Philipp von Makedonien - Alexandros Chakiris - E-Book

Philipp von Makedonien E-Book

Alexandros Chakiris

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Beschreibung

Kaum jemand kennt ihn , obwohl er Makedonien zu Wohlstand und Größe führte.- Philipp II, König von Makedonien, Vater Alexanders des Großen. Ohne seine unermüdlichen und genialen Reformen wäre der Siegeszug des Sohnes erst gar nicht möglich gewesen.Philipp verbrachte seine Jugend in Theben, wo er das große Glück hatte, Epaminondas kennenzulernen, den fähigsten Staatsmann seiner Zeit. Der Geliebte des Epaminondas, Pelopidas, war der Befehlshaber der 'Heiligen Schar'. Nur eine reiche Stadt wie Theben konnte sich diese 300 Mann starke Elitetruppe leisten. Es waren die besten Kämpfer Griechenlands. Streng wurde darauf geachtet, dass es sich dabei um 150 Liebespaare handelte.'...denn wer könnte zwei Liebende mit dem Schwert trennen, wenn Gott Eros selbst sie zusammengeschmiedet hat?' (Gorgidas)Männerliebe war im Altertum durchaus akzeptiert und nichts Besonderes.In Theben hatte Philipp also von den Besten gelernt.Als er das zerrissene und bedrohte Makedonien zu regieren begann, setzte er die Tradition der Männerliebe unter seinen treuesten Freunden fort. Dies diente unter anderem dem Zusammenhalt und der Kampfkraft seiner Armee. Natürlich ließ sich ein so leidenschaftlicher und charismatischer Mann wie Philipp nicht nur vom bloßen Nutzen leiten. Man erzählte sich wahre Wunderdinge von Philipps leidenschaftlichen Liebesnächten mit seinen engsten Vertrauten.Er teilte das Bett auch mit Aristoteles, dem Philosophen, den er wegen seiner Klugheit bewunderte.In diesem Buch lernen wir den Menschen Philipp näher kennen. Wir begegnen seinen schlimmsten Feinden, begleiten ihn in blutige Schlachten und sind dabei, wenn er seine zahlreichen Geliebten umarmt. Wir begreifen, wie es gerade diesem König eines kleinen, unscheinbaren Landes gelingen konnte, ganz Griechenland unter seiner Führung zu vereinen. Mit der gleichen Leidenschaft, mit der er seine Lust erlebte, stürzte er sich in die Aufgabe, das Leben der kleinen Leute zu verbessern. Er garantierte Sicherheit und Frieden in Makedonien. Gleichzeitig schuf er eine legendäre Armee als Schutzwall gegen die persischen Invasionskriege.Die Makedonen dankten es ihm aus vollem Herzen.Kleitos, Beschützer und Freund Philipps, liebte seinen König abgöttisch, und bewahrte sich diese Liebe bis zu seinem eigenen Tod.Alexander starb als größenwahnsinniger Despot. Viele hatten ihm den Tod gewünscht.Ganz anders dagegen Philipp: Als er starb, weinte das ganze Land.

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Seitenzahl: 381

Veröffentlichungsjahr: 2010

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Alexandors Chakiris

Philipp von Makedonien

- von der Freiheit Männer zu lieben

Himmelstürmer Verlag

eBookMedia.biz

Copyright © Himmelstürmer Verlag

2. E-Book Auflage, April 2010

eBook ISBN EPUB: 978-3-942441-15-5

Coverfoto: © fotolia.com

Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg

www.olafwelling.de

Hergestellt mit IGP:FLIP von Infogrid Pacific Pte. Ltd.

Inhalt

Der Ölzweig aus OlympiaDer SatyrAbschiedDie Nacht der WölfeDie Ehre des PausaniasPhilipp, der FuchsDer Tag der VerträgeIm Schatten der BestieDer große MakedoneTheres II„Viele, die ich liebte“Eine makedonische KöniginDie kämpfenden Frauen von AzziDas SkythenschwertDer Weg nach AthenChaeroneaDer Tag der HochzeitBrief an Demetrios

Der Ölzweig aus Olympia

Im Jahr 359 v. Chr.

„Er kommt, er kommt! Schnell, Pammenes, öffne das Tor. Es ist Philipp!

Pammenes versuchte nicht, seine Gattin aufzuhalten, die ohne Rücksicht auf ihr Festtagsgewand an ihm vorüber eilte.

„Wie willst du das wissen, Mütterchen? Von dort oben kann man doch gar nicht erkennen, wer die Straße herauf ...“

Die Gattin des Pammenes machte sich selbst am Querbalken des großen Holztores zu schaffen. „Aaaach, ihr Männer! Für alles braucht ihr eine Erklärung. Hat er uns nicht einen Boten geschickt, der seine Ankunft gemeldet hat? Er ist es, mein Herz sagt es mir!“

Pammenes schüttelte die grauen Locken und lächelte geduldig. „Geh bei Seite, Mütterchen, das ist zu schwer für dich! Kleon, komm einmal her und hilf mir!“

Noch während sich die beiden Männer am Tor zu schaffen machten, wandte sich die Hausherrin an die Mägde. „Auf, Mädchen, auf! Ist das warme Wasser bereitet? Dann gießt es nur rasch in das Badebecken.“ Sie klatschte aufmunternd in die Hände, „Philipp soll wissen, dass er willkommen ist im Hause des Pammenes. Beeilt euch, trödelt nicht, gleich wird er ...“ Erstaunt hielt sie inne.

Die Mädchen waren auf die Knie gesunken und neigten zum Gruß den Kopf.

„Was soll ...“, aber schon legten sich zwei Hände von hinten über ihre Augen und verschlossen sie. Die Frau erstarrte mitten in der Bewegung, die Arme erhoben. Dann hörte sie in ihrem Rücken eine atemlose Stimme flüstern: „Mutter! Nein! Aber geliebter als meine eigene Mutter!“

„Philipp!“ Es war nur ein Hauch, der aus dem Mund der Frau kam, so erschüttert war sie. Dann drehte sie sich mit einem Ruck um und ... da stand er vor ihr: Staubig, mit grauen wachen Augen und ... dem Siegeskranz aus Olympia auf den langen Locken.

„Philipp!“ Sie umarmten einander und sie küsste unter Tränen den jungen Makedonen, der viele Jahre lang wie ein Sohn für sie gewesen war. Wie der Sohn, den die Götter dem thebanischen Feldherrn Pammenes versagt hatten. Philipp ließ sie gewähren, genoss die Zärtlichkeiten einer Mutter, wie damals, als er ein verängstigtes Kind gewesen war, in der Stadt des Feindes.

Philipp, Fürstensohn aus Makedonien, der als Kind nach Theben gesandt worden war, als Geisel, als Gefangener, der mit seinem Leben für das Wohlverhalten Makedoniens gebürgt und im Haus des Pammenes und seiner Gattin liebevolle Aufnahme gefunden hatte. Und Schutz.

Der junge Makedone packte die Frau mit starken Armen, wirbelte sie herum und warf sie, wenn auch behutsam, in die Luft.

