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Comedienne Julia Brandner will niemals schwanger werden und beschließt mit Mitte 20, sich sterilisieren zu lassen. Eine Entscheidung, die viele nicht verstehen und die gar nicht so einfach umzusetzen ist. In "I'm not kidding" erzählt Julia mit Humor und Offenheit, welche Hindernisse sie auf dem Weg überwinden musste (Gutachten über Zurechnungsfähigkeit!) und wie sie gegen gesellschaftliche Erwartungen und für ihre Sterilisation kämpfte, bis sie sich mit 28 Jahren endlich sterilisieren lassen konnte. Sie thematisiert Vorurteile gegenüber Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, und entlarvt den Druck der vermeintlichen "biologischen Pflicht". Eine ehrliche und unterhaltsame Lektüre über Selbstbestimmung und die Freiheit, das eigene Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.
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Seitenzahl: 287
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Julia Brandner
Originalausgabe
1. Auflage 2025
Verlag Komplett-Media GmbH
Konradinstr. 5
81543 München
www.komplett-media.de
2025, München
E-Book ISBN:978-3-8312-7180-1
Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg
Korrektorat: Elisa Garrett, Bayreuth
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München
Satz: Daniel Förster, Belgern
Herstellung und Auslieferung: Bookwire, Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH, Frankfurt am Main
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Für jede childless cat lady.
Hören wir nie damit auf, alten Männern mitunserer bloßen Existenz Angst zu machen.
Inhalt
Vorwort
»Ich finde es befremdlich, dass Sie sich haben sterilisieren lassen, aber ich verurteile es nicht.«
»Wenn du dann mal erwachsen bist, wirst du schon noch Kinder wollen.«
»Deine Eltern hätten dich lieber abtreiben sollen.«
Bullshit-Satz: »Keine Kinder zu wollen, ist ganz schön egoistisch!«
Bullshit-Satz: »Wer soll dich denn im Alter pflegen?«
Bullshit-Satz: »Aber was, wenn dein Partner mal Kinder will?«
Bullshit-Satz: »Aber du wärst doch so eine tolle Mutter!«
Bullshit-Satz: »Bei dir ist es auch besser, wenn du dich nicht vermehrst!«
Bullshit-Satz: »Du wirst nie wissen, was wirklich wahre Liebe ist!«
Bullshit-Satz: »Was ist, wenn du das später mal bereust?«
Bullshit-Satz: »Warte mal ab, meine Tante hat genauso gedacht und die hat jetzt drei Kinder!«
Bullshit-Satz: »Stell dir vor, deine Eltern hätten damals so gedacht, wie würde es dir damit gehen?«
Bullshit-Satz: »Du hast nur noch nicht den richtigen Partner gefunden!«
Bullshit-Satz: »Kinder geben dem Leben erst so richtig einen Sinn!« (Oder wie meine Mama sagen würde: »Du hast mich als Kind auch nicht gestört.«)
»Wenn Sie sich sterilisieren lassen wollen, muss eine Psychiaterin bestätigen, dass Sie zurechnungsfähig sind.«
Virales Rage-Posting
Unerwarteter Support
Das psychiatrische Gutachten
»Das ist dann aber für immer, das wissen Sie schon?«
War es das wirklich wert?
Und jetzt?
»Du kannst ja noch adoptieren!«
Dürfen Frauen nicht kinderwunschlos glücklich sein?
»Aber du bist der Gesellschaft doch was schuldig!«
»Wollen deine Eltern denn keine Enkelkinder?«
»Mörderin!«
Meine eventuelle Fehlgeburt
Selbstbestimmung ist nicht selbstverständlich
Die Gesichter hinter den Schwangerschaftsabbrüchen
»Willst du nicht auch? Dann könnten wir zusammen schwanger sein!«
Bin ich zu unromantisch?
Freiwilliges Pensionssplitting
»Du weißt ja nicht, was Müdigkeit ist, wenn du kein Kind hast.«
Kinder sind so fucking anstrengend!
Meine Gefühle bei Schwangerschaftsankündigungen
Sind Freundschaften zwischen Kinderlosen und Eltern möglich?
»Was, wenn dein Partner Kinder hätte?«
Wann ich es mir überlegen würde
»Väter sind ja noch mehr am Arsch, die müssen schließlich Unterhalt zahlen, während ihr euch ein schönes Leben mit seinem Geld macht!«
Meine Traumvorstellung von Familie
Kinder als Karrierekiller? Nicht für Väter!
Als Vater machst du nichts falsch, als Mutter nichts richtig
»Ja, recht hast, Michi, mach dir ein schönes Leben!«
»Du würdest doch sicher Kinder bekommen, wenn die Gesellschaft eine andere wäre.«
Wo Familien mit Kindern Nachteile haben
»Den Geburtsschmerz vergisst du eh!«
Gewalt im Kreißsaal ist keine Seltenheit
Wie sich Schwangerschaften auf den Körper auswirken
»Waaas? Du willst keine Kinder?«
Immer diese elende K-Frage
Warum die Kinderfrage schmerzhaft sein kann
»Irgendwann wirst du noch rumheulen, weil du keine bekommen hast!«
Regretting Motherhood hat viele Gesichter
»Kinder sind das größte Glück der Erde!«
Wenn man mit Schwangeren reden würde wie mit gewollt Kinderfreien
Diese Sätze sind meine Realität
»Hast du keine Angst, allein zu sterben und von deinen Katzen gefressen zu werden?«
Bereuen es ältere Menschen, keine Kinder zu haben?
