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"Herr Doktor, ich bin 'chronisch'. Kann man dagegen etwas machen?" Leni ist erkrankt. Einfach so. Nach über 32 Jahren unerschöpflicher Gesundheit ist Schluss. Alles Gute ist wohl irgendwann mal vorbei, denkt sie, gibt sich aber nicht geschlagen. Ihr Körper ist ausgedörrt wie ein alter Zweig und ihre neue körperliche Schwäche hindert sie daran, ein normales Leben zu führen. "Was? Ich soll zum Psychologen? Aber ich sieche körperlich dahin und nicht geistig." Sie stößt auf Hindernisse bei Ihrem Kampf um eine Diagnose, weil ihr niemand glaubt. Machen es sich Ärzte zu einfach, indem sie Patienten mit ungewöhnlichen Krankheitsbildern zu schnell aufgeben? "Bin ich etwa der einzige Mensch auf der Welt, der krank ohne Diagnose ist?" Eine charmante und berührende Erzählung, die vielen aus der Seele sprechen wird, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Mit drei Einleitungs-Texten von CFS- und MCS-Betroffenen.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Dieses Buch widme ich meinem Freund, der mir zur Seite steht wie kein anderer, endloses Verständnis besitzt und mich in allem unterstützt.
Herr Floh, Du bist das Beste in meinem Leben!
Ich liebe Dich!
Vorwort 1
Vorwort 2
Vorwort 3
Krank ohne Diagnose
Erkrankt an MCS, Multiple Chemikaliensensitivität
Seit 1980 bin ich erkrankt, also seit 35 Jahren. Ich kann nur sagen, dass ich mich sehr allein fühle mit dieser Erkrankung. Ärzte, die sich mit MCS auskennen, sind rar gesät. Es müsste viel mehr Umweltärzte geben, Kliniken und vor allem niedergelassene Mediziner, die sich mit der Problematik einer Umwelterkrankung auskennen. Leider gibt es für Betroffene kaum Hilfe. Mögliche Therapien, wie entgiftende Maßnahmen oder Heilverfahren zur Stärkung des entgleisten Immunsystems werden nicht angeboten, bzw. nicht von den Krankenkassen übernommen. Manche Betroffene sind aber so schwer erkrankt, dass sie nicht mehr arbeiten gehen und sich teure Therapien kaum leisten können. Es entsteht ein Teufelskreis, aus dem man ohne therapeutische Hilfe nicht mehr herauskommt.
Krankheiten wie MCS oder CFS, die eindeutig Immunerkrankungen sind, werden in der Fachwelt leider nicht anerkannt. Daher erhalten Betroffene weder medizinische noch staatliche Unterstützung. Denn ohne anerkannten Befund wird oft eine für die Existenz so wichtige Erwerbsminderungsrente abgelehnt.
Inzwischen bin ich in Altersrente gegangen, hatte aber die Jahre zuvor nur aufgrund meiner Ehe eine finanzielle Grundlage. Betroffene, die allein leben und keine Unterstützung durch einen Partner erwarten können, wenn sie arbeitsunfähig sind, leben am Existenzminimum, wenn die dringend benötigte Rente nicht bewilligt wird. Es muss sich unbedingt etwas ändern für umwelterkrankte Menschen. Vor allem aber sollten CFS und MCS als Krankheiten anerkannt werden. Teilweise sind Betroffene schwerstens behindert. Manche sind bettlägerig oder können ihren Alltag ohne Haushaltshilfe nicht bewältigen.
Die Auslöser für meine Erkrankung waren mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Raumgifte. 1980 sind wir in ein neu gebautes Haus gezogen und die Ausdünstungen aus Tapeten, Möbeln und Teppichen haben mir körperlich sehr geschadet. Aufgrund dessen bekam ich fünf Jahre später, 1985, außergewöhnlich starke Kopfschmerzen und Schwindel, was aber kein Arzt ernst genommen hat. Ein Umweltarzt hätte vielleicht eine Idee gehabt, aber vor 35 Jahren waren solche Mediziner noch seltener zu finden als heute. Als ich zwei Jahre später, 1987, körperlich zusammengebrochen bin, nahm man an, mein Leiden sei psychischer Natur. Kein Arzt hat dies mit Umweltgiften in Zusammenhang gebracht. Ich deshalb auch nicht.
