Das Internat von Barrowhill - Alexandros Chakiris - E-Book

Das Internat von Barrowhill E-Book

Alexandros Chakiris

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Beschreibung

Napoleon ist geschlagen und England gerettet. Eine Neuigkeit, die sich in Windeseile in Barrowhill verbreitet. Vor allem im Internat, das seit kurzen einen illustren Schüler beherbergt: Richard, Herzog von Billingham, Lord von Lancaster. Die Familie befindet sich in einer finanziellen Klemme und Richard ist gezwungen, Eaton zu verlassen, um im bescheideneren Barrowhill die Schule zu beenden. Schnell findet er Freunde: den leidenschaftlichen Waliser Evellynn und Allan, der aussieht wie ein Engel; die beiden sind ein unzertrennliches Liebespaar. Doch Richard muss sich den strengen Regeln des Internats unterwerfen, wie jeder andere. Körperliche Züchtigungen und die Schikanen durch den Seniorschüler Mopping stehen auf der Tagesordnung. Trotzdem lassen es sich die Jungs nicht nehmen, nachts in die Zimmer ihrer Freunde zu schleichen, ausgelassen zu feiern und ihren verbotenen Spass zu haben. Da trifft man Tom, der unter falschem Namen Romane schreibt; Benjamin, dem der erste Bart wächst, den jungen Russen Wladimir, der heimlich vom Direktor schwärmt und dessen Liebe zu diesem eine fast lebensbedrohliche Gefahr heraufbeschwört. Richard verliebt sich in Jeremy, der den jungen Herzog fasziniert und dessen dunkle Seite für Richard anziehend und erschreckend zugleich ist. Bei ihm lernt er, die neue und aufregende Seite von Schmerz und Erniedrigung kennen. Nach „Liebesspiele der Samurai“ führt uns Alexandros Chakiris in die Welt des englischen Empire. Damals herrschte die Meinung, dass nur rigide Strafen und härteste Disziplin den Menschen zu einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft machen. Doch den Schülern des Internats gelingt es immer wieder, sich ihre verbotenen Wünsche zu erfüllen.

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg

E-mail: [email protected]

www.himmelstuermer.de

Foto: ONO LUDWIG, www.ono-ludwig.de

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer, AGD, Hamburg.

Originalausgabe, Februar 2007

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

 

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ISBN prc

978-3-934825-70-3

978-3-86361-131-6

978-3-86361-132-3

978-3-86361-133-0

Alexandros Chakiris

 

 

Das Internat von Barrowhill

 

 

 

 

 

Der neue Schüler

 

Man schrieb das Jahr 1815.

Britannien führte Krieg in den indischen Kolonien, in der „Neuen Welt“ und kämpfte gegen Napoleon Bonaparte, der ganz Europa ins Verderben zu stürzen drohte.

 

Als die Kutsche abfuhr, wischte sich Lady Sarah, die Witwe des Herzogs von Billingham, verstohlen über die Augen.

„Ach, Edward, ob wir das Richtige getan haben?“

Der elegante Gentleman, der ihr gegenüber saß, nickte beruhigend. „Mach dir keine Gedanken, meine Liebe. Es ist ganz in Archies Sinn, dass sein Sohn die Schule beendet. Es wäre doch zu leidig, wenn er jetzt aufgeben würde wo ihm nur noch ein Jahr fehlt.“

Lady Sarah, ganz in schwarz, wie es sich für eine Witwe von höchstem Rang gehörte, war nicht so überzeugt. „Aber Barrowhill ist nicht Eaton! Wird sich mein kleiner Richard hier eingewöhnen? Dieses Internat ist so … gewöhnlich!“

Edward winkte nachlässig ab. „Du redest von ihm, als sei dein Sohn immer noch ein Kind. Richard ist sechzehn. Ein Mann! Dieses eine Jahr geht schnell vorbei, du wirst sehen. Er wird es schon überleben!“

Alarmglocken schrillten im Kopf der schönen Lady: „Überleben? Wie meinst du das, Edward?“

Der Bruder der jungen Witwe ergriff die schmale, blasse Hand, die sie auf sein Knie gelegt hatte, und tätschelte sie tröstend. „Na ja, das haben wir alle mal mitgemacht und leben immer noch, nicht wahr? Das Wichtigste ist jetzt, dass wir Billingham Hall retten können. Wir sind verpflichtet, ihm sein Heim zu erhalten. Bis die Besitzungen in den Kolonien verkauft sind und du wieder über ausreichend Geld verfügst, muss sich die Familie eben einschränken, so unangenehm das sein mag. Nimm es nicht so schwer, liebe Sarah. Er hat sich durchaus einsichtig gezeigt, als ich ihm erklärt habe, dass er das letzte Schuljahr aus Kostengründen in Barrowhill verbringen wird.“

Sir Edward wusste, dass es für seinen Neffen eine gewaltige Umstellung sein würde, aber er traute dem Jungen einiges Stehvermögen zu.

Immerhin wusste Richard, was er seinem Namen schuldig war.

Richard, Lord von Lancaster und Herzog von Billingham, saß im Arbeitszimmer von Direktor Stirling.

Der alte John - so nannten ihn seine Schüler - betrachtete Richard mit gemischten Gefühlen.

„Euere Gnaden wird feststellen, dass der Unterschied zu Eaton so groß nicht ist.“

Der alte John wusste genau, dass dies eine dicke Lüge war. Der Unterschied konnte größer nicht sein. Aber die Anwesenheit einer so hochgestellten Persönlichkeit konnte sich für die Reputation seines Institutes nur vorteilhaft auswirken. Es galt, vorsichtig zu sein.

„Natürlich können wir Euer Gnaden keinen Reitstall anbieten oder einen Fechtlehrer, so wie es in Eaton üblich ist. Rudern ist auch nicht möglich, da wir in unmittelbarer Nähe kein Gewässer haben. Dafür haben wir eine ganz brauchbare Kricketmannschaft.“

Der junge Herzog schwieg höflich und hörte interessiert zu. Er hatte die langen, schlanken Beine übereinander geschlagen. Seine helle Hose, das graue Samtjackett, eng und elegant geschnitten, der schäumende Rüschenkragen des weißen Hemdes, alles aus feinstem Stoff. Die blonden, welligen Haare, locker nach hinten gebürstet und mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden, betonten die feinen Linien in dem jugendlich ernsten Gesicht.

Doch seit die Räder der herzoglichen Kutsche knirschend vom Schulgelände gerollt waren, kam sich der junge Lord von Lancaster mit jeder Minute einsamer und verlassener vor.

Der alte John war ein Mann von gewinnendem Wesen. Er liebte seine Schüler und war mit Leib und Seele Pädagoge. Nun kam er hinter seinem schweren Schreibtisch vor und legte dem Jungen väterlich die Hand auf die Schulter.

„Kopf hoch, Richard. Wir wollen doch, dass Euer verstorbener Vater stolz auf Euch ist.“

Richard nickte und schluckte trocken. Erst vor wenigen Wochen war sein Vater im Krieg gegen Napoleon gefallen.

 

In diesem Augenblick klopfte es.

Herein trat ein spindelbeiniger Jüngling, ganz in schwarz gekleidet.

„Ihr habt nach mir geschickt, Sir?“ Mit leisen, huschenden Schritten schlich er näher. Richard fasste auf den ersten Blick eine Abneigung gegen ihn.