»Aber du verpasst sooo viel!«
Ich setze mich endlich an erste Stelle
Danksagung
Quellenangaben
»Warum machst du so ein Drama draus,
dass du keine Kinder willst? Mach doch einfach!
Ist doch scheißegal, interessiert niemanden!«
Zitat: irgendein Jürgen auf Instagram
Schön wäre es, wenn Jürgen recht hätte. Aber sehen wir uns den Sachverhalt mal genauer an: Unter einem Posting, das meine Sterilisation mit 28 Jahren thematisiert, schrieb ein Typ: »Wenn es so weitergeht, wird der Tag kommen, da werden wir Frauen dazu zwingen müssen, Kinder zu bekommen, so leid es mir auch tut.« Das kommt dabei raus, wenn man The Handmaid’s Tale schaut und dabei Lack säuft. Dieser Kommentar war übrigens bei Weitem kein Einzelfall, sondern kam in ähnlicher Form noch viel zu oft vor.
Gern werden Kommentare dieser Art noch mit Herabwürdigungen meines Äußeren begleitet und mir wird gesagt, dass es bei jemandem wie mir eh besser wäre, wenn ich mich nicht vermehre – gleichzeitig scheinen alle etwas dagegen zu haben, dass ich es nicht tue. Den Sinn dahinter suche ich auch noch erfolglos.
Auf so ziemlich jeder Familienfeier mit entfernten Verwandten wurde ich vor meiner Sterilisation gefragt, wann es denn bei mir so weit sei, und wenn ich sagte, dass ich keine Kinder möchte, wurde es als jugendlicher Leichtsinn abgetan und nicht ernst genommen. Dass ich keine Kinder möchte, könne ich in meinem Alter ja noch gar nicht entscheiden – unabhängig davon, wie alt ich bin, denn für diese Entscheidung ist man in den Augen der Gesellschaft immer zu jung. Wenn ich im selben Alter schon drei Kinder hätte, könnte ich das in den Köpfen meiner Verwandten aber durchaus, obwohl sich mein Leben in dieser Situation deutlich mehr und unberechenbarer verändern würde.
Wenn ich öffentlich sage, dass ich mich habe sterilisieren lassen – ohne irgendwen dazu aufzufordern, es mir gleichzutun –, wird mir vorgeworfen, ich würde »Propaganda« betreiben. Zum Glück lebe ich zumindest im deutschsprachigen Raum, wo ich mir dafür nur Beleidigungen und einen Kinderlosenzuschlag zur Pflegeversicherung gefallen lassen muss. Wäre ich in Russland, müsste ich, wenn ich öffentlich sage, dass ich keine Kinder will, seit 2024 umgerechnet 4.000 Euro blechen.
Wir halten also fest: Es ist nicht scheißegal, dass ich keine Kinder bekommen möchte, und es ist auch bei allen anderen Frauen nicht scheißegal, solange es von Männern gemachte Gesetze gibt, die über den weiblichen Uterus entscheiden. Solange sich Institutionen, die Politik und jeder private Jürgen über meine Entscheidung gegen Kinder aufregen, mich deshalb beleidigen, herabwürdigen oder gar bestrafen können, ist meine private Entscheidung gar nicht so privat. Im Gegenteil, sie wird hochgradig politisiert. »Kinderlose Katzenladys« werden zum Feindbild der funktionierenden Gesellschaft hochstilisiert, und das, obwohl wir Kinderfreie einfach nur in Frieden leben, Iced Coffee trinken und unser Leben im Rahmen der ethischen und moralischen Grundsätze nach unseren Vorstellungen gestalten wollen.
»Wenn du dann mal Kinder hast, wirst du dieses und jenes verstehen«, habe ich als Kind oft gehört und jedes Mal hat sich bei mir alles zusammengekrampft. Ich wollte nie Kinder und kann mir auch jetzt keine vorstellen. Als Kind und auch als Jugendliche bis ins junge Erwachsenenalter hatte ich allerdings kaum kinderfreie Vorbilder. Kinderfreie Frauen waren damals die »schrulligen« Tanten mit latentem Alkoholproblem und zu vielen Katzen, und ich habe mich nie getraut, offen zuzugeben, dass ich die trotz allem gesellschaftlichen Stigma deutlich cooler fand als die meisten Eltern. Auch jetzt ist es noch weit von der Normalität entfernt, dass es kinderfreie Frauen gibt und dass wir gar nicht so wenige sind – wahrscheinlich auch, weil die Gesellschaft Angst vor einem Zusammenbruch hat, wenn Frauen sich gehäuft dazu entscheiden, keine Kinder mehr zu bekommen.
Jedenfalls hatte ich lange das Gefühl, allein oder gar unnormal zu sein, weil sich der Kinderwunsch bei mir einfach nicht einstellen wollte. Wenn es dir auch so geht, möchte ich dir mit diesem Buch sagen: Du bist nicht allein. Mir geht es genau wie dir.
Wenn du gern Kinder möchtest oder gar schon welche hast, aber dieses Buch aus Interesse liest, möchte ich dir mit diesem Buch nicht sagen, dass du die falsche Entscheidung triffst oder getroffen hast.
Ich will mit diesem Buch niemandem seinen Kinderwunsch ausreden und ich werde niemals behaupten, dass meine Art zu leben die einzig richtige ist. Weder hasse ich Kinder noch vertrete ich ein antinatalistisches Weltbild. Wer Kinder bekommen möchte und in der Lage ist, sich um sie zu kümmern, soll es bitte tun. Ich freue mich auch für diese Menschen, wenn es klappt und sie darin ihr Glück finden.
