Das kleine Kräutercafé – Herzkirschen - Lilli Meinhardis - E-Book
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Das kleine Kräutercafé – Herzkirschen E-Book

Lilli Meinhardis

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Beschreibung

Eine Liebeskomödie voller turbulenter Verwicklungen um ein kleines Café im Herzen Frankfurts. Für alle Leser:innen von Nicolas Barreau und Katharina Herzog »So gegensätzlich Isa und Natália auch waren, so einträchtig waren sie in ihrem Geschmack: Grün musste es schmecken. Ob ein Kraut oder ein Gemüse – jede Speise wurde erst durch das gewisse Grün zu einem besonderen Gaumenerlebnis.« Natália hat sich inmitten der Wolkenkratzer der Bankenmetropole am Main eine Oase geschaffen: Auf ihrem Dachgarten baut sie aromatische Kräuter für ihr aufstrebendes Café »Alles grün« an. Die Blondine hat allerdings auch ein Talent dafür, in Fettnäpfchen zu treten: In ihrem Nebenjob in einer Bank fährt sie zuerst mit ihrem Putzwagen über die polierten Schuhe des charmanten Bankers Marco, der ganz verzückt von ihrem Temperament ist. Kurz darauf wird sie beim heimlichen Umkleiden im Büro vom zugeknöpften Robert erwischt. Der ist hingerissen von der geheimnisvollen Unbekannten und hält sie irrtümlich für eine neue Kollegin. Als dann ein plötzlicher Stromausfall ganz Frankfurt in Dunkelheit taucht, ist das Verwirrspiel der Verliebten perfekt. »Was zunächst als Gastronomiegeschichte beginnt, entwickelt sich langsam zu einer spannenden Liebesgeschichte. Und am Ende erwartet den Leser ein fulminantes Finale mit jeder Menge Emotionen.« ((Leserstimme von Netgalley)) »Dieses Buch zeigt Spannung- Unterhaltung- Liebes- und Kräutergeschichte in einem. Als Leser wird man von der Autorin auf eine Reise durch das Bankenviertel Frankfurts mitgenommen.« ((Leserstimme von Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Larissa Bendl

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: : depositphotos.com (ZemunDesign; wikki33; vaneevais)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1 Grie Soß

Natália

Kapitel 2 Von Bohnen und Schwerkraft

Natália

Kapitel 3 Torte und Traumfahrrad

Natália

Kapitel 4 Keine Glückssache

Yul

Kapitel 5 Zugvögel

Natália

Kapitel 6 Schwan oder Nilgans

Marco

Kapitel 7 Was der Schreibtisch über seinen Benutzer aussagt

Natália

Kapitel 8 Wein hinter Schloss und Glas

Robert

Kapitel 9 Frühstück im Turban

Natália

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 10 Schönheit kommt von außen

Gabriele

Kapitel 11 Ein Morgen voller Wagnisse

Robert

Kapitel 12 Der Staub

Natália

Kapitel 13 Wem die Stunde schlägt

Robert

Kapitel 14 Brüsseler Spitzenkraft

Natália

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 15 Ein Vorstellungsgespräch zerbröselt

Natália

Kapitel 16 Die Wette

Robert

Kapitel 17 Verführung

Gabriele

Kapitel 18 Pfirsich Melba ohne Eis

Yul

Kapitel 19 Madonna im Aufzug

Robert

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 20 Gefallene Göttin

Gabriele

Kapitel 21 Heiß und kalt im Aufzug

Natália

Kapitel 22 Hohe Schuhe auf einem steinigen Weg

Yul

Gabriele

Yul

Kapitel 23 Im Parkhaus – Diebe und Wölfe

Gabriele

Kapitel 24 Gewissensbisse

Yul

Kapitel 25 Der Weg nach oben

Robert

Kapitel 26 Auf Golfschuhen

Gabriele

Kapitel 27 Räuberleiter und ein bisschen James Bond

Natália

Kapitel 28 Bürogeheimnis

Natália

Kapitel 29 Dürsten, drängen, gieren, rennen

Yul

Kapitel 30 Ein hieb- und stichfester Deal

Yul

Kapitel 31 Ein Spitzentaschentuch wird blutig

Gabriele

Kapitel 32 Nein zum Chef

Robert

Kapitel 33 Am Boden der Tatsachen

Natália

Kapitel 34 Herzdame entscheidet sich

Robert

Natália

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 35 Falkenflug

Yul

Kapitel 36 Mann mit Schildkröte

Robert

Kapitel 37 Die Heimkehrerin

Gabriele

Kapitel 38 Unter Himmelsleuchten

Natália

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 39 Gar nicht grün am Golfplatz

Natália

Kapitel 40 Alles muss seine Ordnung haben

Robert

Natália

Robert

Kapitel 41 Rad und Tat

Natália

Kapitel 42 Herzkirschen

Robert

Natália

Nachrichten aus dem Äther

Kapitel 43 Jahrestag

Natália

Bonus: Rezept für die traditionelle Frankfurter Grüne Soße

Zubereitung

Was du sonst noch über die Grie Soß wissen solltest

Kleine Kräuterkunde

Borretsch – der Stachelige mit Gurkenfrische

Kerbel – der Samtige mit Schärfe

Kresse – die Schönheitskönigin

Petersilie – die Liebesbotin

Märchen, in denen die Petersilie eine tragende Rolle spielt:

Pimpinelle – die würzige Rose

Sauerampfer – doppelt Sauer hält besser

Schnittlauch – das Gras aus der Zwiebel

Quellen:

Danke

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine Schwester Evelyn

Kapitel 1 Grie Soß

Natália

Freitag, 6. Juli

Natália führte den Hobel in einer wiegenden Bewegung über die grünen Stängel und Blätter, bis die ganze Küche sich mit dem Duft der magischen sieben Kräuter für die Grüne Soße füllte: Petersilie, Schnittlauch, Sauerampfer, Borretsch, Kresse, Kerbel und natürlich Pimpinelle – dieses Kraut wurde nur im Frankfurter Raum angebaut und machte die Kräutermischung zum regionalen Unikat.

»Bin gespannt, wer heute den Wettbewerb gewinnen wird«, sagte Isa und rührte den Teig für die Pfannkuchen glatt. »Gestern hat mir einer der Preisrichter verraten, dass wir die drittmeisten Publikumsstimmen bekommen haben. Heute ist unsere letzte Chance, uns für das Finale am Samstag zu qualifizieren.«

»Ich habe ein gutes Bauchgefühl – heute ist meine Grie Soß grüner denn je.« Natália schmunzelte und nickte ihrer Küchenfreundin über die Anrichte hinweg zu.

Es war der sechste Tag des alljährlichen Frankfurter Grüne-Soße-Festivals und Natália und Isa waren zum ersten Mal mit ihrem Catering-Café Alles grün mit dabei. Ihr Stand befand sich auf dem Roßmarkt und sie boten dort täglich zwischen 13 und 18 Uhr ihre Speisen an. Zum Schlafen kamen sie kaum noch, denn sie standen bis tief in die Nacht und vom frühen Morgen an in der Küche, um ihre grünen Spezialitäten jeden Tag aufs Neue frisch und in großen Mengen zuzubereiten.

Natália wischte sich mit dem Schürzenzipfel über die feuchte Stirn. Es war erst kurz nach 10 Uhr, aber an diesem Julimorgen war das Thermometer draußen schon auf 24 Grad geklettert und hier in der Küche sorgten die backenden Öfen und die mit heißem Öl knisternde Pfanne für Hitze. Der Deckenventilator hatte eher den Effekt eines Umluftherdes als den einer Kühlanlage.

»Kein anderer Gastronom bietet die Grie Soß in einem Gemüse-Wrap an – und deine grünen Gebäcke werden die Besucher massenweise an unseren Stand locken«, frohlockte Natália und beförderte die Sieben-Kräuter-Mischung mit Schwung in den Mixer, der schon zwei Liter Schmand und Joghurt enthielt. Das war an diesem Morgen bereits ihre fünfte Portion – die anderen Mixturen der Grünen Soße standen artig aufgereiht in den Glaskaraffen im Kühlschrank. Sie schaltete das Gerät ein und unter metallischem Klingensurren verwandelte sich die milchige Creme in eine sattgrüne Soße. Das war ein wahres Kinderspiel und sie lächelte zufrieden.

Nun beim Feinabschmecken kam es darauf an, den ganz besonderen Geschmack zu erzeugen, der die Sinne wie eine würzige Frühlingsgartenbrise betören sollte. Natália gab zuerst einige Esslöffel Weißweinessig und Kürbiskernöl hinzu – das war eine ihrer Spezialzutaten, die für einen samtig-nussigen Geschmack sorgte, die Säure abrundete und zusätzlich für eine schöne grüne Farbe der Soße sorgte. Dann schmeckte sie die Grie Soß mit Salz und Pfeffer ab. Schließlich rührte sie noch die gewürfelten gekochten Eier unter.

