Das L in Frau steht für lustig - Julia Brandner - E-Book

Das L in Frau steht für lustig E-Book

Julia Brandner

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Beschreibung

»Ich brauche keinen Penis, um einen ETF-Sparplan anzulegen.« Junge Frauen stehen heute noch immer unter besonderer Beobachtung, findet die österreichische Comedienne Julia Brandner. Beispiel Bodyshaming: Hast du etwas mehr auf den Rippen, bist du fett oder ungesund. Bist du schlank, bist du krank und solltest mehr essen. Wow! Muss das wirklich sein? fragt sich Brandner, wenn sie uns mitnimmt in ihren ganz normalen alltäglichen Struggle und wirbt in ihrem teilweise herrlich boshaften Ton – für den sie bereits auf Instagram bekannt ist – für einen Feminismus 3.0, mit dem sich alle Geschlechter identifizieren, der Gleichberechtigung wirklich ernst nimmt und trotzdem nicht verbissen ist! Eine bereichernde Lektüre für alle, die manchmal an der Welt verzweifeln und trotzdem drüber lachen können.

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Seitenzahl: 237

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Julia Brandner

Das L in Frau steht für lustig

… und andere kluge Lebensweisheiten von Männern, nach denen ich nie gefragt habe

Mit Illustrationen von Viktoria Cichon

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

 

Für meine Mama aka die coolste Frau dieser Welt

KAPITEL 1Männer sind lustig, Frauen sind basic

»Hey, darf ich dich kurz ansprechen?« Eine junge Frau in meinem Alter kommt auf mich zu, sie hat ein Lächeln auf den Lippen und einen Aperol Spritz in der Hand. Ich erkenne sie wieder, sie saß vor ein paar Minuten noch im Publikum, bei der Show, bei der ich aufgetreten bin.

»Klar«, antworte ich.

»Ich fand deinen Auftritt gerade echt super!«, schwärmt sie. »Ich hab’ mich wirklich totgelacht. Großes Kompliment!«

Ich bedanke mich bei ihr und will mich gerade verabschieden. Meine Blase drückt und ich muss dringend wohin. Doch bevor ich noch etwas sagen kann, hält sie mich zurück: »Weißt du … das ist wirklich ein großes Kompliment, weil normalerweise finde ich Frauen überhaupt nicht lustig.«

Ich seufze. Dieser Satz ist sicherlich nett gemeint, aber ich kann ihn nicht mehr hören. Ich höre ihn nach jeder zweiten Show mindestens einmal.

»Weißt du, normalerweise haben Frauen keinen Humor«, fährt die Frau fort. Ja, sie ist selbst eine Frau und degradiert gerade ihr eigenes Geschlecht. Wobei … vielleicht ist die Person nichtbinär und ich fälle gerade ungerechterweise ein falsches Urteil. Bitte, Gott, lass es so sein.

»Wie heißt du auf Instagram?«, unterbreche ich sie und halte ihr mein Handy hin. Sie tippt ihren Namen ein, ich gehe auf ihr Profil. »Sophie (she/her)« steht dort. Gott hat meine Gebete also nicht erhört. Vielleicht hätte ich doch zumindest einmal in meinem Leben Kirchensteuer zahlen sollen.

»Weißt du«, fährt Sophie weiter fort, »Frauen, die Comedy machen, sprechen auf der Bühne ja normalerweise nur über Dating und Männer. Das finde ich echt uninspiriert.«

Ich lasse die Mixshow, bei der ich gerade gespielt habe, im Kopf Revue passieren. Dort waren vier Männer und zwei Frauen. Alle vier Männer haben über Dating gesprochen. Meine andere Kollegin auch. Ich nicht. Der richtige Schluss wäre also, wenn überhaupt, gewesen: »Ich finde Comedy generell nicht lustig, weil da wird fast nur über Dating gesprochen.«

»Die Typen haben auch alle über Dating gesprochen«, höre ich mich sagen und bereue instantly, damit noch tiefer ins Gespräch mit ihr einzusteigen. Meine Blase schreit nach Erleichterung.

