Das lachende Baby - Caspar Addyman - E-Book

Das lachende Baby E-Book

Caspar Addyman

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Beschreibung

Das erste Lachen von Babys ist ein magischer Augenblick. Eltern erinnern sich immer daran. Wir wissen, dass ein Baby in den ersten zwei Jahren mehr lacht als in allen folgenden, aber warum sie so viel lachen, ist wenig erforscht. Der Entwicklungspsychologe Caspar Addyman ist diesem Phänomen mit einer groß­angelegten Studie nachgegangen und kommt zu dem Schluss, dass Lachen evolutionär tief in uns verwurzelt und wichtig für unsere frühe Entwicklung ist. Mit dem Lachen, das ist seine Erkenntnis, teilt uns das Baby seine Erfolge mit, und es lohnt sich, innezuhalten und zu betrachten, wie Babys gedeihen und sich anstrengen, größere Ziele zu erreichen. Addyman berichtet von der vorgeburtlichen Entwicklung, macht deutlich, wie sich gleich nach der Geburt die Bindung zwischen Mutter und Kind aufbaut, dass das erste Lächeln ­immer authentisch ist und Ausdruck davon, dass das Baby glücklich ist, satt und zufrieden. Er befragt psychoanalytische und philosophische Konzepte, erklärt, wie sich Babys durch ­einfache Vergnügungen wie Kitzeln und beim Baden mit Wasserspritzen ihres Körpers bewusst werden, was Lächeln im Schlaf bedeutet, wie wichtig Berührungen und Musik sind, und dass das Kuckuck-Spiel, das alle Babys begeistert, die reine soziale Interaktion ist.

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Seitenzahl: 554

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Über das Buch

Das lachende Baby erzählt von Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und zeigt, dass Lachen uns miteinander verbindet, dass es die Hintergrundmusik unserer Erfolge ist, dass es uns tröstet, dass es uns beschwingt.

 

Das erste Lachen von Babys ist ein magischer Augenblick. Eltern erinnern sich immer daran. Wir wissen, dass ein Baby in den ersten zwei Jahren mehr lacht als in allen folgenden, aber warum sie so viel lachen, ist wenig erforscht. Der Entwicklungspsychologe Caspar Addyman ist diesem Phänomen mit einer großangelegten Studie nachgegangen und kommt zu dem Schluss, dass Lachen evolutionär tief in uns verwurzelt und wichtig für unsere frühe Entwicklung ist. Mit dem Lachen, das ist seine Erkenntnis, teilt uns das Baby seine Erfolge mit, und es lohnt sich, innezuhalten und zu betrachten, wie Babys gedeihen und sich anstrengen, größere Ziele zu erreichen. Addyman berichtet von der vorgeburtlichen Entwicklung, macht deutlich, wie sich gleich nach der Geburt die Bindung zwischen Mutter und Kind aufbaut, dass das erste Lächeln immer authentisch ist und Ausdruck davon, dass das Baby glücklich ist, satt und zufrieden. Er befragt psychoanalytische und philosophische Konzepte, erklärt, wie sich Babys durch einfache Vergnügungen wie Kitzeln und beim Baden mit Wasserspritzen ihres Körpers bewusst werden, was Lächeln im Schlaf bedeutet, wie wichtig Berührungen und Musik sind, und dass das Kuckuck-Spiel, das alle Babys begeistert, die reine soziale Interaktion ist.

Der Autor

Dr. Caspar Addyman ist Dozent für Psychologie und Direktor des InfantLab an der Goldsmiths University of London. Er hat Mathematik und Biologie studiert und an dem renommierten Birkbeck Babylab promoviert. Wie Babys Sprache und Konzepte erwerben und ein Zeitgefühl entwickeln war Gegenstand seiner Forschung. Seit 2012 untersucht er, was Babys zum Lachen bringt und warum. Er lebt in London.

Caspar Addyman

DASLACHENDEBABY

Fröhliche Wissenschaft: Was Babys glücklich macht

Aus dem Englischen vonUrsel Schäfer

Verlag Antje Kunstmann

Für meine Mutter

Mit besonderem Dank an Lindsay Addyman und Imogen Heap für ihre großzügige Unterstützung bei diesem Buch

Inhalt

Einleitung: Was ist so lustig?

Kapitel eins: Eine Zeit vor dem Lächeln

Kapitel zwei: Alles Gute zum Geburtstag

Kapitel drei: Die kleinen Vergnügungen

Kapitel vier: Schlafen!?

Kapitel fünf: Die erste Berührung

Kapitel sechs: Kitzeln, Hinfallen und an den Zehen knabbern

Kapitel sieben: Spielzeugfreuden

Kapitel acht: Überraschung!

Kapitel neun: Lache, und die Welt lacht mit dir

Kapitel zehn: Der Klang des Glücks

Kapitel elf: Fröhliches Geplauder

Kapitel zwölf: Ja, Nein, Maybe Baby

Kapitel dreizehn: Freunde

 

Nachwort: Lachen ist wichtig

Literaturverzeichnis

Einleitung

Was ist so lustig?

Babys sind so ein schöner Weg, um Menschen zu beginnen.

Don Herold, amerikanischer Humorist (1889–1966)

Welch Meisterwerk ist doch der Mensch, wie groß an Vernunft, wie unbegrenzt an Fähigkeiten, an Gestalt und an Geste wie wunders harmonisch verschmolzen, im Tun wie gleich einem Engel, im Begreifen wie gleich einem Gott: das Schmuckstück der Welt, die Vollendung alles Lebendigen!

William Shakespeare, Hamlet, Zweiter Akt, 2. Szene

Selbst der düstere Prinz von Dänemark muss zugeben, dass Menschen etwas Großartiges sind. Dank Charles Darwin betrachten wir uns nicht mehr allein als den Gipfel der Evolution. Wir sind nur ein kleiner Zweig im Dickicht des Lebens. Wir besetzen eine Nische als soziale, aufrecht gehende Allesfresser. Wenn wir uns auf dem Planeten umschauen, sehen wir, dass wir viele gut angepasste Mitbewohner mit herausragenden Eigenschaften haben, die alle etwas ganz hervorragend können. Adler und Haie sind bessere Jäger als wir. Geparden und sogar Flusspferde können schneller laufen als wir. Grönlandwale leben länger als wir. Pflanzen und Amphibien haben größere Genome. Und Bakterien sind die heimlichen Herrscher der Welt. Aber kein Lebewesen ist so klug, so geschickt, so sozial, so kooperativ und so gefühlvoll wie wir Menschen, von künstlerischem Talent, Sprache und Musikalität ganz zu schweigen. Wir sind als Art beeindruckend, und dennoch kommen wir beinahe vollkommen hilflos zur Welt.

Andererseits: Wenn Menschenbabys nicht so hilflos wären, wären wir nicht so klug. Wenn unsere Babys nicht unsere Hilfe bräuchten, wären wir nicht so sozial. Die Verbindung zu unserem Nachwuchs macht uns sogar musikalisch und künstlerisch kreativ. Für beide sind die ersten beiden Lebensjahre das Trainingsset – für einen Wohlfühlfilm.

Babys sind eine reine Freude, und dieses Buch feiert ihre Leistungen und ihre Begeisterung dabei. Beides hängt eng zusammen. In ihren ersten beiden Lebensjahren arbeiten Babys sehr hart, doch für sie ist es wie Spiel. Sie lernen viel, und sie lachen viel. Neugier und Entzücken treiben sie an. Überraschende Entdeckungen und tägliche Fortschritte sorgen dafür, dass sie immer weitermachen. Von den Eltern kommen Unterstützung und Ermutigung – sie befriedigen die Grundbedürfnisse der Babys und strukturieren ihr Leben. Aber die Babys erklimmen die Berge und stehen triumphierend auf den Gipfeln.

In diesem Buch wird nicht aufgezählt, was man tun und lassen soll, wenn man einen Superhelden großzieht. Es ist kein Elternratgeber voller Empfehlungen und Warnungen. Es geht vielmehr um die Wissenschaft, ein Baby zu sein. Nicht als Vater, sondern als Entwicklungspsychologe interessiere ich mich für die Sicht der Babys. Ich möchte wissen, was sie denken, wie sie lernen und warum sie dabei so viel Spaß haben. Ein Baby zu sein ist ein großes Abenteuer mit vielen Höhen und Tiefen. Elternratgeber helfen Ihnen, die Tiefpunkte zu vermeiden, aber ich glaube, man kann auch von den Höhepunkten viel lernen.

Ich befasse mich seit 2005 wissenschaftlich mit Babys, aber erst 2012 habe ich begonnen, das Lachen der Babys ernst zu nehmen. Meine jüngere Schwester hatte gerade ihr zweites Kind bekommen, und mein jüngerer Bruder trat als Comedian auf. Ich überlegte, was wir alle gemeinsam tun könnten. Und dann hatte ich die Idee! Max konnte das Baby zum Lachen bringen, und ich konnte erklären, war um das funktionierte. Es stellte sich heraus, dass Comedians das Lachen ziemlich ernst nehmen, deshalb fand Max die Aufgabe zu leicht. Aber die Idee blieb in meinem Kopf, und ich überlegte, ob das Lachen von Babys ein angemessener Forschungsgegenstand war.

Wie ich feststellte, gab es bis dahin nur sehr wenig Forschung dazu. Lachen ist etwas Spontanes und deshalb schwierig im Labor zu untersuchen. Das gilt ganz besonders für Babys: Sie lachen zwar oft, es kann uns aber bisweilen Rätsel aufgeben, dass sie über gänzlich unerwartete Dinge lachen. Comedy für Babys ist schwieriger, als man vielleicht denkt. Nur wenige Wissenschaftler hatten die Herausforderung angenommen, das Lachen zu studieren; Lachen galt üblicherweise als Marker für etwas anderes, als eine Möglichkeit, um frühen Humor und Spaß zu verstehen, oder als Hinweis auf das Temperament des Babys und seine gute Laune. Selten betrachtete man Lachen als zentrales Element der Entwicklung.

