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Der zweite Band dieses großangelegten Romanwerks von Ludwig Huna (1872-1945) erzählt vom großen Wirken Christi. Beginnend bei der Begegnung mit Johannes dem Täufer bis hin zur Erscheinung von Moses und Elias auf dem Berg. Huna stellt das Geschehen um den Gottessohn in den Kontext seiner Zeit und zeigt ebenso die Erschütterung und Begeisterung seiner Anhänger wie ihre Bedenken und ihr Ringen. Er nimmt die Leser mit nach Kapernaum, nach Nazareth, an den See Genezareth. Er zeigt die Wunder, die Heilungen, die Predigten, die Empörung des Heilands über die Geschäftemacher im Tempel und die Fassungslosigkeit der Kranken gegenüber den Wundern ihrer Genesung. Dieses Buch nimmt Sie mit in eine andere Welt in einer anderen Zeit hin zu einem Geschehen, das bis heute nichts an seiner Großartigkeit und seiner Aktualität verloren hat. Folgen Sie den Spuren eines Mannes, der gleichzeitig Menschensohn und Gottessohn war und der als Heiland und Erlöser zu den Notleidenden und Geschlagenen kam und ihnen half.
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Seitenzahl: 400
Veröffentlichungsjahr: 2019
Ludwig Huna
Das hohe
Leuchten
Christus-Trilogie
Band 2
Ein historischer Roman
Eich-Verlag
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1. E-Book-Auflage 2019
© Thomas Eich-Verlag, Werlenbach 2019
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Umschlaggestaltung und Satz: Thomas Eich
Printed in Germany
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ISBN 978-3-940964-63-2
Die Heilstat des Nazareners
Erstes Kapitel
Aus den Zederngemächern des Herodespalastes in Tiberias am See Genezareth wogen Rosendüfte Arabiens in die laue Mondnacht. Auf dem Prunklager zwischen den mit erzenem Gitterwerk gezierten Holzsäulen liegt, vom Schein gedämpfter Ampeln umspielt, der Leib der Herodias. Zwei syrische Sklavinnen schwenken das Rauchfass zu ihren Häuptern und scheuchen die lästig werdenden Kätzchen, die sich an die Brust der Hasmonäerin schmeicheln, immer wieder fort.
Mit verschränkten Armen schreitet zu ihren Füßen Herodes Antipas, der Tetrarch von Galiläa und Peräa, sinnend auf und ab.
Er tastet, ohne die Schönheit auf dem Lektus aus dem Auge zu verlieren, in den Wust von Nachrichten hinein, die der Tag mit seinen Geschäften gebracht.
Herodias zieht die Schleier fester um ihre Brust Ihre schwarzen, zuweilen schillernden Augen suchen die Gedankengänge ihres Mannes zu durchglühen. Vermag er es wirklich, in ihrer Gegenwart Tagessorgen zu durchhecheln? Hat ihr wildjagendes Blut schon nach drei Wochen die Bannkraft über das seine verloren? Soll sie bereuen, dass sie ihren früheren Herrn, den Stiefbruder des Antipas, den zahmblütigen, schwerflüssigen Philippus, Vierfürsten von Batanäa, Trachonitis und Gaulanitis, zornmütig für immer verlassen und den berühmteren, prunkliebenderen Tetrarchen von Galiläa an ihr liebebedürftiges Herz gezogen? War ihr darob nicht Feindschaft genug unter den Herodianern erwachsen? Schlug nicht das jüdische Gesetz nach ihrem strafbaren Tun und hatte sie nicht Mühe gehabt, die mahnenden Stimmen der Templer von Jerusalem zu beschwichtigen? Musste sie nicht Goldschätze in den Tempel tragen lassen, um Sadduzäer und Pharisäer zum Schweigen zu bringen? Und für all diese Opfer sollte sie nun den Männertausch bereuen? War des Antipas herzenswarme Werbung um sie nur eine vorübergehende Episode in seinem Liebesleben, nur ein Aufwallen seines Beduinenblutes beim Anblick ihrer Reize? Hatte er in der ersten Liebesnacht schon die Vorboten des Welkens ihrer Fraulichkeit tastend gespürt? Die Lohe der Eifersucht überflammt die spürende Seele der Hasmonäerin. Sie jagt mit gestreckten Armen die beiden Sklavinnen hinaus.
Herodes fährt aus seinem Sinnen auf. „Die Wachen schlagen Mitternacht an. Zur Ruhe!“
Herodias streckt sich noch einmal in den Gliedern, und die brennenden Augen senken sich auf den Grund seiner Seele. Mit einem Fingergriff lässt sie die schwarzen Haare wie einen Wasserfall über die weißen Schultern stürzen, löst die Goldspange über dem kostbaren Brustschleier, so dass ihre Haut unter dem mondblassen Schein der Ampeln zu schimmern beginnt. Über die leise zuckenden Lippen springt der Klang der Eifersucht.
„Du denkst an Kora.“
Der Name rauscht wie glühender Wein durch sein Geblüt. „Ja – einen Augenblick lang dachte ich an sie. Kora war ein Weib, das man nicht über Nacht vergessen kann. Auch wenn man sie über Nacht entfernt hat.“
Herodias’ Augen sprühen Funken. „Ich kann ihr Gespenst nicht zwischen dir und mir herumgeistern Jassen. Ich bin nur halb dein Weib, wenn diese arabische Gauklerin noch länger ihre Liebesfäden in dein Gemüt spinnt. Zerreiße diese Faden!“ Ihr Atem faucht. Sie gleitet mit den Füßen in die roten Seidenschuhe, setzt sich an den Rand des niedrigen Bettes und schiebt die Kissen übers Knie. „Hast du Nachricht aus Machärus erhalten?“, spannt sich die Eifersucht wieder nach ihm.
„Die Burg ist von kappadozischen Wachen besetzt, sie haben strengen Auftrag, sie, die von mir geflohen, nicht mehr ins Land zu lassen.“
Herodias’ Lachen schrillt auf. „Sie floh von dir, ich zu dir! Wie war das nur? In jener Nacht, da sie auf und davon ging?“
„Es war knapp vor Mitternacht, als mir der gallische Hauptmann der Leibwache meldete, dass Kora mit fünf Reitern aus dem Libanontor des Palastes ausgebrochen sei. Es war jene Nacht, da wir beide an dem Wasserrosenteich die schwarzen Bälle warfen.“
Herodias erglüht im Nacherleben des einstigen Schauers. „Und da du mich in deine Arme rissest – wie ein Skythe – mich küsstest –.“
„Und diese Küsse hat Koras Lieblingssklavin erlauscht und ihr gemeldet. Sie hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich nach Machärus zu retten, denn sie fürchtete –.“ Antipas stockt.
„Was – fürchtete sie?“, stammelt Herodias mit lauerndem Auge.
„Dass ihr das Schicksal der Mariamne, des großen Herodes Lieblingsfrau, beschieden sein könnte, wenn sie noch länger säumte.“
„Das heißt – der Tod.“ Das Wort fällt wie ein schweres Gewicht.
Antipas zerbricht die Wortschwere mit den Gewalttritten seines Auf und Ab. „Mir zürnt Aretas, des Ostjordanlandes Herr –.“
„Koras Vater? Lache seines Zorns. Er wird es nie verschmerzen, dass seine Tochter vor deinem drohenden Dolch in die Väterburg flüchten musste, und immer werden seine braunen Wüstenreiter vor Machärus ihre schlanken Pferde tummeln und ihre Lanzen in der Sonne blinken lassen. Aber ein starker Fürst belächelt die Drohung. Ein einziger Ausfall deiner kappadozischen Reiter aus Machärus wirft die arabischen Horden in den Sand.“ Die Fürstin schreitet, sich in den Hüften wiegend, dicht an ihn heran. „Aretas fürchte ich nicht. Nur seiner Tochter Reiz wirft mir Angst ins Blut. Auch aus der Feme könnte er durch die Macht der Erinnerung seine Zauber auf dich üben, er könnte dich mir rauben, dich, den kaum Gewonnenen. Drum versprich mir, Antipas –.“ Ihr Körper schmeichelt sich an den seinen heran und ihre Blicke durchglühen ihn.
