Das Leben der Bienen - Maurice Maeterlinck - E-Book

Das Leben der Bienen E-Book

Maurice Maeterlinck

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Es gibt Wunder genug im Bienenstaat, und man braucht darum keine neuen zu erfinden. Überdies habe ich schon lange darauf verzichtet, etwas Interessanteres und Schöneres auf dieser Welt zu finden als die Wahrheit oder doch wenigstens das Trachten nach ihr. Ich werde im Folgenden also nichts vorbringen, was ich nicht selbst erprobt habe oder was von den Klassikern der Bienenkunde nicht derartig bestätigt wird, dass jede weitere Beweisführung langweilig würde. Ich beschränke mich darauf, die Tatsachen ebenso zuverlässig wiederzugeben, nur etwas lebendiger und mit Weiterentwicklung einiger eingeflochtener, freierer Gedanken sowie mit einem etwas harmonischerem Aufbau, als dies in den Handbüchern oder den wissenschaftlichen Monografien zu geschehen pflegt. Inhaltsverzeichnis I. Auf der Schwelle des Bienenstocks 2. Das Schwärmen 3. Die Stadtgründung 4. Die Jungen Königinnen 5. Der Hochzeitsausflug 6. Die Drohnenschlacht 7. Der Fortschritt der Art Anmerkungen

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Das Leben der Bienen

 

 

 

Maurice Maeterlinck

 

 

 

Impressum

 

 

2022 ©Verlag Heliakon

Umschlaggestaltung: Verlag heliakon

Titelbild: Pixabay (Myriams-Fotos)

 

Druck und Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Übersetzer: Friedrich von Oppeln-Bronikowski

Überarbeitete und korrigierte Fassung

Alle Rechte vorbehalten

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

I. Auf der Schwelle des Bienenstocks

2. Das Schwärmen

3. Die Stadtgründung

4. Die Jungen Königinnen

5. Der Hochzeitsausflug

6. Die Drohnenschlacht

7. Der Fortschritt der Art

I. Auf der Schwelle des Bienenstocks

 

 

Ich habe nicht die Absicht, ein Buch über die Bienenzucht oder ein Handbuch für Bienenzüchter zu schreiben. Jedes Land besitzt vortreffliche Werke dieser Art, und es wäre zwecklos, sie noch einmal zu schreiben. In Frankreich hat man die Werke von Dadant, Georges de Layens, Bonnier, Bertrand, Harnet, Weber, Clément und Abbé Collin, auf englischem Sprachgebiet die Schriften von Langstroth, Bevan, Cook, Cheshire, Cowan und Root, in Deutschland die des Pfarrers Dzierzon, des Barons von Berlepsch, Pollmann, Vogel und vieler anderer.

Ebenso wenig Will ich eine wissenschaftliche Monografie über apis mellifica, ligustica, fasciata, dorsata und andere schreiben oder die Ergebnisse neuer Forschungen und Beobachtungen mitteilen. Ich werde fast nichts sagen, was nicht jedem bekannt ist, der sich ein wenig mit Bienenzucht befasst hat, und um dieses Buch nicht unnütz zu beschweren, behalte ich mir eine gewisse Anzahl von Beobachtungen und Erfahrungen, die ich in zwanzigjährigem Umgang mit den Bienen gewonnen habe, für ein Spezialwerk vor, da sie nur von beschränktem, technischem Interesse sind. Ich will nur ganz einfach von den Bienen reden, wie man von einem vertrauten und geliebten Gegenstand redet, wenn man Nichtkenner darüber belehren will. Ich will weder die Wahrheit ausschmücken noch, was Réaumur mit vollem Recht allen seinen Vorgängern in der Bienenkunde vorwirft, ein hübsch erfundenes Märchen an die Stelle der ebenso wunderbaren Wirklichkeit setzen. Es gibt Wunder genug im Bienenstaat, und man braucht darum keine neuen zu erfinden. Überdies habe ich schon lange darauf verzichtet, etwas Interessanteres und Schöneres auf dieser Welt zu finden als die Wahrheit oder doch wenigstens das Trachten nach ihr. Ich werde im Folgenden also nichts vorbringen, was ich nicht selbst erprobt habe oder was von den Klassikern der Bienenkunde nicht derartig bestätigt wird, dass jede weitere Beweisführung langweilig würde. Ich beschränke mich darauf, die Tatsachen ebenso zuverlässig wiederzugeben, nur etwas lebendiger und mit Weiterentwicklung einiger eingeflochtener, freierer Gedanken sowie mit einem etwas harmonischerem Aufbau, als dies in den Handbüchern oder den wissenschaftlichen Monografien zu geschehen pflegt. Wer dieses Buch ausgelesen hat, ist nicht gleich imstande, einen Bienenstock zu halten, aber er erfährt daraus nahezu alles Merkwürdige und Tiefe, alle feststehenden Einzelheiten über seine Bewohner, und zwar keineswegs auf Kosten dessen, was noch zu wissen übrig bleibt. Ich übergehe all die Fabeln, die auf dem Lande und in vielen Werken noch über die Bienen verbreitet sind. Wo Zweifel herrschen, die Meinungen auseinandergehen, etwas hypothetisch ist, wo ich zu etwas Unbekanntem komme, werde ich es ehrlich erklären. Wir werden oft vor dem Unbekannten innezuhalten haben. Außer den großen sichtbaren Vorgängen ihres Lebens weiß man sehr wenig über die Bienen. je länger man sie züchtet, desto mehr wird man sich unserer tiefen Unkenntnis über ihr wirkliches Dasein bewusst, aber diese Art des Nichtwissens ist immerhin besser als die bewusstlose und selbstzufriedene Unwissenheit.