Lachen kommt im Alltag eines Babys häufig vor und ist für alle Menschen immer faszinierend. Ich spürte, dass es wichtig sein musste. Ich richtete eine Website ein und entwarf eine detaillierte Studie zum Babylachen. Journalisten aus aller Welt berichteten über das Projekt, Tausende Eltern aus Dutzenden von Ländern füllten meinen Fragebogen aus. Hunderte andere schickten mir kurze »Feldstudien« und Videos von dem, was ihre Babys zum Lachen brachte. Ich nahm das Babylachen wirklich sehr ernst.

Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mit meiner Intuition im Wesentlichen richtiglag. Lachen ist wichtig für unsere frühe Entwicklung, und die Evolution hat das Lachen tief in uns verwurzelt. Das heißt nicht, dass Babys, die lachen, sich besser entwickeln. Es gibt keine empfohlene Tagesdosis Lachen. Am besten stellt man sich das Lachen als fröhliches Gegengewicht zum Weinen vor. Wenn ein Baby weint, konzentrieren wir uns nicht auf das Weinen an sich: Wir unterbrechen das, was wir gerade tun, und versuchen, das Problem zu lösen, von dem uns das Baby berichtet. Lachen ist das Gegenteil, damit teilt uns das Baby seine Erfolge mit. Ich glaube, es lohnt sich, innezuhalten und diese Triumphe näher zu betrachten. Tatsächlich könnte das der Sinn und Zweck des Lachens sein.

Während ich das Lachen studierte, dehnte sich mein Interesse auf all die Aspekte aus, wie Babys gedeihen und wie sie sich anstrengen, ihre größeren Ziele zu erreichen. Deshalb geht es in diesem Buch um die Gefühle der Babys, um ihre Kontakte, ihr Lernen und ihre Neugier. Es behandelt die ersten beiden Lebensjahre ungefähr in chronologischer Reihenfolge, aber ich habe vermieden, zu viele Meilensteine zu setzen. Meilensteine haben keine besondere Bedeutung. Jedes Baby geht seinen eigenen Weg. Dieses Buch befasst sich mit dem Weg, nicht mit dem Ziel.

Auch jenseits der ersten beiden Lebensjahre haben wir noch viel mit Wachsen und Lernen zu tun. Die Grundlagen, die wir schaffen, sind wichtig. Die Untersuchung unserer Anfänge hilft, uns selbst besser zu verstehen. Glauben Sie ja nicht, dass es in diesem Buch nur um Spaß und Spiele von Babys geht. Es steckt eine Menge ernsthafte wissenschaftliche Forschung darin, und ich werde viele Schlüsselkonzepte erklären, die weit über die Babyzeit hinaus Bedeutung haben. Wir werden uns mit so großen Fragen befassen wie der, wie der Geist arbeitet, wie wir uns entwickeln, was Gefühle sind und was Kunst ist. Dabei werden wir erleben, dass Babys es mit intellektuellen Giganten wie René Descartes, Sigmund Freud, Noam Chomsky und Ludwig Wittgenstein aufnehmen können.

Letzten Endes soll dieses Buch jedoch das Unmögliche leisten und den wunderbaren Klang eines Babylachens noch zauberhafter machen. Wenn mir das nicht gelingt, suchen Sie sich am besten ein Baby und lassen Sie sich von ihm unterhalten.

Eine Anmerkung zu den wissenschaftlichen Quellen

Im gesamten Buch bemühe ich mich, frühere Leistungen zu würdigen. Wissenschaft ist ein kooperatives und kumulatives Unterfangen. Isaac Newton prägte 1675 den berühmten Satz: »Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.« Wissenschaftlicher Fortschritt vollzieht sich durch Evolution. Revolutionen in der Wissenschaft verwerfen selten Früheres, sie verfeinern es eher. Wir streiten über die Details, aber wir arbeiten alle am selben großen Bild.

Nur ein kleiner Teil der Forschung in diesem Buch ist meine eigene, und meistens gebe ich nur eine Zusammenfassung. Es ist wichtig, die Personen zu würdigen, die die Arbeit geleistet haben, und darauf hinzuweisen, wo das vollständige Original zu finden ist. Populärwissenschaftliche Bücher verstecken diese Information oft in Fußnoten oder Endnoten oder lassen sie ganz weg. Ich ziehe das Verfahren vor, das psychologische Fachzeitschriften praktizieren: Wenn man eine Studie referiert, nennt man die Namen der Verfasser und das Erscheinungsjahr (Autor und Autor, Jahr). Eine frühe Arbeit über glückliche Babys stammt beispielsweise von Charles Darwin. Seine Schrift »Biografische Skizze eines kleinen Kindes« erschien 1877 in der Zeitschrift Mind, und der Verweis darauf sieht so aus: (Darwin 1877). Natürlich können Sie die Angabe überspringen. Aber immer, wenn Sie einen Verweis sehen, sollten Sie sich bewusst sein, dass diese Personen die wirkliche Arbeit geleistet haben. Der vollständige Titel des Werks und wo es veröffentlicht wurde finden sich im Literaturverzeichnis am Schluss des Buchs.

Auch auf Fußnoten habe ich verzichtet. Wissenschaftler sind ein pedantisches Volk, die immer Ausnahmen, Annäherungen und Alternativen hervorheben. Das ist für alle sehr mühsam, deshalb habe ich es gelassen (ich habe sogar versucht, Klammern zu vermeiden).

Kapitel eins

Eine Zeit vor dem Lächeln

Als das erste Baby zum ersten Mal lachte, zerbrach sein Lachen in tausend Stücke, und die hüpften alle herum, und so nahmen die Elfen ihren Anfang.

J. M. Barrie, Peter Pan, 1904

Das erste Lachen eines Babys ist ein magischer Augenblick. Eltern erinnern sich noch nach Jahren daran. Es passiert irgendwann nach den ersten Wochen bis zum Alter von vier oder fünf Monaten, und das erste Lachen wird sehr wahrscheinlich klein und fein sein, ein leichtes, gehauchtes Glucksen. Ein Baby kann die schnellen Kontraktionen der Zwischenrippenmuskeln noch nicht koordinieren, die nötig sind, um richtig zu lachen, aber der Klang ist trotzdem eindeutig.

Für den griechischen Philosophen Aristoteles ist der Moment, in dem wir zum ersten Mal lachen, der Zeitpunkt, an dem die Seele in den Körper einzieht und wir wirklich zu Menschen werden. Er meinte, das Lachen unterscheide uns von den Tieren. Damit irrte er sich natürlich. Auch Tiere können lachen und tun es, die Grenze zwischen uns und anderen Arten ist graduell, eine Sache von Genen und Kultur. Statt von Seele würden wir heute wohl von »Bewusstsein« sprechen, und wir wissen, dass es langsam entsteht.

Das erste Lachen eines Babys ist ein ganz besonderes Ereignis, das als große Veränderung erlebt wird. Manchmal ist es eine spontane Bekundung des Wohlbefindens und der Zufriedenheit: »Ich habe es warm und bin glücklich und voll mit Muttermilch.« Oder es ist die Reaktion auf etwas, das das Baby sieht, etwa einen Schatten an der Wand. Am allerbesten ist es, wenn das Lachen durch etwas ausgelöst wird, was ein Elternteil macht – ins Zimmer zurückkommen oder dem Baby einen Kitzelkuss geben. Wie flüchtig das erste Lachen auch sein mag, Eltern werden darin erkennen, dass Lachen »ein aufgeplatztes Lächeln« ist. Zum ersten Mal bringt ein Baby sein absolutes Entzücken über die Welt zum Ausdruck.

Die meisten Eltern vergessen diesen Augenblick nie. Als ich 2012 eine weltweite Umfrage zum Babylachen durchführte, machte sich eine Mutter, Mary, die Mühe, mir ausführlich über den »engelsgleichen Ton« zu schreiben, den ihre kleine Tochter von sich gab, als sie ihren Bauch küsste. Das Ereignis lag mittlerweile 42 Jahre zurück, aber für Mary war es immer noch ganz präsent, und der Gedanke dar an ließ sie »lächeln vor GLÜCK«. Viele Geschichten klangen ähnlich. Das ist ziemlich erstaunlich, weil die Erinnerung von Erwachsenen im Allgemeinen sehr vage und unbestimmt ist. Was haben Sie gestern zu Mittag gegessen, was haben Sie an Ihrem letzten Geburtstag gemacht? Nicht viele Ereignisse in unserem Erwachsenenleben prägen sich wirklich gut ein. Selbst Hochzeitstage verschwimmen. Aber das erste Lachen unserer Kinder, ihre ersten Schritte, die ersten Worte bleiben uns im Gedächtnis und bringen uns noch Jahrzehnte später zum Lächeln. Erinnerungen an das erste Lächeln können schlechter fassbar und diffus sein. Eltern fällt es meistens schwer, zu sagen, wann das Kind zum ersten Mal lächelte, und noch schwerer, sich daran zu erinnern. Dabei spielen mehrere Dinge eine Rolle. Ein Lächeln ist nicht nur unmerklicher und flüchtiger, den Eltern wurde auch vielfach beigebracht, an ihrem eigenen Urteil zu zweifeln.

