Sommerküsse in Schweden: Drei Romane in einem eBook - Karin B. Holmqvist - E-Book
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Sommerküsse in Schweden: Drei Romane in einem eBook E-Book

Karin B. Holmqvist

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Beschreibung

Küsse, die nach Zimt und Heimat schmecken: Der romantische Sammelband »Sommerküsse in Schweden« von Karin B. Holmqvist jetzt als eBook bei dotbooks. Denn Alter schützt vor Liebe nicht! Mit 30 ist Erna immer noch ungeküsst – einfach unerhört, findet der charmante Künstler Björn und schmiedet einen Plan, um ihr einen Kuss zu stehlen. Oder auch zwei oder drei … Als der attraktive Alvar nebenan einzieht, steht das sonst so beschauliche Leben von Tilda und Elida plötzlich Kopf – und das, obwohl die beiden liebenswert chaotischen Schwestern nicht mehr die Jüngsten sind: neue Kleider müssen her, das Haus braucht ebenfalls einen neuen Anstrich – und als das noch nicht reicht, um Alvar in Liebe und Leidenschaft entbrennen zu lassen, schmieden sie einen gewagten Plan … Nach kreativen Ideen, um ihrem schnöden Alltag mehr Pepp zu verleihen, sucht auch Selma – ihr Mann Arthur ist dabei keine große Hilfe. Ihre neuen Nachbarn haben dagegen allerhand Tipps parat … doch die zeigen ungeahnte Nebenwirkungen! »Karin B. Holmqvists Bücher sind typisch schwedisch und mit einer ganz besonderen Wärme erzählt«, sagt der schwedische Blog ›En bokcirkel för alla‹. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Sommerküsse in Schweden« von Karin B. Holmqvist enthält die drei Feelgood-Romane »Schwedischer Sommer«, »Schwedisches Glück« und »Die Liebe kommt an Regentagen«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Denn Alter schützt vor Liebe nicht! Mit 30 ist Erna immer noch ungeküsst – einfach unerhört, findet der charmante Künstler Björn und schmiedet einen Plan, um ihr einen Kuss zu stehlen. Oder auch zwei oder drei … Als der attraktive Alvar nebenan einzieht, steht das sonst so beschauliche Leben von Tilda und Elida plötzlich Kopf – und das, obwohl die beiden liebenswert chaotischen Schwestern nicht mehr die Jüngsten sind: neue Kleider müssen her, das Haus braucht ebenfalls einen neuen Anstrich – und als das noch nicht reicht, um Alvar in Liebe und Leidenschaft entbrennen zu lassen, schmieden sie einen gewagten Plan … Nach kreativen Ideen, um ihrem schnöden Alltag mehr Pepp zu verleihen, sucht auch Selma – ihr Mann Arthur ist dabei keine große Hilfe. Ihre neuen Nachbarn haben dagegen allerhand Tipps parat … doch die zeigen ungeahnte Nebenwirkungen!

»Karin B. Holmqvists Bücher sind typisch schwedisch und mit einer ganz besonderen Wärme erzählt«, sagt der schwedische Blog ›En bokcirkel för alla‹.

Über die Autorin:

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und arbeitete anschließend als Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Kabarettistin und schreibt Romane sowie Gedichte.

Bei dotbooks veröffentlichte Karin B. Holmqvist bereits: »Schwedische Herzen«»Villa mit Herz«»Das fabelhafte Haus des Glücks«

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Sammelband-Originalausgabe Oktober 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Mikael Broms / Anki Hoglund / Amy Johansson / cat_arch_angel / superbank stock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-041-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Karin B. Holmqvist

Sommerküsse in Schweden

Drei Romane in einem eBook

dotbooks.

Schwedischer Sommer

Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher

Die betagten Schwestern Tilda und Elida führen ein beschauliches Leben – bis der attraktive Alvar nebenan einzieht und neuen Schwung in ihren eintönigen Alltag bringt. Neue Kleider müssen her und das Haus sollte auch renoviert werden – doch dazu fehlt das Geld. Als sie eines Tages den Nachbarskater beobachten, wie er versehentlich von Alvars selbstgemachtem Dünger nascht, trauen sie ihren Augen kaum: Nicht nur die Pflanzen wachsen wie verrückt, sondern auch der Kater entwickelt danach eine ungewohnte Potenz! Da kommt den beiden Damen eine glänzende Geschäftsidee: Denn was beim Kater funktioniert, das müsste doch auch beim Mann wirken …

Kapitel 1

Das Knarzen des Ausziehsofas in der Küche zeugte vom Beginn eines neuen Tages. Elida Svensson schob das Bett um genau zehn Minuten nach sieben hinein, wie jeden Morgen.

Elida war die ältere der beiden Schwestern. Sie würde im Herbst ihren neunundsiebzigsten Geburtstag feiern. Tilda war erst zweiundsiebzig, sah aber älter aus. Sie waren beide in diesem Haus geboren, allerdings nicht auf dem Küchensofa, sondern im großen, schwarzen Eisenbett des Elternschlafzimmers.

Dort sah es übrigens genauso aus, wie es immer ausgesehen hatte: Das besagte Eisenbett mit den gelben Messingknäufen und der großen gehäkelten Tagesdecke, die aus Garnresten hergestellt war, stand noch immer an seinem angestammten Platz. Als Kinder waren Tilda und Elida von der Decke mit den vielen bunten Feldern sehr fasziniert gewesen. Heute lagen sie manchmal auf dem Bett und hingen Erinnerungen nach.

»Das war mal meine Strickjacke«, sagte Tilda und zeigte auf eines der altrosa Felder.

»Und das hier war Opas Schal«, meinte Elida.

Jedes Feld, jede Farbe hatte eine eigene Geschichte. Manchmal, wenn ihr Vater, Schmiedemeister Svensson, ein wenig über den Durst getrunken hatte, verwendete er die Tagesdecke als Märchenbuch.

»Heute nehmen wir uns die waagerechten äußeren Felder vor«, hatte er beispielsweise gesagt und dann Feld für Feld die Geschichten vom Ursprung der Garnreste erzählt. Dabei hatte er großen Wert darauf gelegt, Reihe für Reihe vorzugehen. »Morgen kommen die senkrechten Felder dran.«

Es war wirklich eine wundersame Tagesdecke.

Die Schwestern hatten beschlossen, das Zimmer nach dem Tod der Eltern unangetastet zu lassen. Da sie sich nur selten darin aufhielten, heizten sie dort nie. Außer dem Bett gab es zwei Nachtschränkchen mit einer Marmorplatte, einer kleinen Schublade und einem Fach für den rosafarbenen Nachttopf aus Porzellan.

In der Ecke stand wie eh und je der Waschtisch. Die Waschschüssel mit passender Kanne war aus altem Steingut der Firma Rörstrand. Die Seifenschale war ein anderes Fabrikat, aber ebenfalls aus Steingut. Sogar die Seife lag noch darin, rissig zwar, aber immerhin.

Ansonsten gab es nicht viel im Schlafzimmer, abgesehen von ein paar großen Porträts ihrer Vorfahren an den Wänden und natürlich der muffigen, eingeschlossenen Luft. Für Neuerungen hatten die Schwestern Svensson nicht viel übrig.

Sie waren in finanziell knappen Verhältnissen aufgewachsen. Schmiedemeister Svensson hatte sein Leben lang hart geschuftet, trotzdem hatte das Geld nur gerade eben gereicht. Seine Frau Elna hatte sich um Tilda, Elida und den jüngsten Sohn Rutger gekümmert. Der Vater hatte ihn immer das Nesthäkchen genannt, weil Rutger zehn Jahre jünger war als Tilda.

Das Leben in ihrem Elternhaus war von Liebe geprägt gewesen, und vielleicht war das der Grund, weshalb Tilda und Elida allzu lange geblieben waren. So lange, daß sie ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt verspielt hatten, wie man sich im Dorf scherzhaft erzählte.

Dabei waren sie keineswegs häßlich gewesen, sie hatten in ihrer Jugend sogar den einen oder anderen Heiratsantrag bekommen, und natürlich hatte die fleischliche Lust sie häufig heimgesucht. Aber sie hatten ihre Befriedigung in harter Arbeit gesucht und in der Dunkelheit des Abends ihre Körper erforscht. Gottes Strafe konnte schließlich nicht schlimmer sein als das Verlangen, und daher pflegten die beiden Schwestern, jede in ihrem Bett, die Flamme zu löschen, die manchmal unerträglich brannte.

Rutger war in jungen Jahren in die Stadt gezogen und war vermutlich ganz froh darüber, daß die Schwestern sich um die alten Eltern kümmerten. Bisweilen hatte Elida beim Kaufmann ausgeholfen, und Tilda war bei den großen Festen im Dorf als Köchin eingesprungen, doch ansonsten waren sie bei ihren Eltern gewesen. Diese hatten schließlich ihre letzten Atemzüge in dem großen Eisenbett getan, wo die drei Kinder einst unter Schmerzen geboren worden waren, während die Tagesdecke mit ihrer Geschichte über die Ereignisse gewacht hatte.

Seit vielen Jahren lebten Tilda und Elida allein in dem Haus. Sie bezogen eine bescheidene Rente, und es ging ihnen ganz gut, doch das Haus sah aus wie eh und je, mit Holzöfen, Plumpsklo und Brunnen auf dem Hof. Informationen über Fondssparen, Bausparverträge und Rentenversicherungen hatten das kleine Häuschen in Borrby nicht erreicht. Dabei sparten sie durchaus, doch auf ihre eigene Art: Elida in einem Kupferkessel in der Küche und Tilda in einem Holzfaß draußen in der Waschküche. Zufrieden sahen sie die Stapel von Geldscheinen wachsen, aber sie hätten im Leben nicht daran gedacht, etwas davon auszugeben, um ihren Alltag komfortabler zu gestalten.