„Ach, Moping, gut, gut. Ihr werdet Euch selber einander vorstellen, denke ich. Begleitet Master Moping zum Haus Nr. 6, Eure Lordschaft. Dort werdet Ihr das Zimmer mit zwei anderen Schülern teilen. Moping wird Euch alles erklären. Er ist der Kapitän des Hauses. Der Senior, sozusagen. Er hat Ordnungs- und Strafgewalt … Moping, Ihre Lordschaft ist wie jeder Neuzugang die ersten zwei Wochen jeder Bestrafung enthoben.“

Der Direktor warf dem Kapitän einen warnenden Blick zu.

„Ihr werdet Eurem neuen Kommilitonen jede Hilfestellung geben, die er braucht, und nachsichtig sein, Moping.“

Der junge Herzog war aufgestanden und versicherte: „Es liegt mir fern, eine Sonderstellung einzunehmen, Sir. Ich will versuchen, mich so schnell wie möglich in den täglichen Ablauf von Barrowhill einzugewöhnen.“

Moping, der den Wink des Direktors durchaus verstanden hatte, krümmte den Rücken wie eine Katze und verzerrte die dünnen Lippen zu einem Grinsen:

„Ich werde mir besondere Mühe mit der jungen Lordschaft geben, Sir. Seid unbesorgt.“ Dann verließen beide das Arbeitszimmer.

 

Die blauen, strahlenden Augen von Richard übten vom ersten Augenblick eine gewaltige Anziehung auf Moping aus.

Sich heimlich die Hände reibend, ging er vor seinem neuen Schutzbefohlenen her und flüsterte leise: „Oh ja, ganz besondere Mühe.“

 

Die Schüler von Barrowhill waren je nach Alter in getrennten Häusern untergebracht, die nummeriert waren. Moping stand dem Haus Nr. 6 vor. Alle dort, einschließlich des Kapitäns, befanden sich in der Abschlussklasse. Nur dass Moping zwei Jahre älter war, da er Theologe werden sollte wie sein Vater und schon vor Beginn seiner Schulzeit in Barrowhill ein zweijähriges Theologieseminar absolviert hatte.

 

Im Haus Nr. 6 betraten die beiden einen Raum, den Richard mit zwei anderen Schülern teilen sollte.

Da es die Zeit der Nachmittagsruhe war, befanden sich seine Zimmergenossen bei ihren Hausaufgaben. Natürlich hatte auch die Neugier auf den Neuen das ihrige dazu getan, dass man heute das Haus nicht verlassen wollte. Zwei Augenpaare wurden misstrauisch auf den Neuling gerichtet. Augenpaare, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.

„Darf ich mich vorstellen“, Richard streckte dem schwarzhaarigen, zierlichen Jungen freundlich die Hand entgegen. „Richard, Lord von Lancaster, Herzog von Billingham.“

„Du bist ein richtiger Herzog?“, fragte der Junge atemlos und große, dunkle Augen richteten sich auf Richard. Das Gesicht eines Engels!

Richard nickte lächelnd.

„Schau, Evellynn, ein echter Herzog.“ Damit stand der Junge auf und gab Richard die Hand. „Ich bin Allan Miguel Baker. Und das ist …“

„Swan, Evellynn Swan.“

Der andere Junge war aufgestanden und hatte die Vorstellung kurzerhand selbst übernommen. Er war größer als Allan, breiter und so unordentlich wie er war, hätte man ihn eher für einen sturmerprobten Seemann halten können als für einen Internatsschüler. Grüne Augen richteten sich misstrauisch auf Richard. Evellynn drückte die Hand des jungen Herzogs und begann Richards Knochen zu zerquetschen. Dabei sagte er lächelnd:

„Na dann los, Richard, wir helfen dir beim Auspacken.“

Der junge Lord riss entschlossen seine Hand aus der Pranke des Walisers.

„Master Swan!“ Moping rümpfte die bleiche Nase. „Master Swan, der Herzog hat einen Anspruch auf die Anrede, die seinem Stand gebührt. Ich bitte um Verzeihung, Eure Lordschaft.“ Bei diesen Worten duckte sich Moping heuchlerisch und deutete eine gewisse Entrüstung an.

Aber Richard war von seinem Onkel Edward auf diese Situation vorbereitet worden und antwortete schlagfertig: „Ist schon in Ordnung, für meine Zimmergenossen bin ich Richard, nicht wahr, Evellynn?“

 

Es wurde dem jungen Lord schwer, seinen Schrank einzuräumen. Nach Eaton war er von einem Bediensteten begleitet worden. Aber Allan hatte sich ganz ohne Vorwarnung auf das Gepäck des Neuen gestürzt und die Sache für ihn erledigt. Allan sah nicht nur aus wie ein Engel.

Evellynn hatte mit verschränkten Armen daneben gestanden und zugesehen.

Richard begann, seinen Schreibtisch einzuräumen. Zum Schluss stellte er ein kleines Porträt seines Vaters darauf. Mit einer kurzen, zärtlichen Bewegung strichen seine Finger darüber.

„Dein Vater ist beim Militär?“, fragte Allan und sah sich das Bild genau an.

„Mein Vater ist gefallen, vor drei Monaten. Bei Waterloo.“

„Oh, entschuldige. Ich wollte nicht neugierig sein.“ Allan sah verlegen auf das Muster des Teppichs.

Richard ließ sich müde auf eines der drei Betten sinken.

„He, das dort drüben ist dein Bett“, schnauzte Evellynn und trat drohend an Richard heran.

„Verzeihung. Das wusste ich nicht.“ Richard ging zu seinem Bett, setzte sich darauf und sah stumm aus dem Fenster. Das konnte ja heiter werden! Noch nie war er sich so verloren, so einsam vorgekommen. Ein ganzes Jahr! Himmel, wie sollte er das aushalten. Aber so lagen die Dinge nun mal. Der verstorbene Herzog hätte von seinem Sohn mehr Mut erwartet. Beim Gedanken an seinen Vater schossen Richard Tränen in die Augen. Wieder war es Allan, der seine Trauer als erster bemerkte. Er setzte sich neben Richard und legte ihm tröstend den Arm um die Schultern:

„Mein Vater ist auch im Krieg gefallen, bei Talavera. Aber das ist schon Jahre her. Sei nicht traurig, Richard. Du wirst sehen, wir werden eine prima Zeit hier haben, wir drei, stimmt’s nicht, Evellynn?“

Allan hatte Mühe, zuversichtlich zu klingen, denn er war ein sehr mitfühlender Junge, dessen Herz leicht zu bewegen war.

Evellynn, an den die Frage gegangen war, trollte sich zu den beiden und setzte sich dazu.

„Na, komm schon, Herzog! Lass den Kopf nicht hängen. Das einzige, vor dem du dich in Acht nehmen musst, wohnt im Zimmer auf der anderen Seite. Moping, die Ratte. Wenn er dich bei der kleinsten Verfehlung erwischt, kannst du dich auf was gefasst machen. Also sei vorsichtig. Ich habe jede Woche zwei- oder dreimal das Vergnügen.“ Evellynn grinste dabei breit über das ganze Gesicht.

Richard fragte ziemlich verständnislos: „Und das nimmst du so leicht?“ In Eaton war Richard alles in allem zweimal bestraft worden! Richard schüttelte ungläubig den Kopf.