„Hörst du wohl auf! Wie kannst du ... lass mich sofort wieder hinunter! Sonst werde ich all die Leckereien, die ich für dich zubereitet habe, wieder wegschließen!“

Philipp lachte glücklich und ließ seine weißen Zähne blitzen. „Wie kannst du einem Sieger von Olympia so schändlich drohen!“

Pammenes war langsam hinzu getreten und legte Philipp die Hand auf die Schulter. „Willkommen in Theben, Freund und Sohn meines Freundes. Du bringst das Licht der Sonne zurück in unser Haus.“ Pammenes trat einen Schritt zurück, um Philipp besser in Augenschein nehmen zu können. Den kraftvollen, geschmeidigen Körper eines Raubtieres. Graue harte Augen, die erforschten und zerlegten. Pammenes strahlte vor Stolz. „Was für ein Mann du geworden bist! Wie ich sehe, sind dir die Götter gnädig gewesen in Olympia.“

Philipp zog seinen derben Chiton zurecht und wurde ernst. „Die Götter, sollte es sie geben, haben mir beim Pferderennen nicht beigestanden. Nun, sie sind mir auch nicht im Weg gewesen!“ Er umarmte Pammenes.

Der schlug ihm freundschaftlich auf die Schultern. „Meine Güte, bist du staubig! Ich glaube, du hattest recht, Mütterchen, als du das Bad vorbereitet hast.“

Philipp ließ sich vor der Hausherrin auf ein Knie nieder und nahm den Kranz vom Kopf. „Dies ist für die eine, die mich liebt, wie einen Sohn!“ Und er überreichte ihr den geflochtenen Ölzweig.

„Ohh ... welche Ehre!“ Ein wenig hilflos wischte sich die Gattin des Pammenes die Hände an ihrem Gewand ab, dann erst griff sie vorsichtig zu. „Das ... ich weiß gar nicht, ob ich etwas so Wertvolles annehmen darf.“ Doch ihre Augen strahlten so voller Liebe, dass selbst Pammenes ein klein wenig neidisch wurde.

„Ich möchte dir etwas zeigen, Philipp, solange die Frauen sich mit dem Essen zu schaffen machen. Es kommen einige Freunde heute Abend zu unserer kleinen Feier. Die wenigen, die ich in Theben noch habe.“

Philipps Lippen wurden schmal. „Hätte ich nicht kommen sollen?“

Pammenes lachte laut auf, als er mit Philipp den Weg zu den Stallungen einschlug. Herzlich drückte er den jungen Makedonen, der ihn um Haupteslänge überragte, an sich.

„Du weißt doch, wie die Thebaner sind: Einmal wollen sie mich verbannen und ein anderes mal zum Hegemon der Stadt machen.“

Philipp fuhr zornig auf. „In der höchsten Not, da erinnern sie sich deiner. Und ist die Not vorbei ...“ Philipp machte eine Handbewegung, als würde er etwas Unsichtbares weit weg werfen.

Pammenes hob die Hand zum Zeichen des Schweigens. „Lass uns heute nicht an die Dummheit der Menschen denken, Philipp. Es ist der Tag deines Triumphes.“

Sie betraten einen kleinen Stall.

Pammenes näherte sich dem einzigen Pferd darin, langsam und vorsichtig. „Erinnerst du dich an Gorgo, Hydras Sohn? Er wurde in der Nacht geboren, als Epaminondas in der Schlacht von Mantineia fiel. Dieser schwarze Zerberos duldet kein anderes Pferd neben sich. Wir mussten ihn hier alleine unterbringen.“

Der junge Hengst tänzelte nervös und zerrte an den Ledergurten, mit denen er in seinem Gatter festgebunden war. Zitternde Flanken, rosige Nüstern und schmale Fesseln. Ein königliches Pferd! Philipps Augen hingen mit Bewunderung an dem Tier. Zunächst scheute der junge Hengst vor dem fremden Besucher zurück und röchelte drohend. Doch unter Philipps streichelnder Hand wurde das Tier ruhiger.

Pammenes raufte sich die Haare. „Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll. Er verbeißt alle anderen Pferde aus seiner Nähe. Aber er hat das edle Blut seiner Mutter geerbt. Hydra war eine Schönheit unter den Stuten. Ich vermute, dass sie sich mit einem wilden thrakischen Hengst gepaart hat, als wir damals in Thessalien waren. Das würde seine Wildheit erklären.“

Philipp sprach leise, zärtliche Worte zu Gorgo und der Hengst spitzte die Ohren.

Pammenes riss vor Staunen die Augen auf. „Sieh nur, er erkennt dich! Er weiß, dass du es warst, der ihn mit süßen Gräsern gefüttert hat, als er noch ein Fohlen war.“

Gorgo schnaubte leise. Er lehnte den schönen schmalen Kopf an Philipps Schulter und vergrub die rosigen Nüstern in seinen langen Locken.

Der junge Makedone konnte sich nicht satt sehen an dem Freund seiner Jugend und überschüttete das Tier mit Küssen und kleinen Koseworten.

Pammenes war ein kluger Mann. Er erkannte, dass hier zwei waren, die das Schicksal füreinander bestimmt hatte. „Gorgo gehört dir, Junge!“

Pammenes selbst empfand eine unbändige Freude dabei, Philipp dieses kostbare Geschenk zu machen.

Philipp drehte sich mit einem Ruck zu Pammenes. „Das ... kannst du nicht meinen! Ein solches Pferd! Bist du sicher ...!“

Pammenes umarmte den überwältigten Philipp. „Ein einfaches Danke genügt! Komm ins Haus, Junge, das Bad ist schon vorbereitet und, bei Zeus, du hast es bitter nötig.“ Pammenes lachte still vergnügt vor sich hin und ließ Philipp mit Gorgo allein.

Am Abend wurde dem Sieger von Olympia zu Ehren ein kleines Fest gegeben. Nur wenige waren gekommen.

Die, welche den scharfen Verstand und die schnelle Auffassungsgabe des jungen makedonischen Fürstensohnes während seiner Gefangenschaft in Theben erkannt und gefördert hatten.Die, welche sich lieber mit einem starken Makedonien verbündet hätten, als dem persischen Gottkönig zu huldigen, mochte er seine Dareiken1 auch noch so großzügig verteilen.

Spät in der Nacht, als das Fest vorüber war und alle schon lange schliefen, saß Philipp im Garten des Hauses und fand keine Ruhe. Auch wenn der Wein andere schläfrig machte, ihn machte er munter. An Schlaf war jedenfalls nicht zu denken. Also saß er auf den Stufen des Hauses und hörte den Zikaden bei ihrem nächtlichen Konzert zu.

Ein Knacken, an der Gartenmauer. Philipp lauschte angestrengt und zog seinen Dolch. Der Duft von gebratenem Fleisch zog manchmal einsame, in der Gegend umherschweifende Raubtiere an. Für einen Löwen wäre die mannshohe Steinmauer kein Hindernis. Philipp stand leise auf. Nein, ein Raubtier konnte es nicht sein, sonst hätten die Wachhunde, vier große Molosser, den Eindringling schon gewittert.

Wieder ein Knacken. Philipp duckte sich und fasste den Dolch fester. Die Spitze eines Helms wurde über der Mauer sichtbar. Dann Schultern. Mit elegantem Schwung sprang jetzt ein makedonischer Soldat über die Mauer und landete leise wie eine Katze im Garten unter dem großen Aprikosenbaum.

„Parmenion! Du?“ Philipp kam langsam auf den Freund zu. Der Dolch verschwand wieder im Gürtel. „Wie kommst du hierher? Und vor allem: Warum schleichst du ...“

Parmenion schnellte wie eine Stahlfeder empor, war mit zwei Schritten seiner langen Beine bei Philipp und hielt ihm den Mund zu. „Sssssscht! Nicht so laut, im Namen des Zeus. Du weckst ja das ganze Haus!“ Dann nahm er die Hand wieder von Philipps Mund.