Immer wieder hört man, ein Lächeln vor der sechsten Lebenswoche habe nichts zu bedeuten; es sei nur aufgestaute Luft oder ein Zeichen, dass das Baby gerade in die Windel macht, und nicht wirklich ein Ausdruck von Vergnügen oder Zufriedenheit. Dieser Mythos ist weitverbreitet und hält sich hartnäckig. Ich bin ihm sogar auf Hebammenseiten im Internet begegnet. Ich lehne diese Auffassung radikal ab. Natürlich ziehen Babys komische Gesichter, wenn sie rülpsen oder pupsen. Doch sie lächeln auch aus echter Zufriedenheit. Die Eltern, die ich befragt habe, waren überzeugt, dass sie bei ihrem Baby schon ganz früh echtes Lächeln gesehen hatten, und ich glaube ihnen. Zweifellos sind Eltern ein bisschen voreingenommen, aber sie beobachten ihr Baby auch genauer als jeder andere. Niemand bezweifelt, dass die ersten Schreie und die ersten Tränen echt sind. Wenn ein Baby unglücklich ist, erkennt das jeder. Doch seltsamerweise bestreiten Experten oft, dass frühe positive Gefühle echt sind, und behaupten, das erste Lächeln sei kein »richtiges Lächeln«.

Das macht es noch schlimmer: Frischgebackene Eltern hören von Experten, dass sie sich bei einer so grundlegenden Sache irren. Weil sie ohnehin unsicher sind, ist das nicht gerade hilfreich. Die Schlüsselbotschaft dieses Buchs lautet, dass Eltern und ihre Babys das meiste selbst herausfinden. Niemand ist auf ein Baby perfekt vorbereitet. Aber Eltern wissen mehr, als sie denken, und sie lernen schnell. Für das Baby sind die ersten Lebenswochen sogar noch anstrengender und verwirrender, aber ihr zaghaftes Lachen und Lächeln sind Zeichen, dass sie Fortschritte machen. Niemand sollte ihnen das wegnehmen. Glücklicherweise werden wir feststellen, dass die Eltern recht haben und nicht die Experten, denn Babys können Freude sogar schon vor der Geburt empfinden und ausdrücken.

Ein weiterer Meilenstein für junge Mütter wird oft übersehen. Wann hat das Baby seine Mutter zum ersten Mal zum Lachen gebracht? Das passiert früher, als man gemeinhin denkt. Natürlich kann es ganz am Anfang ein breites Lächeln geben. Vielleicht, wenn die Mutter erstmals vermutet, dass sie schwanger ist. Oder wenn der zweite blaue Strich auf dem Schwangerschaftstest die Vermutung bestätigt? Oder vielleicht ein bisschen später, wenn sie eine andere Mutter mit ihrem neugeborenen Baby sieht und ihre Zukunft dadurch für sie konkreter wird?

Heimliche Freude

Aber ich meine nicht diese Augenblicke. Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Baby seine Mutter zum ersten Mal direkt zum Lachen bringt, wenn sie spürt, dass es sich in ihrem Bauch bewegt. Eine gute Freundin hat mir erzählt, dass sie lachen musste, als sie merkte, dass ihre ungeborene Tochter Schluckauf hatte. Doch auch viel harmlosere Dinge bringen eine Mutter zum Lächeln. Oft ist es einfach die Freude über eine greifbare neue Realität.

An Chitra Ramaswamys Buch Expecting über ihre Schwangerschaft gefällt mir eine Passage ganz besonders. Darin schildert sie, wie sie mit Freunden zum Abendessen ausgeht, um ihren Geburtstag zu feiern. Im fünften Monat schwanger, kann sie die exotischen Köstlichkeiten auf der Speisekarte nicht wirklich genießen, und die Bewegungen ihres Babys lenken sie vom Gespräch mit ihren Freunden ab.

Ich nippte am Champagner, der eher wie Apfelmost schmeckte, und tat so, als würde ich der Unterhaltung folgen, während das Baby in meinem Bauch strampelte. Ich erzählte nichts von diesem kurzen Feuerwerk. Ich hatte nicht das Bedürfnis, dar über zu sprechen. Niemand anderer konnte es spüren, niemand anderer konnte es verstehen. Es war mein geheimer Morsecode, der eine Botschaft an mein Inneres sandte. Freude durchströmte mich. Es war einer der glücklichsten Augenblicke in meinem Leben, ich kann ihn zurückrufen, wann immer ich will, und ich tue es oft (Ramaswamy 2016, S. 84f.).

Diese ganz private Freude wurde zu einem der glücklichsten Augenblicke in ihrem Leben. Ramaswamy zitiert dazu auch eine Schlüsselszene aus Tolstois Anna Karenina, einem Meisterwerk des Realismus. Anna ist schwanger mit dem Kind ihres Geliebten Wronski, aber zwischen ihnen stehen hohe Hindernisse, denn sie ist mit einem anderen verheiratet. Sie hat geträumt, dass sie bei der Geburt sterben wird, und erzählt es Wronski, was zu einer weiteren angespannten Diskussion über ihre aussichtslose Affäre führt. Doch plötzlich werden Annas große Ängste von einem Glücksgefühl in den Hintergrund gedrängt, als sie spürt, wie sich das Baby in ihrem Bauch bewegt.

Jahrtausendelang waren die ersten Kindsbewegungen das erste große Ereignis in der Schwangerschaft. Bevor es Schwangerschaftstests und moderne medizinische Methoden gab, konnte eine Frau erst von da ab mit Sicherheit sagen, dass sie schwanger war. Die alten Griechen und Römer glaubten, in dem Augenblick ziehe die Seele in den Körper ein. Sie dachten, die Bewegungen zeigten den Zeitpunkt an, in welchem dem Fötus Leben »eingehaucht« werde – animus und anima sind die lateinischen Wörter für Geist und Seele, und beide haben ihre Wurzeln in einem noch viel älteren proto-indoeuropäischen Wort für Atem oder Atmen.

In der Rechtsordnung sind die ersten Kindsbewegungen ebenfalls der Zeitpunkt, der Leben von potenziellem Leben trennt. Im englischen Common Law war Abtreibung bis zu diesem Augenblick zulässig, und Angriffe auf eine Frau, die zu einer Fehlgeburt nach den ersten Kindsbewegungen führten, wurden schwerer bestraft. Bis 1869 vertrat sogar die katholische Kirche diese Auffassung; Abtreibungen vor den ersten Kindsbewegungen galten als Vernichtung von potenziellem Leben und nicht von tatsächlichem Leben. Die juristischen Definitionen drehen sich heute darum, ob der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist. Das englische Recht geht davon aus, dass ein Fötus ab der vollendeten 24. Woche »lebensfähig geboren werden kann«, und juristisch zur Person wird ein Baby in dem Augenblick, wenn es seinen ersten Atemzug tut, in Deutschland ab Beginn der Geburt.

In der privaten Geschichte einer Schwangerschaft sind die ersten Kindsbewegungen ein großer Meilenstein. Die allerersten Regungen sind greifbare Freude, buchstäblich ein »berührender« Augenblick. Von da an hat die Mutter eine neue Verbindung zu ihrem kleinen Mitbewohner und kann damit beginnen, Mutmaßungen über seine Persönlichkeit anzustellen. Sie vergleicht die Bewegungen im eigenen Leib mit dem, was andere Mütter erleben – wird er oder sie eher spät am Abend munter oder früh am Morgen? Wie reagiert er oder sie auf Musik, auf die Stimmungslage der Mutter, auf Kaffee oder Kuchen?

Eine Frau, die zum ersten Mal Mutter wird, spürt die Bewegungen ihres Kindes üblicherweise zwischen der 16. und der 20. Woche. Beim zweiten Kind werden die Kindsbewegungen bereits einige Wochen früher wahrgenommen, weil die Uteruswände dünner sind. Aber der Fötus bewegt sich schon lange, bevor die Mutter es registriert. Die ersten Bewegungen erfolgen vier bis acht Wochen nach der Empfängnis. Zu dem Zeitpunkt kann die Mutter noch nichts spüren, denn der Fötus ist erst so groß wie eine Linse.

Schon vor Einführung der hormonellen Schwangerschaftstests in den 1970er-Jahren merkten die meisten Frauen die starken Veränderungen in ihrem Körper, wenn ein befruchtetes Ei sich eingenistet hatte. Alles beginnt mit einer Flut von humanem Choriongonado tropin (für Eingeweihte hCG), das freigesetzt wird, wenn sich die Plazenta bildet. Das hCG informiert die Eierstöcke, dass eine Schwangerschaft eintritt, und bringt sie dazu, weiter Progesteron zu produzieren, während die Plazenta die Produktion von Östrogen übernimmt. Die Spiegel dieser beiden wichtigsten weiblichen Hormone steigen die gesamte Schwangerschaft hindurch an. Ein drittes wichtiges Hormon, Oxytocin, kommt später, um die Zeit der Geburt, ins Spiel.

Progesteron erhöht die Körpertemperatur der Mutter und steigert ihren Stoffwechsel, was zusätzliche Energie erfordert – einer der Gründe, warum werdende Mütter dauernd müde sind. Progesteron setzt auch die Muskelspannung herab, was in späteren Stadien der Schwangerschaft nützlich ist, aber am Anfang Auswirkungen auf Magen und Darm haben und Sodbrennen durch den Rückfluss von Magensäure verursachen kann. Das Östrogen verändert Geruchs- und Geschmackssinn, und man vermutet, dass es schuld ist an der Morgenübelkeit mit Erbrechen und Magenkrämpfen. Zu allem Überfluss hat die Frau gerade erst festgestellt, dass sie schwanger ist. Es ist nur nachvollziehbar, wenn sie sich ein bisschen wackelig fühlt und im Dunkeln tappt, und da ist die erste Bewegung des Babys beruhigend.