„Dreimal in der Woche! Ist er verrückt?“

Evellynn nickte und sein Lachen wurde noch breiter: „Ja, er ist verrückt. Nach Allan! Was würde er dafür geben, ihn in die Finger zu kriegen, aber da hat er Pech. Allan gehört mir.“

Eine breite, kräftige Hand wurde ausgestreckt, die Allan sofort ergriff und zärtlich drückte. Verlegenheit färbte Allans Wangen rosig, als er stumm mit dem Kopf nickte.

Richard wusste, woran er mit diesen beiden war. Er würde gut mit ihnen auskommen, solange er ihre enge Freundschaft respektierte. Das war in Eaton nicht anders gewesen. Nur hatte man nicht so offen darüber gesprochen. Aber ein langer, prüfender Blick auf Allan brachte Richard die Erklärung: Es war einfach unmöglich, ihn nicht zu lieben!

 

Ein lautes Poltern und Krachen aus dem Nebenraum unterbrach die Stille.

Etwas wurde gegen die Wand geworfen.

Evellynn und Allan sagten wie aus einem Mund:

„Wladimir!“

Dann stürzten sie wie auf Befehl aus dem Zimmer, Richard hinter sich her ziehend.

„Gibt es in Eaton Büffel?“, fragte Evellynn neugierig.

Auf Richards verständnislosen Blick hin lachte er:

„Na bitte, was wir alles in Barrowhill haben! Aber komm ihm nicht in die Quere, wenn er tobt. Dann geht ihm sogar Moping aus dem Weg.“

Vor der Tür des Nebenzimmers standen einige Schüler neugierig herum und kicherten. Alle aus der gleichen Klasse, alle im gleichen Alter. Sie wussten gar nicht, auf was sie ihre Aufmerksamkeit zuerst richten sollten: auf den „neuen Herzog“ oder das altbekannte, aber immer wieder interessante Schauspiel ihres tobenden Kameraden Wladimir Tatajew aus St. Petersburg.

Ohne überhaupt zu wissen, um was es ging, stürzte sich Evellynn mitten hinein ins Getümmel. Drei oder vier Jungen wälzten sich auf dem Boden, Arme, Beine, Fäuste flogen. Schmerzenslaute und Ächzen drangen aus dem wirren Knäuel.

„Danny, verflucht … halt doch seine Hände fest.“ Der so Angesprochene stöhnte aus dem Gewirr heraus: „Du hast leicht reden! Wo sind denn seine Hände?“

Evellynn bekam den blonden Schopf Wladimirs zu fassen. „Ich hab ihn. Danny, los schnapp dir seine Fäuste, sonst …“, aber da landete eben eine der gesuchten Fäuste in seinem Magen und der Satz blieb unvollendet. Benjamin, der zuunterst lag, war es gelungen, die langen Beine des jungen Russen zu packen. Danny schien nun doch erfolgreich an die Hände gekommen zu sein. Evellynn setzte sich mitten auf die schwer atmende Brust Wladimirs, lag halb auf ihm und blieb mit allen zehn Fingern in den flachsblonden Schopf gekrallt.

„Hör auf, Wladimir! Spinnst du? Du hetzt uns Moping auf den Hals.“

Wladimir hörte nicht zu. Wie ein Wahnsinniger versuchte er, Evellynn abzuschütteln. Allans Engelsgesicht tauchte über der Schulter des jungen Walisers auf. Augenblicklich ging ein frohes Lachen über Wladimirs Gesicht: „Oh, du bist auch hierrr, Ljubov? Was schaut ihr so? He, lass Beine, Benjamin. Ich will stehen auf.“

Etwas außer Puste und verschrammt ließen die Jungen Wladimir langsam los. Immer bereit, sofort wieder auf ihn loszustürmen. Wladimir schüttelte sich und fuhr sich mit einer Hand durch die verwuschelten Haare.

„Was tust du mit meinem Kopf, Evellynn?“, fragte er freundlich.

„Na, du bist gut.“ Evellynn zupfte sein Hemd zurecht.

„Schau, was du angerichtet hast, du Esel. Der Stuhl ist kaputt. Und die Wand erst. Gleich haben wir Moping auf dem Hals.“

Wladimir zuckte hilflos mit den Schultern. „Kann ich nix dafir. Hat Danny angefangen. Hat er gesagt, bin ich dummer Ochse.“ Wladimir war aufgestanden und gab Richard den Blick frei auf 185 Zentimeter makellose Männergestalt.

Danny schnaubte empört. „Jeder weiß, dass du ein Ochse bist.“

Wladimir riss mit Unschuldsmiene die blauen Augen auf. „Aber bin ich nicht dumm! Das ist Lüge. Hab ich dir gesagt.“

Allan zog Richard am Ärmel zu Wladimir. „Das ist unser Neuer, Wladimir. Ein echter Herzog.“

Richard streckte die Hand etwas zögernd aus. „Richard, erfreut, dich kennenzulernen.“

Der junge Russe lächelte fröhlich und unbefangen. Es war unmöglich, ihn nicht auf der Stelle sympathisch zu finden. Wladimir schüttelte die dargebotene Hand herzhaft. „Hab’ schon gehört. Bist aus vornehm Familie. Ich nicht. Vater ist Händler. Nicht vornehm, aber sehrrr reich.“ Wladimir zeigte beim Lachen ein wahres Tigergebiss.

„Richard ist in Ordnung“, verteidigte Allan seinen neuen Freund, als sei dessen hoher Adel ein unverzeihlicher Makel.

Wladimir legte eine seiner Pranken sanft auf Richards Gesicht. „Bist schöner Junge. Musst du aufpassen bei Moping. Ljubov, hast du ihn gewarnt?“

Evellynn antwortete stattdessen: „Ich denke, er ist vor Moping sicher. Der traut sich an keinen Herzog, die miese Ratte. Oh Gott, da kommt er ja schon.“

Master Moping trat entrüstet und mit entsetztem Händeringen in das verwüstete Zimmer. „Was ist hier los gewesen? Wird’s bald? Antwort! Wer nichts mit der Sache zu tun hat, soll gefälligst verschwinden.“ Die Menge zerstreute sich eiligst.

„War ich“, sagte Wladimir selbstsicher.

Moping sah sich zur Stellungnahme gezwungen, obwohl er mit dem jungen Russen gerne jeden Kontakt vermied. „Master Tatajew, schon wieder Ihr. Ein Stuhl zertrümmert und die Wand …! Ich werde Euch zur Bestrafung eintragen müssen. Wer war noch dabei?“

Danny und Benjamin schwiegen. Allans dunkle Augen weiteten sich vor Angst, als Moping ihn mit seinem stechenden Blick ansah. „Ihr, Master Baker? Sehr enttäuschend!“ Moping hüstelte und öffnete ein kleines schwarzes Büchlein, das er stets bei sich trug, um etwas hinein zu schreiben.

„Ersetze blöden Stuhl“, sagte Wladimir verächtlich.

Moping, der Blut geleckt hatte, ließ so leicht nicht locker.

„Das werdet Ihr sowieso müssen, Master Tatajew. Dennoch sind tätliche Auseinandersetzungen unter den Schülern strengstens verboten. Das ist Euch jedenfalls bekannt. Ihr werdet um eine Bestrafung nicht herum kommen, Master.“ Moping versuchte, möglichst streng aufzutreten und sich eine gewisse Autorität zu verschaffen, was außerordentlich lächerlich wirkte.