„Und warum soll ich nicht das ganze Haus wecken?“, flüsterte Philipp glücklich, den Strategen wiederzusehen, „Pammenes wird hocherfreut sein, dich zu begrüßen. Bist du doch länger sein Freund als der meine.“

Parmenion nahm den Helm vom Kopf, kratzte sich laut hörbar die verfilzten Haare und zischte. „Mein Besuch gilt nicht Pammenes, wenn ich ihn auch gerne umarmen würde. Aber es darf niemand wissen, dass ich hier bin, um Philipp von Makedonien eine geheime Botschaft zu bringen. Vor allem die Thebaner dürfen das nicht erfahren! Ich bin Tage und Tage geritten. Bei allen Göttern, ich bin fast selbst zum Pferd geworden.“ Damit schüttelte der große, hagere Mann sich, als wollte er feststellen, ob alle seine Knochen noch heil wären.

In diesem Augenblick kamen zwei der Molosser angelaufen. Schwarz wie sie waren, konnte man nur die weißen gebleckten Fänge erkennen. Kurz vor Parmenion bleiben sie stehen und begannen drohend aus tiefster Brust zu knurren.

„Beweg dich nicht, mein Freund. Und sieh sie nicht an. Schau mich an! Schau zum Himmel! Aber sieh ihnen ja nicht in die Augen, sonst ... Na los!“ Philipp beugte sich zu den Hunden herab. „Das hast du brav gemacht, Argo! Ja, mein Guter ...“, damit kraulte der junge Makedone den massigen Nacken. „Das ist kein Dieb. Siehst du? Ich lege meinen Arm um ihn. Das ist ein alter Freund deines Herrn. Jaaaa, das gefällt dir, was? Ja, du auch. Komm nur her. Ja, du wirst auch gekrault.“

Die beiden riesigen Hunde verwandelten sich unter Philipps Händen plötzlich in zwei hechelnde, winselnde Narren. Sie leckten ihm die Hände mit roten, löwenartigen Zungen. Zwar schnüffelten sie noch einmal an Parmenions Beinen, liefen dann mit der Nase am Boden suchend einmal um ihn herum, doch dann verloren sie das Interesse an ihm. Offensichtlich befand sich der nächtliche Besucher mit Erlaubnis des Herrn hier und hatte keine üblen Absichten. Mit weiten Sprüngen entfernten sie sich auf ihrer nächtlichen Streife.

„Phuuuuu ...“ Parmenion ließ laut den Atem entweichen, den er bis jetzt angehalten hatte.

Parmenion, ein begnadeter Stratege, hatte schon mit König Amyntas, Philipps Vater, eine tiefe Freundschaft verbunden. Diese hatte er auch auf den Sohn übertragen.

„Eine geheime Botschaft?“ Philipp fühlte, wie sein Herz anfing, zu rasen. „Geheime Botschaften sind Unglücksbotschaften. Wieso kannst du überhaupt hier sein? Als ich dich zum letzten Mal sah, seid ihr in den Krieg gegen die Illyrer aufgebrochen, die im Westen unsere Dörfer plündern.“

Parmenion, mehr als 15 Jahre älter als Philipp, war erschöpft. Seine Gesichtszüge waren jetzt tief eingegraben, die Adlernase stand scharf hervor.

Er ließ sich umständlich auf ein Knie nieder. „Lass mich meine Botschaft übermitteln, Freund und Sohn meines Freundes, denn sie ist von äußerster Dringlichkeit und duldet keinen Aufschub.“

Philipp wirkte jetzt nach außen ruhig und gelassen, doch waren seine Sinne aufs äußerste gespannt.

Parmenion begann: „So spricht Alexandros II, Sohn des Amyntas:

Heil dir, Philipp, Bruder und Freund. Unser ältester

Bruder, König Perdikkas, ist tot. Gefallen im Kampf gegen

die Illyrer, wie vor Jahren Amyntas, unser Vater. Mögen sie

im Schattenreich Frieden finden.“

Philipp keuchte. „Perdikkas? Mein ... Parmenion, erzähle mir, was ...“

„Unterbrich mich nicht, Junge, sonst vergesse ich die Hälfte!

Da sein Sohn, Amyntas IV, erst drei Jahre alt ist, wurde ich

vom Rat der Alten zum König bestimmt.

Aber das ist ein schwerer Fehler! Ich pflüge meine Felder,

säe das Korn aus und freue mich an der Fruchtbarkeit

meiner Schafe. Ich bin nicht der König, den Makedonien

jetzt braucht.

Rette das Land vor Eurydike, der Bestie, wie sie unsere 

Mutter nennen. Sonst wird der Name Makedoniens

vom Erdboden getilgt.

Verbundenheit und Treue,

Alexandros II, derzeit König von Makedonien.

Philipp hatte mit unbewegter Mine zugehört. Zwei große klare Tropfen glitzerten an seinen Wimpern, fielen auf die Wangen, rollten schließlich herab. Seine Stimme gehorchte ihm nur widerwillig. „Was meint er, wenn er von unserer Mutter spricht?“

Parmenion erhob sich umständlich. „Ich fand den toten Perdikkas auf dem Schlachtfeld, mein Freund. Drei kleine, schmale Dolchstiche in seinem Rücken. Die Illyrer kämpfen mit Schwertern, Mann gegen Mann. In der Schlacht sind sie Löwen. Wer immer unseren König tötete, stand dicht hinter ihm, und stach ihm mit einem Dolch in den Rücken. Ein gedungener Mörder. Bezahlt von ...“

„... der eigenen Mutter!“, beendete Philipp zähneknirschend den Satz.

Parmenion nickte. „So!“

„Und Alexandros ist König?“ Philipp wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Jetzt war nicht die Zeit zum Trauern.

„Er will es nicht sein. Er weiß, dass du der bessere bist. Wir alle wissen es!“

„Aber ... der kleine Amyntas ... mein Neffe ... er hat einen Anspruch ...“ Philipp konnte sich das alles nicht vorstellen.

„Was glaubst du, wie lange das Kind überlebt, in der Nähe von Eurydike? Vielleicht ist es schon tot, wer weiß?“ Parmenion sah ernst auf Philipp. „Du hast Angst! Nein, antworte nicht! Ich kann es verstehen. Makedoniens Könige leben nicht lange.“

Philipp ging zu einer niedrigen Mauer, zog Parmenion hinter sich her und beide Männer setzten sich auf die Steine.

„Es ... es gibt würdigere als mich, die König werden könnten.“ Philipp sah den Strategen bedeutungsvoll an.

„Wer? Ich?“ Parmenion hielt sich die Hand vor den Mund und prustete hinein, so lächerlich erschien ihm der Vorschlag. „Gib mir eine Herde Schafe und ich mache aus ihr eine schlagkräftige Truppe. Aber setze mich an einen Verhandlungstisch mit Politikern und Parmenion wird zum stammelnden Kind. Nein, nein! Ich werde das Schwert sein und du der Kopf.“ Damit tippte er sacht mit der Fingerspitze an Philipps Stirn.

Philipp überlegte blitzschnell. Der Gedanke, König zu sein, begann in seiner Vorstellung Gestalt anzunehmen.

