Das kleine Schwedenhaus des Glücks: Drei Romane in einem eBook - Karin B. Holmqvist - E-Book
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Das kleine Schwedenhaus des Glücks: Drei Romane in einem eBook E-Book

Karin B. Holmqvist

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Beschreibung

Drei Frauen, eine Menge Chaos – und die große Liebe: Der Feelgood-Sammelband »Das kleine Schwedenhaus des Glücks« jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn man Hygge kaufen könnte, wäre es ein kleines Schwedenhaus! Mit 30 ist Erna immer noch ungeküsst, aber woher auch die Zeit für Liebe und derlei Firlefanz nehmen, wenn man einen ganzen Bauernhof zu leiten hat? Als sie jedoch einen mysteriösen Liebesbrief findet, nimmt ihr Leben eine ungeahnte Wendung ... Turbulenzen stehen auch für die alleinerziehende Mariana in den Sternen, als sie Janne vor die Füße fällt: Der Kerl sieht zwar verflixt gut aus, aber sein Ego ist größer als die Fjorde tief sind. Warum nur muss er ausgerechnet immer dann auftauchen, wenn Mariana in der Klemme steckt? Und auch auf der Schäreninsel Saltön ist Gefühlschaos nicht fern: Sara sucht hier Zuflucht vor dem hektischen Großstadtleben – doch die kleine Dorfgemeinschaft hat jede Menge Geheimnisse zu verbergen und schon bald brodelt die Gerüchteküche über! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der heitere Sammelband »Das kleine Schwedenhaus des Glücks« mit den Wohlfühlromanen »Die Liebe kommt an Regentagen« von Karin B. Holmqvist, »Ein Kerl zum Verlieben« von Katarina Mazetti und »Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht« von Viveca Lärn. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 748

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Über dieses Buch:

Mit 30 ist Erna immer noch ungeküsst, aber woher auch die Zeit für Liebe und derlei Firlefanz nehmen, wenn man einen ganzen Bauernhof zu leiten hat? Als sie jedoch einen mysteriösen Liebesbrief findet, nimmt ihr Leben eine ungeahnte Wendung ... Turbulenzen stehen auch für die alleinerziehende Mariana in den Sternen, als sie Janne vor die Füße fällt: Der Kerl sieht zwar verflixt gut aus, aber sein Ego ist größer als die Fjorde tief sind. Warum nur muss er ausgerechnet immer dann auftauchen, wenn Mariana in der Klemme steckt? Und auch auf der Schäreninsel Saltön ist Gefühlschaos nicht fern: Sara sucht hier Zuflucht vor dem hektischen Großstadtleben – doch die kleine Dorfgemeinschaft hat jede Menge Geheimnisse zu verbergen und schon bald brodelt die Gerüchteküche über!

Eine Übersicht über die Autorinnen finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Sammelband-Originalausgabe Dezember 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Imfoto / Piotr Wawrzyniuk / Elenamiv / Africa Studios / cooperr / vvvita / Mokoshka-f

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-079-6

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Das kleine Schwedenhaus des Glücks

Drei Romane in einem eBook

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Karin B. HolmqvistDie Liebe kommt an Regentagen

Mit 30 noch ungeküsst? Höchste Zeit, nach den Sternen zu greifen! Erna ist ihren Eltern auf dem kleinen schwedischen Bauernhof die einzige Stütze, für Träumereien oder gar die Liebe blieb ihr bisher keine Zeit. Doch als sie auf einer Nachlassauktion ein altes Buch ersteigert, ändert sich ihr Leben schlagartig: es enthält Briefe voller romantischer Abenteuer – aber wer war das geheimnisvolle Liebespaar? Gemeinsam mit dem charmanten Künstler Börje macht sich Erna auf die Spurensuche – und folgt dem Flüstern des Schicksals, das sie geradewegs in die Arme ihrer großen Liebe führen könnte …

Kapitel 1

»Schwachkopf, Schwachkopf!« Die Worte bohrten sich wie Messerstiche in Ernas Herz. Tränen sammelten sich unter ihren Lidern, und wie so oft bei ihr brachen die Dämme, und die Tränen strömten über ihre Wangen.

»Es ist eine Gabe, weinen zu können«, hatte Pastor Ingvarsson gesagt, als Olle Berg seinen Sohn zu Grabe trug, und Erna war dankbar gewesen für diese Gabe. Aber dass die Tränen so oft und so heftig kamen wie jetzt, war wohl doch nicht Sinn der Sache.

»Schwachkopf, Volltrottel«, hallte es noch einmal zwischen den Häusern wider, dann rannten die beiden Jungen davon.

Gott war nicht gerade barmherzig gewesen, als er das Aussehen erschaffen hatte, das Erna mit sich durchs Leben tragen musste. Sie war per Zangengeburt auf die Welt gekommen, und die Hebamme hatte gesagt, dass sich ihr spitzer Kopf im Laufe der Jahre schon zurechtwachsen würde. Aber es war eher umgekehrt gewesen.

Als sie in die Schule kam, hagelte es Spottnamen: Schwachkopf und Volltrottel. Erna hätte sich gewünscht, dass ihre Eltern wenigstens einmal ein Wort darüber verloren hätten. Stattdessen hatte ihre Mutter Viola eine seltsame Mütze nach der anderen gestrickt, und Erna hatte sie aufsetzen müssen.

Mittlerweile war Erna vierunddreißig und wohnte immer noch in ihrem Elternhaus. Die meisten Gleichaltrigen waren in die Stadt gezogen, um zu studieren oder zu arbeiten, aber Erna half ihren Eltern auf dem Bauernhof. Ihr Vater Ernst war an Parkinson erkrankt und schaffte die schwere Arbeit nicht mehr allein. Seine Krankheit hatte zur Folge, dass er manchmal wie betrunken wirkte, wenn er mit unbeholfenen Bewegungen versuchte, seine Aufgaben zu verrichten. Mutter Viola arbeitete ebenfalls auf dem Hof. Außerdem erledigte sie Näharbeiten und verkaufte Eier und Gemüse an den Lebensmittelladen.

Der Hof der Familie lag außerhalb von Kivik, einem kleinen Ort im Süden Schwedens. Bei Ostwind fraß sich das Meer immer mehr ins Land hinein.

»Bald haben wir ein Haus mit direktem Meerblick«, hatte Ernst einmal im Scherz gesagt, obwohl ihr Hof ein paar Kilometer von der Küste entfernt lag. Von . ihrem Fenster aus konnte Erna Stenshuvud sehen, die charakteristische Erhebung, die außerdem zum Nationalpark erklärt worden war. Sie genoss es, wenn die Sommergäste in den kleinen Küstenorten einfielen und Künstler und Schriftsteller die kleinen Häuser bevölkerten. Sie bewunderte diese kreativen Menschen und träumte davon, selbst zu malen, etwas zu erschaffen und dem, was in ihr steckte, freien Lauf zu lassen. Doch sie traute sich nicht, ihre Träume in die Realität umzusetzen, denn sie hatte Angst zu versagen.

Wie die meisten jungen Frauen hatte auch sie von einem Mann und einer eigenen Familie geträumt, war sich aber bewusst gewesen, dass ihr Schicksal sie an ihr Zuhause und ihre Eltern fesselte. Als die anderen jungen Leute tanzen gegangen waren, hatte Erna sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, hatte gelesen und Radio gehört, denn dumm war sie nicht, ganz im Gegenteil. Nur hatte sie nie zeigen dürfen, was sie konnte.

Sie hatte sich in der Schule nie gemeldet, weil sie Angst gehabt hatte, dass sich die Blicke der anderen auf sie richten könnten. Doch sie hatte immer die richtigen Antworten auf alle Fragen gewusst, und abends stellte sie sich manchmal vor, wie es gewesen wäre, wenn sie aufgestanden wäre und die Fragen des Lehrers klar und deutlich beantwortet hätte.

In der Schule war Erna eine Außenseiterin gewesen und hatte immer davon geträumt dazuzugehören. Nur in der dritten Klasse hatte sie eine Zeit lang eine Freundin gehabt: Alva aus dem Nachbarhaus. Sie und ihre Familie mussten ständig umziehen, wenn ihnen der Gerichtsvollzieher mal wieder auf die Spur gekommen war. In der Schule hatten die anderen sie Pipi-Alva genannt, weil sie nach Urin roch, was an einer zu schwachen Blasenmuskulatur gelegen hatte.

Alva und Erna hatten oft zusammengesessen und einander ihre Träume anvertraut, die einander sehr ähnelten. Darüber war eine herzliche und innige Beziehung zwischen ihnen entstanden. Erna erinnerte sich noch mit Grauen an den Herbstmorgen, an dem sie Alva abholen wollte und das Haus leer gewesen war. In der Nacht war die Familie ein weiteres Mal aufgebrochen, und die beiden Mädchen hatten sich nicht einmal voneinander verabschieden können. Nach Alvas Umzug war Erna noch schüchterner geworden. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein, weinte, las und verlor sich in ihren Gedanken.

Das einzige Andenken, das Erna an Alva hatte, war ein Zettel, den diese ihr in ihren Schulranzen gesteckt hatte. Auf diesen Zettel hatte Alva ein Herz gemalt, das von einem Pfeil durchbohrt wurde. Darunter stand: »Erna und Alva, Freundinnen für immer«, und darunter ein Gedicht:

Freunde sind füreinander da,Wir kümmern uns umeinander.Erna und Alva für immer –Freundinnen durch dick und dünn.