Aber Wladimir trat völlig unbeeindruckt zu ihm heran und knurrte ihm aus imposanter Höhe ins Gesicht: „Wenn du mich nur mit Fingerspitze anrührst, ich breche dir Genick.“

Moping ließ vor Schreck fast sein Büchlein fallen. „Das ist ja … das ist ja ungeheuerlich! Das soll Direktor Stirling erfahren. Der wird Euch schon Bescheid geben! Auf mein Wort. So etwas ist mir noch nicht passiert.“ Vor Entrüstung zitternd, drehte er sich zu den anderen. Sein Ansehen stand auf dem Spiel: „Wer außer Master Allan war noch in die Rauferei verwickelt?“

Richard sah, wie Allan nach der Hand von Evellynn tastete und sie voller Angst zu quetschen begann.

„Verzeihung, Master Moping, dies war wohl ein Missverständnis, für das ich die Verantwortung trage.“ Richard deutete eine Verbeugung vor Moping an und fuhr erklärend fort: „Master Tatajew war am Schreibtisch eingeschlafen, und ich klopfte ihm unüberlegt auf die Schulter, um mich ihm vorzustellen. Da erschrak er, als er einen völlig Fremden in seinem Zimmer sah. Er musste mich für einen Eindringling halten. Na ja, man muss schließlich auch die Sitten bedenken, die in Russland herrschen, Master Moping. Sicherlich unterscheiden sie sich wesentlich von denen in unserem kultivierten England. Die jungen Herren waren so freundlich, zu meiner Verteidigung herbeizueilen.“ Dabei zeigte Richard auf die zerbeulten Anwesenden.

Wladimir grinste. Als würde er vor einem Eindringling erschrecken!

Moping fühlte sich in seiner Eigenschaft als Kapitän ernst genommen und geschmeichelt.

„Nun ja, Eure Lordschaft, das ist natürlich etwas anderes. Aber die Frechheit dieses … dieses Lümmels muss ich trotzdem melden. Unerhört. Und Master Baker war nicht an dem Überfall beteiligt?“ Moping sah bedauernd auf das verängstigte Engelsgesicht. Zu schade!

„Oh Gott, nein. Master Baker betrat erst kurz vor Euch das Zimmer.“ Richard machte eine kleine, höfliche Verbeugung.

„Na gut. Bis heute Abend ist das hier wieder in Ordnung gebracht.“ Damit hob Moping die Nase in die Luft und verschwand hinter seiner Zimmertür.

Evellynn, der Waliser, schlug Richard freundschaftlich auf die Schulter: „Hast du gut gemacht, Richard. Scheinst gar nicht so übel zu sein … für einen Engländer.“

 

Die Zeit verging schnell und bald rief die Kapellenglocke zur 6 Uhr-Andacht. Alle Schüler von Barrowhill strömten zu dem kleinen grauen Steinhaus mit dem spitzen Glockenturm. Nur Allan und Wladimir, die einzigen Katholiken, waren von der Andacht in der anglikanischen Kirche befreit, ebenso vom Religionsunterricht. Die Plätze waren festgelegt. Die Abschlussklasse des Hauses Nr. 6 hatte die vordersten Plätze, die Jüngsten, Haus Nr. 1, mussten ganz hinten sitzen. Wieder versuchte Moping sich hervorzutun, indem er ein besonders andächtiges Gesicht machte, was ziemlich witzig aussah. Mehrfach seufzte er vor lauter Andächtigkeit. Von den hinteren Plätzen wurde dieses Verhalten mit Kichern quittiert.

Nach der Andacht, um sieben Uhr, versammelte man sich in der großen Halle zum gemeinsamen Abendessen. Jedes Haus hatte eine eigene lange Tafel, die weiß gedeckt war und von einem Hausmädchen bedient wurde, das, mit weißem Häubchen und Schürze ausgestattet, schnell und gekonnt das Essen servierte. Wasserkrüge auf dem Tisch, Brotkörbe und rotwangige Äpfel als Nachspeise vervollständigten das Essen. Direktor Stirling sprach laut das Tischgebet. Dann fügte er in Richtung Tisch Nr. 6 hinzu: „Master Tatajew, Ihr meldet Euch nach dem Dinner in meinem Arbeitszimmer.“ Dann nahm er im Nebenzimmer mit den anderen Lehrern Platz. Jeder der Anwesenden wusste, was diese Art der Einladung bedeutete. Moping grinste schadenfroh, ging aber gleich wieder zu seiner scheinheiligen Miene über.

Richard saß neben Danny. Der dicke Junge fragte seinen neuen Nachbarn: „Wie sieht’s bei dir aus mit Latein? Oder Griechisch?“

Richard nickte: „Gut sieht’s aus. Mit Mathematik steh ich allerdings auf dem Kriegsfuß.“

Wladimir, der in der Nähe saß, sagte mit tiefer Stimme: „Wenn du willst, ich kann helfen. Mathematik ist Lieblingsfach von mir.“

„Gentlemen, bitte nicht ganz so laut! Wir sind hier nicht auf dem Wochenmarkt von Fishgard“, näselte Moping.

Evellynn wollte wie von der Tarantel gestochen aufspringen, aber Allan hielt ihn krampfhaft am Arm fest. „Lass dich nicht provozieren. Achte nicht auf ihn, querido. Du weißt, was er will.“ Man hörte den jungen Waliser mit den Zähnen knirschen. Richard, der keine Ahnung hatte, fragte leise Danny.

„Ach, Evee und Allan sind aus Fishgard. Die Ratte weiß das. Der hat immer was zu meckern.“

„Wenn ihr beide aus Fishgard stammt, dann seid ihr womöglich Nachbarn, zu Hause?“

Allan und Evellynn sahen sich an und fingen beide zu kichern an. „Mensch, Richard“, Evellynn hätte sich fast verschluckt, „wir wohnen zusammen. Unsere Väter waren die besten Freunde. Als Mr. Baker in Spanien fiel, hat mein Vater Mrs. Baker und Allan gebeten, zu uns zu ziehen. Du musst wissen, dass sie Spanierin ist und eine ganze Menge toller Sachen kann: Sie spielt Klavier und Gitarre, kann wundervoll sticken und all so einen Weiberkram. Sie ist als Gesellschafterin für meine Mutter und meine Schwestern bei uns. In Fishgard gibt es die Werft und Schifffahrtslinie meiner Familie, aber dann ist auch schon Ende. Ziemlich langweiliger Ort. Meine Mutter ist sehr froh um ihre Gesellschaft.“

Allan fügte leise hinzu: „Eigentlich bin ich nur mitgeschickt worden, weil Evellynns Mutter Angst hatte, er würde Heimweh bekommen, so weit weg von zu Hause. Aber in Wahrheit ist es umgekehrt: Evellynn musste immer mich trösten. Er ist viel mutiger als ich. Stimmt’s, querido?“

Allans Madonnengesicht wurde noch sanfter, als er Evellynn zärtlich ansah. Der junge Waliser, sonst eher ruppig, warf einen kurzen Blick auf Allan, der fast eine Liebkosung war. Unter dem Tisch fasste er nach der schmalen Hand, die schon ungeduldig wartete.

„Allan, kann ich haben dein Rindfleisch? Ich dir geben dafür Gemise.“

Wladimir wartete einen günstigen Augenblick ab und der Tausch ging von Moping unbemerkt vonstatten.

Evellynn brummte: „Der alte John wird dich heute Abend schön in die Mangel nehmen, Wladimir. Vielleicht kannst du ihn herumkriegen. Manchmal lässt er mit sich reden. Ist gar nicht so übel, unser Stirling.“

Der junge Russe zuckte mit den Schultern und sagte etwas auf Russisch, was natürlich keiner verstand.