In all den Jahren bin ich auf eine seelische Störung hin behandelt worden. Meine Giftproblematik wurde von den Psychologen und von anderen Ärzten nicht ernst genommen. Dass ich schwere körperliche Einschränkungen erleide, wenn ich mit Duftstoffen, Chemikalien, Zigarettenrauch oder anderem Qualm in Verbindung komme, wird von den Ärzten als psychische Reaktion erklärt. Ich finde es wirklich unfassbar, dass MCS und CFS so heruntergespielt werden, obwohl die Zahl der Betroffenen stetig ansteigt. Außerdem liegt es doch auf der Hand, dass die Menschen wegen zunehmender Verschmutzung von Luft und Wasser sowie Giften in Wohnräumen usw. immer kränker werden. Trotzdem wird es kleingeredet.
Es wäre wirklich zu wünschen, dass sich an der Gesamtsituation bald etwas ändert. Vor allem sollten CFS und MCS anerkannt und bekannter werden.
Erkrankt an MCS, Multiple Chemikaliensensitivität
Meine Erkrankung brach 2008 aus, nachdem ich 25 Jahre in einem Altenpflegeheim gearbeitet hatte. Als Pflegekraft war ich verpflichtet, mir regelmäßig die Hände zu desinfizieren. Das Desinfektionsmittel sowie die Reinigungschemikalien, so nehme ich heute an, haben mein Immunsystem auf Dauer geschädigt. Es brauchte für den Ausbruch der Krankheit dann nur noch einen starken Reiz in Form eines extremen Duftstoffes, dem ich nur kurze Zeit ausgesetzt war, um die Krankheit ausbrechen zu lassen.
Eine ehemalige Kollegin legte ein Parfum auf, das so stark und beißend roch, dass ich schwerwiegende Atemprobleme bekam. Ich wurde ins Krankenhaus gefahren und mit Kortison aufgrund eines Asthmaanfalls behandelt. Das Kortison nahm ich noch über einige Wochen ein, bis ich es absetzen konnte.
Seither vertrage ich eine Vielzahl verschiedener Substanzen nicht mehr, wie: Pestizide, Lösungsmittel, Reinigungsmittel, Parfüme usw. Sobald ich mit diesen Stoffen in Berührung komme, drohen starke Atemprobleme sowie Asthmaanfälle. Die ersten Jahre seit Ausbruch der Erkrankung waren für mich die schlimmsten, da ich nicht verstand, was mit mir los war. Wieso nahm ich Gerüche und Duftstoffe als schädlich und unangenehm wahr, die andere kaum bemerkten? Weshalb wurde ich davon krank und andere nicht? Die Palette der Symptome wuchs an und ich litt unter starker Müdigkeit, Leistungsabfällen, Schwindel, Koordinationsproblemen, hatte unerträgliche Kopfschmerzen und Bewusstseinseintrübungen.
Wenn mein Mann sich in unserem Haus in der ersten Etage mit einem parfümhaltigen Rasierschaum rasierte, bekam ich im Erdgeschoss einen Asthmaanfall. Die Tageszeitung, Zeitschriften usw. verursachten Husten und Schwindel.
Mir wurde klar, dass ich diese Probleme niemandem erklären konnte, weil ich selbst nicht begriff, was mit mir passierte. Ich hatte Angst davor, von niemandem verstanden zu werden, weder von den Ärzten noch von meiner Familie.