»Probier mal«, sagte sie und hielt Isa einen Löffel hin.

Ihre Mitstreiterin schob den Löffel zwischen ihre herzförmigen Lippen und schloss die Augen, während sie den Geschmack auf der Zunge prüfte. »Fast perfekt. Vielleicht noch einen Hauch mehr Säure«, lautete das Urteil ihrer Freundin.

Natália nickte und tröpfelte etwas Essig hinzu. Währenddessen richtete Isa mit ruhiger Präzision die grün eingefärbten Muffins mit der Füllung aus Pistazien-Crunch auf einer der Platten an. Sie wollten die Speisekarte ihres Cafés auf dem Festival einem breiten Publikum vorstellen und boten ihre besten kulinarischen Geheimwaffen an.

Sie beide liebten es, die Zutaten ihrer Gebäcke und Speisen überraschend zu kombinieren. Zusammen hatten sie unzählige Stunden in der Küche ihres kleinen Ladens am südwestlichen Ende der Berger Straße verbracht und neue Rezepte ausprobiert. Hierbei war Isa als gelernte Konditorin für die Torten und Gebäcke zuständig. Natália hingegen brachte ihre Begeisterung für jegliches Grünzeug mit – wobei ihre einzige Qualifikation ein abgebrochenes Biologiestudium und ihre Leidenschaft für das Gärtnern war. Sie waren wirklich ein ungewöhnliches Paar: Natália, die große Blondine aus der Slowakei, und Isa, die kleine Schwarzhaarige aus Kasachstan. So gegensätzlich sie aussahen, so einträchtig waren sie in ihrem Geschmack: Grün musste es schmecken. Ob ein Kraut oder ein Gemüse – jede Speise wurde erst durch das gewisse Grün zu einem besonderen Gaumenerlebnis.

»Was brodelt heute wieder in euren Kesseln, ihr zwei Kräuterhexen?«, begrüßte ihr Nachbar Bouffier sie stets, wenn er die Markise seines Antiquariats ausfuhr und staunend auf die grünen Gewächse in ihrem Lokal schaute – das leider noch im Dornröschenschlaf lag und auf seine Öffnung für Gäste wartete.

Mit den Nachtschattengewächsen hatte alles angefangen. Natália und Isa hatten sich vor drei Jahren bei einer Mitternachtsführung im Botanischen Garten kennengelernt. In der Gruppe von Rentnern hatten sich die zwei einzigen Mittdreißigerinnen ganz natürlich zusammengefunden – sie waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen und teilten ihre Faszination für die Nachtschattengewächse.

»Alles, was nachts blüht, ist tödlich«, hatte Natália lachend behauptet und dabei auf die Tollkirschen, Engelstrompeten und Stechäpfel gezeigt.

»Ich wette, ich kann ein ganzes Menü aus Nachtschattengewächsen kochen und du wirst nicht daran sterben«, hatte Isa dagegengehalten.

Einige Tage später war Natália bei Isa und ihrem damals vierzehnjährigen Sohn Yul zum Abendessen eingeladen gewesen und ihre Gastgeberin hatte ein schmackhaftes veganes Menü gekocht. Das Highlight waren die Auberginen-Steaks gewesen. Im Gegenzug hatte Natália ihre neue Freundin auf ihre Dachterrasse eingeladen, die sie zu ihrer Zweizimmerwohnung dazugemietet hatte. Mit viel Fleiß und Schweiß hatte sie die öde Fläche in ihr kleines grünes Paradies verwandelt. Voller Stolz zeigte sie Isa ihren vertikalen Garten, den sie an der Brandschutzmauer des angrenzenden Hauses angelegt hatte und mit Bergsteigerausrüstung bewirtschaftete.

Bald schon trafen sie sich regelmäßig zum kreativen Kochen und nach wenigen Monaten war der Wunsch herangereift, ihre gemeinsame Leidenschaft für grünes Essen zum Beruf zu machen. Sie hatten ihre ersten Schritte mit Catering-Aufträgen im Bekanntenkreis gemacht. Aber ihr großer Traum war es, ein eigenes Café zu eröffnen: das Alles grün. Doch leider hatten sie die Rechnung ohne das Frankfurter Bau- und Gewerbeamt gemacht. Seit Monaten kämpften sie sich nun durch den Hindernisparcours der Bürokratie. Ohne die Freundin und Geschäftspartnerin an ihrer Seite hätte Natália vielleicht schon aufgegeben.

Sie blickte hinüber zu Isa, die in der Kochschürze dastand, die ihre zierliche Figur noch betonte, und mit einem sanften Lächeln den Pfannkuchenteig mit geschmeidigen Bewegungen in der Pfanne ausstrich. In dieser zarten Frau steckte eine enorme Willenskraft gepaart mit einem unerschütterlichen Optimismus.

Plötzlich bimmelten die Glöckchen an der Ladentür und Köchin und Bäckerin schauten sich verwundert an – sie erwarteten niemanden. Natália wischte sich die Hände an ihrer grünen Schürze ab und schritt neugierig in den Ladenraum zur Berger Straße hin. In der Tür stand eine Frau mit dunklem Bubikopf, dessen Unterkante messerscharf geschnitten war und ihr ein strenges Aussehen verlieh, das jedoch abgemildert wurde durch das helle Kostüm mit dem sommerlichem Blumenprint.

»Frau Schneider«, rief Natália überrascht, »mit Ihnen haben wir heute Vormittag gar nicht gerechnet.«

Frau Schneider war die zuständige Referentin in der Bauberatung der Stadt Frankfurt – eine kompetente Frau, die in den Gesprächsterminen zwar ehrliches Interesse für ihr Geschäftsmodell gezeigt hatte, aber bei der Anwendung der gewerblichen Bauvorschriften keines ihrer großen Rehaugen zudrücken wollte.

»Guten Morgen, Frau Tschur«, sagte die Referentin und schüttelte Natália die Hand, ihr Griff kühl und energisch. Isa kam aus der Küche herbei und begrüßte ihren hohen Besuch ebenfalls.

»Guten Tag. Sind Sie Frau Iziz Sokolowa?«

»Ja, die bin ich. Aber man spricht meinen Vornamen mit weichem S aus – also Isis«, erklärte Isa sanft. Isas kasachischer Geburtsname Iziz ging den meisten Deutschen schwer über die Lippen. Deshalb hatten ihre Schulfreundinnen, nachdem Iziz als Mädchen nach Deutschland gekommen war, sie in »Isa« umgetauft. Seither war ihr dieser Rufname in Fleisch und Blut übergegangen und sie nannte sich selbst auch so. Nur bei behördlichen Angaben trug Iziz ihren korrekten Vornamen ein, was nicht selten Rückfragen zur Aussprache nach sich zog.

»Alles klar. Schön, dass ich Sie beide antreffe«, fuhr Frau Schneider fort. »Ich mache heute meine Inspektionsrunde und Ihr Lokal liegt auf meiner Route«, erklärte sie und ihre kirschroten Lippen formten ein professionelles Lächeln. Mit ihrem hellen Teint und dem schwarzen Haar sah sie wie ein modernes Schneewittchen aus, fand Natália. Frau Schneider zog eine Handakte aus ihrer Umhängetasche. Zwischen den senfgelben Pappdeckeln war der ganze Schriftverkehr der letzten Monate fein säuberlich abgeheftet – ihre mühevoll ausgefüllten Anträge und die amtlichen Ablehnungsbescheide mit Auflagen.

»Wie wir beim letzten Termin besprochen haben, müssen Sie zuerst die baulichen Auflagen erfüllen, bevor das Gewerbeamt über Ihren Zulassungsantrag abschließend entscheiden kann«, sagte Frau Schneider mit unbestechlicher Sachlichkeit.

Natália nickte und schluckte und hatte plötzlich das Gefühl, als würde ihr die Zungen am Gaumen festkleben. Diese Frau hielt ihre berufliche Zukunft in der Hand. Isa an ihrer Seite richtete sich kerzengerade auf und drückte ihre Schulter bestärkend gegen Natálias Oberarm.

Frau Schneider blätterte zu einem Schreiben, das sie mit einem roten Fähnchen in der Akte markiert hatte. »Das Gewerbeamt fordert für Ihren gastronomischen Betrieb, dass es mindestens eine Gästetoilette geben muss. Außerdem muss der Sitzbereich auf der privaten Dachterrasse den baulichen Sicherheitsvorschriften entsprechen – was bisher nicht der Fall ist. Eine Umwidmung der Dachterrasse in eine Gewerbefläche dürfte deshalb schwierig sein.«

»Wir führen Sie gerne herum«, sagte Isa entschlossen, »dann werden Sie sehen, dass wir alle Maßnahmen leicht durchführen können.«

Frau Schneider nickte und blickte sich neugierig im lichtdurchfluteten Ladenlokal um.