Erna hatte den knittrigen Zettel mit dem einfachen Text, der ihr so unerhört viel bedeutet hatte, oft hervorgezogen. Für sie war er das schriftliche Zeugnis der einzigen Freundschaft, die sie je erlebt hatte.

Genau genommen hatte Erna noch ein Andenken an Alva: eine Pflanze, die sie hegte und pflegte. Es war ein Setzling, den sie von ihrer Freundin bekommen und in einen Blumentopf gepflanzt hatte. Berührte man die Blätter, verbreitete sich ein wunderbarer zitronenähnlicher Duft. Die Pflanze war prächtig gediehen. Alva hatte gesagt, dass ihre Freundschaft bestehen würde, solange die Pflanze lebte. Erna hatte sie deshalb besonders gut gepflegt.

»Schwachkopf, Schwachkopf.« Erna richtete sich im Bett auf. Da war er wieder, dieser Traum. Ihr Herz pochte, und sie wischte sich die Tränen ab, die ihr die Wangen herunterliefen. Diesen Traum hatte sie schon so oft gehabt. Das höhnische Lachen der Jungen, das zwischen den kleinen Häusern widerhallte, die Erniedrigung, das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Eigentlich wäre sie am liebsten wieder unter die Decke gekrochen, um der Wirklichkeit zu entfliehen, die ihr so zusetzte. Aber sie hatte nicht die Kraft, ihren Eltern ihre Empfindungen zu erklären, und sie wollte sie auch nicht mit ihren Problemen belasten.

Ernst und Viola Henningsson saßen an diesem Samstagmorgen schweigend in der Küche. Sie hatten sich nie viel zu sagen gehabt, und im Laufe der Jahre hatte die Stille immer mehr überhandgenommen.

»Warum bist du so schweigsam?«, wollte Viola vorsichtig wissen.

»Was gibt es schon zu sagen, verdammt«, antwortete Ernst. »Worte sind überflüssig, ich hasse es, wenn die Leute drauflosschwatzen.«

»Man muss doch nicht drauflosschwatzen, es gibt auch interessante Dinge, über die man sich unterhalten kann.«

»Und zwar?«, fragte Ernst übellaunig, und plötzlich fiel auch Viola nichts Interessantes ein.

Als Erna in die Küche trat, lauschte sie der einsilbigen Unterhaltung ihrer Eltern. Sie sehnte sich so sehr danach, all die Wörter zu verwenden, die sie in ihren Büchern gelesen hatte.

»Beeilt euch«, sagte Ernst, erhob sich und zog seinen handgestrickten Pullover an.

Viola räumte den Tisch ab. Sie legte die Wurst in eine Tupperdose und schob das Brot in eine Plastiktüte. Die alte Pendeluhr über der grün gestrichenen Sitzbank tickte, und es klirrte, als Murran, die alte Hauskatze, aufs Fensterbrett sprang und es sich zwischen den beiden Geranien bequem machte, die sich nach dem Blumenkasten auf der Küchentreppe sehnten. Dafür war es allerdings zu früh. Die Frühlingssonne schien zwar schon, aber die Nächte waren kalt, und in der letzten Woche hatte es einige Male beinahe Frost gegeben.

Erna saß wie immer gedankenverloren da und zuckte zusammen, als ihr Vater mit lauter Stimme sagte: »Kommt ihr jetzt mit oder nicht?«

Viola ließ die Tassen im Spülbecken stehen und trocknete sich rasch die Hände an ihrer karierten Schürze ab.

»Wir sind so weit ...«

»Und du, Erna?«, fuhr Ernst fort.

Erna erhob sich hastig. »Ich bin auch fertig, Vati ...«

»Auf Frauenzimmer und Selbstgebrannten muss man wirklich immer warten«, fuhr Ernst fort und ging zum Telefontisch, auf dem neben einem alten Foto des Hofhunds Laika seine Brieftasche lag. Laika war im vergangenen Frühjahr unter dem Vorderrad des Traktors zu Tode gekommen.

»Können wir auf dem Heimweg am Friedhof anhalten?«, fragte Viola nachdenklich. »Ich könnte im Garten noch ein paar Blumen pflücken.«

Ernst sah sie finster an.

»Ich könnte sie solange im Kofferraum in einen Eimer Wasser stellen.«

»Klar, nur zu. Ihr könntet auch gleich noch die Gartenstühle mitnehmen, falls es bei der Versteigerung nicht genügend Sitzgelegenheiten geben sollte. Wie wäre es mit der Zinkwanne aus dem Stall? Da gehen zwar nur fünfundzwanzig Liter rein, aber ich kann ja in den Kurven langsamer fahren, dann bleibt möglicherweise sogar was übrig vom Wasser. Vielleicht sollten wir auch noch etwas Blumendünger reintun, dann halten sie besser.«

Erna und Viola gingen auf die Küchentür zu.

»Falls du noch eine Karte zwischen die Blumen stecken willst, in der obersten Schreibtischschublade liegen noch welche.«

Viola wusste genau, worauf er anspielte. Manchmal, wenn er schlechte Laune hatte, verglich er sie mit Asta Olsson, die unten am Sumpf wohnte. Asta war nicht die Hellste und tat oft verrückte Dinge. Einmal hatte sie zu Ostern Blumen auf das Grab ihrer Eltern gestellt und eine hübsche Karte in den Strauß gesteckt, auf der »Frohe Ostern« stand. »Hast du das von Asta Olsson gelernt?«, pflegte Ernst zu sagen, wenn Viola wieder mal etwas Verrücktes getan hatte.

Der Friedhof lag ein Stück entfernt, und Viola nutzte die Gelegenheit, ihn zu besuchen, wenn Ernst ohnehin mit dem Auto unterwegs war. Meist fuhr er jedoch mit dem Traktor, wenn er etwas zu erledigen hatte.

»Ich kann auch ein andermal mit dem Fahrrad zum Friedhof fahren«, sagte Viola.

Schweigend gingen die drei zu dem alten Volvo, der in einem baufälligen Schuppen stand.

»Knall die Tür nicht so zu, verdammt!«, brüllte Ernst seine Tochter an, als sie die hintere Autotür von innen zuzog.

Nachdem Erna Platz genommen hatte, erhob sie sich noch mal kurz, um ihr Baumwollkleid glatt zu ziehen, damit es beim Sitzen keine Falten bekam.

Ernst fuhr ruckartig und schaltete häufiger als nötig. Viola saß schweigend auf dem Beifahrersitz und drückte ihre Handtasche aus schwarzem Lederimitat so fest an die Brust, dass auf ihrem selbst genähten Polyesterkleid ein feuchter Fleck entstand. Automatisch klappte sie die Sonnenblende herunter, um sich im Spiegel zu betrachten, klappte sie aber rasch wieder hoch, als ihr einfiel, dass nur das letzte Auto einen Spiegel in der Sonnenblende gehabt hatte.

»Vielleicht sollten wir uns ein neues Auto zulegen, damit du dich wieder im Spiegel angucken kannst«, meinte Ernst mit harter Stimme. »Oder wir hätten den alten Wagen behalten sollen. Ist doch egal, wenn das Fahrgestell durchgerostet ist und der Kühler ein Loch hat – Hauptsache, es gibt einen Spiegel.« Viola und Erna schwiegen, zum großen Verdruss von Ernst. Er schaltete, ohne die Kupplung ganz durchgetreten zu haben, und es krachte im Getriebe.

»Verdammter Sonntagsfahrer!«, fauchte er und, bremste so abrupt, dass Violas Handtasche runterfiel. Er deutete auf den Wagen vor ihnen.

Schweigend fuhren sie die Landstraße nach St. Olof weiter, wo der Nachlass von Rektor Påhlsson versteigert werden sollte. Während der Fahrt dachte Viola an ihren ehemaligen Schuldirektor, bei dem sie ein Halbjahr Vertretungsunterricht gehabt hatte. Ihr war die Schule immer leichtgefallen, und sie war bei ihren Mitschülern beliebt gewesen. Als sie die weiterführende Schule besuchen wollte, hatten ihre Eltern sie dazu ermutigt. Påhlsson war ein guter Lehrer gewesen. Die Fächer, an denen Viola bislang nicht interessiert gewesen war, füllte er mit Leben, und sie hatte von sich aus in den Schulbüchern weitergelesen, auch wenn das gar nicht ihre Hausaufgabe gewesen war. Sie war sich sicher, dass Påhlsson einen guten Teil dazu beigetragen hatte, dass sie weiter zur Schule gehen wollte.

Am Tag des Wechsels von der Volksschule auf die Realschule hatte sie eine neue Schultasche bekommen, ein Federmäppchen und zum ersten Mal gewachstes Einschlagpapier für ihre Schulbücher. Sie hatte sich morgens unwohl gefühlt, doch ihre Eltern hatten das auf die Aufregung geschoben, weil Erna künftig in die Stadt Simrishamn fahren musste, um zur Schule zu gehen. Viola versuchte die Gedanken an den Abend zu verdrängen, an dem sie mit Ernst in Kulla zum Tanzen gewesen war. Er war ziemlich betrunken gewesen und hatte sie in einem Gebüsch dazu gezwungen, mit ihm zu schlafen. Viola hatte einen großen Widerwillen empfunden und anschließend versucht, den Vorfall zu vergessen. Doch als die Regel ausgeblieben war, hatte sie einsehen müssen, dass das gewachste Einschlagpapier nicht zur Anwendung kommen würde.