Gab es bisher eine solche Arbeit über die Bienen? Ich glaube, nahezu alles gelesen zu haben, was über die Bienen geschrieben werden ist, aber ich kenne nichts Ähnliches außer dem Kapitel, das Michelet ihnen am Schluss seines Werks „Das Insekt“ widmet, und dem Essay von Ludwig Büchner, dem bekannten Verfasser von „Kraft und Stoff“ in seinem „Geistesleben der Tiere?“1 Michelet hat den Gegenstand kaum gestreift; Büchners Studie ist ziemlich erschöpfend; aber liest man all die gewagten Behauptungen und längst widerlegten Fabeln, die er von Hörensagen berichtet, so kann man nicht umhin zu glauben, dass er nie seine Bibliothek verlassen hat, um seine Heldinnen selbst zu befragen, und dass er nicht einen von den Hunderten summenden und flügelglänzenden Bienenstöcken geöffnet hat, wie man es getan haben muss, bevor unser Instinkt sich ihrem Geheimnis anpasst, bevor wir mit dem Dunstkreis und dem Geist des Mysteriums, das diese emsigen Jungfrauen bilden, vertraut werden. Das riecht weder nach Honig noch nach Bienen, und es hat denselben Mangel wie viele unserer gelehrten Werke: Die Schlüsse sind vielfach schon bekannt, und der wissenschaftliche Apparat besteht aus einer riesenhaften Anhäufung von unsicheren Geschichten aus jedermanns Munde. Indessen werde ich ihm in meiner Arbeit nicht oft begegnen; unsere Ausgangspunkte, Ansichten und Ziele liegen zu weit auseinander.

Die Bibliografie der Bienenkunde — denn ich möchte den Anfang mit den Büchern machen, um sie möglichst schnell zu erledigen und zu der Quelle zu kommen, aus der sie geschöpft sind — ist sehr umfangreich. Von Urbeginn an hat dieses kleine seltsame Gesellschaftstier mit seinen komplizierten Gesetzen und seinen im Dunkeln entstehenden Wunderwerken die Wissbegier der Menschen gefesselt. Aristoteles, Cam, Varro, Plinius, Columella, Palladius haben sich damit beschäftigt, nicht zu reden von dem Philosophen Aristomachos, der sie nach Aussage des Plinius achtundfünfzig Jahre lang beobachtet hat, oder Phyliscus von Thasos, der in öden Landstrichen lebte, um nur sie zu sehen, und den Beinamen „der Wilde“ trug. Aber das sind im Grunde Fabeln über die Bienen, und. alles, was der Rede wert ist, das heißt so gut wie gar nichts, findet sich zusammengefasst im vierten Buch von Virgils Georgica.

Die Geschichte der Biene beginnt erst im siebzehnten Jahrhundert mit den Entdeckungen des großen holländischen Gelehrten Swammerdam. Jedoch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss vorausgeschickt werden, dass schon vor Swammerdam ein flämischer Naturforscher Clutius gewisse wichtige Wahrheiten gefunden hat, beispielsweise dass die Königin die alleinige Mutter ihres ganzen Volkes ist und die Attribute beider Geschlechter besitzt, aber er hat dies nicht bewiesen. Swammerdam war der Erste, der eine wissenschaftliche Beobachtungsmethode einführte; er schuf das Mikroskop, sezierte die Bienen zuerst und bestimmte endgültig, durch Entdeckung der Eierstöcke und des Eileiters, das Geschlecht der Königin, die man bisher für einen König („Weisel“) gehalten hatte. Er warf ein unerwartetes Licht auf die politische Verfassung des Bienenstocks, indem er sie auf die Mutterschaft begründete. Außerdem hat er Durchschnitte entworfen und Platten gezeichnet, die so tadellos waren, dass man sie noch heute zur Illustration von Werken über Bienenzucht benutzt. Er lebte in dem geräuschvollen, trübseligen Amsterdam von ehemals, voller Sehnsucht nach dem süßen Landleben, und starb im Alter von dreiundvierzig Jahren, von Arbeit erschöpft. In deutlicher, frommer Sprache, mit schönen, schlichten Sätzen, in denen er beständig Gott die Ehre gibt, hat er seine Beobachtungen niedergelegt; sein Hauptwerk „Bybel der Natuure“ wurde ein Jahrhundert später von Dr. Boerhave aus dem Niederländischen ins Lateinische übersetzt (unter dem Titel „Biblia naturae“, Leyden 1737).

Nach ihm hat Réaumur, derselben Methode getreu, in seinen Gärten in Charenton eine Menge merkwürdiger Experymente und Beobachtungen gemacht und den Bienen in seinen „Mémoires pour servir à l‘Histoire des Insectes“ einen ganzen Band gewidmet. Man kann ihn noch heute mit Erfolg und ohne Langeweile lesen. Er ist klar, ehrlich, genau und nicht ohne einen gewissen verschlossenen und herben Reiz. Er hat es sich vor allem angelegen sein lassen, eine Reihe von alten Irrtümern zu zerstreuen — wofür er freilich einige neue in Umlauf gesetzt hat —, er gewann einen Einblick in die Entstehung der Schwärme, die politischen Gewohnheiten der Königinnen, kurz, er fand verschiedene verwickelte Wahrheiten und wies den Weg zu anderen. Er heiligte durch seine Wissenschaft die architektonischen Wunder des Bienenstaats und alles, was er darüber gesagt hat, kann nicht besser gesagt werden. Man verdankt ihm schließlich den Gedanken der Kasten mit Glaswänden, der in seiner späteren Vervollkommnung das ganze häusliche Treiben dieser unermüdlichen Arbeiterinnen ans Licht gebracht hat, die, wenn sie ihr Werk in blendendem Sonnenschein beginnen, es doch nur im Finstern vollenden und krönen. Der Vollständigkeit halber wären noch die etwas späteren Untersuchungen und Arbeiten von Charles Bonnet und Schirach zu nennen, welch Letzterer das Rätsel des königlichen Eis gelöst hat; aber ich will mich auf die großen Züge beschränken und gehe darum zu François Huber über, dem Meister und Klassiker der heutigen Bienenkunde.