Mit der Zeit lernte ich, die Substanzen, die mir schadeten, zu erkennen und entsorgte sie, ersetzte sie durch natürliche und parfümfreie Mittel. Auch lernte ich, mich mit der neuen Krankheit MCS zu arrangieren. Ich bin dankbar dafür, dass mein Mann und meine Familie Verständnis für mich haben. Mir ist klar, dass nicht jedem dieses Glück widerfährt, der mit CFS oder MCS zu kämpfen hat. Es sind unsichtbare Krankheiten, die man im Blutbild nicht erkennen kann. Und weil sie so schwer zu diagnostizieren sind (nicht nachweisbar sind), erleben viele Erkrankte eine wahre Arztodyssee, bis sie endlich einen Mediziner finden, dem diese Erkrankungen ein Begriff sind.
Mein Leben hat sich sehr geändert. Mal eben schnell zum Einkaufen, Frisör oder Tanken fahren kann ich nicht, weil ich überall irgendwelchen Gerüchen und Ausdünstungen ausweichen muss. Wenn ich plane, ins Kino oder essen zu gehen, muss ich darauf achten, dass solche Termine auf den frühen Nachmittag gelegt werden, damit ich keinem Menschen begegne, der Parfüm aufgelegt hat.
Ich suche den Ausgleich bei Spaziergängen im Wald mit meinem Hund. Dort ist die Gefahr am geringsten, mit Gerüchen konfrontiert zu werden und ich kann meine Lungen mit Sauerstoff füllen. Es ist erschreckend, wie schwer man sich vor Giftstoffen in der Luft schützen kann und wie schnell ich darauf reagiere.
Ein Nachbar rauchte eine Zeit lang regelmäßig Shisha. Obwohl er ein Haus weiter wohnt, schadeten mir die Dünste, die sein Rauchwerkzeug von sich gab. Es machte mich sehr krank und führte zu starker körperlicher Schwäche. Mein ganzer Körper schmerzte und mein Kopf zerplatzte, auch konnte ich mich nicht mehr richtig artikulieren und war kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch. Als ich ihn daraufhin ansprach, erhielt ich kein Verständnis. Ich weiß nicht, wie ich diesen Sommer überstanden habe, aber ich stand kurz davor, meinen Lebensmut zu verlieren, weil meine Erkrankung sich so stark verschlimmerte, dass es kaum noch auszuhalten war.
Gott sei Dank hat er die Raucherei inzwischen eingestellt und ich staune heute noch, wie stark mir der Rauch über solch eine räumliche Entfernung schadete.
Dieses „Shisha-Erlebnis“ hat mir wieder bewusst gemacht, wie sehr ein MCS-Betroffener auf das Verständnis seiner Mitmenschen angewiesen ist. Ich weiß, welches Glück ich in meinem direkten Umfeld habe. Freunde und Familie stehen zu mir. Aber leider gibt es auch Menschen, auf deren Umsicht man nicht zu hoffen braucht.
Dabei muss kaum jemand hoffen, ein Leben lang von Krankheiten verschont zu bleiben. Wir leben in einer schwer belasteten Umwelt. Es kann jeden treffen!
Erkrankt an CFS, Chronic Fatigue Syndrome
Mein Leidensweg begann vor 14 Jahren. Von heute auf morgen wurde ich krank und mein Leben änderte sich auf einen Schlag.
Eines Morgens wachte ich auf und musste mich übergeben. Ich dachte an einen Magen-Darm-Virus, vielleicht hatte ich auch etwas Schlechtes gegessen. Doch es sollte sich herausstellen, dass dieser Tag vor über 14 Jahren der bittere Anfang meiner Krankengeschichte war.
Die Krankheit endete nicht und ich litt weiter ununterbrochen an Übelkeit, Kopfschmerzen, starker Erschöpfung sowie Appetitlosigkeit und schweren Schlafstörungen. Die Monate vergingen und schließlich die Jahre, aber die Symptome blieben meine Begleiter. Ich wurde einfach nicht wieder gesund. Mit der Zeit kamen weitere Symptome hinzu, wie Muskelschmerzen, Nahrungsmittelintoleranzen und Konzentrations- und Gedächtnisschwächen. Mein Puls rast ununterbrochen, obwohl ich mich aufgrund meiner schweren Erschöpfungszustände ruhig verhalten muss und viel liege.