Außerdem habe ich mit dem Buch nicht den Anspruch, dir eine Beratung geben zu können, ob du Kinder bekommen solltest oder nicht. Immerhin ist die Entscheidung höchst persönlich und sollte immer aus einem selbst heraus kommen. Und meine Entscheidung ist eben, keine Kinder zu bekommen – und wenn ich damit eine »kinderlose Katzenlady« bin, dann ist es so und ich trage diesen Titel mit Stolz, ebenso wie »Russlands Staatsfeindin Nummer 1«, »keine richtige Frau« und alle Bezeichnungen, die irgendwelchen Herberts ohne Profilbild auf Instagram noch so einfallen.
Die abwertend gemeinte Bezeichnung »childless cat lady« trifft mich nicht. Ich bin gern eine kinderlose Katzenlady (derweil noch ohne Katze) und setze mich damit an einen virtuellen Tisch mit anderen großartigen kinderfreien Frauen wie Taylor Swift, Ruth Moschner, Anna Kendrick, Miley Cyrus, Kim Cattrall, Oprah Winfrey und Dolly Parton. Wenn du dich ebenfalls dazusetzen magst, bist du herzlich willkommen!
»Ob du wirklich eine gute Expertin zum Thema ›Raus aus der Geburtenflaute‹ bist?«, witzelte meine Mama, als ich ihr erzählte, dass der Österreichische Rundfunk (ORF) mich in eine Talkrunde dazu eingeladen hatte. Sie hatte einen Punkt. Mich als Expertin zum Thema »Wie man aus der Geburtenflaute rauskommt« einzuladen, ist ein bisschen so, als würde man Andrew Tate fragen, wie man respektvoll mit Frauen umgeht. Andererseits geben Kinderlose bekanntlich die besten Erziehungstipps.
Früher habe ich solche Einladungen aufgrund des »fehlenden Budgets« seitens des Senders immer diplomatisch abgelehnt, dann irgendwann weniger diplomatisch, als ich erfuhr, was ORF-Moderatoren – absichtlich nicht gegendert – in Spitzenpositionen dort verdienen. Seitdem sage ich meiner Agentur, sie dürfen ORF-Anfragen gern mit dem Hinweis »Wenn Sie kein Budget haben, sparen Sie beim Jahresgehalt vom Kratky, der spürt das eh nicht« absagen. Auf meinen weiteren Vorschlag »Oder gehen Sie scheißen und suchen sich jemand anderen, der gratis für Sie arbeitet, obwohl er Ihr Gehalt finanziert« verzichten sie aber zugunsten des Friedens.
Dieses Mal jedoch hatte der ORF Zeitdruck, denn es sollte eine Muttertagssendung werden, die live am Sonntag, den 12. Mai 2024, ausgestrahlt werden sollte. Die erste Anfrage dazu erreichte mich am Mittwoch davor – fand ich eigentlich ganz sympathisch. Ich bin selbst bekannt dafür, immer erst am 24. Dezember Weihnachtsgeschenke kaufen zu gehen, und kann daher niemandem mangelndes Zeitmanagement vorwerfen. Scheinbar wollten sie mich auch unbedingt dafür gewinnen, denn mir wurden nicht nur Flug und Unterkunft bezahlt und ein Fahrer gestellt, der mich vom Flughafen abholen und wieder dorthin bringen sollte, sondern auch tatsächlich Geld überwiesen. Konnte man schon mal machen, dachte ich mir. Das war zusätzliches Shopping-Budget für meinen damals anstehenden Trip nach New York und ich plante, alles davon bei Victoria’s Secret zu verprassen.
Dass ich an diesem Abend keine Freundschaften fürs Leben schließen würde, ahnte ich ja schon vorab, allerdings wurde mir das tatsächliche Ausmaß dessen, was mir da alles an den Kopf geworfen wurde, erst in der Retrospektive so richtig bewusst. Ich habe das Geld dann lieber in meiner mentalen Bilanz für die Bezahlung eines Strafzettels und andere unangenehme Dinge wie die Stromrechnung ausgegeben, ansonsten hätte ich mich jedes Mal beim Anblick meiner dank Victoria und ihrer Geheimnisse phänomenal aussehenden Brüste in diese Sendung zurückversetzt gefühlt.
Eingeladen waren die SPÖ-Politikerin Selma Yildirim, die ÖVP-Politikerin Carmen Jeitler-Cincelli, die FPÖ-Politikerin Dagmar Belakowitsch (für alle, die sich in der österreichischen Politiklandschaft nicht auskennen, übersetze ich das kurz: eine halbwegs linke, eine konservativ-rechte und eine sehr rechte Politikerin) und Wolfgang Mazal, der Leiter des österreichischen Instituts für Familienforschung. Und ich. Obwohl ich die grauesten Haare der Runde hatte, drückte meine Anwesenheit den Altersschnitt um mindestens zehn Jahre.
Als ich die Besetzung dieser Sendung in meine Enge-Freunde-Story auf Instagram postete, schrieb mir ein Freund, bezogen auf die Diskussionsrunde: »Boah, da nimmst dir besser einen Speibkübel mit.« (Übersetzung für Nicht-Österreicher*innen: Kotzeimer.)
Das und das Bauchgefühl, dass ich in dieser Sendung nur wenige Verbündete haben würde, brachten mich dazu, mich ordentlich darauf vorzubereiten, nämlich, indem ich mir vor der Sendung zwei Aperol Spritz reinstellte. Am Gang zur Maske kam mir schon die strahlende Moderatorin Claudia Reiterer entgegen.
