Das Lehrwerk im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I - Johanna Lea Korell - E-Book

Das Lehrwerk im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I E-Book

Johanna Lea Korell

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Beschreibung

Lehrwerke stellen im Fremdsprachenunterricht ein maßgebliches Instrument dar, das die Lehr- und Lernkultur nachhaltig beeinflusst. Doch noch immer liegen kaum empirische Erkenntnisse zur Wahrnehmung von und zum Umgang mit Lehrwerken durch Lehrende und Lernende vor. Mit der vorliegenden Mixed-Methods-Studie wird die Interaktion von Lehrkräften mit dem Lehrwerk erstmalig einer multiperspektivischen Betrachtung unterzogen und das Lehrwerk in der Faktorenkomplexion des Fremdsprachenunterrichts ergründet. Anhand der Kombination und Integration quantitativer und qualitativer Erhebungs- und Auswertungsmethoden werden lehrwerk(verwendungs-)bezogene Kenntnisse, Einstellungen, Rezeptions- und Verwendungsweisen von Spanischlehrkräften sowie strukturelle Faktoren der Lehrwerknutzung ermittelt. Die Untersuchung liefert damit zentrale Erkenntnisse, die für die Lehrwerkforschung und Lehrer:innenbildung von Bedeutung sind.

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Johanna Lea Korell

Das Lehrwerk im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I

Eine Mixed-Methods-Studie zu subjektiven Sicht- und Verwendungsweisen von Spanischlehrkräften

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381112623

 

© 2024 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0175-7776

 

ISBN 978-3-381-11261-6 (Print)

ISBN 978-3-381-11263-0 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Einleitung1.1 Forschungsanlass, Zielsetzungen und Untersuchungsdesign1.2 Struktur der Arbeit2 Theoretischer Teil: Grundlagen und Bezugsrahmen2.1 Das (Spanisch-)Lehrwerk als Forschungsgegenstand2.1.1 Terminologische Klärung und Abgrenzung2.1.2 Konzeptionelle und strukturelle Betrachtung2.1.3 Einflussfaktoren auf Lehrwerke und ihre Erforschung2.1.4 Zur Bedeutung des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht: Funktionen, Grenzen und Alternativen2.2 Der Fremdsprachenunterricht Spanisch und seine Lehr- und Lernmaterialien im Wandel der Zeit: historische Entwicklung und aktuelle TendenzenSpanisch als Fremdsprache im deutschen SchulsystemAktuelle Tendenzen zur Wahl des Spanischen als zweite Fremdsprache auf Basis einer Lernendenzahlerhebung im Schuljahr 2022/23 an ausgewählten hessischen SchulenRückblick: Historische Entwicklung des Spanischen als Fremdsprache im deutschen Schulsystem als Ausgangspunkt zur Genese von Lehr- und LernmaterialienZwischenfazit IMaterialienentwicklung vor dem 19. JahrhundertMaterialienentwicklung ab dem 19. JahrhundertMaterialienentwicklung ab dem 20. JahrhundertSpanisch-Lehrbücher in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)Spanischlehrwerke ab den 1990er-Jahren bis heuteZwischenfazit II2.3 Fremdsprachendidaktische Lehrwerkforschung: Von der Lehrwerkanalyse zur Verwendungsforschung – eine Systematisierung des Forschungsfelds2.3.1 Dimensionen der Lehrwerkforschung: Begriffs- und Konzeptbestimmung sowie -abgrenzung2.3.2 Spanischdidaktische Lehrwerkforschung: Analyse des Forschungsstands2.3.3 Die Interaktion von Lehrenden mit Lehrwerken: theoretische Zugänge und Konzeptualisierungsversuche im Forschungsdiskurs2.3.4 Zwischenfazit und Ausgangsbasis für die vorliegende Studie2.4 Erkenntnisinteresse, terminologische Standortbestimmung und Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstands – ein multidimensionaler Zugang2.4.1 Subjektive Sichtweise auf das Lehrwerk und seine Verwendung2.4.2 Rezeption und Verwendung des Lehrwerks2.4.3 Strukturelle Faktoren2.4.4 Zwischenfazit und abschließende Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstands3 Empirischer Teil: Konzeption und Durchführung der Studie3.1 Forschungsfragen und Einordnung der Studie in das Forschungsfeld3.2 Kontextuelle Rahmung der empirischen Studie3.2.1 Zugang zum Forschungsfeld3.2.2 Samplingstrategien3.2.3 Untersuchungszeiträume3.2.4 Pandemiebezogene Umstände3.3 Forschungsethische Gesichtspunkte: Perspektiven und Handlungsfelder3.4 Mixed Methods3.4.1 Forschungsmethodologische Verortung: Grundlegendes Methodenverständnis sowie terminologische Standortbestimmung und Abgrenzung3.4.2 Methodische Überlegungen und Begründung eines Mixed-Methods-Designs3.5 Erhebungsmethoden und Konzeption der Erhebungsinstrumente3.5.1 Quantitative explorative Studie: schriftliche Online-Befragung3.5.2 Qualitativer Studienteil I: videographische Unterrichtsbeobachtung unter Einbezug von Unterrichtsvorbereitungen und Materialnutzungsdokumentationen3.5.3 Qualitativer Studienteil II: leitfadengestützte mündliche Befragung3.5.4 Zwischenfazit3.6 Pilotierung der Erhebungsinstrumente3.7 Datenaufbereitung: Verfahren anhand der einzelnen Datensätze3.8 Datenauswertung: theoretische Überlegungen und Begründung der Gegenstandsangemessenheit der gewählten Auswertungsmethoden3.8.1 Quantitative Auswertungsmethode: uni- und bivariate Statistik3.8.2 Qualitative Auswertungsmethode: qualitative Inhaltsanalyse3.8.3 Datenanalyse in der vorliegenden Mixed-Methods-Studie3.8.4 Software beim Datenauswertungsprozess4 Empirische Untersuchungsergebnisse4.1 Zur Kontextualisierung der Untersuchungsergebnisse: Demographisch-biographische Daten unter lehrwerkbezogenen Gesichtspunkten4.2 Die subjektive Sichtweise auf Lehrwerke und ihre Verwendung von Spanischlehrkräften (Quant-Qual)4.2.1 Zur kognitiven Dimension4.2.2 Zur affektiven Dimension4.2.3 Zusammenfassung, Diskussion und Einbettung der Befunde in den fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskurs4.3 Die Rezeption und Verwendung des Lehrwerks von Spanischlehrkräften (Quant-QUAL)4.3.1 Motive der Lehrwerkrezeption und -verwendung im Verbund mit den subjektiven Sichtweisen der Lehrkräfte4.3.2 Rezeption des Spanischlehrwerks im Zuge der Unterrichtsvor- und -nachbereitung4.3.3 Verwendung des Spanischlehrwerks im Unterricht4.3.4 Synthese der empirischen Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen4.4 Strukturelle Parameter und Lehrwerkarbeit (Quant-Qual)4.4.1 Äußere Umstände4.4.2 Exkurs: COVID-19-Pandemie4.4.3 Zusammenfassung, Diskussion und Einbettung der Befunde in den fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskurs4.5 Zur Identifikation von Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Dimensionen des Untersuchungsgegenstands: Eine bivariate Analyse unter Ableitung von Hypothesen (Quant)4.5.1 Zur subjektiven Sichtweise4.5.2 Zur subjektiven Sichtweise, Rezeption und Verwendung4.5.3 Die Variable der Berufserfahrung unter lehrwerkbezogenen Gesichtspunkten: eine explorative Datenanalyse5 Abschließende Bemerkungen und Ausblick5.1 Gesamtschau: Der Beitrag der vorliegenden Studie zur Fundierung der empirischen Lehrwerkverwendungsforschung5.2 Implikationen für die Lehrwerkentwicklung und die Lehrer*innenbildungLehrwerkentwicklungLehrer*innenbildung5.3 Rückschau: Kritische Reflexion des Forschungsansatzes5.4 Ausblick: Forschungsdesiderata und Anschlussforschung6 LiteraturverzeichnisLehrwerke und (mehrsprachige) Grammatiken7 AnhangErgebnisse der Studie in Kernaussagen (Auswahl)