»Ja, aber das ist was anderes«, sagt sie. »Bei Männern ist das lustig. Bei Frauen ist das immer so … basic. Und es wirkt immer so verzweifelt, kein Wunder, dass es bei ihnen dann nicht läuft.«

Bei meinen männlichen Kollegen läuft es auch eher schlecht als recht, aber das wundert mich auch nicht, da die sich dauernd darüber lustig machen, wie sie »Tinder durchgebumst« haben. Klingt für mich persönlich nach einer wandelnden Geschlechtskrankheit. Solche Typen freiwillig zu bumsen ist in meinen Augen ein ungewöhnlicher Fetisch.

»Du bist halt anders als die anderen Kabarettistinnen und das ist cool. Mach weiter so.«

Ich lächle gequält, renne endlich aufs Klo und weiß nicht, ob ich zuerst pinkeln oder kotzen will. Erstens hasse ich es, wenn man mich als Kabarettistin bezeichnet – ich bin Comedienne. Der Unterschied ist, dass Letztere lustig sind. Zweitens ist »Du bist so anders als andere Frauen« schon von Männern kein Kompliment, auch wenn ich es lang für eins gehalten habe. Mich stört die Grundannahme dahinter. Denn das würde ja bedeuten, dass im Umkehrschluss die meisten anderen Frauen nicht cool sind. Was ist das bitte für eine frauenfeindliche Haltung, wenn man wirklich dieser Überzeugung ist? Wenn das dann alles nicht mal von einem Mann, sondern von einer Frau kommt, macht es das für mich noch mal schlimmer.

Ich hätte Sophie gern gefragt, ob sie in ihrem Leben schon mal Sexismus erlebt hat. Ob sie vielleicht schon mal angestarrt wurde, während sie rückwärts eingeparkt hat, weil ein Mann darauf spekuliert hat, dass sie dabei einen Unfall bauen wird. Ob sie im Sommer schon mal abgewogen hat, ob sie lieber schwitzen oder zu Tode gecatcalled werden möchte. Ob ihr aufgrund ihres Geschlechts schon mal ihre Kompetenzen abgesprochen wurden. Denn genau das hat sie mit mir gemacht, indem sie mir indirekt gesagt hat: »Hey, ich war voll überrascht, dass du witzig bist, denn normalerweise verhindern Brüste das.«

(Okay, ich finde Penisse meist auch lustiger als Brüste, aber nur, weil man mit ihnen einen Propeller machen kann, während Brüste halt einfach hot sind. Lasse ich mir einreden. Aber in der Regel stehen wir nicht nackt auf der Bühne, deshalb ist dieses Argument dennoch Bullshit.)

Wenn nicht mal wir Frauen uns gegenseitig cool finden, wieso sollten Menschen anderer Geschlechter es dann tun? Anscheinend sind wir ja nicht mal von uns überzeugt.

Ich vermute, ein Grund dafür ist mangelnder Selbstwert. Und ich will auch gar nicht zu hart mit Sophie ins Gericht gehen, denn wie so oft ist man selbst nicht immer besser. Auch ich muss gestehen, dass ich auf eine Zeit zurückblicken kann, in der ich gedacht habe, Frauen seien nicht lustig, könnten nicht einparken und so weiter und so fort. Und das, obwohl ich eine superlustige Mama habe, die noch dazu hervorragend einparkt, an fehlenden Vorbildern ist es also nicht gescheitert. Erst in der Retrospektive wurde mir klar, dass ich in Zeiten, in denen ich mit mir selbst unzufrieden war, auch mehr Fehler an anderen Frauen gesucht habe. Um meine gefühlte eigene Unzulänglichkeit damit zu kompensieren.

»Die ist ja auch nicht perfekt, die hat auch Cellulite«, dachte ich mir beispielsweise bei schönen Frauen. Oder »Die ist sicher privat voll die Bitch und heult sich jede Nacht in den Schlaf, weil sie keiner leiden kann«, dachte ich mir bei erfolgreichen Frauen. »Die ist sicher schlecht im Bett«, dachte ich mir, wenn mir nichts anderes eingefallen ist, das ich hätte kritisieren können.

Inzwischen habe ich verstanden: Frauen, die sich ihrer selbst und ihrer Fähigkeiten bewusst sind, haben es nicht nötig, andere Frauen kleinzumachen, denn sie wissen, dass die Schönheit oder das Talent einer anderen Frau ihre eigene Genialität nicht schmälert. Frau sein ist kein ständiger Konkurrenzkampf, und doch wird es leider von vielen meiner Geschlechtsgenossinnen (noch) so gesehen. Und das hat gesamtgesellschaftliche Auswirkungen – die so weit gehen, dass Frauen pauschal anderen Frauen gewisse Kompetenzen absprechen, ohne auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben.