Huber wurde im Jahr 1750 in Genf geboren und erblindete schon als Knabe. Durch Réaumurs Experimente angeregt, die er zunächst nur auf ihre Richtigkeit prüfen wollte, empfand er bald eine Leidenschaft für diese Dinge und widmete mithilfe eines treuen und verständigen Dieners, François Burnens, sein ganzes Leben dem Studium der Bienen. In den Annalen des menschlichen Leidens und Siegens ist nichts rührender und lehrreicher als die Geschichte dieser geduldigen Zusammenarbeit, wo der eine, der nur einen unstofflichen Schimmer wahrnahm, die Hände und Blicke des anderen, der sich des wirklichen Lichts erfreute, mit seinem Geist lenkte und, obschon er, wie versichert wird, nie mit eigenen Augen eine Honigwabe gesehen hat, durch den Schleier dieser toten Augen hindurch, der jenen anderen Schleier, in den die Natur alle Dinge hüllt‚ für ihn verdoppelte, dem Geist, der diesen unsichtbaren Honigbau schuf, seine tiefsten Geheimnisse ablauschte, wie um uns zu lehren, dass wir unter keinen Umständen darauf verzichten sollten, die Wahrheit herbeizuwünschen und zu suchen. Ich will hier nicht aufzählen, was die Bienenkunde ihm alles verdankt, ich könnte leichter sagen, was sie ihm nicht verdankt. Seine „Nouvelles observations sur les abeilles“, von denen der erste Band im Jahr 1789 in Form von Briefen an Charles Bonnet erschien — der zweite folgte erst fünfundzwanzig Jahre später —‚ sind der unerschöpfliche, untrügliche Schatz für alle Bienenforscher. Gewiss enthält das Werk auch Irrtümer und Unzulänglichkeiten, es sind seit diesem Buch in der mikroskopischen Bienenkenntnis und praktischen Bienenzucht, der Behandlung der Königinnen usw., manche Fortschritte gemacht worden, aber nicht eine seiner Hauptbeobachtungen ist widerlegt oder als irrig erwiesen worden; sie sind im Gegenteil die Grundlage unseres heutigen Wissens.

Nach Hubers Entdeckungen herrschte einige Jahre Schweigen, aber bald entdeckte ein deutscher Bienenzüchter, der Pfarrer Dzierzon aus Karlsmarck in Schlesien, die jungfräuliche Zeugung (Parthenogenesis) und erfand den ersten Kastenstock mit beweglichen Waben, durch den der Imker befähigt wird, seinen Anteil an der Honigernte zu gewinnen, ohne seine besten Völker zu zerstören und die Arbeit eines ganzen Jahres in einem Augenblick zu vernichten. Dieser noch sehr unvollkommene Kastenstock ist dann von Langstroth meisterhaft vervollkommnet worden. Er erfand den eigentlichen beweglichen Rahmen, der in Amerika Verbreitung fand und außerordentliche Erfolge erzielte. Root, Quinby, Dadant, Cheshire, de Layens, Cowan, Heddon, Houward und andere brachten dann noch einige wertvolle Verbesserungen an. Endlich erfand Mehring, um den Bienen Arbeit und Wachs, also auch viel Honig und Zeit zu sparen, Kunstwaben, die sie alsbald benutzten und ihren Bedürfnissen anpassten, während Major von Hruschka die Honigschleuder erfand, eine Zentrifugalmaschine, die den Honig ausschleudert, ohne dass die Waben zerstört werden. Damit eröffnet sich eine neue Periode der Bienenzucht.

Die Kästen sind von dreifachem Fassungsvermögen und dreifacher Ergiebigkeit. Überall entstehen große, leistungsfähige Bienenwirtschaften. Das unnütze Hinmorden der arbeitslustigsten Völker und die Auslese der Schlechtesten, die eine Folge davon war, hören auf. Der Mensch bekommt die Bienen wirklich in seine Gewalt, er kann seinen Willen durchsetzen, ohne einen Befehl zu geben, und sie gehorchen ihm, ohne ihn zu kennen. Er übernimmt die Rolle des Schicksals, die sonst in der Hand der Jahreszeiten lag. Er gleicht die Ungunst der einzelnen Jahreszeiten aus. Er vereinigt die feindlichen Völker. Er macht reich arm und arm reich. Er vermehrt oder verringert die Geburten. Er regelt die Fruchtbarkeit der Königin.

Er entthront und ersetzt sie in schwer errungenem Einvernehmen mit dem beim bloßen Argwohn einer unbegreiflichen Einmischung rasenden Bienenvolke. Er versehrt, wenn er es für nützlich hält, ohne Kampf das Geheimnis des Allerheiligsten und kreuzt die kluge und weit blickende Politik des königlichen Frauengemachs. Er bringt sie fünf- oder sechs Mal hintereinander um die Früchte ihrer Arbeit, ohne sie zu verletzen, zu entmutigen und arm zu machen. Er passt die Honigräume und Speicher ihrer Wohnungen dem Ertrag der Blumenernte, die der Frühling über die Berghänge ausstreut, an. Er zwingt sie, die üppige Zahl der Bewerber, welche der Geburt der Prinzessinnen harten, herabzusetzen. Kurz, er tut mit ihnen, was er will, und erreicht bei ihnen, was er fordert, vorausgesetzt, dass seine Forderungen mit ihren Tugenden und Gesetzen übereinstimmen, denn sie sehen über den Willen des unerwarteten Gottes hinaus, der sich ihrer bemächtigt hat und der zu ungeheuer ist, um erkannt, zu fremd, um begriffen zu werden, weiter als dieser Gott selbst, und sind nur darauf bedacht, in unermüdlicher Selbstverleugnung die geheimnisvolle Pflicht gegenüber der Gattung zu erfüllen.

