Die Intelligenz der Blumen - Maurice Maeterlinck - E-Book

Die Intelligenz der Blumen E-Book

Maurice Maeterlinck

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Beschreibung

Was wir von der Klugheit der Pflanzen lernen können Maurice Maeterlinck war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Autoren Europas. Heinrich und Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, aber auch die späteren Surrealisten André Breton, Jean Cocteau und Antonin Artaud zählten zu den Bewunderern des Autors, der 1911 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Neben seinen lyrischen Werken und Bühnenstücken veröffentlichte er 1907 Die Intelligenz der Blumen: "Man möchte wirklich meinen, die Ideen kämen den Blumen auf gleiche Weise wie uns. Sie tasten in derselben Nacht, begegnen den gleichen Hindernissen, dem gleichen bösen Willen in dem gleichen Unbekannten. Sie kennen dieselben Gesetze, dieselben Enttäuschungen, dieselben langwierigen und mühsamen Siege. Sie haben anscheinend unsere Geduld, unsere Beharrlichkeit, unsere Eigenliebe, den gleichen abgestuften mannigfachen Verstand, ja fast dieselbe Hoffnung und dasselbe Ideal."

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Seitenzahl: 90

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Ebook Edition

Maurice Maeterlinck

Die Intelligenz der Blumen

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-699-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: pleasant_net, Büro für strategische Beeinflussung

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Die Intelligenz der Blumen
Zum Autor
Anmerkungen
Bildnachweise

Maurice Maeterlinck, geboren 1862 und 1949 gestorben, war ein belgischer Dramatiker, Dichter, Rechtsanwalt, Philosoph und Essayist französischer Sprache. 1911 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Er gilt mit seinen lyrischen Werken und Bühnenstücken, darunter das Schauspiel »Pelléas et Mélisande«, als einer der wichtigsten Vertreter des Symbolismus.

Einen Beitrag von Matthias Bröckers zum Leben von Maurice Maeterlinck finden Sie am Ende des Buches.

Diese Ausgabe folgt der 1912 bei Eugen Diederichs, Jena, erschienenen Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski. In der Originalausgabe enthält Die Intelligenz der Blumen noch weitere Essays zu anderen Themen, die hier nicht wiedergegeben werden.

Die Intelligenz der Blumen

Ich will hier nichts als an einige, allen Botanikern geläufige Tatsachen erinnern. Ich habe keine neue Entdeckung gemacht und mein bescheidener Beitrag beschränkt sich auf einige Elementar-Beobachtungen. Ich habe natürlich nicht die Absicht, alle Beweise von Intelligenz, die uns die Pflanzen geben, zu wiederholen. Diese Beweise sind unzählig und wiederholen sich fortwährend, namentlich in der Welt der Blumen, in denen sich das Trachten des vegetabilischen Lebens nach Licht und Geist am stärksten verkörpert.

Wenn es Pflanzen und Blumen gibt, die ungeschickt und unglücklich sind, so ist doch keine vorhanden, die ohne jede Klugheit und Erfindungsgabe wäre. Alle streben danach, ihre Aufgabe zu erfüllen; alle haben den prächtigen Ehrgeiz, die Erdoberfläche zu überziehen und zu erobern, indem sie die Daseinsform, die sie darstellen, unendlich vervielfältigen. Zur Erlangung dieses Zieles haben sie infolge des organischen Gesetzes, das sie an die Scholle kettet, weit größere Schwierigkeiten zu überwinden als die, welche die Tiere bei ihrer Vermehrung finden. Und darum nimmt auch die Mehrzahl unter ihnen seine Zuflucht zu Listen und Kombinationen, zu einem Mechanismus und zu Fallen, die unter dem Gesichtspunkt der Mechanik, der Ballistik, des Fluges, der Beobachtung der Insekten und anderem mehr den Erfindungen und Kenntnissen des Menschen oft vorausgewesen sind.

Es ist überflüssig, die großen Systeme der Blumenbefruchtung noch einmal zu schildern: das Spiel der Staubblätter und des Stempels, die Verführung der Düfte, den Lockruf der harmonischen und leuchtenden Farben, die Bereitung des der Pflanze völlig unnötigen Honigsaftes, den sie nur zum Anlocken und Festhalten des fremden Befreiers und Liebesboten hervorbringt: der Biene, Hummel und Fliege, des Schmetterlings oder Nachtfalters, der ihr den Kuss des fernen, unsichtbaren, unbeweglichen Geliebten bringen soll …