Ich kann die Ärzte gar nicht mehr zählen, die ich im Laufe der vielen Jahre aufgesucht habe. Die meisten waren ratlos und schoben meine Beschwerden auf ein psychisches Leiden. Plötzlich war von Depressionen die Rede und psychosomatischen Störungen. Einige stempelten mich sogar als Hypochonder ab und unterstellten mir gar, faul zu sein. Ich musste mir mehrfach Anschuldigungen anhören, was mir an manchen Tagen den Mut zum Weitermachen raubte.
Auch wenn ich nicht wusste, woran ich erkrankt war, so war ich mir immer sicher, nicht psychisch erkrankt zu sein!
Trotzdem war ich geneigt, alles zu versuchen, deshalb nahm ich die mir verschriebenen Antidepressiva und Beruhigungstabletten eine Zeit lang ein. Doch zu einer Verbesserung ist es nicht gekommen, im Gegenteil, die Beschwerden verschlimmerten sich sogar.
Später wurden Fehldiagnosen gestellt, weil die Ärzte mit meinem Krankheitsbild überfordert waren. Man vermutete, ich sei an Multiple Sklerose erkrankt. Gott, das war ein Schock! Als dann auch noch angenommen wurde, dass ich an Narkolepsie erkrankt wäre, lief das Fass über.
Natürlich lag man hier falsch. Dessen ungeachtet blieb ich befundlos und musste mich mit der Tatsache anfreunden, an CFS erkrankt zu sein und am Restless-Legs-Syndrom, dass zwar mit CFS einhergeht, aber durch den Bewegungsdrang in den Beinen in krassem Gegensatz zu einer Erschöpfungskrankheit steht.
Sieben Jahre habe ich auf die Diagnose CFS gewartet, musste dann aber feststellen, dass sich dadurch nichts ändern würde, schließlich ist das chronische Erschöpfungssyndrom eine nicht anerkannte Erkrankung, genauso wie MCS, eine Parfüm- und Chemiekalienunverträglichkeit. Deswegen erhält man im Grunde nie Hilfe! Ich stehe vollkommen allein mit dieser furchtbaren Krankheit da, die mich behindert und daran hindert, „normal“ zu leben. Ich muss mich oft ausruhen, d.h. die meiste Zeit des Tages liegen. Von Jahr zu Jahr geht es mir schlechter und wenn ich es mir noch so sehr wünsche, arbeiten gehen zu können, so ist es in diesem körperlichen Zustand nicht möglich.
Ich bin früh erkrankt, schon mit 19 Jahren. Es gelang mir noch, mein Studium zu Ende zu bringen, doch die Krankheit nahm einen immer größeren Raum ein. Damals war ich noch voller Hoffnung und hatte Zukunftspläne. Mein Traum war es zu reisen, in Hotels und auf Kreuzfahrtschiffen zu arbeiten. Stattdessen lag ich von nun an viel im Bett und kämpfte um meine Gesundheit. Arbeiten konnte ich nie, hatte niemals eine Chance, meine Jugend in vollen Zügen auszukosten. Das Schicksal hatte andere Pläne mit mir.