Als vor fünf Monaten der Asia-Imbiss aus dem kleinen Ladenlokal im Parterre von Natálias Mietshaus beim Bethmannpark ausgezogen war, hatten sie nicht lange gezögert und den Raum angemietet. Das Ladenlokal bestand aus einem länglichen Raum, an der langen Seite entlang verlief das fünf Meter breite bodentiefe Schaufenster mit der Glastür in der Mitte. In der Tiefe würde der Platz gerade für eine Vitrinentheke für ihren To-go-Verkauf ausreichen und vielleicht für einige Stehtische am Fenster. Im Moment war dieser Raum jedoch noch unmöbliert – bis auf die zwei großen Standvitrinen, in denen von rosa Lampen beleuchtet ihre Kräuter wuchsen.

»Hier sieht es ja aus wie im Gewächshaus«, meinte Frau Schneider und guckte sich mit großen Augen die grüne Pflanzenpracht an.

»Ja, das nennt sich Indoor Farming«, erklärte Natália, deren Nervosität von ihrer Begeisterung für ihr Kräuteranbauprojekt überflügelt wurde. »In den Vitrinen herrschen optimale Wachstumsbedingungen, die Pflanzen stehen auf einem Kokosfasernährboden und das LED-Licht ersetzt die Sonnenstrahlen und ist mit einer Wellenlänge von 660 Nanometer genau auf die Fotosynthese der Pflanzen abgestimmt.«

Frau Schneider sagte nichts – sie schien zu staunen.

»Probieren Sie mal«, sagte Isa, zupfte einige Minzblätter von einem Strauch und reichte sie der Referentin. Diese roch erst daran und steckte sich die Blätter dann vorsichtig in den Mund. Beim Kauen zog ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Ja, das schmeckt wirklich intensiv nach Pfefferminze.«

»Hier ziehen wir alle Kräuter für unsere Küche heran. Das ist gesund und umweltschonend«, pries Natália ihr ungewöhnliches Konzept an. »In dieser Vitrine bauen wir mediterrane Kräuter an: Basilikum, Dill, Thymian, Salbei, Lavendel, Oregano, Rosmarin und Pfefferminze. Die andere Vitrine ist unseren sieben hessischen Soßenheiligen gewidmet.«

»Ah, Sie meinen die Grüne Soße?«, fragte Frau Schneider.

»Genau, wir nehmen diese Woche am Grüne-Soße-Festival teil«, verkündete Isa stolz. »Wir sind gerade mitten in der Vorbereitung für das Speiseangebot an unserem Alles-grün-Stand heute Nachmittag.«

Natália schaute zufrieden auf die grünen Kräuter in ihren Vitrinen. Sie hatten hier quasi ihr eigenes Grüne-Soße-Denkmal – fast so wie das auf den Oberräder Kräuterfeldern im Grüngürtel von Frankfurt, wo die Künstlerin Olga Schulz den sieben Kräutern der Grie Soß jeweils ein grün gefärbtes Gewächshaus gewidmet hatte. Natália und Isa waren dort einmal bei Nacht hingepilgert und hatten die zauberhaften Schattierungen des Glases bestaunt. Aber in diesen kunstvollen Glashäusern wuchs nichts. Damit die Kräuter mit ihrem Duft und Geschmack lebendig wurden, brauchte es wachstumsförderndes Rosalicht wie in den Vitrinen in ihrem Café.

»Auf unserer Dachterrasse wächst noch mehr – wie Sie gleich sehen werden«, versprach Isa.

»Und was sind das für Holzkästen im Schaufenster?«, wollte Frau Schneider wissen und deutete auf ein Kastenregal, das sie aus hölzernen Obstkisten zusammengenagelt hatten.

»Wir bieten für unsere kreative Nachbarschaft diese kleinen Schaukästen an, damit sie ihre Handwerkskunst hier ausstellen und verkaufen können«, erklärte Isa.

»Solange wir unser Café noch nicht betreiben dürfen, haben wir trotzdem hohe laufende Mietkosten und wir versuchen, mit der Untervermietung der Schaukästen wenigstens eine kleine Einnahmequelle zu generieren«, sagte Natália.

»Aha«, machte Frau Schneider und ließ kein Mitgefühl für die prekäre wirtschaftliche Situation der beiden Antragstellerinnen durchblicken. »Gut, dann zeigen Sie mir nun die Küche.«

Natália ging voran und führte sie in das Herzstück ihres Lokals im hinteren Teil der Räumlichkeiten mit Hochfenstern zum Innenhof.

»Oh, Sie sind wohl gerade mitten im Kochen und Backen«, bemerkte Frau Schneider, als sie eintrat. Auf dem Herd waren zwei Pfannen im Einsatz und auf einem Teller daneben stapelten sich die von Isa gebackenen dünnen Pfannkuchen für den Wrap, die Backofentüren standen offen, in der Spüle stand allerlei Geschirr und die Arbeitsplatte war übersät von Kräuterstängeln. Auf der Anrichte standen zwei Platten mit den appetitanregenden grünen Muffins und die große Schüssel mit der Kräuter-Früchte-Bowle, die sie gerade zubereitet hatte, als Frau Schneider hereingeplatzt war. In der Luft hing immer noch die volle Würze der Kräuter.

Diese Küche mit Backstube war schon vom ersten Tag an in vollem Einsatz gewesen. Sie hatten großes Glück gehabt, denn der Asia-Imbiss hatte ihnen ihre moderne Küchenausstattung für eine Ablöse von zweitausend Euro überlassen – was ein absolutes Schnäppchen war.

»Der Imbiss war wohl eher eine Geldwaschanlage«, hatte Natália ihrer Freundin bei der Besichtigung zugeraunt. Als Nachbarin des Imbisses hatte sie während seines kurzen Bestehens nur höchst selten Gäste dort gesehen.

Isa hatte zweifelnd die Augenbrauen gehoben und den Kopf gewiegt. Ihr Sohn Yul allerdings kannte sich bestens aus in der Halbwelt der Illegalität – als Kind des Bahnhofsviertels, in dem er seit seiner Geburt mit seiner Mutter wohnte, und Sohn eines professionellen Glücksspielers.

»Die Leute verdienen ihr Geld damit, was unter der Theke verkauft wird. Man braucht nur das Aquarium im Schaufenster anzusehen: Die Goldfische sind ein geheimes Zeichen dafür, dass die Inhaber das Schutzgeld an den Clan Carelli gezahlt haben«, hatte er mit wissender Miene erklärt, »die Frühlingsrollen sind nichts als Tarnung.«

Aber den beiden Kräuterhexen war die dubiose Vorgeschichte des Ladens gleichgültig. Sie hatten beim Anblick der Edelstahlausstattung der Deluxe-Küche jubiliert. Es gab sechs Gasherdplatten, zwei elektrische Backöfen, eine Fritteuse, einen großen Kühlschrank und einen Eisschrank, zwei Waschbecken und eine leistungsstarke Geschirrspülmaschine – kurz: Es war alles da, was sie für ihr Catering-Café benötigten. Es fehlte ihnen nur noch die städtische Genehmigung, dann könnten sie voll durchstarten.

»Möchten Sie einmal von unserer Grie Soß probieren?«, bot Natália an.

Frau Schneider nickte und bald nippte sie an einem kleinen Glas mit der Kräutersoße. Während Natália ihr die Zutaten aufzählte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie Isa sich vor die Bowle stellte und hinter dem Rücken der Referentin eine halbe Flasche Maraschino-Kirschlikör hineingab. Natália riss die Augen auf und Isa zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

»Und nun noch ein Schlückchen von unserer hessischen Waldmeisterbowle«, sagte sie fröhlich und Frau Schneider schaute fasziniert auf die grün schimmernde Flüssigkeit in der runden Glasschüssel, die fast so groß war wie ein Aquarium.

»Das sieht ja interessant aus. Was ist da alles drin?«, wollte sie wissen.

»Orangensaft und Sekt sind die Grundlage«, erklärte Natália, »dann habe ich eingelegtes Obst dazugegeben: Ananas, Maracuja, Aprikosen, Birnen und Herzkirschen – und frische Erdbeeren aus unserem vertikalen Garten auf der Dachterrasse. Der Waldmeister bringt noch sein unverwechselbares Kräuteraroma hinein. Dann noch ein Schuss Absinth …«

»Oh, Sie wollen mich wohl betrunken machen«, sagte Frau Schneider und ihre Mundwinkel zuckten in einem unterdrückten Lächeln.

»Die grüne Farbe kommt hauptsächlich von natürlicher Lebensmittelfarbe«, versicherte Isa. Den Kirschlikör verschwieg sie.

Frau Schneider nippte zuerst an dem grün leuchtenden Trank, dann nahm sie einige genießerische Schlückchen – bis das Glas leer war.