In der Küche war es nie kalt, denn die Wärme des AGA-Herds füllte jede Nische. Sie schlich an den Bodendielen entlang, nestelte sich in jede Schlinge der selbstgewebten Flickenteppiche und stieg dann zum Fliegenfänger empor, dem braunen, klebrigen Streifen, der in der Wärme langsam hin und her schaukelte, während die Fliegen einen verzweifelten Todeskampf ausfochten.

Da es in der Küche am wärmsten war, schliefen die Schwestern Svensson dort, auf dem Ausziehsofa. Elida schlief auf dem Sofateil, weil sie die ältere war, und Tilda im Holzauszug, der kürzer und unbequemer war. Obwohl Tilda die jüngere von beiden war, hatte sie viel stärkere Gelenkschmerzen, und ihre Finger glichen den Ästen einer windgepeinigten Krüppelkiefer. Ihr fiel es schwer, aus dem unbequemen Bett zu klettern, aber da die Schwestern jegliche Veränderung ablehnten, war es trotz allem Tilda, die jeden Abend um exakt zehn nach neun in den kleinen Holzkasten kroch, der tagsüber den Sockel des Sofas bildete.

Sie gingen jeden Abend um dieselbe Zeit zu Bett, Sommer wie Winter, Alltag wie Feiertag, und um exakt zehn nach sieben war ein Knarzen zu hören, wenn Elida das Bett gemacht hatte und schließlich den Sockel hineinschob.

Kapitel 2

Den Schwestern Svensson fiel es immer schwerer, die Tage herumzubringen. Sie hackten Holz, kratzten die Asche aus den Öfen, buddelten im Garten und weckten Obst ein.

Die fleischliche Lust war verschwunden, und in den nächtlichen Stunden auf dem Küchensofa gab es keinen brennenden Herd mehr zu löschen. Gott hatte ihnen sicher längst vergeben, tröstete sich Tilda, wenn die Gelenkschmerzen schlimmer wurden und sie die Angst davor befiel, bald vor dem Angesicht des Herrn zu stehen. Sie vermißte die Stunden der heißen Sehnsucht unter der alten Bettdecke, aber das hätte sie sich nicht einmal selbst eingestanden. Schließlich wollte sie ebenso rein und unschuldig in den Himmel eingehen, wie sie im schwarzen Eisenbett geboren worden war.

»Der Kaffee ist fertig!« rief Tilda.

Eigentlich hätte sie gar nicht zu rufen brauchen, denn Elida wußte, daß das Frühstück genau in dem Moment, wenn sie das Ausziehsofa hineinschob, auf dem Tisch stand.

»Die Rhabarbermarmelade ist dies Jahr gut geworden«, sagte Tilda.

»Ein bißchen zu süß«, erwiderte Elida wie jeden Morgen.

Genaugenommen gab es gar nichts zu sagen, denn sie wußten schon alles. Aber vor der Stille hatten die beiden Schwestern Angst, und deshalb wiederholten sie dieselben Sätze jeden Tag, jahraus, jahrein, weil der Mangel an neuen Gesprächsthemen immer größer wurde.

Elida las als erste die Tageszeitung, so war es immer schon gewesen. Trotz ihrer Sparsamkeit wollten sie mitbekommen, was draußen in der Welt passierte. Sie waren keineswegs dumm. Gott hatte sie mit einem guten Verstand ausgestattet, und sie wären sicher weit gekommen, wenn sie nur auf die höhere Schule hätten gehen dürfen.

Rutger dagegen war aufs Gymnasium geschickt worden, denn schließlich sollte er als Junge eines Tages eine Familie versorgen. Mit der Zeit wurde er Journalist und heiratete eine Logopädin, mit der er drei Kinder bekam. Er besuchte seine Schwestern nur ab und zu, und vorzugsweise im Sommer.

Elida trug noch immer den Schatten der Schamesröte auf ihren Wangen, nachdem sie einmal seine Frau Marianne gefragt hatte, ob sie als Logopädin wohl auch Plattfußeinlagen anpasse. Nein, Elida war keineswegs unintelligent, aber auf solche neumodischen Sachen verstand sie sich nicht so recht.

An diesem Morgen ließ Elida die Seite mit den Lokalnachrichten ungewöhnlich lange aufgeschlagen. Eigentlich war selbst die Lesezeit pro Seite Tag für Tag dieselbe, weshalb jede Abweichung Tildas Neugier weckte.

»Gibt es was Besonderes?«

»Das Haus von Lantz ist verkauft worden, das steht bei den Amtlichen Bekanntmachungen.«

Lantz war der langjährige Nachbar der Familie Svensson gewesen. Nun war er gestorben, am vierzehnten April dieses Jahres, dem Tag, an dem die erste Frühlingslerche gekommen war. Tilda und Elida hatten Spekulationen darüber angestellt, was wohl mit dem Haus geschehen würde, und vermuteten, daß es wie so viele andere im Dorf als Ferienhaus an irgendwelche Städter verkauft werden würde. Und siehe da, sie hatten recht behalten: Der Käufer war ein Stadtbewohner.

Von einem Moment auf den anderen schlug die Angst in der kleinen Küche Wurzeln, und schon war ihr geregelter Tagesablauf durcheinandergekommen, denn es war schon zwanzig vor acht, wo doch das Frühstück sonst stets um Punkt halb acht beendet war.

Der Brunnen der Schwestern Svensson war so gelegen, daß sie das Lantzsche Grundstück betreten mußten, um Wasser zu holen. Bestimmt gab es irgendeine Nutzungsrechtsvereinbarung, aber die Papiere waren vor vielen Jahren verbrannt, als ein Kugelblitz den Schreibtisch von Schmiedemeister Svensson in Brand gesetzt hatte. Da die Nachbarn gut befreundet gewesen waren, hatte man sich um die Papiere nicht weiter gekümmert, denn Wasser durften sie sich in jedem Fall holen.

Lantz hatte einen Sohn gehabt, in den sich sowohl Tilda als auch Elida ein wenig verguckt hatten, und deshalb waren sie seinerzeit gar nicht ungern hinübergegangen, um den wackligen Eimer in den Brunnen hinabzulassen. Mittlerweile betraten sie das Nachbargrundstück nur noch, wenn sie Wasser brauchten. Aber sie konnten sich noch gut an ihre Jugend erinnern, als sie beide bisweilen auch Lantz junior im Kopf gehabt hatten, während ihre Hände sich unter der Bettdecke ihren Weg suchten.

»Stell dir vor, wir dürfen kein Wasser mehr holen!« meinte Tilda sichtlich erschrocken.

»Klar dürfen wir das«, antwortete Elida beruhigend, aber ihr flackernder Blick verriet, daß auch sie sich Sorgen um die Zukunft machte.

An diesem Abend saß Tilda lange am Brunnen. Ihr kam der Holzdeckel ungewöhnlich schwer vor, und als sie den Eimer hinabließ, wollte er nicht sinken und Wasser aufnehmen, sondern schaukelte auf der Oberfläche herum, wie aus Trotz. Tilda mußte ihn ein paarmal hinunterwerfen, bis er sich schließlich auf die Seite legte, mit Wasser füllte und sank. Seit einigen Jahren schwappte meist ein Großteil des Wassers aus dem Eimer, ehe er den Brunnenrand erreicht hatte. Tilda kümmerte das nicht weiter, da sie mittlerweile immer weniger Wasser brauchten.

Als sie den Eimer schließlich hochgezogen und das Wasser in den gelben Emailleeimer mit dem blauen Rand umgefüllt hatte, ließ sie den Holzdeckel schwer auf seinen Platz zurückfallen. Sie fand das Geräusch gar nicht unangenehm, denn es kam ihr so vor, als könnte es ihre Angst verscheuchen.

Sie erinnerte sich an Lantz, seinen Sohn Erik und die vielen gemeinsamen Sommer. Fast bereute sie, daß sie es jenes Mal nicht getan hatte. In der Nacht, als Erik sich voller Verlangen mit ihr auf dem weißen Gartentisch in der Laube hatte vereinen wollen. Gott hätte ihr sicher auch diese Sünde vergeben, dachte Tilda, doch jetzt war es zu spät, denn Erik war tot und sie selbst eine vertrocknete alte Jungfer.

In demselben Moment, als sie an die Situation in der Gartenlaube zurückdachte, kam es ihr plötzlich so vor, als rege sich etwas unter ihrer Wäsche. Schnell beschloß sie, daß es vermutlich nur ihr Schlüpfer war, der etwas zu eng saß. Sie blieb noch eine Weile sitzen, um nachzuspüren, ob das Gefühl noch einmal zurückkehren würde, aber das tat es nicht, und das stimmte sie ein wenig traurig.

Kapitel 3

Die folgenden Tage verloren Tilda und Elida kein Wort über das Nachbarhaus. Aber die Unruhe war noch immer da, leise und pochend, und die Schwestern wälzten sich ungewöhnlich lange auf dem Küchensofa herum, ehe der befreiende Schlaf ihre Glieder schwermachte, während der Mond durch die Sprossenfenster auf ihre zahnlosen Gaumen schien. Am Fußende des Ausziehsofas standen zwei Paar verschlissene Filzpantoffeln, die auf den nächsten Morgen warteten, denn dann würden sie wieder von den schmalen weißen Füßen ausgefüllt werden, deren Hühneraugen im Filz kleine Ausbuchtungen hinterlassen hatten.