Trotz der Krankheit habe ich das große Glück, einen lieben Mann gefunden zu haben. Wir haben eine gemeinsame Tochter, die mich sehr glücklich macht. Von außen betrachtet, sind wir eine ganz normale Familie. Kaum jemand begreift, wie schlecht es mir geht, weil man mir meine Krankheit nicht ansieht. Ich habe keinen richtigen Namen für mein Leiden. Was nützt es schon, wenn ich jemandem sage, an CFS erkrankt zu sein? Es ist eine unbekannte Krankheit, die lediglich ausdrückt, sehr erschöpft und schwach zu sein. Würde ich sagen, an Multiple Sklerose erkrankt zu sein, wüsste jeder, wovon ich spreche. So aber ernte ich verständnislose Blicke und Naserümpfen. Ein bisschen erschöpft sind wir doch alle mal! Was stellt die sich so an?! Wieso geht sie nicht arbeiten, ihr Kind ist doch alt genug? Schnell kommen verletzende Kommentare von Menschen, die mich kaum kennen. Und diejenigen, die sich verständnisvoller zeigen, erweisen sich manchmal als voreingenommen. Sie meinen, es besser zu wissen, und unterstellen mir, nicht genügend zu tun, um gesund zu werden. Sie wollen mich überreden, weiterhin irgendwelche Ärzte aufzusuchen, obwohl ich in all den Jahren nichts anderes getan habe, als von Arzt zu Arzt zu rennen. Klar, sie meinen es gut mit mir, aber ich bin nun einmal chronisch erkrankt. Leider an etwas, das niemand kennt und niemand behandeln kann.
Es wäre schön, wenn ich meine qualvolle Erkrankung mal ausborgen könnte, dann würde jeder erkennen, welche Hölle ich Tag ein, Tag aus durchmache. Es würde helfen, mehr Verständnis von außen zu erhalten. Ärzte würden begreifen, es mit einer schweren Krankheit zu tun zu haben. Doch es scheint ein Wunschtraum zu bleiben, denn CFS und MCS sind in Deutschland weitgehend unbekannt.
Alle Therapieversuche blieben bei mir erfolglos. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen entsprechende Therapien nicht bezahlen. So lebe ich heute, so gut es eben geht. An manchen Tagen komme ich kaum aus dem Bett heraus, an anderen geht etwas mehr. Nein, ich bin nicht psychisch erkrankt, aber es gibt Tage, da zerrt diese Krankheit sehr an meinen Nerven. Ich hoffe inständig, dass CFS bald anerkannt wird – als schwere chronische Erkrankung. Es sollten mehr Gelder für die Forschung zur Verfügung gestellt werden, damit die Ursache für CFS und MCS endlich gefunden wird. Vielleicht könnte ich dann wieder Fahrrad fahren, spazieren gehen oder einfach nur morgens mit einem Lächeln aufstehen und einen Tag voller Aktivitäten planen. Das Träumen kann mir wenigstens keiner nehmen!
(Heraklit um 500 v. Chr.)
Nie hätte ich mir träumen lassen, dass mich eine Krankheit von heute auf morgen, so erbarmungslos aus meinem wohlgeordneten Leben reißen könnte.
Ja gut, bei anderen mag das durchaus mal vorkommen, aber bei mir …?
Ich bin jetzt 32 Jahre und fühle mich so aufgezehrt wie eine Hundertjährige. Demnach müsste ich meine Lebenserwartung bereits überschritten haben. Werde ich jetzt ins Gras beißen? Wie viel Zeit bleibt mir noch bis zum ultimativen Exitus?
Sicher habe ich mir nur eine läppische Erkältung eingefangen. Ein bisschen Fieber, na und! Etwa eine Grippe? Schüttelfrost und ein feuerroter Kopf. Also schön − ein Virus. Den hat jeder irgendwann. Den bin ich bald los und dann ist alles wieder gut. So war es bisher immer. Krankheiten kommen und gehen. Aber dass sie gehen, darauf kann ich mich verlassen. Also lehne ich mich zurück und bin einfach ein bisschen krank. Das ist okay!
Das Fieber sinkt nach ein paar Tagen. Na bitte! Hab ich’s nicht gesagt? Mein Körper macht das schon. Der ist virenerprobt und hat Erfahrung mit solchen Quälgeistern. Schwups, hat er sie alle eliminiert!