„Was soll ich dir versprechen?“, fragt er zaghaft.
„Dass du nur mich lieben wirst, bis zum letzten Atemzug nur mich und was mit mir versippt ist.“
„Ich liebe nur dich!“, stammelt er heiß. „Nur dich!“, wiederholt er dann leiser und zärtlich.
Herodias stürmt in das Gelöbnis des Augenblicks hinein: „Bekräftige das Versprechen dieser Stunde, indem du mir schwörst, jeden erfüllbaren Wunsch von mir zu erfüllen.“ Wieder lauert ihn ihr Blick an.
Er küsst sie beruhigend auf die Lippen. „Das Siegel des Versprechens.“
Da reißt sie sich unmutig los. „Ich kenne dein unstetes Blut – o weich mir nicht aus –, die Skythin, mit der du scherztest, während ich im Bade saß, wird nicht das einzige Weib gewesen sein, an dessen Altar du der Liebe opfertest. Aber wehe, wenn diese Verirrungen am Hofe laut werden.“
„Du bist gnadenvoll, Herodias“, lächelt er sein Weib dankbar an. Er greift nach dem Becher aus korinthischem Erz, der auf dem Zederntischchen steht, und drängt den Rand an die Lippen der Hasmonäerin. Sie schlürft das goldne Nass, lässt jeden Tropfen kostend auf der Zunge zergehen, greift nach den mit Goldschaum überzogenen Datteln, steckt eine davon in den Mund, saugt daran, zieht schmeichelnd ihren Herzensfürsten zum Lager hin und lässt ihre weißen Glieder lässig aufgelöst In die weichen Polster fallen. „Liebster – Livia beherrschte Augustus – und so – beherrsche – ich – dich –.“
Schwüler Duft von Damaszener Rosen umwirbelt die Sinne des Tetrarchen.
Hinter den geschlossenen schweren Vorhängen, die zwischen den Säulen niederhängen, steht ein blühjunges Mädchen mit geschlossenen Lidern und lauscht. Salome, der Hasmonäerin wildschöne Tochter, die ihren Vater Herodes Philippus verlassen, um mit der schönen Mutter die Freuden am neuen Hof kennenzulernen. Ihr Arm stützt sich auf das Haupt eines neben ihr knienden galatischen Sklavenmädchens, ihre Mundwinkel zucken, ihre Knie zittern, ihr Haar glänzt wie Rabenflügel in der Sonne. „Reich mir kyprischen Wein!“, lispelt sie dem Mädchen zu.
Zweites Kapitel
Am andern Morgen blickt Herodes Antipas in die traurig verschleierten Augen der Stieftochter, die ihren Leib aus den Daunen rekelt. Diesen Leib nennt der Tetrarch in spielender Schmeichelei schön wie die Lilie im mondbeleuchteten Feld.
Salome trinkt vor seinen Augen die süße Milch und knabbert an dem knusprigen Graupenbrot, das ihr die syrische Sklavin auf dem silbernen Teller hinhält.
Er setzt sich an ihr Bett. „Salomes Augen ohne Feuer sind ein Unding. Hast du schlimme Träume gehabt?“
Mit einer gleichsam gefangenen Stimme spricht Salome über das Haupt ihres Stiefvaters hinweg: „Ich küsste im Traum ein kleines Baalbild, wie es die Kappadozier am Berge Argäus schnitzen. Unter meinem Kuss wuchs das Holzhaupt menschlich groß empor, und des Gottes Lippen saugten sich an den meinen fest. Was soll der Traum bedeuten?“ Die umflorten Augen lächeln träg.
„Er bedeutet, dass Salome nach Küssen schmachtet und durch ihren Liebreiz selbst Götter an ihre Lippen bannt. Man wird ihr das Küssen auf die Dauer nicht verwehren können, denn es könnte sonst sein, dass man ungewollt einen Gott beleidigt, der sich ihr in menschlicher Gestalt nähert. Nun lächeln deine Augen wieder – ah, deine Mutter!“
Herodias wirft sich an die Brust des Tetrarchen und küsst Salome auf die Stirn. Sie befiehlt der Sklavin, das heiße Bad zu richten.
Vor dem Gemach warten ungeduldig der Palastprokurator und drei Hauptleute der Leibwache auf den Augenblick, da sich die Türflügel öffnen werden und der Vierfürst die Berichte verlangen wird. Aber ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, denn Antipas hat die Schmeicheleien des Morgengrußes an die Frauen noch lange nicht erschöpft. Der Tag und sein Geschäft können warten.
In einer Nebenhalle, wo sich das Kaldarium befindet, dampft das Wasser zwischen den Marmorsäulen, von deren Kapitälen aus silbernen Ringen schwere scharlachrote Vorhänge bis zum schwarzgrünen Mosaikboden niederhängen. Aus goldenen Pfannen ringelt sich der weiße Dampf des arabischen Rauchwerks zu den von der Decke hängenden Vogelkäfigen empor, in denen sich indische Papageien wiegen.
Salome, von der Mutter geführt, steigt in das Marmorbecken, während Antipas vor dem Vorhang auf dem Schemel hockt und auf das Plätschern des Wassers lauscht. In Rom, sinnt er, gibt es Leute, die alle Schönheit belächeln. Sie nennen sich Stoiker. Vielleicht gibt es hier auch solche Spötter, dann will ich sie vor die Schönheit Salomes führen.
Da werden die Stimmen draußen deutlicher und drängender. Er öffnet die Tür und tritt unter die Versammelten.
„Wer bist du?“, redet er einen der Hauptleute an. „Ich seh dich zum ersten Mal.“
Der Mann im Panzerhemd streckt sich. „Apathon aus Alexandria, Hauptmann in römischem Dienst.“
„Was suchst du hier?“
„Ich habe Grüße vom Kaiser Tiberius zu bringen. Er schickt dir Dekrete für die rasche Bewältigung von Aufständen der Juden in deiner Tetrarchie.“
Antipas nimmt die Papyrusrollen in Empfang. „Ich danke dem Kaiser für seine stete Sorge. Man bereite zwei Säcke mit palästinischem Balsam für den Kaiser vor. Du bist stolz, unter Rom dienen zu können?“
Der Hauptmann nickt. „Wer wäre es nicht?“
Sklavengelichter, denkt der Tetrarch. Uns Fürsten darf man’s nicht verübeln, dienen wir Rom; denn wir ziehen Vorteil daraus, Schiddach nennen wir’s. Der fremde freie Mann sollte es als eine Schmach empfinden, sich an einen fremden Kaiser zu verkaufen. Er tritt zu seinem Prokurator Lemurius. „Was gibt es in der Halle?“
Der Palastbefehlshaber meldet: „Fünf jüdische Schriftgelehrte aus der Partei der Pharisäer wollen dich sprechen.“
„Des Tages ganze Last? In die Sprechhalle mit ihnen! Sonst?“
„Die Juden von Tiberias verlangen nach einer Synagoge, sie verdrängen allmählich die Heiden.“
„Ein zudringliches Volk! Ich habe, als ich in Tiberias Paläste bauen ließ, an eine Siedlung von Griechen und Römern gedacht. Nun pfuschen mir die Judäer in meine Idee. Du sollst keinen Bittsteller vorlassen, der Synagogenschmerzen auf dem Herzen hat. Sind die fünf auch –?“
„Nein – da soll es sich um einen Aufwiegler handeln, der die Rechte des Tempels angreift. Die Pharisäer kommen vom Jordan.“
„Eine trübe Wassergegend. Ihr Gewäsch wird darnach stinken. Sie mögen kommen.“
In der Halle warten fünf dunkle Gestalten inmitten der Marmorsäulen auf den Vierfürsten. Ihr Sprecher, ein weißbärtiger Jude im blaugesäumten Talith, dem Kleidungsstück der Pharisäer oder Chaberim, murmelt halblaut die Wort vor sich hin, die er dem Tetrarchen sagen will. Seine jüngeren Gefährten, blasse Grüblergestalten, stehen schweigend hinter ihm.