Im Dunkeln können wir lauschen. Das Leben im Mutterleib abzuhören war 200 Jahre lang ein wichtiger Bestandteil der Geburtshilfe. Das schlichte Stethoskop und sein moderner Verwandter, das Ultraschallgerät, wurden beide von Geburtshelfern erfunden. 1816 entwickelte René Laënnec das Stethoskop. Es war ihm unangenehm, dass er sein Ohr auf den Brustkorb einer Frau legen musste, um ihr Herz abzuhören, und so erfand er ein Hörrohr. Laënnec und seine Kollegen erkannten, dass die neue Erfindung ihnen auch ermöglichte, den Herzschlag eines ungeborenen Kindes abzuhören. Die ersten Berichte über die kindliche Herzschlagfrequenz stammen aus dem Jahr 1821, von Laënnecs Schüler Jean-Alexandre Le Jumeau de Kergaradec (Wulf 1985). Das Y-förmige Stethoskop tauchte 1851 auf und hat sich seither nicht sehr verändert. Damit kann man den Herzschlag eines Babys ab der 22. Schwangerschaftswoche hören, allerdings in Abhängigkeit von der Lage im Mutterleib (und je nachdem, wie laut die Geräusche im Bauch der Mutter sind). Mit einem Stethoskop könnte man sogar feststellen, ob es Zwillinge werden.

Die Messung der fötalen Herzfrequenz und ihrer Variation gibt den Ärzten Aufschluss über den Gesundheitszustand des Fötus. Die Herzfrequenz wird durch zwei komplementäre Systeme geregelt, das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Das sym pathische Nervensystem steigert die Herztätigkeit, und das parasympathische hemmt sie. Normalerweise befinden sie sich im Gleichgewicht, und die Herzfrequenz geht mal herauf und dann wieder zurück. Ein sehr schneller oder sehr langsamer Herzschlag oder auch fehlende Variabilität können für Ärzte ein Warnsignal sein.

Der Pionier beim Einsatz von Ultraschall in der Gynäkologie war Ian Donald, Geburtshelfer am Glasgow Royal Maternity Hospital. Er wusste, dass hochfrequente Schallwellen in der Industrie zum Einsatz kamen, um Fehler bei Schweißnähten und Verbindungen zu entdecken, und fragte sich, ob das nicht auch bei Gewebe funktionieren könnte. 1955 besuchte er den Anlagenbauer Babcock & Wilcox in Glasgow. Donald brachte zwei Wagenladungen medizinische Proben mit und stellte fest, dass der industrielle Ultraschall anomale Signale von Tumoren und Zysten aufspüren konnte. Zusammen mit seinen Kollegen baute er ein eigenes Gerät und begann mit dem Einsatz in der Diagnostik. Ihre Erkenntnisse fassten sie 1958 in einem Artikel für die Medizinzeitschrift The Lancet zusammen (Donald, Macvicar und Brown 1958). Damit lösten sie eine Revolution in der medizinischen Diagnostik aus.

Ultraschall und die Aufzeichnung der Herzschlagfrequenz sind die beiden wichtigsten Säulen bei der Überwachung der Entwicklung des Fötus. Entwicklungsforscher wie ich nutzen diese Verfahren, um festzustellen, was Babys im Mutterleib erleben. Dank der Herzfrequenzmessung können wir sagen, wenn ein Fötus durch etwas überrascht wird. Mit dem Ultraschall sehen wir, wie ein Fötus sich als Reaktion auf Geräusche, Bewegungen oder andere Reize bewegt. Zusammen mit dem, was wir über die Biologie des heranwachsenden Fötus wissen, ergibt sich ein Bild, was ein Fötus im Mutterleib lernen kann.

Der Ultraschall zeigt uns, dass der Zellklumpen, der einmal das Herz wird, bereits in der sechsten Woche nach der Empfängnis schlägt. Zu dem Zeitpunkt ist der Embryo so groß wie eine Linse, aber Ohren, Mund und Nase sind bereits zu erkennen. Augen und Nasenlöcher sind nur zwei schwarze Pünktchen, Arme und Beine kleine Stummel, Finger und Zehen durch eine Art Schwimmhäute verbunden. Doch ein sechs Wochen alter Embryo bewegt sich bereits als Reaktion auf Berührungen im Bereich von Mund und Nase. Das sind einfach nur Reflexe, aber sie zeigen, dass das Nervensystem sich langsam ausbildet. Wir bekommen eine Vorstellung, warum Babys die Welt erkunden, indem sie alles in den Mund stecken.

Die Frucht des Leibes

In den nächsten beiden Wochen verdoppelt sich der Embryo bis zur Größe einer Heidelbeere, und dann verdoppelt er sich noch einmal bis zur Größe einer Himbeere (an Früchten und Gemüse orientierte Maßeinheiten scheinen der Standard in allen Babybüchern zu sein, die jemals geschrieben wurden). Um die 10. oder 11. Woche herum hat die kleine Erdbeere regelmäßige Schlaf- und Wachphasen. Die meiste Zeit ist der Mutterleib ein Schlafzimmer. Während der Schwangerschaft verbringt der Fötus über 90 Prozent seiner Zeit schlafend. Die Schlafphasen dauern rund 40 Minuten, es folgen wenige Minuten Aktivität, die im Lauf der Zeit mehr werden. Im Erdbeerstadium sind die Bewegungen minimal, aber eindeutig anstrengend, denn ab der 11. Woche kann man beobachten, dass der Embryo im Mutterleib gähnt (Joseph 2000).

Die 13. Woche ist das Pfirsichstadium, und eine gute Zeit beginnt. Das erste Trimester ist vorbei, ein Drittel der Schwangerschaft geschafft, der Embryo hat sich so weit entwickelt, dass wir ihn von nun an als Fötus bezeichnen. Die ersten willkürlichen Bewegungen kommen um die 16. Woche vor, wenn der Fötus ungefähr 11,5 Zentimeter groß ist, so groß wie eine Avocado. In den Wachphasen macht der Fötus Turnübungen. Jetzt ist er eindeutig als Mensch erkennbar mit einem großen runden Kopf und winzig kleinen Fingern und Zehen.

Die fötale Entwicklung ist nicht einfach nur der Prozess, der von einem heidelbeergroßen Klumpen zu einem munteren Baby führt. Die stetige Verwandlung in dieser Zeit ist nicht weniger dramatisch als die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. Es teilen und vermehren sich nicht einfach Zellen, sondern ihre Funktionen verändern sich, sie wandern im Körper an unterschiedliche Stellen, wo sie unterschiedliche Rollen erfüllen. Die Heidelbeere hat noch kiemenartige Strukturen, aus denen der Kiefer wird, und einen Schwanz, aus dem das Steißbein wird. Die meisten inneren Organe sind erst in der 20. Woche voll ausgebildet, und Nervenzellen wandern und verbinden sich noch nach der Geburt.

Wie bereits gesagt, wird die werdende Mutter die ersten Regungen irgendwann zwischen der 16. und der 20. Woche spüren (Avocado bis kleine Banane). In der Zeit findet üblicherweise die zweite Basis-Ultraschalluntersuchung statt. Der Arzt oder die Ärztin schaut sich den Fötus genau an, ob sich alles so entwickelt wie erwartet. Auf modernen Ultraschallbildern kann man das Geschlecht des Kindes erkennen, wenn man weiß, wonach man suchen muss. Wahrscheinlich schläft der Fötus während der Untersuchung, aber wenn er sich bewegt, kann es eine hübsche Überraschung geben. Im März 2015 gingen Jen Hazel und ihr Ehemann zur Ultraschalluntersuchung in der 14. Woche zu ihrem Arzt in Olympia im Bundesstaat Washington. Während der Untersuchung klatschte der Fötus – ein Mädchen – in die Hände. Jen schildert die Szene:

Wir kamen zum Ultraschall, und das Baby auf dem Monitor klatschte dreimal in die Hände. Ohne Musik, einfach so. Und mein Arzt sagte: »Singen wir doch mal was.« Mein Mann hielt seine Videokamera bereit, und der Arzt zeigte die Ultraschall aufnahme noch mal mit dem dreimal Klatschen, und wir sangen dazu: »If you’re happy and you know it [clap your hands].«

Sie singen nicht besonders gut – Jen muss zu sehr lachen, und ihr Mann ist offensichtlich nicht textsicher –, aber es ist ein herrliches Video. Nachdem sie es auf YouTube hochgeladen hatten, verbreitete es sich verständlicherweise viral. Bis zu dem Zeitpunkt, da ich das hier schreibe, hat es zwölf Millionen Klicks bekommen.

Kann ein 14 Wochen alter Fötus glücklich sein? Damit sind wir beim Kern dessen, um was es in diesem Kapitel geht. Gibt es eine Zeit vor dem Lächeln? Wann fangen Glücklichsein und Zufriedenheit an? Gibt es beides von Anfang an, oder beginnen die Emotionen erst irgendwann nach der Geburt? Jens Tochter Pip kam ohne Probleme und gesund zur Welt. Sie ist ein glückliches, verspieltes Baby und liebt Musik immer noch. Aber wie sah es aus, als Pip ein zitronengroßer Fötus von 14 Wochen war? War sie glücklich, und wusste sie es? Konnte sie es wissen? Eine einzelne befruchtete Eizelle, eine Zygote, weiß nichts von Glück und kann es nicht zeigen, genauso wenig der kleine Zellklumpen in der Blastozyste oder auch der gähnende erdbeergroße Embryo. Aufgrund vieler Erzählungen von Eltern in meiner Studie zu lachenden Babys glaube ich fest, dass ein erst wenige Wochen altes Baby echte Zufriedenheit zeigen kann. Aber wann geht es los? Wann ist ein Lächeln wirklich ein Lächeln?

Es gibt keine Untersuchungen über Freude bei Föten. Tatsächlich wüsste man nicht, wo man anfangen sollte. Aber Schmerz bei Föten ist ein guter Wegweiser zu Freude. Freude und Schmerz laufen über ähnliche Schaltkreise, und es gibt immer mehr Hinweise, dass ein Fötus am Ende des zweiten Schwangerschaftsdrittels, ungefähr in der 24. oder 25. Woche nach der Empfängnis, rudimentäre Schmerzempfindungen hat. Das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) veröffentlichte 2010 eine detaillierte Studie, in der alle verfügbaren Hinweise diskutiert wurden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass ein Fötus vor der 24. Woche keinen Schmerz empfinden kann (RCOB 2010).

