Das informelle Lernen und seine Validierung und formale Zertifizierung - Michael Beck - E-Book

Das informelle Lernen und seine Validierung und formale Zertifizierung E-Book

Michael Beck

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Beschreibung

Der Impuls für die Beschäftigung mit dem Thema »Informelles Lernen und seine Validierung« kam für Michael Beck aus den Bestrebungen der europäischen Bildungspolitik, aber auch aus vielen Jahren Erfahrung in der Erwachsenenbildung und Personalberatung mit derart Betroffenen, für die sich tatsächlich aus einer Validierung ihres bislang nicht bewertbaren Talents neue Arbeitsmarktchancen ergaben. In einer vielleicht eher beklemmenden Zeit der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik soll eine breite, von mehreren Seiten betrachtete sozialwissenschaftliche Erörterung dem Thema seine politische und menschliche Bedeutung geben. Ein praktisches Stufenmodell in Anlehnung an die Szenario-Plan-Methode, wie sich ein Talent von den Anfängen an bis zur formalen Zertifizierung entwickeln kann, zeigt auf, welche Schritte für eine bildungspolitische Umsetzung nötig sind. Aus privater und berufspädagogischer Sicht ist die Phase eins sehr wichtig, weil hier etwas bislang zu wenig Beachtetes beginnt und sich entfaltet: ein selbst organisiertes informelles, aber unter entsprechenden Bedingungen großartiges Lernergebnis ohne einen formalen Rahmen. Mit einer qualitativ angelegten Pilotstudie in einem ausgewählten Berufsbereich wird verifiziert, was als zukünftiges Modell einer Validierung verschiedenster Berufe möglich sein könnte. Wichtig hierbei ist die Begrifflichkeit des ECVET-Systems mit seinen »Kompetenzen« (mit allen Lücken, die dieses System hat), um das berufliche Anforderungsprofil, die Inhalte einer Ausbildung und die sichtbar und bewertbar gemachten beruflichen Tätigkeiten intensiver zu betrachten und positiv zu bewerten. Es ist eine mit sozialwissenschaftlichen Gedanken und Methodiken gespickte Abhandlung, die einerseits eine defensive Antwort auf die politische Frage der Bewertung informellen Lernens gibt, ohne den Respekt vor formalen Schulsystemen - auch historisch als sozialer Fortschritt gewürdigt - zu verlieren. Andererseits geht es dem Autor um mehr Vertrauen in die individuelle Entschulung und Subjektivität des Lernens für den Beruf, das ganze Leben und ein demokratisches, humanistisches Gemeinwesen. Vor dem Hintergrund einer zunehmend intransparent um sich greifenden Digitalisierung der Gesellschaft liegt hier auch ein Plädoyer vor für das haptische Erlebnis und das zwischenmenschlich direkt Erfahrbare.

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Michael Beck

DAS INFORMELLE LERNEN

und seine

VALIDIERUNG UND FORMALE ZERTIFIZIERUNG

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2018

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Igor

Igor hatte damals immer wieder die Schule geschwänzt. Mit einer Entschuldigung der Eltern. Und was fing er mit diesen „Fehlzeiten“ an? Mit weit unter vierzehn Jahren half er seinem Vater bei dessen Jahrmarktgeschäft. Bei allem, wofür er gebraucht wurde. Und wenn sein Vater Pause machte oder etwas anderes zu tun hatte, war er eben alleine vor Ort und bediente die Besucher seines Standes eigenständig. Auch die Kasse verwahrte er und war deshalb ebenso für das richtige Wechselgeld verantwortlich. Heute ist der vigilante junge Mann von damals einundzwanzig Jahre alt und betreibt diesen Kleinbetrieb alleine. Nach seinem Hauptschulabschluss machte er einfach das weiter, was er schon längst konnte.Eine wahre Geschichte informellen Lernens.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Teil 1: Essay – Überlegungen zu sozialwissenschaftlichen Grundlagen eines deutschen und europäischen Validierungsmodells