In Erinnerung an

Anna Elisabeth Korell (geb. Pfalzgraf)

Vorwort

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Mai 2023 am Fachbereich 05 der Justus-Liebig-Universität Gießen eingereicht wurde. Über die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses hinweg begleiteten mich einige Menschen, denen ich hier für den konstruktiven Austausch und ihre Unterstützung danken möchte.

Zuerst bedanke ich mich bei den an der vorliegenden Untersuchung beteiligten Lehrkräften und ihren Schulklassen für das mir entgegengebrachte Vertrauen, ihre Offenheit, mit mir persönliche Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen sowie für ihr großes Interesse an dem Forschungsprojekt. Ohne den Zugang zu ihren Klassenzimmern hätte ein in der Unterrichtsforschung angesiedeltes Projekt nicht durchgeführt werden können.

Mein besonderer Dank gilt meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Hélène Martinez. Sie hat mich nicht nur zu jeder Zeit unterstützt, meinen Weg im akademischen Kontext zu beschreiten, sondern auch das Promotionsprojekt neben den vielzähligen anderen Aufgaben an der Universität in den Vordergrund gestellt. Für ihre konstruktiven und inspirierenden Anmerkungen sowie die mir gewährten Freiheiten bin ich sehr dankbar. Durch ihren Weitblick und ihre förderliche Begleitung hat sie maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.

Ebenfalls möchte ich mich bei meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Jürgen Kurtz für die stete Begleitung des Projekts über den gesamten Forschungsprozess hinweg herzlich bedanken. Von der ersten Vorstellung im GCSC Forschungskolloquium „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ an unterstützte er mich durch seinen kritisch-konstruktiven und systematisierenden Blick auf das Thema und die Daten sowie durch seine fachliche Expertise im Bereich der Lehrwerkforschung.

Prof. Dr. em. Michael Legutke danke ich für den produktiven Austausch zu methodologischen, methodischen und forschungsethischen Aspekten der Studie sowie ihm und Prof. Dr. Falk Seiler für das Mitwirken in der Prüfungskommission.

Ein weiterer herzlicher Dank gilt Dr. Sophie Engelen, Jana Keidel, Svenja Haberland und Luana Sommer, die mir nicht nur als wissenschaftliche Dialogpartnerinnen zur Seite standen, sondern mich in jedweder Hinsicht durch die herausfordernde Phase der Promotion begleitet haben. Vielen Dank für die hilfreichen Rückmeldungen zu früheren Versionen der Arbeit, die Durchsicht des Manuskripts sowie die kritischen Anmerkungen, die mir neue Perspektiven eröffneten – und nicht zuletzt für die stets kollegiale Zusammenarbeit und die gemeinsamen Erlebnisse! Auch Darja Brotzmann, Dr. Tamara Zeyer, Dr. Christine Beckmann, Dr. Leo Will und Jan Simon Schäfer danke ich an dieser Stelle für konstruktive Hinweise zur Arbeit, interessierte Nachfragen und die ermutigenden Worte.