Ich gönne mir noch ein paar Tage Ruhe – so viel Zeit muss sein. Aber dann erwartet mich der Ernst des Lebens. Ich möchte nicht wissen, wie viel Arbeit in den letzten Tagen im Büro liegen geblieben ist. Meine Kollegen sind klasse, haben mich sicher gut vertreten. Aber nun ist Schluss! Jetzt brauchen sie mich wieder und ich freue mich darauf, arbeiten zu gehen. Nichts ist schlimmer, als tagelang ans Bett gefesselt zu sein. Aber zum Glück ist das ja nur vorübergehend.
Ich gehe arbeiten. Himmel sei Dank! Mein Schreibtisch quillt über und ich schwimme in Arbeit. So liebe ich das. Unter diesen Voraussetzungen ist mein Arbeitsplatz auch weiterhin sicher. Nur warum bin ich noch so schlapp? Die Arbeit lässt sich bloß schleppend verrichten und mein Elan stellt sich nur halbherzig ein. Ich sollte heute eher Schluss machen und richtig früh ins Bett gehen. Bestimmt liegt’s am Wetter.
Am nächsten Tag fühle ich mich nicht besser. Alles ist so seltsam geschwächt: die Arme, die Beine, auch der Kopf. Das Denken fällt mir schwer. Was hat sie gesagt? Wo sind meine Unterlagen? Was wollte ich gerade machen? Ich muss nach Hause. In mein Bett!
Wieder läute ich früher den Feierabend ein, als mir lieb ist. Es hat keinen Sinn, ich brauche noch ein paar Tage Pause.
Es geht nicht bergauf. Eigentlich wird es zusehends schlimmer. Zu der Erschöpfung gesellen sich starke Herzklopfen. Nachts schwitze ich einen ganzen Swimmingpool aus und obwohl ich so müde bin, dass ich ins Koma fallen möchte, kann ich nicht schlafen. Der Virus! Ich habe ihn nicht überwunden. Aber sicher doch. So wird es sein.
Ich sitze der Ärztin gegenüber und warte darauf, dass sie mir sagt, was ich habe.
„Tja, Ihre Blutwerte sind soweit in Ordnung. Hier und da ein paar Abweichungen, aber nichts, was Sie beunruhigen sollte.“
Fein, und was bedeutet das jetzt für mich?
„Ruhen Sie sich ein paar weitere Tage aus, dann wird’s Ihnen bestimmt bald besser gehen.“
Also schön, dann mal wieder ab ins Bett! Ziemlich hartnäckig, dieser Virus!
Nun liege ich schon sechs Wochen hier rum und warte auf ein Wunder. Das bleibt bislang aber aus. Mal verbringe ich den Tag im Bett, dann auf der Couch. Schließlich muss ein bisschen Abwechslung in meinen öden Alltag kommen. Ich kann mich kaum mehr bewegen. Die Schwäche hat sich bis in alle Poren meines Körpers ausgebreitet. Ich bin so schlapp wie ein welkes Blatt. Die einzigen Bewegungen, zu denen ich mich zwinge, sind die Gänge ins Bad. Die Notdurft lässt sich schlecht im Bett verrichten und niemand würde sie entfernen. Was bleibt mir also anderes übrig, als die Toilette aufzusuchen. Die Zähne putzen sich auch nicht von allein, leider. Es ist so anstrengend! Was ist nur los? Wo ist meine Kraft hin?
Manchmal weine ich vor mich hin. Das hilft nicht, aber es entlastet ungemein. Ich sollte einen neuen Arzt aufsuchen. Möglicherweise ist da etwas übersehen worden.
Mein Freund fährt mich ins Tropeninstitut. Hier ist es grau und es macht mir Angst. Was für ein alter Schuppen! Er könnte mal renoviert werden. Also, nehmt mein Blut und sagt mir, welchen Virus ich mir eingefangen habe. Da ich kurz vor Ausbruch meiner Erkrankung in Südafrika war, hab ich mir möglicherweise ein Souvenir mitgebracht. Das solltet ihr herausfinden, denn dafür seid ihr ja da!