Teil 2: Pilotstudie

Teil 3: Formale Zertifizierung der Validierung

Zusammenfassung und Nachbetrachtung

Anmerkungen

Literaturhinweise und Quellenangaben

Kurzvita Michael Beck

Vorwort

Das ganze Leben, die Bewältigung des Alltags, die Freizeit, sind bislang der wichtigste Fokus einer Betrachtung, wenn es um das informelle Lernen geht und vor allem darum, was dabei „herauskommt“, wozu es befähigt, wozu es für einen Menschen führt. Große Teile dieses Lernens münden in die berufliche Tätigkeit ein, mit der jemand seine Existenz bestreitet, weil er etwas kann, wofür er bezahlt wird. Das Hauptaugenmerk liegt aber vollkommen davon abgetrennt z. B. auf der sportlichen Leistung, auf der Entspannung, auf dem musischen Bereich, auf dem Geschick, mit dem man ein Hobby ausübt, darauf, für mehr persönliches Glück und Zufriedenheit zu sorgen – ein Lernen fernab formaler, durchorganisierter Rahmenbedingungen.

So dachte man bisher. Aktuell betrachtet man diesen privaten Bereich auch im Rahmen einer Hinführung zu einem Wissen und Können, das man Kompetenz nennt, weil es beruflich verwertbar ist. Der Fokus richtet sich auf eine Art privates Lernen, das jemanden ohne formale Schule und Ausbildung befähigt, mit dem Erlernten seine Existenz zu bestreiten.

Wird dies für das Beschäftigungssystem sichtbar und messbar gemacht, kommt es einem formalen Abschluss gleich, falls es in dieser Ausprägung anerkannt und zertifiziert wird.

In dieser Pilotstudie geht es um die inhaltlichen und methodischen Bestandteile, wie man informelles Lernen empirisch erheben und einer möglichen, politisch gewollten Zertifizierung zuführen kann. Damit wird gleichzeitig ein Modell skizziert, wie man hierbei verfahren könnte – defensiv formuliert handelt es sich um einen Vorschlag.

Es geht um die folgenden Bestandteile:

Wer sind die informellen Lerner, was zeichnet sie aus?

Gibt es wirklich Personen, die eine beruflich verwertbare Kompetenz ausschließlich informell erlernen?

Es gibt sie, und daraus ergibt sich die Frage nach dem Wie. Wie kann man informell, substanziell, ergebnisorientiert lernen? Dazu wurde die (Sozial-)Psychologie befragt und es wurde Erstaunliches an persönlicher Subjektivität „freigeschaufelt“, warum verschiedene Mechanismen zu wundervollen Leistungen dieser Lernform führen können.

Eine Hilfe, um den sowohl informellen als auch im späteren Verlauf formalen Prozess einer Validierung und Zertifizierung zu beschreiben, bietet die Szenario-Plan-Methode. Sie beantwortet die Frage, in welche Szenarien diese Lernform bis hin zur europäischen Zertifizierung eingebettet ist.

Denn es geht nicht nur um die Frage nach dem Einzelindividuum, nach dessen Potenzialen und materiell verwertbarer Leistung, sondern auch um die Frage, in welches „Ganze“ die Thematik eingebettet ist. Die Psychologie fragt nach der „Gestalt“ (Lewin), die Soziologie nach dem „Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“ (Hahn), die Philosophie nach dem „Ganzen“ (Vershofen), die Systemtheoretiker untersuchen Syteme und ihre Subsysteme (Parsons, Luhmann). Die Einzelleistung eines Menschen erhält in meiner Abhandlung großen Respekt; gleichzeitig – es geht schließlich nicht um eine isolierte Selbstverwirklichung – stellt sich die Frage, wohin diese wohl ausgeformte Persönlichkeit führt oder wozu sie gehört und was das „Ganze“ ist, dessen Teil sie ist und von dem sie abhängt.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeitsmarktgeschehens kann diese Pilotstudie nur bedeuten, den Zusammenhang mit dem deutschen Beschäftigungssystem betrachten zu müssen. Dieses ist in seiner hohen Qualität weitgehend dem Ausbildungssystem geschuldet. Deshalb geht es in dem Berufsbeispiel der vorliegenden Studie um das duale System als Maßstab für die Validierung und formale Zertifizierung.