»Köstlich«, rief sie aus, »das erfrischt wirklich.«

Endlich mal eine Gefühlsregung der strengen Bauaufseherin. Isa lächelte zufrieden und legte dann verstohlen den Zeigefinger auf ihre Lippen als Zeichen des Schweigens. Natália spürte, wie ein albernes Kichern in ihrer Kehle aufstieg – sie fühlte sich plötzlich selbst ein wenig beschwipst. Sie räusperte sich und versuchte, ganz ernsthaft dreinzublicken.

»Nun zeigen wir Ihnen gerne unsere Dachterrasse, Frau Schneider«, sagte sie. »Es gibt einen Zugang über das Innentreppenhaus und einen über die Feuertreppe im Freien. Die Gäste unseres Cafés sollen die Außentreppe nehmen.«

Auf diesem Weg stiegen sie die Metalltreppe drei Stockwerke hinauf. Die Pfennigabsätze von Frau Schneider hackten energisch in die Stufen, aber sie geriet nicht außer Atem.

»Sollen die Gäste ihre Tabletts etwa selbst hinauftragen? Wenn da mal nicht der Kaffee aus den Tassen schwappt«, meinte die Referentin.

»Tatsächlich wollen wir ohne Tischbedienung auskommen. Unsere Gäste holen sich ihre Speisen und Getränke an der Theke ab und suchen sich dann eigenständig ihren Sitzplatz auf der Terrasse«, verteidigte Isa ihr Konzept. »Wir denken, dass unsere Gäste den Free Spirit unseres Cafés zu schätzen wissen.«

Auf der Dachterrasse angekommen, ließ Frau Schneider ihren Blick einmal ringsum schweifen und auch Natália versuchte, sich vorzustellen, wie der Ort wirkte, wenn man ihn zum ersten Mal sah. Es war doch ganz und gar überraschend, inmitten der grauen Steinfassaden der umgebenden Häuser plötzlich in diese grüne Oase einzutauchen. Das Zentrum des Gartens bildete die fünf Meter hohe Mauer des Nachbarhauses, die vollständig bewachsen war und wie ein hochgeklapptes Gemüsefeld aussah. Die drei anderen Seiten waren offen. Hier strömten Luft und Licht – man hatte beinahe das Gefühl, als schwebe man auf einer fliegenden Insel. Das große Rechteck der Terrasse wirkte durch die asymmetrisch verteilten Blumenkübel, Hochbeete, Sitzgruppen und gewundenen Stege aus Holz über die Kiesfläche organisch und wie von selbst gewachsen.

Der erstaunte Blick von Frau Schneider blieb am vertikalen Garten hängen. »Was wächst dort denn alles? Und wie halten sich die Pflanzen an der steilen Wand? Müssen Sie mit Leitern dort hoch, um zu ernten?«

»Wir haben ein Gitternetz an der Fassade angebracht und daran sind Taschen aus Jute befestigt, darin ist die Erde«, erklärte Natália. »Zum Pflegen und Ernten haben wir einen Seilzug und Kletterausrüstung.«

Frau Schneider schüttelte ungläubig den Kopf.

»Wollen Sie mal unsere Taschenerdbeeren probieren?«, fragte Isa und führte Frau Schneider an ihren vertikalen Garten heran. Diese ging neugierig näher und pflückte sich drei der prallen roten Früchte und probierte.

»Wirklich sehr aromatisch«, lobte sie.

Isa lächelte. »Diese Erdbeeren haben Sie vorhin schon in der Bowle geschmeckt.«

»Wir bauen hier außerdem Stangenbohnen, Tomaten, Mangold, Zucchini und einiges mehr an«, sagte Natália. »Für unser Speiseangebot wollen wir so viele Zutaten wie möglich aus eigenem Anbau gewinnen. Das ist ökologisch am besten und auch vom Geschmack her unschlagbar.«

Frau Schneider nickte und stöckelte nun auf den Wegen zwischen den Sitzgruppen umher – dabei schien sie ziemlich unsicher auf den Beinen zu sein. Entweder waren die Holzdielen für ihre hochhackigen Pumps schwer begehbar oder der Kirschlikör aus der Bowle zeigte seine Wirkung. Natália beeilte sich, dicht hinter die Dame zu kommen, um sie notfalls aufzufangen, falls sie umkippen sollte.

»Wird hier noch gebaut? Oder soll das so bleiben?«, fragte die Referentin und beäugte die Europaletten, die zwischen den Blumenkübeln und Salatstauden zum Verweilen und Genießen einladen sollte. Sie strich mit einem Finger über eine der unbehandelten Rückenlehnen. »Da kann man sich ja einen Holzsplitter einfangen«, monierte sie.

»Das sind Upcyling-Möbel, sehr hip und umweltbewusst«, sagte Isa trotzig und eine steile Falte grub sich zwischen ihren Augenbrauen ein. Jede Kritik an diesen Möbeln war gleichzeitig auch eine Kritik an Isas Sohn Yul. Der war nämlich der Baumeister dieser Sitzbänke und Tische gewesen. Mit viel Geschick und einem gut gelaunten Pfeifen auf den Lippen hatte Yul drei Nachmittage lang die Europaletten zu Bänken und Tischen zusammengezimmert. Die kniehohen Tische verfügten über eine Glasplatte, die hygienisch und leicht zu reinigen war. Auf die Sitzflächen würden sie noch dicke Kissen für den Sitzkomfort legen. Diese rustikale und naturbelassene Sitzlandschaft passte bestens zum grünen Motto ihres Cafés.

»Nun, wie ich sehe, steckt hier viel persönlicher Einsatz in Ihrem Unternehmen und ich bin mir sicher, dass Ihr biologisches Konzept, die Speisen und das grüne Ambiente von den Gästen gut angenommen werden würden«, sagte Frau Schneider schließlich, »aber wir haben immer noch das Problem mit den Toiletten.«

Natália und Isa tauschten einen enttäuschten Blick.

»Was ist mit unserem Vorschlag, zwei Dixi-Klos im Innenhof aufzustellen?«, fragte Isa hoffnungsvoll.

»Das genügt leider nicht, um die Bauauflagen zu erfüllen. Die Rechtslage ist hier eindeutig. Wenn Sie einen Gastraum betreiben, dann müssen Sie auch sanitäre Anlagen vorweisen.«

Natália biss die Zähne zusammen und schluckte eine wütende Antwort hinunter. Warum waren diese Korinthenkacker so darauf versessen, anderen Menschen ihre Träume zu zerstören?

»Außerdem ist dieses Geländer nicht hoch genug«, ergänzte Frau Schneider nach einem Blick in ihre Handakte und tippte mit einem spitzen Finger auf das hüfthohe Metallgitter zur Berger Straße hin.

»Das ist das geringste Problem. Ein neues Geländer haben wir schon in Auftrag gegeben«, behauptetet Natália. Sie hatten in Wirklichkeit einige Kostenvoranschläge eingeholt und waren schockiert gewesen über die horrenden Preise. Im Augenblick konnten sie sich das nicht leisten.

»Wir verstehen das nicht,« sagte Isa, »der Asia-Imbiss, der vorher in unserem Ladenraum war, hat doch eine Genehmigung bekommen – auch ohne Toiletten.«

»Bei Ihren Vorgängern war die Lage anders. Dort gab es nur einen Thekenverkauf und Lieferservice, aber keinen Verzehr im Gastraum«, sagte Frau Schneider nüchtern. Die Bowle hatte leider völlig versagt, sie gnädig zu stimmen. »Das würde ich Ihnen auch raten. Auf die Gastronomie auf der Dachterrasse müssen Sie wohl verzichten.«

Isa seufzte schwer und Natália verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Nein, sie wollte nicht so leicht aufgeben.

Nachdem Frau Schneider gegangen war, setzten Köchin und Bäckerin in Eile ihre letzten Vorbereitungen fort.

»Hast du schon den Nachschub für unsere Flyer und Visitenkarten in die Transportbox eingepackt?«, fragte Isa.

»Noch nicht. Ich packe sie gleich dazu«, sagte Natália und versuchte, ihre Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Sie holte geschwind einen Packen der Werbemittel aus dem Karton und hielt einen Moment inne, um die Visitenkarte zu betrachten.

Alles grün

Café und Catering

vegetarische und vegane Küche aus der Region

Ihr Traum war Realität. Dort stand es – grün auf weiß. Die Buchstaben in schwungvollen modernen Formen, eingerahmt von Girlanden aus Kräutern, ließen ihr Herz hoffnungsvoll hüpfen. Sie hatten die Visitenkarten und Flyer selbst entworfen, in großer Stückzahl drucken lassen und überall in der Stadt verteilt. Auch eine professionelle Webseite hatten sie einrichten lassen.