Aus meinem privaten Umfeld bedanke ich mich aufrichtig bei Christian und Martin, die mich nicht nur durch ihren Einsatz beim Lektorieren und Formatieren des Manuskripts tatkräftig unterstützt haben, sondern mich auch durch die Einnahme einer fachfremden Perspektive, ihre analytischen Fähigkeiten und schnelle Auffassungsgabe zum Nachdenken über das Thema und Reflektieren meines Vorgehens anregten. Dir, Christian, danke ich zudem für dein Verständnis, deine Ruhe und schier grenzenlose Geduld über den gesamten Zeitraum der Promotion.

Von Herzen bedanke ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei meiner Mutter. Sie hat durch ihre liebevolle Konsequenz, ihren Rückhalt und ihre Unterstützung von klein auf nicht nur im Wesentlichen zum erfolgreichen Abschluss dieses Projekts beigetragen, sondern auch den Grundstein für meine persönliche und berufliche Entwicklung gelegt.

In großer Dankbarkeit widme ich diese Arbeit meiner Großmutter Anna Elisabeth Korell (geb. Pfalzgraf).

1Einleitung

1.1Forschungsanlass, Zielsetzungen und Untersuchungsdesign

Auch im 21. Jahrhundert behaupten sich […] nach wie vor Lehrwerke als Grundlage der Aneignung fremder Sprachen, insbesondere im Kontext der Spracherwerbsphase in der Schule. (Michler 2017, 5)

Trotz der Veränderung der Medienumwelt der Lernenden und der mittlerweile existierenden Vielfalt an Lehr- und Lernmaterialien kommt dem Lehrwerk insb. in den ersten Lernjahren des Fremdsprachenunterrichts noch immer besondere Bedeutung zu (vgl. Doll/Rehfinger 2012, 20). Daran scheint auch die lang-tradierte Kritik an Lehrwerken im fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskurs nichts verändert zu haben (vgl. Fäcke/Mehlmauer-Larcher 2017, 8). In der Bildungsforschung und (Fremdsprachen-)Didaktik werden Lehrwerke – neben den fachlichen, didaktischen und pädagogischen Kompetenzen der Lehrkräfte – zu den zentralsten Einflussgrößen für die Gestaltung von Unterricht gezählt (vgl. Rückl 2017, 248): „Lehrwerke strukturieren den Unterricht, bestimmen durch die Art der Aufgabenstellung den lerntheoretischen Zugang, legen das Leistungsniveau und die Progression fest und setzen (inter-)nationale Richtlinien um […]“ (ebd.) (vgl. dazu auch Franke 2022, 219; Guerrettaz/Johnston 2013, 792ff.). Mit der Festlegung von Unterrichtsverfahren und -zielen sowie der Vorgabe der Lehr- und Lerninhalte werden Lehrwerke zu einem maßgeblichen Instrument, „das Unterricht, aber auch das Verhalten von Lehrer/innen und Schüler/innen nachhaltig beeinflusst“ (Rückl 2017, 248) (vgl. dazu auch Fäcke/Mehlmauer-Larcher 2017, 10).

Umso problematischer ist es daher, dass angesichts der Einflussnahme von Lehrwerken auf die gesamte Lehr-, Lern- und Unterrichtskultur sowie deren Relevanz für sämtliche fremdsprachendidaktische Themenfelder, welche die unterrichtliche Praxis in den Blick nehmen, kaum empirisch gesicherte Erkenntnisse über das Ausmaß und die Art und Weise ihrer Nutzung durch Lehrende und Lernende vorliegen (vgl. Dakla 2022, 195ff.; Kurtz 2020, 198). Seit mehr als drei Jahrzehnten zählt die empirische Lehrwerkforschung in den Fremdsprachendidaktiken, aber auch in den Didaktiken anderer Schulfächer ebenso wie in der empirischen Psychologie und Pädagogik zu den am geringsten erforschten Gebiete des nationalen und internationalen Forschungsdiskurses (vgl. dazu u. a. Brill 2005; Ezeiza Ramos 2009; Fäcke/Mehlmauer-Larcher 2017; Franke/Plötner 2022; Fuchs/Henne 2018; Garton/Graves 2014; Hansen 2018; Harwood 2014; Kleppin 1984; Kurtz 2020; Krumm 1999; Marcos Miguel 2015; Martinez 2011; Sercu 2004; Sikorová/Červenková 2014).

Research into selection processes for textbooks and teaching materials and their practical implementation by teachers in the classroom remains at a rudimentary stage, […]. (Fuchs/Henne 2018, 39)

[…] there has been far less research conducted on how teachers use this material in class, and why. (Menkabu/Harwood 2014, 145)

Diese Forschungslücke wird insb. – aber nicht nur – für den Bereich der romanischen Sprachen (v. a. Spanisch) ausgewiesen (vgl. Franke 2022, 219; Franke/Plötner 2022, 9). Die Betonung liegt hierbei auf der Notwendigkeit einer Forcierung dieses Forschungszweiges (vgl. Hansen 2018, 376), damit die nutzungs- und wirkungsorientierte Lehrwerkforschung keinen „weißen Fleck [mehr, JLK] auf der Wissenslandkarte“ (Rückl 2017, 249) darstellt und die Problematik einer Beschäftigung mit „scheinbaren Realitäten“ (Würffel 2021, 294) minimiert wird (vgl. dazu auch Marcos Miguel 2015, 311).