Mit diesem Bekenntnis erfährt das hier vorgestellte Validierungsmodell eine Gründlichkeit, die eine politisch geschenkte Validierung eher nicht zulässt, aber eine vollkommene Gleichstellung informell erbrachter Lernergebnisse gegenüber formalen IHK/HK-Abschlüssen. Zunächst werden vorhandene Kompetenzen festgestellt. Die Kompetenzkategorien benötigen eine inhaltliche Tiefe und Breite und müssen die entsprechenden Prüfungen repräsentieren. Darauf werden diese narrativ sichtbar gemachten Kompetenzen einer fachlichen Evidenzfeststellung unterzogen. Danach kann die komplette aufbereitete Dokumentation der zuständigen formalen Prüfungsstelle vorgelegt werden. Dort wird über die Gleichstellung entschieden. Falls nötig werden Ergänzungsmodule angeboten. Hiernach hält ein informeller Lerner ein gleichwertiges Zertifikat eines Berufsabschlusses in den Händen.

Die folgenden Seiten beschäftigen sich mit diesem Prozess anhand eines Beispiels, das sich auf andere Berufe übertragen lässt. Hierbei wird die Diskussion eines weiteren wichtigen Anliegens ermöglicht: Aufgrund der Einführung des Kompetenzbegriffs in die berufliche Bildung sind Adaptionen in Europa möglich.

Der einfacheren Lesbarkeit halber wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten explizit gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

Michael Beck

Nürnberg, Dezember 2017

– Validierungsprojekt –

Personalentwicklung

Dr. Michael Beck

Diplom-Sozialwirt (Univ.)

www.szenario-plan-methode.de

Teil 1: Essay – Überlegungen zu sozialwissenschaftlichen Grundlagen eines deutschen und europäischen Validierungsmodells

Die neue Bedeutung des informellen Lernens

Sozialisationsforschung und Lernbiografie

Das Stufenmodell des informellen Lernens nach der Szenario-Plan-Methode

Bedingungen und (Selbst-)Methoden informellen Lernens

Validierung und Zertifizierung von informell erworbenen Lernergebnissen

Positives Resümee – große Notwendigkeit und große Erwartungen

Persönliche Lernergebnisse und die Risiken in der Moderne

Schematische Darstellung – Stufenmodell des informellen Lernens nach der Szenario-Plan-Methode

„Der Mensch ist nur da gut Mensch, wo er spielt.“ Friedrich Schiller

„Am besten lernt man gelegentlich.“ Johann Wolfgang von Goethe

Die neue Bedeutung des informellen Lernens

Es ist nicht zuletzt der Aktivität der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments zu verdanken, dass das informelle Lernen in den Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses gerückt ist. Die positiv interpretierte Intention ist es wohl, Potenziale Betroffener sichtbar zu machen, die mehr oder weniger vom formalen Bildungs- und Ausbildungssystem abgekoppelt sind – mit den entsprechenden Konsequenzen, am Arbeitsmarkt wenig Erfolg zu haben. Was man informell erlernt hat, d. h. in einem eher privaten, sozialen Zusammenhang irgendwie und von irgendjemandem, und zunächst völlig unabhängig davon, was man in diesem Rahmen gelernt hat, soll beruflich verwertbar sein. Und wenn es formal überprüfbar gemacht wurde, soll es dabei helfen, mit diesen Kompetenzen (also ohne formale Qualifikation) in das entsprechende Arbeitsmarktsegment einzumünden und seinen Lebensunterhalt zu verdienen (Anm. 1).

