Das ist Diskriminierung! - Yara Hofbauer - E-Book

Das ist Diskriminierung! E-Book

Yara Hofbauer

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Beschreibung

Diskriminierungsfreiheit ist essenziell für gleichberechtigte Teilhabe und Gleichstellung. Personen(gruppen), denen bislang keine oder wenig Macht zuteilwurde, stellen vermehrt und berechtigt Ansprüche. Doch es herrscht eine große Unsicherheit darüber, ab wann eine Diskriminierung vorliegt. Es gelingt der Autorin, diesem destruktiven Patt etwas entgegenzusetzen, indem sie wesentliche Fragen und Widersprüchlichkeiten im Diskurs zu Diskriminierungsschutz verständlich aufarbeitet und Mechanismen, die der Konstruktivität in den Bemühungen um ein diskriminierungsfreies und gerechtes Miteinander im Wege stehen, kritisch hinterfragt. Durch einen praxisnahen Zugang, der kein Vorwissen voraussetzt, werden auch jene Personen angesprochen, die sich eine diskriminierungsfreie Gesellschaft wünschen, aber nicht die Zeit, Ressourcen oder Nerven dafür haben, sich tiefgehend mit dem Thema zu beschäftigen. Zahlreiche Beispiele (von Vorurteilen oder dem, »was man heute noch sagen darf«) erleichtern das Verständnis, um die (schmerzhafte) Erfahrung unterschiedlicher Formen von Diskriminierung auch dann nachvollziehen zu können, wenn man selbst noch nie davon betroffen war.

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Seitenzahl: 200

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Yara Hofbauer, geboren 1989 in Wien, ist Rechtsanwältin im Bereich Opfer-, Diskriminierungs- und Gewaltschutz und Trainerin für Diskriminierungsschutz in Arbeit und Bildung. Sie veröffentlichte mehrere Fachpublikationen in dem Bereich, es ist ihre erste Sachbuch-Veröffentlichung ohne expliziten Rechtsbezug.

Yara Hofbauer

Das ist Diskriminierung!

Verstehen, was hinter dem Vorwurf steckt

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Yara Hofbauer:

Das ist Diskriminierung!