Als ich vom Klo zurückkomme, hält mich ein junger Mann auf, der an der Bar steht. Im Gegensatz zu Sophie fragt er mich nicht, ob er mich anquatschen darf, er tut es einfach.

»Hey, ich wollte dir noch was sagen. Deine Comedy ist zwar gut, aber du kannst gern noch ein bisschen selbstbewusster werden«, sagt er mir. Bumm. Das war leider nicht das Geräusch meiner Faust in seinem Gesicht, sondern der Laut, den ich immer dann in meinem Inneren höre, wenn mir jemand vorwirft, nicht selbstbewusst genug zu sein, oder wenn ich aufgrund von nicht vorhandenem Selbstbewusstsein nicht genug Respekt entgegengebracht bekomme. Lange hat man mir gesagt, ich müsse »nur selbstbewusster auftreten«, dann »würde mir so etwas nicht passieren« (was kompletter Bullshit ist, wenn man das mal ein bisschen genauer zerdenkt, denn wenn mich eine andere Person grundlos herablassend behandelt und damit noch dazu eine vermeintliche Schwäche von mir ausnutzt, ist das ja wohl ihre Charakterschwäche und nicht meine). Meine ganze Kindheit und Jugend über war Selbstbewusstsein ein Thema, da ich immer unter Schüchternheit und Angst vor öffentlichem Reden gelitten habe. Und jedes Mal, wenn mir jemand so einen Satz wie diesen an den Kopf knallt, reißt diese alte Wunde wieder auf. »Sei doch einfach selbstbewusster« – wuhuuu, danke für den großartigen Tipp, Manuel, warum bin ich nicht selbst schon darauf gekommen?

»Das ist schön, dass du mir mehr Selbstbewusstsein erlaubst. Danke, darauf habe ich gewartet«, entgegne ich und hoffe, dass er den Wink versteht.

»Auch dieses feministische Thema, dass Männer fürs Kinderzeugen mehr gefeiert werden als Frauen fürs Kinderkriegen«, spricht er weiter. Okay, er hat es nicht gecheckt. »Das ist zwar ganz nett, aber auf die großen Bühnen schaffst du es damit nicht. Damit wirkst du viel zu arrogant, viel zu verbissen.«

Auch das habe ich schon oft erlebt. Sobald ich als Frau gewisse geschlechtsbezogene Ungerechtigkeiten anspreche, damit den Leuten mal bewusst wird, was für Stereotype in unseren Köpfen verankert sind und wie wir sie ständig reproduzieren, gibt’s vor allem von Männern eins auf den Deckel. Man wird als »Emanze«, »Kampflesbe« oder »verbissene Männerhasserin« bezeichnet, die »eh niemand bumsen will«. Newsflash, Daniel, ich würde dich auch nicht bumsen wollen, und selbst wenn sich der Rest der Welt auch gegen mich als potenzielle Sexualpartnerin entscheiden würde, würde ich nicht sterben, da es zum Glück sehr gute Vibratoren gibt.

»Du bist mir hingegen richtig sympathisch.« Meine Stimme trieft nun vor Ironie und ich drehe mich um und gehe.

Wobei ich ihm in einer Hinsicht sogar recht geben muss. Ich hätte wirklich gerne einmal in meinem Leben das überzogene Selbstbewusstsein von Typen, die mir meinen Beruf erklären wollen, obwohl sie noch nie selbst auf einer Comedy-Bühne gestanden haben, weil sie denken: »Ich hab’ mal ein Ricky-Gervais-Special auf Netflix gesehen, ich habe quasi Comedy studiert, das muss reichen.«

Mit »diesem feministischen Thema«, mit dem ich »zu arrogant und verbissen« wirke, habe ich es übrigens unter anderem zum Stuttgarter Comedy Clash geschafft, wo ich vor 500 Leuten aufgetreten und in der ARD Mediathek gelandet bin. So viel zu seiner professionellen Einschätzung, mit den großen Bühnen würde das nix werden.