Sozialisationsforschung und Lernbiografie

Bereits die Sozialisationsforschung der 1960er, 1970er und 1980er Jahre hat dieses Thema in vielfältiger Weise aufgegriffen und erforscht. Im Mittelpunkt standen die Familie als Sozialisationsfaktor, Peergroups, Subkulturen, Jugendorganisationen, die Freizeit usw. Auf allen Feldern erforschte man, welche Persönlichkeit daraus erwächst, wie sich Sozialisationsbedingungen auf Motivation und andere Persönlichkeitsmerkmale auswirken, welche Bedeutung Erziehungsstile haben usw. Schließlich ging es in dieser Terminologie um „Sozialisation“, „Enkulturation“ und „Personalisation“ (Wurzbacher) – konkret: wie und mit welchem Resultat wächst ein Mensch in der Gesellschaft unter seinen spezifischen Bedingungen auf.

Daraus folgerte man auch, warum jemand welchen Beruf ergreift, warum jemand beruflichen Erfolg hat und auch, welchen Anteil dieses Heranwachsen ohne den Faktor Schule, formale Ausbildung usw. in einer Berufsbiografie hat. Die Ergebnisse wurden in den Begriffen Basisqualifikation, Extrafunktionale Qualifikation, Sozialqualifikation, Berufsqualifikation oder Gesamtqualifikation jeweils erläutert, empirisch-methodisch belegt und in ihrer Bedeutung für das Beschäftigungssystem zusammengefasst. Die damalige soziologische und psychologische Sozialisationsforschung legte also bereits Wert darauf, ihre Ergebnisse berufs- und arbeitsmarktbezogen zu fokussieren. Neben der Evaluierung formaler Ausbildungen erwartete man durch die Beleuchtung aller anderen sozialen Zusammenhänge wichtige, auch bildungspolitische Erkenntnisse – vor allem aus der schichtenspezifischen Forschung.

Es gab überdies handfeste Ergebnisse, die allesamt zu der Überzeugung kamen, dass aus den privaten Milieus für den Beruf wichtige Erfolgsfaktoren resultieren. Man kann davon ausgehen, dass weit über 50 Prozent beruflichen Erfolges nicht von formalen Abschlüssen induziert ist, sondern durch privates Lernen.

Ebenso evident ist, dass die soziale Kompetenz einen ausschlaggebenden Anteil am beruflichen Erfolg hat – eine Komponente, die kaum die Lehrinhalte formaler Ausbildungen betrifft, sondern mehr das soziale Milieu und die Herkunftsfamilie, wo man dies eben „informell“ erlernt hat.

Für jegliches Weiterkommen greift man lernbiografisch auf das einmal Erlernte zurück. Das so informell Erlernte begleitet einen ein Leben lang, und es ist vermutlich auch entscheidend, in späteren Lebensabschnitten auf die Erfahrung dessen, wie man etwas erlernt hat, zurückgreifen zu können. Denn der Bedarf, immer wieder dazuzulernen, bleibt ein Leben lang bestehen und wird immer einen entscheidenden Anteil bei einer persönlichen Weichenstellung – auch im Beruf – haben.

Insbesondere bei beruflichen Krisen, z. B. umfassende Schwierigkeiten beim Einmünden in den Arbeitsmarkt oder Umstellungs- und Anpassungsschwierigkeiten, spielt das Zurückgreifen auf die eigene Sozialisation, hier: informell erworbene Lernergebnisse, eine große Rolle – im Sinne einer sehr hilfreichen, persönlichen, sozialen Kompetenz, aber auch im Sinne einer Verwertbarkeit von Kompetenzen (Wissen zu besitzen und handeln zu können mit Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem funktionalen Arbeitszusammenhang). Wenn man heute von „Lernergebnissen“ spricht, sind exakt definierte Einheiten gemeint, die sich in zielorientiertem Handeln äußern.