Ihre Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft betrieben und fleißig gespart, damit sie die weiterführende Schule würde besuchen können. Sie waren gutmütig und liebevoll, und nicht einmal an dem Abend, an dem sich Viola gezwungen sah, ihr Geheimnis preiszugeben, hatten sie ein böses Wort gesagt. An jenem Abend hatte Viola durch die Wand ihres Zimmers das Weinen ihrer Mutter und die unruhigen Schritte ihres Vaters gehört. Am nächsten Morgen hatte sie sich beim Anblick der rot geränderten Augen ihrer Mutter geschämt. Die Schule war nie mehr erwähnt worden, und die Tasche und das Einschlagpapier waren im Schrank verschwunden. Stattdessen wurde die Hochzeit vorbereitet. Ernst hatte getan, was sich gehörte, und sie geheiratet, und sie war zu ihm auf den Hof seiner Eltern gezogen.

Von Liebe war nie die Rede gewesen. Wenn Ernst bisweilen in ihr Bett gekrochen war, hatte sie ihn empfangen, leer und kalt, und dabei versucht, an etwas anderes zu denken. Eines Nachts war ihr mangelnder Enthusiasmus zum Vorschein gekommen, als Ernst voller Ekstase kurz vor dem Höhepunkt gewesen war und sie plötzlich gefragt hatte: »Hast du eigentlich die Tür vom Hühnerstall zugemacht?«

Ernst war in seine Betthälfte gerollt, und Viola hatte gehört, wie er mit den Zähnen geknirscht hatte, bevor er das Zimmer mit seinem Schnarchen füllte.

Sie hatte sich auf ihr Kind gefreut. Hatte geglaubt, dass dadurch Ernsts Launenhaftigkeit besänftigt würde. Außerdem würde sie viel zu tun haben, was sie auf andere Gedanken bringen würde. Die Geburt war schwer gewesen, und nicht einmal die Versicherung der Hebamme, dass sich Ernas unförmiger Kopf zurechtwachsen würde, hatte Viola trösten können. Ernst hatte keine Freude über seine Tochter erkennen lassen, und erst mehrere Monate nach der Entbindung hatte er sie zum ersten Mal in den Armen gehalten. Nicht liebevoll, sondern mehr wie eine Last, die jemand auf ihn abgewälzt hatte.

Der Parkplatz war fast voll, als sie bei der Versteigerung ankamen. Schweigend stiegen sie aus, und Ernst schloss sorgfältig ab. Wie immer ging er um das Auto herum und prüfte, ob alles abgeschlossen war, selbst der Kofferraum. Erna wusste, dass er gleich noch einmal die Fahrertür öffnen würde, um sich davon zu überzeugen, dass die Handbremse angezogen war, und anschließend, dass das Licht nicht mehr an war. Dann wiederholte sich dieselbe Prozedur bei den Türen, erst dann konnten sie sich auf den Weg zum Auktionssaal machen. Erna strich ihr Kleid glatt und fuhr sich mit der Hand übers Haar.

»Kauft jetzt bloß keinen Plunder, davon haben wir schon genug«, sagte Ernst.

Der Besuch von Versteigerungen war für sie zu einem beliebten Zeitvertreib geworden. Dabei kauften sie nie etwas, sondern sahen sich nur alles an und unterhielten sich mit Bekannten. Das waren Tage, auf die sich Viola und Erna freuten. Insbesondere im Frühling fand Erna solche Veranstaltungen sehr aufregend, weil allmählich die Sommergäste eintrudelten und es viele neue Leute zum Betrachten gab.

Ernst unterhielt sich meist nur mit den anderen alten Männern, während Erna und Viola die Gegenstände unter die Lupe nahmen, die unter den Hammer kommen würden. Wenn sie sich in einen Gegenstand verguckten, spürten sie Ernsts Blick im Nacken, und es war kaum jemals passiert, dass sie auf etwas geboten hatten, ohne erst Ernsts Genehmigung einzuholen.

Einmal, als Erna noch klein gewesen war, hatte ihre Mutter ihr allerdings einen Überraschungskasten ersteigert, der jede Menge Krimskrams, aber auch einen großen Block mit festem Papier und einen Kasten Stifte enthalten hatte. Ernst war eine ganze Woche lang eingeschnappt gewesen, aber Erna hatte ein unbeschreibliches Glücksgefühl über dieses unerwartete Geschenk empfunden.

Eigentlich stand sie ihrer Mutter sehr nahe, aber man hatte den Eindruck, als wagte keine von ihnen, sich richtig zu ihren Gefühlen zu bekennen. Als Erna den Malblock und die Stifte bekommen hatte, war sie ihrer Mutter ganz spontan um den Hals gefallen, und Viola hatte sie lange ganz fest in den Armen gehalten, als hätte sie sie nie mehr loslassen wollen. Sie hatten mitten in der Küche gestanden und gespürt, wie sich die Wärme in ihnen ausbreitete.

»Was zum Teufel tut ihr da? Seid ihr nicht ganz bei Trost?«, hatte Ernst gefaucht. Mutter und Tochter hatten sich losgelassen und sich einen Augenblick lang in stillem Einvernehmen angesehen. Erna hatte so oft an diesen Moment gedacht und sich zu ihm zurückgesehnt.

Jetzt sahen sie sich den Nachlass von Rektor Påhlsson an, und Erna empfand dieselbe Zusammengehörigkeit mit ihrer Mutter wie damals. Sie interessierten sich beide für Bücher, und bei dieser Versteigerung gab es jede Menge Kartons, die bis zum Rand mit Büchern und Zeitschriften gefüllt waren.

»Schau mal, Mutti«, sagte Erna plötzlich und zeigte auf die Jahrbücher des Heimatvereins aus den Jahrgängen 1949 bis 1967. Viola fand auch, dass sie in gutem Zustand waren. Sie blätterten eine Weile interessiert darin herum.

»Hier steht was über das Königsgrab und über Stenshuvud«, meinte Viola, und Erna war immer überzeugter davon, dass sie diese Bücher ersteigern musste. Sie wusste, dass ihr Vater vor Wut außer sich sein würde, aber sie hatte ihr Geld sauer genug verdient. Frühmorgens hatte sie die Kühe gemolken und unter der glühenden Sonne Futterrüben gehackt, und das für ein paar elende Hundertkronenscheine im Monat zuzüglich freier Kost und Logis, wie ihr Vater gerne betonte.

»Ich glaube, ich kaufe diese Bücherkiste«, sagte Erna vertraulich zu ihrer Mutter.

»Erna, ich weiß nicht ... wobei ... interessant sind sie schon, und du liest ja auch gern ... aber Vater wird das nicht gefallen.«

»Das ist mir egal«, antwortete Erna mit lauter, klarer Stimme, »diese Bücher muss ich haben.«

»Mach, was du willst«, entgegnete ihre Mutter, und Erna meinte, einen warmen Schimmer in ihren Augen zu sehen.

Zusammen gingen sie durch den Auktionssaal und sahen sich Möbel und Hausrat an. Dabei grüßten sie immer wieder irgendwelche Bekannten, die sie dort trafen. Am Ende schlossen sie sich wieder Ernst an, der eingeschnappt am Kaffeestand wartete.

»Hast du noch mehr Blöcke und Stifte gefunden?«, fragte er seine Frau. Er konnte einfach nicht vergessen, wie sie sich seinerzeit seinem Willen widersetzt hatte.

»Nein, habe ich nicht«, sagte Viola mit ungewöhnlich selbstbewusster Stimme, »aber Rektor Påhlsson hatte wirklich viele schöne Bücher.«

»Bücher«, schnaubte Ernst, »als hätte man nicht in der Schule genug davon gehabt!«

Der Auktionator schlug dreimal mit dem Hammer auf den Tisch. Die Gespräche verstummten allmählich, und es war nur noch das leise Klappern vom Kaffeestand zu hören.

»Herzlich willkommen. Heute wird der Nachlass von Rektor Påhlsson versteigert. Wie immer gilt Barzahlung. Beim Kauf fallen zehn Prozent Provision einschließlich Mehrwertsteuer an. Die Gegenstände werden in dem Zustand verkauft, in dem sie sich befinden. Erwünscht sind Gebote so hoch wie der Hörbyer Sendemast«, scherzte er, »und so schnell wie der Blitz.«

Es wurde gelacht, und der Hammer schlug weitere drei Male auf den Tisch. Neben dem Versteigerer saß geduldig seine Frau, die alle Gebote aufschreiben und den Überblick über die Auktionsgegenstände behalten musste.

»Ein Rauchtisch mit Kupferplatte und Aschenbecher. Na, wie sieht es mit einem Gebot aus?«

Artur Andersson, der Sohn des Tischlers, hielt die zu versteigernden Gegenstände in die Höhe. Er war ein Sonderling, schüchtern und einfältig, aber bei den Auktionen wuchs er über sich hinaus. Vorsichtig hob er die Stücke hoch, trug stolz die alte Schaffnertasche auf dem Bauch herum und kassierte das Geld für den verkauften Trödel ein. Rechnen konnte er, aber im Übrigen war er im Kopf nicht sonderlich fix.