Es ergibt sich somit in der Fremdsprachendidaktik ein grundlegendes Desiderat für qualitative und quantitative Forschungsarbeiten. Ziel der vorliegenden Dissertationsstudie ist es daher, an dieser Leerstelle anzusetzen. Die folgende Untersuchung nimmt sich der laut Würffel (2021, 298) „größte[n] Aufgabe der fremdsprachendidaktischen Forschung im Bereich der Lehr- und Lernmedien“ (ebd.) an, indem kontextspezifische Erkenntnisse zum Einsatz des mutmaßlich zentralsten Mediums des Fremdsprachenunterrichts der Sekundarstufe I und damit einhergehend zum Großteil der hauptsächlich lehrwerkbasierten Lehr- und Lernprozesse generiert werden (vgl. auch Akbari 2008, 647 zur textbook-defined practice der Lehrkräfte). Diese Studie zeichnet sich insb. dadurch aus, dass sie einen „Blick aus der und für die Unterrichtspraxis“ (Bohnensteffen 2011, 122) einnimmt sowie einen verwendungsorientierten Ansatz unter Bezugnahme auf das Gesamtsystem Lehrwerk (u. a. Lehrbuch, Arbeitsheft, Handreichungen für Lehrkräfte, digitale Lehrwerkbestandteile) aus einer pre-, while- und post-teaching-Perspektive verfolgt. Damit einher geht auch das Verständnis von Lehrwerken, das dieser Arbeit zugrunde liegt. Begreift man Lehrwerke als „vielschichtige und polysemantische Artefakte“ (Hansen 2018, 377), so kann deren „dynamische Natur“ (Kolbeck/Röhl 2018, 400) nur bedingt durch Form- und/oder Inhaltsanalysen bestimmt werden (vgl. Hansen 2018, 377):

Alle Analysen, die das Schulbuch unabhängig von seiner Nutzung betrachten, können nur Potentiale des Buches aufzeigen. Über die tatsächliche Rolle des Schulbuches im Unterricht, über seine Verwendung durch Lehrer und Schüler, über die Realisierung seiner Potentiale kann keine Aussage gemacht warden. (Rezat 2010, 13)

Any discussion that sees materials independently of their users, the learners and teachers […], can only be partial. (Garton/Graves 2014a, 7)

Das Erkenntnisinteresse der Studie richtet sich daher auf die empirische Ergründung der

(1)

lehrer*innenseitigen subjektiven Sichtweise auf Lehrwerke und ihre Nutzung;

(2)

Rezeption und Verwendung durch Spanischlehrkräfte im Zuge der Unterrichtsvor- und -nachbereitung und im Unterricht sowie

(3)

strukturellen Faktoren, die die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Lehrwerken darstellen.

Der Untersuchungsgegenstand wird somit aus drei Perspektiven betrachtet, die in einer wechselseitigen Relation zueinanderstehen und jeweils unterschiedliche Facetten des Forschungsgegenstandes beleuchten, die in der Folge zu einem Gesamtverständnis führen.

Aus dieser Zielsetzung geht hervor, dass die Interaktion der Lehrkräfte mit dem Lehrwerk das Kernthema der Studie darstellt und aus beiden der im Forschungsdiskurs geforderten Blickrichtungen (aus der Sicht und in der Praxis von Lehrpersonen) ergründet wird (vgl. dazu Hansen 2018, 377; Lammert 2017, 187; McGrath 2013, 129; Moulton 1997, vii). Diese Kombination der Schwerpunktbereiche (1) und (2) in der vorliegenden Untersuchung wird auch von Koenig (1999, 86) und Thaler (2011, 27) als zwangsläufig erforderlich für eine empirische und tiefgreifende Lehrwerkforschung erachtet.

Wir müssen mehr über die Ergebnisse und Wirkungen existierender Materialien herausfinden. Wir müssen mehr darüber herausfinden, was Lehrer und Lerner von Lehrmaterialien erwarten. (Koenig 1999, 86)

Am wissenswertesten wäre die empirische Erforschung der Wirkungsgeschichte von Lehrwerken, wie, wann, wozu wird ein Lehrwerk verwendet? (Thaler 2011, 27)

Die Charakteristika des Untersuchungsgegenstands erfordern eine Integration des qualitativen und quantitativen Forschungspoles im Sinne einer pragmatist position (vgl. Gläser-Zikuda et al. 2012, 8). Dabei kommt ein sequenzielles dreigliedriges Mixed-Methods-Design zur Anwendung, um die Interaktion mit Lehrwerken einer multiperspektivischen Betrachtung zu unterziehen, die im Forschungsdiskurs seit langem gefordert wird (vgl. McGrath 2013, 129). Die vorliegende Untersuchung ist charakterisiert durch die Kombination von quantitativen (n=105) und qualitativen (n=7) Befragungen sowie videographischen Unterrichtsbeobachtungen (n=7) und durch deren Integration auf einer sequenz-, daten- und resultatbasierten Ebene (vgl. Creswell/Plano Clark 2011; Rädiker/Kuckartz 2019). Erst diese Verflechtung verschiedener Erhebungs-, aber auch Auswertungsmethoden (hier: uni- und bivariate Statistik sowie qualitative Inhaltsanalyse) ermöglicht die Eruierung eines globalen und fundamentalen Themas des Fremdsprachenunterrichts, das zwei der drei zentralen Faktoren (Lehrende, Lernende, Lehrwerke) (vgl. Martinez 2005, 111) sowohl aus der Breite als auch in der Tiefe betrachtet. In der folgenden schematischen Darstellung werden die vorangegangenen Ausführungen gebündelt und der Zusammenhang von Erkenntnisinteresse sowie Erhebungs- und Auswertungsmethoden visualisiert.