»Frau Brandner, schön, dass Sie es geschafft haben!«, begrüßte sie mich herzlich und zog mich zur Seite, bevor sie mit gedämpfter Stimme weitersprach: »Ich warne Sie schon mal vor, die Frau Belakowitsch ist der Meinung, dass der Kinderwunsch bei Frauen biologisch angelegt ist. Dafür entschuldige ich mich schon im Vorhinein bei Ihnen.«
Fängt ja schon gut an, wenn sich die Moderatorin im Voraus für ihre Gäste entschuldigt, dachte ich. Ich war allerdings nicht aufgeregt, sondern brachte es über mich zu grinsen. Hätte mich ja auch gewundert, wenn eine FPÖ-Politikerin eingeladen worden wäre, um eine fortschrittliche Ansicht zu vertreten.
Nach der Maske ging es ins Backstage und es herrschte eine eisige Stimmung. Niemand sagte etwas, außer die SPÖ-Politikerin Selma Yildirim und ihre Begleitung, die mich herzlich begrüßten und mir gleich das Du anboten. Im Hintergrund lief die ORF-Nachrichtensendung ZIB2. Fadestes Backstage ever. Dann weiß man zumindest seine eigene Branche wieder mehr zu schätzen.
In der Sendung wurde ich als Erstes von der Moderatorin angesprochen. Nachdem Frau Belakowitsch von der FPÖ in ihrem Vorstellungssatz meinte, der Feminismus sei schuld daran, dass es zu wenig Kinder gäbe, wurde ich gefragt, ob ich dem zustimme.
»Der Feminismus ist nicht schuld daran, dass Frauen keine Kinder mehr bekommen«, antwortete ich. »Es sind eher existenzielle Fragen. Frauen, die Kinder bekommen, werden vom Staat zu wenig aufgefangen, sie müssen einen zusätzlichen Menschen versorgen, haben aber insgesamt weniger Geld zur Verfügung – ist eine lustige Rechnung, die geht auch so nicht auf. Ich sehe immer mehr Frauen, die in der Altersarmut landen, weil sie sich um Kinder gekümmert haben, und ich sehe auch in meinem Freundeskreis, wie viele Beziehungen wieder in die alten Rollenbilder der 50er-Jahre zurückrutschen, weil Frauen nach wie vor tendenziell weniger verdienen als Männer und dann die besser verdienende Person weiterarbeitet, weil man von keiner Person erwarten kann, privat etwas gegen den Gender Pay Gap zu unternehmen.«
An dieser Stelle hat die FPÖ-Politikerin allein bei der Erwähnung des bösen G-Wortes die Augen verdreht. Dafür habe ich mich meinerseits mit einigen Augenrollern während ihrer Redezeit revanchiert, die leider nicht reingeschnitten wurden. »Sie haben das Thema für sich abgeschlossen und sich sterilisieren lassen. Warum?«, fragte die Moderatorin.
Ich ließ diesen Satz so stehen, obwohl – oder gerade weil – er Stille erzeugte. Die Moderatorin hatte sich sichtlich mehr erhofft und schwieg, als würde sie mir den Raum geben wollen, um Worte zu finden, die nicht kamen. Natürlich hätte ich ausführlich darlegen können, dass ich körperliche Schmerzen beim bloßen Gedanken an eine Schwangerschaft oder gar eine Geburt empfinde. Oder dass ich meinen Freundinnen nicht beim Stillen zusehen kann. Nicht weil ich es eklig finde, sondern weil mir meine eigenen Brüste nur vom Zusehen unerträglich wehtun und sich meine Angst vor allem Körperlichen, was mit dem Kinderkriegen einhergeht, mit jeder Horrorgeschichte, die ich darüber höre, potenziert.
Ich hätte sagen können, dass ich Angst habe, Verantwortung für so ein kleines Lebewesen zu übernehmen, weil ich ja schon mit dem liebsten und pflegeleichtesten Zwergpudel der Welt überfordert war. Grüße gehen raus an Leopold, der das beste Leben bei lieben Freunden von mir – einem ebenfalls gewollt kinderfreien Millennial-Ehepaar – und ihren drei anderen Tieren führt und öfter auf Urlaub fährt als die meisten Menschen.
Ich hätte erklären können, dass ich eine Reihe von Krankheiten habe, die ich nicht weitervererben mag.
Ich hätte sagen können, dass keine Kinder zu bekommen mein Beitrag zum Klimaschutz ist.
Ich hätte sagen können, dass ich Angst hätte, der Kindesvater würde mich allein mit dem Kind lassen und ich mich mit Unterhaltsstreits herumschlagen und mir dann Geldgier vorwerfen lassen müsste, weil ich die finanzielle Last des Kindes, die, ebenso wie sein Erbgut, gerecht auf zwei aufgeteilt sein sollte, nicht allein tragen will – obwohl das Kind eh schon bei mir wohnt, ich mich fast allein drum kümmere und selbstverständlich auch allein zu beschissenen Elternabenden muss.
Genauso viel Angst hätte ich, mein Kind aus Überforderung allein zu lassen und es zu traumatisieren oder selbst mit den Unterhaltszahlungen nicht mehr nachzukommen. Und wenn ich es durchziehen würde, ich bin sicher, ich würde irgendwann anfangen, Ausreden zu erfinden, um später nach Hause zu kommen. Ich würde länger als nötig auf Geschäftsreisen fahren, um mehr Zeit für mich allein zu haben, weil der Gedanke daran, meine Wohnungstür aufzusperren und ein Kind dahinter vorzufinden, für mich beklemmend ist. Wäre das fair einem Lebewesen gegenüber, das ich nicht mal gefragt hab, ob es auf die Welt kommen möchte, und das nichts dafür kann, dass es nun mal abhängig von einem älteren Menschen ist?