»Vierhundert da hinten bei der Säule, los jetzt, etwas mehr darf es schon sein. Vierhundert, vierhundert zum Ersten ... Vierhundertfünfzig zum Ersten, zum Zweiten ...« Der Versteigerer ließ seinen Hammer auf die Tischplatte sausen. »Wirklich billig.« Er wandte sich an Artur, der bereits den nächsten Gegenstand hochhielt. »Hier haben wir den ersten Karton mit Büchern. Na, kriege ich ein Gebot? Wunderbare Bücher, Halblederbände. Beeilt euch, das Eishockeyspiel fängt um acht Uhr an. Und, wie sieht es aus?«

»Hundert Kronen.«

Die Stimme war die eines Mannes, der hinter Erna stand. Sie drehte sich um und wurde etwas verlegen, als er ihren Blick erwiderte. Rasch drehte sie sich wieder nach vorn.

Hundert Kronen! Mehr nicht. Der Hammerschlag hallte, und Artur bahnte sich einen Weg durch die Menge, um dem Mann die Kiste zu überreichen. Erna hörte, dass der Fremde einen mittelschwedischen Dialekt sprach.

Der Hausrat wurde Stück um Stück in alle Winde zerstreut, und mit der Zeit zerstreute sich auch die Menge. Erna und ihre Eltern pflegten nach der Halbzeit eine Tasse Kaffee zu trinken und eine Zimtschnecke zu essen. Das war etwas Besonderes, weil sie sonst nie auswärts aßen oder tranken. Bei einer Versteigerung gönnten sie sich jedoch diesen Luxus.

Erna fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Sie behielt die ganze Zeit die zu versteigernden Gegenstände im Auge, denn sie hatte Angst, den Karton mit den heimatkundlichen Büchern zu verpassen. Auch Viola wirkte nervös, vielleicht weil sie wusste, dass ihre Tochter mitbieten wollte. Gerade als ihnen die Kellnerin das Tablett hinstellte, hielt Artur den Karton mit den Büchern in die Höhe.

»Hundert Kronen«, rief Erna, noch ehe der Auktionator etwas gesagt hatte.

»Hundert Kronen sind von Ernst Henningssons Erna geboten. Dann sollst du sie auch haben, Mädchen«, sagte der Versteigerer, noch ehe jemand mitbieten konnte. Erna wagte es nicht, ihren Vater anzusehen. Sie zog ihr Portemonnaie aus der Tasche und reichte Artur fünf Zwanzigkronenscheine.

»Ist das dein Beitrag zur Altpapiersammlung?«, fragte Ernst mit harter Stimme und deutete auf die Bücher. Erna sah sich verlegen um, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand gehört hatte.

»Das sind schöne Bücher. Ich habe sie mir auch angesehen«, warf Viola ein und starrte auf die Tischplatte.

»Wie nett«, meinte Ernst säuerlich. »Dann können wir uns ja bald die Fernsehgebühren sparen. Stattdessen können wir abends lesen.« Er biss in seine Zimtschnecke und schmatzte laut. Als sie fertig waren, standen Ernst und Viola auf, während Erna sitzen blieb, weil sie ihre Bücher nicht unbeaufsichtigt lassen wollte.

»Ist hier noch frei?«

Erna drehte sich um. Vor ihr stand der Mann, der auf die anderen Bücher geboten hatte.

»Natürlich. Bitte schön«, sagte sie freundlich und schob die Krümel von den Zimtschnecken zu einem kleinen Haufen zusammen.

»Sie interessieren sich also auch für Literatur«, stellte der Mann fest und deutete auf Ernas Karton.

»Ja«, antwortete Erna und dachte plötzlich an ihren Kopf und ihr seltsames Haar. Sie bereute es, nicht, wie sie es vorgehabt hatte, ein Tuch umgebunden zu haben. Aber dafür war es zu spät, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Kopf irgendwie immer größer wurde, aber vielleicht lag das auch daran, dass ihr Herz so heftig pochte. Die Stimme des Mannes war so warm und herzlich. Wann hatte sie schon mal jemanden im Dorf von Büchern als Literatur sprechen hören?

»Ja, ich lese viel.«

Sein Blick wich ihr nicht aus, als sie ihn betrachtete. Sie war es gewohnt, dass ihr Aussehen die Leute in Verlegenheit brachte und dass sie den Blick abwandten.

»Schauen Sie mal, was für ein Schnäppchen ich gemacht habe!«, fuhr er stolz fort. »Die Grundlagen der Archäologie. Sieben Bände ... illustriert.«

»Wie interessant. Ich habe ein paar heimatkundliche Bücher ersteigert.« Erna schaute nervös nach ihren Eltern.

»Erwarten Sie jemanden?«

»Nein, nein.«

Gerade als Erna ihre Bücher aus dem Karton nehmen und vorführen wollte, trat Ernst an den Tisch. Er grüßte nicht, sondern zerrte Erna einfach nur unwirsch am Arm.

»Wir fahren!«

Sie legte die Bücher in den Karton zurück. Erhob sich verlegen und schob dann die Krümel ein weiteres Mal zusammen.

»Nett, Sie kennengelernt zu haben«, sagte der Fremde.

Sie lächelte verkrampft und hob die Bücherkiste hoch. Er stand auf, als wollte er sie am Gehen hindern.

»Wir sollten vielleicht mal ...«

Erna hörte die Fortsetzung nicht mehr, denn sie war schon auf dem Weg nach draußen zum Auto. Ihre Mutter saß bereits auf dem Beifahrersitz. Verärgert öffnete Ernst den Kofferraum.

»Mit etwas Glück passt die Büchereifiliale Kivik hier hinten tatsächlich noch rein«, meinte er mürrisch.

Erna antwortete nicht, sondern stellte den Karton in den Kofferraum und nahm dann schweigend auf dem Rücksitz Platz.

Sie fühlte sich innerlich ganz leer, und plötzlich überkam sie dieses merkwürdige Empfinden, das irgendwo in der Mitte zwischen Lachen und Weinen lag. Zum ersten Mal hatte sie es bei ihrer Konfirmation erlebt. Als sie vor dem Altar gestanden hatte und das Brot hatte empfangen sollen, hätte sie sich fast vor Lachen geschüttelt. Sie hatte nicht gewusst, warum, schließlich war sie ja innerlich vollkommen ernst gewesen, ja, ergriffen von der Feierlichkeit des Augenblicks, aber die Anspannung hatte irgendetwas in ihr zum Kippen gebracht.

Sie hatte oft über diesen Vorfall nachgedacht. Sie mochte gar nicht daran denken, was ihre Eltern gesagt hätten, wenn sie ihnen beim heiligen Abendmahl die Schande bereitet hätte, in lautes Gelächter auszubrechen. Es wäre zwar kein normales Lachen gewesen, das wusste Erna, aber sie schämte sich trotzdem. Während der darauffolgenden Wochen meinte sie zu spüren, dass Gott irgendwie Genugtuung von ihr verlangte. Zum ersten Mal hatte sie seine Stimme in der Schule in einer Geschichtsstunde gehört.

»Lies den Katechismus, lies den Katechismus«, hatte sie über ihrem Kopf gehört. Es war ein schreckliches Erlebnis gewesen. Am selben Tag hatte sie ihre Menstruation bekommen, und sie hatte gespürt, wie das Blut förmlich aus ihr herausgeströmt war. Ich muss Gottes Mahnung befolgen, sonst verblute ich, hatte sie gedacht. Stina aus Kulladal hatte nach der Schule mit ihr spielen wollen, aber Erna hatte gelogen und behauptet, sie müsse im Stall mithelfen. Wie eine Wahnsinnige war sie nach Hause geradelt. Sie hatte Angst gehabt, dass Gott sie ein weiteres Mal anrufen würde. Gerade als sie die Einfahrt zum Hof hinaufgekeucht war, hatte sie die Stimme erneut vernommen: »Lies den Katechismus, lies den Katechismus, jeden Mittwoch ...«

Erna spürte, wie ihr Herz schlug. Selbst ihre Mutter, die ihre Gemütsverfassung stets so gut zu deuten wusste, sah erstaunt aus, als ihre Tochter atemlos ins Haus rannte. Erna warf ihre Schultasche in der Diele ab, stürmte auf ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab, was sie noch nie getan hatte.

»Erna, Erna«, hörte sie ihre Mutter vor der Tür flüstern. Doch sie antwortete nicht, sondern suchte im Schrank nach dem kleinen Katechismus, den sie zur Konfirmation bekommen hatte. Dann setzte sie sich und begann zu lesen. Erst nach einer Stunde begann sie einen gewissen inneren Frieden zu empfinden. Jetzt ist Gott vermutlich zufrieden, dachte sie und legte das Buch wieder in den Schrank. Fast ein Jahr lang las sie jeden Mittwoch im Katechismus, wie Gott es ihr aufgetragen hatte. Sie hatte Angst, Gottes mahnende Stimme wieder hören zu müssen, erzählte aber niemandem von dieser merkwürdigen Offenbarung.

Ein zweites Mal überwältigte Erna dieses seltsame Gefühl, dass sich die Grenze zwischen Lachen und Weinen verwischte, bei der Beerdigung ihrer Tante. Als der Pfarrer sagte: »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden«, meinte sie von einem hysterischen Lachen zerrissen zu werden. Sie presste die Hände so fest zusammen, dass sie fast die rote Nelke zerdrückt hätte. Sie schaute auf ihre Mutter, die die ganze Zeit weinte, und hatte auf einmal das Gefühl, dass gleich alle Dämme brechen würden. Die weitere Rede des Pfarrers war völlig an ihr vorbeigegangen.