Abbildung 1:

Erkenntnisinteresse und Untersuchungsdesign

Weiterhin setzt sich die folgende Erhebung zum Ziel, der unverändert gültigen Forderung Tomlinsons (2001, 66) nachzukommen, indem die der Lehrwerkforschung zugehörigen Erkenntnisgebiete (hier insb. Entwicklung und Verwendung) miteinander vernetzt werden. In der gegenwärtigen methodischen Diskussion bleibt ein Zusammenführen dieser Bereiche nach wie vor ein Desiderat (vgl. Schleicher 2017, 109). Mit dieser Vorgehensweise und Forschungsperspektive können die Ergebnisse der Erhebung der Sichtweise auf Lehrwerke sowie deren Rezeption und Verwendung für die (zukünftige) Lehrwerkentwicklung fruchtbar gemacht werden:

As a field it studies the principles and procedures of the design, implementation and evaluation of language teaching materials. As an undertaking it involves the production, evaluation and adaption of language teaching materials, by teachers for their own classrooms and by materials writers for sale or distribution. Ideally these two aspects of materials development are interactive in that the theoretical studies inform and are informed by the development and the use of classroom materials. (Tomlinson 2001, 66, Hervorh., JLK)

Die Ausrichtung des vorliegenden Forschungsinteresses und das Untersuchungsdesign erlauben es, das Lehrwerk nicht länger isoliert, sondern in der „Faktorenkomplexion im Fremdsprachenunterricht“ (Kleppin 1984, 16) zu ergründen. Mit der eingenommenen Forschungsperspektive kann demnach also nicht nur untersucht werden, wie das Lehrwerk verwendet wird, sondern es lassen sich gleichsam auch weitere „Schlüsse auf den Fremdsprachenunterricht selbst ziehen“ (Fäcke 2016, 45) (z. B. unterrichtliche Interaktionen und Prozesse, Kompetenzförderung, Leistungs- und Prüfungskultur), womit die Anschlussfähigkeit an verschiedene vergangene, aktuelle und zukünftige fremdsprachendidaktische Diskurse gewährleistet wird, auch an solche, die das Lehrwerk nicht direkt in den Blick nehmen.

1.2Struktur der Arbeit

Die Arbeit umfasst fünf Hauptkapitel. Der theoretische Teil setzt sich aus vier übergeordneten Teilkapiteln (2.1-2.4) zusammen. In Kapitel 2.1 wird der Forschungsgegenstand grundlegend im Zuge einer terminologischen Bestimmung und Abgrenzung sowie einer konzeptionellen und strukturellen Betrachtung aufbereitet. Daran schließt sich eine Analyse seiner Einflussfaktoren sowie eine funktionale und kritische Untersuchung an. Im zweiten Oberkapitel (2.2) erfolgt eine Beleuchtung des Spanischlehrwerks unter historischen Gesichtspunkten. Hier wird ein Rückgriff auf die geschichtliche Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Spanisch sowie auf aktuelle Tendenzen an weiterführenden Schulen in Deutschland vollzogen. Dieser dient als kontextueller Rahmen für die Schilderung der vergangenen und insb. der aktuellen (lehrwerkbezogenen) Situation des Spanischen als Schulfremdsprache und ihrer spezifischen Materialien-/Lehrwerkentwicklung. In dem daran anknüpfenden Theoriekapitel (2.3) wird das Untersuchungsfeld der Lehrwerkforschung mit einem Fokus auf den fremdsprachlichen Unterricht Spanisch terminologisch bestimmt, strukturell aufbereitet und in seinen Erkenntnissen und Entwicklungen systematisiert. Dabei wird auch die Interaktion der Lehrkräfte mit Lehrwerken anhand theoretischer Zugänge und Konzeptualisierungsversuchen des Forschungsdiskurses untersucht. Beschlossen wird dieses Kapitel mit einem Zwischenfazit zur Feststellung der Ausgangsbasis für die vorliegende Studie, das in die terminologische Bestimmung und Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstands mündet (2.4).

Mit dem dritten Hauptkapitel werden die Konzeption und Durchführung der Erhebung erläutert. Ausgehend vom Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie werden konkrete Forschungsfragestellungen präsentiert (3.1), an der die Entwicklung des Untersuchungsdesigns ausgerichtet ist. In diesem Zuge erfolgt auch eine Einordnung der Studie in das Forschungsfeld. Nach einer kontextuellen Rahmung der empirischen Studie (3.2), indem der Zugang zum Forschungsfeld, der Auswahlprozess der Studienteilnehmenden, die konkreten Untersuchungszeiträume und pandemiebezogene Umstände dargeboten wurden, folgt die Schilderung forschungsethischer Gesichtspunkte. Diese werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und dienen als Ausgangspunkt für die anschließende Bestimmung konkreter Handlungsfelder der Forscherin (3.3). Daraufhin wird eine forschungsmethodologische Verortung (Mixed Methods) vorgenommen (3.4.1), auf deren Basis die methodischen Überlegungen sowie die Entscheidung für ein Mixed-Methods-Design begründet werden (3.4.2). Hieran anknüpfend erfolgen die Darstellung und Begründung der Erhebungsmethoden und deren Gegenstandsangemessenheit (3.5) sowie die Beschreibung der konkreten Erhebungsinstrumente aus einer prozess- und produktorientierten Perspektive.

Nach einem Einblick in die Pilotierung der Erhebungsinstrumente und den daraus abgeleiteten Konsequenzen für die Hauptstudie (3.6) wird der Prozess der Datenaufbereitung anhand der einzelnen Datensätze fokussiert (3.7). Den letzten Bereich des empirischen Teils stellt der Datenauswertungsprozess dar (3.8). Infolge der Erläuterung theoretischer Überlegungen und Begründungen zur Wahl sowie zur Gegenstandsangemessenheit der verschiedenen Auswertungsmethoden werden diese hinsichtlich ihrer Umsetzung im Rahmen der Untersuchung gezielter in den Blick genommen. Abschließend stehen die Anpassung des Datenanalyseprozesses an die Charakteristika der vorliegenden Mixed-Methods-Studie sowie die Wahl der eingesetzten Softwares für den Datenauswertungsprozess im Fokus dieses Kapitels.