1. Auflage, April 2023

eBook UNRAST Verlag, April 2023

ISBN 978-3-95405-143-4

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Katharina Stahlhofen, Köln

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Vorwort

Check-in

1 Die Welt ist ungerecht, diskriminierend und oft beides

1.1 Diskriminierung schmerzt

1.2 Was ist eigentlich Diskriminierung?

1.3 Jede Diskriminierung ist ungerecht, aber nicht jede Ungerechtigkeit ist diskriminierend

2 Diskriminierung hat viele Facetten

2.1 individuelle & strukturelle Diskriminierung

2.2 Ein kleiner Exkurs zum Rassismus

2.3 Diskriminierung innerhalb und außerhalb rechtlicher Schranken

2.4 Unmittelbare und mittelbare Diskriminierung

2.5 Gewollte und ungewollte oder bewusste und unbewusste Diskriminierung

2.6 Direkte und subtile oder offene und versteckte Diskriminierung

2.7 Diskriminierung auf Basis unterschiedlicher Merkmale

2.8 Ausgestaltung einer diskriminierungsfreien Welt: Identitätspolitik und Universalismus

2.9 Ein Rundgang durch Diskriminierungsfacetten

3 Wieso Vorurteile uns nicht zu schlechten Menschen machen, sie unreflektiert zu übernehmen womöglich schon

3.1 Allgemeines

3.2 Wie wir lernen, was wir wahrnehmen

3.3 Vorurteile, Stereotype und (Unconscious) Bias

3.4 Ausgewählte Effekte von Stereotypen und Vorurteilen

3.5 Und wie verlernen wir das Erlernte?

4 Wo Diskriminierung ist, da ist Macht.

4.1 Allgemeines

4.2 Der Machtbegriff im Diskriminierungskontext

4.3 Privilegien im Diskriminierungsdiskurs

5 Das Schreckgespenst ›Sprachpolizei‹

5.1 Was will die ›Sprachpolizei‹?

5.2 ›Cancel Culture‹

5.3 Exkurs: Antimuslimischer Rassismus oder Religionskritik?

5.4 Sprachlicher Ausschluss: Gendern

5.5 Zwischenfazit

6 Sein & Schein: Wir sind alle voll Diversity

7 Fehlender rechtlicher Schutz

Check-out

Begriffserklärungen

Literaturempfehlungen

Anmerkungen

Vorwort

Hinter jedem Buch steckt viel mehr als die Autorin selbst. Im Fall des vorliegenden Buchs waren das vor allem Lektorin Tatjana Niederberghaus und Alisha Akii, meine schärfste Kritikerin, die mich mit sanfter Gewalt gleichzeitig stets zum Weitermachen motiviert, wenn ich aufgeben möchte. Mit scharfem Blick, großer Geduld und viel Kritik haben Alisha und Tatjana die unterschiedlichen Versionen Korrektur gelesen, Gedankengänge durchdiskutiert und zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht, die in dieses Buch eingeflossen sind. Trotzdem wir in manchen Aspekten bis zum Schluss uneins blieben, blieb ihre Unterstützung uneingeschränkt aufrecht. Danke euch!

Check-in

Ich schreibe dieses Buch aus der Motivation einer Mutter, die sich für ihr Kind eine Gesellschaft wünscht, in der es sein kann und sein lässt. In der es Fragen stellen kann, ohne dafür verurteilt zu werden. In der es gefragt werden kann, ohne sich verletzt zu fühlen. Ich wünsche mir eine Welt, in der jede*r Platz hat.

Die Idee zu diesem Buch besteht schon lange. Immer habe ich andere Projekte vorgeschoben, versucht, mit harten Deadlines, wichtigeren Aufgaben oder privaten Verpflichtungen vor mir selbst zu rechtfertigen, wieso ich nicht endlich zu Papier bringe, was mich schon lange so umtreibt: Welche Gesichter hat Diskriminierung und wieso ist es so schwer, einzugrenzen, wie sie aussehen? Auch wenn ich mir selbst weismachen konnte, dass »gerade einfach keine Zeit ist«, liegt die Wahrheit wohl doch eher darin, dass ich ganz grundsätzliche Fragen für mich noch nicht geklärt hatte:

Wie lässt sich über Diskriminierung schreiben, ohne zu belehren? Wie lässt sich über Diskriminierung schreiben, ohne jemanden zu verletzen? Wie lässt sich über Diskriminierung schreiben, von der ich oftmals gar nicht selbst betroffen bin? Wie lässt sich über Diskriminierung schreiben, sodass meine persönliche Haltung nicht aus dem Blick gerät, aber die Objektivität gewahrt bleibt? Wie lässt sich über Diskriminierung schreiben, ohne am Ende Zielscheibe von Kritik und Anfeindungen zu werden, die ich möglicherweise noch nicht in der Lage bin in Kauf zu nehmen?

Erschwerend hinzu kommt mein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach klaren, dogmatisch ableitbaren Antworten. Ich möchte Informationen kategorisieren, sie sortieren und Kausalitäten herstellen – alles auf Basis von Belegen. Die Wahrheit ist aber, so einfach ist es hier nicht. Einerseits, weil es um unendlich viele verschiedene persönliche Erfahrungen geht, wenn wir über Diskriminierung sprechen. Andererseits, weil es so viele Merkmale (Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Aussehen, soziale Herkunft…) gibt, auf Basis derer diskriminiert wird und nicht für alle dieselben Mechanismen und Logiken gelten. Schließlich, weil unterschiedliche kulturgeschichtliche und gesellschaftspolitische Entwicklungen auch verschiedene gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringen.[1] Natürlich ist es reizvoll, die Verhältnisse, die einem vertraut sind, auf alle Gegebenheiten umzulegen – wirklich passend sind sie deswegen allerdings noch nicht. Dennoch gibt es gewisse Mechanismen und Systematiken im Zusammenhang von Macht und Diskriminierung, die allgemeingültig erscheinen.