Viola hatte ihre Tochter damals anstoßen müssen, damit diese aus ihren Gedanken aufschreckte und wieder zur Beerdigung ihrer Tante zurückkehrte. Das unangenehme Gefühl, in Lachen ausbrechen zu müssen, war in aufrichtige Wehmut umgeschlagen. Erna wusste, dass ihre Tante ihrer Mutter sehr viel bedeutet hatte. Sie hatte oft gehört, wie sie sich vertraulich am Telefon miteinander unterhalten hatten. Und schließlich hatte ihr Mitgefühl mit der Mutter den Tränenfluss ausgelöst.

Erna zuckte zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. Sie sah ihren Vater an und begegnete für einen kurzen Moment seinem Blick im Rückspiegel. Die Augen waren kalt und hart. Er sah erschöpft und alt aus, sein Gesicht war zerfurcht und seine Haut gerötet. Sein Haar war fettig von zu viel Pomade, und er hatte ein paar längere Haarsträhnen über seine Glatze gekämmt. Erna hatte diese seltsame Frisur immer abstoßend gefunden und nicht verstanden, dass er seine Glatze nicht einfach akzeptierte, da er es ja auch im Übrigen mit seinem Äußeren nicht so genau nahm.

»Rut Assarsson hat sich eine schöne Lampe gekauft«, sagte Viola plötzlich, weil ihr die Stille offenbar .zu lang dauerte.

»Kaufen, kaufen, immer nur kaufen! Was will sie denn mit einer Lampe?«

»Ich habe sie nicht gefragt«, erwiderte Viola unwirsch. »Vermutlich will sie sie anschalten, wenn es dunkel wird. Dafür hat man schließlich Lampen.«

Erna musste lachen. Diese Unterhaltung war so abwegig. Gleichzeitig fand sie es befreiend, dass ihre Mutter sich traute, schnippisch zu sein. Als Erna wieder die Augen ihres Vaters im Rückspiegel sah, blieb ihr das Lachen im Halse stecken, verschwand aber nicht ganz.

»Bist wohl etwas naseweis heute, Viola, was? Ja, ihr beiden Weiber werdet frech, sobald ihr den heimatlichen Hof hinter euch gelassen habt. Aber das steht euch nicht, und zwar keiner von euch beiden. Nur dass ihr es wisst«, schnaubte er. »Und Rut Assarsson, die sieht doch im Halbdunkel sowieso am besten aus. Das Geld hätte sie sich sparen können. Dass ihr euch nie an den Leuten orientieren könnt, die wissen, was sich gehört.«

»Wie Gerda Nilsson«, sagte Viola rasch, weil sie wusste, was jetzt kommen würde.

»Genau«, erwiderte Ernst und strahlte. »Die scharwenzelt nicht wie ihr im Auktionssaal herum, nein, die steht die ganze Zeit treu neben ihrem Algot.«

Viola hatte keine Lust, weitere Worte auf Gerda Nilsson oder sonst jemanden zu verschwenden, und war erleichtert, als sie zu Hause ankamen.

Kaum dass er den Wagen abgestellt hatte, ging Ernst auf die Küchentreppe zu. Er kam gar nicht auf die Idee, Erna mit der Bücherkiste zu helfen, und das war vielleicht auch besser, denn so blieben ihr weitere spitze Bemerkungen erspart. Sie beschloss, die Kiste später am Abend ins Haus zu tragen, wenn ihr Vater im Stall war.

Viola setzte sich mit einem Kreuzworträtsel an den Tisch, und Erna machte sich an den Topfpflanzen zu schaffen.

Draußen pfiff der Wind um die Hausecken.

Kapitel 2

Der Keramiker Börje Ek fuhr mit seinem Wohnmobil in den Garten des kleinen Hauses unten am Hafen von Kivik. Der Garten war nicht sonderlich gepflegt, aber er hatte das Haus erst im Sommer zuvor gekauft und die erste Zeit mit dem Versuch verbracht, es bewohnbar zu machen. Die Außenarbeiten würden später folgen.

Das schwere Fahrzeug hinterließ tiefe Spuren in der lehmigen Erde, und er musste den vielen Pfützen ausweichen, die den Weg zur Haustür säumten. Er ging über die alte Veranda mit den beiden wackligen Sitzbänken und schloss die Tür auf, die einmal blau gewesen war.

In der Küche roch es muffig. Auf dem Tisch standen eine leere Weinflasche und daneben eine Kerze. Auf der Fensterbank lagen eine Pfeife und ein Päckchen Tabak. Daneben befand sich ein Tablett mit einer Reihe von grünen Plastikblumentöpfen. Die Samentütchen unter den Töpfen verrieten, was man darin angesät hatte.

Börje war in Stockholm aufgewachsen. Sein Vater war Schriftsteller gewesen, hatte aber nur für wenige Manuskripte einen Verlag gefunden. Eines seiner Bücher hatte den Titel »Die Anpassung des Menschen an unterschiedliche gesellschaftliche Umfelder« getragen. Börje erinnerte sich, dass er beim Lesen nichts verstanden hatte. Vermutlich hatte auch sonst niemand etwas begriffen. Die Kritiken waren jedenfalls vernichtend gewesen.

Sein Vater hatte einmal einen Schreibkurs an der Volkshochschule besucht, aber im Übrigen keine Ausbildung abgeschlossen. Warum er plötzlich über den Menschen und die Beeinflussung durch seine Umwelt hatte schreiben wollen, lag vermutlich daran, dass der gesellschaftliche Hintergrund seiner Eltern sehr verschieden gewesen war. Sein Vater war der Jüngste von sieben Geschwistern gewesen und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Großvater väterlicherseits hatte in einem Stahlwerk in Norrbotten gearbeitet, und seine Großmutter war Hausfrau gewesen. Börjes Mutter Louise stammte aus einer wohlhabenden Stockholmer Familie, der es sehr schwergefallen war, ihre Wahl eines Ehemannes zu akzeptieren. Louise hatte eine Privatschule in England besucht und nach ihrer Heirat als Übersetzerin für verschiedene Unternehmen gearbeitet. Da sein Vater kein festes Einkommen besessen hatte, musste seine Mutter das Geld verdienen.

Sie hätte es gern gesehen, dass ihr Sohn eine Privatschule im Ausland besucht hätte, aber zu ihrem großen Kummer war er an der Kunsthochschule angenommen worden. Nach dem Studium hatte er gejobbt – als Spüler im Restaurant und als Zeitungsbote. Abends hatte er Kunstbücher gelesen und Platten gehört und war eigentlich recht zufrieden mit seinem Dasein gewesen. Natürlich hatte er sich gewünscht, von seiner Kunst leben zu können. Formen hatten ihn immer fasziniert, und es war für ihn naheliegend gewesen, sich auf Keramik zu spezialisieren. Einige Winter lang hatte er Töpferkurse geleitet. Zwar interessierte ihn das Unterrichten nicht, aber die Kurse hatten ihm nicht nur ermöglicht, Geld zu verdienen, sondern auch, sich seiner Kunst zu widmen, denn so hatte er Zugang zu Brennöfen gehabt. Bei einem dieser Abendkurse hatte er Lena kennengelernt. Sie hatte wirklich Talent. Ihre sonst so weichen Hände wirkten plötzlich so kraftvoll, wenn sie ruhig und methodisch an der Töpferscheibe arbeiteten. Lena stammte aus Schonen, und auf einer ihrer Reisen dorthin hatte sich Börje ins Meer verliebt, in die kilometerlangen Strände, die Felder und die pittoresken kleinen Fischerdörfer. Dort wirkte das Leben so einfach, so authentisch, so intensiv und inspirierend.

Er griff zu einem Plastikkanister mit Wasser, der unter der Spüle stand, füllte den Wasserkessel und stellte diesen auf eine Kochplatte des Holzherdes. Die Wasserleitung war im Winter eingefroren und seither defekt, weshalb er sein Wasser in Kanistern unten am Hafen holte. Auch die Küche in Börjes Elternhaus war nicht groß gewesen, hatte aber trotzdem den Freunden seines Vaters als Treffpunkt gedient. Dort war Gitarre gespielt und bis spät in die Nacht Rotwein getrunken worden. Als Börje klein war, hatte seine Mutter oft dabeigesessen und zur Gitarre gesungen. Ihre klare Stimme war ihm himmlisch schön vorgekommen. Börje hatte die merkwürdigen Leute, mit denen sein Vater verkehrte, aufregend gefunden. Sie schienen das Leben so leichtzunehmen, aber er erinnerte sich auch an den resignierten Blick seiner Mutter, wenn sie für eine Übersetzungsarbeit um Ruhe bat.

Das kleine Holzhaus, in dem sie wohnten, hatte seine Mutter seinerzeit bar bezahlt, und obwohl es sehr eng war, hatte sich Börje dort wohlgefühlt. Seine Eltern schienen zusammen glücklich zu sein, obwohl sie aus so unterschiedlichen Elternhäusern stammten und trotz ihres ständigen Streits um Geld.

Erst als Erwachsener hatte sich Börje Gedanken darüber gemacht, wie es wohl für seine Mutter gewesen sein musste, sich an ein so ganz anderes Leben anzupassen. Sie pflegte sporadischen Kontakt zu ihren Geschwistern und deren Familien, und Börje hatte die Schulferien oft bei seinen Cousins und Cousinen verbracht. Als seine Großeltern mütterlicherseits noch lebten, hatte er zahlreiche Ferientage in ihrer großen Villa in Djursholm verbracht, wo seine Mutter aufgewachsen war.