Damit jemand Schmerz fühlen kann, müssen Nervensignale des unangenehmen Reizes zu einem Kortex gelangen, der sie verarbeiten kann. Wenn das Signal irgendwo aus dem Körper das Gehirn nicht erreicht, spüren wir nur eine dumpfe Empfindung. So funktioniert eine Lokalanästhesie: Sie blockiert die Nervensignale an der Quelle. Wenn die Signale den Hirnstamm und das Zwischenhirn erreichen, aber nicht an den Kortex weitergeleitet werden, spüren wir nichts. So wirkt eine Vollnarkose: Alle Signale vom Hirnstamm an den Kortex werden blockiert.

Vor der 24. Woche kann ein Fötus Schmerz nicht empfinden, weil noch nicht alle Verbindungen im Gehirn ausgebildet sind. Vor allem der Thalamus, eine Art Verbindungsstück zwischen Gehirn und Körper, ist noch nicht richtig mit dem Kortex (dem Teil mit den Falten und Rillen, der denkt) verschaltet. Das ist nicht allzu überraschend, wenn man bedenkt, wie kompliziert das Gehirn ist und wie aufwendig die Verschaltung. Jeder Teil muss mit jedem anderen Teil kommunizieren, und die Verbindungen sind lange, schlauchförmige Fortsätze von Gehirnzellen, die sogenannten Axone. Um eine Stelle mit einer anderen zu verbinden, müssen die Zellen in einem Bereich entstehen und zu dem anderen migrieren, dabei ziehen sie den Fortsatz hinter sich her.

Wie man sich vorstellen kann, ist das kompliziert, und die Verschaltung kann erst stattfinden, wenn es etwas gibt, mit dem sich die Nervenzellen verbinden können. Der Thalamus und der Kortex, ursprünglich die kortikale Platte oder Rindenplatte, wachsen unabhängig voneinander. Eine weitere Gruppe von Zellen entwickelt sich in der sogenannten Subplate unterhalb des Kortex. Von der 12. bis zur 18. Woche gelangen Verbindungen vom Zwischenhirn in die Sub plate und warten dort ab, während die kortikale Platte reift. Um die 24. Schwangerschaftswoche beginnen sie ihre Wanderung, um sich mit allen Bereichen des Kortex zu verbinden, ein Prozess, der bis zur 32. Schwangerschaftswoche weitergeht. Ebenfalls um die 24. Woche migrieren die Nervenzellen der Subplate-Zone selbst in verschiedene Bereiche des Kortex und verbinden diese miteinander. Beide Prozesse sind wichtig für das Schmerzempfinden. Ein 18 Wochen alter Fötus zuckt vor einem Nadelstich zurück und setzt sogar Stresshormone frei, aber er spürt den Schmerz nicht. Die Signale erreichen das Zwischenhirn und möglicherweise die Subplate-Zone, aber weiter kommen sie nicht. Das reflexhafte Zurückzucken und die Hormonfreisetzung gehen vom Hirnstamm aus.

Ab der 24. Woche gelangen Nervensignale allmählich bis zum Kortex. Die Aufzeichnung von Gehirnströmen bei sehr unreifen Frühgeborenen zeigt ab diesem Zeitpunkt koordinierte neuronale Aktivität als Reaktion auf einen Pieks in die Ferse. Das ist die vom RCGO formulierte Untergrenze für das Schmerzempfinden. Aber wie die Ärzte in ihrem Bericht schreiben, ist das zwar das theoretische Mindestalter, in dem Schmerz empfunden werden kann, aber das Bewusstsein dafür kommt womöglich erst später. Die Aktivität im Elektroenzephalogramm (EEG) ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht kontinuierlich wie bei einem Erwachsenen oder einem Neugeborenen. Es ist nicht klar, wann Schmerz wahrgenommen wird und ob die Erfahrung ein Bewusstsein braucht, das erst noch kommen muss.

Ab der 24. Woche beginnt sich das Gehirn ernsthaft zu vernetzen. Der sensorische Input durch Hören, Sehen und Berührung dringt zu den entsprechenden Bereichen des Kortex durch. Wechselseitige Verknüpfungen von Kortex und Hirnstamm entstehen ab der 26. Woche. Feedbackschleifen bilden sich, und die Föten können beginnen, willentliche Kontrolle über ihre kleine Welt im Mutterleib auszuüben. Sie hören, fühlen und sehen sogar Dinge, und sie fangen an zu lernen.

Es ist unwahrscheinlich, dass ein Fötus vor diesem Zeitpunkt etwas wahrnimmt. Aber im dritten Trimester nimmt er erstaunlich viel auf. In Untersuchungen zu Veränderungen der fötalen Herzfrequenz hat man festgestellt, dass ein Fötus ab der 26. Woche auf wiederkehrende Vibrationen reagiert und lernen kann, sie zu ignorieren. Er re agiert auch auf Veränderungen der Beleuchtung außerhalb des Mutterleibs, hört die Stimme der Mutter und spürt ihre Berührung durch die Bauchwand (Marx und Nagy 2015).

Meine liebste Untersuchung dazu ist die von Peter Hepper von der Queen’s University in Belfast (Hepper 1991). Er testete Neugeborene im Alter von zwei bis vier Tagen, um zu sehen, wie sie auf Musik reagierten, die sie im Mutterleib gehört hatten. Dabei machte er sich die Tatsache zunutze, dass viele Mütter Seifenopern anschauten. Die Hälfte seiner Stichprobe waren Fans der Serie Neighbours, die andere Hälfte nicht. Das bedeutete, dass die Hälfte der Babys im Mutterleib viele Male die eingängige Titelmelodie gehört hatte. Als er sie den beiden Gruppen auf der Säuglingsstation vorspielte, nahmen die Bewegungen und der Herzschlag bei den Babys, deren Mütter Neighbours gesehen hatte, im Vergleich zur Kontrollgruppe ab, sie schienen aufmerksam zu lauschen. Um auszuschließen, dass sie nicht einfach auf beliebige Musik reagierten, spielte er ihnen die Titelmelodie von Coronation Street vor, und es gab keine Reaktion. Ein zweites Experiment erbrachte ähnliche Ergebnisse, aber diesmal bekamen die Babys die Melodien noch im Mutterleib zu hören, über Kopfhörer auf dem Bauch der Mütter. Hepper schreibt, den Babys sei nicht nur die Musik vertraut geworden, sondern sie hätten sie auch mit dem ruhigen, entspannten Zustand in Verbindung gebracht, in den die Mutter beim Anschauen der Serie geraten sei.

Eine verblüffende Erkenntnis aus all diesen Studien ist, dass es anscheinend keine Rolle spielt, ob der Fötus aktiv ist oder »schläft«. Wie gesagt, ein Fötus ist nur 10 Prozent der Zeit aktiv, und die Phasen der Aktivität sind ein traumähnlicher Zustand, der kaum mit dem wachen Interesse eines neugeborenen Babys vergleichbar ist. Einige Forscher gehen sogar so weit zu sagen, der Fötus verbringe die gesamte Schwangerschaft in einem tiefen Schlaf. Der Bewusstseinsexperte Christof Koch schrieb in Scientific American:

Ich wette, dass der Fötus in utero nichts wahrnimmt; dass es sich für ihn so anfühlt wie für uns ein tiefer, traumloser Schlaf. Durch die dramatischen Ereignisse bei einer natürlichen (vaginalen) Geburt wacht das Gehirn jedoch abrupt auf. Der Fötus muss seine paradiesische Existenz in der geschützten, wassergefüllten und warmen Umgebung des Mutterleibs verlassen und gelangt in eine feindliche, luftgefüllte und kalte Welt, die seine Sinne mit absolut fremden Tönen, Gerüchen und Anblicken attackiert – ein höchst stressreicher Vorgang (Koch 2009).

Das ist ein sehr lebendiges Bild, aber ich bin nicht der Meinung, dass das Leben im Mutterleib in einem so sedierten Zustand stattfindet. Die Veränderungen der kindlichen Herzfrequenz in unterschied lichen Studien sprechen dafür, dass sie auf Ereignisse um sie herum reagieren, und ich denke, manche Eindrücke können dem Fötus sogar Vergnügen bereiten. Anekdotische Berichte von Babys, die auf Ultraschallbildern lächelten, gibt es seit 2000, seit die Auflösung der Bilder so gut ist, dass man Gesichtsausdrücke erkennen kann. Die Psychologin Nadja Reissland und ihre Kollegen von der University of Durham haben solche Bilder systematisch untersucht und dabei sieben fötale Gesichtsausdrücke unterschieden. Sie bestätigen, dass sowohl Weinen wie Lachen im Mutterleib »geübt« werden (Reissland, Francis, Mason und Lincoln 2011).

Reisslands Team nutzte moderne »4D«-Ultraschallaufnahmen mit hoher räumlicher und Tiefenauflösung in Echtzeit und untersuchte zwei Föten mehrfach zwischen der 24. und der 35. Woche. Jedes Mal zeichneten sie zehn Minuten lang den Gesichtsausdruck auf, und was sie sahen, klassifizierten sie mit einem Standardcodierungssystem, um objektive Aussagen zu erhalten. Gesichtsausdrücke können in ihre Mikro-Bestandteile zerlegt werden (gekräuselte Lippen oder angehobene Backen). Das Codierungsschema für sehr kleine Babys wurde angepasst, sodass man Ausdrücke definieren konnte, die ein »weinendes Gesicht« oder ein »lachendes Gesicht« ergaben. Manche wie eine gekrauste Nase gehörten zu beiden Gesichtern. Andere definierten nur Lachen (herausgestreckte Zunge und zurückgezogene Lippen) oder Weinen (heruntergezogene Oberlippe und gerunzelte Augenbrauen). Bei der Kombination der Daten von beiden Föten (zwei Mädchen) stellten die Wissenschaftler fest, dass der weinende Gesichtsausdruck in der Zeit zwischen der 24. und der 35. Schwangerschaftswoche von 0 Prozent auf 42 Prozent zunahm und der lachende von 0 Prozent auf 35 Prozent. Ein fröhlicher Gesichtsausdruck war genauso häufig wie ein kummervoller, und beide tauchen nach und nach auf, wenn der Fötus immer mehr Bewusstsein erlangt. Aus der Sicht des Babys gibt es keine Zeit vor dem Lächeln.

