der Hall ihrer Schritte.
Sie waren auch nur ein Echo. Ein Abglanz der Vergangenheit.
»Geh und such deinen Bruder«, raunte ihm Tsutomo zu. »Folge deiner Intuition und halte dein Opfer bereit. Er schritt in seinem wiegenden Tanz zwischen den Tischen hindurch. Dort, wo er sie berührte, zerschmolzen sie zu grauem Rauch, um kurz darauf wieder zu erstehen.
Volkart krallte die Hand in den Nacken seines halb betäubten Opfers, die andere umklammerte das Tanto. Der hypnotisierte Geschäftsmann folgte dem Druck im Nacken gutwillig, als Volkart das Gebäude verließ und hinaus auf die Straße trat. Der Park war verschwunden, stattdessen erstreckte sich vor ihm ein Gassengewirr. Ein- oder zweistöckige Holzhäuser mit Papierwänden reihten sich folgsam aneinander.
Winzige, enge Ladengeschäfte und Teestuben warben mit bemalten Schildern und polierten Glücksgöttern um Kundschaft. Ein Straßenhändler verkaufte Reiskuchen direkt von einem dampfenden Garofen, den er um den Bauch geschnallt trug.
Ein Bettler hockte ebenso betrunken wie demütig neben einem Friseurgeschäft, und Straßenhunde dösten in einer winzigen Nebengasse.
Ein Ball rollte an Volkart vorbei. Drei kleine Kinder stürmten johlend hinterher. Ein anderer Straßenhändler, der einen Karren mit bemalten Festtagsmasken und Lampions neben sich herzog, schimpfte lautstark hinterdrein.
Männer und Frauen in gemusterten Kimonos klapperten auf ihren eckigen Holzschuhen über den festgetretenen Lehmboden.
Ein paar halbstarke Matrosen standen unschlüssig vor einer Sakestube, die noch nicht geöffnet hatte. Hühner gackerten von einem schmalen Holzbalkon herab.
Aus dem Fenster eines Hauses drang Rauch, und die Erinnerung an Reisaroma zog an Volkarts Nase vorüber.
Nur Demian war nicht zu sehen.
Je weiter er den Gassen folgte, umso mehr Plakate entdeckte er an den Hauswänden. Parolen gegen Korea und für den Tenno. Werbeplakate zeigten kriegerisch dreinblickende Piloten. Im Hintergrund flog eine Zero der Sonne entgegen. Von einer anderen Wand blickten vornehme Marineoffiziere grimmig herab, während hinter ihnen ein mächtiges Schlachtschiff in See stach.
Kurzzeitig verdeckte eine Gruppe ausgemergelter Männer das Plakat. Sie alle trugen ausgetretene Hosen und billige graue Hemden. Barfuß schleppten sie schwere Reissäcke. Ein Mann in Armeeuniform folgte ihnen. Katana und Pistole am Gürtel, überwachte er die Ordnung in der Reihe.
Die Menschen in den Straßen waren ausnahmslos schlank, die schlechter gekleideten wirkten sogar ein wenig eingefallen und hohlwangig.
Keiner von ihnen bemerkte den Besucher aus einer anderen Zeit. Sie alle waren mit sich und ihren jeweiligen Tätigkeiten beschäftigt.
Der Widerhall der fremden Seelen rüttelte an Volkarts Geist. Ganz leise tickte die Uhr. Und er wusste instinktiv, dass ihm die Zeit davonlief. Tsutomo musste einen mächtigen Zauber gesprochen haben, um eine ganze Geisterstadt aus den Strudeln der Vergangenheit emporzuheben, er konnte diese Magie unmöglich lange aufrechterhalten.
Doch Volkart war sich ebenso bewusst, dass er seine eigenen Kräfte auch nicht verschwenden durfte. Um seiner Intuition auf die Sprünge zu helfen, blieb nur, das zu üben, was der Abt ihm geraten hatte.