Da naht der Vierfürst. Er misst die Juden von oben bis unten. „Euer Begehr?“, fragt er kurz.
Der Rabbi legt mit zitternder Stimme los: „Der Landpfleger Pilatus hat im Auftrag Roms unserem Hohepriester das Festgewand wegnehmen lassen, und er darf es fürderhin nur an Festtagen tragen. Der Hohepriester führt durch uns Beschwerde gegen das Unerhörte. Er selbst ist krank und konnte die Reise hierher nicht machen.“
„Rom wird wissen, was es euch antut. Man will euch knapper halten und euern Kleiderprunk einschränken. Ihr werdet alle zu üppig. Man wird euch auch bald den Tempelzehent nehmen oder wird ihn kürzen, denn das Volk beginnt schon dagegen zu murren.“
„Den Tempelzehent würde das Volk ertragen, wenn du, hoher Tetrarch, ihm nicht auch das Bodengeld aufgelegt hättest. Und dazu kommt noch die römische Kaisersteuer.“ Der Rabbi hat seine sauerste Miene aufgesetzt.
„Der Tempel erhalte sich durch das Geld der reichen Juden. Rom und ich müssen von der Steuer leben.“
„Du denkst hart wie ein Sadduzäer“, sagt der Rabbi traurig.
„Hast du keine andern Klagen, Templer?“, fragt Antipas unwillig.
Der greise Sprecher krault sich den Bart. „Hoher Tetrarch, hilf dem jüdischen Volk aus einer seelischen Gefahr.“
„Gefahr? Von Rom?“
„Wie könnten wir wagen –?“, zittert der Greis. „Nein, von seinem eigenen Volke wächst Gift hervor.“
„Dann vertilgt es auch selbst“, wehrt der Fürst die Belästigung ab.
„Das ist leichter geraten als getan. Wir haben kein gesetzliches Mittel in der Hand. Es steht einer gegen uns auf und lässt die Sünder im Innersten erbeben.“
„Von wem faselst du?“
„Johannes nennt er sich, des Priesters Zacharias Sohn.“
Antipas runzelt die Stirn. „Davon hörte ich schon. Ist’s nicht ein Wüstenrufer, ein schmutziger Kauz, dem die Haut von den Knochen welkt? Einen Kamelrock um die Lenden?“
„Er ist es. Wandert streckenweise das Jordanufer auf und ab, das Volk schart sich um ihn, tritt ihm die Fersen ab und schlägt sich zerknirscht an die Brust. Halb Judäa und Galiläa, Peräa und Galaaditis schleppt sich nach den Sumpfufern des Jordans, nächtigt in Zelten, lagert bei Brot und Wasserschlauch, und wenn Johannes, den sie den Täufer nennen, naht, drängt sich alles ihm entgegen, küsst seine Füße und schreit im Überschwang seelischer Bedrängnis: ,Erbarmen!‘“
„Nun? Und? Was geht das den Tempel an?“
„Johannes, der Wüstenrufer, leugnet die Macht des Tempels und die des Gesetzes, er leugnet die Weihe der Opferung, wirft Moses von der Prophetensäule herab und weissagt einen neuen Menschen, der im Auftrag Gottes kommen soll, das Alte zu stürzen und das Neue aufzurichten.“
Der Prokurator unterbricht den geschwätzigen Chaber. „Sag’s nur gerade heraus, Templer, er kündigt den Messias an.“
Der Weißbart erzittert. „Ja, so ungefähr lautet seine Lästerrede. Er besprengt die Sünder mit der Wasserwelle des Jordans, sie tauchen unter seinen segnenden Händen unter und kommen als Getaufte aus dem Wasser hervor. Er steckt in einem Kamelhaarrock, seine Lenden umschließt der Bußgürtel, sein Haar wallt auf das fleischlose Gesicht herab, und seine Nahrung sind Heuschrecken und Honig der Wildbienen. Arm und Reich ruft er zur Buße auf; aber nicht zur Geldbuße, wie sie der Tempel fordert, sondern zur inneren Umkehr und Läuterung. So greift er in des Tempels Amt, stürzt das Gewohnte, die Überlieferung in den Staub.“ Schweratmend hält der Eiferer inne.
„Also darum geht es euch, ihr alten satten Geiferer? Da steht einer am Jordan auf und tut umsonst, wofür ihr Geld begehrt. Der Tempelkasten klingt wohl schon hohl, die Reuigen bleiben aus und tappen sich zerknirscht nach dem Schilfufer hin, wo eine holdere Stimme erklingt als euer heiseres Rabengeschrei: Geld, Geld, Geld! Kehrt zurück in eure Tempelhalle oder sucht anderswo Rat, wenn ihr euch nicht selbst zu raten wisst.“
Die schweren Vorhänge des Gemachs heben sich zur Seite, Herodias und Salome treten ein, gefolgt von fünf dienenden Frauen, die die buntgewirkten Umhängetücher tragen, mit denen sich Fürstin und Tochter abwechselnd bedecken. Alle lassen sich auf Zedernschemel nieder. Hinter den Sitzenden marschiert eine Schar von zwölfjährigen Sklaven auf, die die Knabentoga mit dem Purpurstreifen tragen. Sie fächeln mit breiten Palmenwedeln, die in duftende Essenzen getaucht sind, den Frauen Kühlung zu. Antipas liebt es, bei den Hofempfängen die Frauen als schmückenden Hintergrund zu sehen. Herodias’ Blicke gleiten kalt über die verdorrten Gestalten der Templer, die jetzt, niedergeschmettert von den abweisenden Worten des Tetrarchen, ihre Erbärmlichkeit hinter verlegenen Mienen zu bergen suchen.
Endlich rafft sich der greise Rabbi auf. „Es ist nicht das allein, was Johannes am Jordan an Gift in die Herzen des Volkes streut. Hoher Herr, er macht auch dich und deine Sippe verächtlich.“
Die Augen Antipas’ runden sich beängstigend. „Was speist du da von dir, Weißkopf?“
„Mit der Klagewucht eines exilischen Propheten wirft er seinen Geifer auf deine Ehe, schmäht Herodias, dein Weib, da sie Philippus, ihren ersten Gatten, verlassen und sich dir an die Brust geworfen. Verlottert und geschändet nennt er dein Ehebett und gießt Ströme von Schmach auf euer beider Haupt. Er vergleicht dein Weib mit der Hure Babylon und weissagt das Schicksal Ninives für die Mauem von Tiberias. Das alles wagt er unter dem unaufgerufenen Schutz der Seinen, die er seine Jünger nennt; zu Tausenden drängen sie sich an den Ufern um ihn. Sie frohlocken, dass er das alte Vermächtnis Mose missachtet, den jüdischen Gottesdienst für ungenügend erklärt und der Propheten Reihe mit seiner eigenen Person den Schlussstein setzen will. Wenn man ihm nicht bald sein Lästermaul stopft, werden seine Hörner zum Angriff auf unsern wahrhaftigen und einzigen Gott blasen.“
Hochaufgerichtet steht Herodias wie eine Statue vor dem dunkelgrünen Vorhang. Ihr Atem dampft. „Schmäht mich - mich? Das Weib des Herodes? Hörst du es, Fürst von Galiläa? Es gibt einen Menschen, der deines Weibes Ehre in den Kot zerrt. Der Mensch brüllt von den Wasserufern hinüber ins judäische und galiläische Land: Schmach dem Weib des Herodes! Und du stehst und zauderst? Worauf wartest du?“
„Bis sich dieses Schwätzers Mahnruf von selbst erschöpft“, antwortet Antipas mit lächelnder Kaltblütigkeit. „Glaubst du wirklich, Weib, dass dieser Narr mit seiner vertrockneten Haut und den gegürteten Lenden mich so weit erniedrigen könnte, dass ich mich gegen seine Zungenschläge wehren sollte? Eine Fliege sticht nach einem Elefanten, das ist alles. Und das Geschwätz dieses neunmal weisen Chabers wird mich nicht verführen, unfürstlich zu handeln. Was geht mich Johannes an? Der Juden religiöser Eiferer sind Legion, es ist unter meiner Würde, wollte ich mich in ihren Bußhader mengen. Und wenn der Goldstrom des Tempels durch die brüllende Mahnkraft des Täufers versiegt, ei, der Sadduzäer und Pharisäer Klügelei wird sich neue Quellen öffnen, des kannst du sicher sein. Die Sonne hebt sich aus der Trübe, genug des erbärmlichen Schwalls. Wenn ihr Hilfe fordert, sucht sie bei Pontius Pilatus, dem römischen Landpfleger von Judäa“, ein spöttisches Lächeln legt sich um seine Mundwinkel, „er wird euch die Laus aus dem Pelz ziehen oder eurer so lachen wie ich.“ Seine Hand streckt sich abschiedfordernd nach der Tür.