Wie, ich bin gesund? Glaubst du, ich gehe ins Tropeninstitut, weil ich meine, ich sei gesund? Irgendwas müsst ihr doch gefunden haben? Wenigstens eine kleine Bakterie oder von mir aus auch einen Wurm, Hauptsache ein Befund. Das ist ein Komplott! Ich lass mir nicht literweise Blut abzapfen für solch ein unbrauchbares Ergebnis! Wo habt ihr euer Handwerk denn gelernt? Beim Metzger? Verflixt und zugenäht, nun gebt mir endlich eine Krankheit! Ich will nur einen Befund, will wissen, was ich hab!
Nun bin ich wieder auf mich allein gestellt. Meine Ärztin schreibt mich seit Wochen auf eine Grippe hin krank. Das Tropeninstitut hält mich für gesund. Und wie geht’s nun weiter?
Mit Liegen, Liegen und immer nur Liegen. Ich hasse es, ich hasse das Leben, ich hasse diese Krankheit! Sobald ich mich erhebe, zittern die Knie und wackelnd robbe ich ins Bad, um mich von hier aus auf schnellstem Wege zurück ins Bett zu begeben. Das ist ziemlich unbefriedigend und füllt mein Leben nicht mehr aus. Wenn das so weitergeht, geb’ ich mir die Kugel.
Ich würde gern ein bisschen lesen, aber es funktioniert nicht. Meine erschlafften Zellen sind nicht fähig, sich den Text zu merken. Ich muss mir jeden Satz zwei- bis dreimal durchlesen und habe den Inhalt trotzdem nicht aufgenommen. Eine Blockade in meinem Kopf. Wie kommt die da rein?
Selbst das Fernsehen macht keinen Spaß mehr. Was reden die da? Könntest du den Satz wiederholen? Nicht so schnell, wie soll ich da mitkommen?
So geht das nicht weiter. Ich brauche andere Untersuchungen. Einen neuen Arzt! Mein Freund beschließt, mich ins Krankenhaus zu fahren. Ich will eigentlich nicht, aber er hat Recht. Von allein werde ich nicht gesund.
Sie haben mich in einem gemütlichen Zweibettzimmer untergebracht. Meine Bettnachbarin hat eine Lungenentzündung. Die weiß wenigstens, was sie hat.
Los, gib mir deine Krankheit!
Alle sind sehr nett, aber sind sie auch kompetent genug, meine rätselhafte Krankheit aufzuspüren? Hier sind Spezialisten gefragt, Ärzte mit Scharfsinn und Entdeckergeist.
Auf jeden Fall sind sie fleißig mit der Kanüle. Täglich zapfen sie mir mehr von meinem Lebenssaft ab. Kein Wunder, wenn ich immer schwächer werde.
Ich erzähle dem Arzt von meinen Fieberschüben, Schweißausbrüchen und dem zu hohen Puls.
„Wissen Sie, Herr Doktor, es ist schon eigenartig, wie schnell mein Puls im Liegen rast. Ich habe ihn mal gemessen und zähle über achtzig Schläge in der Minute. – Ach so, das ist normal.“
Tatsächlich?
„Richtig, die Echokardiographie war ja ohne Befund. Das Herz ist also okay, na fein.“
Endlich sind meine Blutergebnisse da und ich brenne vor Neugier.
Dann rück mal raus mit der Sprache! Welche heimtückische Krankheit hab ich mir eingefangen?
Ich erfahre, dass mein Cortisol-Spiegel zu hoch ist.
„Ist mein Leben jetzt bedroht? − Nein? Gut. − Cushing-Syndrom? − Nicht sicher. Gut.“
Nach der einmaligen Gabe einer Kortisontablette kann der erhöhte Cortisol-Spiegel wieder gesenkt werden. „Hemmtest“ nennen sie das. Ich habe also kein Cushing-Syndrom. Fehlalarm! Die Hoffnung auf einen Befund kann ich wieder begraben.