Während ich zu Beginn des Projekts also hochmotiviert die ersten Seiten zu Papier gebracht hatte, begannen die immer komplexer werdenden Informationen mich zu hemmen. Lange vor allem aus dem Gefühl heraus, meine Perspektive hätte in der Diskussion keinen Platz. Ich spürte zu keinem Zeitpunkt meines bisherigen Lebens finanzielle Not, genoss eine großartige Ausbildung, die von meinen Eltern mitfinanziert wurde, bin eine weiße, heterosexuelle (‣) cis-Frau, (bisher) ohne Behinderungen und lebte den Großteil meines Lebens in einem Umfeld, in dessen Sprache ich mich zu Hause fühle und äußerlich nicht auffalle. Kurz: Bis auf den (doch signifikanten, aber dennoch einzigen) Umstand, dass ich eine Frau bin, weise ich bislang keine Merkmale auf, die mich zur Zielscheibe von Diskriminierung machen. Als ich einer befreundeten (‣) Person of Color (PoC) von meinem Dilemma erzählte und sie nach ihrer Meinung fragte, sagte sie die entscheidenden Worte, die mich endlich dazu brachten, meine Gedanken zu Papier zu bringen: »Es braucht auch die Stimmen aus privilegierter Sicht.« Es stimmt, dass ich mit bestimmten Codes aufgewachsen war, die mir ein sicheres Geleit durch mein gesellschaftliches und berufliches Leben erlaubten. Zwar ignorierte ich viele davon und eckte permanent an, das lag aber an meiner individuellen Geschichte und den von mir gemachten Erfahrungen (um die es hier nicht geht). Richtig lesen, konnte ich die Codes dennoch immer und hätte sie auch anwenden können. Es war schlicht meine Entscheidung, eine Wahl, es nicht zu tun. Unter anderem, weil ich mich keinen existentiellen Gefahren stellte, wenn ich sie nicht beachtete. So selbstverständlich wie ich mit ihnen aufgewachsen war, war mir lange nicht bewusst, dass nicht jede Person in der glücklichen Lage ist, diese Entscheidung zu treffen. Manchen wird einfach der Zugang zum Codewort verwehrt – unverschuldet, qua Geburt. Andere haben nicht das Privileg, finanziell und sozial ausreichend abgesichert zu sein, um sich über ungeliebte soziale Normen hinwegzusetzen. Doch so wie mir das lange nicht bewusst war, findet dieser Fakt auch im gesellschaftlichen Diskurs häufig zu wenig Beachtung. Vielleicht hören wir einander auch einfach zu wenig zu.

Das Ziel einer diskriminierungsfreien Gesellschaft wird aber nie erreichbar sein, wenn wir nicht bereit sind, voneinander zu lernen, uns gegenseitig unsere Individualität zuzugestehen und gleichzeitig die Prozesse zu verstehen und abzubauen, die diese Individualität rauben. Wir können eine Person nur dann in ihrem Sosein sehen, wenn wir auch ihre unterschiedliche Lebensrealität, die möglicherweise von Abwertung und fehlender Anerkennung ihrer Individualität geprägt ist, miteinbeziehen. Gleichzeitig kann es verunsichern, dass auch Personen, denen Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit ein aufrichtiges Anliegen sind, zuletzt tatsächlich teils davor Angst haben (müssen), mit einem ›Shitstorm‹ konfrontiert zu werden, weil ihre Bemühungen bestimmten Personen noch nicht diskriminierungssensibel ((‣) woke) genug erscheinen. Dabei trifft es nicht selten diejenigen, die ehrlich verstehen und respektieren möchten. Es ist zu befürchten, dass diese Schwächung der – ich nenne sie liebevoll – ›Gewillten‹ vor allem auch jenen nutzt, die die ›woken‹ Codes perfekt beherrschen, aber kein tatsächliches Interesse an strukturellen Veränderungen haben.

In meiner Tätigkeit als Antidiskriminierungstrainerin und Rechtsanwältin begegne ich häufig solcher Scheinheiligkeit. (‣) Woke washing, bezeichnet die Bemühungen, möglichst diskriminierungssensibel zu erscheinen, gleichzeitig aber nichts an den eigentlichen Strukturen oder Verhältnissen ändern zu wollen. Händereibend können die vermeintlich ›woken‹[2] Mächtigen, dann dabei zusehen, wie Menschen sich aus dem Kampf um Diskriminierungsfreiheit zurückziehen, weil die Angst davor, bei einem Fehler oder einer unerwünschten Meinung angefeindet und schließlich zur Zielscheibe beider Seiten zu werden, sehr groß wird. Dieses Spannungsfeld beschäftigt auch mich und spornt mich gleichzeitig in meiner Arbeit an.