Die Pharisäergreise verstehen, verneigen sich und gehen. Der verdrossene Rabbi wirft noch schnell einen flüchtigen Blick nach der zornschönen Herodias, die ihn lauernd erwidert. Er spürt, dass sie die vermeintlichen Rechte des Tempels verteidigen wird, indem sie ihre Ehre verteidigt.
Herodes entfernt mit einem Augenwink Prokurator und Hauptleute.
„Leichtherziger Mann!“, zischt Herodias ihren Gemahl an. „So gering schätzt du die Ehre der Deinen ein? Ein dahergelaufener Wicht schleudert Kot nach dir und du lächelst? Nun werden sie zu Pilatus laufen, und er wird den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, den jüdischen Händlern ein Schützer und Befreier zu heißen. So arbeitest du deinem Feind in die Hände.“
„Pilatus ist mir menschlich zu geringwertig, um ihn als Feind gelten zu lassen. Er ist Römer und daher übermütig. Er hält die Juden bei der Gurgel, ohne die Hand fest zuzudrücken. Er lässt ihnen gerade noch eine Spalte, damit sie atmen können. Mein Feind? Nein. Er wirft mir nur vor, dass ich zu wenig römisch denke, verlangt von mir, ich möge die syrische Leibwache auf ein Drittel herabsetzen, meint, meine verschwenderische Lebensweise verbittere das Volk und mache es zu Aufruhr geneigt. Wenn ich einmal nach Jerusalem komme, will ich mich gründlich mit ihm aussprechen, und sei getrost, ich werde mir den Feind zum Freund wandeln.“
Herodias ist entsetzt. So lässt er seine Feinde über sich triumphieren! Vielleicht wird sogar Johannes der Täufer über ihn Gewalt gewinnen.
„Du willst also diesen Täufer ungeschoren lassen?“
Er lächelt überlegen. „Wer weiß, wie viele schöne, vergnügte Stunden mir der Mann noch bereiten wird! Es ist schon anmutig genug, von einem ungewaschenen Heuschreckenfresser eins aufs Maul zu bekommen. Ich werde meine Hauptleute und ein paar Oberpharisäer dazu einladen. Ihr Ärger wird mich lachen machen. Und was sagt Salome dazu, meine bleiche Rose von Saron?“
Das schlanke Kind schnellt vom Schemel empor, streckt sich in den Hüften, gleicht einer vom Sonnenhauch plötzlich erweckten Lilie. Eng schmiegt sich das Gewand um die biegsamen Glieder, presst sie zusammen, hegt die Weichheit des Leibes ins Licht. Ihr scharf geschnittenes Gesicht ist von leichter Glut überhaucht, ihr Auge schillert wie das der Mutter. „Was gilt mein Wille?“
„Doch sollst du wollen“, ermuntert sie der Fürst.
„So will ich denn –.“ Sie stockt mit gekünstelter Verlegenheit.
„Du willst –?“, peitscht sie die Mutter mit schürfenden Augen an.
„Ich will den Mann, den sie Johannes den Täufer nennen, schauen.“
Herodias lächelt befreit. „Sie ist wahrhaftig mein Kind. Man sieht sich das Ding, das man kaufen will, zuerst an.“
„Und auch den Mann, den man – vernichten will“, fügt Salome mit plötzlich erkaltetem Schlangenblick hinzu. „Er hat meine Mutter geschmäht, beleidigt, verhöhnt.“ Und innerlich sinnt sie weiter: Ist der Mann schön, den ich schauen und vernichten will? Ist er wirklich ein Gottesmann? Hat er etwas von der Göttin Isis gehört und ihrem Kult? Liebäugelt er nur mit seinen Bußgängern, oder ist er in Wahrheit ein frommer Asket? Seine strafenden Gedanken sollen über meinen Rücken rieseln.
Auch Herodes Antipas ist nachdenklich geworden. „Ihr Frauen seid sonderbar, ihr müsst eure Opfer schauen, bevor ihr sie richtet. Eure Gerechtigkeit geht durchs Auge und wird so wankend. Aber ich grolle euch nicht, denn eure Haltlosigkeit hat eine gewisse Liebenswürdigkeit. Und nun zu Vater Philodemus, unserm grübelnden Philosophen; er soll uns eine kühlende Salbe auf unsere wunden Gemüter schmieren.“
Geräusche vor dem Palast lassen alle aufhorchen. „Wer brüllt uns die Ohren voll?“
„Sie haben einen Juden gefangen genommen“, stürzt ein Palastwächter herein, „der ,Fluch über Herodes!‘ durch die Gassen von Tiberias schrie.“
„Was speit der Mensch gegen mich aus?“ Herodes verzieht verächtlich die Mundwinkel.
„Du hättest, schreit er, weil er die Bodensteuer nicht gezahlt, seine Frau und Tochter auf offenem Markt verkaufen und ihm auch das Getreide wegnehmen lassen. Sein Geifer rollt von seiner Zunge wie Hagel.“
„Man bringe ihn auf das Richthaus und lasse ihn durchpeitschen, bis er stille ist. Dann setze man ihn in der Wüste aus und lasse ihn die Sandkörner von Galaaditis zählen.“ Eine lässige Handbewegung schickt den Wächter hinaus.
Herodias wirft die knisternde Seide Salome über die Schulter. „Es ist ein böses Volk. Als sie noch Richter hatten, ging es ihnen gut, doch ihr Hochmut verlangte nach einem König. Gott gab ihnen Könige, aber sie waren wieder nicht zufrieden. Nun haben sie einen Tetrarchen und verweigern ihm den Tribut. Gott wird sie durch ihren eigenen Messias schlagen, wenn er kommt.“
Antipas küsst ihr den Zorn von der Stirn. „Dazu braucht das Volk keinen Messias. Sie werden durch die Zuchtrute eines Römers zu Paaren getrieben werden. Philodemus wartet.“
Drittes Kapitel
Von den judäischen Kahlhöhen, über denen die Sonne einsam aufs Gestein brennt, schier unbeweglich, als hätte sie ein neuer Gideon zum Stillstand gebracht, steigen scharenweise müdgewanderte Gestalten, Männer und Frauen, alt und jung zu dem schilfbestandenen Ufer des Jordan hinab, der seine Schlammfluten zwischen Ödland und Wüstensand dahinwälzt. Über Stock und Stein oder auf Karawanenwegen pilgern Judäer mit lebensmüden Herzen ostwärts, hinter sich das Grautier am Zügel nachschleppend, das Decken, Zelt und Mundvorrat trägt. Ihre Augen sind sehnsüchtig gespannt gegen Sonnenaufgang gerichtet, wo sie ihn sehen werden, über den die seltsamsten Gerüchte im Lande umgehen. Seit Wochen pilgern die Ärmsten der Armen in dieser Richtung und quälen sich mit der Frage ab: Wird er uns befreien? Von dem unseligen Druck Roms und des Herodes? Wird er das unruhig schlagende Herz, das über den eigenen Sünden zusammenzubrechen droht, erquicken oder zu Scheolsqualen verdammen? Je näher die Pilger der Niederung kommen, desto größer wird die Erregung. Noch sehen sie den Fluss nicht; aber schon zeigen sich die zarten Morgensonnendünste dort drüben hinter den Höhen, die den Lauf des Wassers anzeigen.