Nachdem uns die Bücher nunmehr das Wesentlichste gesagt haben, was sie uns über eine sehr alte Geschichte zu sagen hatten, lassen wir die durch andere erworbene Erfahrungsweisheit fallen und sehen uns die Bienen selbst einmal an. Eine Stunde im Bienenstock sagt uns vielleicht Dinge, die zwar weniger gewiss, aber ungleich lebendiger und fruchtbarer sind.

Ich habe den ersten Bienenstand, den ich zu Gesicht bekommen und an dem ich die Bienen lieben gelernt habe, noch nicht vergessen. Es ist manches Jahr darüber verflossen. Es war in einem großen Dorf im flandrischen Seeland, jenem reinlichen und anmutigen Erdenwinkel, der noch kräftigere Farben entwickelt als das eigentliche Seeland, der Hohlspiegel Hollands, und das Auge gefangen nimmt mit dem allerliebsten, tiefernsten Spielzeug seiner Tauben und Türme, seiner bemalten Wagen, seiner Wandschränke und Stutzuhren, die aus dem Dunkel der Korridore hervorleuchten, seiner Grachten und Kanäle mit ihren Spalier bildenden kleinen Bäumen, die auf eine fromme, kindliche Zeremonie zu warten scheinen, seiner Barken und Marktschiffe mit geschnitztem Bug, seiner buntfarbigen Fenster und Türen, seiner prächtigen Schleusen und schwarz geteerten Zugbrücken, seiner schmucken Häuschen, die wie glänzende, zart getönte Topfwaren leuchten, und aus denen Weiber, mit Gold- und Silberschmuck behängt, wie große Klingeln heraustreten, um auf die weiß umzäunten Wiesen zu gehen und die Kühe zu melken oder Wäsche auf dem in Ovale oder schräge Vierecke geteilten und peinlich grünen, blumenreichen Rasenteppich auszubreiten.

Ein alter Weiser, an den Greis Vergils erinnernd, »Ein Mann, den Königen gleich, ein Mann, den Göttern nah, und ruhig und zufrieden gleich wie diese«, würde Lafontaine sagen, hatte sich dorthin zurückgezogen, wo das Leben enger scheinen könnte als woanders, wenn es möglich wäre, das Leben wirklich einzuschränken, und hatte seinen Alterssitz dort aufgeschlagen, nicht lebensmüde zwar — denn der Weise kennt keine Lebensmüdigkeit —, aber ein wenig müde, die Menschen zu befragen, denn sie antworten weniger einfältig als Tier und Pflanze auf die einzigen Fragen von Belang, die man der Natur über ihre wahren Gesetze stellen kann. Sein ganzes Glück, wie das des Philosophen Skytha, bestand in einem schönen Garten, und unter dessen Schönheiten liebte er am meisten und besuchte er am häufigsten einen Bienenstand von zwölf Strohglocken, die er mit hellem Gelb, Rosenrot und vor allem mit zartem Blau angestrichen hatte, denn er wusste schon lange vor den Experimenten von Sir John Lubbock, dass Blau die Lieblingsfarbe der Bienen ist. Der Bienenstand befand sich an der Hausmauer, im Winkel einer jener kühlen und leckeren holländischen Küchen mit Porzellanbrettern an den Wänden und leuchtendem Zinn- und Kupfergeschirr darauf, das sich durch die offene Haustür in einem stillen Kanal spiegelte. Und der Blick glitt über den Wasserspiegel mit seinen häuslichen Bildern, die ein Rahmen von Pappelbäumen umschloss, und fand seinen Ruhepunkt am Horizont mit seinen Mühlen und Weidetriften.

Hier wie überall, wo man sie aufstellt, hatten die Bienenstöcke den Blumen, der Stille, der milden Luft, den Sonnenstrahlen eine neue Bedeutung verliehen. Man griff hier mit Händen das festliche Gleichnis der hohen Sommertage. Man ruhte unter dem funkelnden Kreuzweg, von welchem die luftigen Straßen ausstrahlen, die sie vom Morgen bis zum Abend, mit allen Düften der Fluren beladen, geschäftig durchsummen. Man lauschte der heiteren, sichtbaren Seele, der klugen, wohlklingenden Stimme, man sah den Brennpunkt der Freude der sommerlichen Gartenlust. Man lernte in der Schule der Bienen das geheimnisvolle Wehen der Natur, die Fäden, die sich zwischen ihren drei Reichen knüpfen, die unermüdliche Selbstgestaltung des Lebens, die Moral der selbstlosen, eifrigen Arbeit, und was ebenso viel wert ist wie diese; die heroischen Arbeiterinnen lehrten den Geschmack an der unbestimmten Süßigkeit der Muße, sie unterstrichen mit ihren tausend kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen die fast unstoffliche Wonne jener jungfräulichen Tage, die in ewig gleicher Reinheit und Klarheit wiederkehren, ohne Erinnerungen zu hinterlassen, wie ein zu reines Glück.