Er hatte einen großen Platz erreicht. Dort ließ er sich am Rand eines Brunnens nieder und zwang seine Geisel, sich gleichfalls hinzuhocken.
Dann schloss er die Lider und versenkte sich in sich selbst. Öffnete seinen Geist. Doch anstatt ihn schweifen zu lassen, lenkte er seine gesamte Konzentration auf den Zwillingsbruder, den er so oft in seinen Träumen wiedersah. Er ließ jede Einzelheit von Demians Gesicht vor seinem inneren Auge wiedererstehen.
Gib mir ein Zeichen, flehte er. Durchbrich die Schleier und zeig dich. Ich bin hier. Ich warte.
Unvermittelt drang ein leises Pfeifen an sein Ohr. Volkart verharrte in der Meditation, doch der Laut wurde dröhnender, ein Zischen und Brausen. Aus dem Himmel.
Unwillkürlich sah er hoch und blickte in einen grellen, lautlosen Blitz. Sofort ließ er sich in den schnelleren Zeitablauf fallen. Die unwirkliche Welt hielt an. Der Moment war gekommen. Doch wo war Demians Zeichen?
Hektisch sah sich Volkart um, aber sein Bruder war nicht unter den erstarrten Menschen auf dem Platz, die mit verblüfften Gesichtern zu einem gleißenden Riss in der Wolkendecke starrten.
Mit einer blitzschnellen Bewegung beugte sich Volkart zu dem Angestellten herab und schnitt ihm die Kehle durch. Blut für dich, Bruder, folge der Spur.
In diesem Augenblick spürte Volkart, wie die Zeit um ihn herum ebenfalls schneller lief, wenn auch nur minimal. Aber sie schritt voran, und schon konnte er eine Welle der Hitze spüren.
Einer Frau, nur wenige Meter von ihm entfernt, verkohlte ganz langsam die Nasenspitze. Ein schrumpfendes Schwarz fraß sich wie in Zeitlupe über ihr Gesicht und das Haar, und ihre eigene schmelzende Haut sank wie ein Schleier aus Teer über ihren Körper nieder. Auch die anderen wurden von der unsichtbaren Macht erfasst. Menschliche Leiber schmolzen wie Plastik.
Er taumelte rückwärts, fort von der todbringenden Woge aus Hitze. Doch dann wurde sein Blick wie magisch von dem Riss im Himmel angezogen.
Mitten im hellsten Gleißen erkannte er eine dunkle Gestalt. Der Umriss eines Menschen. Eine Hand, die sich ihm entgegenstreckte.
Volkart reckte die Hand ebenfalls aus. Dem Blitz und Demian entgegen. Es musste Demian sein, dort oben. Aus dem Himmel kam der Tod, dort öffnete sich das Tor.
Doch das Licht, das seinen Bruder umhüllte, war so grell, dass Volkarts Augen schmerzten. Er fühlte ein Kribbeln auf der Haut und ahnte, selbst ohne hinzusehen, dass die Hitze nun auch ihn erfasste. Nur eine Flucht konnte ihn retten. Und doch wollte er seine Hoffnung nicht schon wieder fahren lassen. Demian war so nah. Er war fast da.
Plötzlich tickte wieder die Uhr, das Prickeln auf Volkarts Haut erlosch. Er spürte, dass jemand hinter ihm stand. Ein mächtiger Dämon war angekommen.
Volkart fuhr herum und blickte in Kirins kindlich lächelndes Greisengesicht. Und das Ticken stammte nicht von einer Uhr, sondern von Kirins Zungenspitze, die von innen gegen die Zähne tippte.
»Ich sagte doch, dass du dem Tod begegnen wirst. Und dass er anders sein wird, als du gedacht hast«, säuselte der Abt sanft und kühl zugleich.