Börje sah die Küche noch vor sich. Sie war geräumig gewesen und hatte hohe Decken, einen Parkettboden und Küchengardinen gehabt, die wie Vorhänge in einem Wohnzimmer drapiert gewesen waren. Von der Küche hatte ein Gang mit einer Anrichte zum Speiseraum geführt. Der Raum hatte zwei Türen gehabt, und Börje war mit seinen Cousins und Cousinen oft im Kreis gelaufen. Manchmal, wenn es seinem Großvater zu bunt geworden war, hatte er eine der Türen abgeschlossen. Seine Großmutter hatte sich nur selten in der Küche aufgehalten. Bei den Großeltern hatte es eine Haushälterin namens Valborg gegeben. Sie war für Börje so etwas wie eine zweite Mama gewesen. Sie war dick und hatte ihn fest in den Arm genommen, Zimtschnecken gebacken und war fast immer fröhlich gewesen. Da sie aus Schonen stammte, war es Börje bisweilen schwergefallen, sie zu verstehen. Valborg verlor nie die Geduld, wenn Börje und die anderen in der Küche herumtobten. Nur ein einziges Mal hatte sie die Beherrschung verloren, und zwar bei einem großen Abendessen im Familienkreis. Er war etwa sieben Jahre alt gewesen, und einer der Gäste hatte seinen Sohn Viktor dabeigehabt, einen kleinen dicken, sommersprossigen Jungen, der nach außen kriecherisch und brav wirkte, doch sobald ihm die Erwachsenen den Rücken kehrten, stellte er eine Menge Unfug an. Viktor hatte gefragt, ob Börje nicht eine Nylonstrumpfhose besorgen könne. Börje hatte sich ins Zimmer seiner Großmutter geschlichen und drei Strumpfhosen aus einer Schublade gemopst. Dann hatten die Jungen abgewartet, bis Valborg zum Servieren ins Esszimmer gegangen war. Kaum war sie verschwunden, war Viktor zu dem Gebläse gerannt, das sich in einem Kamin über dem Herd befand. Die Entlüftung war so hoch angebracht, dass man sie mit einer Kette in Gang setzen musste.

»Schau mal!«, hatte Viktor gerufen und eine Strumpfhose in die Höhe geworfen, die sofort von dem Gebläse angesaugt wurde und verschwand. Erst hatte Börje nur zugeschaut, sich dann aber an dem Spiel beteiligt. Er war losgerannt und hatte weitere Strumpfhosen geholt. Als Börje die letzte in die Luft geworfen hatte, war Valborg gekommen und hatte sie erwischt.

»Rotzbengel!«, hatte sie geschrien und das Gebläse abgestellt.

»Wir wollten doch nur schauen, ob er auch ordentlich zieht«, hatte Viktor auf seine scheinheilige Art erklärt. Dabei faltete er nach Gutsherrenart die Hände auf dem Rücken und legte den Kopf ein wenig schräg.

»Passt nur auf, sonst zieht es gleich richtig«, hatte Valborg entgegnet und zum Teppichklopfer gegriffen. Börje hatte sich geschämt, aber Viktor war einfach abgezogen, hatte sich auf das große Sofa im Salon gesetzt und eine altkluge Unterhaltung mit den Erwachsenen begonnen, als wäre nichts gewesen.

Börje sah sich in seiner kleinen Küche um. Ihm fehlten seine Großeltern und manchmal auch die Villa in Djursholm. Am meisten aber fehlte ihm der große, parkähnliche Garten. Dort hatte er oft auf einer Bank gesessen, mit einem Buch oder einfach nur, um allein zu sein.

Er schaute aus dem Fenster. Von einem Park kann wirklich nicht die Rede sein, dachte er, als er den verwilderten Garten betrachtete. Er wusste jedoch, dass Blumenbeete und vielleicht eine kleine Laube den Garten völlig verändern konnten. Seine Großeltern hatten eine Laube gehabt, die seine Cousins und Cousinen als Spielhaus verwendet hatten. Eines Abends hatte er in der Dämmerung dort gesessen und nachgedacht. Da hatte er gehört, wie sich seine Großeltern auf die Bank vor der Laube gesetzt hatten. Er hatte sich nicht zu erkennen gegeben, sondern ihre leise Unterhaltung belauscht.

»Ich mache mir Sorgen um den Jungen«, hatte seine Großmutter gesagt.

»Es fehlt ihm doch nichts.«

»Aber all diese seltsamen Menschen bei ihm zu Hause. Er kommt einfach nicht zur Ruhe.« Im Verlauf der Unterhaltung hatte Börje begriffen, dass von ihm die Rede war.

»Er ist doch ausgeglichen und harmonisch, Rut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Börje erinnerte sich, dass er sich die Hände vor die Ohren gehalten hatte, um die Unterhaltung nicht mit anhören zu müssen. Irgendwann hatte er eine Fliege von seiner Nase vertreiben müssen und dabei versehentlich einen Hocker umgeworfen. Er hatte sich geschämt, als sein Großvater die Tür zur Laube geöffnet hatte.

»Sieh an, da sind doch heute Abend wahrhaftig Spione im Garten unterwegs!«, hatte er gescherzt. »Du gehst besser zu Valborg rein, bevor sie sich Sorgen macht.«. Dann hatte er ihn auf die Schultern genommen und war mit ihm über die große Wiese galoppiert, und seine Großmutter hatte sie gejagt. Börje hatte gelacht und das Gespräch fürs Erste vergessen.

Als Börje in die Dunkelheit hinausschaute, fiel ihm die Frau aus dem Auktionssaal plötzlich wieder ein. Eigentlich verstand er nicht so ganz, warum. Eine Schönheit war sie nicht gewesen, etwas an ihrer Kopfform war seltsam, aber ihre Augen waren wunderschön. Sie wirkten klug und traurig zugleich, hatten aber auch ein schelmisches Funkeln. Er hätte sich wirklich gerne länger mit ihr über Bücher unterhalten.

Erna freute sich immer auf die Tage, an denen sie morgens fürs Melken der zwanzig Kühe zuständig war. Dann stand sie als Erste auf. An diesem zeitigen Frühlingsmorgen ging sie wie immer zur Landstraße, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Die Briefkästen standen nebeneinander. Einige waren grün und aus Plastik, andere alt und aus rostigem Blech. Erna hatte im vorigen Sommer den alten Briefkasten der Familie angemalt. Erst hatte sie ihn moosgrün grundiert, anschließend hatte sie eine hübsche Blumenranke und den Namen Henningsson in zierlichen Buchstaben daraufgemalt. Ihr Vater war außer sich gewesen.

»Immer musst du auffallen«, hatte er gesagt.

Ihre Mutter hatte wie immer versucht, sie zu verteidigen, was Ernst noch wütender gemacht hatte.

»Rottet euch nur zusammen! Wir machen uns in der ganzen Gegend lächerlich. Blumen auf dem Briefkasten! Meinst du etwa, hier draußen an der Landstraße findet eine dieser verdammten Vernitäten statt, oder wie?«

»Vernissagen«, korrigierte Erna und sah, wie ihr Vater die Hände zu Fäusten ballte.

»Habe ich doch gesagt«, sagte Ernst mürrisch. Es beschämte ihn, wenn seine Tochter ihn berichtigte. Manchmal trieb sie ihn damit fast in den Wahnsinn. Fremdwörter kannte sie, aber ihm konnte sie damit noch lange nicht imponieren. Einmal, als sie einen Brief vom Finanzamt bekommen hatten, hatte er den Inhalt nicht begriffen. Er hatte Erna fragen müssen, und die hatte ihm seine Frage sofort beantworten können. Das hatte ihm lange zugesetzt, und er hatte beschlossen, sie nie wieder etwas zu fragen.

Einige Wochen später hatten einige Kinder mit Filzstift »Schwachkopf« auf den Briefkasten geschmiert.

»Selber schuld!«, hatte Ernst kommentiert.

Erna hatte das Schmähwort übermalt, und obwohl es nicht mehr zu sehen war, musste sie immer daran denken. Im Verlauf des Sommers hatten zwei der Sommergäste ihre Briefkästen ebenfalls angemalt, was Erna mit Genugtuung erfüllt hatte.

Der Frühlingsmorgen war kühl. Erna zog ihre Wolljacke enger um sich, blieb stehen und holte tief Luft. Aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht begriff, blieb sie immer am Briefkasten stehen, zog die Zeitung heraus und schlug die Seite mit den Hochzeitspaaren auf. Ganz gleichgültig, ob es regnete oder schneite. Das hatte schon fast etwas Zwanghaftes. Einmal hatte sie versucht, es zu unterlassen, aber anschließend war ihr den ganzen Tag nicht wohl gewesen.

Im Stall fühlte sich Erna geborgen. Das Muhen der Kühe klang für sie wie ein Wiegenlied, und die weichen Tierkörper strahlten eine angenehme Wärme aus. Manchmal blieb Erna noch, obwohl sie mit dem Melken fertig war. Sie setzte sich auf einen Melkschemel an der Wand und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Es wäre ihr lieb gewesen, wenn die düsteren Gedanken durch die kleinen Stallfenster verschwunden wären. Die aufregenden, erwartungsvollen Gedanken hätte sie gerne eine Weile behalten und genossen. Die zwanghaften religiösen Gedanken, die sie eine kurze Zeit lang beherrscht hatten, machten ihr immer noch Angst. Wenn sie allein im Stall saß, befürchtete sie manchmal, Gott könnte ihr erscheinen und sie bitten, den Katechismus zu lesen. Sie fragte sich, warum Gott ausgerechnet sie dazu auserwählt hatte, den Katechismus zu lesen.