Wir beginnen, um die Geschichte des Bienenstaats im Kreislauf des Jahres so einfach wie möglich zu erzählen, mit dem Erwachen im Frühling und dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir werden die Hauptstadien des Bienenlebens in ihrer natürlichen Reihenfolge einander ablösen sehen; das Schwärmen und was ihm vorangeht, die Gründung der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und Hochzeitsausflug der jungen Königinnen, die Drohnenschlacht und die Wiederkehr des Winterschlafs. Jede dieser Episoden erfordert die nötigen Erklärungen der Gesetze, Eigentümlichkeiten, Gewohnheiten und Ereignisse, die sie verursachen oder sie begleiten, sodass wir am Ende des Bienenjahres, das von April bis Ende September reicht, alle Geheimnisse des Honigstaates kennen werden.

Vorderhand, ehe ich einen Bienenstock öffne, um einen allgemeinen Blick darauf zu werfen, mag es genügen zu wissen, dass er sich aus einer Königin, der Mutter des ganzen Volkes, vielen Tausend Arbeitsbienen, das heißt, unentwickelten und unfruchtbaren Weibchen und einigen Hundert männlichen Bienen oder Drohnen zusammensetzt. Aus den Letzteren geht der einzige unglückliche Auserwählte der künftigen Herrscherin hervor, welche die Bienen nach dem mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden der alten Königin auf den Thron erheben.

Wenn man zum ersten Mal einen Bienenstock öffnet, so verspürt man etwas von der Erregung, die einen stets befällt, wenn man sich über etwas Unbekanntes hermacht, das voll von furchtbaren Überraschungen sein kann, wie beispielsweise ein Grab. Es spinnt sich um die Bienen eine Fabel von Gefahren und Drohungen. Man hat eine unbestimmte Erinnerung an die Bienenstiche, die einen zu eigenen Schmerz verursachen, als dass man wüsste, womit man ihn vergleichen soll; es ist ein trockenes, zuckendes Brennen, eine Art Wüstensonnenbrand, möchte man sagen, der sich bald über den ganzen Körperteil verbreitet. Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein leuchtendes Gift gesogen hätten, um die Schätze der Süßigkeit, die sie in ihren Segen spendenden Stunden sammeln, desto wirksamer zu verteidigen.

Freilich, wird ein Bienenstock ohne Vorsichtsmaßregeln geöffnet, von einem, der weder Charakter noch Sitten seiner Bewohner kennt und achtet, so verwandelt er sich im Nu in einen feurigen Busch von Zorn und Heldenmut.2 Aber es lernt sich nichts leichter als ein bisschen Geschicklichkeit, die erforderlich ist, um ihn ungestraft zu öffnen. Es genügt etwas Rauch, den man von Zeit zu Zeit hineinbläst, etwas Kaltblütigkeit und Sanftheit und die wohlbewehrten Arbeiterinnen lassen sich ausplündern, ohne daran zu denken, ihren Stachel zu zücken. Sie erkennen ihren Herrn nicht, wie behauptet werden ist, sie fürchten den Menschen nicht, aber wenn sie den Rauch riechen und die ruhigen Bewegungen in ihrer Wohnung sehen, so bilden sie sich ein, dass es sich nicht um einen Angriff oder einen Feind handelt, gegen den sie sich verteidigen können, sondern um eine Naturkraft oder Katastrophe, in die sie sich fügen müssen. Statt einen fruchtlosen Kampf zu wagen, wollen sie in ihrer diesmal getäuschten Klugheit wenigstens die Zukunft retten; sie stürzen sich auf die Honigvorräte und schlucken möglichst viel davon, um sie woanders, gleichgültig wo, aber sofort, zur Gründung einer neuen Stadt zu verwerten, wenn die alte zerstört ist oder sie gezwungen sind, sie aufzugeben.

Der Laie pflegt zuerst einigermaßen enttäuscht zu sein, wenn man ihm Einblick in einen Beobachtungskasten3 gewährt. Man hatte ihm versprochen, dass dieser Kasten ein ungeheures Maß von Tatkraft, eine Unzahl von weisen Gesetzen, eine erstaunliche Fülle von Geist, dass er Mysterien, Erfahrungen, Berechnungen, Wissen und Gewerbefleiß der verschiedensten Art, weise Voraussichten, Gewissheiten und Gewohnheiten voller Klugheit und eine Menge von seltsamen Tugenden und Gefühlen enthielte. Und nun erblickt er nur ein Gekribbel von rötlichen Beeren, die wie geröstete Kaffeebohnen aussehen oder wie Rosinen, die massenhaft an den Scheiben sitzen. Sie scheinen mehr tot als lebendig, und ihre Bewegungen sind langsam, unzusammenhängend und unverständlich. Er erkennt die herrlichen Lichttropfen nicht wieder, die noch eben ohne Unterlass in den gold- und perlenschimmernden Schoß von tausend geöffneten Blumenkelchen hinabtauchten und wieder hervorkamen. Sie zittern anscheinend in der Finsternis. Sie ersticken in einer unbeweglichen Menge; man möchte sagen, sie sind wie kranke Gefangene oder entthronte Königinnen, die nur einen glänzenden Augenblick unter den leuchtenden Blumen des Gartens leben, um alsbald in das scheußliche Elend ihres armseligen, engen Kerkers zurückzukehren.

Es ist mit ihnen, wie mit allen tiefen Realitäten. Man muss sie beobachten lernen. Wenn ein Bewohner einer anderen Welt auf die Erde herabkäme und sähe, wie die Menschen durch die Straßen gehen, wie sie sich um einzelne Gebäude scharen oder auf gewissen Plätzen zusammendrängen, wie sie ohne auffällige Gebärden in ihren Wohnungen sitzen und harten, so würde er auch zu dem Schluss kommen, dass sie träge und bedauernswert sind. Mit der Zeit erst beginnt man die vielseitige Tätigkeit, die in dieser Trägheit liegt, zu erkennen.