Als schließlich der Umzugswagen vor dem Lantzschen Haus stand, wollte keine der Schwestern den Anschein erwecken, als sei sie besonders interessiert. Neugier, hatte Schmiedemeister Svensson stets gesagt, sei ein grobes Vergehen. Doch plötzlich standen Tilda und Elida mit Hacken ausgerüstet im Garten und jäteten Unkraut – und zwar ausgerechnet dort, wo ein Teil der Ligusterhecke dem Winter zum Opfer gefallen war und den Blick auf das Nachbargrundstück freigab. Sie standen so dicht nebeneinander, daß die Hacken sich bei der Gartenarbeit kreuzten und Funken schlugen.

Plötzlich griff Tilda sich ans Herz. Das war ein Trick, den sie schon seit vielen Jahren in peinlichen Situationen verwendete. Ihre Schwester wurde bei diesen Anfällen immer unruhig, und alles drehte sich um Tilda, die auf diese Art von der prekären Lage ablenkte, in der sie sich befand.

»Setz dich her«, sagte Elida und schob ihr einen kleinen Hocker hin, der immer an der Hecke stand, weil ihn die Schwestern bei der Beerenernte benutzten.

»Es sticht im linken Arm«, klagte Tilda. Sie hatte einmal in einer Arztkolumne gelesen, daß es angeblich im Arm stach, wenn es richtig schlimm war.

Elida konnte sich allerdings nicht so recht auf ihre Schwester konzentrieren, denn ihr Blick wanderte immer wieder über die Hecke, um sehen zu können, was drüben geschah.

»Bis in die Fingerspitzen«, sagte Tilda, und auf einmal hatte sie das Gefühl, als spürte sie tatsächlich ein Stechen. Sie hatte Angst vor dem Sterben – gerade so, als ahnte sie, daß das Leben noch manch seltsame Überraschung für sie bereithielt.

»Er sieht gut aus, unser neuer Nachbar«, sagte Elida, als sie abends ihren Zwieback in den Kaffee tauchten.

»Glaubst du, er ist alleinstehend?« meinte Tilda. »Es war ja sonst keiner zu sehen.«

»Die kommt schon noch«, sagte Elida. »Das machen die Frauen aus der Stadt immer so. Sie kommen erst, wenn alles fertig ist, die Möbel an ihrem Platz stehen und das Grundstück hergerichtet ist.«

»Stimmt, er sieht irgendwie verheiratet aus«, bemerkte Tilda und schlürfte den tropfenden Zwieback in sich hinein.

Die Zähne legten sie immer schon um viertel nach acht, wenn sie sich zum Schlafengehen fertigmachten, in ein Glas. Sie liebten es, den aufgeweichten Zwieback zu schlürfen, denn das kitzelte so angenehm am Gaumen. Eigentlich fühlten sie sich mit ihren dritten Zähnen nicht sonderlich wohl, aber sie eigneten sich gut für den Sonntagsbraten. Sie waren sich einig, daß es Geldverschwendung sei, die Zähne die ganze Woche im Wasserglas liegenzulassen, weshalb sie ihre unbequemen Gebisse täglich trugen – außer zum Abendkaffee. Zahnlos zu sein war ein beinahe sündhaft gutes Gefühl, fast so, als seien sie nackt, und manchmal sah Tilda wütend zum Glas auf dem AGA-Herd hinüber, in dem die Zähne lagen.

Eigentlich brauchen wir euch gar nicht, dachte sie, und wenn ihr nicht soviel gekostet hättet, müßtet ihr die ganze Zeit hübsch in eurem Glas bleiben.

Kapitel 4

Borrby war eine kleine Ortschaft mit etwa tausend Einwohnern, doch im Sommer wuchs die Bevölkerung stark an. Die Feriengäste liebten die Ruhe auf dem Land, die kilometerweiten Felder und den alten Kaufmannsladen, wo unter dem Dach die Räucherwürste neben den Holzschuhen hingen.

Die Post war seit vielen Jahren geschlossen. Dafür gab es einen Landbriefträger, der die Post direkt auf den Küchentisch legte, was nicht unbedingt eine Verschlechterung war, ganz im Gegenteil. Das Sozialamt hatte nämlich eine Vereinbarung mit den Landbriefträgern getroffen, daß sie allen Häuschen einen Besuch abstatten sollten, auch wenn es keine Post abzuliefern gab. Elida hatte in der Zeitung gelesen, daß die Gemeinde die Verantwortung für ihre Bewohner trug und niemand mit gebrochenem Bein oder Schlaganfall allein in seinem Häuschen herumliegen sollte.

In Borrby gab es alles, was sie brauchten. Mit Ausnahme des staatlichen Alkoholhandels, aber den vermißten die Schwestern Svensson nicht so sehr. Zu Weihnachten kauften sie sich eine Flasche Sherry, und im alten Eckschrank in der Küche stand ein Magenbitter – nur für den Fall, daß sie erkältet oder krank werden sollten, aber das kam ohnehin nicht vor.

Einen Sommer hatte Rutger in der Waschküche Wein produziert. Er hatte eine große Edelstahltonne mit Rohren und Schläuchen hingestellt, aus denen es tropfte, und Kohle gekauft. Als Tilda und Elida gemeint hatten, ob es nicht sauberer wäre, mit Holz zu heizen, hatte er nur gelacht. Es hatte da draußen ein bißchen merkwürdig gerochen, aber Rutger hatte abends, wenn er aus der Waschküche gekommen war, immer so fröhlich gewirkt, weshalb es mit dem Geruch bestimmt seine Richtigkeit gehabt hatte.

Es war wirklich ein netter Sommer gewesen. Rutger hatte seinen Schwestern allerdings nie etwas von dem Wein angeboten und behauptet, er müsse erst eine Weile gelagert werden. Dann hatte er alle Flaschen mit in die Stadt genommen. Elida war es komisch vorgekommen, daß der Wein so dünnflüssig und durchsichtig gewesen war, denn sie hatte an den roten, süffigen Abendmahlswein gedacht. Aber da Rutger so seltsam irritiert gewirkt hatte, wenn sich jemand nach dem Wein in der Waschküche erkundigte, hatte sie beschlossen zu schweigen. Sie hatten ja ihren Magenbitter und ihren Sherry und brauchten nichts anderes. Die Edelstahltonne stand noch immer in der Waschküche.

»Wir haben sowenig Platz in der Stadt«, hatte Rutger erklärt.

Sie hatten ihm geglaubt, selbst wenn sie noch nie dort gewesen waren, und natürlich hatte die Tonne stehenbleiben dürfen. Der Geruch hatte sich noch lange gehalten. Erst als die Herbststürme durch die undichten Fenster gedrungen waren, waren die letzten Sommerdüfte aus der Waschküche verschwunden.

Zu Weihnachten hatten sie endlich etwas von Rutgers Wein probieren dürfen. Der Landbriefträger war mit einem Paket und einem Weihnachtsgruß von Rutger und seiner Familie gekommen.

»Irgend etwas muß er zugesetzt haben«, sagte Tilda, denn jetzt war der Wein hellgelb. Rutger hatte sogar Etiketten gekauft und auf die Flasche geklebt, und im Flaschenhals steckte genau so ein Korken, wie sie ihn im Alkoholladen gesehen hatten.

»Ja, unser Rutger, der kann was«, meinte Elida, »aber er wohnt ja schließlich auch in der Stadt.«

In Borrby hatte man für Finessen nicht viel übrig. Man bevorzugte das Einfache und Normale, erfreute sich aber gern an den neumodischen Dingen der Feriengäste. Obwohl es in den Häusern richtige Öfen gab, kauften sie zusätzlich noch kleinere, mit oder ohne Schornstein, und bereiteten ihre Grillwürstchen jeden Abend im Garten zu, sofern das Wetter es erlaubte.

Eines Abends kamen Tilda und Elida auf dem Weg zur Musikandacht in der Kirche am Haus des Stockholmers vorbei, wie die Dorfbewohner es nannten. Der Stockholmer saß draußen im Garten und grillte seine Würstchen, und die Schwestern erhaschten einen Blick auf die Flasche, die vor ihm auf dem Tisch stand. Es war genau so eine, wie sie sie von Rutger zu Weihnachten bekommen hatten. Tilda wollte schon fragen, ob er Rutger kannte, aber sie war immer etwas unsicher, wenn sie sich mit jemand Fremdem unterhalten mußte, und ließ es bleiben.

»Bestimmt kennt er Rutger«, meinte Elida später zu Tilda.

»Stell dir vor«, sagte Tilda, »vielleicht ist er sogar in Stockholm gewesen, unser Rutger.«

»Man weiß nie«, antwortete Elida, »schließlich war er ja auch schon im Ausland.«

»Ja, und er kann sogar Ausländisch«, sagte Elida stolz.

Rutger hatte seinen Schwestern eine Ansichtskarte aus Deutschland geschickt, und obwohl sie mittlerweile vergilbt und voller Fliegendreck war, hing sie noch immer am Spiegel im Flur, als Beweis für die Erfolge ihres Bruders im Leben.

Erfolg hatte ihr neuer Nachbar wohl auch gehabt, denn als er einen Monat im Lantzschen Haus gewohnt hatte, war es kaum wiederzuerkennen. Die Fenster waren ausgetauscht worden, und auf den Wegen, die das Haus umgaben, lagen neue Platten in hübschen Mustern. Unter den Fenstern befanden sich Kästen mit den schönsten Blumen, die man sich nur denken konnte.