Eine kleine Judenschar steigt eben aus der Tiefe herauf, den Pilgern entgegen.
„Da kommen welche vom Jordan zurück“, sagt ein junger Mann aus Bethlehem. „Wir wollen sie ausfragen.“
Die Wanderer rasten auf sonnenheißem Felsboden und lassen die vom Jordan kommende Schar herankommen.
„Es sind arme Leute, scheint’s“, sagt eine müde Frau mit Triefaugen.
„Sie haben weder Esel noch Traghabe.“
Zehn reife ernste Männer arbeiten sich den Felsensteig herauf. „Ihr wollt an den Jordan?“, fragt einer von ihnen die Rastenden. „Zu dem Mann mit der rauen Haut über dem Leib?“
Ein Jüngling von stattlichem Körperbau tritt den Ankömmlingen entgegen. „Freilich wollen wir das. Kommt ihr von Johannes?“
Ein altersmüder Judäer nickt. „Wir haben ihn – gesehen – gesprochen –.“ Und seine Augen starren ins sonnenheiße Gestein.
„Und?“, fragt der bethlehemitische Jüngling. Die Blicke der Seinen spannen sich neugiertrunken nach den welken Lippen des Alten. Alles drängt heran.
„Es ist nichts“, sagt der Greis, trostlos vor sich hinstarrend. „Wir haben zu viele Sünden, so viele, dass sie der Jordan nicht wegwaschen kann.“
Die andern senken die Köpfe. „Zu viele Sünden?“, flüstern die aus Jerusalem dem Greis nach. Und sie verhüllen die Häupter. Der Schlauchhändler Amos, der die Pilgerschar in Jerusalem gesammelt hat – an die fünfzig hat er zusammengebracht –, stößt mit dem Stock auf den Stein.
„So sind wir umsonst den weiten Weg gewandert?“
„Uns hat er verdammt, der Täufer. Vielleicht seid ihr sündenfreier.“
Erstickter Jammer wird laut, Tränen rinnen, Wehklagen ringt sich aus dieser und jener Brust.
„Der Täufer ist übrigens nicht mehr am Jordan“, sagt der Greis. „Der Fluss ist angeschwollen und versumpft die Ufer. Johannes hat sich an das Bergwasser von Bethanien zurückgezogen, jenseits des Jordans, auf das Gebiet von Aulonitis. Die Gegend ist voll Menschen, die Wüste lärmt laut auf, wenn Johannes nicht spricht.“
„Gehen wir, gehen wir“, drängt Amos, der Schlauchhändler. Und er muntert die verzagten Gefährten mit dem Stock auf.
„So geht man ungestärkt zurück?“, weint eine junge Frau in die Hände ihres Mannes hinein, eines Sandalenmachers, der am Bethesdateich in Jerusalem seine Werkstatt hat. „Wozu wandern wir so weit, versäumen das Geschäft, wenn er uns doch nur verdammt? Meine Füße sind wundgelaufen.“
„Das Wasser, vom Täufer gesegnet, wird sie heilen“, beruhigt der Sandalenmacher das jammernde Weib.
Ein Eselstreiber gesellt sich im Weiterwandern zu ihnen. „Ich habe mir sagen lassen, man muss völlig Buße tun, um des Johannes Wassersegnung zu erhalten. Ohne Buße hilft kein Wasser.“
„Was Buße, Buße, Buße!?“, schreit der Sandalenmacher auf, „befreit wollen wir werden vom Joche Roms, vom Joch des unmenschlichen Herodes Antipas.“
„Ich will von dem Teufel in meiner Brust befreit werden“, bekennt ein ganz frommer Gewandmacher in langem Mantel. Und aus seinen Augen perlen die Tränen über die ausgetrockneten Wangen.
„Dann hast du freilich Aussicht, innerlich geheilt zu werden“, tröstet ihn der Eselstreiber. „Wir alle wollen mehr eine äußere Befreiung. Ich habe mir sagen lassen, des Johannes Jünger taufen auch schon in seinem Namen, und es sollen Männer nach Jerusalem zurückgekommen sein, die glückstrahlend ihre seelische Heilung erzählen. Vor ein paar Tagen ist ein gewisser Andreas Jona aus Kapernaum nach Jerusalem gekommen. Er war drei Wochen bei Johannes und schreit nun durch die Gassen sein Glück aus, das er in der Taufe gefunden, hetzt die Menschen auf, dass sie nach dem Jordan laufen sollen und bringt alles durcheinander. Die Pharisäer werfen schon üble Augen nach ihm.“
„Sie spüren eine arge Hand in ihm und noch einen ärgern Geist“, meint der Sandalenmacher, „und des Johannes Sündenvergebung geht an ihnen vorbei.“
„Das mit der Sündenvergebung begreife ich nicht“, sagt ein baumlanger Judäer. „Johannes kann doch nicht im Namen Gottes Sünden vergeben.“
„Er kann’s“, widerspricht Amos, „er ist doch ein Prophet und daher gottbegnadet.“
„Das müsste er doch erst beweisen“, zweifelt eine gramgebückte Witwe. „Ist er ein neuer Gideon? Sammelt er Auserwählte des Herrn?“
„Die Hauptsache bleibt, dass er uns von dem römischen Joch erlöst“, wirft ein Getreidehändler ein.
„Von uns selbst erlöst“, widerspricht der fromme Gewandmacher.
„Es ist das so, dass man vor Johannes seine Sünden bekennen muss, bevor man ins Wasser steigt.“
„Und darf man sie nach der Taufe nicht mehr begehen?“, erkundigt sich ein vorsichtiger Mann, der dem Tempel nahesteht.
Er wird mit Blicken gesteinigt. „Du Lump“, fährt der Gewandmacher über ihn her. „Das möchte dir passen, Sündenkrämer.“
„Wir legen doch am Versöhnungstag auch unser Sündenbekenntnis ab, aber es kümmert sich kein Mensch darum, ob wir nachher wieder sündigen.“
„Johannes kümmert sich eben darum, und er ist mehr denn ein Tempelpriester“, meint eines Tischlers Frau. „Mit deiner Geheimsünderei wird er schon noch fertig werden.“
„Seit vierhundert Jahren haben wir keinen Propheten gesehen. Aber ich fürchte, er wird uns nur Dinge prophezeien, die erst in hundert Jahren eintreffen sollen, und dann können wir ihn, wenn sie nicht eintreffen, nicht einmal steinigen.“ Der tempelnahe Mann macht ein verzwickt pfiffiges Gesicht.
Unter solchen Für- und Widerreden schleppt sich die Pilgerschar über den glühenden Steinweg hinab nach dem Jordan. Endlich erschauen sie den Fluss, der sich mit breitem Gewoge, die Ufer überschwemmend, daherwälzt.