In Wahrheit arbeitet jede dieser fast unbeweglichen kleinen Bienen unermüdlich, und jede tut etwas anderes. Keine kennt die Ruhe, und gerade die, die scheinbar eingeschlafen sind und wie leblose Trauben an den Scheiben hängen, haben die geheimnisvollste und ermüdendste Arbeit zu verrichten, sie bereiten das Wachs. Aber wir werden auf diese Einzelheiten ihrer streng geteilten Tätigkeit bald näher eingehen. Inzwischen genügt es, die Aufmerksamkeit auf den Hauptcharakterzug der Bienen zu lenken, durch den sich das enge Beieinandersitzen in dieser mannigfachen Tätigkeit erklärt. Die Biene ist vor allem und mehr noch als die Ameise ein Gesellschaftstier, sie kann nur zu vielen leben. Wenn sie aus dem dicht besetzten Stock ausfliegt, so muss sie sich mit dem Kopf einen Weg durch die lebenden Mauern bahnen, die sie umschließen, und sie verlässt damit ihr eigentliches Element. Sie taucht einen Augenblick in den blumenreichen Raum, wie der Schwimmer in den perlenreichen Ozean, aber sie muss, wenn ihr das Leben lieb ist, von Zeit zu Zeit wieder in den Dunstkreis ihrer Gefährtinnen zurück, wie der Schwimmer wieder auftaucht, um Luft zu schöpfen. Bleibt sie allein, so geht sie auch bei den günstigsten Temperaturverhältnissen und dem größten Blumenreichtum in wenigen Stunden zugrunde, nicht infolge von Hunger und Kälte, sondern von Einsamkeit. Die Menge ihrer Schwestern, der Bienenstock, ist für sie ein zwar unsichtbares, aber nicht weniger unentbehrliches Nahrungsmittel als der Honig. Dieses Bedürfnis muss man sich gegenwärtig halten, will man den Geist der Gesetze des Bienenstaats erfassen. Das Individuum gilt im Bienenstock nichts, es hat nur ein Dasein aus zweiter Hand, es ist gleichsam ein nebensächlicher Faktor, ein geflügeltes Organ der Gattung. Sein ganzes Leben ist eine vollständige Aufopferung für das unzählige, beharrende Wesen, zu dem es gehört. Sonderbarerweise lässt sich feststellen, dass dies nicht immer so war. Man findet auch heute noch unter den Honigwespen alle Stadien der schrittweisen Entwicklung unserer Hausbiene vor. Auf der untersten Stufe arbeitet sie allein im Elend; oft erblickt sie nicht einmal ihre Nachkommenschaft (wie bei den Prosopis und Colletes), bisweilen lebt sie im engen Familienkreis mit ihrer jährlichen Brut (wie bei den Hummeln), vereinigt sich dann vorübergehend zu Gesellschaften (Grabbienen, Hosenbienen, Ballenbienen) und erreicht schließlich, von Stufe zu Stufe steigend, die nahezu vollkommene Gesellschaftsform unserer Bienenstöcke, wo das Individuum vollständig in der Gesamtheit aufgeht und die Gesamtheit wiederum der abstrakten, unsterblichen Gesellschaft der Zukunft geopfert wird.

Hüten wir uns, aus diesen Tatsachen voreilige Schlüsse auf den Menschen zu ziehen. Der Mensch hat das Vermögen, sich den Naturgesetzen nicht zu fügen. Ob es recht oder unrecht st, von diesem Vermögen Gebrauch zu machen; das ist der wichtigste, aber auch der unaufgeklärteste Punkt unserer Moral. Inzwischen ist es nicht belanglos, den Willen der Natur in einer anders gearteten Welt zu belauschen, und gerade bei den Honigwespen, die nächst dem Menschen unzweifelhaft die intelligentesten Bewohner dieses Erdballs sind, tritt dieser Wille sehr deutlich zutage. Et trachtet sichtlich nach Veredelung der Art, aber er zeigt auch, dass er diese nur auf Kosten der individuellen Freiheit und des individuellen Glücks erreichen will oder kann. In dem M aße, wie die Gesellschaft sich organisiert und erhebt, wird dem Sonderleben eines jeden ihrer Glieder ein immer engerer Kreis gezogen. Wo ein Fortschritt eintritt, geschieht dies durch ein immer vollkommeneres Opfer der persönlichen zugunsten der allgemeinen Interessen. Zunächst muss ein jedes Individuum auf eigenmächtige Laster verzichten. So findet man auf der vorletzten Kulturstufe der Bienen die Hummeln, die unseren Menschenfressern zu vergleichen sind; die ausgewachsenen Arbeiterinnen stellen nämlich unaufhörlich den Eiern nach, um sie zu fressen, und die Mutter muss sie mit aller Energie dagegen verteidigen. Ferner muss sich jedes Individuum, nachdem es die gefährlichsten Laster abgelegt hat, eine Anzahl von immer strenger gefassten Tugenden zu eigen machen. Die Arbeiterinnen bei den Hummeln lassen es sich beispielsweise noch nicht einfallen, der Liebe zu entsagen, während unsere Hausbiene in unbedingter Keuschheit lebt. Nun, wir werden ja bald sehen, was sie alles in Tausch gibt für das Wohlbefinden, die Sicherheit, die architektonische, ökonomische und politische Vollkommenheit des Bienenstocks, und wir kommen auf den Entwicklungsgang der Honigwespen in dem Kapitel über den Fortschritt der Art noch einmal zurück.

1 Man könnte noch die Monografie von Kirby und Spence in ihrer „Introduction to Entomology“ erwähnen, aber sie ist fast ausschließlich technisch.