»Bestimmt ist er reich«, sagte Tilda eines Abends, während sie mit ihrer Schwester Stachelbeeren putzte.

»Der Kaufmann hat gesagt, er trägt drei Goldringe an den Fingern«, bemerkte Elida und legte vor lauter Aufregung eine ungeputzte Stachelbeere zu den geputzten.

Tilda sah es natürlich, und damit hatten sie zumindest für die nächsten Minuten ein Gesprächsthema.

»Die Marmelade kann bitter werden, wenn Fliegen mit hineinkommen«, sagte Tilda säuerlich.

»Aber doch wohl nicht wegen einer einzigen.«

»Oh doch, und stell dir vor, das Glas mit der ungeputzten Stachelbeere landet ausgerechnet dann auf dem Frühstückstisch, wenn Rutger und seine Familie zu Besuch kommen.«

Elida mußte zugeben, daß dies eine Katastrophe gewesen wäre, aber Rutger kam so selten, daß die Jahresernte sicher vor seinem nächsten Besuch aufgebraucht sein würde.

Von der Küche der Schwestern Svensson konnte man das Lantzsche Haus einsehen, und Tilda und Elida standen beim Beerenverlesen ziemlich dicht vor dem Fenster. In der letzten Zeit hatten sie sich gern dort aufgehalten, und die Blumenbeete an der Hecke waren seit Jahren nicht so schön gejätet gewesen wie jetzt. Offensichtlich änderten sich ihre geregelten Tagesabläufe ganz allmählich, aber keine von ihnen verlor ein Wort darüber.

Da sie alles mitverfolgten, was im Hause Lantz geschah, lernten sie auch die Angewohnheiten ihres Nachbarn kennen. Das war wichtig, denn da war ja die Sache mit dem Brunnen. Früher hatten die Schwestern immer mittags Wasser geholt oder besser gesagt um fünf vor halb eins, kurz vor ihrem Mittagsschläfchen, doch um diese Zeit konnten sie jetzt nicht mehr zum Brunnen gehen, aus Angst, daß der Nachbar sie sehen würde. Daher hatten sie nach genauer Beobachtung festgestellt, daß der Nachbar jeden Abend gegen siebzehn Uhr zum Kaufmann ging, um sich eine Abendzeitung zu holen, .und diese Gelegenheit nutzten sie zum Wasserholen.

Auch der alte Brunnen hatte inzwischen eine neue Gestalt angenommen. Das machte das Ganze noch komplizierter. Die Abdeckung war jetzt so grün gestrichen wie das üppige Gras drum herum, aber damit nicht genug: Auf dem Brunnendeckel hatte der Nachbar Blumen angepflanzt. Ja, natürlich nicht auf dem Brunnendeckel selbst, sondern in einem Topf. Einem gußeisernen Kochtopf, wie ihn die Schwestern Svensson immer für ihren Sonntagsbraten nahmen.

Die Feriengäste waren schon ein merkwürdiges Volk, denn sie verwendeten für alles die falschen Gegenstände. Auch in die großen Kupferkessel, die man zum Wäschewaschen brauchte, stellten sie Topfpflanzen, ja, sogar in Kaffeekannen. Da es doch unten im Kaufmannsladen so schöne, weiße Plastikübertöpfe gab, verstanden die beiden Schwestern nicht so recht, warum sie den Hausrat in den Garten stellen und Blumen hineinpflanzen sollten.

Kein Wunder, daß ihnen das Wasserholen manchen Kummer bereitete. Schließlich mußten sie mittlerweile nicht nur bestimmte Zeiten einhalten, sondern darüber hinaus die Blumen besonders behutsam vom Deckel heben und diesen vorsichtig auf die Erde legen, damit die grüne Farbe keinen Schaden nahm.

Immer wenn es Zeit zum Wasserholen war, setzten Tildas Krämpfe ein: ein Stechen im linken Arm, Schwindelgefühle und sogar Übelkeit. Zwischen den Schwestern, die bisher beinahe symbiotisch zusammengelebt hatten, war eine gewisse Reizbarkeit entstanden.

Als der Sommer in der siebten Woche war, einigten sich die beiden, daß sie mit ihrem Nachbarn reden und ihm von der Vereinbarung über die Brunnennutzung erzählen müßten. Der Zeitpunkt, als das Gespräch stattfinden sollte, war ein wunderbarer Sommerabend. Die Fliegen standen in der Luft, die Tonne mit dem Regenwasser war längst ausgetrocknet, und es herrschte eine gespannte Stille, die alles wie eine Mauer umgab. Die Fliegen summten besonders eifrig am Klebestreifen, und ihr surrender Totentanz wurde vom Knistern des letzten Holzscheits für diesen Tag begleitet, das im Ofen brannte. Das große, kräftige Holzstück war vor nur zehn Minuten hineingelegt worden und würde bald in Gestalt von armseligen Rußflocken wieder herausgescharrt werden.

»Was sollen wir denn sagen?« fragte Tilda unruhig.

»Daß wir das Recht haben, aus dem Brunnen Wasser zu holen natürlich«, meinte Elida.

»Geh du«, schlug Tilda vor, »dann koche ich schon mal Abendkaffee und hole den Zwieback.«

»Du darfst dich nicht so anstrengen«, sagte Elida ironisch. »Du hattest doch vorhin dieses Stechen im linken Arm. Geh du, dann mache ich solange Kaffee.«

Ehe die Schwestern einen Entschluß gefaßt hatten, war das Surren der Fliegen am Klebestreifen verstummt. Das Ofenrohr war abgekühlt und hatte seine üblichen drei Knacklaute von sich gegeben, und normalerweise hätten die Zähne der Schwestern Svensson längst in ihren Gläsern auf dem AGA-Herd gelegen, der Kaffee wäre ausgetrunken gewesen und der Sockel des Küchensofas ausgezogen.

Um einundzwanzig Uhr verließen Tilda und Elida gemeinsam das Haus und begaben sich mit zögernden Schritten zu ihrem neuen Nachbarn. Sie hatten ihre Sonntagskleider angezogen und vorher einen Blick in den Flurspiegel geworfen.

Es stellte sich heraus, daß ihr neuer Nachbar Alvar Klemens hieß, um die sechzig Jahre alt war, aus Sundsvall kam und Ministerialdirigent war.

Als Tilda sich erkundigte, wann denn seine Frau einziehen würde, versetzte Elida ihr mit dem Korkabsatz ihrer Lederpantoletten einen Tritt vors Schienbein. Später verteidigte sie sich damit, daß er irgendwie so ausgesehen habe, als sei er verheiratet, und versicherte, keinesfalls .neugierig zu sein. Elida wiederholte, was Schmiedemeister Svensson zum Thema Neugier gesagt hatte, und Tilda schämte sich ein bißchen. Allerdings sahen beide ausgesprochen zufrieden aus, als Herr Klemens erzählte, daß er Junggeselle sei.

Herr Klemens war ein stattlicher Mann, das mußten sich die Schwestern im stillen eingestehen, und außerdem war er freundlich und nett. Er bot ihnen ein Glas von einem hochprozentigen Getränk an, das um einiges stärker schmeckte als der Magenbitter und der Sherry. Dann versicherte er, daß sie so viel Wasser holen dürften, wie sie wollten und wann sie wollten.

Elida und Tilda saßen kerzengerade auf dem schönen Sofa mit Medaillonmuster und wollten gerade aufstehen, als Herr Klemens fragte:

»Darf es noch ein kleiner Schlummertrunk sein?«

Er schenkte seinen beiden Nachbarinnen, die vergeblich protestierten, noch ein Glas von dem Getränk ein. Tilda versuchte zu entziffern, was auf dem Etikett der Flasche stand, doch nirgends konnte sie das Wort »Schlummertrunk« entdecken. Auf der Flasche stand irgend etwas Ausländisches, aber vielleicht bedeutete es auf schwedisch Schlummertrunk?

»Es ist sehr nett von Ihnen, Herr Klemens, daß wir über Ihr Grundstück gehen dürfen, um Wasser zu holen.«

»Aber natürlich«, sagte Herr Klemens lachend. »Und bitte nennt mich doch Alvar, ja?«

Die beiden Schwestern verbeugten sich höflich und so tief, daß ihre eben noch so steifen Rücken zwei Flitzebögen ähnelten.

»Gibt es hier draußen eigentlich eine Altpapiersammlung?« erkundigte sich Alvar.

Die Schwestern sahen ihn verständnislos an.

»Na ja, einen Verein, der das Altpapier zur Wiederverwertung abholt. Ihr seht ja, wieviel bei mir zusammenkommt«, sagte er und zeigte auf einen Stapel Zeitungen auf dem Schreibtisch.

Es waren nicht nur Tageszeitungen, sondern auch Illustrierte. Die Schwestern Svensson wunderten sich, wieviel Alvar schon in der kurzen Zeit, seit er im Dorf war, angesammelt hatte.

»Zeitungen braucht man doch, um Feuer zu machen«, sagte Elida, die nicht verstehen konnte, wie man etwas so Nützliches wie Zeitungen verschenken konnte.

»Wenn ihr sie gebrauchen könnt, dann nehmt sie mit«, sagte Alvar vergnügt. »Ich freue mich, wenn ich sie los bin.«

Tilda und Elida war ein wenig schwindlig, und sie wußten nicht, ob es an dem großzügigen Angebot lag oder an dem hochprozentigen Getränk. Eigentlich hätten sie schon längst aufbrechen sollen, aber sie trauten sich nicht, die Gläser allzu schnell zu leeren, denn dieser Schlummertrunk aus der Flasche hatte es in sich. Er brannte in der Kehle und ließ ihre Wangen erröten. Beinahe wie damals in der Gartenlaube mit Erik, dachte Tilda und war mit einem Mal richtig aufgekratzt.