Ich hätte Angst, nicht mehr in meinen Beruf zurückzufinden, weil sich meine Arbeitszeiten schwer mit Kinderbetreuung vereinbaren ließen, und infolgedessen im Alter arm dazustehen, weil ich es mir nicht mehr habe leisten können, in meine private Pensionsversicherung einzuzahlen.
Ich hätte sagen können, dass ich mit Kindern nicht kann und ich mein eigenes daher so oft wie möglich bei anderen Menschen lassen würde, was dem Kind gegenüber auch unfair wäre. Ich würde mein Bestes geben, das Kind nicht spüren zu lassen, dass ich es eigentlich nicht von ganzem Herzen gewollt habe, weil es jedes Kind verdient hat, von ganzem Herzen gewollt zu werden. Aber Kinder sind nicht doof, Kinder spüren das. Und Kinder haben selten Respekt vor der Privatsphäre ihrer Eltern, deshalb würde mein Kind, wenn ich denn eins hätte, mich sicher das eine oder andere Mal nachts weinen hören, weil ich so sehr um mein altes Leben trauern würde.
Noch dazu finde ich das Mom-Bashing in dieser Gesellschaft furchtbar. Ich habe keine Lust auf die ganzen Dörtes, Saskias oder wie diese Obermamis alle heißen, die mich auf dem Spielplatz verurteilend anschauen, wenn ich meinem Kind auch mal Schokolade gebe, die nicht bio ist. Ich würde alle einzeln anschreien, die mir auch nur einen vorwurfsvollen Blick beim Elternabend zuwerfen würden, weil ich zu selten dort erscheinen würde und dann nicht bereit wäre, dort auch nur eine einzige Aufgabe zu übernehmen, sondern nur die anwesenden Väter anmeckern würde, dass sie doch was beitragen sollten. Die Mutter hatte mit der Schwangerschaft und der Geburt eh schon genug Arbeit.
Ich hätte sagen können, dass ich Angst hätte, dass meine Beziehung sich durch ein Kind verändert, weil ich so oft im Freundeskreis sehe, wie bis dato gleichberechtigt geführte Partnerschaften nach der Geburt des ersten Kindes wieder in die 50er-Jahre zurückfallen und die bis dahin beruflich erfolgreiche Anwältin zu Hause versauert und nur noch sich selbst verteidigt, wenn sie es nicht geschafft hat, neben dem ganzen Haushalt noch ein Fünf-Gänge-Menü auf den Tisch zu zaubern. Dass ich Angst hätte, meine Beziehungsperson zu hassen, wenn sie so tut, als sei sie unfähig, das Minimum an Care-Arbeit zu leisten, sich für das bisschen, das sie tut, aber feiern lässt, als hätte sie ein Mittel gegen Krebs entdeckt oder für Deutschland mehr als drei Punkte beim Eurovision Song Contest geholt.
Ich hätte wissenschaftliche Fakten zum Gender Pension Gap aufzählen können, der vor allem durch nicht angerechnete Kinderbetreuungszeiten oder die darauffolgende Teilzeitfalle entsteht, oder belegen, wie die Gehaltskurve bei Frauen rapide nach unten sinkt, sobald sie ein Kind bekommen, während sie bei Männern unbeirrt bergauf geht, obwohl diese sich doch auch um ihre eigenen Kinder kümmern könnten.
Ich hätte sagen können, dass ich so oft Familien um mich herum sehe und davon nur einen winzigen Prozentsatz, der glücklich wirkt.
Vielleicht hätte meine Erklärung auch sein können, dass ich meine Geburtstage lieber inmitten von Freunden und mit einem Gin Tonic zu viel feiere als damit, einem Kleinkind eine halbe Stunde dabei zuzusehen, wie es mit klebrigen Fingern einen Chicken Wing isst, weil ich aufpassen muss, dass es genug Kalorien zu sich nimmt, ohne dabei zu sterben.
Oder dass ich keine Ahnung hätte, wie ich mit Trotzphasen und Wutanfällen von Kindern umgehen soll, die sie nun mal bekommen, wenn man als Elternteil eine Banane falsch schält oder in einer Packung Gummibärchen zu wenig rote drin sind. Wahrscheinlich würde ich mich selbst einfach nur irgendwo einschließen, wo ich ungestört schreien könnte.
Ich sehe, wie Freundinnen keine Unterhaltungen mehr mit Erwachsenen führen können, weil sie ständig von ihren Kindern unterbrochen werden.
Eine mögliche Begründung hätte sein können, dass ich jedes Mal, wenn ich krank bin, total froh um mein kinderfreies Leben bin, weil es einer Mutter kaum möglich ist, sich stressfrei auszukurieren. Ich hätte auch einfach sagen können, dass ich gern schlafe.
All das hätte ich sagen können und all das wäre auch wahr gewesen. Nur all das geht niemanden außer mich etwas an und das müssen Außenstehende akzeptieren. Ich verlange ja auch von keiner Schwangeren und keinem Elternteil, sich ausführlich vor mir für ihre Entscheidung, ein Kind zu bekommen, zu rechtfertigen.
Es ging aber noch super weiter in dieser Sendung. Natürlich durfte die FPÖ-Politikerin sich gleich über den Feminismus echauffieren, der der Ursprung allen Übels sei, selbstverständlich ohne anzuerkennen, dass sie ohne den bösen Feminismus gar nichts in dieser Sendung zu suchen hätte, weil sie daheim am Herd stehen würde und ihr Mann sie noch schlagen dürfte, wenn sie es überhaupt wagen würde, eine eigene Meinung zu vertreten.