Die Pflanzenwelt, die uns so friedlich, so resigniert dünkt, in der alles Ergebung, Schweigen, Gehorsam, Sammlung scheint, ist im Gegenteil eine Welt, in der die Auflehnung gegen das Schicksal am heftigsten und hartnäckigsten ist. Ihr wesentlichstes Organ, das Nahrungsorgan der Pflanze, die Wurzel, kettet sie unlöslich an die Scholle. Wenn es schwierig ist, unter den großen Gesetzen, die auf uns lasten, das zu entdecken, das am schwersten auf unsere Schultern drückt, so ist bei der Pflanze kein Zweifel darüber möglich: es ist das Gesetz, das sie von ihrer Geburt bis zum Tode zur Unbeweglichkeit verdammt. Darum weiß sie auch besser als wir, die wir unsere Kräfte zersplittern, wogegen sie sich zuerst aufzulehnen hat. Und die Energie ihrer fixen Idee, die aus dem Dunkel ihrer Wurzeln emporsteigt, um sich im Licht ihrer Blüte zu organisieren und zu entfalten, bietet ein unvergleichliches Schauspiel. Sie ist ganz auf ein einziges Ziel eingestellt: dem Schicksal ihrer Wurzel durch ihre Blüte zu entrinnen, das drückende und düstere Gesetz zu übertreten und seiner zu spotten, sich freizumachen und die enge Sphäre zu zerbrechen, sich Flügel zu erfinden oder sie anzulocken, so weit wie möglich zu entkommen, den Raum zu besiegen, worin das Schicksal sie gefangen hält, sich einem andern Naturreich zu nähern, in eine lebende und bewegte Welt einzudringen … Und dass ihr das gelingt, ist das nicht ebenso erstaunlich, als ob wir uns zusammentäten, um außerhalb der Zeitschranken zu leben, die ein anderes Geschick uns gezogen hat, oder uns in eine Welt aufzuschwingen, die von den lastendsten Gesetzen der Materie befreit ist? Wie wir sehen werden, gibt die Pflanze dem Menschen ein wundersames Beispiel der Unbotmäßigkeit, des Mutes, der Beharrlichkeit und Erfindsamkeit. Hätten wir nur halb so viel Energie aufgewandt, wie irgendeine kleine Gartenblume, um den Druck mehrerer schwerer Notwendigkeiten, zum Beispiel den des Schmerzes, des Alters und des Todes zu erleichtern, so ist es verstattet zu glauben, dass unser Schicksal von dem, was es jetzt ist, sehr verschieden wäre.

Dieses Bedürfnis nach Bewegung, dieser Hunger nach Raum betätigt sich bei der Mehrzahl der Blumen sowohl in der Blüte wie in der Frucht. In der Frucht erklärt er sich leicht oder verrät hier doch nur eine minder komplizierte Erfahrung und Voraussicht. Im Gegensatz zu den Vorgängen im Tierreich hat das Samenkorn – dank dem furchtbaren Gesetz der völligen Unbeweglichkeit – seinen ersten und schlimmsten Feind in seinem Heimatboden. Wir sind hier in einer wunderlichen Welt, wo die Eltern unfähig sind, sich vom Fleck zu rühren, und wissen, dass sie dazu verdammt sind, ihre Sprösslinge verhungern zu lassen oder ersticken zu müssen. Jeder Same, der zu Füßen des Baumes oder der Pflanze niederfällt, ist verloren oder muss elendiglich verkümmern. Daher die ungeheure Anstrengung, um das Joch abzuschütteln und den Raum zu erobern. Daher die wunderbaren Systeme der Ausstreuung, Verbreitung und Beflügelung der Samenkörner, die wir allerorten in Wald und Flur finden. So, um nur einige der merkwürdigsten Beispiele zu streifen, die Luftschraube des Ahornsamens (Siehe Abb. 1), die Flügelschraube der Linde, die Schwebevorrichtung der Distel, des Löwenzahns und des Bocksbartes, die knallenden Sprungfedern der Wolfsmilch, den außerordentlichen Spritzball der Spritzgurke (Ecballium), die Wollhäken der Eriphilen und abertausend andere unerwartete Mechanismen, die uns in Verwunderung setzen, denn es gibt sozusagen keinen Samen, der nicht ein ganz besonderes Verfahren erfunden hat, um dem Schatten seiner Mutter zu entgehen.