Ehe die beiden schließlich aufbrachen, sagte Alvar, er habe sich über ihren Besuch gefreut und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen.

Die Sohlen der weichen Lederpantoletten waren ungewöhnlich wacklig und ihre Wangen noch immer gerötet, als die Schwestern auf unsicheren Beinen und mit je einem Packen Zeitungen unter dem Arm nach Hause trotteten.

Zum ersten Mal seit vierzehn Jahren gingen sie ohne Zwieback und Abendkaffee ins Bett. Es war auch das erste Mal seit langer Zeit, daß Tilda und Elida miteinander redeten, nachdem sie schlafen gegangen waren.

»Hast du die Goldringe gesehen?« fragte Elida.

»Ja, man verdient sicher gut als Ministerialdirigent«, antwortete Tilda.

»Ich frage mich, ob man als Ministerialdirigent sehr musikalisch sein muß«, bemerkte Elida.

Nein, dumm waren die beiden nicht, aber bei Berufsrichtungen wie Ministerialdirigenten und Logopädinnen kannten sie sich eben nicht so aus.

Sie schliefen gut in dieser Nacht. Wasser durften sie holen, wann immer sie wollten, und Zeitungen hatten sie so viele bekommen, daß es eine ganze Weile reichen würde. Sie waren so aufgedreht, daß sie sogar vergaßen, Wasser auf die Zähne zu geben, die in ihren Gläsern auf dem Trockenen lagen.

Kapitel 5

Nur selten trafen die Schwestern Svensson andere Menschen, außer wenn sie zum Kaufmannsladen oder zum Handarbeitskreis gingen. Jeden Donnerstagabend besuchten sie nämlich den kirchlichen Handarbeitskreis, wo sie schöne Dinge herstellten, die dann auf der jährlichen Auktion versteigert wurden. Früher hatten sie kunstvolle Stickereien mit winzigkleinen Stichen angefertigt, aber im Lauf der Jahre waren ihre Finger etwas zittrig und ungeschickt geworden, weshalb sie inzwischen große Kreuzstiche auf grobem Aidagewebe bevorzugten. Tilda und Elida empfanden einen gewissen Stolz angesichts des ganzen Geldes, mit dem sie durch ihre Handarbeiten die Kirchenkasse aufgestockt hatten.

Sie nähten nie etwas für sich selbst, denn sie hatten alles, was sie benötigten. Im alten Elternschlafzimmer gab es die Tagesdecke, da brauchten sie keine weiteren Textilien. In der Küche lag eine handgewebte karierte Tischdecke, die praktisch war, weil sie sich gut waschen ließ. Bisweilen ließen sie die Zwiebacke zu lange im Kaffee einweichen, so daß sie brachen und wie schwere, nasse Schwämme auf die Decke fielen. Deshalb war es unnötig, ein feineres Tischtuch aufzulegen.

Die Schwestern Svensson hatten auch ein Wohnzimmer, aber sie saßen meistens in der Küche. Natürlich gab es in der guten Stube jede Menge kleine Deckchen, unter fast jedem Schmuckgegenstand lag eines. Die meisten hatte ihre Mutter Elna hergestellt, aber die eine oder andere hatten Tilda und Elida in ihren jungen Jahren bestickt. Erst hatten sie in einem Karton bei der übrigen Mitgift gelegen, aber als ihnen aufgegangen war, daß ihre Chancen auf eine Heirat auf eine mikroskopisch kleine Größe geschrumpft waren, hatten sie einen Teil der Dinge ausgepackt und in die übrige Einrichtung integriert.

In der guten Stube stand ein schönes Sofa, das mit einem weichen, gestreiften Stoff bezogen war, und davor ein alter Tisch aus dunkler Eiche mit Löwenfüßen. Auf dem kleinen Beistelltisch drängten sich eine antike Tischlampe, zwei Messingkerzenhalter und zwei kleine Glasschwäne, die die Schwestern beim Gemeindeausflug in einer Glasbläserei gekauft hatten.

Die Ecke, wo der Schreibtisch von Schmiedemeister Svensson gestanden hatte, war leer. Der Kugelblitz hatte ziemlich gewütet, und es hätte sich nicht gelohnt, das Möbelstück zu reparieren. Auf dem Linoleum waren noch immer schwarze Spuren von dem Blitz und dem nachfolgenden Brand zu sehen, aber die waren schon so lange dort, daß die Schwestern sie nicht mehr bemerkten. Außerdem hatte ihr Sehvermögen etwas nachgelassen, doch solange sie Stachelbeeren von Himbeeren unterscheiden konnten, würde es keine neue Brille geben, wie sie scherzhaft zu sagen pflegten.

Im Grunde ihres Herzens hatten sie Humor und waren zu Scherzen aufgelegt, doch in den letzten Jahren hatten sie immer seltener gelacht. Immerhin hatte die Angst, die in Borrby Wurzeln geschlagen hatte, als die Schwestern vom Verkauf des Nachbarhauses erfuhren, allmählich nachgelassen. Ihre Lebensfreude war zurückgekehrt, aber auch eine Art Spannung, die schwer zu beschreiben war. Die beiden Schwestern hatten begonnen, einander schief anzusehen. Alles, was in der Küche zu tun war, wurde vor dem Küchenfenster erledigt, mit Aussicht auf Alvar.

Die Zeitschriften, die sie von ihm bekommen hatten, ließen sich nicht nur zum Feuermachen verwenden, sondern ersetzten bisweilen auch das teure Toilettenpapier. Tilda, die sich sehr für Königshäuser interessierte, und zwar nicht nur für das schwedische, versank in einer Art königlicher Trance, wenn sie auf dem Klo in den Illustrierten blätterte. Daher wurden ihre Toilettenbesuche immer ausgedehnter, was Elidas Mißtrauen weckte.

»Hast du etwa mit Alvar gesprochen?« erkundigte sie sich, als Tilda ins Haus kam, und obwohl diese beteuerte, nur einen Toilettenbesuch gemacht zu haben, wirkte Elida nicht ganz davon überzeugt.

Auch Tilda war klar, daß sie die Dauer ihrer Toilettenbesuche verkürzen mußte, allerdings nicht, um Elidas Mißtrauen zu besänftigen, denn das genoß Tilda insgeheim. Nein, da war die Sache mit ihren Hämorrhoiden. Sie hatten sich viele Jahre nicht mehr bemerkbar gemacht, aber die lange Zeit in der unbequemen Sitzhaltung über der allzu großen Holzöffnung des stillen Örtchens hatte ihre Spuren hinterlassen, und Tilda befürchtete, daß ihre alten Beschwerden zurückkehren würden.

Sie achtete darauf, daß Elida nichts davon mitbekam, denn das hätte sie peinlich gefunden. Wenn die Schmerzen richtig schlimm waren und Tilda Schwierigkeiten mit dem Gehen hatte, begann sie sich über ihre Lederpantoletten zu beschweren.

»Solche hätte es beim alten Schuster Andersson nie gegeben. Die Zwecke dringt durch die Sohle, es ist das reinste Elend«, klagte sie.

Eines Abends war sogar ein bißchen Blut auf der Lokalseite gelandet. Manchmal benutzten sie auf dem Klo nämlich auch ihre eigenen Zeitungen. Tilda machte sich ernsthafte Sorgen, und als Elida nach dem Mittagessen zum Wasserholen ging, verließ ihre Schwester den Aussichtsposten am Fenster und holte statt dessen den Magenbitter aus dem Eckschrank. Sie nahm das große Schnapsglas, füllte es bis zum Rand und kippte es hinunter, ohne auch nur einmal abzusetzen. Zwar hatte es früher immer geheißen, man solle mit dem Alkohol die böse Stelle behandeln, aber Tilda glaubte, man könne die Hämorrhoiden auch von innen heilen. Gerade hatte sie die hübsch bemalte Schranktür geschlossen, als ihre Schwester mit dem Wasser hereinkam.

»Irgendwie riecht es hier merkwürdig«, sagte Elida und stellte den gelben Eimer so heftig auf den Boden, daß etwas Wasser auf ihre Lederpantolette spritzte.

»Das finde ich auch«, sagte Tilda und bemühte sich, nur beim Einatmen zu sprechen, damit sich der Geruch nicht in der kleinen Küche ausbreiten konnte.

»Warum redest du so komisch?« fragte Elida erstaunt.

Tilda war kurz vor dem Platzen – vom ständigen Einatmen und weil sie nur äußerst sparsam Luft durch die Nase hinausgelassen hatte. Das Klingeln des Telefons war ihre Rettung, da Elida immer die Gespräche entgegennahm. Tilda glückte es, mit angehaltenem Atem den Weg zum Glas mit den starken Hustenbonbons zurückzulegen. Nach einer Weile fühlte sie sich wieder ganz sicher, und ihr Atem ging wie immer. Vielleicht war es Einbildung, aber Tilda fand wirklich, daß der Magenbitter wirkte. Der Druck im Unterleib ließ jedenfalls merklich nach.

Als Elida aufgelegt hatte, brauchte Tilda gar nicht zu fragen, wer es gewesen war. Nur Rutger rief manchmal bei ihnen an und die Vorsitzende des Handarbeitskreises, die einmal jährlich zur Vereinssitzung einlud, aber das war in der Vorweihnachtszeit, und da jetzt Spätsommer war, mußte es Rutger gewesen sein.