Gewisse Zwangsvorstellungen hatten Erna immer schon begleitet. Zum Glück hatte sie einmal in einer Fernsehsendung erfahren, dass so etwas völlig normal war, und das hatte sie ein wenig beruhigt. Ihre häufigste Zwangsvorstellung war, dass sie an der Landstraße einen bestimmten Briefkasten erreichen musste, bevor ein Auto sie überholte, sonst würden ihre Eltern sterben. Häufig war sie wie besessen drauflosgeradelt. Kam ein Auto, konnte sie ihre Eltern dadurch retten, dass sie ihr Fahrrad bis zu einem gewissen Punkt zurückschob und einen neuen Versuch unternahm. Wenn auch dieser missglückte, würde sich ihre Befürchtung bewahrheiten.

Dieses schreckliche Gefühl hatte sie lange beherrscht. Als sie einmal von einem solchen Fahrradausflug nach Hause gekommen war und ihre Mutter gesehen hatte, die auf dem Hof stand und sich erbrach, hatte Erna gerufen: »Stirb nicht, Mutti, bitte stirb nicht.« Sie hatte an allen Gliedern gezittert, war zu ihrem Vater gelaufen und hatte ihn gebeten, den Krankenwagen zu rufen.

»Mutter stirbt!«, hatte sie gerufen. Ihr Vater hatte gerade auf der Küchenbank gelegen und Zeitung gelesen. Auf ihr Rufen hin war er ohne Holzpantinen auf den Hof gerannt. Als er unten Viola sah, hatte Ernst seine Tochter an den Schultern gepackt, sie geschüttelt und angeschrien: »Du Lügnerin!« In der Küche hatte sich Viola ein weiteres Mal übergeben. Ernst hatte verängstigt und verlegen gewirkt.

»Trink etwas kalte Milch, dann wird es besser, ganz bestimmt«, hatte er hilflos gesagt und ihr ein Glas Milch eingegossen. Erna hatte sich in ihr Zimmer verdrückt und war den restlichen Tag nicht mehr zum Vorschein gekommen. Sie hatte ängstlich gelauscht, ob sich ihre Mutter ein weiteres Mal übergeben würde. Verzweifelt hatte sie zu Gott gebetet, er möge ihre Mutter nicht sterben lassen. Als sie Richtung Stenshuvud geschaut hatte, war der Himmel rotorange gewesen. Auf einmal hatten sich die Wolken geteilt, und sie hatte das Gefühl gehabt, Gott blicke freundlich zu ihr hinab.

Bereits am nächsten Tag war Viola wieder vollkommen gesund gewesen, doch Erna hatte sich wochenlang nicht mehr getraut, Fahrrad zu fahren, weil sie Angst gehabt hatte, ihre Zwangsvorstellungen könnten zurückkehren.

Als Erna mit der Zeitung ins Haus zurückkehrte, war der Kaffee schon durchgelaufen, und ein herrlicher Duft erfüllte die kleine Küche. Wie immer las sie ausgiebig die Zeitung. Sie begann mit dem Lokalteil und las dann die Artikel, die sich mit dem Weltgeschehen befassten.

Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Das Bild des Mannes aus dem Auktionssaal tauchte ständig vor ihrem inneren Auge auf. Ihr war nicht entgangen, dass er ihr mit dem Blick gefolgt war, als sie aufgebrochen war.

Am Nachmittag wollte ihr Vater bei der Genossenschaft Dünger kaufen. Erna konnte also in aller Ruhe in ihrem Zimmer sitzen, ohne mit patzigen Fragen und säuerlichen Aufforderungen rechnen zu müssen. Immer wenn sie in ihr Zimmer ging, um zu lesen oder Radio zu hören, folgte ein Kommentar ihres Vaters – so sicher wie das Amen in der Kirche.

»Hast du nie darüber nachgedacht, ins Kloster zu gehen?«, pflegte er zu sagen. »Wie eine Salzsäule im Zimmer sitzen und in alten Büchern blättern, obwohl wir Fernsehgebühren bezahlen und der Garten voller Unkraut ist.«

Viola, die selbst gerne mal allein war, stellte nie irgendwelche Fragen, ganz im Gegenteil schien sie Erna insgeheim zu verstehen.

Zum ersten Mal schaute sich Erna die Bücher an, die sie auf der Auktion ersteigert hatte. Sie blätterte darin und begann dann zu lesen. Die Geschichten über ihre Heimat faszinierten sie. Die meisten kannte sie natürlich, aber die eine oder andere Anekdote war ihr neu, und nicht einmal das Gezwitscher der Vögel draußen vor dem Fenster drang zu ihr durch. Nicht nur die Inhalte faszinierten Erna, sondern auch das geschriebene Wort. Sie genoss die Formulierungen und die Worte, die in ihrer Familie und in ihrem Bekanntenkreis nie verwendet wurden. Gelegentlich hatte sie selbst versucht zu schreiben. Einfache, kurze Erzählungen. Sie hatte versucht, Worte zu verwenden, die sie im Alltag nicht gebrauchte. Ein solches Wort war »Schattierung«. Zum ersten Mal hatte sie es in einer Fernsehsendung über Antiquitäten gehört. Man hatte einen gewebten Wandteppich gezeigt und von den Farbschattierungen gesprochen. Erna fand das Wort besonders schön. Tagelang hatte sie es insgeheim in verschiedenen Zusammenhängen ausprobiert. Als ihre Mutter dann eine Vase Studentenblumen auf den Küchentisch gestellt hatte, dachte Erna das Wort nicht nur, sondern sprach es auch laut aus: »Was für schöne Schattierungen diese Blumen haben.«

»Was sagst du da, Mädchen? Haben die Blumen etwa irgendwelches Ungeziefer?«

Ihr Vater hatte ihr solche Augenblicke immer verdorben. Manchmal tat er ihr fast leid, weil er so unsensibel war. Vor lauter Einfalt wird er noch verkümmern, ohne jemals geblüht zu haben, dachte sie und versuchte ihre Hand zärtlich auf die ihres Vaters zu legen.

»Du hast aber trockene Finger«, pflegte er dann meist zu sagen und aufzustehen, um einer peinlichen Situation vorzubeugen. Nein, Nähe und Wärme konnte er nicht zulassen und natürlich auch nicht geben.

Erna schlug das Heimatbuch des Jahrgangs 1958 auf. Hier wurde vom Leben in dem kleinen Fischerdorf erzählt, von den verschiedenen Fischerfamilien und Anekdoten aus dem Fischerleben. Erna musste lachen, als sie von Nils Anders las, bei dessen Sechzigstem geräucherte Makrele auf der Kaffeetafel gelegen hatte – angerichtet auf einem Tellerchen direkt neben dem Napfkuchen. Kein Wunder, dass er daraufhin nur noch Makrelen-Nils genannt wurde.

Gerade als Erna den Band zuschlagen wollte, –fiel ein Umschlag heraus. »Egon Påhlsson« stand in zierlichen Buchstaben darauf. Der Brief war nicht frankiert. Erna stutzte, es kam ihr verboten vor, plötzlich einen privaten Brief in der Hand zu halten. Sie legte ihn ins Buch zurück und versuchte weiterzulesen, es fiel ihr jedoch schwer, ihre Gedanken zu sammeln.

Sie erhob sich und schaute in die Küche. Durch ein Fenster sah sie ihre Mutter auf dem Hof ein paar Milchkannen spülen. Sie zog den Umschlag wieder aus dem Buch und zögerte eine Sekunde, ehe sie einen vergilbten Bogen herauszog. Es war dieselbe Handschrift wie auf dem Umschlag. Zierlich, feminin, mit Füllfederhalter geschrieben.

Geliebter Egon,als Du letzten Mittwoch gingst, war es so, als würde ich alleine im Mondenschein dastehen. Deine Wärme pulsierte immer noch auf meinen Lippen. Mein Begehren kennt keine Grenzen, und trotzdem weiß ich, dass es nur kurze Episoden des Glücks geben kann und dazwischen einen tiefen Abgrund.

Erna hielt die Luft an. Es beschämte sie, dass sie in das Privatleben anderer Menschen eindrang, aber sie konnte doch nichts dafür, dass der Brief in dem Buch gelegen hatte, das sie gekauft hatte. Schließlich hatte sie es bezahlt. Das Buch und sein Inhalt gehörten also ihr, aber natürlich hätte sie den Brief wegwerfen sollen, ohne ihn erst zu lesen.

Erna konnte sich an Egons Ehefrau Marta erinnern. Es war ihr fast unvorstellbar, dass Marta diese Worte geschrieben haben sollte. Marta war eine solide und ehrbare Frau gewesen. Klein und kräftig und mit einem so riesigen Busen, dass es immer den Anschein gehabt hatte, als würde sie vornübergebeugt gehen. Sie hatte immer wenig kleidsame, unauffällige Kleider getragen und das Haar zu einem kleinen Dutt im Nacken hochgesteckt. Ihr Mund war schmal wie ein Strich gewesen, und sie hatte eine Warze am Kinn gehabt mit einem einzigen langen schwarzen Haar, das wie ein Fühler vorgestanden war. Marta war eine intelligente Frau mit einer guten Schulbildung gewesen, aber dass sie solch einen sinnlichen Brief formuliert haben sollte, kam Erna höchst merkwürdig vor.