„Was muss zuerst geschehen? Der Krieg gegen die Illyrer?“

Parmenion seufzte. „Das muss warten. Zusammen mit Perdikkas blieben 4000 Makedonen auf dem Schlachtfeld liegen. Wir sind am Ende. Wir brauchen mehr Männer.“

„Was brauchst du noch, um die Illyrer zu besiegen?“

Parmenion, der begnadete Stratege und Freund von Königen, ließ sich vor dem jungen Philipp auf die Knie sinken und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. „Was ich noch brauche? Einen König, der mir bei der Schaffung einer Armee freie Hand lässt. Wir müssen Männer ausbilden. Mit Hirten und Töpfern gewinnt man keine Schlachten. Doch zuerst müssen wir Frieden im eigenen Land haben. Die wilden Bergstämme. Sie gehorchen niemandem. Sie halten sich nicht an unsere Gesetze. Wir müssen sie bezwingen. Dann können die Bauern wieder in Frieden die Felder bestellen. Wir müssen die Schwachen vor den Starken beschützen. Und dann ... vielleicht in drei, vier Jahren ... mit gut ausgebildeten Soldaten, können wir die Illyrer ...“

Philipp presste verzweifelt die Hände auf die Ohren. „Zu viel, zu viel! Ich kann das nicht!“

Parmenion senkte den Kopf. „Sag mir nicht, dass du nicht unser König sein willst! Sag mir, dass die Schwalben im Frühjahr nicht wiederkehren. Sag mir, dass die Rosen Makedoniens ihren Duft verloren haben. Aber sag mir nicht, dass du nicht unser König sein willst, Herr!“

Philipp war bestürzt. Zum ersten Mal hatte Parmenion ihn „Herr“ genannt. Nicht Junge, nicht Freund, sondern Herr! Dieses Wort hatte eine Seite in seinem Inneren zum Klingen gebracht, von der er bis jetzt nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab.

Parmenion fuhr leidenschaftlich fort. „Eine schwere Aufgabe, ich weiß! Aber du bist nicht allein mit dieser Aufgabe. Wir alle werden dir helfen, damit es gelingt!“

Philipp horchte auf. „Wer will mir helfen?“

„Alle, die Makedonien nicht den Hyänen überlassen wollen. Gute Freunde, du kennst sie. Krateros, Antigonos, Koinos, ja selbst der griesgrämige Antipatros. Sie sind zuverlässig und treu. Sie senden dir ihre Liebe und Ergebenheit, denn du warst immer einer von uns!“

Philipp überlegte kurz, dann stellte er eine entsetzliche Frage. So entsetzlich, dass man sie nicht einmal der Dunkelheit der Nacht anvertrauen konnte. Darum flüsterte er: „Was rätst du mir? Muss ich meine Mutter töten?“

Eiskalt kam es von Parmenions Lippen: „Gift oder Dolch, das ist egal! Wenn du zögerst, bist du ihr nächstes Opfer!“

Philipp atmete laut aus. Mehr ein Seufzen. „Das alles wird eines Tages Stoff für eine Komödie sein, mit dem Titel „Philipp, der dachte, er könnte König werden!“

Parmenion stand auf, wischte sich den Staub von den Knien. „Vielleicht überzeugt dich das!“ Er griff in seinen Gürtel. „Als ich deinen Bruder auf dem Schlachtfeld fand, war er bereits tot. Er sah aus, als schliefe er. Die rechte Hand war zur Faust geballt und ruhte auf seiner Brust. Als ich seine Faust öffnete, fand ich das darin!“ Parmenion überreichte Philipp ein kleines Ledersäckchen.

„Erde?“ Philipp wusste nicht so richtig, was ...

„Makedonische Erde.“

Philipp schloss das Säckchen wieder, drückte es an die Brust und weinte.

Parmenion strich ihm tröstend über die braunen Locken. „Makedonische Erde, Philipp. Auf der wir leben und in der wir eines Tages ruhen werden. Lohnt es sich nicht, dafür etwas zu wagen?“

Philipp wischte sich von oben nach unten über das ganze Gesicht. So, wie man ein Spinnennetz wegwischt, oder einen Traum. „Irgendwie wusste ich, dass es so kommen würde. Schon immer hab ich es gewusst.“ Er streckte sich zu voller Größe. „Aber wenn es so sein soll, dann, bei Zeus, an den ich ohnehin nicht glaube, lass es uns mit ganzer Kraft tun!“ Philipp wusste plötzlich, dass sein Leben nie wieder so sein würde wie vorher.

Parmenion mahnte zur Eile. „Wir haben keine Zeit zu vergeuden, Herr! Wir müssen noch in dieser Stunde aufbrechen. Der Mond steht günstig. Wir werden gut vorankommen.“

„Ich muss mich von Pammenes verabschieden.“

„Nein!“ Parmenions Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Er mag unser Freund sein. Aber seine Treue liegt bei Theben. Brich ihm nicht das Herz, indem du ihn zwingst, zwischen dir und Theben zu wählen. Aus diesem Grund kam auch ich im Geheimen.“

„Warte noch, Parmenion. Nur einen Augenblick.“ Philipp ging laut und polternd zum kleinen Stall. Er wusste, dass die Molosser Wachhunde nur schleichenden Füßen nachspürten.

Im Stall stand Gorgo. Das Weiß seiner Augen schimmerte im einfallenden Mondlicht. Gorgo wieherte erfreut, als Philipp das Gatter öffnete und die Lederriemen löste. Als hätte das Pferd nur auf diesen Moment gewartet.

Philipp legte seine Arme um Gorgos Hals und flüsterte in die schwarze Mähne: „Du wirst mich von Sieg zu Sieg tragen!“

Epilog

Philipp siegte noch zweimal in Olympia beim Pferderennen. Das griechische Wort „Philippos“ bedeutet „Freund der Pferde“.

Pammenes sah Philipp erst wieder, als dieser König der Makedonen und Sieger über Theben war. Philipp war milde gegen die besiegten Thebaner.

Nach Philipps Ermordung erhob sich Theben wieder gegen die Makedonen und glaubte, in dem jungen König Alexander keinen ernstzunehmenden Gegner zu haben. Dies stellte sich als verhängnisvoller Irrtum heraus.

Der Satyr

Im Jahr 351 v. Chr.

Die Thraker waren zähe Gegner. Immer wieder stürmten sie gegen die makedonische Phalanx2. Was im Einzelnen geschah, war nicht zu erkennen, aber König Philipp hatte seine Männer Vierecke bilden lassen, gerade Linien, Halbkreise ... wie es die Gegebenheiten erforderten. In einem flachen Bachbett waren die Makedonen zum Stehen gekommen, der König mitten unter ihnen. Gorgo, das gewaltige Kriegsross Philipps, stampfte mit kreischendem Gewieher und rollenden Augen. Als sei der Rausch des Kampfes auch in das Pferd gefahren, nicht nur in den Reiter. Die abergläubischen Thraker hatten eine Heidenangst vor dem „Daimonenpferd“, wie sie es nannten. Philipp kämpfte, mit aufgeschlitztem Brustpanzer, in betäubendem Lärm, der nur durch das Gellen der Signalhörner übertönt wurde. 

Pfeile sausten an Philipps Gesicht vorbei. Kleitos, dessen Pferd unter ihm zusammengebrochen war, kämpfte zu Fuß neben Gorgo. Mit dem Schild eines Gefallenen, der Riemen, der den Helm hielt, hing zerrissen auf die Schulter herab. Ein Speer fuhr zischend in das Bein des Königs, blieb wippend im Knie stecken. Philipp tastete nach der Waffe, riss sie heraus, kämpfte weiter. Kleitos, auf dem Boden, unter einem gewaltigen Thraker, verdankte sein Leben Gorgo, der mit einem Hufschlag den Schädel des Mannes zertrümmerte.