»Ich verstehe nicht, warum sich Rutger auf einmal so um uns kümmert«, meinte Elida. »Er findet, daß es hier zu unmodern ist und daß wir uns zu sehr abrackern.«

»Das hat er doch früher nie gefunden«, sagte Tilda verwundert.

»Er hat gesagt, daß wir es im Servicehaus in der Stadt viel besser haben könnten.«

»Nie und nimmer«, sagte Tilda. »Hier wohnen wir doch schon unser ganzes Leben.«

»Er könnte uns zwei Plätze besorgen, hat er gesagt, er hat nämlich Beziehungen.«

»Will er etwa das Haus verkaufen?« fragte Tilda. »Dann geht es bestimmt an irgendwelche Großstädter, die es bis zur Unkenntlichkeit verändern und Petunien in den gußeisernen Topf pflanzen, den wir für unseren Sonntagsbraten nehmen.«

»Nein, Rutger meint, er könnte uns das Haus abkaufen, damit es in der Familie bleibt. Er würde es als Ferienhäuschen nutzen, und wir dürften jeden Sommer eine Woche lang herkommen.«

Tilda wagte es, den Vorschlag ihres erfolgreichen Bruders mit einem verächtlichen Schnauben abzutun.

»Da ist irgendwas faul«, sagte sie.

Tilda verfügte über eine gute Intuition. Manche Dinge hatte sie im Gefühl, und oft lag sie damit ganz richtig.

»Er hat von deinen Schmerzen gesprochen, vom Plumpsklo und davon, daß wir das Wasser aus dem Brunnen holen müssen«, sagte Elida, und es hatte fast den Anschein, als wolle sie Rutger verteidigen.

Da erhaschten die beiden Schwestern durchs Küchenfenster einen Blick auf Alvar und sagten wie aus einem Munde: »Nein, wir ziehen nicht weg.«

Genaugenommen benahmen sich die beiden wie verrückte Hühner, seit Alvar eingezogen war. Plötzlich legten sie Wert auf ihr Aussehen beziehungsweise auf das wenige, was davon übrig war. Sie trugen ständig ihre Sonntagskleider und holten zweimal täglich Wasser, was seit dem Tod ihrer Eltern nicht vorgekommen war. Sogar das Parfüm, das Rutger ihnen vor einigen Jahren geschenkt hatte, kam zum Einsatz, und hätte Schmiedemeister Svensson seine beiden Töchter gesehen, hätte er sich bestimmt im Grabe umgedreht.

Sie sprachen nicht weiter über Rutger und seinen Vorschlag, sondern beließen es dabei. Zwischen ihnen gab es keinen Raum für Diskussionen, denn wenn die Schwestern etwas beschlossen hatten, dann war es eben so. Und damit basta.

Am Abend holte Elida den Kupferkessel und zählte ihre Scheine. Zweiunddreißigtausend hatten sich in dem schön geputzten Behältnis angesammelt, und Elida sagte zufrieden: »Vielleicht sollte man sich ja mal ein neues Sonntagskleid gönnen.«

Tilda kehrte gerade den Holzofen aus und war so überrascht über den Vorschlag ihrer Schwester, daß sie den Aschekasten zu schnell herauszog. Eine Wolke von Rußflocken stob durch die Küche.

Vor nur zwei Monaten wären die Schwestern nie auf eine solche Idee gekommen, aber mittlerweile schien nichts mehr unmöglich. Tilda war zunächst etwas verwundert, aber der Gedanke lockte sie, und da sie sich verpflichtet fühlten, Alvar eines Abends zum Kaffee einzuladen, würden die neuen Kleider sicher ihre Verwendung finden.

Schon am nächsten Tag standen die Schwestern Svensson an der Haltestelle und warteten auf den Elf-Uhr-Bus in die Stadt. Es nieselte, und der ersehnte Regen erweckte die Düfte des Sommers zu neuem Leben. Sie füllten das Wartehäuschen, liebkosten die braunen Kunststofftaschen der beiden und die hellen, nougatfarbenen Schuhe mit Lochmuster.

Schon immer hatten sie Schuhwerk in diskreten Farben getragen. Gott hatte sie nämlich mit größeren Füßen erschaffen, als sie gebraucht hätten, um das Gleichgewicht zu halten. Im übrigen waren die Schwestern ziemlich wohlproportioniert. Sie waren etwa einen Meter sechzig groß und wogen achtundfünfzig Kilo. Ihre Körper waren eigentlich ganz hübsch anzusehen, wenn da nicht die Sache mit den Füßen gewesen wäre.

Während die anderen Kinder zur Abschlußfeier vor den Sommerferien helle Schnürstiefeletten bekommen hatten, mußten Tilda und Elida braune oder schwarze tragen.

»Dann fallen eure großen Füße weniger auf«, hatte Mutter Elna immer gesagt.

Aber das war ein schwacher Trost für zwei Schulmädchen gewesen, die so aussehen wollten wie ihre Klassenkameradinnen.

»Wenn ich nur ein paar helle Stiefeletten hätte, würde es mir gar nichts ausmachen, wenn meine Füße ein bißchen auffielen«, hatte Tilda gesagt, als die Abschlußprüfung vor den Ferien näherrückte, aber es hatte nichts geholfen. Sie mußten Jahr für Jahr mit dunklen Stiefeletten und weißen Fliedersträußchen zur Feier trotten.

Auch als die Schwestern erwachsen waren und kaufen durften, was sie wollten, steckte die Meinung ihrer Mutter noch tief in ihnen, und das Gewagteste, was sie jemals erworben hatten, waren die hellen, nougatfarbenen Schuhe, die sie seit mittlerweile acht Jahren trugen. Ihre Füße sahen beinahe noch größer aus als früher. Vielleicht lag es daran, daß ihre Beine dünner, weißer und sehniger geworden waren. Aber die Schuhe waren bequem, und die Damen erklommen ohne Schwierigkeiten die hohen Treppenstufen des Busses 572, der sie nach Simrishamn bringen würde.

Ehe sie ankamen, prüften sie, ob sie alles Nötige dabeihatten. Das Geld befand sich in den Brieftaschen, die vorsichtshalber mit einem Gummiband verschlossen waren, und im Seitenfach der Taschen lagen saubere Taschentücher, neben den Patientenkarten, falls etwas passieren sollte.

Sie waren wieder beruhigt und schlossen die goldfarbenen Bügel ihrer Taschen, während draußen die ersten hohen Häuser auftauchten. Als sie am Bahnhof aus dem Bus gestiegen waren, blieben sie eine Weile stehen, um sich zu orientieren, ehe sie auf der Järnvägsgatan zum Marktplatz gingen, wo es von kauflustigen Menschen nur so wimmelte.

In den übervollen Schaufenstern hingen so viele schöne Sachen, daß Tilda und Elida ganz verwirrt waren. In den ersten beiden Geschäften fanden sie nichts. Keiner schien Zeit für sie zu haben, und bei jedem Geschäft, das sie besuchten, sank ihr Mut weiter.

Doch dann entdeckten sie einen kleinen Laden mit ganz normalen Schaufensterpuppen, die so aussahen wie früher. In den anderen Geschäften hatten die Schaufensterpuppen nämlich so ausgesehen wie Mutter Elna damals, als der Kugelblitz im Schreibtisch ihres Vaters eingeschlagen war. Sie waren wirklich nicht schön mit ihren aufgerissenen Mündern und den abstehenden Armen und Beinen.

Der kleine Laden war ganz anders. Hier standen die Schaufensterpuppen mit beiden Beinen auf dem Boden und hatten ein Lächeln auf den Lippen. Die Arme hingen grazil an den Seiten herab, wie es sich gehörte. Die Verkäuferin hatte offenbar Interesse an den neu eingetroffenen Kundinnen, denn sie kam sofort zu ihnen und fragte, ob sie behilflich sein könne. Sie schien sich auch mit dem Geschmack der Schwestern auszukennen, denn alles, was sie ihnen zeigte, war ähnlich schön und verlockend.

Tilda probierte als erste. Doch erst als der geblümte Vorhang sie von der Verkäuferin trennte, traute sie sich, auf die Preisschilder zu schauen. Sie stöhnte laut auf, woraufhin der Vorhang rasch zur Seite geschoben wurde und die Verkäuferin sich erkundigte, ob alles in Ordnung sei. Erst als Tilda beteuert hatte, daß es ihr gut gehe, schob die Verkäuferin den Vorhang wieder zu, und Tilda konnte den mühsamen Prozeß der Anprobe beginnen.

Ihr rosafarbenes Unterkleid war an diesem Tag besonders störrisch und verhakte sich knisternd zwischen ihren mageren Beinen. Eigentlich hätte sie gar nicht alle drei Kleider anprobieren müssen, denn sie wußte gleich, daß sie das leuchtendblaue mit den Blumensträußen wollte. Man durfte sich selbst nicht schön finden, hatte ihr Vater immer gewarnt, aber Tilda fand, daß sie in dem dünnen, geblümten Kleid wirklich viel jünger aussah, und schämte sich nicht einmal dafür.

»Paßt es?« fragte die Verkäuferin und schaute in die Kabine, während Tilda gerade in ihr altes Sonntagskleid schlüpfte.

»Ich nehme dieses hier«, sagte sie und reichte der Verkäuferin das leuchtendblaue Kleid mit den schönen Blumensträußen.

»Jetzt bist du an der Reihe«, sagte sie zu Elida und schob sie eilig in die Anprobe. Sie wollte nämlich nicht, daß Elida erfuhr, daß sie das teuerste Kleid ausgesucht hatte.