Abb. 1: Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus)

Wenn man nie Botanik getrieben hat, glaubt man es in der Tat nicht, welche Fülle von Erfindungskraft und Geist von all diesen Pflanzen ausgegeben wird, deren Grün unser Auge erlabt. Man betrachte doch nur die reizende Kapsel voller Samenkörner bei dem roten Gauchheil (Anagallis arvensis, Abb. 2), die fünf Samenfächer der Balsamine, die fünf Springkapseln des Geraniums. Man übersehe auch nicht den gewöhnlichen Kopf des Mohns, den man bei allen Kräutersammlern findet. Dieser gute dicke Kopf besitzt eine Voraussicht, eine Klugheit, die das größte Lob verdient. Bekanntlich enthält er Tausende von winzigen schwarzen Körnchen. Dieser Same muss so geschickt und so weit wie möglich verstreut werden. Wenn die Samenkapsel platzte, auf den Boden fiele oder sich nach unten öffnete, so würde das kostbare schwarze Pulver nur einen unnützen Haufen am Fuße des Stengels bilden. Nun aber kann es nur durch Löcher in der Spitze der Kapsel hinausgelangen. Sobald diese reif ist, neigt sie sich über ihren Stängel, stäubt beim geringsten Windhauch und sät die Körner buchstäblich in den Raum, mit der gleichen Gebärde wie ein Sämann.

Abb. 2: Gauchheil (Anagallis)

Soll ich noch von den Samenarten reden, die ihre Ausstreuung durch die Vögel voraussehen und um diese anzulocken, sich in einer zuckrigen Hülle verbergen, wie Mistel, Wacholder und Vogelbeerbaum? Hier herrscht eine solche Überlegung, eine solche Einsicht in den Endzweck, dass man nicht gern weiter folgert, aus Furcht, in die naiven Irrtümer von Bernardin de Saint-Pierre1 zurückzufallen. Trotzdem lassen sich die Tatsachen nicht anders erklären. Die zuckrige Hülle ist dem Samenkorn ebenso wenig vonnöten, wie der Honigsaft, der die Biene anlockt, der Blume. Der Vogel frisst die Frucht, weil sie zuckrig ist, und verschluckt gleichzeitig das unverdauliche Samenkorn. Er fliegt fort und scheidet allmählich die Samenkörner wieder aus, so wie er sie aufgenommen hat, nur ihrer Hülle beraubt und imstande, fern von den Gefahren der unfreiwilligen elterlichen Selbstsucht zu keimen.

Doch kehren wir zu einfacheren Vorrichtungen zurück. Man braucht nur am Wegrain im ersten besten Grasbüschel ein Hälmchen zu pflücken, und man belauscht eine kleine selbstständige, unermüdliche, unverhoffte Intelligenz in ihrem Wirken. Da gibt es zum Beispiel zwei armselige Kletterpflanzen, die schon ein jeder auf seinen Spaziergängen getroffen hat, denn sie wachsen allerorten bis in die undankbarsten Winkel, in die sich ein bisschen Humus verirrt hat. Es sind zwei Spielarten der wilden Luzerne (Medicago), beide Unkraut im bescheidensten Sinne des Wortes. Die eine hat eine rötliche Blüte, die andere eine gelbe Quaste von der Größe einer Erbse. Sieht man sie sich kriechend unter den stolzen Gräsern verstecken, so ahnt man nicht, dass sie – lange vor Archimedes – die erstaunlichen Eigenschaften der Schraube entdeckt und verwertet haben, nicht zwar zur Hebung von Flüssigkeiten, wohl aber zur Beflügelung des Samens. Sie bewahren den ihren in leichten, viermal gewundenen Spiralen von bewundernswerter Bauart, mit der klugen Absicht, seinen Fall dadurch zu verlangsamen und folglich – mithilfe des Windes – seine luftige Reise zu verlängern. Die gelbe Spielart hat die Vorrichtung der roten sogar vervollkommnet, indem sie die Ränder der Spirale mit einer doppelten Reihe kleiner Stacheln versehen hat, in dem augenscheinlichen Bestreben, dass sie an den Kleidern der Vorübergehenden oder am Fell der Tiere hängen bleibt. Sie hofft offenbar, die Vorteile der Aerophilie, das heißt die Ausstreuung des Samens durch Schafe, Ziegen, Kaninchen und so weiter mit denen der Anemophilie oder Samenverbreitung durch den Wind zu vereinen.

Das rührendste an diesem ganzen Bemühen ist seine Vergeblichkeit. Die arme gelbe und rote Luzerne hat sich geirrt. Ihre hervorragenden Schrauben dienen zu nichts. Sie könnten nur dann funktionieren, wenn der Same aus beträchtlicher Höhe herabfiele, vom Wipfel eines hohen Baumes oder von einem hochragenden Grashalm. Jetzt, wo sie sich fast am Boden befinden, hat er noch keine Viertelumdrehung gemacht, wenn er schon die Erde berührt. Es ist dies ein seltsames Beispiel von Irrtum, Tasten, Experimentieren und kleinen Verrechnungen, die in der Natur nicht zu selten sind; denn nur die, welche sie nie studiert haben, behaupten, sie irre sich nie.