Deshalb sage ich auf entsprechende Fragen, dass Grimassen und Lächeln von Kindern in utero ab der 25. Woche etwas bedeuten. Ich glaube, da beginnt das fötale Bewusstsein für Freude und Schmerz. Das unterscheidet sich kaum von der Grenze von 24 Wochen im Bericht der britischen Geburtshelfer. Aber ich persönlich ziehe die 25. Woche vor, wenn der Fötus nach der universellen Obst- und Ge müse skala so groß wie eine Aubergine ist.

Eine frühere Freundin von mir, Belinda, sagte immer, die weiche und elastische Haut von Auberginen erinnere sie an die pummeligen Ärmchen, Beinchen und Bäuche von Babys. Im Supermarkt konnte sie nicht widerstehen und musste immer die Auberginen drücken. Als ich meine Arbeit mit Babys begann, fragte sie mich häufig: »Wie geht es den Auberginen?« Es wurde unser geheimes Codewort. Vor ein paar Jahren, als Belinda mit ihrer Tochter Rosie schwanger war, bekam ich eine glückselige SMS von ihr, in der sie mir mitteilte, die Schwangerschafts-App auf ihrem Smartphone habe sie informiert, dass nach 25 Wochen ihre Blaubeere die nächste Stufe erklommen habe und sie nun ihre eigene kleine Aubergine im Bauch trage.

Kapitel zwei

Alles Gute zum Geburtstag

Neugeborene Babys schreien, weil ihre Eltern sich nicht die Mühe gemacht haben, »Happy Birthday« für sie zu singen.

Anonymes Posting im Internet

Sie erinnern sich nicht an Ihren nullten Geburtstag, aber Ihre Mutter erinnert sich ganz sicher daran. In den letzten Monaten der Schwangerschaft brauchte sie keine Smartphone-App, um zu wissen, dass ihr Baby von einer hübschen kleinen Aubergine erst zu einer Honigmelone, dann zu einer Netzmelone und schließlich zu einer verdammten Wassermelone herangewachsen war. Neun Monate lang hatte sie sich diesen Tag ausgemalt. Die Tasche für die Party war schon seit Wochen gepackt. Vielleicht hatte es ein paar Fehlalarme gegeben. Aber dann war es endlich so weit.

Nun, fast so weit: Babys beeilen sich nicht gern bei ihrem großen Auftritt, auch der Körper der Mutter mag das nicht. Bei einer Erstgebärenden dauert eine normale Geburt etwa acht Stunden, und die Vorgänge laufen weitgehend automatisch ab. Das wichtigste Merkmal der Wehen sind regelmäßige, koordinierte Kontraktionen der Uterusmuskulatur, die wie beim Herz von Schrittmacherzellen kontrolliert werden. Häufigkeit und Intensität der Kontraktionen nehmen nach und nach zu, und der Abstand zwischen ihnen verringert sich von zehn Minuten am Anfang auf zwei Minuten am Schluss.

Wenn es keine medizinischen Komplikationen gibt, nimmt die Natur ihren Lauf. Aber die Natur kann Angst einflößend und tödlich sein. Von Philippa Gregory, Autorin historischer Romane, stammt der denkwürdige Satz: »Männer sterben im Krieg, Frauen bei der Geburt.« In der Vergangenheit hatten Mütter ein Risiko von eins zu hundert, bei oder nach der Geburt zu sterben. Und in manchen Teilen der Welt ist es immer noch so schlimm oder sogar schlimmer. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2015 betrug das Risiko für ein 15-jähriges Mädchen in Afrika, im Lauf ihres Lebens an einem Problem im Zusammenhang mit der Mutterschaft zu sterben, 1 zu 37. In Europa liegt dieses Verhältnis bei 1 zu 3400.

Babys sind noch schlechter dran. Weltweit kommt eines von 45 Kindern tot zur Welt. Und von den übrigen erleben 49 von 1000 ihren ersten Geburtstag nicht. Der Gesundheitsstatistiker Hans Rosling hat darauf hingewiesen, dass Mütter und Kleinkinder die verletzlichsten und am wenigsten sichtbaren Opfer von Kriegen, Hungersnöten und anderen humanitären Krisen sind. Der größte Gewinn für die Gesundheit der Menschheit wäre eine bessere Versorgung junger Mütter und ihrer Babys.

Im Allgemeinen Krankenhaus in Wien gab es in den 1840er-Jahren zwei Abteilungen für Geburtshilfe, die 1. Geburtshilfliche Klinik und die 2. Geburtshilfliche Klinik. Die Frauen wurden tageweise wechselnd in die eine oder andere Klinik aufgenommen. In der 1. Klinik kümmerten sich Medizinstudenten um die Gebärenden, in der 2. Klinik Hebammen. Frauen, die in die 1. Klinik aufgenommen wurden, baten inständig darum, in die 2. Klinik zu kommen, denn nach allgemeiner Auffassung lag auf der 1. Klinik ein Fluch. Die Daten aus den Jahren 1842 bis 1846 zeigten es eindeutig: In der Hebammenklinik war die Zahl der Todesfälle um 60 Prozent geringer. Ein junger Arzt namens Ignaz Semmelweis wurde damit beauftragt, das zu untersuchen. Er stellte keine Unterschiede bei den Kliniken an sich und bei den Entbindungsverfahren fest. Aber er machte den für die damalige Zeit ungewöhnlichen Vorschlag, die Medizinstudenten sollten ihre Hände mit stark gechlortem Wasser waschen. Als sie das taten, ging die Sterblichkeit in der 1. Klinik auf das Niveau der 2. Klinik zurück. Die Medizinstudenten waren oft direkt von Sektionen in ihren Anatomiekursen in die Entbindungsabteilung gekommen. Manchmal wuschen sie sich die Hände, aber nicht immer, und auf jeden Fall desinfizierten sie sie nicht, warum sollten sie? Es gab keinen Grund. Erst Jahrzehnte später bewiesen Louis Pasteur und Joseph Lister die Theorie, dass Krankheiten durch Keime verursacht werden.

Semmelweis informierte seine Vorgesetzten über das, was er her ausgefunden hatte. Er konnte nicht erklären, warum das Händewaschen half, deshalb folgten sie seinen Empfehlungen nicht. Kurz dar auf wurde er entlassen und kehrte in sein Heimatland Ungarn zurück. In den Krankenhäusern, in denen er arbeitete, gab es ähn liche Verbesserungen, doch seine neuen Kollegen wollten seine Methoden ebenfalls nicht übernehmen. Zwanzig Jahre lang führte er eine immer gereiztere Korrespondenz mit dem medizinischen Establishment in Europa, das ihn weitgehend ignorierte. 1865 starb er besiegt und gebrochen in einer Nervenheilanstalt. Im englischen Sprachraum bezeichnet der Begriff »Semmelweis-Reflex« die Ablehnung einer neuen Erkenntnis, wenn sie bestehenden Überzeugungen oder etablierten Paradigmen widerspricht.

Erstaunlicherweise könnte heute im Westen, wo es überall Zugang zu fortschrittlichen medizinischen Dienstleistungen gibt, die Lösung, wie Geburten sicherer werden könnten, ebenfalls in mehr Hebammen und weniger Ärzten bestehen. Diese Empfehlung sprachen zumindest Mary Newburn, Leiterin der politischen Abteilung des National Childbirth Trust, und ihre Kollegen in einem einflussreichen Bericht aus, der im British Medical Journal veröffentlicht wurde (Johanson, Newburn und Macfarlane 2002). Sie argumentierten, die ganze Kultur rund um die Geburt müsse sich so verändern, dass »die Geburt als ein normaler physiologischer Vorgang« wahrgenommen werde, und man müsse ein »Eins-zu-eins-Verhältnis in der Betreuung während der Wehen anstreben«. Dass medizinisches Personal während der Geburt bereitsteht, ist wichtig, aber medizinisches Personal tendiert dazu, alles zu medikalisieren. In Finnland, wo die Geburt als normaler physiologischer Vorgang behandelt wird, erfolgen 11 Prozent der Entbindungen per Kaiserschnitt. In Großbritannien sind es 25 Prozent, in den Vereinigten Staaten 35 Prozent, in Deutschland fast jedes dritte Kind. Die geschätzte medizinische Notwendigkeit liegt bei 5 bis 10 Prozent. Weil die Ärzte Angst vor Prozessen haben und auf Nummer sicher gehen wollen, werden sie immer neue Tests und sogar überflüssige Operationen durchführen. Und das ist noch nicht alles.

Wenn den Müttern die Geburt als ein medizinisches Problem dargestellt wird, das behandelt werden muss, dann verlangen sie logischerweise mehr Behandlung. Sie haben mehr Angst vor der Geburt. Sie wollen mehr Rückenmarksanästhesien und Schmerzmittel. In einem medizinischen Umfeld ordnen sich die Hebammen den Medizinern unter. Selbst die Geburtshelfer sind der Meinung, dass sie viel zu sehr auf medizinische Verfahren setzen. Wenn die Geburt als ein natürlicher physiologischer Vorgang betrachtet wird, sind die Ergebnisse für Mutter und Baby besser und die Mütter haben ein angenehmeres Geburtserlebnis. Der Bericht empfahl, so oft wie möglich sollten Hebammen die Geburt leiten und nicht Ärzte. Sie sollte in einem nicht-medizinischen Rahmen stattfinden, und die Mütter sollten ihre Hebammen vorher kennenlernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können.