König Philipp von Makedonien schwenkte seinen Schild, um Parmenion das verabredete Zeichen zu geben. Der grauhaarige Stratege, der schon unter Amyntas, Philipps Vater, gedient hatte, ließ die Phalanx zurückweichen, Schritt um Schritt. Die Thraker, die ohne Schlachtordnung kämpften, nur von ihrem Mut vorangetrieben, setzten nach. Dann ließ Parmenion auf beiden Seiten die Reiterei angreifen und vollendete die Umfassung. Sechstausend Pferde setzten sich in Bewegung. Die Thraker wurden niedergetrampelt, in den Boden gestampft, von den eigenen Männern zerquetscht. Wie von einer Flutwelle wurde das gesamte Heer von Amatokos hinweg gespült, als hätte es nie eines gegeben.

Später, in König Philipps Zelt, versuchte Croton, Arzt und Vertrauter des Königs, sich Gehör zu verschaffen.

„Wenn wir noch länger warten, Herr, werden die Wundränder hart und trocken. Muskeln und Sehnen sind zerrissen. Ich muss jetzt und hier nähen.“

Philipp, der mit Blut und Schlamm bedeckt in seinem Scherensessel saß, winkte ungeduldig ab. „Ja, doch! Gleich! Zuerst müssen wir ... Antipatros! Geh, nimm dir fünf der gefangenen Thraker und mache eine Aufstellung der wichtigsten gefallenen Feinde. Bei den Gefangenen dasselbe. Ich muss Zahlen und Namen wissen. Lass doch dieses Gezupfe, Croton. Es gibt Männer, die deine Hilfe dringender brauchen. Schicke zwei deiner Schüler über das Schlachtfeld und beende die Leiden der Schwerverletzten. Auch hier will ich Namen und Zahlen.“

Croton schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. „Wir müssen beginnen, Herr!“

„Werde ich wieder gehen können?“, wollte der König wissen.

„Wenn ich jetzt anfangen kann, ja!“

„Gut, gut! Pack schon mal deine Instrumente aus.“

Perdikkas betrat das Zelt, kniete vor dem König nieder. „Sieg, Herr! Sieg, wie er vollständiger nicht sein kann. König Amatokos unterwirft sich. Er bittet um Verhandlungen und ist bereit, Tribut zu bezahlen.“ Perdikkas war kaum zu erkennen. Erde, Schweiß, Blut. Zu einer festen Kruste miteinander verbunden. Nur seine Augen leuchteten hell in dem erschöpften Gesicht. Sie alle waren erschöpft. Erschöpft und siegestrunken.

Philipp schickte einen der Königsknaben mit einer Botschaft zu Parmenion, der die Kriegsgefangenen zusammentrieb. „Er soll eine Hundertschaft abstellen. Plündern und schänden bei Todesstrafe verboten. Wer erwischt wird, hängt am nächsten Baum. Keine Ausnahmen.“

Kleitos, der junge Reiterführer, der nicht von Philipps Seite wich und den Rücken des Königs schützte, sah entsetzt auf das lederne Bündel, das Croton seelenruhig aufwickelte. Der athenische Arzt hatte lange Jahre in Ägypten studiert und fühlte sich keinem Volk zugehörig. Er legte seine Instrumente bereit, um die Wunde des Königs zu behandeln.

„Was, in aller Götter Namen, ist das?“ Kleitos starrte wie gebannt auf den Inhalt der geheimnisvollen Tasche.

Croton blickte nicht einmal auf, als er antwortete. „Das, mein junger Freund, sind die Feinheiten, die das Leben manches Kranken verlängern helfen.“

„Feinheiten nennst du das?“, atemlos sah Kleitos auf die große Zange, eine Säge mit scharfen Zähnen, Nadeln, Klemmen, schreckliche Folterinstrumente.

„Tritt beiseite, Kleitos! Oder hast auch du eine Wunde, die ich behandeln soll?“

Kleitos murmelte einen Fluch in seinen schwarzen Bart, der alle Götter des Universums aufs gröbste lästerte und trat hastig beiseite.

Eine Niederlage brachte viel Leid und Elend, ein Sieg ungeheuer viel Arbeit mit sich! Philipp stürzte einige Becher Wein hinunter und gab Befehl um Befehl.

Noch während Croton die Wunde säuberte und vernähte, kam ein Offizier und meldete: „Herr, König Amatokos bittet den siegreichen Makedonen um ein Gespräch. Er steht vor dem Zelt, Herr. Soll ich ihn eintreten lassen?“

Philipp blinzelte zu Croton. „Was ist? Bist du endlich fertig? Ein meisterhafter Wurf, muss ich zugeben. Wenn ich wüsste, wer diesen Speer geschleudert hat, würde ich ihn in mein Heer aufnehmen. Vielleicht finde ich ihn unter den Lebenden.“

Kleitos legte die Hand auf seinen Schwertgriff. „Das ... ist nicht mehr möglich, mein König!“

Philipp stand auf und versuchte aufzutreten. „Na bitte! Geht doch prächtig!“

Croton schüttelte den Kopf und mahnte: „Nicht zu schnell und zu viel belasten, Herr. Ich bin Arzt und kein Zauberkünstler. Das Knie braucht Schonung. Der Verband muss täglich ...“

Aber Philipp war schon einige Schritte gehumpelt und wollte gerade das Zelt verlassen, als der junge Kleitos ihn aufhielt. „Warte, Herr. Den Mantel und den Stirnreif. Wenigstens das. Es ist ein König, der dich erwartet. Er soll wissen, dass er vom großen Makedonen besiegt wurde und nicht von einer Bande von Straßenräubern.“

Kleitos legte Philipp den langen Mantel um die Schultern, der mit goldenen Ornamenten bestickt war. Auf dem Rücken prangte eine große glänzende Sonne, die mit ihren züngelnden Strahlen das Symbol der makedonischen Könige war. Kleitos rückte den schweren, kostbaren Stoff zurecht, der lang hinter Philipp über die Erde schleifte. Dann nickte er zufrieden. „So, nun können wir gehen.“

Amatokos erwartete Philipp kniend. Er trug ein grobes, langes Hemd und zum Zeichen der Unterwerfung eine schwere Eisenkette um den Hals. Entweder war der Mann wirklich zerbrochen oder er war ungeheuer listig. Der schneeweiße Bart und die langen silbrigen Haare machten den Thraker zu einer imponierenden Erscheinung. Doch wusste er genau, dass nichts den Sieger milder stimmen würde, als die demütige Haltung des Besiegten. Amatokos neigte das Haupt und begann mit Grabesstimme: „Philipp von Makedonien, den sie den Fuchs nennen; Sohn von Amyntas! Nicht für mich flehe ich um Gnade, sondern für die, die mir folgten und unter meinem Befehl standen. Was wird aus den Thrakern werden? Zerstreut in alle Winde, in die Sklaverei verschleppt. Wer wird jemals Lieder über die große Schlacht dichten, in der Thraker und Makedonen aufeinander trafen, wenn niemand mehr übrig bleibt, ihnen zu lauschen? Gnade, großer Philipp. Wir sind besiegt und vernichtet.“

Amatokos warf sich längs vor Philipp auf den Boden, das Gesicht im Staub, zu Füßen seines Gegners.

Wenn Amatokos geglaubt hatte, damit Philipp zu beeindrucken, hatte er sich getäuscht. Der Makedone stand reglos und verfolgte mit kalten Blicken, was der alte Mann noch unternehmen würde.

Kleitos sah fragend zu seinem König, erstaunt über dessen Härte.

Philipp trat einen Schritt näher zu Amatokos, neigte sich zu ihm und zischte: „Hunderte von Makedonen liegen dort draußen. Viele von ihnen waren meine Freunde.“

Amatokos sah auf. Der weiße Bart war staubig und kleine Ästchen hatten sich darin verfangen. „Du hast recht, Makedone! Dies alles ist mein Werk! Töte mich!“ Die Augen des Mannes blitzten hasserfüllt.