In diesem Buch wirst du noch viele Ratschläge lesen, die ich von Männern bekommen habe, obwohl ich sie nie darum gebeten habe. Manchmal kommen diese Ratschläge auch von anderen Frauen. Manchmal bekomme ich keine Ratschläge, sondern gleich dumme Sprüche und Verurteilungen aufgrund meines Geschlechts oder werde deshalb schlechter behandelt. Ich werde, um meine größten Fans auf Instagram zu zitieren, nicht »rumheulen«, weil mein Leben ja »ach so scheiße ist«, obwohl es »anderen noch viel schlechter geht«. Das Einzige, was ich machen werde, ist, dich in meinen Alltag mitzunehmen – meinen Alltag als Comedienne, als Influencerin, als Trash-TV-liebende Seele und vor allem: in meinen Alltag als Frau. Ich bin zwar cis, weiß, finanziell wie bildungstechnisch mittlerweile gut aufgestellt, habe keine Behinderung und gelte wohl als normschön und habe daher wahrscheinlich nicht mal ansatzweise die Diskriminierung erlebt, die anderen weiblich gelesenen Personen, die in der obigen Aufzählung ein paar Boxen mehr abhaken können, jeden Tag widerfährt. Das ist mir bewusst, während ich diese Zeilen tippe, und es sollte auch dir bewusst sein, während du sie liest: Alle Situationen, die ich beschreibe, hat eine andere Frau wahrscheinlich zehnmal schlimmer erlebt, weil bei ihr vielleicht noch mal andere Formen von Diskriminierung mit reinspielen als »nur« Sexismus (als wäre eine Diskriminierungsform nicht schon beschissen genug). Ich will meine Probleme nicht kleinreden. Ich bin kein Fan von virtuellen Schwanzvergleichen der Sorte »Wer von uns hat die größten Probleme?«, und den Satz »Check deine Privilegien« kann ich nicht mehr hören, weil er so inflationär und oft auch unreflektiert verwendet wird. Und doch finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen. Jeder Mensch kämpft seinen eigenen Kampf – aber manche haben von Geburt an bessere Waffen in die Wiege gelegt bekommen. Ich bin dabei ganz gut weggekommen, und dennoch ist mir nur aufgrund meines Geschlechts und meiner sexuellen Orientierung so viel Fragwürdiges widerfahren, dass ich darüber ein Buch schreiben könnte – was ich also tue. Und weil ich nicht rumheulen will, habe ich mir einen Spaß daraus gemacht. Denn manchmal, wenn alles beschissen läuft, hilft es am besten, mal so richtig laut loszulachen. Das wirst du beim Lesen dieses Buchs wahrscheinlich nicht tun, denn es wurde ja von einer Frau geschrieben und wir wissen alle: Das L in Frau steht für lustig.

KAPITEL 2Wie Frau es macht, macht sie’s falsch.

»Boah, Alter, du nervst ganz schön mit deinem Sportwahn«, sagte meine (mittlerweile ehemals) gute Freundin Lisa, als ich ihr für den Abend absagte, weil ich am nächsten Morgen zum Training verabredet war und zu dieser Zeit strikt auf Alkohol verzichtete. Ich war unzufrieden mit meinem Körper und wollte ihm keine leeren Kalorien zuführen. Auch wenn ich die Kalorien eines Gin Tonics heute nicht mehr als leer, sondern als voll mit Spaß betrachte, vertrat ich damals die faktisch richtige Ansicht, dass Alkohol absolut nichts für den Körper tut. Da soll noch jemand behaupten, man werde im Alter klüger – wer vorher noch nicht davon überzeugt war, dass eine Altersobergrenze bei Wahlen sinnvoll wäre, ist es hoffentlich jetzt. »Es ist so nervig, dass man mit dir nirgendwo hingehen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu kriegen, weil du nur Wasser trinkst und gesund isst. Das macht keinen Spaß«. Okay, Lisa, dir zeige ich’s!, dachte ich mir dann. Als wir uns am nächsten Tag in der Uni trafen und zusammen mittagessen gingen, bestellte ich mir eine Pizza mit extra Käse und aß sie komplett auf, obwohl ich nach der Hälfte schon kämpfen musste. Dazu trank ich ausnahmsweise sogar Cola mit Zucker. Schmeckt mir zwar nicht, aber ich wollte was beweisen. Falls du dich gerade fragst, ob ich behaupten würde, dass ich damals eine gefestigte Persönlichkeit und ein gesundes Selbstbewusstsein hatte, lautet die Antwort: Nein. Ich dachte, dass sich Lisas Bild von mir mit dieser Aktion um 180 Grad wenden würde – doch ich sollte mich täuschen. Sie verdrehte nur die Augen und sagte: »Du kannst dir Pizza und Cola reinziehen und trotzdem hast du so eine Figur? Ich hasse dich.«