»Ich will nur meinen Bruder.«
»Dein Bruder ist tot. Da gibt es nicht viel zu wollen.«
»Er ist dort oben, ich weiß es.«
»Und doch ist seine Zeit abgelaufen. So wie deine ebenfalls abläuft. Tick tack.« Kirin zog die Mundwinkel zu einem verzückten Lächeln in die Breite. »Wie lange kannst du denn deinen Zeitzauber wohl aufrechterhalten? Du schwächelst ja jetzt schon. Und wie lange, glaubst du, kann dein kleiner Freund seinen Zauber wirken, ohne zusammenzubrechen? Ihr habt ja keine Ahnung, mit welchen Kräften ihr hier herumspielt.«
»Dann nennen wir es eben Forschung«, knurrte Volkart. Die aufgesetzte, überlegene Freundlichkeit des Abtes stand zwischen ihm und der Erfüllung seiner Wünsche. Er packte das Tanto fester und war bereit zu kämpfen, wenn es sein musste.
»Das war es für die anderen auch. Für die Sieger«, wisperte der Abt. »Sie wollten wissen, wie groß ihre Macht wirklich ist.«
»Ich will keine Macht, ich will Demian.«
»Du willst dich nicht trennen. Willst an dem festhalten, was war. Du öffnest sogar das Tor zum Totenreich, um ans Ziel deiner Wünsche zu gelangen. Nun denn, Orpheus. Ikarus. Wohlan, hol deine Eurydike aus der Unterwelt. Hol sie dir! Und sieh, wie weit du kommst«, höhnte der Abt.
Volkart wandte sich wieder dem Riss zu. Plötzlich flatterten hinter ihm wieder die schwarzen Rabenschwingen, die der Abt ihm bereits einmal geschenkt hatte.
Kurz entschlossen erhob sich Volkart in die Lüfte, den Wolken und dem Gleißen entgegen. Der Himmel spie ihm sengende Hitze entgegen, doch er verspürte keine Angst mehr. Er war in all den Jahren seiner Suche noch nie so nah daran gewesen, seinen Zwillingsbruder zu finden.
Doch je näher er dem Gleißen kam, umso schmerzlicher wurde es. Er konnte Demians Gestalt nur noch durch einen Tränenschleier sehen. Oder schmolzen ihm bereits die Augenlider fort?
Auf jeden Fall verkohlte sein Gefieder. Die Götter verlachten ihn. Und gleich dem jugendlichen Träumer Ikarus stürzte er fort vom Licht. Der Erde entgegen.
(Coco)
Morgens um fünf war Wien eine andere, eine verzauberte Welt. Es war die Stunde zwischen Nacht und Tag, zwischen Traum und Wirklichkeit. Selten zuvor hatte sich Coco Zamis so im Zwiespalt gefühlt.
Einerseits fühlte sie sich frei. Befreit von dem Bann, mit dem Asmodi und ihr Vater sie belegt hatten. Sie konnte wieder durch Wien spazieren, ohne Angst haben zu müssen, von einem von Asmodis Schergen hinterrücks gekillt zu werden.
Sie atmete tief durch, während sie durch den Park spazierte. Sie hatte diesen Umweg zurück nach Hause bewusst gewählt, um nachzudenken. Die klare Luft war noch frei von Abgasen. Sie sog die Düfte der Bäume und Pflanzen auf. Bald würde hier wieder alles sprießen. Früher hatte sie hier Rasewurz oder Tollkraut, wie ihre Mutter es nannte, gesammelt. Obwohl es noch ein paar Monate hin waren, bis es so weit war, glaubte sie, bereits den Duft zu riechen.
Bei dem Gedanken verdüsterte sich ihre Stimmung.
Ein paar Monate ... Würde sie dann überhaupt noch am Leben sein? Dass sie nun zwei starke Verbündete auf ihrer Seite hatte, bedeutete noch lange nicht, dass sie gemeinsam dem Feind gewachsen waren. Wenn sie Pech hatte, bürdete sie sich sogar mehr Ärger auf als zuvor. Schließlich bedeutete der Pakt nicht allein, dass die beiden anderen ihr im Falle eines Angriffs beispringen mussten, sondern auch sie musste zu Hilfe eilen, wenn ihr Vater oder Toth in Gefahr waren.