Philipp flüsterte ihm durch zusammengebissene Zähne zu: „Sei vorsichtig mit dem, was du erbittest, alter König! Es könnte sein, es wird dir gewährt!“ Philipp richtete sich unter Stöhnen wieder auf. Die Wunde machte sich bemerkbar.

Kleitos fasste Philipp mit starkem Arm um die Taille, was der König dankbar annahm.

Parmenion kam dazu und berichtete, dass die Gefangenen jetzt zusammengetrieben waren. Philipp ließ sich auf eine Stute helfen, deren Tritt sanft und schonend war. Der Thraker wurde, an ein Seil gefesselt, hinterher geschleppt.

Beim Sklavenpferch angekommen, ritt Philipp zum Schrecken seiner Hauptleute mitten unter die Gefangenen. Man hatte ihnen die Kleider genommen. Die meisten trugen nur ein Lendentuch. Bevor man sie zur Zwangsarbeit oder auf die Märkte führte, würde man ihnen die Haare scheren. Langes Haar war das Privileg der Freien. Die Gefangenen hatten sich gegenseitig ihre Wunden verbunden, so gut es ging. Manche starrten dumpf ergeben vor sich hin, andere wimmerten leise, wieder andere fluchten Menschen und Göttern. Mitten unter ihnen ließ Philipp sein Pferd halten.

Antipatros summte leise vor sich hin: „Wenn das nur gut geht! Wenn das nur gut geht!“

Parmenion und Kleitos waren mit dem König gegangen, das Schwert in der Hand.

Der König sah auf die zusammengepferchten Männer und rief laut: „Weshalb seid ihr in Makedonien eingefallen, habt geplündert und gemordet? Antwort! Du! Antworte!“

Der so Angesprochene stand auf: „Unser König rief, Herr, und wir folgten ihm!“ Der Mann schien keine Furcht zu kennen.

Philipp zeigte zornig hinter sich. „Dort steht dein König. Bedanke dich bei ihm für das Schicksal, das dich erwartet.“

Der Gefangene sank vor Amatokos auf die Knie und antwortete trotzig: „Und doch ist er mein Herr und König.“

Philipp blickte in die Runde. „Ihr wolltet Makedonien erobern. Jetzt stehe ich hier auf thrakischer Erde. Niemals hätte ich sie mit einem Heer betreten, wenn ihr mich nicht dazu gezwungen hättet. Dort draußen“, Philipp zeigte in Richtung Schlachtfeld, „dort liegen tausende eurer Brüder. Für einen König habt ihr euer Leben weggeworfen. Ihr sollt nicht für Könige kämpfen! Nur für euch selbst und eure Freiheit. Jeder von euch ist wertvoll, jeder von euch verdient es, zu leben, ein Weib zu nehmen und hohes Alter zu erleben. Ich trauere um jeden einzelnen Makedonen, der heute starb. Und um jeden Thraker, denn er starb umsonst!“

Es war totenstill. Bis König Amatokos die Stimme erhob: „Glaubst du, wir sind gerne in den Krieg gezogen?“ Seine Augen sprühten schwarze Funken. Beschwörend hielt er die gebundenen Hände empor. „Aber es gab keinen anderen Ausweg! Die persischen Satrapen im Osten fordern immer höhere Steuern von uns und nehmen Stadt um Stadt, Dorf um Dorf. Und obwohl wir uns mit ihnen verbündet haben, drängen sie uns immer weiter nach Westen. Wohin soll mein Volk sich wenden? Die Thraker sind zwischen Hammer und Amboss geraten.“

Philipp brüllte zornig: „Dann weißt du doch, wo der Feind ist!“ Er zeigte mit ausgestreckter Hand nach Osten. „Dort! Und nicht in Makedonien. Wir waren immer Schwestervölker. Was aber verbindet euch mit den Persern? Zu Sklaven wollen sie euch machen, euch und uns! Wir sollen keine Menschen mehr sein, sondern Tiere, dumpfes Werkzeug, das sie benutzen. Ihr wisst, welches der Preis dafür ist, wenn ein Mann sich zu ihrem Werkzeug machen lässt.“

Philipp machte die Handbewegung des Schneidens. Jeder wusste, was gemeint war. Wer einen wichtigen Posten im persischen Gebiet bekleiden wollte, musste sich von seiner Männlichkeit verabschieden.

Philipp sprach einen der Gefangenen an: „Du, wie lange lebst du schon hier, im Westen Thrakiens?“

Der Mann stand auf. Er war durch eine Wunde geschwächt, jetzt aber hob er stolz den Kopf. „Schon immer, Herr. Ich bin hier geboren.“

„Gut! Und du sollst auch weiterhin hier leben! Du wirst nach Hause gehen, das Land bestellen und bei deinem Weib liegen.“ Dann breitete Philipp die Arme weit aus. „Ihr alle werdet nach Hause gehen, zu euren Familien. Ich nehme keine thrakischen Sklaven. Nur werdet ihr eure Steuern nicht mehr an die Perser oder euren König bezahlen, der ab sofort mein Vasall ist. Ihr werdet eure Steuern an Philipp, den Makedonen, bezahlen.“

Es ging ein ungläubiges Gemurmel durch die Reihen der Thraker. Einer trat vor. Ein älterer, kampferprobter Mann. Die Narben an seinem Körper bezeugten es. Er sprach Philipp an: „Herr, wie sollen wir glauben, was du uns versprichst. Das ... das wäre ein zu großes Glück.“

Parmenion setzte dem Mann die Schwertspitze auf die nackte Brust und knurrte: „Hör mal, Freundchen, was fällt dir ein, die Worte unseres Königs anzuzweifeln! Setz dich nur hübsch wieder dort in deine Ecke.“

Philipp musste grinsen. „Ihr könnt mir ruhig glauben. Ihr sollt frei sein. Der Preis ist gezahlt und er war hoch genug! In ein paar Tagen könnt ihr alle wieder nach Hause. Die Makedonen werden nicht plündern und keine Dörfer niederbrennen. Wir werden eure Weiber und Töchter nicht anrühren. Was eigentlich schade ist“, man hörte den König bei diesen Worten schmunzeln, „denn man sagt, sie seinen wahre Tigerinnen auf dem Lager eines Mannes.“ Vereinzelt hörte man erleichtertes Lachen. Die Spannung begann sich langsam zu lösen.

„In einigen Jahren, vielleicht zehn, vielleicht früher ... ich werde Offiziere nach Thrakien senden, die Söldner werben werden. Für den gleichen Sold, den auch meine Männer erhalten. General Parmenion wird diese Soldaten ausbilden, zu der besten Armee, die es jemals gegeben hat. Und dann, Freunde ... dann werden wir nach Osten aufbrechen. Die Beute wird unermesslich sein. Kehrt nach Hause zurück und erzählt dort, dass Philipp von Makedonien jedem Thraker die Gelegenheit gibt, bei diesem Feldzug dabei zu sein. Ruhm und Beute erwartet euch.“ Der König zog sein Schwert und hob es empor. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen darauf und tauchten den Stahl in goldenen Purpur. Die Thraker, eben noch verzweifelt und ohne alle Hoffnung, stimmten in laute Jubelrufe ein.

Wenn Parmenion und Kleitos vorher um den König gefürchtet hatten, so mussten sie jetzt annehmen, die Gefangenen wollten ihn vor überströmender Freude erdrücken. Viele versuchten, ihm ihren Dank zu sagen. Andere riefen ein Hoch auf den Makedonen, und wieder andere weinten leise vor Erleichterung.