Der Aufwand um mich scheint sich nicht gelohnt zu haben. Meine Organe sind scheinbar alle gesund und mein Blut ist clean. Aber trotzdem bin ich krank! Das weiß ich! Verdammt, warum glaubt mir denn keiner? – Zum Psychologen? Nein, verdammt, ich bin körperlich krank! KÖRPERLICH!
Zwei Wochen später werde ich entlassen und fahre ohne Befund nach Hause. Alles umsonst! Es hat mich nicht weitergebracht. Nur eines weiß ich jetzt: dass mich die Ärzte nicht mehr ernst nehmen.
Nun liege ich wieder zu Hause, auf meiner vertrauten Couch, fühle mich einsam und hilflos.
Und was jetzt? Geht’s mir eines Tages von alleine besser? Brauche ich nur ein wenig mehr Geduld?
Es wird schon werden. Man kann ja nicht ewig in diesem Zustand verharren. So was habe ich schließlich noch nie gehört! An Schwäche erkrankt! Das gibt’s doch gar nicht! Leide ich an einer bisher nie da gewesenen Krankheit? Eine, die noch in keinem Buch erwähnt wird und den Ärzten unbekannt ist?
Wenigstens ist mir mein Appetit geblieben. Essen ist meine einzige Freude, daher tue ich dies mit verstärktem Einsatz.
Her mit den Keksen! Lecker, Schokolade!
Komischerweise setzen meine Sünden nicht an. Essen ohne Reue. Hab ich etwa einen Bandwurm? Ach nein, das wurde bereits abgecheckt. Egal. Essen ist super! Mein Zustand lässt sich so viel besser aushalten. Jetzt bräuchte ich nur einen Vollzeitknecht, der mir alles zubereitet und den Löffel zum Mund führt. Ich kann ja kaum meine Arme heben. Die sind so schwer, als wären sie aus Blei.
Nach dem Essen lege ich mich flach hin. Meine Herren, war das anstrengend! Gott sei Dank braucht der Magen beim Verdauen keine Hilfe. Das würde mir das letzte Tröpfchen Reserve rauben. Warum höre ich nicht einfach auf zu essen? – Weil diese Art zu sterben zu lange dauert. Lieber genieße ich noch eine delikate Mahlzeit, bevor ich zivilisiert dahinscheide.
Die Zeit vergeht, aber die Krankheit nicht. Sie klebt an mir wie ein ungebetener Gast. Bisweilen versuche ich, dem Bett zu entkommen, und stehe einfach auf. Doch kaum stehe ich, will der Körper zurück in die waagerechte Position. Er begreift nicht, dass ich so nicht weitermachen kann, dass ich ihn lieber in die ewigen Jagdgründe befördere, als so weiterzuleben. Will er etwa Krieg? Hat er keine Angst, dass ich ihm den Todesstoß verpasse? Sein Leben hängt doch hier genauso mit drin wie meines. Wir sind quasi eins. Warum tut er dann so, als wäre er ein Individuum? Er und ich gehören zusammen wie die Butter zum Brot oder der Senf zum Würstchen. Hee, Körper, hör zu, wenn du gesund wirst, dann verspreche ich dir, dass ich nur pfleglich mit dir umgehe. Ich weiß, du hattest es nicht leicht mit mir. Wir sind steinige Wege gegangen, hatten viel um die Ohren, haben uns überfordert und waren ständig ausgepowert. Jetzt verlangst du deine Ruhe, das verstehe ich. Aber irgendwann ist jeder Urlaub mal vorbei. Bitte, bitte funktioniere wieder richtig. So wie früher. Wir waren doch ein super Team! Oder nicht?
Aber mein Körper will mich nicht erhören, darum übergebe ich ihn in die Hände eines neuen Arztes. Sicher findet der etwas, was keiner vor ihm in Erwägung gezogen hat. Eine außerirdische Vire, die bisher niemals in Erscheinung getreten ist. Wie durch ein Wunder hat sie mich zu ihrem Wirt erklärt und treibt nun mit ihren Kumpels ihr Unwesen in mir.