Nach dem Abendessen trollten sich die meisten Schüler in ihre Häuser, jeder in sein Zimmer. Auf manche warteten noch die Hausaufgaben, andere besuchten die Bibliothek im Haupthaus. Wladimir ging zum Arbeitszimmer von Direktor Stirling. Die dunkle Eichentür war nur angelehnt. Trotzdem klopfte Wladimir höflich an, bevor er eintrat. Stirling saß hinter seinem schweren Schreibtisch, tief über einige Papiere gebeugt, die sich darauf türmten. Die Petroleumlampe erhellte das Zimmer nicht wirklich. Es blieb dunkel und düster. Stirling sah auf. „Ach, Master Tatajew. Schließt die Tür!“

Wladimir gehorchte. Dann blieb er vor dem Schreibtisch stehen, die Hände im Rücken übereinander gelegt. Die semmelblonden Haare wurden im Nacken von einem Samtband gehalten, eine stattliche Gestalt mit sympathischem Lächeln, offen und ohne Falsch. Genauso musste es auch der alte Stirling empfinden, denn er lehnte sich bequem in seinem Ledersessel zurück und schüttelte bedauernd den Kopf.

„Master Tatajew, ist es nötig, dass Ihr mir zur Bestrafung überstellt werdet? In Eurem Alter? Was habt Ihr Euch bei der Sache gedacht? Ihr hättet klüger sein sollen. Sprecht, wie kam es zu diesen unbedachten Worten?“

Wladimir war durchaus nicht eingeschüchtert wie manch anderer seiner Mitschüler, wenn er dem Direktor Rede und Antwort stehen musste. Vielmehr lächelte er offen und erklärte: „Sir, habe ich nur versucht, Moping klar zu machen, dass ich nicht lasse mich bestrafen von ihm.“

Stirling legte die Stirn in Falten und antwortete: „Er hat das Recht dazu. Und das habt Ihr zu respektieren, Master. Ist das klar?“

Streng und unerbittlich zog Stirling die dichten Augenbrauen zusammen. Was bildete sich der Junge ein? Sonst hatte er doch keine Schwierigkeiten gemacht. Sein Vater zahlte immerhin einen gehörigen Batzen Geld, damit aus seinem Sohn ein tadelloser Gentleman wurde.

„Darf ich sprechen offen, Sir?“ Wladimir war die Ruhe selbst.

„Es gibt nichts weiter zu reden, Master. Ich werde die Bestrafung heute übernehmen. Ich werde sie wegen Eurer Frechheit verdoppeln. Aber nächstes Mal wünsche ich, nicht mit Euren Eigenmächtigkeiten behelligt zu werden. Ihr werdet Euch in die Ordnung dieses Hauses einfügen, ohne Widerrede.“

Wladimir schwieg. Er kannte die Prozedur von anderen Sitzungen im Arbeitszimmer. Der Direktor öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und nahm einen langen, biegsamen Stock heraus.

„Verflucht, Wladimir. Ihr seid fast ein Mann. Zu welchen unwürdigen Maßnahmen zwingt Ihr mich.“ Direktor Stirling war wütend. Er mochte den sympathischen Jungen. Wladimir schwieg noch immer.

„Zieht Eure Jacke aus und beugt Euch über den Schreibtisch. Ihr werdet die Hosen anbehalten. Diese Erniedrigung kann ich Euch wenigstens ersparen.“ Direktor Stirling war kein gewalttätiger Mann. Es tat ihm jedes Mal in der Seele weh, wenn er eine Bestrafung durchführen musste. Er vertraute darauf, dass es andere Möglichkeiten der Disziplinierung gab als Schläge. Er war erst wenige Jahre über vierzig, trotzdem waren seine Haare grau. Eines Tages hatte er seinen Schnurrbart abrasiert, nachdem er sich im Spiegel betrachtet hatte.

„Zu viel Frost im Gesicht“, hatte er gedacht.

„Ihr erhaltet von mir zwölf Schläge. Ich mache eine Pause nach den ersten sechs. Seid Ihr bereit?“

„Ja, Sir.“

Und schon sauste der Stock auf Wladimirs emporgerecktes Hinterteil. Stirling schlug schnell und hart zu. Er durfte keine Ausnahme erlauben. Er schlug kreuz und quer, nicht wie manche Lehrer, die nach einem bestimmten Muster handelten und aus der ganzen Aktion eine Liebhaberei machten. Stirling empfand keine Genugtuung bei der Sache. Nach sechs Schlägen hörte er auf. Moping war auch ihm nicht sehr sympathisch.

„Master Wladimir, steht auf. Wenn Ihr mir jetzt versprecht, Mopings Autorität anzuerkennen und Euch bei ihm zu entschuldigen, erlasse ich Euch den Rest.“

Der junge Russe richtete sich wieder zu imposanter Größe auf. Das Lächeln hatte sein Gesicht nicht verlassen. „Bitte, Sir, darf ich jetzt sprechen?“

John Stirling stöhnte gequält. Ausdauer hatte der Junge! „Also, dann gut. Was gibt es, was ich wissen sollte?“

Wladimir begann ruhig und freundlich, als hätte er nicht eben sechs dicke dunkelrote Striemen auf sein Hinterteil erhalten: „Sir, die letzten Jahre, als Lawrence und Jackson hatten Strafgewalt, alles warrr in Ordnung. Aber Moping … Sir, lieber doppelte Strafe von Euch als nur einmal Berührung von ihm.“

Stirling zog zornig die Augenbrauen zusammen: „Ich werde es nicht dulden, dass Ihr meine Anordnungen nicht befolgt, Wladimir. Wenn Ihr weiterhin starrköpfig bleibt, muss ich Euch von der Schule verweisen. Und das täte mir leid.“ Man kannte Stirling als beherrschten und geduldigen Lehrer. Doch jetzt blitzten seine Augen vor Zorn. Wladimir wurde blass.

„Bitte, Sir, nicht von der Schule werfen. Ist letztes Jahr. Dann nach London oder vielleicht auch zurück nach Russland, weiß nicht. Ihr seid kluger und gerechter Mann, Sir. In diesen Jahren, Ihr wart mir wie Vater. Nicht wegschicken, bitte.“ Zum ersten Mal, seit Wladimir an der Schule war, sah Stirling ihn verzweifelt.

„So weit muss es nicht kommen, Master Tatajew. Versprecht mir, meinen Wunsch zu respektieren.“ Stirling streckte die Hand aus, um durch Händedruck das Versprechen zu besiegeln. Wladimir ergriff die dargebotene Hand und schluckte trocken. Er hielt sie, als wollte er sie nie mehr loslassen.

„Sir, ich … ich weiß, dass bin ungehorsam. Aber ich muss etwas sagen, Sir, muss! Ich … nicht will Euch zornig machen. Ihr immer gerecht und gut zu mir. In meiner Seele … lebt nur John Stirling.“ Damit kniete der Junge nieder und küsste die Hand, die er immer noch nicht losgelassen hatte, voller Leidenschaft. Der alte Stirling, der so alt gar nicht war, sah entsetzt auf den gesenkten Kopf seines Schülers.