Ich habe mit zwei befreundeten Hebammen über ihre Rolle gesprochen, um einen besseren Eindruck von der Geburt zu bekommen. Corinne ist energiegeladen und resolut, nicht medizinisch orientiert und matronenhaft. Man würde eher erwarten, sie bei einer Demonstration gegen Ungerechtigkeit zu treffen als in einem Krankenhausflur. Womöglich haben wir uns tatsächlich da zum ersten Mal gesehen. Seit zehn Jahren »holt« Corinne Babys. Natalie ist klein, strahlend und wirkt immer noch ein bisschen holländisch, obwohl sie seit fast zwei Jahrzehnten in London lebt. Wir lernten uns vor 16 Jahren am ersten Tag unseres Psychologiestudiums kennen. Ich erinnere mich, dass sie immer als Erste ihre Studienarbeiten ablieferte und all die Praktikumsberichte schrieb, für die ich nie Zeit fand. Natalie lief zum Spaß Marathon, ein Hobby, das ich damals nicht verstand. Aber wahrscheinlich bereitet einen das gut auf die Aufgaben einer Hebamme vor.

Das Wort »Hebamme« kommt vom althochdeutschen »Hevianna« und bezeichnet »die Ahnin, die das Neugeborene hält«. Wie Corinne sagt, ist die Rolle der Hebamme so alt wie die Menschheit. Denn zumindest seit wir aufrecht gehen, brauchen wir Hebammen. Durch den Übergang von vier Beinen auf zwei Beine hat sich unser Becken verändert, der Geburtskanal ist enger geworden. Außerdem wurde das Gehirn immer größer, und so benötigen unsere Babys mit den großen Köpfen Hilfe, wenn sie auf die Welt kommen. Zum Glück war der Grund, warum unsere Gehirne so groß wurden, dass wir eine soziale Spezies sind. So war auch Hilfe für Mütter in den Wehen zur Stelle.

Wenn ich Corinne und Natalie frage, was die wichtigste Aufgabe einer Hebamme ist, fallen ihre Antworten ziemlich ähnlich aus: Hebammen unterstützen die Mütter, damit sie das Geburtserlebnis bekommen, das sie haben wollen. Die moderne Geburtshilfe durch Hebammen ruht auf drei Schlüsselprinzipien: informierte Entscheidung, freie Wahl des Geburtsorts und kontinuierliche Betreuung. Am wichtigsten ist die informierte Entscheidung, und das ist mehr als informierte Zustimmung, denn es bedeutet Stärkung der eigenen Stimme und nicht, dass man sich fügt. Hebammen wollen, dass die Mutter das Gefühl der Kontrolle hat. Natalie sagt, in dem Zusammenhang sei es sehr hilfreich, einen Geburtsplan zu erstellen; dann würden die wichtigen Entscheidungen im Voraus getroffen. Das Letzte, was eine Frau in den Wehen gebrauchen kann, ist ein Schwall von Fragen, die sie beantworten soll. Sie kann auf dem Weg begleitet werden, den sie vorab gewählt hat, und die Hebamme wird ihn ihr erleichtern. Wenn ihre eigene Hebamme im entscheidenden Augenblick nicht verfügbar ist, kann sich eine andere Hebamme nach dem Plan richten.

Corinne erklärt, die meiste Zeit während der Wehen »ist es unsere Aufgabe, zuzuschauen und abzuwarten. Zu beobachten. Da zu sein und nichts zu tun. Auf die Bedürfnisse der Frau zu reagieren.« Manche brauchen eine beruhigende Hand, andere wollen lieber allein gelassen werden. Manche brauchen Eiswürfel, die sie zerbeißen können, oder etwas Süßes, damit sie durchhalten. Wenn die Geburt voranschreitet, schlagen die Hebammen der Mutter Optionen vor, statt Entscheidungen zu verlangen. Bei Komplikationen erklärt die beruhigende Stimme der Hebamme der Frau, was passiert und war um.

Wenn etwas die Ruhe unterbricht, kann das die Wehentätigkeit bremsen. Ina May Gaskin, eine Hebammenpionierin in Amerika, der die Wiedereinführung der natürlichen Geburt in den Vereinigten Staaten zugeschrieben wird, hat festgestellt:

Durch Beobachtung und Erfahrung lernten wir, dass die Anwesenheit einer einzigen Person, die sich nicht gut in die Mutter einfühlen kann, die Wehentätigkeit zum Stillstand bringen kann. Alle Frauen sind sensibel. Manche sind sogar extrem feinfühlig. Anhand der Beobachtung, dass die Wehen schwächer wurden oder aufhörten, wenn jemand das Entbindungszimmer betrat, der nicht achtsam mit den Gefühlen der Mutter war, stellten wir fest, dass wir recht hatten. Wenn der Betreffende das Zimmer wieder verließ, ging die Geburt wieder normal weiter (Gaskin 2017, S. 130).

Dieses Prinzip steht auch hinter Hypnobirthing. Manche Frauen erlernen in den letzten Monaten der Schwangerschaft Entspannungs- und Atemtechniken, die sie während der Wehen anwenden können. Sie lernen, sich selbst zu hypnotisieren, aber nicht, um in eine betäubende Trance zu sinken. Bei meiner Schwester Ishbel hat es funktioniert; sie war bei ihrer ersten Geburt so ruhig, dass man sie erst gar nicht im Krankenhaus aufnehmen wollte. Das Personal glaubte nicht, dass die Geburt schon so weit fortgeschritten war, und wollte sie wieder wegschicken. Auf ihre Empfehlung hin hat es meine Auberginen-Freundin Belinda auch versucht, mit ähnlichem Erfolg. Die Idee dabei ist nicht, Ängste und Schmerz zu blockieren, sondern die Frau soll sich der Gegenwart stärker bewusst werden, damit sie sich in der aktuellen Situation entspannen kann, statt sich Sorgen zu machen, was wohl passieren wird. Ruhig und zuversichtlich in die Geburt zu gehen hilft, dass die natürlichen Vorgänge die Frau so weit tragen, wie es möglich ist. Medikamente können später immer noch dazukommen. Das wichtigste Medikament produziert der Körper selbst – Oxytocin.

Oxytocin

Oxytocin ist der unangefochtene chemische Herrscher bei der Geburt. »Das gute alte Oxytocin«, wie Natalie immer sagt. In den letzten zehn Jahren wurde Oxytocin auch zur »Liebesdroge« und zum »Kuschelhormon« hochgejubelt. Angeblich ist es in großen Mengen vorhanden, wenn Menschen sich verlieben, und in weniger großen Mengen, wenn sie Sex haben oder sich nur umarmen. Bei psychologischen Untersuchungen hat man den Teilnehmern Oxytocin in die Nase gesprüht und dann Aufnahmen ihrer Gehirne gemacht. Die Studien haben ergeben, dass Oxytocin die Empathie steigert, die Introversion reduziert und sogar bei Autismus helfen könnte. Die wissenschaftlichen Grundlagen der meisten derartigen Behauptungen sind bestenfalls »unbewiesen«. Frühere Studien hatten nicht genug Teilnehmer, um verlässliche Aussagen zu machen, oder wurden nicht wiederholt. Es ist noch nicht einmal klar, ob in die Nase gesprühtes Oxytocin überhaupt ins Gehirn gelangt.

Der mütterliche Oxytocinspiegel steigt in der späten Phase einer Schwangerschaft allmählich an und steigert das Gefühl der Zufriedenheit, Ruhe und Sicherheit neben dem Partner. Bei den Wehen wird Oxytocin in noch größeren Mengen freigesetzt und verstärkt die Kontraktionen. Und noch mehr Oxytocin wird produziert, wenn das Baby auf dem Weg durch den Geburtskanal den Muttermund und die Vagina stimuliert, wodurch eine positive Feedbackschleife entsteht. Wenn die Geburt nicht recht vorangeht, kann es sein, dass die Mutter an einen Oxytocintropf gehängt wird.

Oxytocin ist nicht der einzige chemische Stoff, der bei einer natürlichen Geburt ins Spiel kommt. Wenn die Wehen sich ihrem Höhepunkt nähern, arbeitet ein komplexer Cocktail von Hormonen und chemischen Stoffen bei Mutter und Baby zusammen. Relaxin entspannt die Bänder der Mutter, und ein Protein namens Noggin sorgt dafür, dass der kindliche Kopf weich und verformbar wird, damit er besser ausgetrieben werden kann. In einem frühen Stadium können die schnell wirkenden Stresshormone Epinephrin und Norepine phrin bei Gefahr die Wehentätigkeit verlangsamen oder zum Stillstand bringen. Und ganz am Ende der Wehen sorgt eine Flut dieser Stoffe dafür, dass Mutter und Baby nach der Geburt wach und aufmerksam sind.

Auch bei dem langsamer reagierenden Stresshormon Cortisol baut sich während der Geburt ein zehnfach höherer Spiegel als üblich auf. Allem Anschein nach fördert das die Bildung von Rezeptoren für das Stillhormon Prolaktin. Endorphine werden freigesetzt, die es der Mutter erleichtern, Stress und Schmerzen auszuhalten, und eine leichte Bewusstseinsveränderung bewirken. Das führt zu einer Art von Euphorie während der Geburt. Endorphine spielen daneben wohl auch noch die Rolle, die Belohnungszentren im Gehirn von Mutter und Baby vorzubereiten, damit sie beide für Prägung und Bindung gerüstet sind und dafür, zu lernen, wie das Stillen geht. Bei der Mutter stimulieren die Endorphine direkt die Freisetzung von Prolaktin. Prolaktin führt zur Milchproduktion, hat aber noch rund 300 andere Wirkungen im Körper, unter anderem stimuliert es die Synthese von Oxytocin.