„Es wird schwerhalten, hinüberzukommen, doch sollen Schifferkähne beim Karawanenweg, der von Gilgal nach Hesbon führt, die Überfahrt vermitteln. Hoffentlich haben wir Glück.“ Amos treibt die Wandermüden wieder an und sie steigen nun mit hoffenden Herzen in die von Sonnenglut erfüllte Niederung hinab.
Viertes Kapitel
Ein Heer von Menschen lagert im heißen Steingrund auf Decken, unter Zelten und auf zusammengerafftem Schilf. Aller Augen strahlen im brennenden Verlangen nach der Gestalt, die unter einer Kermeseiche steht, umringt von hin und her wogenden Leibern, deren Arme hilfesuchend, braunen Flammen gleich, in die Luft flackern. Unartikulierte Schreie gellen manchmal aus zusammengeballten Körpern, jagen über die Menge hin, die, in weitem Umkreis in Gruppen über dem Wüstengestein verstreut, nach einem Wort des Mannes lechzt, der wie erstarrt im Schatten des Baumes steht und seine glühenden Blicke in die Himmelsleere richtet.
Seinen hageren, ausgemergelten Leib bedeckt von den Schultern bis zu den Knien ein Kamelfell, aus dem der dünne Hals geierartig herauszuwachsen scheint, gekrönt von dem länglich gestreckten fleischarmen Kopf, aus dessen hohlen Wangen die Knochen hervorbuckeln. Das dünne schwarze Haar legt sich in Strähnen über die Asketenstirn, während es am Hinterkopf sich igelstachlig sträubt. Die dunklen Feueraugen glühen wie die Leuchten eines Wüstenluchses, und keiner der Sündenbeschwerten, die hier zusammengeströmt sind, vermag ihre Blicke lange zu ertragen, denn sie stechen unerbittlich ins hinterhältige Gewissen. Die Arme des Täufers, dürren Holzknüppeln gleich, sind mit den Händen am Ledergurt verkrampft, der sich eng um die Lenden spannt.
Zu seinen Füßen liegt, den Kopf nach ihm erhoben, der schlanke galiläische Fischer Andreas Jona, neben ihm ein paar andere Jünger des Täufers, darunter auch des Andreas Bruder Simon von Bethsaida am See Genezareth. Sie haben eine Art lebendiger Ringmauer um den Bußprediger gebildet, an der sich die Wucht der heranprallenden Sünder brechen soll. Denn heute ist der Andrang der Heilsuchenden besonders stark. Auch junge, geputzte Frauen und Mädchen sind unter den lagernden zu sehen, die meist aus Neugier gekommen sind, den sonderbaren Mann zu schauen, dessen Bußrufe schauerlich klingend bis nach Jerusalem in die Stuben der Weiber hallen.
Auch römische Kriegsknechte und Zöllner, viele Handwerker und Händler, Viehtreiber und allerlei Müßiggänger haben sich zusammengefunden und zu Gruppen geordnet.
Neben der Eiche, die einsam aus dem Steinboden ragt, murmelt etwas tiefer ein Wässerlein, das Johannes für seine seelenreinigende Handlung mit priesterlicher Gebärde geweiht hat. Niemand darf sich darin waschen, bevor er nicht Buße getan und seine Sünden zum Himmel geschrien. Das Wasser hat in der Nähe der Eiche einen Tümpel gebildet, der als Bad dient. Dort liegen ebenfalls hütende Jünger des Johannes, die den Taufakt überwachen. Unter ihnen hebt sich der stattliche Philippus heraus, ebenfalls ein Fischer aus Bethsaida, wo Simon und Andreas Jona zu Hause sind. Philippus hat Weib und Kind zurückgelassen, um das Wunder am Jordan zu erleben. Er ist lebhaften Gemüts, dabei ein Mann von nüchternen Erwägungen, gesprächig und leicht erregbar. Die Galiläer, schlichte, herzenshungrige Menschen mit halb heidnischem Gemüt, sind zahlreicher vertreten denn Samariter und Judäer, die rauer und erdverbundener sind und deren klügelnder, sondierender Verstand mit den aufrüttelnden Feuerworten des Täufers nichts anzufangen weiß.
Von der nahen Höhe steigt der Pilgerhaufen von Jerusalem und Bethlehem herab. Er wird mit neugierigen Augen empfangen, Philippus springt auf und führt die Erschöpften nach einer Raststelle, wo sie sich in Staub und Sand ihr Deckenlager bereiten und die Zelte aufstellen, wie es schon einst das Mosesvolk in der Wüste getan.
Der Schlauchhändler Amos liegt reglos am Bach, Seine Augen sind durch die Erscheinung des Täufers gebannt, der jetzt leise mit Andreas Jona spricht. Dieser reicht Johannes eine Holzschale, in der goldener Honig stockt, während ein anderer Jünger ihm einen Brotfladen hinreicht. Johannes bricht das Brot, taucht einen Bissen in den Honig und führt ihn beinahe andächtig an die Lippen. Jede seiner Bewegungen verfolgt das lagernde Volk mit gestielten Neugiersaugen.
Endlich rafft sich Amos auf und fasst den Arm des Gewandmachers „Du – Jonael – sieh ihn dir an –.“
„Ich bringe mein Auge nicht von ihm los.“ Dem frommen Judäer fröstelt es in der Sonne. „Wir wollen doch diesen Mann da – Philippus rufen sie ihn – wir wollen ihn fragen, was es denn eigentlich mit dem Täufer für eine Bewandtnis hat. Mir ist – ach, Amos, mir ist, als dränge sein Blick bis auf den Urgrund der Seele, und dann schmerzt das Herz wie eine einzige offene Wunde.“
„Es ist das Neue an ihm, das uns bedrückt“, sagt der nüchterne Tempelmann, der sich heranschiebt. „Ich meine, nach drei, vier Tagen ist der Zauber dahin.“
Jonael aber kann sich nicht beruhigen. „Ich werde diese Augen nie vergessen, nie – heda! Ihr – Mann! Ihr seid Philippus?“
„Woher kennst du mich?“, wendet sich der stattliche Jünger des Johannes um und schreitet vom Bach weg nach der Gruppe.
„Ich kenne dich nicht, hörte dich nur Philippus nennen. Du scheinst den Täufer länger zu kennen. Wir sind von Jerusalem gekommen, ihn zu hören. Sage ihm, dass er zu uns sprechen soll.“
„Er hat eben zu allen gesprochen, er spricht tagaus, tagein, bis in die Nacht, du wirst ihn schon zu hören bekommen.“
„Erzähl uns von ihm!“, fleht der Gewandmacher mit inbrünstig erhobenen Händen. Die Gefährten strömen herbei, scharen sich um den Jünger.
„Ja, was soll ich euch sagen? Dieser Johannes –.“ Philippus holt tief Atem, „dieser Johannes ist das Gewissen der Juden. Es klopft unruhig und mahnt zur Besinnlichkeit. Aber er ist auch der Prophet Gottes, Seine Verkündigung, Sein Wille.“
„Also wirklich Prophet?“, staunt der Sandalenmacher vom Bethesdateich.
„Sagte nicht Moses, dass der Herr aus dem Volk Israel einen Propheten erwecken wird? Er ist’s.“
„Und was müssen wir tun, um der Gnade teilhaftig zu werden, von ihm gewürdigt zu werden?“
„Vergessen musst du – viel vergessen.“
„Was vergessen?“, flüstert die Fischersfrau sehnsüchtig.
„Brandopfer, Speise- und Sündopfer, Zehnten und eurer Hand Hebe, euer Gelübde, die Erstgeburt eurer Rinder und Schafe, alles was Moses angeordnet, der Opfer Hochzahl, es ist alles umsonst und gilt vor Jahve nicht, solange dein Herz sündenbeschwert und schmutzig ist.“
„Alles umsonst?“ Des Jonael Augen verstarren sich im Sand.