„Was … seid Ihr wahnsinnig geworden? Was sagt Ihr da?“ Ein Gefühl von Panik ließ das Blut in den Adern des Direktors gefrieren. Wladimir sah zu ihm auf, klammerte sich aber immer noch an die Hand. „Ich schwöre bei Gott, ist alles wahr.“ Und er zeichnete zur Bestätigung seiner Worte ein Kreuz über seiner linken Brust.

„Nur noch ein Jahr, dann gehen weg … vielleicht für immer. In meinem Herzen, nur mein Lehrer.“ Und wieder küsste er die Hand.

Stirling stammelte verwirrt: „Das sind Hirngespinste, sonst nichts. Steht auf, sofort. Was erlaubt Ihr Euch, Tatajew! Das sind nur wirre Jungenfantasien. Falsch empfundene Verehrung für einen alten Lehrer. Vergesst das, so schnell Ihr könnt.“

Wladimir hatte sich erhoben und stand nun dicht vor Stirling. Er schüttelte lächelnd den blonden Schopf. „Nicht Jungenfantasie, Sir. Ich bin Mann, nicht Kind. Ich erkenne großes Herz, wenn ich stehe davor.“ Wladimir hob die breite, kräftige Hand, um dem überrumpelten Stirling zärtlich über die Wange zu fahren, doch hielt er in der Bewegung inne. Zu groß war der Respekt für diesen Mann.

„Wladimir, seid Ihr des Teufels? Ihr seid mein Schüler und meiner Obhut anvertraut. Wenn Euer Vater von Eurer Neigung erfährt … weiß sonst noch jemand davon?“ Wladimir schüttelte den Kopf. „Niemand. Nur ich. Trage schon lange Liebe für Euch in Seele. Schon sehr lange.“

Stirling, der Wladimir immer wegen seiner ehrlichen Art gern gehabt hatte, fragte sich gerade in diesem Augenblick, ob ihn dieser offene Blick nicht doch mitten ins Herz traf … Nein, nicht daran denken. Das war unmöglich. Man hatte ihm den Jungen anvertraut. Er konnte dieses Vertrauen nicht missbrauchen.

„Schluss jetzt, Tatajew. Kein Wort mehr. Ich will vergessen, was Ihr soeben gesagt habt. Es war unüberlegt und dumm. Wir fahren jetzt mit der Bestrafung fort. Über den Schreibtisch!“, befahl Stirling mit strenger Miene und schneidender Stimme. Wladimir gehorchte ohne Widerworte. Die folgenden sechs Hiebe wurden aus Leibeskräften verabreicht. Stirling wollte die Schwärmerei seines Schülers abkühlen. Wladimir steckte auch diese sechs ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Und jetzt versprecht mir, Mopings Anordnungen zu befolgen, Tatajew, sonst können wir nicht Freunde bleiben.“

Wladimir hatte sich aufgerichtet und sah direkt in Stirlings Augen.

„Werde ich alles versprechen, was Ihr wollt, Sir. Aber kann ich nicht halten. Kann nicht.“

„Dann werde ich jede Strafe, die Moping Euch auferlegt und die Ihr von ihm verweigert, verdoppeln. Und keinen Stock mehr, sondern die Reitpeitsche!“ Stirling dachte, seinen Schüler damit zu ängstigen. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Wladimir zeigte sein fröhlichstes Lachen. „Danke, Sir. Vielen Dank. Tut wie Ihr wollt mit Wladimir. Kann ich Herz nicht befehlen. Habt Ihr für mich nichts, hier drinnen?“ Damit legte Wladimir ganz sachte seine flache Hand auf die linke Brust des Direktors.

Stirling schluckte. Der Junge war erst sechzehn Jahre alt, aber keineswegs mehr ein Kind. Das wusste Stirling. Die männlich herben Züge Wladimirs leuchteten vor Hingabe und Zuneigung. Es war schwer, dieser tiefen Verehrung nicht zum Opfer zu fallen.

„Geht jetzt, Master Tatajew. Geht und legt Euch schlafen. Und morgen, nach dem Dinner, kommt nochmals in mein Arbeitszimmer, um Euch bei mir für Euer unmögliches Benehmen zu entschuldigen.“

Stirlings Augen streiften die eng anliegenden Hosen des jungen Russen. Hart und prall zeichnete sich dort seine Männlichkeit ab. Deutlich sichtbar trat sein hartes Glied hervor.

Wladimir verneigte sich fröhlich: „Werde ich kommen, Sir. Gerne. Sehr gerne. Vielen Dank.“ Wieder küsste er Stirlings Hand. Dann schloss er leise die Tür des Arbeitszimmers.

 

Wladimir ging erst langsam die dunklen Korridore entlang, dann immer schneller. Schließlich verließ er das Hauptgebäude und rannte, so schnell er nur konnte, durch die Dunkelheit zum Haus Nr. 6. Dort stürmte er im Drei-Stufen-Schritt die Treppen hinauf. Völlig außer Atem riss er die Tür zu seinem Zimmer auf und fegte wie ein Sturmwind hinein. Schwer atmend und schweißgebadet warf er sich auf sein Bett, das gerötete Gesicht in den Kissen begraben, und rührte sich nicht. Das Bett quietschte unter seinem Gewicht. Danny und Benjamin, die ihre griechischen Vokabeln wiederholten, sahen sich erschrocken an. Danny fand als erster die Sprache wieder: „Ich hole Evee.“ Dann war er auch schon verschwunden. Wladimir rührte sich immer noch nicht.

Allan und Evellynn kamen nach wenigen Augenblicken, um dem Delinquenten hilfreich zur Seite zu stehen. Allan, einen gewaltigen Topf mit Heilsalbe in der Hand, setzte sich neben Wladimir, der sich nicht muckste. Tröstend streichelte er über das flachsblonde Haar und sagte leise: „War es so schlimm? Das hätte ich dem alten John nicht zugetraut, Wladimir. Zieh dich aus! Ich habe eine prima Salbe, wirst sehen. Morgen spürst du nicht mehr viel.“

Wladimir fragte aus den Kissen heraus: „Evee? Bist du da?“

Allan ohne Evellynn war nicht vorstellbar. Der junge Waliser trat ans Bett.

Wladimir flüsterte ihm mit heiserer Stimme zu: „Evee, bringe Allan von hier weg. Ich kann nicht garantieren. Für nix. Ist nicht für Kind.“

Evellynn nickte, nahm Allan den Salbentopf weg und drückte ihn Danny in die Hand. „Gib ihm ein Taschentuch, Danny.“ Dann verließ er mit Allan das Zimmer.

Danny schob ein frisches Taschentuch unter Wladimirs Kopfkissen.

Der mollige Junge hörte, wie Wladimir stoßweise atmete. Langsam richtete sich der junge Russe auf. Dann öffnete er die Knöpfe an seiner Hose. Schuhe, Strümpfe, Hose, alles wurde hastig herab gerissen. Danny machte große Augen, als er die dicken, dunkelroten Striemen auf dem kräftigen Gesäß des jungen Russen sah.

„Donnerwetter, der hatte es aber auf dich abgesehen. Leg dich hin, ich tu dir Salbe drauf.“

Wladimir winkte ab und sagte: „Ist nicht wichtig. Lass, Danny. Willst du mir tun Gefallen?“ Wladimirs Stimme hörte sich träge und verträumt an. Danny, der mit Kennerblick das erregte Glied betrachtete, nickte verständnisvoll. „Klar doch. Wie möchtest du’s denn?“

Wladimir lächelte mit geschlossenen Augen. „Du weißt. Du weißt genau.“

Danny löschte die Lampe und jetzt erhellte nur noch der spärliche Mondschein den Raum.