Zu Beginn der Ergebnisdarstellung werden demographisch-biographische Daten der Studienteilnehmenden unter lehrwerkbezogenen Gesichtspunkten berichtet, mit denen die nachfolgenden Untersuchungsergebnisse kontextualisiert und gezielter eingeordnet werden können (4.1). Die empirischen Untersuchungsergebnisse der Datenanalyse werden in vier Kapiteln präsentiert (4.2-4.5), die sich verschiedener integrativer Mixed-Methods-Darstellungsformen bedienen. In ihrer Strukturierung orientieren sich diese an der Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand (Abfolge der durchgeführten Studienstränge), der Logik zur Beantwortung der Forschungsfrage(n) und an inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Ausgehend von einer globalen und weitläufigen Perspektive auf alle Dimensionen des Untersuchungsgegenstandes im Zuge des quantitativ-orientierten Studienteils werden die Fragebogendaten mit den gewonnenen Erkenntnissen aus den qualitativen Studienteilen vernetzt, vertieft und teils auch neu perspektiviert. Schließlich erfolgt deren tabellarische, visuelle und textuelle Verknüpfung miteinander im Rahmen einer Gesamtinterpretation. Im Anschluss an jedes Ergebniskapitel werden die erzielten Erkenntnisse zusammengefasst, unter Rückbindung an den theoretisch-konzeptionellen Rahmen der Arbeit diskutiert und in den fremdsprachendidaktischen Forschungsdiskurs eingebettet.

Im ersten Ergebniskapitel (4.2) wird die subjektive Sichtweise der Lehrkräfte auf Lehrwerke aus einer kognitiven und affektiven Dimension heraus ergründet. Hierbei stehen deklarative, prozedurale und selbstbezogene Kognitionen im Vordergrund. Auf einer affektiven Ebene werden lehrwerk(verwendungs-)bezogene attitudinale und motivational-volitionale Aspekte erschlossen.

Das zweite Ergebniskapitel (4.3) thematisiert die Rezeption und Verwendung von Lehrwerken durch Lehrkräfte zur Unterrichtsvor-/-nachbereitung und -durchführung aus verschiedenen Perspektiven. Zum einen werden hierbei die der Lehrwerknutzung zugrunde liegenden Motive im Verbund mit den subjektiven Sichtweisen der Lehrkräfte sowie situative Parameter eruiert. Zum anderen wird in diesem Kontext der Fokus auf eine prozedurale Ebene gelegt, mit der aus einem quantitativen, quantifizierenden und qualitativen Blickwinkel Aufschluss über die konkrete Lehrwerkrezeption und -verwendung zur Unterrichtsvor-/-nachbereitung sowie im Unterricht selbst geliefert werden kann.

Im dritten Teil (4.4) erfolgt die Aufschlüsselung struktureller Faktoren, welche die Rahmenbedingungen für die Lehrwerkverwendung darstellen. Aktuelle Entwicklungen aufgreifend wird dieses Ergebniskapitel durch einen Exkurs zur Lehrwerkverwendung während der COVID-19-Pandemie erweitert, wodurch empirische Erkenntnisse zur Rolle und Nutzung des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht zur Zeit einer gesundheitlichen, sozialen und politischen Ausnahmesituation generiert wurden.

Im letzten Ergebniskapitel (4.5) werden unter Anwendung inferenzstatistischer Analyseverfahren Zusammenhänge in den Fragebogendaten identifiziert und die integrativ gewonnenen Erkenntnisse der vorherigen Ergebniskapitel neu perspektiviert. Denn diese gehen über die Dimension der subjektiven Sichtweise hinaus und ermöglichen Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Dimensionen des Untersuchungsgegenstandes (insb. subjektive Sichtweise, Rezeption und Verwendung).

Den Abschluss bildet das fünfte Kapitel, in dem in einer Gesamtschau der geleistete Beitrag der vorliegenden Studie zur Fundierung der empirischen Lehrwerkverwendungsforschung aufgezeigt wird (5.1). Im Anschluss daran werden auf Basis der empirischen Befunde und deren Diskussion vor dem Hintergrund aktueller fremdsprachendidaktischer Diskurse Implikationen für die Lehrwerkentwicklung und die Lehrer*innenbildung abgeleitet (5.2). Daraufhin folgt im Zuge einer Rückschau eine kritische Reflexion des gewählten Forschungsansatzes (5.3). Zuletzt werden in Form eines Ausblicks Forschungsdesiderata und konkrete Möglichkeiten für zukünftige Forschungsprojekte formuliert (5.4).

2Theoretischer Teil: Grundlagen und Bezugsrahmen

Im ersten Oberkapitel des theoretischen Teils (2.1) wird der Forschungsgegenstand grundlegend aufbereitet. Dazu erfolgt zunächst eine terminologische Bestimmung des Lehrwerks in Abgrenzung zu anderen Begriffen (2.1.1), woran eine konzeptionelle und strukturelle Betrachtung von Lehrbüchern und -werken anknüpft (2.1.2). Anschließend liegt das Augenmerk auf dem Lehrwerk im Gefüge seiner Einflussfaktoren. Diese bilden einen zentralen Ausgangspunkt für die Erforschung von Lehrwerken, da sie ein Konglomerat aus Erkenntnissen und Forderungen verschiedenster Akteur*innen darstellen (z. B. Bildungspolitik, Fachdidaktik, Fachwissenschaft, Wirtschaft) (2.1.3). Mit einer funktionalen Betrachtung des Lehrwerks unter Diskussion seiner Potentiale, Grenzen und Alternativen für den schulischen Fremdsprachenunterricht schließt der erste Teil (2.1.4).

Im Fokus des zweiten Oberkapitels (2.2) steht die Untersuchung des Spanischlehrwerks unter historischen Gesichtspunkten. In diesem Zuge wird ein Rückgriff auf die geschichtliche Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts Spanisch sowie auf aktuelle Tendenzen an weiterführenden Schulen in Deutschland vollzogen. Dies trägt zu einem tiefgreifenden Verständnis der vergangenen und insb. der aktuellen lehrwerkbezogenen Situation des Spanischen als Schulfremdsprache und ihrer spezifischen Materialienentwicklung bei.