Das alles hatte sie einiges gekostet. Sie beide waren an ihre Ersparnisse gegangen und arbeiteten praktisch rund um die Uhr in ihren diversen Brotjobs – Isa als Kellnerin in einem angesagten Restaurant und Natália putzte im EZB-Turm und war freiberufliche Dolmetscherin. Für die Woche des Grüne-Soße-Festivals hatten sie sich allerdings beide Urlaub genommen, denn es forderte ihre ganze Zeit und Energie, jeden Tag an ihrem Stand aufzutischen.

Es war schon nach 12 Uhr und sie mussten sich nun sputen. Gemeinsam verpackten sie die Karaffen mit der Grie Soß und die Bowle in die große Transportbox und verteilten Tüten mit Eiswürfeln drumherum. Die Backwaren kamen in eine zweite Box. Sie verluden alles mit inzwischen geübten Handgriffen in dem Anhänger und Isa schwang sich auf ihr Mofa. Natália würde die Straßenbahn nehmen.

»Wir sehen uns am Stand«, rief Natália ihrer Freundin hinterher. Sie flitzte hoch in ihre Wohnung, zog sich ein frisches weißes T-Shirt an und bürstete ihr langes blondes Haar, das sie dann zu einem Knoten am Hinterkopf feststeckte.

Um 13 Uhr hatten sie ihren Stand bezogen und die Speisen appetitanregend auf dem Tisch verteilt. Natália und Isa standen mit ihren grünen Schürzen hinter ihren Leckereien und behielten die Passanten im Blick. Sobald jemand zu ihnen herschaute, suchten sie Blickkontakt und lächelten einladend. Es war wichtig, die Leute herbeizulocken. Schließlich sollten sie probieren und am Ende des Tages auf den Besucherkärtchen ihre Favoriten ankreuzen.

Ihr Stand war bei Weitem nicht so professionell wie die meisten anderen Stände der 49 hessischen Gastronomen, die in diesem Jahr am Grüne-Soße-Festival teilnahmen. Die meisten waren schon seit Jahren im Geschäft und auch die Verkaufswagen oder Stände waren kostspielig in deren individuellen Restaurant-Logos und Farben gestaltet. Das Alles grün konnte lediglich mit einem weißen Zeltunterstand aus dem Baumarkt aufwarten. An die Vorderseite des Biertisches hatten sie ein bedrucktes Banner gehängt und auf beiden Seiten stand eine Flatterfahne in Grün mit ihrem Schriftzug. Auf einer Standtafel waren ihr Speiseangebote zu lesen. Aber ihr größter Trumpf waren die farbintensiven und appetitanregenden Auslagen. Die riesige Schüssel mit der leuchtenden Waldmeisterbowle mit roten Farbtupfern aus Kirschen und Erdbeeren und die grünen Pistazien-Muffins fingen die Blicke der Passanten ein.

Zur Mittagszeit waren auf dem Roßmarkt noch nicht so viele Besucher unterwegs. Dieser sonst so kahle große Platz zwischen Taunusanlage und Zeil, umringt von Banken und Boutiquen, war während des Festivals vollgestopft mit den Ständen der Gastronomen. Das Straßenpflaster warf die Sonnenstrahlen zurück und kein Baum schenkte Schatten. Die Wasserspiele waren abgeschaltet. Zwei Westend-Ladys mit teuren Sonnenbrillen und Designerhandtaschen stöckelten vorbei und ließen sich von der Bowle einschenken.

»Giftgrün, aber lecker«, kommentierte eine der Dame und schürzte ihre Schlauchbootlippen.

»Möchten Sie unsere Grie Soß kosten?«, fragte Isa mit einem strahlenden Lächeln. »Wir bieten sie in einem Wrap mit frischem Salat und Bulgur an oder auch klassisch mit einer Pellkartoffel und einem gekochten Ei.«

Die Damen entschieden sich für die klassische Variante.

»Die schmeckt fast so wie bei meiner Großmutter«, verkündete die zweite Dame.

Natália und Isa warfen sich einen freudigen Blick zu – ein besseres Lob gab es wohl nicht.

»Wir liefern unsere Speisen auch zu Ihnen nach Hause«, sagte Isa eifrig und versorgte die Westend-Ladys mit Visitenkarten und Flyern, die diese in ihren teuren Handtaschen verschwinden ließen.

Gegen 15 Uhr füllte sich der Roßmarkt mit Besuchern, die in langsamen Strömen durch die Gassen zwischen den Ständen zogen. Natália und Isa hatten alle Hände voll zu tun. Die Sommerhitze machte die Leute durstig und ihre Bowle war schon fast vollständig ausgeschenkt. Die Kinder stürzten sich auf die grünen Muffins und ihre Eltern ließen sich den Gemüse-Wrap mit Grie Soß schmecken.

»Die Muffins sehen aus wie die dicken Kinder von Shrek«, fand die zehnjährige Emmi, die an ihren Stand gelaufen kam, ihre Mutter im Schlepptau.

»Das sieht ja alles köstlich aus, ihr beiden Küchenfeen«, rief Mutter Jennifer, die bei Natália im Haus wohnte und in der Neuen Altstadt gerade ein Dessousgeschäft eröffnet hatte.

Natália reichte dem kleinen Mädchen einen Muffin. »Dann beiß mal rein, Emmi. Der Shrek-Muffin geht aufs Haus«, sagte sie lächelnd.

»Ich stimme natürlich für euch ab«, versicherte Jennifer, nachdem sie die Grie Soß probiert hatte. Sie holte ihren Stimmzettel hervor, ließ sich von Isa den offiziellen Stempel geben und machte ihr Kreuzchen bei Alles grün. »Ich drücke euch die Daumen«, sagte Jennifer zum Abschied und Emmi winkte mit dicken Backen.

Kurz darauf stieß Yul zu ihnen. Der große Junge von Isa ließ sich widerwillig eine grüne Schürze von seiner Mutter umlegen – aber er sah mit seinem kurzen hochgeigelten Haar und den Lederarmbändern immer noch ziemlich cool aus.

»Setz die Sonnenbrille ab, Yul«, bat Isa ihren Sohn, »es ist unhöflich, wenn man seine Gäste ohne Blickkontakt bedient.«

»Boah, muss das sein, Digga?«, stöhnte Yul, gehorchte aber und schob sich seine Men-in-Black-Sonnenbrille ins Haar. Er assistierte seiner Mutter geschickt beim Füllen der Wraps. Zwischendurch machte er mit seinem Smartphone Fotos von ihrem Stand – den er nice fand – und davon, wie sie ihre Gäste mit den grünen Leckereien bedienten. Alles werbewirksam für ihre Homepage.

»Soll ich mal die Konkurrenz abchecken gehen?«, fragte er, als gerade eine kleine Flaute war und Isa nickte. Breitbeinig wie ein Cowboy auf der High Street schlenderte er davon und kehrte eine halbe Stunde später zurück, den Arm voller Kostproben von anderen Ständen. Neugierig probierten sie die Soßen ihrer Mitbewerber.

»Urgh, da ist ja Mayonnaise drin«, rief Natália aus und rümpfte die Nase, »das ist wirklich ein Sakrileg. Und das von einem echten Frankfurter Traditionsrestaurant.«

Auch Isa identifizierte einige Sünden wie Knoblauch und saure Gurken in den Grünen Soßen der Konkurrenz.

»Beim Stand Zum Lahmen Esel gibt es Reibekuchen zur Grünen Soße, bei der Cocina Argentina haben sie Burritos und beim Stand aus Freiburg backen sie Crêpes«, berichtete Yul.

»Gestern war Apfelwein Wagner der Tagessieger«, sagte Natália, »dabei wird bei denen mehr getrunken als gegessen – so wie die Leute dort gestern Abend gegrölt haben.«

»Vielleicht hätten wir besser auch Äppelwoi statt Bowle ausschenken sollen«, meinte Isa.

»Warst du auch beim Stand vom Gasthaus zum Einhorn?«, wollte Natália wissen. »Die haben sich auch schon für das Finale qualifiziert.«

»Ja, deren Stand mit dem Einhorn-Ballon ist ein Hingucker. War auch eine lange Schlange davor, deshalb habe ich von denen nichts geholt«, sagte Yul.

»Die tun auch Knoblauch in ihre Grie Soß.« Isa zog verächtlich die Mundwinkel herunter. »Aber bei den Leuten kommt das offenbar gut an. Sind wohl keine Feinschmecker.«

»Eure Soße schmeckt wirklich mega«, meinte Yul. »Wenn ihr nicht ins Finale kommt, dann fresse ich ’nen Besen.«

»Leider bringen die Besen auch die Hexen ins Haus«, erwiderte Natália zerknirscht, »so wie mit der Genehmigung für unser Café – damit ist es wie verhext.«

Isa erzählte Yul vom Besuch der Referentin an diesem Vormittag.