Dabei fiel der schöne Spruch: »Früher haben die Frauen BHs zerschnitten, heute schneidet man jungen Frauen Geschlechtsteile ab. Man darf auch nicht ignorieren, dass der Kinderwunsch biologisch angelegt ist.«
Selbstverständlich konnte ich sie im Lauf der Sendung noch beruhigen, dass meine Geschlechtsteile alle noch an Ort und Stelle sind. Wenn man aber schon mit Biologie argumentiert, wenn es um den Kinderwunsch geht, und eine Sterilisation mit abgeschnittenen Geschlechtsteilen gleichsetzt, frage ich mich, wie viel Biologie-Grundwissen vorhanden ist.
Nachdem mir dann die ÖVP-Politikerin, selbst dreifache Mutter, mitgeteilt hat, sie fände meine Entscheidung »befremdlich, aber ich verurteile es nicht«, fühlte sie sich noch berufen, mir zu sagen, sie würde an meiner Stelle aber davon absehen, meine Entscheidung so in der Öffentlichkeit zu propagieren. Wir hätten ja schließlich auch noch einen Generationenvertrag und damit eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber.
Lustig, ich kann mich nicht erinnern, jemals gesagt zu haben: »Hey, ich bin sterilisiert und ihr solltet das alle auch sein!«
Tatsächlich saßen wir die ganze Zeit in einer Sendung, in der es darum ging, wie man mehr Frauen zum Kinderkriegen animieren könnte. Ich war die einzige Person in dieser Runde, der es wirklich scheißegal ist, was andere Frauen mit ihrem Uterus anstellen – oder eben nicht. Aber natürlich bin ich diejenige, die etwas propagiert.
Hier zeigt sich wieder mal die Einstellung der Gesellschaft zu gewollt kinderfreien Frauen, denn einer Frau, die stolz ihren Babybauch auf Instagram postet, würde niemand vorwerfen, sie würde Schwangerschaften propagieren, obwohl doch eine Schwangerschaft ein großes gesundheitliches Risiko für eine Frau sein kann und gerade viele junge Frauen noch nicht sicher sind, ob sie überhaupt Kinder kriegen wollen. So ein offen gezeigter Babybauch, verbunden mit einem Strahlen, könnte die doch in ihrer Entscheidungsfindung manipulieren.
Wer mit seiner Familie in der Öffentlichkeit unterwegs ist, propagiert auch kein Familienleben, sondern ist einfach mit seiner Familie unterwegs. Wenn die Politikerin sagt, dass sie selbst schon in jungen Jahren Mutter geworden ist, muss sie sich auch nicht vorwerfen lassen, Teenager-Schwangerschaften fördern zu wollen. Jemand, der in eine Kinderwunschklinik geht und offen darüber spricht, bekommt in der Regel auch nur viel Glück dabei gewünscht und muss sich nicht anhören, dass man doch lieber adoptieren sollte, wenn es doch eh schon so viele Kinder gibt, die kein Zuhause haben. Da muss man doch nicht noch eins machen, nur um seine Gene weiterzugeben!
Man darf sich also einer aufwendigen, teuren Behandlung unterziehen, um ein Kind zu bekommen, aber wenn ich offen darüber spreche, dass ich mich habe sterilisieren lassen, ohne andere dazu aufzufordern, es mir gleichzutun, propagiere ich sofort etwas und handle gegen die Natur. Vielleicht ist der Kinderwunsch am Ende doch nicht biologisch angelegt, sondern steht auf einem eher fragilen Fundament. Sonst könnte doch keine fremde sterilisierte Person im Internet etwas so Gefestigtes ins Wanken bringen.
Das alles und noch viele weitere Dinge hätte ich in dieser Sendung gern gesagt. Zum Beispiel, dass ein Vertrag – und damit auch der Generationenvertrag, wenn man ihn schon so nennen will – nur geschlossen werden kann, wenn alle beteiligten Parteien ihm zustimmen. Lernt man im Jurastudium schon im ersten Semester. Den Generationenvertrag habe ich jedoch nie zur Vorlage bekommen und damit auch nie unterschrieben, ebenso wie alle anderen Kinderlosen. Ich hätte gern darauf hingewiesen, dass der Generationenvertrag schon lange zum Scheitern verurteilt war und darüber hinaus kein Naturgesetz ist, sondern etwas Menschengemachtes, weshalb auch Menschen, die in der Position dazu sind, sich eine Alternative dazu überlegen könnten und sollten, statt Frauen vorschreiben zu wollen, Kinder zu kriegen und sich damit in ein gesundheitliches und finanzielles Risiko zu stürzen.
Wenn man keine Ahnung hat, wo man die Kohle für eine solche Reform herkriegen sollte, könnte man ja mal ein paar Abgeordneten die absurd hohen steuerfinanzierten Gehälter kürzen. Immerhin schaffen die es ja nicht, eine Alternative zu einem so veralteten und noch dazu dysfunktionalen System wie dem Generationenvertrag zu finden, also scheinen sie ihren Job ja nicht sonderlich gut zu machen. Es gibt so vieles, das ich in dieser Sendung gern noch gesagt hätte. Warum ich es nicht getan habe? Der Hauptgrund dafür ist simpel: Ich war heillos überfordert.