In dem sich daran anschließenden Teil (2.3) wird das Untersuchungsfeld der Lehrwerkforschung mit einem Fokus auf den fremdsprachlichen Unterricht Spanisch terminologisch bestimmt, strukturell aufbereitet und systematisiert. Nach einer Begriffs- und Konzeptbestimmung der Lehrwerkforschung und ihrer Dimensionen (2.3.1) werden relevante Erkenntnisse und Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Bereiche ausgelotet (2.3.2) und in ihren Ergebnissen geordnet (2.3.2.1 zur Lehrwerkanalyse, 2.3.2.2 zur Lehrwerkentwicklung und 2.3.2.3 zur empirischen Lehrwerkforschung). Zudem erfolgt eine Aufbereitung der Interaktion der Lehrkräfte mit Lehrwerken mittels theoretischer Zugänge und Konzeptualisierungsversuchen des Forschungsdiskurses (2.3.3). Beschlossen wird dieses Kapitel mit einem Zwischenfazit zur Feststellung der Ausgangsbasis für die vorliegende Studie (2.3.4), das zur terminologischen Bestimmung und Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstands führt (2.4).

2.1Das (Spanisch-)Lehrwerk als Forschungsgegenstand

2.1.1Terminologische Klärung und Abgrenzung

Im Zentrum dieses Teilkapitels steht die Begriffsbestimmung und -abgrenzung der Termini Lehrwerk und Lehrbuch sowie deren Einordnung im Hinblick auf die im Forschungsdiskurs – teils auch als Oberbegriff – verwendeten Konzepte (insb. Lehr- und Lernmaterialien). Dazu werden Definitionen und Erkenntnisse aus dem nationalen sowie englisch- und spanischsprachigen Forschungskontext zu Lehrbüchern und -werken analysiert, um der Arbeit ein begriffssicheres Fundament zu geben.

Nach wie vor lässt sich keine einheitliche Bezeichnung „für Dinge [antreffen, JLK], die Lernende zum Lernen und Lehrende zum Lehren bzw. zur Förderung des Lernens nutzen“ (Würffel 2021, 282). Die Vielfalt an Begriffen führe laut Würffel (ebd.) zu einer unklaren Lage hinsichtlich der Terminologie, da sowohl Konzepte wie Lehr- und Lernmaterialien, -mittel, -medien als auch -werkzeuge existieren, von denen einige häufig synonym verwendet werden. Zum Teil wird auch der eine Begriff als Ober- und der andere als Teilbegriff des jeweils anderen verstanden (vgl. ebd., 283). Funk (2016, 436) verwendet sowohl Sprachlehr- und -lernmaterialien als auch -medien in seinen Ausführungen und subsumiert darunter „alle Texte im weitesten Sinne, Materialien und Medien, die von Lehrenden und Lernenden zur Unterstützung von Sprachlernprozessen verwendet werden“. Eine Differenzierung beider Begriffe wird nicht vorgenommen. Im spanischsprachigen Forschungskontext gebraucht Fernández López (2004, 724) den Begriff materiales in seiner generischen Form als übergeordnetes Konzept, worunter er auch Lehrwerke und -bücher subsumiert. Dabei geht er ähnlich wie auch Funk (2016, 436) von einem weiten Begriffsverständnis aus. Nach Fernández López (2004, 724) können unter materiales vorrangig Instrumente zur Unterstützung der Lehrenden und Lernenden beim Sprachlehr-/-lernprozess verstanden werden: „[…] instrumentos complementarios que se elaboran con el fin de proporcionar al alumno y al profesor un mayor apoyo del aprendizaje de una lengua“ (ebd.). Auch McGrath (2013, 3) verwendet materials als Oberbegriff für sämtliche Materialien, die zum Zwecke des Lehrens und Lernens fremder Sprachen in der Schule eingesetzt werden. Er unterscheidet vier Arten von Materialien aus einer internen und externen Perspektive:

those that have been specifically designed for language learning and teaching (textbooks etc.);

authentic materials (off-air recording etc.) that have been specifically selected and exploited for teaching purposes by the classroom teacher;

teacher-written materials;

learner-generated materials (ebd.).

Ähnlich gelagert versteht sich die Systematisierung nach Funk (2016, 436), in der zwei grundlegende Arten von Materialien vorgesehen sind: Zum einen handelt es sich dabei um solche, die von den Lernenden selbst produziert werden und zum anderen um didaktisiertes bzw. undidaktisiertes, extern produziertes Material.

Würffel (2021, 282) erscheint die Verwendungsweise des Terminus Lehr- und Lernmedien sowie -materialien im Forschungsdiskurs willkürlich und wenig begründet. Zudem stellt sie eine zunehmende Tendenz der Verwendung des Begriffs Medien fest. Dieser finde ihrer Ansicht nach eine breitere Verwendung im Sinne von Lehr- und Lernmaterialien, was sie dazu veranlasst, diesen auch zu nutzen und darunter „alle Lehr- und Lernmedien in irgendeiner materiellen Form vorliegenden Dinge, die zum Fremdsprachenlernen und /oder -lehren eingesetzt werden“ zu subsumieren (vgl. ebd.). Darüber hinaus entwirft Würffel (ebd., 291) auf Basis bisheriger Arbeiten im Forschungsdiskurs (vgl. dazu u. a. Funk 2016) einen Systematisierungsvorschlag des Terminus der Lehr- und Lernmedien, den sie aus didaktischen, werkzeugbezogenen, organisatorischen, ökonomischen und ideologischen Gesichtspunkten betrachtet. Angepasst an den vorliegenden Untersuchungsgegenstand gilt dieser als strukturierendes Element für die nachfolgende Abhandlung.