Elida nahm vier Kleider mit in die Kabine, und Tilda zahlte währenddessen. Sie ließ sich von der Verkäuferin ein Paar dünne, helle Nylonstrümpfe geben. Gerade als sie ihr das Geld reichen wollte, entdeckte sie eine weiße Perlenkette, die neben der Kasse hing. Die Perlen waren unterschiedlich groß, schimmerten wunderschön und würden sicher ausgezeichnet zu ihrem neuen Kleid passen.

»Die nehme ich auch noch«, sagte Tilda, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß Elida nach wie vor in der Umkleidekabine war.

»Sie haben einen guten Geschmack«, meinte die Verkäuferin freundlich, und Tilda wurde es ganz warm ums Herz.

Leichten Schrittes verließen die beiden Schwestern das Geschäft mit je einer großen Plastiktüte in der Hand.

Als sie die Storgatan zum Hafen hinuntergingen, kamen sie an einer Konditorei vorbei. Beide blieben stehen, aber keine von ihnen sagte etwas. Erst als ein Gast die Tür öffnete und der Kaffeeduft in ihre Nasen stieg, trafen sie ihre Entscheidung. Sie diskutierten nicht, sondern gingen ganz einfach hinein.

Die Schwestern Svensson hatten sich wirklich verändert. Es war bestimmt dreißig Jahre her, daß sie zuletzt eine Konditorei betreten hatten. Sie bestellten sich ein Marzipantörtchen und behielten beim Essen ihre Zähne an. Die Konditorei war luxuriös eingerichtet: rote Samttapeten, rote Plüschgardinen und große Spiegel mit Goldrahmen. Dann und wann erhaschten die Schwestern in einem der vielen Spiegel einen Blick auf sich selbst, aber es hingen ja auch so viele davon im Raum, daß es sich gar nicht vermeiden ließ.

Sie kamen mit dem letzten Bus um zehn nach fünf nach Hause, mitsamt ihren neuen Kleidern und den neuen Küchengardinen, die sie nach ihrem Konditoreibesuch im Ausverkauf gefunden hatten. Tilda traute sich nicht, die Strümpfe und die Perlenkette zu erwähnen. Dafür würde noch Zeit genug sein.

Das Feuer im Herd war an diesem Abend besonders schwer zu entfachen, aber als es endlich brannte, verbreitete sich eine angenehme Wärme in der kleinen Küche. Erst öffnete Tilda die Ofenluke, um zu prüfen, ob das Feuer wirklich brannte, und dann tat Elida dasselbe. Keine von ihnen wußte, daß die andere beim Öffnen der Ofenluke ihr Preisschild hineingeworfen hatte, um alle Beweise zu vernichten.

Die Flammen verschlangen die beiden Preisschilder, auf denen »529 Kronen« und »538 Kronen« stand. Es war ihre bislang größte Investition auf dem Konto der Eitelkeit, und ein weiteres Mal wäre Schmiedemeister Svensson erleichtert gewesen, daß er schon das Zeitliche gesegnet hatte.

Kapitel 6

An dem Tag, als Alvar zum Kaffee kommen sollte, hatten Tilda und Elida viel zu tun. Sie backten und rannten hin und her wie zwei hektische Hühner. Vorsichtshalber spülten sie die feinen Tassen noch einmal ab, da sie sie schon lange nicht mehr benutzt hatten. Sie hatten Alvar für sieben Uhr eingeladen, aber schon um sechs war in der guten Stube alles fertig vorbereitet. Die große handbestickte Tischdecke war vor lauter Keks- und Kuchenplatten kaum zu sehen. In den Henkeln der Tassen steckten hauchdünne Servietten, ja, die Kaffeetafel war die reinste Augenweide.

Nachdem die Schwestern beim Tischdecken letzte Hand angelegt hatten, gingen sie zu ihrer persönlichen Dekoration über. Zuerst wärmten sie Wasser auf dem AGA-Herd und wuschen sich sorgfältig. Dann wurden die neuen Kleider angezogen. Tilda hatte sich nach langen inneren Qualen entschieden, die neue Perlenkette anzulegen. Es ging besser als erwartet. Elida verlor kein Wort darüber, kein einziges Wort. Aber sie hatte die Kette registriert, ja, sie starrte sie richtiggehend an, sagte aber keinen Ton, und Tilda auch nicht.

Um halb sieben verschwand Tilda in der Waschküche und kam mit einer Brennschere zurück. Sie sah verlegen aus und sagte rasch, noch ehe Elida den Mund öffnen konnte: »Eigentlich ist es doch schade, daß sie so nutzlos da draußen herumliegt.«

»Ja, da magst du recht haben. Der Herd ist sicher noch heiß genug«, meinte Elida.

Es war nämlich eine Brennschere von der alten Sorte: Sie war aus Eisen und wurde direkt auf der Herdplatte gewärmt, ehe man sich damit die Haare kräuselte.

Während Elida die Brennschere erhitzte, nestelte Tilda ein paar Haarsträhnen aus ihrem Knoten. Als die Brennschere heiß war, kniff Elida damit in ein Zeitungsblatt, wie ihre Mutter es immer getan hatte, woraufhin das Blatt eine kleine verbrannte Erhöhung bekam – das Zeichen dafür, daß es jetzt an der Zeit war, das Haar um die Brennschere zu wickeln. Dann hieß es abwarten. Ein wohlbekannter Duft entfaltete sich in der Küche. Es roch nach verbranntem Haar, wie früher vor der Schulabschlußfeier. Damals hatten sie eine Münze darum geworfen, wessen Haare zuerst gekräuselt werden durften.

Die grauen Haare an Tildas Ohren wurden immer trockener und ähnelten schließlich gesponnenem Zucker, aber sie war mit dem Ergebnis zufrieden. Als sie fertig waren, tupften sie sich ein wenig Parfüm hinters Ohr. Auf dem Herd kochte schon das Kaffeewasser, aber sie wollten mit dem Aufbrühen warten, denn der Kaffee sollte möglichst frisch sein.

Die Schwestern saßen auf dem Küchensofa und waren so fein, daß sie kaum wagten, sich zu rühren. Keine von ihnen sagte einen Ton. Sonst mochten sie die Stille ja nicht besonders, aber an diesem Abend wollten sie einfach genießen – nicht nur die Stille, sondern auch den schön gedeckten Kaffeetisch, ihre eigene Pracht, die neuen Küchengardinen, die sie noch angebracht hatten, und die Tatsache, daß Alvar Klemens, Ministerialdirigent aus Sundsvall, bald über ihre Türschwelle treten würde.

Und er kam, um Punkt sieben Uhr, groß und stattlich, mit den Goldringen an den Fingern und einer Pralinenschachtel für seine Nachbarinnen in der Hand. Obwohl er schon seit sieben Wochen in Borrby wohnte, hatte er sie noch nie besucht. Tilda und Elida dagegen waren schon zweimal bei ihm gewesen: das erste Mal ohne Einladung, um die Brunnennutzung zu klären, und das zweite Mal zu einer Tasse Kaffee und einem belegten Brot, auf seine Einladung hin.

Alvar trat in die Küche, sah sich um und rief: »Hier wird wahrlich nicht an der Wärme gespart!« Man sah schon einige Schweißperlen auf seiner Stirn glänzen.

»Der Sommer neigt sich dem Ende zu, und wir wollen die Feuchtigkeit nicht hereinlassen. Außerdem haben wir ausreichend Brennholz«, sagte Tilda.

Alvar sah sich neugierig um. »Ein schönes altes Haus«, meinte er, und es war nicht zu überhören, daß er es ernst meinte.

»Vielleicht möchtest du dir das Haus ansehen?« fragte Elida und merkte, daß sie Alvar zum ersten Mal duzte.

»Ach, hier gibt es doch nicht viel zu sehen«, meinte Tilda verlegen. »Das ist die Küche, und dort ist die gute Stube.« Sie machte eine Geste in Richtung Wohnzimmertür.

Alvar zeigte auf den Eingang zum Elternschlafzimmer. »Und was ist das?«

»Den Raum nutzen wir nicht, wir haben auch so ausreichend Platz«, sagte Elida. Aber natürlich durfte er sich das Zimmer gern ansehen, wenn er wollte, dachte sie und öffnete die Tür, während Tilda den Kaffee aufbrühte.

Elida war es beinahe etwas unangenehm, was für eine Wertschätzung das Zimmer erfuhr.

»Das ist ja richtig gut und stabil«, sagte Alvar, klopfte an das Fußteil des Betts und nahm es genauer in Augenschein. »Bestimmt ist es ein altes englisches Eisenbett.«

Im selben Moment entdeckte er den Waschtisch. Er hob die Waschschüssel hoch, schlug mit den Fingern gegen den Rand und drehte sie, um den Stempel auf dem Boden zu studieren.

»Ein schönes altes Waschgeschirr von Rörstrand, nicht zu verachten, dafür muß eine alte Frau lange stricken.«

Strickkleider hatten Tilda und Elida aber mehr als genug, und Elida beschloß, daß die Waschschüssel an ihrem Platz stehenbleiben sollte, zumindest solange sie am Leben waren.

Alvar Klemens war ausgesprochen interessiert. Auch im Wohnzimmer hob er viele Gegenstände hoch und lächelte Tilda und Elida zu, die stolz waren, weil er offenbar so beeindruckt von ihrer einfachen Behausung war. Zu den neuen Kleidern und zu den Küchengardinen sagte er nichts, aber er betrachtete sie aufmerksam.