Aus dem Nichts begannen die anderen Beteiligten plötzlich, sich gegenseitig anzuschreien. Ich verstand gar nicht, warum der Ton auf einmal so aggressiv wurde, vermute aber, dass ich irgendwie mitten in einem Wahlkampf saß, in dem jede Partei versuchte, die meisten Stimmen zu generieren. Allerdings passiert bei mir, wenn viele Leute durcheinanderschreien, nur eins: Mein Hirn schaltet einfach ab und macht sein eigenes Ding. Zum Glück wurde mir das später als Besonnenheit ausgelegt.
»Wie konntest du nur so ruhig bleiben? Ich wäre denen ins Gesicht gesprungen!« – »Ich hatte das Gefühl, du warst die einzige Erwachsene in einer Runde von Kindergartenkindern, denen man ihr Spielzeug weggenommen hat« – »Wie viel Valium hattest du bitte intus, dass du das so ruhig ertragen hast?«
Das waren nur ein paar Beispiele von Nachrichten, die ich zu meinem Auftritt bekommen habe. Ich finde die total lieb und habe mich sehr darüber gefreut, aber die Wahrheit ist: Wenn alle durcheinanderschreien, dissoziiere ich. Das ist wahrscheinlich eine Nachwirkung von vielen Streits in der Kindheit, aus denen ich mich so gut es ging raushalten wollte, weil ich Angst hatte, selbst zur Zielscheibe zu werden. Während die anderen sich anschrien, hatte ich einfach nur einen Ohrwurm von Tokio Hotels »Schrei« in meinem Inneren gehört.
Plötzlich kam das Ende der Sendung, die Kameras wurden wieder abgeschaltet – und alle waren ruhig. Es war, als hätte man mit der Abnahme der Mikros auch die Stimmen der Beteiligten wieder leiser gedreht, denn sobald keine Kamera mehr lief, stritt sich niemand mehr und keiner sprach lauter als ein Teenager, der nicht dabei erwischt werden will, wie er sich nachts zum Feiern rausschleicht.
Im Backstage wurde nur noch Wein getrunken und über den Eurovision Song Contest geredet, dessen Finale am Vortag stattgefunden hatte. Danach setzte ich mich in ein vom ORF gesponsertes Taxi und sagte dem Fahrer, er solle bitte so viel Trinkgeld aufrechnen, wie er möchte.
In meinem leichten Weinrausch im Hotel grübelte ich, ob ich mir nicht mehr Redezeit hätte erkämpfen sollen, aber dann las ich die Nachrichten von fremden Personen, die die Sendung gesehen hatten. Eine Frau schrieb mir: »Danke, dass du IM ZENTRUM grad so toll bist!«
Vielleicht hatte ich weniger Redezeit, als ich gern gehabt hätte, aber wenn es nach den Reaktionen der Zusehenden ging, hatte ich diese scheinbar zumindest sinnvoll genutzt.
So fasste meine Comedy-Kollegin Antonia Stabinger in ihrer FM4-Kolumne »Die Zudeckerin« die Sendung am nächsten Tag zusammen: »Da haben sie Frauen aus der Gegenwart und historische Frauenfiguren in eine Diskussionsrunde gesetzt, eine Debatte mit Zeitreise-Feature. Sagt die Gegenwartsfrau: Ich habe mich gegen Kinder entschieden. Darauf die historische Frau: Der Wunsch nach einem Kind ist biologisch in einer Frau angelegt, sonst wären die Menschen ausgestorben! Die Frau mit dem teuren Outfit: Kinder haben ist nicht eine Frage des Geldes, sondern des Mindsets! Darauf die, die an diesem Abend nicht zu Hause geblieben ist: Es gibt Frauen, die zu Hause bleiben wollen, warum muss ich mich da rechtfertigen? […] Auf jeden Fall einen Riesendank an den ORF für diesen großartigen Beitrag zum Thema ›Warum Feminismus noch wichtig ist‹.«
»Britney Spears ist schwanger«, las meine Mama im Jahr 2005 die neueste Promi-Schlagzeile aus einer Zeitschrift vor.
Ich war damals neun Jahre alt und ein großer Britney-Fan. Ich sang jeden Song von ihr in falschen Tonlagen mit noch falscherem Englisch, aber dafür mit großem Enthusiasmus mit und wollte so sein wie sie. Bis zu diesem Zeitpunkt zumindest. Ab diesem Moment war ich doch ganz froh, ich zu sein.
»Die Arme«, entfuhr es mir.
Meine Mama sah mich überrascht an. »Warum das denn? Ist doch was Schönes«, meinte sie.
Ich runzelte die Stirn. »Weiß ich nicht. Ich fände das nicht schön. So eine Geburt tut doch weh«, sagte ich.
»Stimmt«, nickte Mama. »Bei deiner Geburt hatte ich das Gefühl, dass mir jemand mit voller Wucht mit einem Hammer die Wirbelsäule zerschlägt, und ich hatte Angst, dass ich querschnittsgelähmt aus dem Krankenhaus rauskomme.«
»Klingt scheiße«, meinte ich, liebte meine Mama aber dafür, dass sie nichts beschönigte.
»Ist es auch. Aber wenn du dein Kind in den Armen hast, ist es das alles wert.«
»Das sagst du nur, weil du mir nichts anderes sagen kannst. Ich bin schließlich dein Kind«, meinte ich.