Ein paar Monate? Pah, allerhöchstens drei Tage, wenn es ihr nicht gelang, den Gegner zuvor zu töten.
Doch wer war der Gegner? Der wirkliche Gegner. Steckte jener geheimnisvolle Dämon Osama Siris hinter der Todesdrohung? Vielleicht würde sie es nie erfahren, das konnte auch gut möglich sein. Ihr Feind würde seine Schergen vorschicken und selbst im Hintergrund bleiben.
Plötzlich schreckte ein schriller Schrei sie aus ihren Gedanken auf. Ihr Blick zuckte gen Himmel. Ein ganzer Schwarm aufgeschreckter Krähen hob sich vor dem dunklen Grau ab. Ganz im Osten war ein schmaler heller Streifen zu erkennen und verkündete den kommenden Morgen.
Es war zu früh, als dass die Krähen von sich aus unterwegs waren.
Vielleicht waren es auch gar keine Krähen, sondern ...
Raben!
Bei dem Gedanken spürte sie, dass eine Gänsehaut ihren Rücken wie mit einer Eisschicht umhüllte.
Raben hatten auch die Todesboten angekündigt.
Sie sah sich um. Die vorher so klare Luft war jetzt von diffusen Nebelfetzen erfüllt, die ein kalter Wind wie eine Kolonie von Geistern tanzen ließ.
Coco konnte höchstens drei oder vier Meter weit sehen.
Woher kam der Nebel so plötzlich her? Der Weg, den sie bisher gegangen war, verlor sich schlängelnd in einer Nebelwand. Gleichzeitig hörte sie über sich einen weiteren krächzenden Ruf, in den die anderen Vögel augenblicklich einfielen. Sie konnte den Schwarm nicht mehr sehen, der Nebel ballte sich über ihr zusammen und verbarg den Himmel.
Sie begann zu laufen. Sie spürte die drohende Gefahr mehr, als dass sie sie sah. Am liebsten hätte sie sich schützend zu Boden geworfen und den Kopf wie eine Schnecke eingezogen.
Stattdessen rannte sie weiter. Der Park war nicht sehr groß. Bald musste sie wieder auf die Straße treffen. Oder wenigstens auf ein paar Bäume, unter denen sie Schutz suchen konnte. Wenngleich sie auch dort nicht vor einem Rabenangriff sicher sein würde.
Der Weg schien endlos. Die Sohlen ihrer flachen Schuhe knirschten auf dem feinkörnigen Kies.
Der Weg war endlos! Ihr kam es vor, als sei sie in einer Möbiusschleife gefangen. Da konnte sie noch so schnell rennen, der Weg wiederholte sich nach ein paar Schritten!
Sie versuchte, vom Weg auf die Wiese zu springen, aber es gelang nicht. Ein Zauber hielt sie auf dem Kiesweg gefangen.
Das Krächzen klang näher. Anstatt dass der Nebel die Laute verschluckte, schien er sie wie ein Echo zu vervielfachen.
Sie war in eine Falle getappt, ganz offensichtlich! Sie war zu leichtsinnig gewesen, und Leichtsinn war nun mal der Anfang vom Ende. Oder der Zugang zur Hölle. Es kam ganz darauf an, was ihr Gegner mit ihr vorhatte.
Sie verlangsamte die Schritte.
Da hörte sie die vertraute Stimme: »Putt, putt, putt. Kommt her, meine Lieben, ich haben für jeden von euch ein paar Leckerlis. Ihr braucht euch nicht zu streiten, Hugin und Munin. Es ist genug für jeden von euch da ...«
Sie konnte nicht glauben, dass es wirklich der war, von dem sie es annahm, der da so vertraulich und wie ein freundlicher Hundebesitzer mit seinen Dackeln sprach.
Sie folgte der Stimme, indem sie vom Pfad abwich. Plötzlich ging es ganz einfach. Ihre Schuhe versanken in weichem Rasenboden.