Was mir von diesem Tag blieb? Eine gekündigte Freundschaft zu Lisa und die Erkenntnis, dass es als Frau komplett egal ist, was du machst – du machst es definitiv nicht richtig: Auf die Ernährung zu achten, ist generell kritisch, denn da fragt man sich ja zu Recht, ob du eine Essstörung hast. Pass aber auch auf, dass niemand sieht, wie du genüsslich noch Trüffelöl über deine riesige Portion Mac’n’Cheese träufelst. Hast du denn gar keine Angst um deine Figur? Ich hoffe, du ernährst dich die nächsten drei Tage nur von Salat. Und wenn du von Natur aus kaum zunimmst, tu bitte zumindest so, als würdest du auf deine Ernährung achten, sonst hasst dich jede andere Frau.

Hast du etwas mehr auf den Rippen, bist du fett, unattraktiv und lebst ungesund – und alle Ärzt*innen schieben ab sofort jedes Krankheitssymptom nur noch aufs Gewicht. Bist du schlank, bist du magersüchtig und solltest mal was essen, denn du weißt ja, »echte Männer stehen auf Kurven, nur Hunde spielen mit Knochen«. Trägst du gerne kurze Röcke und ausgeschnittene Oberteile, bist du billig, trägst du Rollkragen, bist du prüde. Trägst du gerne High Heels, solltest du darauf schon richtig laufen können, ansonsten ist es peinlich – wenn du es kannst, bist du ein Püppchen, das man nicht ernst nehmen kann. Sieht man dich niemals auf hohen Schuhen, hast du keinen Stil. Ich war mal mit ehemaligen Arbeitskolleg*innen zum Essen in einem schicken Restaurant verabredet und kam, wie immer, mit Sneakers. »Julia, noch stillosere Schuhe hast du nicht gefunden?«, war der Kommentar meines ehemaligen Kollegen – der dasselbe Modell in einer anderen Farbe trug.

Ähnlich ist es übrigens mit Make-up. Wer sich schminkt, ist eine Barbie, die will niemand haben, denn natürliche Schönheit ist das einzig Wahre. Wer sich nicht schminkt, macht nichts aus sich und ist ein graues Mäuschen.

 

Brüste zeigen ist übrigens geil, immer gerne, aber bitte nicht, wenn damit Kinder gestillt werden, das ist ekelhaft und abstoßend! Biologisch gesehen sind Brüste schließlich nur zum Ansehen da, irgendeine achselbehaarte Feministin hat sich nur mal ausgedacht, dass Kinder damit ernährt werden sollten. Wenn du sonst deine Brüste zeigst, bist du natürlich ein billiges Flittchen und hast es verdient, belästigt zu werden. Deck wenigstens deine Nippel ab, sonst wirst du auf Instagram zu Recht gesperrt.

Apropos Achselhaare: Wer die nicht rasiert, ist unhygienisch und ekelhaft, wer es doch tut, untergräbt die feministische Bewegung. So wie ich, wenn man einer meiner Instagram-Followerinnen Glauben schenken möchte. Ich habe einmal Werbung für eine Deo-Creme gemacht und gezeigt, wie ich sie auftrage, da kam eine Nachricht von einer Frau namens Saskia (solche Nachrichten kommen überdurchschnittlich oft von Saskias), die meinte: »Ich finde das nicht gut, dass du immer mit so perfekt rasierten Achseln herumrennst und dich so dem Patriarchat unterwirfst. Das setzt andere Frauen unter Druck, sich auch jeden Tag rasieren zu müssen.«

Dass ich mich bei Weitem nicht jeden Tag rasiere, sondern mir alle drei Wochen mal ein paar vereinzelte Achselhärchen entferne, weil ich sie mir vor ein paar Jahren habe lasern lassen, weiß Saskia natürlich nicht. Und dass ich das nicht getan habe, um mich »dem Patriarchat zu unterwerfen«, sondern weil ich das selbstbestimmt entschieden habe, weil ich fucking geruchsempfindlich bin und ich persönlich mit Achselhaaren immer mehr geschweißelt habe als ohne, wollte sie leider auch nicht hören. Sie wollte mich lieber als die Böse hinstellen, die den Feminismus untergräbt, anstatt sich an der eigenen Nase zu nehmen und zu realisieren, dass es den Feminismus um viel mehr Jahre zurückwirft, wenn eine Frau einer anderen diktieren will, wie ihr Körper auszusehen hat, als wenn eine andere sich selbstbestimmt entscheidet, sich die Achselhaare dauerhaft entfernen zu lassen.