»Richtig«, stimmte Mama mir wieder zu. »Das würde ich aber auch zu allen anderen sagen, wenn mich jemand fragen würde, ob ich dich noch mal bekommen würde.«
»Du hattest halt auch Glück mit deinem Kind«, erwiderte ich. Bescheidenheit zählte schon damals zu meinen Stärken. »Würdest du das auch sagen, wenn du die Larissa aus meiner Klasse bekommen hättest?«
»Den singenden Scheißpfropfen?«, fragte Mama. Singender Scheißpfropfen hatte sich bei meinen Eltern als wenig charmanter Spitzname für diese Schulkollegin eingebürgert, weil die immer, wenn sie uns besuchte, ewig am Klo saß und dabei laut und schief sang. Wahrscheinlich, um andere Dinge, die dort passierten, zu übertönen. Jedes Mal, wenn sie aus dem Klo kam, konnten wir es danach aus olfaktorischen Gründen stundenlang nicht mehr betreten. Und sie war oft bei uns gewesen, weil ihre Mutter sehr streng und meine sehr cool war.
»Die kommt nur zum Scheißen zu uns«, pflegte mein Bonuspapa Wolfi zu sagen. »Ich glaub langsam, die haben zu Hause kein Klo.«
»Ich glaube, da wäre ich wirklich ein bisschen weniger glücklich gewesen«, gab Mama zu. »Wahrscheinlich hätte ich dich trotzdem lieb, aber ich hätte mich auf jeden Fall bemüht, dass wir eine Wohnung mit zwei Klos kriegen. Bestenfalls schallisoliert. Aber ich muss mir zum Glück keine Gedanken darüber machen, weil ich das tollste Kind bekommen habe.«
»Sagt das nicht jede Mutter über ihr Kind?«
»Ich habe die Mutter von Larissa beim letzten Elternabend gesehen. Die sah so verbittert aus, ich kann mir nicht vorstellen, dass die sonderlich glücklich mit ihrem Kind ist. Wenn die nur ein Klo zu Hause haben, würde mich das auch nicht wundern.«
In der Tat wirkte Larissas Mutter immer angepisst, wenn ich sie sah, und die Art, wie sie mit ihrer Tochter sprach, ließ mich immer schon vermuten, dass sie eigentlich nicht wirklich Bock auf sie hatte und eher genervt von ihr war. Ich glaube, ich habe diese Frau in den ganzen zwei Jahren, in denen ich mit ihrer Tochter in die gleiche Klasse ging, nicht einmal lachen sehen. In meiner Erinnerung hatte sie immer eine ausgeprägte Zornesfalte auf der Stirn und ihre Mundwinkel zeigten nur dann nicht nach unten, wenn sie ihre Tochter wegen nichts und wieder nichts zur Sau machte. Teilweise schimpfte sie mit Larissa wegen Kleinigkeiten, die meiner Mama nicht mal ein Achselzucken wert gewesen wären, zum Beispiel, wenn sie mal zehn Minuten länger als erlaubt fernsah.
Larissa tat mir immer leid mit ihrer Mutter, vor allem weil ich selbst dahingehend den Jackpot geknackt hatte. Natürlich kann ich mich als Erwachsene auch in Menschen einfühlen, die keine Lust auf Kinder haben, aber dann wäre es dennoch an Larissas Mutter gewesen, ihre Tochter das nicht allzu sehr spüren zu lassen – oder entsprechend kein Kind in die Welt zu setzen.
»Deshalb finde ich das ja auch mutig von Britney«, kam ich wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. »Erst schwanger sein, dann so eine Geburt und dann hat man vielleicht ein doofes Kind.«
»Lieben tut man es ja trotzdem«, sagte Mama. »Das wirst du schon merken, wenn du selbst eins hast.«
Ich ließ das Thema damit auf sich beruhen, aber irgendwie hatte ich damals mit neun Jahren schon das Gefühl, dass ich das wohl niemals merken würde. Ich war schon als kleines Kind selten angetan von anderen Kindern. Der Gang in den Kindergarten war sowohl für mich als auch für meine Mama jeden Tag ein neues Drama. Ich wollte meine Mama nie gehen lassen und hatte keine Lust, mich zu den anderen Kindern zu gesellen. Sie waren mir zu laut und ich war überfordert mit der Anwesenheit von so vielen kleinen Menschen, weshalb ich am liebsten bei den Erzieherinnen blieb, statt mit den anderen Kindern zu spielen.
Meiner Mama wurde deshalb nahegelegt, mich mal zu einer Psychologin zu schicken. Es müsse schließlich etwas falsch sein mit einem Kind, das im Kindergarten am liebsten allein in einer Ecke sitzt und Puzzles baut, malt, liest oder sich sonst irgendwie allein beschäftigt.
Eine meiner Lieblingsaktivitäten war es, verstecken zu spielen, aber ohne, dass mich jemand suchte. Ich wollte einfach irgendwo sein, wo mich die anderen in Ruhe ließen und ich ungestört meinen Gedanken nachhängen konnte. Wenn ich gezwungen wurde, mit anderen zu spielen, wusste ich meistens nicht richtig, was ich machen sollte.
Ich brauchte für alles eine Anleitung – und manchmal brachte nicht mal die was, wie sich in einem Hörtest zeigen sollte, den alle Kinder in der Gruppe machen mussten. Dabei bekam ich einen großen Kopfhörer aufgesetzt und mir wurde erklärt, ich sollte den linken Zeigefinger ausstrecken, wenn ich links einen Ton hörte und den rechten, wenn ich ihn auf der rechten Seite hörte. Einfache Aufgabe – sollte man denken. Ich kriegte es am Anfang auch gut hin, aber nach ein paar Minuten konnte ich es nicht mehr. Meine Konzentration war weg, ich war gelangweilt von der monotonen Aufgabe und mein Kopf machte sein eigenes Ding.