„Still!“, wendet sich Philippus weg. „Der Täufer spricht.“
Alles drängt zur Eiche. Hunderte und aber Hunderte laufen wie Küchlein zusammen, denen man das Futter zuwirft.
Unter dem Baum streckt sich die Gestalt des Johannes, wird zum überhageren Riesen, dessen Haupt an die Zweige der Eiche stößt. Sein Leib, von den Gluten der Wüste ausgedörrt, kaum genährt von Wildbienenhonig und getrockneten Heuschrecken, gehorcht augenblicklich dem befehlenden Geist und strafft sich unter dem inneren Anruf Gottes. Ein unerklärbarer Schauer weht von seiner Körperlichkeit über die Massen hin. Die meisten empfinden ihn als die Weihe des Nasiräers, des Gottgeopferten, dessen Haupt noch nie das Schurmesser berührt hat. Die verwilderte Bartfahne weht kaum merkbar im einsetzenden Glutenwind, die Haut des Gesichtes ist gegerbt von Wetter und Wind, das aus der Innenglut genährte Feuer der unheimlich schönen Augen erstrahlt wie ein Fanal, unter dessen Schein die Hässlichkeit mit einem Mal ihre Kraft verliert. Und nun beginnt die etwas heisere, aber weittönende Stimme zu beben. Der Wüste schrecklicher Hauch erstarrt. „Hört, hört, Israels Kinder! Aus mir spricht Gottes Geheiß. Es ist mancherlei Gericht niedergegangen über dies Volk in der Wüstennot, als es Moses nicht gehorchte. Da schlug die Zuchtrute des Herrn auf ausgemergelte Hungerleiber los, vierzig Jahre schmachtete das Volk im babylonischen Elend, Salomos Tempel fiel unter den Axthieben des Assyrers, und die Zeit der Richter und Könige sank in Vergessenheit. Das Volk tat Buße, aber es fiel bald wieder in Welttaumel und spie Gott ins Antlitz. Der Herr sandte Propheten, um das Volk zur Rückkehr zu Gott zu bewegen, sie warnten es vor der Geißel, die kommen würde, wenn es sich nicht bessern sollte. Doch der Ruf der Propheten verhallte ungehört, und der Tempel begann durch seine Diener über Gott frevlerisch Gericht zu halten. Da sandte Jahve die Zuchtrute Roms, unter der ihr nun brüllt wie die vom Beil getroffenen Farren. Aber Israel besinnt sich nicht. Die Liebe Gottes floh seine Seele. Was habt ihr, Männer und Frauen von Israel, von Gottes Urquell gefühlt? Dumpf und klamm liegt’s über euern Herzen. O ihr Zagen, ihr Wankelmütigen, ihr könnt und wollt nicht erwachen aus dem Schlaf der luziferischen Trägheit, und wenn ihr erwacht, so erwacht ihr wie Simson im Schoß der Dirne Delila. Was ihr denkt und tut, ist Stein, aus dem kein Holz wächst. Was wimmert ihr, was flennt ihr? Ererbtes Sündengut von euern Vätern her lastet auf euern Seelen. Wollt ihr euch von der Haftpflicht freimachen, weil eure Väter Sünder waren? Ihr seid siebenundsiebzigmal größere Sünder denn sie!“ Mit hocherhobenen Armen fegt er die Verdammung über das Volk.
Die von den Worten Geschlagenen werfen sich auf die Erde und heulen nach altem Brauch auf.
Johannes dröhnt unerbittlich weiter: „Ihr sagt, die Zeit ist krank – nein, ihr seid es! Ihr siecht an einem halben Glauben, an einem halben Können dahin. In Sack und Asche müsst ihr sinken, und Buße, Buße, Buße muss eures Lebens Inhalt werden.“
Wie Sturmwogen wirft es sich um ihre Köpfe. Die Leiber winden sich im Wüstensand und die Reumütigen raufen sich das Haar. Und einer schreit für die andern laut auf: „Erbarme dich unserer Sünden!“
Johannes überhört den Schrei der Zerknirschtheit. „Euer Gesetz durchhallt das Gebot: Du sollst! Aber antwortet auch euer Herz darauf: Ich will? Mit schalen Lippenworten wollt ihr ein Feuer anzünden, anstatt mit Taten eure Brust zu durchbrennen. Mit dem Sang eurer Sabbatlieder wollt ihr die Wand durchdringen, die ihr zwischen euch und Gott aufgerichtet? Gott freut sich seines Adams nicht, denn eure Laster brennen euch das Gesicht wie die Säure aus.“
Da rekelt sich ein Jude aus dem Haufen. „Du, Mann Gottes – in Jerusalem spricht es sich durch die Gassen, du wüsstest vom Messias, den wir erwarten.“
Die großen Wimpern fallen über des Täufers Augen. Und ohne den Frager anzusehen, sagt er: „Wie stellst du dir die Ankunft des Messias vor?“
Der Jude, weißbärtig, verkrüppelt, vertränt, aber hitzigen Geistes, beginnt zu schwärmen: „Es ist uns überliefert von altersgrauen Zeiten her, dass der Messias, der Gesalbte des Herrn, kommen soll. Elias soll wiederkommen, ihn zu salben. Und als Gesalbter wird er die Tage der Not enden, mit seinen gleichgesinnten Streitern wird er über die Mächtigen dieser Erde losziehen, gottkräftig gestaltet wird er Rom überwinden. Ein Hauch aus seinem Munde überflammt die Heiden mit tötendem Brand. Im Lande Kanaan und in Jerusalem wird sein Herrscherreich errichtet werden, vor dem die anderen Reiche zusammenbrechen. Und was im heiligen Lande wohnt, wird selbst geheiligt sein. Gerechtigkeit wird sein Wappen sein, Weisheit seine Fahne, Gotteskraft sein Schwert. Vereinigt werden unter ihm Israels Stämme sein, und ihnen wird das Gebiet der Erde untertan sein. Der letzte Herrscher Roms wird vor ihm hingeführt werden und wird zuschanden werden vor ihm und in den Tod geworfen werden für seine Freveltaten an unserem Volk.“
Aus dem Verlangen nach Erlösung aus Knechtschaft und Elend ringen sich die Worte aus des Juden Brust. Und das Volk ringsum sieht mit dem Sprecher das Reich in Glanz und Reichtum aufdämmern. Überall weben diese gleichen Gedanken, auf den Gassen und Plätzen der Zionstadt, in den Dörfern und Weilern. In den Herbergen und auf den Karawanenwegen geht der träge Pulsschlag der Not, und die Sehnsucht nach Befreiung davon flammt da und dort einmal auf, und die hoffnungsarme Seele gebiert dann neuen Mut.