Können wir uns nächsten Mittwoch wieder an derselben Stelle treffen? Ich muss wissen, ob es wirklich möglich ist, dass Steine eine so wunderbare Kraft besitzen. Ich habe es zwar selbst erlebt, aber vielleicht waren es ja die Umstände, das Mondlicht, die Grillen und Deine Nähe, die den Sagen Leben eingehaucht haben.

Egon, Du bist wie ein Sturmwind durch mein Leben gefegt, wie ein Tornado, und Du hast meine Seele in Aufruhr versetzt. Gott helfe, dass es ewig so bleiben möge.

Deine SklavinMaria

PS: Ich habe das Gedicht von Hjalmar Gullberg gelesen und bin Deiner Meinung, dass es eine Tiefe enthält, die sich außerhalb unseres Horizonts befindet.

Erna rang nach Luft. Im Jahr 1958 war Påhlsson bereits mit Marta verheiratet gewesen. Erna war klar, dass sie einen Liebesbrief in der Hand hielt, den ein verheirateter Mann von seiner Geliebten erhalten hatte. Dabei wirkte das so absurd. Ihre Mutter hatte oft von Påhlsson erzählt. Er sei eine Autorität gewesen, ein ordentlicher, etwas altmodischer Mann, der mit seiner Frau ein einfaches Leben führte. Sie hatten keine Freunde gehabt. Nur einmal im Jahr zum Weihnachtsgottesdienst hatten sie sich im Dorf blicken lassen. Sie waren stets gemeinsam dort erschienen und hatten auch am anschließenden Kaffeetrinken teilgenommen und höflich Konversation gemacht. Es hieß, Marta könne gut Klavier spielen. Sie hatten einen großen, schwarz glänzenden Flügel in ihrem Haus, und ein Nachbar hatte sie ganz wunderbar spielen hören.

Als die Tür zum Hof geschlossen wurde, schob Erna

den Brief rasch wieder in das Buch und ging in die Küche.

»Wie war Påhlsson eigentlich?«, fragte Erna, noch ehe ihre Mutter ihre Schürze an den Haken gehängt hatte.

»Warum fragst du?«

»Nur so, ich bin nur neugierig geworden. Du weißt schon, die ganzen Sachen auf der Auktion, die Bücher und die schönen Gemälde.«

»Er hat nie von sich erzählt. Ich glaube, er saß meist zu Hause und las. Er und seine Frau hatten keine Kinder, aber Påhlsson hat sich sehr für diese Gegend interessiert und auch geforscht.« Viola lachte. »Er hatte immer so eine hässliche Aktentasche dabei, egal, wo er hinging. Ich erinnere mich, dass wir uns immer gefragt haben, was da wohl drin ist. Er trug auch immer eine braune Baskenmütze, im Sommer und im Winter. Påhlsson galt als trocken und langweilig, aber ich fand ihn immer irgendwie interessant. Er war ein guter Lehrer, und seine Augen waren so klug, sahen dabei aber so traurig aus. Marta, seine Frau, starb einige Jahre vor ihm, niemand kannte sie, weil sie nie unter Leute ging.«

»Kennst du eine Maria?«, unterbrach Erna sie.

»Maria? Wie weiter?«

»Ach, egal.«

Erna entging nicht, dass ihre Mutter sie etwas fragend anschaute, aber sensibel, wie sie war, fragte sie nicht nach. Stattdessen ging Viola zu dem kleinen Tisch neben der Wohnzimmertür, auf dem ihr großes altes Röhrenradio stand. Es war schwierig, die Sender ohne Rauschen einzustellen. Manchmal hatte es den Anschein, als beeinflusse das Wetter den Empfang. Erna und Viola hörten gerne Musik, und wenn sie alleine waren, drehten sie häufig die Lautstärke auf. Viola bewegte die Knöpfe hin und her, und es pfiff und rauschte.

»Veränder mal die Position«, meinte Erna und drehte dann selbst das Radio ein paar Zentimeter Richtung Küche. Sie spürte die Wärme ihrer Mutter durch den Ärmel ihres Kleides und bekam Lust, sie zu umarmen.

»Jetzt. Stopp, Erna, so klingt es besser.«

Erna ließ das Radio los, und die Musik erfüllte die Küche.

»Hier stehen wir und schieben wie zwei Verrückte das Radio hin und her. Ein Glück, dass uns niemand sieht.« Dann wurde Erna plötzlich ernst. Sie dachte an das moderne, schöne Radio, das sie ihren Eltern geschenkt hatte. Ihre Mutter hatte sich gefreut, aber Ernst hatte es nicht einmal aus der Verpackung genommen, sondern nur verächtlich gesagt: »Oh nein, alles hat seine Grenzen. Hier wird es keine Diskothek geben, solange ich lebe.« Der Radiorekorder war in einem Schrank verschwunden, und dort stand er seither.

»Was ist, Erna?«, fragte Viola.

»Ich hole jetzt das Radio, das ich euch mal gekauft habe.«

»Aber, Erna, du solltest wirklich nicht ...«

»Doch, Mutter, ich sollte, und du solltest auch so einiges.« Erna lächelte, aber es war kein entspanntes Lächeln, sondern ein etwas verkrampftes, wie man es beim Fotografen aufsetzt. Sie verschwand im begehbaren Kleiderschrank hinter dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Viola stand die ganze Zeit hinter ihr, als wolle sie sie davon abhalten. Sie wischte ihre bereits trockenen Hände an ihrer Schürze ab und räusperte sich mehrmals.

»Hör schon auf mit diesem hochnäsigen Räuspern«, pflegte Ernst zu grummeln. Erna sagte zwar nie etwas, aber das nervöse Räuspern irritierte auch sie manchmal.

Erna kam mit dem großen Karton in den Armen in die Küche. Sie hob ein großes schwarzes Radio mit zwei abnehmbaren Lautsprechern heraus.

Ihre Mutter sagte nichts, sondern folgte ihr nervös. Nach einer Weile brach sie das Schweigen: »Was willst du mit dem anderen machen?« Sie räusperte sich erneut und versuchte gleichzeitig eine Strähne hochzuschieben, die ihr in die Stirn gerutscht war.

Erna konnte ein Lachen kaum unterdrücken.

»Aber, Mutter, du siehst ja aus, als müsstest du auf deine eigene Beerdigung. Hier, halt mal kurz das Kabel.«

»Du bist verrückt, Erna. Ich wünschte mir, ich wäre wie du.«

Diese Worte erfüllten jeden Winkel von Ernas Wesen. Ich wünschte mir, ich wäre wie du, ging es ihr durch den Kopf. Dass jemand so sein wollte wie sie! Diese Worte gaben ihr Kraft. Sie stellte das alte Radio unter den Tisch und das neue an seinen Platz. Dann schob sie den Stecker in die Steckdose, drückte einen Knopf, und schon ertönte laute Musik. Viola eilte auf den Tisch zu und wollte die Lautstärke herunterdrehen, drehte aber versehentlich noch weiter auf, sodass das Küchenfenster schepperte.

»Ich wusste doch, dass dir das gefallen würde«, sagte Erna lächelnd.

»Mach leiser!«, schrie Viola und deutete durchs Fenster nach draußen.

Dort fuhr Ernst gerade auf den Hof, und Viola wurde noch fahriger. Erna schob das alte Radio weiter unter den Tisch und schaltete das neue aus.

»Hilf mir beim Kartoffelschälen, Erna. Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist.«

Die Unruhe breitete sich wie ein dichter Nebel in der Küche aus. Erna griff zu dem Plastikeimer mit den Kartoffeln und begann zu schälen, während Viola den Ofen einschaltete und den Tisch deckte. Eigentlich konnte Erna wirklich wunderbar Kartoffeln schälen, sie löste die Schale spiralförmig und in einem Stück ab. Doch jetzt säbelte sie die Schale in kleinen Stücken ab, die sich auf der ganzen Spüle verteilten.

Sie bereute bereits, sich ihrem Vater widersetzt zu haben, denn sie wusste, dass es eine Szene geben würde. Unruhig hörte sie, wie er in der Diele seine Holzpantinen auszog.

»Ist alles glattgegangen?«, fragte Viola, nur um etwas zu sagen.

»Wieso glatt? Was hätte schon passieren sollen? Dass mir der Dünger vielleicht aus den Säcken in die Schlappen rieselt? Was du immer redest!« Er schaute auf den Küchentisch. »Besser wäre, wenn du einfach den Tisch decken und das Essen auftragen würdest, statt dich um Dinge zu kümmern, von denen du nichts verstehst«, fuhr er fort.

Am Anfang ihrer Ehe hatten Viola solche Worte sehr gekränkt, aber die Jahre hatten sie so geläutert, dass sie nichts anderes mehr erwartete. Eigentlich verletzte es sie nur noch, wenn er sie in Anwesenheit anderer erniedrigte. Wenn er im Laden oder im Auktionssaal diesen ironischen, fast gehässigen Ton verwendete, dann wollte sie nur noch nach Hause gehen, ihre wenigen Sachen zusammenpacken und ganz weit wegfahren. Da sie aber nicht gewusst hätte, wohin, kam sie über den bloßen Gedanken nie hinaus.