„Benny, machst du mit?“ Benjamin brauchte keine zweite Aufforderung. Schnell hatten die beiden Freunde ihre Kleider mit fliegenden Händen abgestreift. Sie teilten ihre Leidenschaft oft miteinander. Groß und imponierend stand Wladimir unterdessen in der Mitte des Raumes und wartete. Benjamin und Danny wussten, dass seine Kraft für beide reichte. Als Danny nackt war, begann er mit geschickten Fingern an den bereits harten Brustwarzen des Russen zu zupfen. Der ließ den Kopf stöhnend in den Nacken fallen und spreizte die langen Beine, um sicherer zu stehen. Es ging wirr durcheinander in seinen Gedanken. Danny fischte nach dem Taschentuch und band es um den heißen, wippenden Kopf des harten Gliedes. Bei Wladimir musste man mit Überraschungen rechnen. Dann begann Danny, die Brustwarzen und ihre dunklen Höfe mit den Zähnen zu bearbeiten. Er knabberte und biss, saugte und leckte.

„Mehr, Danny, stärker“, bat Wladimir. Er konnte allerhand vertragen. Wladimir umarmte Danny zärtlich und neigte den Kopf nach unten. Mit der Hand fasste er das Kinn des Jungen und zwang es mit sanftem Druck zu sich hinauf. Danny ließ sich in einen leidenschaftlichen Kuss ziehen, der ewig anzudauern schien. Wladimirs Zunge war unermüdlich und seine Arme umschlangen Danny voller Kraft.

In der Zwischenzeit war Benjamin nicht untätig geblieben. Mit sanften Bewegungen der Fingerspitzen erforschte er die dick geschwollenen Striemen auf dem runden Gesäß.

„Tut das weh?“, fragte er mitfühlend. Wladimir unterbrach seinen Kuss und lachte heiser: „Nein, vergiss das. Auf Bett steht Salbentopf.“ Und er küsste wieder die weichen Lippen von Danny.

Benjamin kniete hinter Wladimir auf dem Boden und schob dessen Beine noch weiter auseinander. Dann drückte er gegen den Rücken seines Freundes, damit sich dieser ein klein wenig nach vorne beugte. Als Benjamin die beiden runden Backen auseinander zog, ging ein Zittern durch Wladimir. Eine heiße Welle stürmte durch seinen ganzen Körper und er drückte Danny noch leidenschaftlicher in seine Arme. Die Schultern und das Gesicht des rundlichen Jungen waren so weich, die Haut war so zart und duftend. Wladimir schnupperte. Rosenwasser! Danny brachte es aus den Ferien immer von zu Hause mit.

Gleichzeitig bohrte Benjamin seine Zungenspitze in die enge, kleine Öffnung zwischen den Gesäßbacken. Wladimir stöhnte laut. Benjamin zog die beiden runden Hügel jetzt weit auseinander, damit er sein Ziel besser erreichen konnte. Gleichzeitig wand sich Danny vorne aus den starken Armen seines Freundes. Auch er kniete nieder und kratzte zart mit den Nägeln aller zehn Finger über die empfindlichen Leisten. Wladimir griff in die Locken des rothaarigen Danny und schob dessen Gesicht in die Nähe seines gierigen Gliedes.

„Danny, bitte. Ich kann nicht mehrrr lange.“ Wladimir ballte seine Hände zu Fäusten und stöhnte. „John“, schoss es ihm durch den Kopf, „wenn das jetzt John wäre!“

Benjamin hatte inzwischen seine Finger mit Salbe bedeckt. Einen zwängte er in die enge Öffnung des jungen Russen. Der Muskelkreis widersetzte sich dem eindringenden Finger. Benjamin kannte das. Er durfte bei Wladimir ruhig etwas ruppiger sein. Wladimir hatte ihm selbst einmal erzählt, dass er es liebte, kraftvolle und rücksichtslose Behandlung zu ertragen. Also steckte er auch gleich den zweiten Finger mit hinein. Er schob und drückte. Wladimir hatte begonnen, seinen Unterleib stoßend zu bewegen, denn Danny kraulte jetzt den prallen Hodensack, den er kaum mit einer Hand umspannen konnte. Mit der zweiten Hand hatte er den Schaft des Gliedes fest gepackt und schob ein bisschen auf und ab. Das Taschentuch war immer noch an Ort und Stelle.

„Ist es so gut, Wladimir?“, wollte Danny wissen. Er würde sein Bestes tun, um seinem Freund einige angenehme Momente zu bereiten. Der tat für ihn ja dasselbe.

„Ja, Danny, gut. Sehrrr gut. Ahhh, du bist wie Mädchen, so sanft und weich.“

Das konnte man von Benjamin nicht gerade behaupten. Seine schlüpfrigen Finger drehten und wanden sich in dem engen Gang. Immer schneller stieß Benjamin hinein und zog sie wieder heraus. Und dabei stieß er ganz tief hinein und drehte. Dann folgte ein dritter Finger. Wladimirs Rosette war mittlerweile so gereizt und gedehnt, dass auch dieser Finger eingelassen wurde. Die Spannung in dem engen Muskelkreis wurde immer größer. Die Reibung immer stärker. Wladimir sah sich von zwei Seiten gleichzeitig liebkost. Vier Hände rieben, zogen, streichelten. Seine Lenden begannen unkontrolliert zu beben. Die Knie wurden weich. Dann murmelte Wladimir einige russische Worte, undeutlich und heiser. Ein Zittern ging durch den ganzen athletischen Körper. Wladimir wurde empor gerissen von immer neuen Wogen, die über ihn hereinbrachen. Seine Gelenke wurden gedehnt, seine Muskeln zogen sich zusammen und streckten sich wieder, zogen sich erneut zusammen …! Danny, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, wurde in einer mächtigen Umarmung fast zerquetscht. Keuchend und mit bebenden Gliedern warf sich Wladimir umnebelt und stöhnend auf das Bett. Dabei riss er Danny in seinen Armen mit. Benjamin sprang aus Sympathie mit dazu.

Danny schimpfte: „Na, hört mal! Das Bett kracht gleich. Steh sofort auf, Benny. Seid ihr beide verrückt? Doch nicht alle auf mich drauf! Komm, hilf mir mal.“

Benjamin befreite Danny aus der Umarmung. Wladimir war immer noch mitten im Genuss. Eine kurze Zeit der Erholung gönnten die beiden Jungen ihrem Freund. In der Zwischenzeit legten sie ihre unordentlich umherliegenden Kleider für den morgigen Tag mit größter Sorgfalt zusammen. Es war nicht auszuschließen, dass Moping nach dem „Gute-Nacht-Läuten“ unvorhergesehen auftauchte und kontrollierte. Immer in der Hoffnung, ein Opfer für seinen Stock zu finden.