Dieses komplexe Gewebe von Einzelwirkungen und sich selbst regulierenden Kreisläufen wird häufig durch medizinische Interventionen bei der Geburt durchbrochen. Zum Beispiel ist ein Problem bei der Epiduralanästhesie, dass ohne Schmerzen der Anstieg von Epinephrin und Norepinephrin ausbleibt. Im Blut der Mutter gibt es weniger von diesen Hormonen, und weniger gehen auf das Baby über, das deshalb nicht gut für die Entbindung vorbereitet ist. Ähnliche Effekte hat man bei Kaiserschnitten festgestellt: Durch Kaiserschnitt geborene Babys haben weniger Stress bei der Geburt, aber sehr viel mehr eine Stunde später. Ein Kaiserschnitt verlangsamt anscheinend den Prozess der Bindung, doch das hängt auch damit zusammen, dass die Mutter sich erst erholen muss. Eine Geburt ist auf jeden Fall ein sehr kompliziertes System, und die meisten Mechanismen hat man bis heute nicht ganz verstanden. In diesen letzten Abschnitten habe ich versucht, Sarah Buckleys 248-Seiten-Werk zu dem Thema zusammenzufassen, in dem sie selbst die Ergebnisse von 1141 Forschungsarbeiten referiert (Buckley 2015).

Corinne sagt mir immer, dass Kinder in einer Art von Starre geboren werden. Sie wachen erst auf, wenn die Nabelschnur durchtrennt ist und ihre Lungen sich mit Sauerstoff füllen. »Bevor das passiert, sind sie anders. Ihre Farbe ist anders. Sie schauen nicht nach außen.« Wenn möglich lassen Hebammen die Nabelschnur drei Minuten pulsieren, damit alles Blut aus der Plazenta herausgezogen wird und in das Baby gelangt. Der erste Atemzug verschließt Löcher im Herzen und verändert den Kreislauf so, dass das Blut nicht mehr durch die Plazenta, sondern durch die Lungen strömt.

Corinne zerstört einen Mythos, bei dem ich mir nie ganz sicher war. Ärzte heben neugeborene Babys nicht an den Füßen hoch, damit ihren Lungen frei werden. Und sie klopfen ihnen auch nicht aufs Gesäß, damit sie zu atmen beginnen.

Nein! Das wäre grausam. Der Vorgang, aus einer Frau herausgepresst zu werden, reicht üblicherweise aus. Wenn nicht, reiben sie das Baby mit einem Krankenhaushandtuch ab oder kitzeln es an den Füßen, um die Atmung in Gang zu bringen. So wie bei anderen Säugetieren die Mutter ihr Neugeborenes ableckt, um es zu stimulieren, dass es die ersten Atemzüge tut.

Von Menschenmüttern wird nicht erwartet, dass sie ihre Babys ab lecken, aber seit 2014 befürworten die meisten Geburtshilfeorganisationen, so auch die American Academy of Pediatrics (AAP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), explizit frühen Hautkontakt. Früher wurden Babys gleich nach der Geburt weggebracht, um sie zu messen und zu wiegen. Neugeborene blieben auf der Säuglingsstation, und die Mütter bekamen sie nur zum Stillen. Angeblich wollte man damit den Müttern die Erholung von der Geburt erleichtern. Aber inzwischen hat man wiederentdeckt, wie wichtig die Übergangszeit ist. Laut WHO ist »der Prozess der Geburt erst abgeschlossen, wenn das Baby sicher von der Ernährung durch die Plazenta auf die Ernährung durch die Brust umgeschaltet hat«.

Corinne beschreibt das anschaulich: »Nun, wann immer es möglich ist, werden die Babys aus der Mutter heraus auf die Mutter geboren.« Die mütterliche Körpertemperatur steigt um ein bis zwei Grad an, damit das Baby es warm hat, und die Babys bewegen sich instinktiv zur Brust hin und suchen nach der Brustwarze. Sie orientieren sich durch Berührung und Geruch, und manchmal dauert es ein bisschen, bis sie sich auf die Suche machen – sie müssen erst aufwachen. Das ist auch die Gelegenheit, wo das Baby durch die Bakterien der Mutter besiedelt wird, und es hilft der Mutter, sich an die Situation anzupassen. Nach Natalies Erfahrung ist niemand darauf vorbereitet, zum ersten Mal das eigene Baby zu sehen. Es dauert ein bisschen, bis der Eindruck einsinkt, das ist der Beginn der Bindung.

Geburtserfahrungen sind höchst unterschiedlich. Manche Frauen haben ein wunderbares Geburtserlebnis, für andere ist die Geburt ein Albtraum. Ich habe noch niemanden getroffen, der von »Vergnügen« sprach. »Die Freude kommt, wenn man das Baby im Arm hält, das taucht alles in Freude. Aber ich habe noch keine Frau erlebt, die den Vorgang selbst genossen hat«, erzählt Corinne. Wie beim Marathonlaufen kommt auch bei der Geburt die Freude erst, wenn es vorbei ist.

Für Väter oder Partner passieren die größten Veränderungen in der Zeit unmittelbar nach der Geburt. Während der Schwangerschaft war das Baby irgendwie abstrakt, aber jetzt können sie es halten und mit ihm in Kontakt treten. Die Oxytocin- und Prolaktinspiegel der Partner steigen sprunghaft an. Am Ende der ersten Woche kann der Oxytocinspiegel des Vaters genauso hoch sein wie der der Mutter.

Dem emotionalen und hormonellen Hoch, das der Partner erlebt, steht oft ein entsprechender Absturz bei der Mutter gegenüber. Die erste Woche kann sehr schwierig sein. Nach der Geburt gibt es einen hormonellen Einbruch. Die Plazenta signalisiert nicht mehr, dass Schwangerschaftshormone produziert werden sollen, und der Körper versucht, die neunmonatige Schwangerschaft hinter sich zu lassen. In der ersten Woche zu Hause möchte sich der Körper erholen, aber die Mutter bekommt nicht viel Ruhe und Entspannung mit einem Neugeborenen, das sie versorgen und um das sie sich kümmern muss.

Erschöpft und nach einer neunmonatigen Odyssee kann die Rückkehr nach Hause für die Mutter auch enttäuschend sein. Vor allem nach einer schweren Entbindung fühlen sich die Mütter oftmals isoliert. Alles konzentriert sich auf das Baby, und von der Mutter erwartet man, dass sie für alles dankbar ist, während ihre eigene Identität dahinschwindet und sie nicht viel Zeit hat, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Es ist vollkommen normal, sich direkt nach der Geburt überwältigt und sogar deprimiert zu fühlen. Einer aktuellen Studie zufolge haben 81 Prozent der Frauen während oder nach der Schwangerschaft ein seelisches Problem (Royal College of Obstetricians and Gynaecologists 2017). Die tiefe Liebe zu dem Baby stellt sich nicht schlagartig ein, aber darüber können die Mütter nicht so einfach sprechen.

Hinzu kommt, dass eine frischgebackene Mutter oft alleine 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche für das Baby verantwortlich ist. Wenn etwas passiert, wird sie sich immer Vorwürfe machen. Auf meine entsprechende Frage hat Corinne über diese Zeit erzählt: »In meiner zehnjährigen Berufstätigkeit als Hebamme habe ich bei Hausgeburten in der ersten Woche nie Eltern erlebt, die nicht zutiefst erschüttert wirkten.« Alle Eltern werden beim ersten Kind durch irgendeinen Aspekt überwältigt werden, aber es wird leichter, und es ist völlig in Ordnung, um Hilfe zu bitten.

Allein die Tatsache, dass es das neugeborene Baby gibt, ist äußerst seltsam. Auf einmal ist eine neue Person der Mittelpunkt im Leben der Eltern. Als mein Neffe Tycho geboren wurde, hatte meine Schwester Schwierigkeiten, das Zimmer zu verlassen, in dem er lag. Es war schwer für sie, zu begreifen, dass er eine unabhängige Existenz führte, und sie musste immer wieder nach ihm schauen. Die Geburt ist das Gegenteil des Todes, aber manche Gefühle, die sie auslöst, sind gar nicht so anders als Trauer. Sich auf die Anwesenheit oder Abwesenheit einer wichtigen anderen Person einzustellen ist ein Prozess. Bei Müttern kann ein zweites Kind sogar noch zwiespältigere Gefühle auslösen. Es verändert die Beziehung zum ersten Kind, Mutter und Baby Nummer eins sind nicht länger das unzertrennliche Paar. Mütter können Ärger verspüren über das Verlorene. Wieder gilt: Das ist vollkommen normal, aber es kann schwer sein, darüber zu sprechen.

Babys erholen sich schnell von der Geburt. »Babys sind robust«, sagt Corinne. »Ich habe Babys erlebt, die eine wirklich traumatische Geburt hinter sich hatten und sich ziemlich schnell erholten. Ein zusammengequetschter Kopf kann sehr schlimm aussehen. Als ich so etwas zum ersten Mal in meiner Hebammenausbildung gesehen habe, bin ich rausgerannt und habe zwanzig Minuten in der Toilette geweint.«

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, dass das Trauma der Geburt einen Menschen durch das ganze Leben begleiten kann. Außer in den seltenen Fällen, dass eindeutige medizinische Komplikationen auftreten, ist eine traumatische Geburt nur ein kleiner Rückschlag. Die Wehen und die Geburt sind nur ein Ereignis in der Entwicklung des Babys. Und nicht ein einzelner Augenblick definiert diese Zeit, alle sind wichtig. Obwohl es sich wie eine Achterbahnfahrt anfühlt, geht die Reise insgesamt nach oben.

Hallo, kleines Äffchen

Manche Babys werden mit dünnen schwarzen Haaren am ganzen Körper geboren. Die Haare verschwinden schnell wieder. Ich war für meine Mutter das erste von drei Kindern, und sie war ziemlich zufrieden mit ihrer Leistung (wie ich im Übrigen auch). Aber ich war ein kleines Felltier. In ihrem Wochenbett machte es ihr großen Spaß, die