»Ihr müsst diese Behördenfuzzis schmieren, so wie es alle machen«, sagte Yul mit einem männlichen Brustton, der nicht so recht zu seinem weichen Jungengesicht passte. »Im Bahnhofsviertel ist safe jede zweite Spielhölle illegal und die ganzen Imbissbuden haben auch kein Klo. Was glaubt ihr wohl, wie die an ihre Genehmigungen gekommen sind?« Yul rieb vielsagend Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Das mag sein«, sagte seine Mutter mit gerunzelter Stirn, »aber wir sind ehrliche Geschäftsfrauen und keine Mafia-Amazonen.«

»Ich wüsste auch nicht, wie man diese Frau Schneider bestechen sollte, selbst wenn wir es wollten, so hyperkorrekt, wie die wirkt«, murmelte Natália.

Aus dem Menschenstrom löste sich eine Gestalt und steuerte auf ihren Stand zu.

»Guten Tag, Damir«, rief Isa und strahlte den Neuankömmling an. Der Mann war seinem Aussehen nach auch ein Kasache, hatte ein rundes, glatt rasiertes Gesicht und war mit Anzug und goldenen Manschettenknöpfen förmlicher gekleidete als die meisten anderen Besucher. Er lächelte zurück und zeigte kleine weiße Zähne, die Natália an ein Schafsgebiss erinnerten.

»Was habt ihr denn Leckeres zu bieten?«, dröhnte er und ließ sich von Isa einen Wrap geben, den er in drei Bissen verschlang, bevor er sich umständlich den Mund mit einem Stofftaschentuch abtupfte.

»Und, Junge, wann sehe ich dich endlich in meinem Reisebüro?«, fragte er Yul und klopfte dem Jungen kräftig auf die Schulter.

Yul trat einen kleinen Schritt zurück und kratzte sich am Kopf. »Ich hab schon einen Job.«

»Yul jobbt zurzeit als Fahrradkurier«, beeilte sich Isa zu erklären, »aber das ist natürlich kein Beruf für die Zukunft. Wir melden uns bald bei dir wegen dem Ausbildungsplatz. Bis bald, Damir.«

»Musst du zu Onkel Damir so unfreundlich sein?«, zischte Isa ihrem Sohn zu, sobald der Mann außer Hörweite war. »Du solltest froh sein, dass er dir die Chance gibt, im Reisebüro Kajrat ein Praktikum und später die Ausbildung zu machen.«

»Ich will aber kein Reisekaufmann werden«, blaffte Yul.

»Du musst aber einen ordentlichen Beruf lernen. Dieses Herumtreiben hat keine Zukunft«, beharrte Isa und schaute streng zu ihrem zwei Köpfe größeren Sohn hoch.

»Ich treibe mich nicht herum, sondern verdiene gutes Geld«, verteidigte sich Yul. »Sei doch froh, dass ich dir nicht auf der Tasche liege, jetzt wo du alles Geld in euer Café stecken musst.«

»Hey, Yul, was geht?«, fuhr eine kehlige Stimme dazwischen und ein junger Mann in Kapuzenpulli, tief hängenden Baggy-Jeans und Baseballkappe, die seine Augen im Schatten verbarg, machte sich vor ihrem Stand breit.

»Hey, Victor«, begrüßte Yul seinen Kumpel und sie stießen ihre Fäuste gegeneinander. »Willst du was probieren?«

Victor schüttelte den Kopf und raunte Yul etwas zu. Sie tauschten unter Isas argwöhnischen Blicken einige Worte aus und dann machte der Minigangster sich von dannen. Natália wusste, dass Isa diesen Victor nicht leiden konnte.

»Der soll bloß abhauen. Dessen Vater ist ein Spielhöllenbesitzer und wahrscheinlich auch Zuhälter – mit solchen Leuten aus der Unterwelt soll mein Yul nicht verkehren«, zischelte Isa ihr ins Ohr.

»So leicht lässt sich dein Junge bestimmt nicht von den Kriminellen einwickeln«, flüsterte Natália beschwichtigend und fing einen Blick von Yul auf, der seine Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln herunterzog. Er kannte seine Mutter gut und ahnte offenbar, worüber sie beide getuschelt hatten.

»Wann kommt der Herr Pressefotograf endlich?«, hob Isa ihre Stimme und wechselte das Thema, bevor Yul in seinen Teenager-Trotz verfiel. »Dein Johnny hat doch versprochen, dass er unseren Stand groß in der Frankfurter Rundschau herausbringen will.«

»Der Typ ist schon lange nicht mehr mein Johnny«, schnaubte Natália und blickte ungeduldig auf ihre Armbanduhr. Johnny hieß eigentlich Johann, aber er gab sich gerne lässig amerikanisch und deutsche Pünktlichkeit war nicht sein Ding.

»Er hat versprochen, gegen 17 Uhr an unseren Stand zu kommen – aber der Herr bricht ja bekanntlich gerne seine Versprechen.«

»Wenn er hier aufkreuzt, ist wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt, ihm zu sagen, dass er endlich seinen Kram aus deinem Keller abholen soll«, flachste Isa. Der kleine Kellerraum war immer noch vollgestopft mit drei Surfboards, einem Paar Ski und einem defekten Crosstrainer, der bestimmt noch ein paar Hunderter auf eBay-Kleinanzeigen einbrächte, sollte Johnny sich jemals dazu aufraffen, eine solche aufzugeben. Dann war da noch der Turm aus riesigen Dosen Muskelaufbau-Eiweißpulver, das Johnny in einem Sonderangebot gekauft hatte.

»Ach, seine Sachen stören mich nicht«, murmelte Natália und zupfte an den Bändern ihrer Schürze.

»Mich aber«, schäumte Isa. »Wir brauchen den Platz im Keller für unser Vorratslager. Aber noch wichtiger: Du musst diesen Schmalspur American Gigolo endgültig aus deinem Leben ausquartieren.«

Wie aufs Stichwort tönte eine männliche Stimme: »Hello, my beautiful ladies«, und Johnny kam auf ihren Stand zugeschlendert. Er sah unverschämt gut aus in stonewashed Jeans, auf dem Kopf einen Panamahut und mit der Kamera in der Hand, deren Trageband um sein Handgelenk geschlungen war wie die Peitsche von Indiana Jones – jederzeit bereit zum Einsatz. Johnny ließ sein perlweißes Lächeln aufblitzen und die Muskeln in seinen gebräunten Oberarmen spielen. Wie bin ich nur auf diesen Aufschneider hereingefallen?, fragte sich Natália und spürte gleichzeitig, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte – ihr Körper ging in Alarmbereitschaft.

»Hi, Johnny«, sagte Isa kühl. »Na, schon viele Bilder geschossen? Ich hoffe, du hast den Grünfilter vor deiner Linse.«

»Ich benutze keine Bildbearbeitungssoftware wie viele meiner Kollegen«, rückte Johnny seine Berufsehre wieder gerade. »Ein wahrer Fotograf arbeitet mit den Mitteln der Natur.«

»Dann kannst du gleich anfangen und unsere natürlichen Vorzüge in Szene setzen«, sagte Natália und deutete auf ihre inzwischen ziemlich ausgedünnte Auslage: In der Bowle-Schüssel schwamm nur noch ein Bodensatz, aber drei Pistazien-Muffins hielten noch die Stellung und Grüne Soße in Probiergläsern stand auch noch bereit.

»Haben euch die Besucher das ganze Essen aus den zarten Händen geschleckt?«, grinste Johnny. »Da müssen wir wohl mit den optischen Vorzügen der Servierfräuleins punkten.«

Er zwinkerte mit seinen blassblauen Fischaugen. Johnny war ein notorischer Flirter. Keine Frau konnte seinen Komplimenten entkommen. Kein Wunder, dass die Barbie aus dem Fitnessstudio seinem Charme erlegen war – und Johnny sie gebumst hatte, obwohl er Natália ewige Treue geschworen hatte. Trotzdem hatte es sich angefühlt, als wäre sie von einer Abrissbirne getroffen worden, als sie den pinken Stringtanga in Johnnys Sporttasche entdeckt hatte. Gefolgt waren heisere Schreie, Tränen, knallende Türen, zurückverlangte Wohnungsschlüssel ihrerseits und übertrieben rührselige WhatsApp-Nachrichten seinerseits. Das war nun über fünf Monate her. Johnny pirschte nach wie vor durch sein Revier in der Berger Straße und hatte zwischenzeitlich bestimmt einige andere Frauen flachgelegt. Als Fotograf hatte er die beste Anmache aller Zeiten: »Du hast ein Gesicht wie ein Engel! Lass mich dich fotografieren.«

Welche Frau wünschte sich nicht, einmal Muse zu sein? So hatte er jedenfalls Natália herumgekriegt. Sie hatte sich als Model in einem Fotografiekurs der Volkshochschule einige Euro dazuverdient – und Johnny war der Kursleiter gewesen. Er hatte seinem Kurs beigebracht, wie man ein künstlerisches Porträt in Szene setzte. Zwanzig Kameralinsen von Hausfrauen und Hobbyfotografen waren auf Natálias Gesicht gerichtet gewesen. Diese zentrierte Aufmerksamkeit hatte sie als unangenehm und aufregend zugleich empfunden. Als Johnny sie dann später in privaten Fotosessions durch seine Kamera zu liebkosen schien, hatte er ihr das Gefühl gegeben, sich wahrhaftig für sie zu interessieren. Wenn er dicht an sie heranzoomte, hatte sie gedacht, er wolle ihre Seele ergründen. Aber in Wirklichkeit war ihm ihr Innenleben gleichgültig gewesen, ihm war es nur um ihren Körper gegangen. Sein Betrug ging tiefer als das bloße Fremdgehen. Er hatte ihr Orangen versprochen und sie hatte Zitronen bekommen.