Die Schwestern reichten ihm die Kuchenplatten, schenkten Kaffee ein, drängten ihm Gebäck auf und waren erst zufrieden, als er sich von allen sieben Sorten etwas genommen hatte. Alvar wirkte zwar schon vorher vollauf zufrieden, probierte aber brav alles durch. Tilda ging in die Küche, um mehr Kaffee zu kochen. Gerade als sich die letzten Tropfen durch den alten Stoffilter stahlen, kam Elida.

»Vielleicht sollten wir ein Glas Sherry anbieten?« schlug sie vor.

»Tu das«, sagte Tilda lächelnd. Der Dampf vom kochenden Kaffeewasser hatte ihre Löckchen ein wenig geglättet, aber das sah sie Gott sei Dank nicht.

Um neun Uhr waren die Keks- und Kuchenplatten beinahe leer, und es gab nur noch einen kleinen Schluck Sherry in der Flasche.

Alvar hatte von seinen Auslandsreisen und von seinen verschiedenen Arbeitsplätzen erzählt, und Tilda und Elida hatten schon lange nicht mehr so herzlich gelacht. Ja, bisweilen hatten sie so lachen müssen, daß es ihnen schwergefallen war, die Zähne am Platz zu halten. Normalerweise saßen sie ziemlich fest, aber wenn sich Kekskrümel darunter verfingen, war es nicht ganz einfach, sie am Rutschen zu hindern.

Alvar erzählte auch, daß er sich dauerhaft in Borrby niederlassen wolle, sobald er pensioniert sei, und darüber freuten sich die beiden Schwestern ganz besonders, denn im Winter war es leer und trostlos in Borrby, und die Zeit ging nur im Schneckentempo voran, wenn es keine Früchte und Beeren aus dem Garten zu verarbeiten gab.

Erst um elf Uhr brach Alvar auf. Ehe er ging, gab er seinen beiden Nachbarinnen einen Kuß auf die Wange. Es war ein Abend, den die Schwestern Svensson nie vergessen sollten.

Am folgenden Tag schliefen Tilda und Elida bis acht Uhr morgens, was noch nie vorgekommen war. Aber sie waren ja auch ungewöhnlich spät ins Bett gegangen. Nachdem Alvar weg war, hatten sie aufgeräumt, abgespült und sich noch ein Gläschen Sherry genehmigt und von den guten Pralinen probiert, die Alvar mitgebracht hatte. Vorher hatten sie natürlich die Rolläden heruntergelassen. Sie räumten das Haus stets auf, ehe sie zu Bett gingen. Das hatten sie von ihrer Mutter gelernt: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.«

Als Tilda morgens hinausging, um das gebrauchte Waschwasser über den Büschen auszugießen, wie sie es immer tat, merkte sie, daß der Sommer sich langsam verflüchtigte.

Die Nacht war kalt gewesen, und der Tau lag noch immer wie eine schützende Hülle über dem Garten. Die Tränenden Herzen waren so schwer von den Tautropfen, daß die Zweige beinahe am Boden schleiften.

In ihrem Garten gab es viele schöne winterfeste Pflanzen, weshalb sie die Anschaffung von vergänglichen Sommerblumen für unnötig befanden. Trotzdem waren sie sehr beeindruckt von Alvars Petunien. Noch nie hatten sie eine solche Blütenpracht gesehen. Genauso verhielt es sich mit seinen anderen Topfpflanzen. Elida hatte einmal beobachtet, wie er irgend etwas zwischen seine Pflanzen gekippt hatte, und von da an war ihr klar, daß sie nicht vom Brunnenwasser allein so üppig gediehen.

Am Nachmittag klopfte es an die Tür, und Tilda und Elida stürmten beide hin, um zu öffnen. Ihr Lächeln erlosch, als sie eine Frau mittleren Alters mit einem kleinen, häßlichen Hut und einer abgenutzten Aktentasche auf der Treppe sahen.

»Ich komme von den Zeugen Jehovas«, sagte sie und hielt ihnen ein kleines blaues Buch hin.

»Wir brauchen nichts«, sagte Elida entschieden. »Wir haben unseren eigenen wahren Gottesglauben, und damit basta.«

»Aber dieses Buch ist Gott gewidmet, welcher allen gnädig ist, die seine lebensspendende Wahrheit suchen. Wollen Sie denn kein ewiges Leben?«

»Doch, natürlich«, sagte Tilda und bekam im nächsten Moment einen Tritt vors Schienbein. Elida schob die fremde Frau auf den Hof hinaus und schloß schnell die Tür hinter ihr.

»Warum hast du gesagt, daß wir ein ewiges Leben wollen?« fragte Elida wütend.

»Möchtest du das etwa nicht?« erwiderte Tilda verständnislos.

»Begreifst du denn nicht, daß man solchen Leuten nicht recht geben darf? Dann wird man sie nämlich nie wieder los!«

Wie magnetisch wurden die Schwestern vom Küchenfenster angezogen, denn sie wollten sehen, ob die Frau zu Alvar gehen würde. Das tat sie. Alvar lächelte ihr zu und ließ sie hinein.

»Wenn er sich mal bloß in acht nimmt«, sagte Tilda unruhig. »Man weiß ja nie bei solchen scheinheiligen Weibern.«

Die alte Uhr über dem Küchensofa tickte hartnäckig, ansonsten war es still in der Küche. Es herrschte eine angespannte Stimmung. Die beiden Damen am Fenster streckten ihre ohnehin schon langen Hälse und sahen aus wie ein Paar Schwäne. Als sie zwanzig Minuten völlig reglos dagestanden hatten, hätte man meinen können, daß sich ihre Halswirbel ausgerenkt hätten, doch plötzlich sank Tildas Kopf hinab, und zwar noch tiefer als zuvor.

»So einer kann er aber nicht sein, oder?«

»Was meinst du mit ›so einer‹?« fragte Elida irritiert.

»So ein Zeuge Jehovas. Er trinkt doch Schnaps und raucht manchmal Zigarren.«

»Ein Weibsbild hält er sich aber nicht.«

»Und was ist mit der da?« meinte Tilda erschöpft und zeigte auf Alvars Haus.

Elida schnaubte so stark, daß die neuen Küchengardinen vom Luftzug aufwirbelten.

»Du glaubst doch nicht etwa, daß er ... mit ihr ...?«

»Wir sollten uns vielleicht draußen auf die Bank setzen. Der Sommer ist ja bald vorbei, und wir haben sie bisher kaum genutzt«, schlug Elida vor.

Tilda und Elida zogen ihre selbstgestrickten Jacken über und setzten sich draußen auf die Gartenbank.

»Dies Jahr gibt es viele Augustbirnen«, sagte Elida.

»Ja«, erwiderte Tilda einsilbig. »Mehr als letztes Jahr.«

»Aber die Erdbeeren waren dies Jahr nicht so gut«, fuhr Elida fort.

»Nein, die waren letztes Jahr besser«, antwortete Tilda mit derselben eintönigen Stimme.

Das Gespräch ging schleppend voran. Vielleicht lag es daran, daß die Bank in die falsche Richtung zeigte. Sie saßen mit dem Rücken schräg zu Alvars Haus und waren deshalb gezwungen, ihre Köpfe in einem unbequemen Winkel nach links zu drehen, um den Überblick zu haben, wann das Weibsbild Alvar verließ.

Hätte Schmiedemeister Svensson nicht ein paar Meter unter der Erde gelegen, hätte er sie bestimmt gescholten, daß sie sich benähmen wie zwei Schafsköpfe. Das hatte er immer gesagt, wenn jemand etwas tat, was ihm nicht behagte. Nur einziges Mal hatte er seine Frau Elna so betitelt. »Du blöder Schafskopf!« hatte er sie angefahren, aber das war auch kein Wunder, denn sie hatte dasselbe Hosenbein zweimal abgeschnitten, als sie seine neue Sonntagshose kürzen wollte. Drei Zentimeter mußten weg, das hatte sie ausgemessen. Zuerst am linken Hosenbein, aber als sie drei Zentimeter auf der rechten Seite abschneiden wollte, hatte sie die Hosenbeine verwechselt und das linke Bein um weitere drei Zentimeter gekürzt. Sie hatte den Streifen zwar wieder angenäht, aber Schmiedemeister Svensson hatte sich in seiner Hose nie gut angezogen gefühlt.

»Siehst du Molins großen Kater drüben zwischen Alvars Topfpflanzen?« fragte Tilda plötzlich entsetzt.

»Und er frißt auch noch von der Erde«, seufzte Elida. Dann fiel ihr ein, was sie letztens gesehen hatte, und erzählte ihrer Schwester davon.

»Vermutlich war das Düngemittel«, meinte Tilda. »Hab ich mir doch gedacht, daß er irgendwas mit seinen Pflanzen anstellt.«

Ihr Gespräch verstummte jäh. Benahm sich der Kater nicht reichlich merkwürdig, seit er vom Inhalt des Blumentopfes gegessen hatte? Er rieb sich an der Wasserpumpe, machte einen Buckel und maunzte wie eine Märzkatze.

»Er ist doch wohl nicht krank?« fragte Tilda. Im selben Moment machte der Kater einen Satz und schnellte ins Gras, wo Erlandssons Katze Majsan lag. Die konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Molins großer Kater sich auf sie stürzte. Was er dann tat, genierte die beiden Schwestern Svensson so, daß ihre Ohrläppchen glühten. Dennoch verfolgten sie den gesamten Liebesakt mit großen Augen. Nachdem der Kater Majsan ihrem Schicksal überlassen hatte, blieb sie verwirrt auf dem Rasen stehen, als könne sie gar nicht fassen, was da geschehen war. Während sie sich verwundert in die Hecke schlich, öffnete sich Alvars Tür, und die Zeugin Jehovas kam heraus.