 

2 Vor Kurzem lief durch die Zeitungen die Nachricht, dass ein Bauer beim Nachsehen seiner Bienenstöcke, die jeder gute Bienenzüchter zur Frühlingszeit einer Prüfung unterzieht, von einem Schwarm wütender Bienen angefallen wurde und den zahllosen furchtbaren Stichen erlag, die ihm die Wild gewordenen Liebhaberinnen der Blumenwelt beibrachten. Gelegentlich dieses Vorfalls, der uns trotz seiner grausamen Folgen doch fast wie ein Stück Hirtengedicht und Frühlingsduft anmutet, gingen mir (denn seit der Veröffentlichung dieses Buches bin ich, ganz ohne mein Zutun, zu einer Art Sachwalter der Elementarbienenkunde geworden) allerhand verzweifelte und verstörte Briefe zu, in denen ich gefragt wurde, ob die Sache tatsächlich geschehen wäre und ob sie wirklich den Tod geben können, die flinken Jungfrauen rnit den durchsichtigen Flügeln, die sich mit Frühlingsanfang aufmachen, um den Veilchen, Primeln und Anemonen das zu rauben, was in der Vorstellung des Menschen wohl das Reinste des Lebens ist: den Duft und die Schönheit der Blumen.

Mein Gott, ja, es ist möglich, und der Mensch kann den Tod auch in einem Sonnenstrahl oder einem Rosenstrauß finden. Er lauert überall, und nichts ist dem Leben ähnlicher als er. Er ist der unseren Kinderaugen furchtbar dünkende Schatten des Lebens, den es wirft, wenn es nach neuem Leben trachtet. Aber um ihn so zu finden, „im Flügelschwirren eines Bienenschwarms“, dazu bedarf es nach meiner Meinung mehr als einer gewöhnlichen Ungeschicktheit oder Schicksalstücke.

Die näheren Umstände dieses tragischen Idylls sind mir unbekannt. Um ihnen auf den Grund zu gehen, muss man einen Blick auf die recht seltsame Psychologie des Zorns der Bienen werfen. Die Biene ist im Grunde das langmütigste und friedfertigste Tier und sticht nie (wenn man sie nicht quetscht), solange sie die Blüten befliegt. Aber in ihrem wächsernen Königreiche behält sie diesen sanften und verträglichen Charakter nur dann bei, wenn ihre Stadt reich ist; ist sie arm, so wird sie kampfeslustig und Gefahr bringend. Wie oftmals beim Studium der Sitten dieses emsigen und geheimnisvollen Völkchens werden auch hier die Voraussetzungen der menschlichen Logik vollständig Lügen gestraft.

Es wäre natürlich, wenn die Bienen eine Stadt, die von mühsam gesammelten Schätzen strotzt, hartnäckig verteidigen würden, eine Stadt, wie man sie in guten Bienenständen trifft, wo der Nektar keinen Platz mehr findet in den unzähligen Zellen, die wie Tausende von kleinen Fässern von den Kellern bis unters Dach aufgespeichert liegen, sodass er längs der summenden Wände in goldigen Stalaktiten herabtropft und weit in die Fluten hinaus den vergänglichen Düften der sich öffnenden Blumenkelche den dauerhafteren Wohlgeruch des Honigs entgegensendet, in dem die Erinnerung an die von der Zeit geschlossenen Kelche weiterlebt.

Aber dem ist nicht so. ]e reicher ihr Stock ist, desto weniger sind sie darauf bedacht, ihn zu verteidigen. Man öffne einen reich gesegneten Bienenstock oder stülpe ihn um: Wenn man mit etwas Tabaksqualm die Schildwachen am Eingang vorher verscheucht hat, so wird es höchst selten vorkommen, dass die anderen Bienen einem die flüssige Beute streitig machen, die sie dem Lächeln und der Hold der schönen Jahreszeit abgewonnen haben. Man mache dies Experiment nur unbesorgt; ich bürge für seine Gefahrlosigkeit, sofern man nur an die segensschwersten Stöcke geht. Man kann sie umwenden und handhaben wie summende, unschädliche Krüge. Was bedeutet das? Haben die tapferen Amazonen den Mut verloren? Hat der Überfluss sie verweichlicht, und haben sie, wie die allzu begüterten Einwohner reicher Städte, die gefährlichen Pflichten der Verteidigung auf die unglücklichen Söldner abgewälzt, die an den Toren wachen? Nein, man kann nie wahrnehmen, dass ihre Tugend durch das größte Glück entnervt wird. Im Gegenteil, je mehr ihr Gemeinwesen gedeiht, desto strenger sind die Gesetze, desto härter werden sie durchgeführt, und die Arbeitsbienen eines Stockes, in dem sich der Überfluss häuft, arbeiten viel fleißiger und schonungsloser als die eines armen Stockes.

Es liegen hier andere Gründe vor, die aber wahrscheinlich sind, sofern man sich nur klar wird, welche furchtbare Deutung die arme Biene unseren ungeheuren Bewegungen gibt. Wenn sie ihr gewaltiges Reich plötzlich in die Luft gehoben, hin- und hergestoßen und geöffnet sieht, denkt sie wahrscheinlich an eine unvermeidliche Naturkatastrophe, gegen die es sinnlos wäre, anzukämpfen. Sie leistet keinen Widerstand, aber sie flieht auch nicht. Indem sie die Zerstörung hinnimmt, scheint sie in ihrem Instinkt schon die künftige Wohnung zu sehen, die sie mit den Vorräten ihrer erbrochenen Stadt neu zu bauen heilt. Sie gibt die Gegenwart ohne Widerstand auf, um die Zukunft zu retten. Oder kommt es wohl auch vor, dass sie, wie der Hund in der Fabel, der „das Essen seines Herrn im Hals trägt“‚ zu der Einsicht gelangt, dass alles unwiederbringlich verloren ist, und es vorzieht, ihren Teil an der Beute in Beschlag zu nehmen und in einer einzigen wunderbaren Orgie das Leben mit dem Tod zu vertauschen? Wir wissen dies nicht genau. Aber wie sollten wir die Beweggründe der Bienen durchschauen, wenn die der einfachsten Handlungen unserer Mitbrüder uns vorenthalten bleiben?