Und hey, was machst du eigentlich in deiner Freizeit? Triffst du dich gern mit Freundinnen zum Kaffee und gehst shoppen? Du dummes, einfältiges Modepüppchen! Du liest gerne und bildest dich weiter? Bemitleidenswert, du hast sicher keine Freundinnen und einen Freund schon gar nicht.

Genieß auch ruhig dein Leben und geh mit deinen Freundinnen tanzen! Steh dann aber bitte nicht nur in der Ecke rum und weis alle Männer ab, du musst schließlich Spaß haben. Also zieh dir den Stock aus dem Hintern, niemand will eine prüde Langweilerin, um die man erst mal monatelang werben muss. Wir leben ja nicht im Mittelalter, niemand hat Zeit, sich unter dein Fenster zu stellen und dir Lieder zu trällern. Außerdem müsste man sich dafür erst mal eine Genehmigung holen, sonst ruft Herr Schulz von nebenan nämlich die Polizei. Also geh bitte ein bisschen aus dir raus.

Aber tanz und trink bloß nicht zu viel, das wirkt billig und du willst doch nicht den Ruf haben, eine Skandalnudel zu sein, oder? Wer bist du, Paris Hilton in den 2000ern? Ich bitte dich! Also knutsch bitte nicht gleich mit jedem Typen im Club und nimm schon gar keinen mit nach Hause, sonst musst du dich nicht wundern, wenn du bald als Stadtmatratze bekannt bist. So wie meine Studienfreundin Anna, die nach einer durchzechten Nacht mit ihrem Erstsemester-Tutor abgehauen ist und über die sich alle am nächsten Tag das Maul zerrissen haben, dass sie »leicht zu haben« sei. Die hat dann die Uni gewechselt, weil sie die Blicke und Tuscheleien nicht mehr ertragen konnte. Hätte sie aber auch echt vorher wissen können, dass es auf sie zurückfallen würde, dass ihr Tutor ein herumvögelnder Fuckboy ist – der übrigens für denselben Akt gefeiert wurde.

Sport machen ist toll, aber bitte nicht zu viel, sonst bist du entweder zu dünn oder zu muskulös und in beiden Fällen findest du niemals einen Mann. Oder eine Frau, wenn du darauf mehr stehst – Frauen werden immerhin nicht lesbisch, um danach eine Frau zu daten, die wie ein Mann aussieht.

Und wenn wir die Datingphase hinter uns gebracht haben (oder zumindest im gebärfähigen Alter sind, weil ab da sind wir nur noch Brutkästen auf zwei Beinen), kommen wir zum Thema Kinder: Wenn du keine Kinder kriegst, bist du nichts wert. Nur Frauen, die Kinder gebären, kommen ihrer Arterhaltungspflicht nach und sind richtige Frauen. Aber nur, wenn du auf »natürliche« Weise, also vaginal entbindest, sonst kannst du dein Kind ja gar nicht lieben. Gleiches gilt, wenn du bei der Geburt Schmerzmittel oder gar eine PDA nimmst.

Hast du ein Kind, hast du quasi kein Kind, denn gerade beim ersten Kind dreht und wendet sich dein Leben ja nicht um 180 Grad. Zwei Kinder sind okay, aber nur in einem pädagogisch wertvollen Abstand von zwei Jahren. Und wenn mindestens eins davon ein Junge ist, dem armen Vater kann man ja keine drei Weiber im Haus zumuten, mit wem soll er sonst Männerkram machen, obwohl er nie zu Hause ist? Bitte auch keine Zwillinge, die machen das Bindegewebe kaputt und sind einfach nur anstrengend. Ab drei Kindern wird’s langsam ein Fall für eine RTL-Zwei-Doku.