Der König wendete sein Pferd und zerschnitt die Fesseln des Amatokos. Das Gesicht des Mannes war eine Maske des Entsetzens. „Was ist mit dir, alter König?“, fragte Philipp spöttisch. „Kannst du es nicht ertragen, dass deine Thraker einem Makedonen zujubeln?“

Amatokos, grau im Gesicht, murmelte bitter: „Umsonst wirst du Länder erobern, Blut vergießen. Einen gibt es, der trägt die größte Beute davon, der größte Sieger. Ich habe das Königsopfer gebracht, Makedone! Meinen Sohn habe ich geopfert. Kannst du ihn mir wiederbringen? Glaubt ihr Menschen, dass man es nicht satt wird?“

Das Königsopfer war eine thrakische Sitte. Bevor ein König seine Männer in den Krieg führte, übergab er den Priestern seinen ältesten Sohn. Unter uralten Gesängen und Gebeten führten sie den Thronfolger fort. Die Priester kehrten abends wieder zurück. Der Sohn des Königs nicht. Am darauf folgenden Tag wurde sein in Tücher gewickelter Leichnam zur Bestattung mitgebracht. Es war eine grausame Sitte, deren einziger Grund darin bestand, Thrakiens Könige davon abzuhalten, das Volk in unbedachte Kriege zu stürzen.

„Du hast das Königsopfer gebracht?“

Amatokos nickte.

Philipp legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte kalt: „Dann gebe ich dir einen Rat, alter König: Pflanze dein Schwert in die Erde. Fasse es mit beiden Händen und werfe dich hinein. Denn du trägst die Schuld an allem Unglück, das geschehen ist.“

Wieder im Zelt, humpelte Philipp unter Stöhnen auf sein Lager.

„Wie fühlst du dich, Herr?“, wollte Croton wissen. „Soll ich dir einen Trank bereiten, der die Schmerzen lindert?“

Philipp keuchte, griff nach seiner Wunde. „Ach was! So schlimm ist es nicht. Wirklich!“

Croton zweifelte am Wahrheitsgehalt dieser Antwort.

„Sag’s nicht!“, brummte Philipp.

„Was?“, fragte Croton und begann, trockene Kräuter in einem Mörser zu zerstoßen.

„Das, was du denkst! Sonst müsste ich dich hinrichten lassen, dafür, dass du an den Worten deines Königs zweifelst.“

Croton goss Wasser auf die zerstoßene Masse und reichte Philipp den Trank.

„Das ist unmöglich, Herr, denn mein König spricht stets die lautere Wahrheit. Nein, nein! Nicht aufhören! Bis zum letzten Tropfen!“

Es dauerte Wochen, bis sich das Lager geleert hatte. Man hatte die Toten bestattet und die Verwundeten gepflegt. 1200 Thraker waren als Söldner in Philipps Armee eingetreten. Die anderen machten sich in kleinen Trupps auf den Heimweg. Ständig patrouillierten makedonische Hundertschaften im Hinterland, um König Philipps Armee vor bösen Überraschungen zu bewahren. Kleitos, der jüngste Hauptmann, den die Reiterei jemals gehabt hatte, wurde mit Pausanias losgeschickt, um Proviant zu besorgen. Pausanias, dessen Anmut Männer wie Frauen gleicher Maßen anzog und der als einer der schönsten Männer Makedoniens galt, freute sich über eine kleine Abwechslung im eintönigen Lagerdasein. Die Händler waren hoch beglückt, mit den Makedonen Geschäfte zu machen, denn König Philipp war großzügig. Er beabsichtigte, jeden Zweifel an seinem guten Willen zu zerstreuen.

Die Kolonne mit den voll geladenen Ochsenkarren zog sich lang durch die ausgedörrte Landschaft. Der schwarze Kleitos und Pausanias folgten ihren Männern in einiger Entfernung, um dem Staub und Lärm des Versorgungszuges zu entgehen. „Schwarz“ nannte man Kleitos, weil sein ganzer Körper mit feinen, schwarzen Häarchen übersät war.

„Ist das dort ein Bach? Dort, bei den steilen Felsen.“

Kleitos nickte.

„Was meinst du, ob er tief genug ist für ein Bad? Mein Pferd könnte eine Abkühlung genauso gut vertragen wie ich!“

Die Mittagssonne brütete, die Mücken schwirrten. Lähmende Hitze überall. Nicht einmal die Vögel zwitscherten.

Am Bach angekommen, folgten die beiden Reiter dem Flusslauf. „Träume ich, oder ist das immer noch dieser gleiche Backofen, durch den wir gerade geritten sind?“

Im tiefen Schatten des Berges wucherte dichtes Buschwerk, strahlten bunte Wiesenblumen. Eisvögel tauchten nach winzigen Fischchen in dem kristallklaren Wasser. Kleitos deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine Öffnung im Felsen. „Dort her kommt der Bach. Ich wette mit dir, Pausanias, er ist so kalt, dass wir bald mit den Zähnen klappern.“

Die Männer stiegen ab, banden ihre Pferde an langer Leine an. Sofort begannen die Tiere an dem saftigen Grün zu zupfen. Pausanias wollte gerade ins Wasser steigen, als er sich bückte und etwas aus dem Gras aufhob. „Mein Freund, ich glaube, hier gibt es mehr, als nur klares Gebirgswasser zu trinken!“ Lachend schwenkte er einen Tonkrug in der Hand. Dann schnüffelte er dran. „Hmmm! Thrakischer Wein, von blauen Trauben. Was für eine Schande, dass man uns nicht einen Tropfen übrig gelassen hat.“

Kleitos zeigte auf den Boden. „Wir sind nicht die ersten, die hier gehen, Pausanias. Komm! Werfen wir einen Blick in diese Grotte. Wer weiß, welche Geheimnisse sie noch birgt.“

Die beiden Makedonen zogen die Schwerter und gingen vorsichtig durch den niedrigen Felseingang. Sie traten in blaue Dämmerung.

„Was, in aller Götter Namen, ist das?“ Pausanias blieb der schöne Mund offen, vor dem Wunder, das sich vor ihm ausbreitete. Eine riesige Höhle, mit hoher, gewölbter Decke, aus weißem Marmor, von bläulichem Dämmerlicht erhellt. Nur das Murmeln des Wassers war zu hören. Mit andächtigem Flüstern fragte Pausanias: „Hast du so etwas schon einmal gesehen, Kleitos?“

Der schüttelte nur die schwarzen Locken. Da waren Tropfsteine, ganze Säulengänge davon. Die beiden Makedonen gingen vorsichtig über die weißen Kiesel, die unter ihren Schritten knirschten. „Woher kommt dieses Licht?“

Pausanias konnte keine andere Lichtquelle entdecken, als den niedrigen Eingang. „Ich glaube fast, das Wasser bringt das Licht der Sonnenstrahlen mit hinein. Unglaublich! Und dieser Duft. Riechst du das?“

Kleitos nickte. „Natürlich rieche ich das. Ich müsste tot sein, um es nicht zu riechen. Aber ich glaube, selbst wenn ich tot wäre, würde ich davon wieder zum Leben erweckt.“ Kleitos riss etwas von dem Moos ab, das an den Bachrändern wuchs. Er steckte die Nase tief hinein und stöhnte genießerisch: „Aaaah ... so unscheinbar und so verflucht gut!“

Pausanias konnte sich an der Höhle nicht satt sehen. „Komm, wir steigen in das Wasser und kühlen uns erst mal ...“, er unterbrach sich, wurde kreidebleich, seine Augen weiteten sich vor Schreck.