Jedenfalls stürzen die Bienen bei jeder großen Prüfung, die über ihre Stadt hereinbricht, bei jeder Umwälzung, die ihnen unabwendbar dünkt, sobald die Schreckenskunde sich unter dem schwarzen, zitternden Völkchen von Mund zu Mund verbreitet hat, sich auf die Waben, reißen die geheiligten Siegel der verdeckelten Wintervorräte auf, tauchen den Kopf in die duftenden Behälter, kriechen ganz hinein und schlürfen in langen Zügen den keuschen Blumenwein, berauschen sich damit und saugen sich voll, bis ihr geringelter Hinterleib sich verlängert und erweitert wie ein schwellendes Euter. Nun aber vermag die vom Honig aufgeschwellte Biene den Hinterkörper nicht mehr in dem Winkel zu krümmen, der erforderlich ist, um den Stachel zu zücken. Sie wird also dadurch sozusagen wehrlos. Man wähnt zumeist, der Bienenzüchter brauchte den Räucherapparat, um die kriegerischen Schatzgräberinnen der Luft zu betäuben und halb zu ersticken und so ohne Widerstand in den Palast der unzähligen Dornröschen einzudringen. Aber das ist ein Irrtum. Der Rauch dient zuerst zum Verscheuchen der Wache am Eingang, die stets auf Posten und äußerst reizbar ist; dann genügen zwei oder drei Wolken, um die Panik unter die Arbeitsbienen zu tragen, und diese Panik hat die seltsame Orgie zur Folge und die Orgie die Ohnmacht.

So erklärt es sich, dass man mit unverschleiertem Gesicht und bloßen Armen die volkreichsten Stöcke öffnen, ihre Waben prüfen, die Bienen abschütteln und vor seine Füße werfen, sie auf einen Haufen sammeln, wie Getreidekörner umschütten und inmitten des summenden Schwarms ruhig den Honig schneiden kann, ohne einen Stich zu bekommen.

Aber wehe dem, der die armen Bienenwohnungen anrührt! Es ist wahrscheinlich bei einer dieser Behausungen des Elends gewesen, wo der Unglückliche, von dem die Zeitungen meldeten, den Tod gefunden hat. In der Tat sind am Ende des Winters die Vorräte der meisten Bienenstöcke erschöpft, und ihre Insassen werden alsdann gefährlich. Hier vermag auch der Rauch nichts, und kaum hat man die ersten Wolken hineingeblasen, so kommen zwanzigtausend wütende kleine Teufel aus dem Innern hervorgeschossen, stürzen sich auf die Hände, umnebeln die Augen und bedecken das Gesicht des Störenfrieds. Kein lebendes Wesen, außer dem Bären, wie man sagt, und dem Totenkopfschmetterling, widersteht der Wut der geflügelten Legionen.

Vor allem darf man keinen Kampf aufnehmen, sonst wachen auch die Nachbarkolonien auf. Es gibt kein anderes Heil als schnellste Flucht durch die Büsche. Die Biene ist nicht so rachsüchtig und unversöhnlich wie die Wespe und verfolgt den Feind selten. Wenn die Flucht unmöglich ist, kann allein die vollständige Unbeweglichkeit sie beruhigen oder irreführen. Sie fürchtet jede zu heftige Bewegung und greift sie an, aber sie verzeiht auf der Stelle, wenn man sich nicht mehr rührt.

Die armen Bienenstöcke leben oder besser sterben in den Tag hinein, und weil sie in ihren Zellen keinen Honig mehr haben, so hat auch der Rauch seine Wirkung verloren. Weil sie sich nicht vollsaugen können wie ihre begüterten Schwestern, so wird ihr Eifer nicht durch die Möglichkeit einer Neugründung der Stadt beherrscht. Sie wollen dann lieber auf der entweihten Schwelle sterben und verteidigen sie, mager und eingefallen, gelenk und zügellos, wie sie sind, mit unerhörtem Heldenmut und gleicher Hartnäckigkeit. Darum transportiert der vorsichtige Imker auch keinen seiner darbenden Bienenstöcke, ohne zuvor den hungrigen Eumeniden ein Honigopfer gebracht zu haben. Er gibt ihnen eine Honigwabe, auf die sie sich stürzen und auf der sie sich bei Zuhilfenahme von Rauch vollsaugen und berauschen und alsbald sind sie entwaffnet wie die reichen Bürgerinnen der üppigen Städte.

Es wäre noch mancherlei zu sagen über den Zorn der Bienen und ihre seltsamen Abneigungen, die oft so wunderlich sind, dass man ihnen lange Zeit — und unter den Bauern tut man es noch jetzt — moralische Ursachen und tiefe mystische Intuitionen zugrundegelegt hat. So ist man z. B. überzeugt, dass die jungfräulichen Schnitterinnen die Nähe alles Unkeuschen nicht ertragen können. Es wäre erstaunlich, wenn die klügsten Geschöpfe‚ die mit uns auf diesem unbegreiflichen Erdball leben, der unschuldigsten Sünde ebenso Viel Bedeutung beilegten wie der Mensch.