Ein weiteres Phänomen ist auffallend im Kontext von Diskriminierungsschutz: Während auf der einen Seite das Thema (‣) Wokeness, also beispielsweise, wie Personen angesprochen werden sollen und »was man nicht (mehr) sagen darf«, vor allem (sozial) medial stark diskutiert wird, ist auf der anderen Seite die Wissenslücke zum Thema Diskriminierung bei Frau und Herr Mustermann, erstaunlich stark ausgeprägt. Dies hängt – meiner Wahrnehmung nach – auch damit zusammen, dass manchen die Debatte so komplex und unübersichtlich erscheint, dass sie sich erst gar nicht damit auseinandersetzen. Ganz so, als wäre mir ein Medizinstudium zu aufwendig, und ich würde deswegen auch einen Grundlagenkurs für Erste-Hilfe ablehnen, um zumindest das Nötigste zu verstehen, damit niemand zu Schaden kommt. Es stimmt schon, dass wir auch dann, wenn wir über ein Grundlagenverständnis zum Thema Diskriminierung verfügen, immer noch nicht davor gefeit sind, andere Personen dennoch ungewollt und unbewusst anzugreifen. Aber man kann die Kritik dann besser einordnen. Denn während diese häufig natürlich völlig berechtigt geäußert wird, gibt es ebenso selbstverständlich auch unter diversitäts- und diskriminierungssensiblen Personen unterschiedliche Meinungen. Wie in jeder Debatte kann es sich daher auch beim Thema Diskriminierung bei Kritik schlicht um eine andere Meinung handeln. Die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, sollte also mit wachsendem Wissen kleiner werden. Es ist mir ein Anliegen, Gewillten ihre Angst zu nehmen, sich mit dem Thema Diskriminierung auch dann auseinanderzusetzen, wenn sie nicht davon betroffen sind. Denn aus der Vermutung heraus, ohnehin nur alles falsch machen zu können, gleich gar nichts zu versuchen, erscheint die am wenigsten fruchtbringende Herangehensweise und nützt jenen, die bewusst diskriminieren.

Letztlich beantwortete ich mir meine Fragen so: Es lässt sich nicht über Diskriminierung schreiben, gänzlich ohne jemanden zu verletzen, egal wie sehr du es versuchst – selbst, wenn du dich als (‣) Ally betrachtest und deine Arbeit dem Diskriminierungsschutz widmest. Es lässt sich auch nicht über Diskriminierung schreiben, ohne, dass sich manche belehrt fühlen, sieh’ es als Informations- und Reflexionsangebot und hoffe, dass es die anderen auch tun. Es lässt sich nicht über Diskriminierung schreiben und gleichzeitig ausschließen, Zielscheibe von Kritik und Attacken zu werden. Du kannst nur hoffen, dass die Kritik sachlich und auf Augenhöhe bleibt. (Wenn du dich nicht bereit fühlst, lass’ es.) Es lässt sich nicht über Diskriminierung schreiben, ohne dass deine eigene Position und Meinung omnipräsent sind, wenn du deine persönliche Herangehensweise zum Thema suchst.

Nach diesem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte des vor Ihnen liegenden Buches, der gerne auch als Haftungsausschluss verstanden werden darf, geht es nun endlich zur Sache.

1 Die Welt ist ungerecht, diskriminierend und oft beides

1.1 Diskriminierung schmerzt

Diskriminierungsfrei zu agieren ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern letztlich eine Grundbedingung dafür, andere Menschen nicht zu beeinträchtigen. Der durch Diskriminierung verursachte Schaden kann sich dabei unterschiedlich manifestieren. Basiert eine Entscheidung auf einer Diskriminierung, so bringt diese Ungleichbehandlung an sich den Schaden hervor. Etwa, wenn der Gesetzgeber sich dazu entscheidet, homosexuellen Paaren nicht dieselben Rechte zukommen zu lassen, wie heterosexuellen. Oder wenn Ayşe nicht eingestellt wird, weil der*die Arbeitgeber*in annimmt, sie sei Muslima, und er*sie (wenn auch nicht offen kommunizierte) Vorbehalte gegen muslimische Frauen hat. Oder wenn eine Frau für dieselbe Tätigkeit nicht dasselbe Gehalt bekommt, weil ihr Ausfall durch eine potenzielle Schwangerschaft miteinkalkuliert wird. Oder, oder, oder. Hier sind die objektiven negativen Konsequenzen klar ersichtlich: Fehlende Rechte, keine Arbeit, weniger Gehalt. Daneben gibt es aber noch Handlungen, die an sich keine Entscheidung mit sich bringen, aber dennoch nicht folgenlos bleiben. Wie wir jemanden grüßen, wenn wir ihn nicht kennen; wie wir jemanden bedienen, wenn sie Gast in einem Lokal ist; wie wir mit jemandem sprechen, von dem wir noch nichts wissen, kann entweder dazu führen, dass sich unser Gegenüber stark und gehört fühlt oder aber ungesehen und degradiert. All das – und noch viel mehr – macht einen Unterschied dafür, wie sich die Person selbst sieht und wie sie von ihrem Umfeld gesehen wird. Natürlich können diese singulären Ereignisse nur dann Wirkung entfalten, wenn sie eingebettet sind in ein System, das die Effekte ermöglicht und verstärkt.

Sind wir kontinuierlich Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt, so hat dies negative Auswirkungen. Es schränkt nicht nur den Handlungsspielraum der Betroffenen erheblich ein, etwa weil ihnen der Zugang zu bestimmten Räumen verwehrt wird, ihnen Fähigkeiten abgesprochen werden und all dies auch maßgeblich dazu beiträgt, wie sich Betroffene selbst und ihre Kompetenzen einschätzen (Stichwort: Mädchen haben kein Verständnis für Technik). Kontinuierliche Diskriminierung kann sich auch negativ auf die Gesundheit der Betroffenen auswirken. Grundlage für solche Gesundheitsfolgen müssen keine offenen diskriminierenden Handlungen sein, wie etwa rassistische Beschimpfungen, sexistische Kommentare oder offen homofeindliches Verhalten. Gerade auch subtile Formen der Diskriminierung, die im Einzelfall für Nichtbetroffene – nicht zuletzt aufgrund jahrelanger Sozialisierung darüber, was wir als ›normal‹ ansehen – kaum wahrnehmbar sind haben ein signifikantes Potential, sich auf die psychische Gesundheit der Betroffenen negativ auszuwirken.[3]

Solche negativen Konsequenzen von Diskriminierung sind durch Studien zu verschiedenen Diversitätsdimensionen gut belegt. So zeigte sich beispielsweise, dass Arbeitnehmer*innen, die sich der (‣) LGBTQIA+-Community zuordnen, sowohl dann psychische und physische Folgen aufweisen, wenn sie auf Basis ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden, als auch dann mehr Stresssymptome und weniger Zufriedenheit an der Arbeit zeigen, wenn sie sich aus Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz nicht outeten.[4] Dies erscheint schon deshalb logisch, weil es unglaublichen Aufwand und Energieverbrauch der betroffenen Personen abverlangt, sich permanent zu verstellen und nicht authentisch sein zu dürfen. Aber auch gesamtgesellschaftlich zeigt sich, dass homosexuelle und bisexuelle Männer häufiger unter Angststörungen, Depressionen oder Suchtmittelerkrankungen leiden, als heterosexuelle Männer. Auch ist bei homosexuellen sowie bisexuellen Personen das Risiko für Suizidgedanken und -versuche höher, als bei heterosexuellen.[5]

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist immer noch eine der wesentlichsten Formen von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Oft handelt es sich dabei nicht nur um eine unangenehme Grenzüberschreitung, die Betroffene schnell wieder vergessen haben, vielmehr kann sexuelle Belästigung psychische und physische Folgen nach sich ziehen, mit denen Betroffene lang zu kämpfen haben. Angst, Stress, depressive Verstimmungen bis hin zu Depressionen mit Krankheitswert, Schlafstörungen, Essstörungen, die Entwicklung chronischer Erkrankung (wie Herz-Kreislauf-Probleme), sind nur einige der möglichen Folgen dieser sexistischen Diskriminierung.[6]

Rassistische Diskriminierung kann ebenfalls zur Beeinträchtigung der Gesundheit, des Selbstwertgefühls und des Selbstbilds der Betroffenen führen. Vor allem die – vermeintlich kleinen – Formen von (‣) Alltagsrassismus, die sich in Blicken, Gesten, dem Straße-Wechseln und Tasche-Festhalten als Reaktion anderer Personen im öffentlichen Bereich, dem Namen-Falsch-Aussprechen oder Fragen, woher man ›eigentlich‹ komme, äußern, können ein sequentielles Trauma mit entsprechenden Traumafolgestörungen, wie Erkrankung an einer Depression oder Entwicklung einer Psychose, auslösen (siehe dazu näher bei (‣) Mikroaggressionen).[7]

Die Folgen für die Betroffenen sind somit immens, vor allem im Vergleich zu jenen Personen, die nicht permanent diesem Stress ausgesetzt sind. Der Gerechtigkeitssinn geht nun davon aus, dass dafür eine Wiedergutmachung die einzig logische Konsequenz ist. Wir müssen ihn allerdings enttäuschen. Denn meistens liegt die Problematik in der Häufigkeit und Permanenz der Vorfälle, womit es nicht eine zur Verantwortung zu ziehende Person oder Institution gibt, sondern das System und die darin befindlichen Strukturen dazu führen, dass Betroffene ständig diesen Erfahrungen ausgesetzt sind, sich gegen die einzelne Erfahrung aber nicht oder nur schwer zur Wehr setzen können. Unter anderem, weil im Einzelfall immer auch andere, scheinbar objektive, Gründe für das Verhalten gefunden werden, wodurch die Diskriminierung von Nicht-Betroffenen und das eigene diskriminierende Verhalten negiert werden kann. Tatsächlich handelt es sich bei der Benennung dieser vermeintlich objektiven Gründe um (‣) Gaslighting, (‣) Silencing oder (‣) Derailing. Es ist nicht erstaunlich, dass ein solches Absprechen der eigenen Lebensrealität eine weitere verunsichernde Stresskomponente darstellen und Selbstzweifel verstärken kann.

Sehen wir uns zu diesen theoretischen Ausführungen ein konkretes Beispiel an:

Miriam ist erfolgreiche Vertriebsmitarbeiterin in einem großen Konzern. Sie hat die besten Zahlen im Team, ihr Chef fördert sie scheinbar bedingungslos. Nach vier Jahren im Konzern verkündet Miriam ihre Schwangerschaft. Ihr Chef ist von dieser Nachricht zunächst überfordert und reagiert plump. Sodann fasst er sich und gratuliert ihr kühl. Von dem Tag ihrer Verkündung an, sucht der Chef – anders als früher – nicht mehr den Austausch mit Miriam, sondern wendet sich nun vermehrt ihrem Kollegen Christoph zu. Es wird ein neuer Posten, eine Zwischen-Hierarchiestufe geschaffen, die mit Christoph besetzt werden soll. Miriam bewirbt sich trotzdem, sie ist länger als er im Unternehmen und hat auch bessere Erfolge vorzuweisen. Die Stelle bekommt dennoch er, Miriam erhält lediglich eine generische Absage-E-Mail. Wenn der Chef überhaupt noch mit Miriam kommuniziert, dann sind es Kritikpunkte in ihrer Arbeit. Miriam geht es zunehmend schlechter, sie möchte dem Chef, mit dem sie immer gut ausgekommen ist, nicht zutrauen, aus rein sexistischen Motiven zu handeln und geht daher davon aus, dass ihre Arbeit durch die Schwangerschaft an Qualität eingebüßt hat. Nach der Geburt ihres Kindes kehrt sie nicht mehr in das Unternehmen zurück.

Betrachtet man diese Situation von außen, ist die eindeutige Kausalität jene, dass die Schwangerschaft von Miriam zu der Verhaltensänderung des Chefs geführt hat, die sich in mehrfacher Diskriminierung äußert. Miriam aber internalisiert, dass sie selbst das Problem ist, ihr Selbstwert wird dadurch zunehmend geschwächt, bis hin zu dem Punkt, an dem sie schlicht aufgibt.

1.2 Was ist eigentlich Diskriminierung?

Hier verwenden wir den Begriff Diskriminierung in jenem zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Kontext, in dem er uns meistens begegnet. Der Begriff Diskriminierung leitet sich von dem lateinischen Begriff »discriminare« ab, der so viel bedeutet wie »trennen« oder »unterscheiden«.[8] Wenn wir diskriminieren, dann machen wir also eine Unterscheidung. Diskriminierung ist dabei als benachteiligende Ungleichbehandlung auf Basis eines Merkmals, man spricht hier auch von (‣) Diversitätsdimensionen, zu verstehen. Bereits jetzt muss man dazu sagen, dass Diskriminierung immer im Kontext der bestehenden Machtverhältnisse betrachtet und bewertet werden muss, aber dazu später.

Bei Diskriminierung wird jemand auf Basis einer (oder mehrerer) Diversitätsdimension(en) ungleich behandelt, im Vergleich zu anderen Personen, die dieses Merkmal nicht haben oder denen dieses zumindest nicht zugeschrieben wird. Nun stellt sich die Frage, was solche Diversitätsdimensionen sein können, auf Basis derer man diskriminiert werden kann. Die kurze Antwort ist: Theoretisch so ziemlich alles. Jede*r von uns hat wahnsinnig viele Diversitätsdimensionen. Um mich als Beispiel zu nehmen, ich bin – wie einleitend erwähnt – eine heterosexuelle, cis-Frau, ich bin Mutter, Schwester, Nichte, Freundin, habe blaue Augen, bin 1,70 m groß, weiß, habe mindestens 20 Narben, habe (derzeit) kurze Haare, bin (derzeit) nicht behindert, bin tätowiert, habe einen Hund, bin Rechtsanwältin, spreche zwei und halb Sprachen, bin Österreicherin, bin Wienerin, Europäerin, meine Eltern sind noch immer verheiratet (Gruß!), (glühende) Atheistin, usw. Einige dieser Merkmale teile ich vermutlich mit Ihnen und andere nicht. Wenn wir danach suchen, werden wir immer Diversitätsdimensionen finden, die uns einen und die uns unterscheiden. Manche Diversitätsmerkmale sind veränderbar, andere nicht. Ändern sie sich, gehen sie möglicherweise mit neuen Diskriminierungserfahrungen einher.

Wir können in der Theorie auf Basis jeglicher Merkmale diskriminieren. Eine Diskriminierung liegt immer dann vor, wenn das Merkmal die Grundlage für das Verhalten oder eine Entscheidung darstellt: Die Hautfarbe, die Größe, der Akzent, der Beruf, der Umstand, ob man Kinder hat, die Kleidung, die Herkunft, das Geschlecht, eine Behinderung, die sexuelle Orientierung, die Weltanschauung. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Einem Schwarzen wird der Einlass in ein Lokal verwehrt, weil er (‣) BIPoC ist. Die Bewerbung einer Frau wird nicht berücksichtigt, weil sie weiblich ist. Einem Mann wird die Elternzeit nicht gewährt, weil er männlich ist. Eine Schülerin wird ausgeschlossen, weil sie ein Kopftuch trägt. Das entsprechende Verhalten wird auf Basis des Merkmals (und den Schlüssen, die daraus gezogen werden) gesetzt und nicht unter Berücksichtigung der konkreten Person. Vielmehr werden (künstlich) Kategorien erzeugt, die wiederum eine Unterscheidung suggerieren, welche eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.[9] Hier liegt auch der Unterschied zu einer schlicht (oft gefühlt oder tatsächlich) ungerechten Schlechterbehandlung, die ohne besonderen Grund stattfindet.

Natürlich können wir auch auf Basis mehrerer Merkmale diskriminiert werden. Juristisch wird das Mehrfachdiskriminierung genannt, auch der Begriff (‣) Intersektionalität ist dafür gebräuchlich. Geprägt wurde der Begriff von Kimberly Crenshaw, die im Kontext von Schwarzen Frauen in den USA aufgezeigt hat, dass es nicht ausreicht, die unterschiedlichen Diversitätsmerkmale, auf Basis derer jemand diskriminiert wird, zu addieren, vielmehr sind diese im Gesamten zu betrachten.[10] Ein Beispiel: Eine BIPoC wird bei einer Bewerbung nicht berücksichtigt, obwohl sie die bestqualifizierte Bewerberin ist, weil im Unternehmen Vorbehalte gegen weibliche BIPoC bestehen. Sie wird also weder ›nur‹ diskriminiert, weil sie eine Frau ist, noch aufgrund ihrer Hautfarbe. Die Benachteiligung findet aufgrund der Kombination aus beiden Merkmalen statt. Macht sie nun Diskriminierung geltend und kann das Unternehmen zeigen, dass es sowohl Frauen als auch BIPoC anstellt, dann fällt ihre Beschwerde – obwohl sie auf realer Diskriminierung basiert – durchs Raster.[11] Ihre persönlichen Merkmale müssen also in Summe betrachtet werden, um die Diskriminierung aufzuzeigen. Dies ist aber nicht der einzige Grund, warum intersektionelle Diskriminierung gesondert zu betrachten ist. Ein weiterer Aspekt ist, dass jede Form von Diskriminierung spezifisch ist, und seine eigenen Funktionsweisen, Hintergründe und Eigenarten hat. Dies betrifft nicht nur das Merkmal, auf Basis dessen diskriminiert wird, sondern auch den Kontext, in dem die Diskriminierung passiert. Eine Person, die von intersektioneller Diskriminierung betroffen ist (hier: weiblich, BIPoC), kann also von anderen Diskriminierungen betroffen sein als Personen, die nur eines ihrer Merkmale teilen, also beispielsweise eine weiße Frau oder ein Schwarzer Mann. Kurz: Schwarze Frauen sind von spezifischen Diskriminierungsmustern betroffen, die nicht mit anderen Formen von Diskriminierung vergleichbar sind. Crenshaw erklärte das folgendermaßen: »Da die Erfahrung der Intersektionalität größer als die Summe von Rassismus und Sexismus ist, kann keine Analyse, die diese Intersektionalität nicht berücksichtigt, sich angemessen mit der besonderen Art und Weise auseinandersetzen, in der Schwarze Frauen unterdrückt werden.«[12]

Spricht man daher über ›Diskriminierung‹ können tatsächlich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemeint sein[13]: Gebäude, die nicht barrierefrei sind, wenn ein lesbisches Paar des Lokals verwiesen wird, das permanente Hinwegsehen über eine Mitarbeiterin oder die Hasskommentare, die einer Transfrau entgegenschlagen. Ihnen gemein ist, dass ein oder mehrere spezifische(s) Merkmal(e) zu dieser Ungerechtigkeit führen.

Es gibt aber auch andere, als die individuellen Diskriminierungsformen, wie wir uns im nächsten Kapitel ansehen werden: Vorgeschriebene Arbeitszeiten, die mit Familienbetreuungspflichten nicht vereinbar sind, mehr Männer- als Frauentoiletten oder fehlende Toiletten für non-binäre (sich keinem spezifischem Geschlecht zuordnende) Personen oder Transpersonen, die sich (noch) nicht sicher sind, welche Toilette sie benutzen sollen (und ja, es ist ein beachtliches Alltagsproblem, dringend zu müssen und nicht zu wissen, wohin), Sicherheitskonzepte und Forschung, die sich am männlichen Körper als Norm und Dermatologie, die sich an weißer Haut orientiert. Auch hier handelt es sich um diskriminierende Zustände, weil nicht jeder in derselben Situation die gleichen Möglichkeiten hat, mit anderen Hürden konfrontiert ist und vor allem manche ihr authentisches Sosein ausleben können, ohne gesellschaftlich oder sozial bestraft zu werden, und andere nicht.

1.3 Jede Diskriminierung ist ungerecht, aber nicht jede Ungerechtigkeit ist diskriminierend

Wir befinden uns einerseits in einer Zeit, in der das Thema Diskriminierung deutlich an Präsenz gewonnen hat, weshalb sich das Verständnis über problematisches und grenzüberschreitendes Verhalten insgesamt verbessert. Andererseits ist eine gewisse Tendenz der Pauschalisierung erkennbar, die teils dazu führt, dass bestimmte Verhaltensweisen (zu) schnell als diskriminierend angeprangert und damit der Blick auf die immer noch strukturell bestehenden diskriminierenden Ungerechtigkeiten möglicherweise verstellt wird. Denn die Welt ist von Differenz geprägt, wie sich in jedem Lebensbereich zeigt. Macht, Ressourcen, Bildungschancen oder Arbeitslast sind ungleich verteilt. Zwischen den Geschlechtern, zwischen sozialen Hierarchien, zwischen Staaten, zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Dabei ist dieses Ungleichgewicht sehr oft sehr ungerecht. Obwohl wir diese Tatsache gar nicht übersehen können, schaffen wir es meisterhaft, sie auszublenden, nicht zuletzt, indem wir uns auf das meritokratische Prinzip der (fehlenden) Leistungsbereitschaft und freien Entscheidung zurückziehen. Hier ein paar Beispiele, die uns allen vermutlich nicht fremd sind:

Niemand zwingt so viele Frauen in soziale Berufe, wir versuchen ohnehin alles, um sie für Technik zu begeistern

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