»Darf ich auch mal probieren?« fragte Johnny nun mit seinem spitzbübischen Lächeln und griff nach einem Muffin.

»Erst fotografieren, dann futtern«, befahl Yul barsch und nahm dem verdutzten Johnny den Muffin aus der Hand.

»Mein Sohn«, sagte Isa und lächelte stolz.

Johnny nickte und brachte seine Kamera in Anschlag. Er knipste ihre Speisen in Nahaufnahme, schien sich dabei jedoch keine große Mühe zu geben.

»Nun mit belebenden Motiven, aber ohne den Jungen«, sagte Johnny und trat ein paar Schritte zurück, um den gesamten Stand ins Bild zu bekommen.

Yul postierte sich mit verschränkten Armen neben dem Stand und behielt Johnny mit zusammengezogenen Brauen im Blick. Natália und Isa taten so, als würden sie gerade eine Portion für einen Gast zubereiten. Der Auslöser klickte im Stakkato und nach einer halben Minute war die Session vorbei.

»Vielleicht wartest du noch, bis wir wieder Gäste an unserem Stand haben, damit man sieht, dass die Leute unser Angebot mögen«, schlug Natália vor.

»Ich bilde nur die Realität ab«, wiegelte Johnny ab und zeigte auf den Presseausweis, der an einem grünen Band um seinen Hals baumelte. »Als seriöser Fotojournalist mache ich keine Gefälligkeitsstorys.«

Er tippte sich an seinen Hut und schlenderte davon. Am nächsten Stand wurde der Pressemann sofort hofiert.

»Was für ein Angeber«, zischte Isa.

»Den Muffin essen wir nun selber«, meinte Yul und hielt seiner Mutter das Gebäck vor den Mund, die herzhaft hineinbiss.

»Hauptsache, ein Bild von uns kommt in die Zeitung.« Natália straffte die Schultern, obwohl ihr schon Rücken und Füße vom langen Stehen wehtaten und sie den Feierabend herbeisehnte.

Kurz nach 18 Uhr räumten sie routiniert ihre Sachen zusammen und machten den Stand fest für die Nacht. Natália hatte nur kurz Zeit, zu Hause ihre Beine auf dem Sofa hochzulegen und ein belegtes Brot zu essen, bevor sie mit Isa wieder ausschwärmte.

Auf dem Römerberg war eine Bühne aufgebaut und an jedem Abend des Grüne-Soße-Festivals spielten hier lokale Bands und das Bier floss in Strömen. Der Platz mit seinen historisch wiederaufgebauten Fachwerkhäusern und dem Rathaus mit den mittelalterlichen Stufengiebeln war auch zu normalen Zeiten ein Anziehungspunkt für Touristen und echte Frankfotter, aber heute drängten sich hier besonders viele Leute, die im orangen Licht der untergehenden Sonne die aufsteigende Wärme der Pflastersteine genossen. Ein fröhliches Stimmengewirr erfüllte die Luft. Man fühlte sich fast wie auf einer italienischen Piazza.

Isa und Natália holten sich ein Bier und suchten sich einen Platz auf einer Bierbank. Der dicke Koch Zum Lahmen Esel winkte ihnen zu und sie setzten sich an den Tisch ihrer Mitstreiter. Das zünftige Restaurant nahm schon seit etlichen Jahren am Wettbewerb teil und schaffte es fast immer ins Finale, auch wenn sie bisher noch nie den Sieg hatten einfahren können. Ihre Kellnermannschaft trug noch die karierten Schürzen mit dem Esellogo und wirkte ausgelassen – schließlich waren sie schon am zweiten Tag ins Finale gewählt worden. Nur der dicke Koch mit seinem puterroten Kopf wirkte nervös.

»Wemmer dis Jahr net gewinne, dann hommer e noiße Soisse«, murmelte er und schüttete ein halbes Maß Bier seine Kehle hinunter.

»Eure Grie Soß war bonfortionös«, meinte einer der Kellner zu ihnen und tippte sich an sein beeindruckendes Riechorgan als Bestätigung seiner kulinarischen Spürnase.

Isa lächelte und gab das Kompliment zurück.

Endlich bestieg die Jury die Bühne und der Vorsitzende griff zum Mikro.

»Ach, gehn Se fort und bleiwe Se noch e bissi da«, begrüßte er sein Publikum wie an jedem Abend. Dann ließ er sich wieder Handzeichen geben, wer aus welcher Gegend kam.

»Alle Hessen rufen Heeeee«, grölte der Chefjuror ins Mikro. An ihm war wirklich ein Kreuzschifffahrt-Alleinunterhalter verloren gegangen war. Ein halbes Dutzend halbgarer Witze später zog er endlich den Zettel mit der Stimmauswertung aus seiner Jacketttasche.

»Heute, am sechsten Tag unseres Wettbewerbs, hat sich mit einem deutlichen Stimmvorsprung ein Gastronom für das Finale qualifiziert, von dem ich persönlich weiß, dass er sein Rezept für die Grie Soß so gut bewahrt wie der Metzger Blunseblaas den Inhalt seiner Blutworst.« Er legte eine Pause für erhoffte Lacher ein. »Wer darf weiterhin um den Titel ›Beste Grüne Soße‹ kämpfen? Es ist … daaas … Gasthaus …« – Wir sind es nicht, schoss es Natália durch den Kopf und sie warf Isa einen enttäuschten Blick zu – »zum Einhorn!«

Zwei Tische weiter brach Jubel aus und die Köche und Kellner vom Einhorn sprangen auf und umarmten sich. Auch Isa und Natália spendeten Beifall.

»Seid nicht zu traurig«, meinte ihr Tischgenosse mit der Spürnase, »ihr seid noch neu im Geschäft. Man muss sich über die Jahre hocharbeiten und sich beim Frankfurter Publikum einen Namen machen. Irgendwann gewinnt ihr den Preis.«

Natália gab Isa einen aufmunternden Stups mit der Schulter und lächelte. Ja, sie glaubte fest daran, dass sie irgendwann diesen Preis gewinnen würden.

Kapitel 2 Von Bohnen und Schwerkraft

Natália

Sonntag, 8. Juli

Der Wecker klingelte und Natália wurde aus ihrem Traum gerissen. Es war ihr Traum der Morgenstunden, wohlbekannt und trotzdem nie angenehm. In diesem Traum war sie ein Schulmädchen und ging am Rand der schmalen Gasse zwischen den Steinhäusern im alten Stadtteil von Bratislava, wo es keine Bürgersteige gab. Sie trug Hausschuhe und ihren Pyjama. Die Lederbänder ihrer Schultasche gruben sich tief in ihre schmalen Schultern. Aber nicht die Tasche beschwerte ihre Schritte, sondern die Angst, dass sie nicht richtig angezogen war. Wie immer in diesem Traum hatte die Schulglocke schon geläutet und sie musste sich beeilen, in fünf Minuten würde der Unterricht beginnen. Keine Zeit, noch mal umzukehren und sich anzukleiden. Es war die Biologiestunde und sie musste alles über die Bohne wissen. Sie versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen, aber es fühlte sich an, als ginge sie unter Wasser.

Wieder drang ein Schellen an ihr Ohr.

Natália kam aus den Tiefen ihres Traums an die Oberfläche. Sie war nicht mehr in Bratislava und auch kein Schulmädchen. Gott sei Dank war heute Sonntag. Ein blinzelnder Blick zum Wecker offenbarte ihr: Schon 10 Uhr. Sie gähnte, rekelte und streckte sich ausgiebig und spürte die anstrengende Grüne-Soße-Woche in ihren Gliedern wie einen Muskelkater. Auch wenn sie keinen Preis für ihre aromatische Grie Soß gewonnen hatten – die Mühe hatte sich gelohnt. Die Julisonne strahlte vielversprechend durch die Schlitze ihres Rollladens und kitzelte ihre großen Zehen. Sie war noch nicht bereit, die Geborgenheit ihres Bettes zu verlassen und sich dem Gegenwind der Welt zu stellen.