Kleitos folgte seinen Blicken, sah dasselbe und erstarrte.

Pausanias legte den Finger auf die Lippen, zum Zeichen des Schweigens. Dann schlich er auf Zehenspitzen zum Freund. Er konnte kaum sprechen, so überwältigt war er. „Leise, Kleitos. Beim Andenken deiner Mutter! Sei so leise, wie du nur kannst. Wir dürfen ihn nicht wecken. Wenn Götter von Sterblichen überrascht werden, kann es ziemlich ungemütlich werden. Für die Sterblichen!“

Doch Kleitos konnte den Blick nicht von der schlafenden Gestalt wenden, die dort auf einem der Felsvorsprünge ruhte. Ja, es musste ein Gott sein. Er war größer als ein Mensch, er schlief ... und er war von überirdischer Schönheit. Pausanias versuchte, Kleitos am Ärmel in Richtung Ausgang zu ziehen. „Das hier ist ein Heiligtum. Schnell, wir müssen verschwinden, solange wir es noch können!“

Eiskalte Furcht griff nach dem Herzen des Pausanias.

Aber Kleitos rührte sich nicht. Er schien mit dem Felsen verwachsen, auf dem er stand. „Warte, warte doch! Er ist so ... nur einen Augenblick noch. Ich habe noch nie ... so viel ...!“

„Pssst! Beim Hades, wirst du leise sein!“

Jetzt streckte Kleitos die Hand aus, als wollte er den schlafenden Gott berühren. Wie ein Mondsüchtiger begann er, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Pausanias stockte das Blut in den Adern, als er erkannte, dass Kleitos auf den Unsterblichen zuging. Noch immer schlief der Gott. Pausanias stemmte die Füße in den Kies, hob das Schwert und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Und da ... da lachte Kleitos laut und herzlich. Er lachte so heftig, dass er sich die Seiten halten musste. „Pausanias, Freund, der Gott ...“, immer unterbrochen von neuen Lachsalven, „er ist aus Marmor. Eine Skulptur!“

Pausanias starrte ungläubig. „Was redest du! Du bist ja blind!“

„Nein, nein! Komm her! Sieh nur hin. Er ist eins mit dem Felsen, auf dem er liegt. Aus dem Stein gehauen. Steck dein Schwert nur wieder ein. Bei so viel Schönheit möchte man zu Marmor werden, wie er!“

Pausanias rieb sich die Augen. Sollte er sich so getäuscht haben? Oder lag es an diesem betörenden Duft, der die Sinne verwirrte? Der junge Makedone kam langsam näher. Wirklich! Wahr und wahrhaftig! Das war Stein, weißer, milchiger Marmor! „Zeus auf dem Olymp!“, Pausanias atmete hörbar aus. „Da haben wir noch mal Glück gehabt! Aber ... Kleitos ... hast du jemals so ein Wunder aus Stein gesehen? Sieht er nicht aus, als ob er jeden Augenblick erwachen könnte?“

Kleitos sprang mit einem gewaltigen Satz auf die andere Seite des Baches.

„Sieh dir das an, Pausanias! Bei den Blitzen des Zeus! Diese Muskeln, die Beine, ... was ist das? Hörner? Schau her!“

Wirklich konnte man aus der Nähe die Andeutung von Hörnern am Haaransatz erkennen. Weinlaub umkränzte die Schläfen. Etwas wie ein Pferdeschweif lag unter der linken Hüfte.

Kleitos verstand plötzlich. „Das ist ein Satyr! Ein schlafender Satyr!“

Pausanias sprang zum Freund hinüber und besah sich staunend das Kunstwerk.

„Man sagt, die Thraker verehren den Gott des Weines und der Lebensfreude an solchen geweihten Orten. Man sagt auch“, Pausanias senkte ehrfürchtig die Stimme, „man sagt, es werden Gelage an solchen Orten abgehalten. Männer wie Weiber ergeben sich dem Wein und der Lust. Zuweilen sollen Dryaden und andere Waldgeister diesen Festen beiwohnen.“

Kleitos lächelte spöttisch. „Na, das kannst du laut sagen. Sieh doch, wie er auf diesem Felsen liegt! Der hat mehr als einen Becher geleert und mehr als ein Weib geliebt.“ Damit zeigte er zwischen die kräftigen Oberschenkel des Satyrs. Geradezu schamlos präsentierte dieser seine pralle Männlichkeit.

„Ob es nicht vielleicht Dionysos selbst ist?“

Kleitos schüttelte den Kopf. „Glaub ich nicht. Es ist ein Walddaimon. Gefährlich. Lüstern. Wild. Sie bewohnten die Wälder, lange bevor es die Olympier gab. Ist er ein Tier?“ Kleitos versuchte mit Blicken den Ursprung des Schweifes zu finden.

Pausanias legte das Schwert beiseite und begann sich zu entkleiden. „Auf jeden Fall ist er aus Marmor und er wird nichts dagegen haben, wenn wir hier, in seiner Grotte, ein Bad nehmen.“ Der junge Makedone stieg ins Wasser, welches ihm bis zur Hüfte reichte. „Ein Tag voller Wunder! Komm ins Wasser, Kleitos. Es ist warm wie Gemüsesuppe. Ich glaube, wir sind auf eine Therme gestoßen.“

Schon war Kleitos hinter ihm ins Wasser geglitten, geschmeidig wie ein Otter. Zum Schwimmen war der Bach zu klein, aber das war nicht nötig. Eine ausgiebige Plantscherei würde es auch tun. Als Pausanias wieder ans Ufer gestiegen war, streifte er sich mit den Händen die glitzernden Wassertropfen vom Körper. Er strich über die Brust und die Arme.

Kleitos, noch im Wasser, beobachtete durch gesenkte Wimpern hindurch, die Haare, die auf der Brust des Freundes wuchsen, weiter hinab führten bis zur Taille und weiter hinab ...

Pausanias fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die nassen, kupfernen Locken, die jetzt dunkel und glänzend das schöne Gesicht umrahmten. Einige Wassertropfen perlten träge auf seine Schultern und kullerten glitzernd über die breite Brust herab.

Kleitos spürte es lebendig werden in seinen Lenden. Mit neidloser Bewunderung sagte er: „Man könnte denken, du wärst das Modell für diese Skulptur gewesen. Du bist genauso ... wie er.“

Pausanias lachte fröhlich und sein Gesicht erstrahlte in noch größerer Anmut. Er sah auf seinen halbharten Phallos und gestand verlegen: „Kleitos, mein Freund, wie du siehst, hat auch mich der Zauber dieses Ortes ergriffen. Ich weiß nicht, an was es liegt. Am Duft der Kräuter, an diesem Wasser, oder an dem Burschen dort ... aber, im Augenblick wünsche ich mir nichts sehnlicher, als ... die Zärtlichkeiten eines Freundes!“ Er sprach nicht weiter, denn es erschien ihm unwürdig, Kleitos in dieser Weise zu bedrängen. Er drehte sich weg und bückte sich nach seinem Chiton.

Kleitos, hinter ihm, war leise aus dem Wasser gestiegen. Sein Herz schlug wie der Hammer des Hephaistos. Schon im Bach war sein Phallos steinhart geworden, beim Anblick des nackten Pausanias.

Er umfasste den Freund von hinten und legte seine Arme sanft um den verlockenden Körper. „Ich bin keine Jungfrau, Pausanias! Du brauchst mir nicht mit süßen Worten und Schmeicheleien den Kopf zu verdrehen. Wenn du Lust willst ... nimm mich! Ich bin bereit!“