In Johannes’ Antlitz verrät keine Fiber eine innere Erregung. Er öffnet nun die vom Wüstensand verbrannten, geröteten Lider. „Und ich will dir deinen Messiastraum nach deinem Wähnen vollenden. Des Gesalbten Reich soll sein voll aufgeworfener Ernte an Korn und Weizen, voll Freude an geringer Arbeit, und eure Weiber werden ohne Schmerzen gesegneten Leibes gehen, Kinderreichtum wird keine Not bedeuten, der Feierabend wird nicht erfüllt sein von der Sorge um den nächsten Morgen. Auf den Feldern wird die Frucht stehen, stattlich wie die Zedern des Libanon, und die Schnitter werden sich froh mühen, den Acker zu ernten. Gottes Sturm wird das Korn dreschen und das Mahlgut in den offenen Trog fegen. Und die Trauben werden den Wein aus ihren Schalen rinnen lassen, und die Menschen werden ihn in silbernen Bechern auffangen, es wird keine Hungrigen mehr geben, und die Durstigen wird man mit der Lampe suchen müssen. Aufs Neue wird Manna vom Himmel fallen, und der Messias wird sein Volk mit heiterem Antlitz durch die Wüste des Lebens führen. Regen wird reichlich und doch nicht verderblich fallen, die Sonne wird milde sein, die Wüste wird sich mit Laub schmücken, und froher Vogelsang wird darin erschallen. Die Trinkwasser werden allerorten quellen, und die Krankheiten der Menschen werden vergehen wie Haselstaub im Frühjahrswind. Kleider werdet ihr in Fülle haben, und der Weiber Zierrat wird sich fertig aus dem Gold der Bäche bereiten. Meinst du nicht, Kind Israels, dass sich so dein Messiasreich vollenden wird? Ohne Hilfe deiner eigenen Seele?“
Der Jude sieht betroffen drein. „So ähnlich klang es in meiner Jugend an mein Ohr, und so wird es wohl sein.“
Da durchfährt es den Leib des Täufers wie ein Blitzstrahl. Brandhell lodert er auf. „Weg mit deinem erzgewappneten, schwertschwingenden, siegesmächtigen König David! Der da kommen wird als Tröster und Erlöser, wird euer Wunsch und Wähnen in den Staub werfen. Herrschen wollt ihr durch den Messias über alle Völker? Ich sage euch, nimmer werdet ihr herrschen über andere, bevor ihr nicht euch selbst beherrscht. Das ist die einzige Herrschaft, die Gott segnet. Beschwatzt euch nicht mit solchen Widergedanken. Moses hat euch erkannt, als ihr einzogt ins Land der Enakiter: „Ihr seid ein halsstarriges Volk!“, so sprach er zu euch. So wie ihr in der Wüste mit Moses um Wasser gehadert habt, so hadert ihr heute noch mit Gott um dieses oder jenes willen.“
Alles wehklagt und schreit in den gluterfüllten Sand. Der Gewandschneider ringt Amos die Hände entgegen: „Er ist wahrhaftig der, von dem gesagt ist: Es ist eine Stimme des Predigers in der Wüste, bereitet dem Herrn den Weg und macht seine Steige richtig.“
Johannes hebt seinen Oberleib aus den Hüften und scheint nun noch einmal so groß, als er jetzt den Taubherzigen sein flammendes „Tut Buße!“ in die verkrusteten Brüste schreit. Und wieder und wieder: „Tut Buße!“ Und dann mit Macht: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Seine drohenden Augen greifen aus der Menge ein paar Pharisäergesichter heraus und stellen sie vor Gottes Gericht: „Meint ihr, ihr werdet dem künftigen Zorn entrinnen? Weil ihr Abraham zum Vater habt? Ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Schon ist die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Welcher Baum nicht rechte Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“
Schuldbewusste bergen ihre Gesichter in den Händen und rücken vor dem grimmen Mahner in die rückwärtigen Reihen zurück, denn sie fürchten, dass er nun jeden einzelnen vor sich aufpflanzen und ihm die Sünden aus der Brust reißen könnte.
Und nun wächst Johannes über sich selbst hinaus, und die Augen in dem bleichen, gegerbten Gesicht starren wie in einer Vision in die Wüstenweite. „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße. Aber es kommt einer nach mir, der stärker ist als ich und dem ich nicht genugsam bin, seinen Schuhriemen zu lösen. Und dieser wird euch taufen mit dem Feuer des Geistes.“
Die Leiber reißen sich erschreckt vom Sande los. Während sich Johannes, betäubt von der Wucht des Gesichtes, in düsterem Schweigen veratmet, springt das Gehörte zerstückelt von Mund zu Mund: Einer kommt nach ihm? Wer ist das? Auch ein Prophet? Von Schuhen sprach er! Was soll das wieder? Wer uns da sehen ließe. Sein Wort ist dunkel wie die Nacht.
Einer aus der verkeilten Menge ruft verzweifelt über die Köpfe hinweg: „Ja, was sollen wir denn tun?“
Johannes überflammt ihn: „Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der keinen hat. Und die Speise teile mit dem, der nicht hat.“
Da zieht sich der Frager fröstelnd, wie eine Schnecke in ihr Haus, zurück.
Zwei habgierige Zöllner in Roms Sold bekommen Mut und schreien:
„Prophet, was sollen wir tun?“
„Fordert nicht mehr als gesetzt ist“, wirft er wuchtig in ihre Herzen.
„Er hat uns erkannt!“, schämt sich einer vor dem andern, und sie kriechen in den Menschenhaufen zurück.
Wildbärtige römische Legionssoldaten ,schieben einen der Ihren nach vorn, und der wirft seine breite Brust dem Täufer entgegen. „Und wir, die wir Roms Schwert tragen? Was sollen wir tun?“
Da überweht sie Johannes mit seinem Feueratem: „Lasst Gewalt und Recht und begnügt euch mit dem Solde.“
Da wird ihnen grimm zumute, denn das Schwert der Gewalt aus den Händen werfen, das können sie nicht, ohne sich selbst aufzugeben. Sie tappen schwerschrittig nach der steinigen Wand, die im Sonnenbrand glüht.
Johannes verfolgt ihr Gehen mit vernichtenden Blicken. „So wird ihnen kein Heil. Sie gehören zur Spreu, die verbrannt werden wird, nachdem der, der nach mir kommt, sie vom Weizen gesondert haben wird auf seiner Tenne. Des Wassers Berührung in der Taufe greift noch nicht völlig an, es muss sein Feuer kommen, das den Menschen inwendig ergreift.“ Und sein Ton wird nun milder, da er die verzagten Gesichter der Aufhorchenden erblickt: „Ihr wisst doch, wie das Korn gesiebt wird nach dreierlei Maß? So wird der, der da kommen wird, die Menschen sieben, messen und sondern. Das rechte Korn wird in die Scheune seines Reiches kommen, der Abfall in ein Feuer, das nie erlöschen wird. Dieses Feuer wird ärger sein als jenes, das Sodom und Gomorra in Gluten warf.“ Seine Hand deutet in der Richtung nach dem Salzmeer, wo der bräunliche Sonnendunst über den versunkenen Sündenstätten braut.
Ein Jünger reicht dem Bußprediger wieder eine Schale mit Baumsaft zur Labung des ausgetrockneten Gaumens. Da verlässt Johannes den Eichenschatten und geht zum Bachtümpel. Hastig drängt die Menge nach. Die Bekehrten, von seinem Wort im Innersten Getroffenen, gehen zu ihm, der sich auf einen Stein niedergelassen, und bekennen ihm, dass sie gesündigt haben und nun bereuen.
„Wandlung!“, fordert er gebieterisch.
„Ich werde mich wandeln“, verspricht jeder angstdurchbebt.
Dann legen sie die Kleider ab und steigen einzeln in das trübe Wasser, tauchen unter; während Johannes die segnende Hand über jedes Haupt hält, um dadurch den Willen des Büßers zur Bekehrung zu kräftigen. Einer nach dem andern tritt den Bußgang an. Allen ist, als schwemme das Wasser den Schmutz ihrer Seele fort, in den Jordan hinab, und sie atmen befreit auf, wenn sie wieder ans felsige Ufer steigen und die Sonne sie gnadenvoll überglüht. Sie halten vor Freude den Atem an, der nun nicht mehr von Gott verflucht ist. Dahin ist der laute Jammer, der verhaltene Gram. Sie getrauen sich kaum, ihre Schuhe anzuziehen, denn diese Stätte ist in ihren Augen ebenso heilig wie die, wo Josua stand, als der Engel Gottes ihn segnete.
Die Sonne beginnt sich zu neigen, und immer noch tauchen Leiber in das reinigende Nass.
Erschöpft sinkt des Täufers Leib auf den nachglühenden Stein, und die Leiber der ebenfalls ermatteten Büßer schlüpfen unter die Zelte oder hüllen sich in Decken ein. Kaum tasten Gespräche von Herz zu Herz, als fürchtete jedes, mit einem Sündenwort die erlangte Reinheit wieder zu beschmutzen.