»Wo nimmst du nur deine Energie her?«, fragten manche Leute sie staunend. Sie kannten sie als die Frau mit mehreren Jobs, voller Elan ihren hochgesteckten Zielen zustrebend. Ihre Energie schöpfte sie aus ihrer Neugier und dem Willen, ihren träumerischen Ideen echte Taten folgen zu lassen.

Natália erinnerte sich wieder an das Experiment aus dem Biologieunterricht in der fünften Klasse. Herr Novak hatte ihnen am Beispiel der Bohne erklärt, wie aus einem Samen mit Wasser und Licht eine Pflanze spross. Alle Schüler hatten eine Handvoll Sojabohnensamen bekommen und diese daheim in feuchte Watte legen und jeden Tag deren Wachstum protokollieren gesollt.

»Warum wachsen Pflanzen eigentlich nach oben?«, hatte Natália von ihrem Lehrer wissen wollen.

»Sie wachsen der Sonne entgegen.«

»Und wenn die Sonne nicht scheint?«

Darauf hatte Herr Novak nur gegrummelt und ihre Frage mit der Hand weggewischt, als würde er eine lästige Fliege vertreiben. Aber Natálias Wissensdurst war noch lange nicht gestillt gewesen. Sie hatte in ihrer Schülerzeitschrift Naturfreund einen Artikel über ein Experiment von Jugend forscht gelesen: Dort hieß es, dass Pflanzen immer nach oben wuchsen, weil ihre Wurzeln die Schwerkraft spürten. Die Schwerkraft war ihre Orientierung, auch im Dunkeln. Aber wenn man die Schwerkraft außer Kraft setzte oder manipulierte, zum Beispiel durch einen Magneten oder durch eine Zentrifuge, dann passten die Keimlinge ihren Wuchs dieser neuen Kraft an. Das wollte sie unbedingt selbst ausprobieren.

Nach einigem Überlegen war sie auf die Idee gekommen, den Plattenspieler als Zentrifuge zu benutzen. Als daheim alle schliefen, war sie ins Wohnzimmer geschlichen und hatte den tragbaren Plattenspieler in ihr Kinderzimmer geholt. Sie hatte ihre Plastikschälchen mit der feuchten Watte und den Samenkeimlingen, die schon fingerlang hochgesprossen waren, auf den Drehteller geklebt und das Gerät angestellt. Der Plattenteller hatte sich mit beständigem Surren die ganze Nacht gedreht. Drei Nächte lang hatte sie ihr Experiment wiederholt und die Sprösslinge morgens immer eingehend untersucht – und war enttäuscht gewesen, dass sich die dünnen Stiele noch nicht nach außen krümmten und der Fliehkraft zuneigten.

Am vierten Morgen war ihre Mutter ins Zimmer gekommen, um sie zu wecken. »Was zum Teufel machst du mit unserem Plattenspieler? Was ist das für Grünzeug?«

Natália hatte versucht, ihrer Mutter das wissenschaftliche Experiment zu erklären. Die hatte jedoch mit den Händen in die Hüften gestemmt über ihrem Bett gestanden und ungehalten ihre Lippen geschürzt.

»Lass gefälligst diesen Unsinn! Du machst den Plattenspieler nur kaputt. Außerdem verbraucht das zu viel Strom.«

Sie hatte die Schälchen mit den Bohnensprossen vom Plattenteller gerissen, sie achtlos in den Mülleimer geworfen und das Musikgerät auf den Armen hinausgetragen.

»Die Wissenschaft ist heilig«, hatte Natália ihrer Mutter schniefend hinterhergerufen.

So hatte sie schon als Kind gelernt, dass sich immer wieder Hindernisse ihrem Entdeckungsdrang in den Weg stellten. Das minderte aber nicht ihren Optimismus. Immer wenn jemand zu ihr sagte: »Das ist zu schwer«, dann dachte sie an die Schwerkraft und ihr Bohnenexperiment: Schwierigkeiten waren die notwendige Schwerkraft, die ihr zeigte, in welche Richtung sie sich strecken musste, um über sich hinaus zu wachsen.

Sie dachte daran, wie sie die unwirtliche Steinmauer ihrer Dachterrasse in einen fruchtbaren Garten verwandelt hatte und wie die Kräuter im Rosalicht in ihrem kleinen Wachstumslabor aus Glas sprossen, und lächelte zufrieden.

»Auf, auf, du Bohnenstange«, murmelte Natália und ließ ihre Füße über die Bettkante wippen und dann von der Schwerkraft nach unten ziehen. Gleichzeitig richtete sich ihr Oberkörper mühelos auf und ließ ihren Kopf in die Höhe wachsen.

Sie ging barfuß ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Aus dem Spiegel schauten ihr graue Augen mit grünen und blauen Farbtupfern in der Iris entgegen, die von dichten schwarzen Wimpern umkränzt waren.

»Du hast die Augen einer Madonna«, waren Johnnys Worte gewesen, als er sie mit der Linse seiner Kamera liebkost hatte. Ob heute schon ein Foto von ihrem Stand in der Frankfurter Rundschau sein würde? Johnny hatte es versprochen.

»Mein Redakteur nimmt immer die Bilder, die ich auswähle. Ihr bekommt eine fette Bildunterschrift: der Geheimtipp des Festivals, das neu eröffnete Alles grün in der Berger Straße.«

Natália trat auf ihre Dachterrasse und der würzige Duft der Kräuter empfing sie – Basilikum mischte sich mit Thymian und Pfefferminze. Sie machte ihre morgendliche Runde an den Hochbeeten vorbei und strich behutsam mit den Fingerspitzen über die grünen Stängel und Blätter, die feinen Borsten am Stamm der Tomatenstauden kitzelten ihren Daumen. Im vertikalen Mauerbeet sorgte der Lavendel für lila Farbtupfer und die Erdbeeren leuchteten lockend in ihrem kräftigen Rot. Sie pflückte ein paar der kleinen aromatischen Erdbeeren und kaute sie langsam. Dann legte sie ein dickes Liegekissen auf eine der Bänke aus Europaletten und streckte sich dort aus. Mit Kräutertee und Beeren-Crunch-Müsli in Milch ließ sie den Tag genüsslich starten, lauschte dem Summen der Bienen und schaute dem Tanz der Zitronenfalter und Tagpfauenaugen zu – nur das Motorenbrummen, das aus den Straßenschluchten Frankfurts sein Echo herüberhallen ließ, erinnerte sie daran, dass sie in der Großstadt war und nicht auf einer Alm.

 

Um die Mittagszeit läutete es an der Wohnungstür und Isa kam mit einem Packen Zeitungen unter dem Arm hereingerauscht.

»Dieser Angeber hat nichts als leere Versprechungen gemacht«, schnaubte Isa, »aber das sollte eigentlich keine Überraschung sein – als dein Freund war er schließlich auch ein Reinfall.«

Isa ließ die Zeitungen mit einem Rums auf den Couchtisch fallen und Natália setzte sich zu ihr und schlug als Erstes die Frankfurter Rundschau auf. Dort war auf Seite vier ein großer Bericht über das Grüne-Soße-Festival mit einem Dutzend bunter Fotos der verschiedenen Stände und kulinarischen Angebote und der Siegerehrung am Samstagabend – den ersten Platz hatte das Gasthaus zum Einhorn abgeräumt, das Gasthaus Zum Lahmen Esel war auf Platz zwei gelandet.

»Wir sind nirgendwo erwähnt?«, fragte Natália mit düsterer Stimme. »Vielleicht hätten wir uns ZUM Alles grün nennen sollen.«

Isa musste schief grinsen.

»Oder wir hätten Johnny schöne Augen machen müssen«, meinte sie, »dann wären wir wenigstens auf einem der Fotos. Guck mal, fast überall bildschöne Servierdamen.«

Natália schaute sich die Fotos genauer an. Tatsächlich war fast auf jedem Bild eine attraktive Kellnerin zu sehen. Und natürlich auch der dicke Koch vom Lahmen Esel, denn als Preisträger hatte Johnny ihn bei seiner Auswahl berücksichtigen müssen.

»Im Artikel sind wir immerhin namentlich erwähnt – im vorletzten Absatz, den kaum einer liest: Zum ersten Mal mit dabei ist das Café Alles grün mit einer originalgetreuen Soße und einem frischen Auftritt«, las Isa vor.

»Originalgetreu klingt wie ein anderes Wort für langweilig«, meinte Natália enttäuscht.

Zusammen blätterten sie auch durch die anderen Zeitungen und lasen die Artikel zum Festival, aber hier wurden sie nicht einmal erwähnt.

»Wir stellen auf jeden Fall unsere eigenen Fotos auf unsere Webseite«, sagte Isa voller Elan, »das hat bestimmt eine gute Werbewirkung.«