 

Und wenn dann mal Kinder da sind, hört der Spaß nicht auf. Wenn du so schnell wie möglich wieder arbeiten gehst, bist du eine Rabenmutter. Wieso setzt du überhaupt Kinder in die Welt, wenn du keinen Bock hast, dich um sie zu kümmern? Pass auf, Renate aus der Nachbarwohnung hetzt dir sicher bei der nächsten Gelegenheit das Jugendamt auf den Hals. Oh, du sagtest, dein Mann passt auf das Kind auf? Das ist ja toll von ihm, aber wie kannst du ihm das denn zumuten? Nur damit du mal deinen Spaß haben kannst? Pfui! Der Arme muss schließlich arbeiten und nach der Arbeit Bier trinken und Fußball schauen, wie es die Evolution für Männer vorgesehen hat! Das haben unsere Väter schließlich auch schon so gemacht, die wussten mit viel Glück gerade mal, wie ihre eigenen Kinder heißen. Die guten alten Zeiten! Hat uns schließlich auch nicht geschadet, dass unsere Väter sich nie um uns gekümmert haben. Sonst hätten sich ja die drei Jahre Therapie auch gar nicht gelohnt!

Ach, du hast Kinder und gehst nicht arbeiten? Was bist du denn für ein schlechtes Vorbild? Möchtest du deinen Kindern denn nicht etwas bieten können oder ihnen vorleben, dass Frauen sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden müssen?

 

Du willst dich von deinem Mann trennen, der dich schlecht behandelt? Die armen Kinder, die nun ohne Vaterfigur aufwachsen müssen!

Du bleibst mit deinem Mann zusammen, obwohl er dich schlecht behandelt? Die armen Kinder, die das mit ansehen müssen und im Ernstfall vielleicht sogar selber abkriegen! Die werden traumatisiert fürs Leben! Trenn dich und fang ein neues Leben an, sei eine starke, unabhängige Frau!

Apropos starke Frau, frag ruhig nach einer Gehaltserhöhung, aber pass auf: Wenn du selbstbewusst verhandelst und zu deinem Wert stehst, wirkst du schnell wie ein verbissenes Karriereweib und keiner wird mehr mit dir zusammenarbeiten wollen, weil du eine unsympathische Kuh bist. Hast du denn nichts aus der Heidi-Howard-Studie gelernt?

Lächle aber bitte auch nicht zu viel, wenn du mehr Gehalt forderst, sonst nimmt man dich nicht ernst. Frauen sind bekanntlich selbst dran schuld, wenn sie weniger verdienen als Thorsten aus der Buchhaltung, der drei Jahre weniger Berufserfahrung hat, weil sie halt einfach nicht verhandeln können. Pech. Meine ehemalige Arbeitskollegin Sabrina hat mal ein Seminar zum richtigen Verhandeln besucht, hat nächtelang geübt und wurde dann dennoch abgewiesen. Wenn das kein Beweis dafür ist, dass das Verhandlungsgen auf dem Y-Chromosom liegt!

 

Wir halten fest: Als Frau kann man nix richtig machen, egal, wie sehr man sich bemüht. Du kannst dich in der Luft zerreißen und versuchen, dreißig verschiedene Persönlichkeiten auf einmal anzunehmen, damit immer eine passende für deine aktuelle Umgebung dabei ist. Irgendjemand wird dein perfekt zur Unkenntlichkeit verändertes Ich dennoch kacke finden, weil »die ist zu perfekt, das ist unsympathisch, ich mag lieber Menschen, die klare Kante zeigen«. Und wenn du dann mal klare Kante zeigst, bist du eine Zicke.

 

Wenn du mich fragst: Hör nicht darauf, was dein Schwager, deine Chefin oder Tante Inge (die du nicht mal magst) von dir denken. Es ist egal, was du tust und wie sehr du darauf achtest, es jedem Menschen recht zu machen, irgendwer findet es immer scheiße. Mach also am besten einfach das, was du für richtig hältst – solange du damit niemandem schadest, versteht sich. Und nur fürs Protokoll: Das ist kein Aufruf, deiner verhassten Tante Inge Frostschutzmittel in den Tee zu kippen, auch wenn sie es noch so sehr verdient hätte.

KAPITEL 3Nicht mal ein bisschen Wimperntusche?

Ich habe meine ausgeleierte Jogginghose an, die ich mir über meine Yogaleggings gezogen habe, weil mir sonst draußen zu kalt gewesen wäre. Meine von Trockenshampoo erstickten Haare stecken in etwas, das sich »Messy Bun« nennt und bei anderen unaufgeregt lässig aussieht.