Als dem Ordnungssinn genüge getan war, tippte Danny dem wie schlafend daliegenden Wladimir auf die nackte Schulter. „He, alles in Ordnung? Können wir weitermachen?“

Wladimir dehnte und reckte sich, als wäre er schläfrig. Ein grässliches Gähnen war zu hören. „Weiter machen? Ich glaube, schlafen jetzt. Bin todmüde.“

Enttäuscht sahen Danny und Benjamin einander im Halbdunkeln an. „Na gut, wenn das so ist, dann …“

Aber schon war Wladimir aufgesprungen, hatte die beiden mit kräftigen Armen gepackt und riss sie lachend zu sich auf’s Bett. „Glaubst du im Ernst, dass Wladimir Tatajew ist müde nach kurze Spiel? Hmmm, Danny, du Duft wie kleine Rose. Wie erste Frau, die ich habe geküsst.“

Benjamin war fassungslos. „Du hast schon mal ein Mädchen geküsst? Du hast ja gar nichts erzählt. Wer war das, sag doch!“

Wissbegierig lagen die beiden Jungen in Wladimirs mächtiger Umarmung. Der junge Russe erinnerte sich: „War dreizehnter Geburtstag. Noch in St. Petersburg. Vater hat mir genommen mit in Bordell. Dort Hure gekauft. Hübsch, wirklich. Hat geduftet wie Danny. War lustiger Tag.“

Danny wollte es gar nicht passen, dass er wie eine Petersburger Dirne duften sollte.

„Ach, was du erzählst. Mit dreizehn. Da lach ich ja.“

Aber Wladimir erklärte völlig ernsthaft: „Warum? Mein Vater ist auch mit dreizehn erste Mal in Bordell. In Russland nix Besonderes. Aber lass mich jetzt in Ruhe mit das. Habe andere Sachen zu tun mit Mund als reden.“

 

Im Nachbarzimmer ging es weitaus gesitteter zu. Richard stöberte in den Schulbüchern seiner neuen Mitschüler. Er konnte beruhigt aufatmen. Hatte er in Eaton zu den Mittelmäßigen gehört, so würde er mit dem Lehrstoff in Barrowhill keine Probleme haben. Das Niveau war durchweg niedriger. Evellynn machte noch Mathematikaufgaben, während Allan seine Nase tief in eine Hand voll eng beschriebener Blätter vergraben hatte. Plötzlich seufzte er laut: „Ich kann mir das nicht merken, Evee. Du wirst sehen, ich vergesse meinen Text mitten in der Aufführung.“

Der Waliser schaute von seinen Aufgaben auf und erklärte rundweg: „Ach was. Mach dich nicht jetzt schon verrückt. Die Aufführung ist doch erst zu Weihnachten. Du hast noch mindestens vier Monate Zeit, um den Text auswendig zu lernen.“

Richard fragte interessiert: „Eine Schulaufführung? Darf ich fragen, welches Stück?“

Evellynn platzte lautstark heraus: „Der gute, alte Shakespeare: Romeo und Julia. Aber zum Glück nur ein Akt, nicht das ganze Stück. Sonst schafft der Schulchor sein Madrigal nicht.“

„Welche Rolle hast du, Allan?“

Der Junge wurde plötzlich puterrot, von einem Ohr bis zum anderen. Evellynn verzog seine schönen, sinnlichen Lippen zu einem hämischen Grinsen und seine grünen Augen glitzerten vergnügt: „Na, was glaubst du wohl? Er ist natürlich die Julia. Keiner hat so ein hübsches Gesicht wie er.“

Allan wollte lieber nicht weiter über dieses Thema diskutieren und begann, sich für die Nacht zu richten. Er zog sich ganz aus, goss Wasser aus dem bauchigen Krug in die Schüssel und begann sich zu waschen. Dafür benutzte er einen kleinen Lappen, den er immer wieder mit Wasser und Seife bearbeitete. Schließlich schlüpfte er in sein weißes, langes Nachthemd. Mit einer dicken Bürste strich er sich mehrfach durch die rabenschwarzen Haare, die, jetzt ohne Samtband, frei über die Schultern fielen. Richard sah ihm fasziniert zu.

„Du siehst aus wie ein Engel, Allan“, erklärte er neidlos und voller Bewunderung. „Kein Wunder, dass du die Julia spielen sollst. In Eaton führen sie diese Weihnachten Hamlet auf.“

„Vermisst du deine Freunde, Richard?“, fragte Allan, der es sich schon im Bett bequem gemacht hatte.

Richard seufzte:

„Eigentlich nur einen. Ich kenne ihn schon von Kindesbeinen an. Der Besitz seiner Familie ist gleich neben Billingham Hall. Wir sind Nachbarn, sozusagen.“ Richard dachte wehmütig an Gabriel Wrotham, dessen Vater, der Lord von Sotherland, ein gern gesehener Gast auf Billingham Hall war.

Eine Klingel schrillte durch’s Haus.

„Schlafenszeit“, erklärte Evellynn. „In zehn Minuten klingelt es noch mal, dann müssen alle Lichter gelöscht werden. Manchmal zeigt Moping, die Ratte, ihre hässliche Nase hier drin, um zu kontrollieren, ob wir schlafen und die Kleider ordentlich hingelegt haben. Richte dich danach. Morgen ist Waschtag. Also, wirf deine schmutzige Wäsche in den Korb dort unter dem Tisch. Der wird morgen Vormittag vom alten Chandler abgeholt. Er bringt sie uns dann zwei Tage später wieder aufs Zimmer. Allan, hast du deine Wäsche in den Korb getan?“

Allan verdrehte die Augen und seufzte: „Mach ich morgen Früh. Ich hab keine Lust, jetzt noch mal aufzustehen.“

„Vergiss es nicht!“, warnte Evellynn streng.

Als die Klingel ein zweites Mal schrillte, lagen alle drei ordentlich und sauber in ihren Betten. Richard hatte die Kerze gelöscht, die auf seinem Nachttischchen stand. Dann war er mit seinen Gedanken alleine. Er dachte an seinen Vater und daran, wie ein Kurier die Nachricht von dessen Tod gebracht hatte. Er sah die Mutter zusammenbrechen unter dem Verlust. Dann dachte er an Gabriel. Seinen Gabriel. „Denkst du auch an mich, Gabriel?“, schoss es ihm durch den Kopf. Im gleichen Augenblick meinte er, die Berührung von schlanken, kräftigen Händen zu spüren, den Duft von Lavendel, den Gabriels Nachthemd verströmte zu riechen. Unwillkürlich wurde es heiß und hart zwischen seinen Beinen. Eine heimliche Träne kullerte aus seinem Augenwinkel. Er würde doch noch mal einen Schluck Wasser trinken. Also entzündete Richard nochmals die Kerze und … hielt erschrocken inne. Genauso erschrocken wie die Gestalt im weißen Nachthemd, die, das Kissen unter den Arm geklemmt, auf Zehenspitzen im Zimmer unterwegs war. Allan sah Hilfe suchend zu Evellynn. Richard sagte kein Wort, stand auf und trank Wasser. Dann legte er sich wieder ins Bett.

„Komm endlich her, Allan, du wirst dich sonst noch erkälten.“ Allan huschte schnell in das Bett des Freundes.

„Du kannst ruhig wissen, dass Allan jede Nacht bei mir schläft, Richard. Es ist nichts Schlechtes dabei.“ Allan, bis zur Nasenspitze zugedeckt, lehnte sich Schutz suchend an Evellynns Brust.

„Ich habe Angst im Dunkeln, Richard. Weißt du, nicht so ganz einfache Angst. Es ist mehr. Ich kann nicht allein sein, wenn es dunkel ist. Soll ich es ihm erzählen, Evee?“

Evellynn nickte.

Richard hörte aufmerksam zu, denn er sah, wie Evellynn beruhigend über Allans Kopf streichelte und ihm einen kleinen, zarten Kuss auf die Haare setzte: