Das Jenseits ist gleich nebenan - Leni Weber - E-Book

Das Jenseits ist gleich nebenan E-Book

Leni Weber

4,8

Beschreibung

Leni Weber berichtet von ihren Erlebnissen mit der jenseitigen Welt. Sie verliert ihre Eltern – Vater, Mutter und Stiefvater. Jedes Jahr verabschiedet sie einen geliebten Menschen. Obwohl sie kein Medium ist, das eine Verbindung mit dem Jenseits herstellen kann, erlebt sie Erstaunliches. Denn drüben ist man in der Lage, sie zu kontaktieren – ihr deutliche Zeichen zu senden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 102

Veröffentlichungsjahr: 2016

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
13
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses Buch widme ich meiner Mama, meinem Papa und meinem Stiefpapi. Danke, dass Ihr mich immer noch unterstützt – aus dem Jenseits.

Ich liebe Euch!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 1

Mit der roten Rose in der Hand gehe ich dem Urnenträger hinterher. Ich versuche, mir vorzustellen, dass meine Mutter in der Urne liegt, zumindest ihre Überreste. Doch das gelingt mir nicht. Wer weiß schon, was da drin ist? Vielleicht nur ein Becher Kreide oder eine Schaufel Sand. Ich hätte vorher nachsehen sollen. Wie soll ich mich auf die Beerdigung konzentrieren, wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass meine geliebte Mama da drin ist?

Ich erwäge, dem Urnenmann auf die Schulter zu tippen und ihn zu fragen, ob ich mal einen Blick in die Dose werfen darf. Aber ich bin ja nicht alleine hier. Hinter mir trottet eine Trauergesellschaft hinterher, die es sicherlich nicht gutheißt, würde ich den Ablauf der Beerdigung stören. Dabei ist diese Sache von elementarer Bedeutung. Schließlich will ich nicht bloß einen Topf voller Blumenerde für 1,50 Euro beerdigen, sondern Mama. Die Frau, die mich großgezogen hat und alles für mich war. Jetzt ist sie tot! Einfach aus dem Leben gegangen und hat mich hier zurückgelassen. Dabei dachte ich immer, dass sie ewig leben wird. Mindestens so lange, bis ich selbst reif für die Kiste bin. Aber nein, meine Mama geht vor mir rüber und ich fühle mich leer und verlassen.

Ich würde sie gerne noch mal in den Arm nehmen, sie knuddeln und ihr sagen, wie lieb ich sie habe. Nur wie soll das gehen mit einer Urne?

Ach, Mama, du hättest mich wenigstens fragen können, ob es mir recht wäre, dass du gehst! Doch du ziehst dein eigenes Ding durch. Na ja, du hattest halt deinen eigenen Kopf.

Wir stehen am Grab und der Urnenträger lässt die Urne in dieses winzige Loch gleiten. Herrje, kleiner hätten sie es wohl nicht graben können? Wie soll ich mir so vorstellen können, dass ein Mensch dort hinabgelassen wird. Es ist ja auch kein Mensch mehr, es ist Asche in einer Metallschachtel.

Gib mir meine Mama zurück!

Mir fließen die Tränen ununterbrochen die Wange herunter. Ich müsste eigentlich schon vertrocknet sein, da meine Flüssigkeit den gesamten Friedhofsboden bedeckt. Der andere Teil liegt in der Kapelle. Wahrscheinlich feudelt dort gerade einer die Pfützen weg.

Wir helfen dem Grabzuschaufler bei seiner Arbeit und werfen jeder eine Handvoll Erde ins Löchlein. Als ich an der Reihe bin, schaue ich hinein. Da liegt sie – die weinrote Urne mit der hübschen Rose auf dem Bauch. Ich blicke tiefer ins schwarze Nichts, aber meine Mama ist nicht zu sehen.

„Mama, wo bist du?“, frage ich in Gedanken und hätte schwören können, einen zarten Windhauch am Ohrläppchen gespürt zu haben. Ein rotes Rosenblatt fliegt mir entgegen, es hat sich vom Gesteck gelöst. Ich bücke mich danach und hebe es auf. Zu Hause werde ich es zwischen die Seiten eines dicken Buches legen, um es zu trocknen, als Andenken an diesen traurigen Tag. Den traurigsten meines Lebens!

Mir ist nicht klar, wie ich diesen Schmerz überwinden kann. Doch ich sollte nichts Unmögliches von mir verlangen. Es sind lediglich drei Wochen vergangen. Ja, vor vier Wochen haben wir noch miteinander geredet. Da lag sie bereits schwer krank und abgemagert im Krankenhaus. Ich wusste, dass es nicht mehr lange gehen würde, aber ich habe es nicht wahrhaben wollen. Verflucht noch mal, ich habe mir jeden Tag eingeredet, ich könnte das Blatt wieder wenden, könnte etwas für sie tun, ihr das Leben retten!

Die Ärzte hielt ich täglich auf Trab. Schließlich sollten sie jede erdenkliche Medizin an ihr ausprobieren, nichts unversucht lassen. Aber nach monatelangem Kampf haben ihre Organe einfach versagt, ist sie eingeschlafen – für immer.

In der Nacht rief das Krankenhaus an.

„Ihre Mutter ist gestorben. Es tut uns sehr leid. Möchten Sie gerne vorbeikommen?“

Natürlich wollte ich das! Ich musste sie ein letztes Mal sehen. Auch wenn es bloß ihr toter Leib war. Ich schlüpfte in die Klamotten und fuhr mit meinem Stiefpapi und meiner Tante in die Klinik.

Man hatte sie liebevoll zurechtgemacht, eine Kerze angezündet und ihre Hände gefaltet. Meine Mama lag tot im Bett – meine Mama! Wie konnte das sein? Klar starben Mamas regelmäßig auf der Welt – überall in jedem Winkel der Erde. Aber doch nicht meine!

Ihr Todeskampf musste schwer für sie gewesen sein, ihr Gesicht sah gequält aus.

Mein Stiefpapi küsste meine Mama ein letztes Mal. Wow, das könnte ich nicht. Es war doch nur noch totes Fleisch, was da lag. Ich dachte an die Worte einer Freundin.

„Die Seelen schweben durchs Fenster hinaus.“

Deswegen öffnete ich ein Fenster, damit meine Mama den Weg nach draußen fand.

„Mach’s gut Mama! Ich werde dich immer vermissen.“

Direkt am selben Tag wollte mein Stiefpapi die Beerdigung organisieren. Na ja, die Nacht hatte ich sowieso nicht geschlafen, anfangen konnte ich mit mir auch nichts, daher blieb eine Menge Zeit, mich genau damit zu beschäftigen. Also fuhren wir zu dritt ins Beerdigungsinstitut und gaben alles in Auftrag. Die weinrote Urne mit der hübschen Rose auf dem Bauch war mir sofort ins Auge gestochen. Es war, als hätte meine Mutter neben mir gestanden und darauf gezeigt.

Und nun ist alles vorbei. Mama liegt zerbröselt im Grab in der weinroten Urne mit der hübschen Rose auf dem Bauch und ich gehe mit der Trauergesellschaft im Schlepptau Richtung Ausgang. Mein Stiefpapi und ich haben einen Tisch im Restaurant bestellt. Das Restaurant! Dort haben wir vor gar nicht langer Zeit zu viert gesessen – meine Mama, mein Stiefpapi, mein Freund und ich – und richtig gut gegessen. Wir alle waren begeistert, vor allem Mama. Deshalb bekommt sie heute an ihrem Tag ihr Essen!

Nach und nach finden wir uns dort ein und nehmen Platz an der gedeckten Tafel. Ich habe meine Schwester fünf Jahre nicht gesehen. Oder sind es sechs? Sie ist so alt geworden! Bin ich das auch? Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Wir setzen uns gegenüber, unsere Männer ebenfalls. „Herr Floh“ (mein Freund) sieht meine Schwester und meinen Schwager heute das erste Mal. Wir sind ja gerade drei Jahre zusammen. Und ein Jahr zuvor haben wir erst meinen Vater beerdigt. Man kann wahrhaftig nicht behaupten, dass es langweilig wäre in unserer Beziehung. Hoffentlich geht das nicht so weiter.

Meine Schwester und ich nähern uns nur langsam an. Sie ist distanziert und kalt wie ein Grab ... hahaha!

Wäre es nach mir gegangen, hätten wir allen Ballast über Bord geworfen und wieder da angeknüpft, wo wir vor dem Streit aufgehört haben. Doch ihre Mauer ist dermaßen hoch, dass sie den Himmel beinahe berührt. Wenn ich da hochklettere, könnte ich Mama bestimmt sehen.

Wir tauschen unsere Telefonnummern aus und nehmen uns vor, ab jetzt Kontakt zu halten. Mich freut’s. Obwohl ich weiß, dass es eher mir vorbehalten sein wird, mich zu melden. Meine Schwester ist in diesen Dingen inkompetent. Kontakte pflegen ist nicht ihre Sache! Andere Menschen im Allgemeinen sind nicht ihre Sache! Macht nichts, glaube ich ... Nun gut, mal sehen.

Wir unterhalten uns über Allgemeines, nichts Persönliches. Wir lachen sogar zusammen. Komisch, wie gelingt mir das an solch einem Tag? Aber ich spüre weiterhin eine tiefe Kluft zwischen ihr und mir. Kann sie nicht ein wenig lockerer werden? Warum ist sie derart steif? Bin doch bloß ich, ihre kleine Schwester, mit der sie aufgewachsen ist und sich über Spielzeug und später über andere unwichtige Dinge gestritten hat. Schließlich hatte unser letzter Streit alles einstürzen lassen – dieses Kartenhaus, das ohnehin all die Jahre lediglich durch ihren Mann, meinen Schwager, zusammengehalten wurde. Er war unser Bindeglied, weil alle Verabredungen zwischen ihm und mir getroffen worden sind. Wäre er nicht gewesen, hätten meine Schwester und ich früher den Kontakt abgebrochen. Sie ist eben ziemlich unmotiviert, sich um andere Menschen zu kümmern. Mir wäre das zu einsam. Und jetzt ist alles noch einsamer geworden, weil Mama gestorben ist.

Irgendwann löst sich die Trauergesellschaft auf. Jeder geht seiner Wege. Ich hätte meine Schwester zum Abschied gern an mich gedrückt und für immer festgehalten. Sie ist meine letzte direkte Familie. Tanten und Onkel sind ja indirekt. Doch sie ist unerbittlich reserviert. Gott, kann sie sich den Stock im Hintern nicht mal rausoperieren lassen? So steif ist nicht mal die katholische Kirche. Herrje, wie kommen wir uns jemals wieder näher, wenn sie nicht aus sich herauskommt? Sie ist verschlossener als ein Gullydeckel.

Als ich in der Wohnung meiner Eltern bin, lege ich mich in die Wanne zum ausgiebigen Grübeln. Ich starre auf die kleinen bunten Schmetterlinge aus Plastik und Papier, die meine Mutter sammelte und an die Badezimmerwand gehängt hat. Plötzlich sehe ich überall Schmetterlinge im Raum. Sie fliegen über meinen Kopf hinweg und finden sich im Muster der Handtücher wieder sowie im Putz der Wand. Schnappe ich jetzt über? Ich erinnere mich an die Worte meiner Tante. Sie hat sie „Herrn Floh“, meinem Freund, nach der Beerdigung zugeflüstert und nicht mir. Trotzdem schwingen sie in mir nach.

„Pass schön auf Leni auf. Nicht, dass sie spirituell wird.“

Und das nur, weil ich das Rosenblatt vom Boden aufgehoben und ein paar Mal behauptet habe, Mama hätte es mir bestimmt geschickt. Bin ich deswegen zu einer Gefahr geworden? Und wann ist man spirituell? Sobald man an ein Zeichen von oben glaubt oder jeden Tag zu Buddha betet? Ist spirituell sein giftig oder gesundheitsgefährdend?

Am nächsten Tag fahren „Herr Floh“ und ich zurück nach Hamburg. Berlin ist ohne meine Mama nicht mehr dieselbe Stadt. Alles wirkt grau und trist. Wie soll ich es bloß schaffen wiederzukommen? Kann ich meinen Stiefpapi jetzt alleine lassen?

Meine Gedanken fahren Achterbahn während der Autofahrt. Ich bin jetzt eine Vollwaise. Gut, ich bin fünfundvierzig Jahre und selbst schon fast eine Greise. Meine Lebenserwartung ist beinahe erreicht, da ich mich aufgrund meiner chronischen Erkrankung wie achtzig fühle. Und ja, da muss wohl jeder mal durch. Aber warum ich? Warum jetzt? Warum überhaupt?

Kapitel 2

Ich liege mit „Herrn Floh“ auf der Couch und weine in seinen Arm hinein. Er tröstet mich, so gut es geht. Doch den Schmerz kann er mir nicht nehmen. Wie auch? Der haftet an mir wie ein Spezialkleber.

Plötzlich fängt der Fernseher an zu brüllen. Knall auf Fall hat er sich in meine melancholische Weinerei eingemischt und dröhnt wie ein Hubschrauber, der gerade vor unserem Wohnzimmertisch landet. Beinahe möchte man sich die Zeigefinger in den Gehörgang stopfen, denn der Radau ist markerschütternd. Solch ein seltsamer Lärm ist aus seinen Lautsprechern noch nie hervorgekommen. Bis eben lief er auf Standby und nun hat er sich von selbst eingeschaltet und verhält sich wie eine Höllenmaschine. Wie geht das? Weder ich noch mein Freund sind an die Fernbedienung geraten. Die liegt unangetastet auf dem Tisch. Seit drei Jahren steht die Flimmerkiste hier rum, aber so etwas ist niemals vorgekommen. Kaputt ist sie auch nicht. Oder vielleicht doch?

Mein Freund spricht aus, was ich denke.

„Das ist bestimmt deine Mutter!“

„Ja“, sage ich, „das ist meine Mama!“

Ich springe vom Sofa und laufe zum Fernseher, um ihn auszuschalten. Das klappt ohne Probleme. Danach schalte ich ihn von Neuem ein. Er läuft wie eine Biene. Na bitte, alles in Ordnung. Einen Fehler hat die Glotze nicht. Also müssen da andere Mächte am Werk sein. Wie soll zu erklären sein, dass ein totes technisches Gerät zu leben beginnt und unerklärbare Dinge tut, für die es nicht programmiert wurde?

Das war ein deutliches Zeichen von Mama. Danke!

Sechs Wochen später habe ich Geburtstag. Wir machen Urlaub in Boltenhagen und ich liege auf der Terrasse in der Sonne und wünsche mir, meine Mutter könnte mich anrufen – geradewegs das Telefon klingeln lassen und mir gratulieren. Was würde ich dafür geben, ihre Stimme wiederzuhören – ihr süßes, warmherziges Geträller!