Bei mir könnte man dieses Gebilde auf dem Kopf mit vielen Adjektiven beschreiben, aber »unaufgeregt« und »lässig« zählen nicht dazu. Ich weiß nicht, wieso, aber meine Haare scheinen für diese Frisur, die sonst scheinbar jedem steht, nicht geeignet zu sein.

Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass viele idiotensichere Dinge bei mir nicht funktionieren. Ich zähle auch zu den wenigen Menschen, die keine Süßkartoffeln vertragen, obwohl die laut den Allergikerinnen meines Vertrauens das allergikerfreundlichste Lebensmittel ever sind.

Jedenfalls bin ich, gelinde gesagt, schlecht angezogen. Meine Schuhe – die einzigen gefütterten Winterschuhe, die ich habe, weil ich mir nie eingestehen möchte, dass es in Österreich Schnee gibt – lösen sich schon seit Jahren an den Seiten auf und wirken schmutzig, weil sie so einen komischen Grauton haben. Ich schwöre, sie hatten denselben Farbton, als sie mir mein Vater vor über zehn Jahren zu Weihnachten geschenkt hat, aber das glaubt mir niemand.

Ich bin ungeschminkt und verschwitzt, weil ich direkt nach dem Yoga zu diesem Treffen mit meinen Freundinnen gelaufen bin (folgt mir für mehr Fitness-Inspiration! #sportistmeinleben). Eigentlich wollte ich das Treffen absagen. Diesmal nicht, weil ich Alkohol nach wie vor verteufle, sondern weil ich schon ahnte, dass ich mich am Ende dieses Abends nicht gut fühlen würde.

Ich möchte anmerken, dass die Yogastunde, die ich davor gemacht habe, die schlimmste meines Lebens war, entsprechend bin ich auch überhaupt nicht entspannt und schon gar nicht in meiner Mitte, als ich bei der Wohnung meiner Freundin Lena ankomme, bei der wir heute trinken wollen. Als sie ihre Wohnungstür öffnet, schallt mir laute Musik entgegen. Helene Fischer. Oida! Ich werde nie darüber hinwegkommen, dass meine Freundinnen ernsthaft Schlager hören und es feiern.

Lena sieht aus wie das komplette Gegenteil von mir: nämlich super. Sie trägt haufenweise Make-up, ein kleines Schwarzes, eine tolle Strumpfhose und aus irgendeinem Grund Pumps, obwohl sie in ihrer eigenen Wohnung ist. Noch so eine Sache, die ich nie verstehen werde. Ist Lena Masochistin und hat mir nie etwas davon erzählt?

»Hab ich was verpasst?«, frage ich, als sie die Tür hinter mir schließt, und mustere ihren Aufzug.

»Ja, sorry, wir haben uns schon mal fertig gemacht«, sagt sie, als sie an mir vorbei in die Küche geht. »Gin Tonic?«

Ich nicke, aber bin immer noch verwirrt. »Fertig gemacht?«

»Wir wollen ja danach noch in den Volksgarten gehen!«, erinnert sie mich an dieses kleine Detail, das der eigentliche Grund war, weshalb ich absagen wollte. Fuck. Da war ja was.

Der Volksgarten ist eine Disco in Wien, die all das ist, was ich verachte: versnobt, überfüllt, teuer und den Preis nicht wert. Alle heiligen Zeiten denke ich, es wäre doch wieder mal lustig hinzugehen. Jedes Mal bin ich danach mindestens 50 Euro ärmer und schlecht gelaunt. Wenn ich dann höre, dass andere Leute dort schon 1000 Euro an einem Tag gelassen haben, bessert das meine Laune aber gleich wieder, weil ich mir denke, dass ich mein Leben dann ja doch ein Stück weit im Griff zu haben scheine.

»Keine Sorge, wir warten auf dich, du kannst dich auch noch in Ruhe fertig machen.« Lena drückt mir den Gin Tonic in die Hand und schiebt mich ins Schlafzimmer, wo meine anderen beiden Freundinnen, Sabrina und Sophie, warten. Sophie malträtiert Sabrinas glatte Haare mit einem Glätteisen, um sie noch mehr zu glätten. Als ich ins Zimmer komme, ist mein Gin Tonic schon halb leer. Wie sage ich ihnen, dass ich diese Verabredung als »gemütlichen Saufabend in der Bude in Jogginghose« abgespeichert hatte?