Perspektive

Elemente

Didaktisch

Zielgruppenspezifik (z. B. Alter, Lernort, Niveaustufe, fachliche Ausrichtung, Bezug zur Ausgangssprache und anderen Sprachen, individuelles Lernen etc.)

Lernziel (z. B. Förderung verschiedener Kompetenzen)

Grad der Didaktisierung (z. B. gering vs. in hohem Maße)

Form der Adaption (z. B. sprachliche Vereinfachung, Lernhilfen, steuernde Hilfen, Verknüpfung mit einer Methode)

Leitmedium (z. B. zusätzliche auf das Leitmedium bezogene Lehr- und Lernmedien, zusätzliche vom Leitmedium unabhängige Lehr- und Lernmedien)

didaktische Textsorte

Werkzeug

Medialität (z. B. Hardware, Software)

Modalität (visuell, auditiv, haptisch etc.)

Kodierung (gesprochener Text, schriftlicher Text, Zahlen)

unterstützte Handhabung (Kommunikations-, Informations-, Speicher-, Produktions- und Publikationsmedium)

Zeitlichkeit (Prozess- vs. Produktmedium, kontinuierlich vs. zeitunabhängig diskret, synchron vs. asynchron)

Interaktivität (Steuerungsinteraktivität, didaktische Interaktivität)

Organisatorisch

Leitmedium (Leitmedium, zusätzliche auf das Leitmedium bezogene Lehr- und Lernmedien, unabhängige Lehr- und Lernmedien)

Ökonomisch

Kosten (kostenpflichtig vs. -frei)

Profit (finanzieller Gewinn, Marketingmaßnahme, ohne ökonomisches Profitziel)

Ideologisch

Qualität (gute vs. schlechte Materialien)

Wirkung (politische Interessen, gesellschaftliche Interessen)

Tabelle 1:

Systematisierungsvorschlag des Begriffs der Lehr- und Lernmedien (nach Würffel 2021, 291)

Aus den vorangegangenen Ausführungen geht hervor, dass Lehrwerke und -bücher eine Teilmenge von den von Würffel (2021, 282) so bezeichneten Lehr- und Lernmedien darstellen (können), weshalb sie in diesem Kontext auch den Begriff des „Spezialfalls Lehrwerk“ verwendet. Im fremdsprachendidaktischen Diskurs in Deutschland werden die Termini Lehrwerk und Lehrbuch häufig uneinheitlich und teilweise missverständlich verwendet (vgl. Brill 2005, 15), weshalb nachfolgend die Bedeutung und der Verwendungskontext o. g. Konzepte eruiert und an den oben vorgestellten Systematisierungsvorschlag von Würffel (2021) rückgebunden wird.

Eine häufig anzutreffende Verwendungsweise betrifft den synonymen Gebrauch der Begriffe Lehrbuch und Lehrwerk (vgl. dazu u. a. Hofinger 2016; Michler 2005; Usener 2016). Zahlreiche Beiträge der Fachdiskussion bestätigen die dargestellte Beobachtung, dass die Differenzierung zwischen Lehrwerk und Lehrbuch nicht immer vorhanden ist. So verweist bspw. auch Gadatsch (1991, 35, zit. nach Brill 2005, 16) darauf, dass die „Unterscheidung zwischen dem Lehrwerk als umfassendes Hilfsmittel des Unterrichts und dem Lehrbuch als ein Bestandteil des Lehrwerks“ nicht geläufig sei. Bereits zu Beginn der 1990er-Jahre war man sich also im Forschungsdiskurs zu Lehrwerken der Notwendigkeit einer Differenzierung beider Begriffe bewusst.

Dennoch konstatiert Michel (2006, 137) auch Anfang der Nullerjahre, dass diese Termini in der Literatur noch immer nicht klar differenziert werden. In jedem Fall wird nachweislich der Lehrwerkbegriff im Vergleich zu dem des Lehrbuchs in fremdsprachendidaktischen Publikationen der letzten Jahre/Jahrzehnte immer häufiger verwendet (vgl. dazu u. a. Brill 2005; Franke/Plötner 2022; Hofinger 2016; Kuhn 2017; Michler 2005; Rückl 2017), um auf die „Kombination verschiedener Medien“ (Erdmenger 1997, 90) Bezug zu nehmen. Bei der Durchsicht verschiedener Publikationen konnte in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass teils vom Lehrwerk (z. B. im Titel) die Rede ist, obwohl der eigentliche Konzeptionsgedanke und Aufbau eines Lehrwerks als strukturell und inhaltlich verbundenes Mehrkomponentensystem nicht aufgegriffen werden. Primär handelt es sich dabei um isolierte Untersuchungen des Lehrbuchs (vgl. dazu Kap. 2.3.2.1). Fäcke (2011, 208) und Brill (2005, 16, 80) plädieren daher für die Notwendigkeit einer Abgrenzung der Begriffe Lehrbuch und Lehrwerk im Kontext von Forschungsunternehmungen und stützen damit die terminologische Herangehensweise der vorliegenden Arbeit, mit der das Begriffsverständnis der Forscherin umfassend dargelegt und eingeordnet wird.

Um die Komplexität des Terminus Lehrwerk gegenüber dem des Lehrbuchs zu verdeutlichen, wird ersterer im deutschsprachigen Forschungsdiskurs häufig mit weiteren Zusätzen zur näheren Erläuterung des Bezugsworts versehen. Oft wird es als „komplexes Medienverbundsystem“ (Elsner 2016, 441), „gedrucktes und elektronisches Mehrkomponentensystem“ (Kurtz 2020, 198) sowie als „multimedialer Verbund verschiedenster Materialien“ (Nieweler 2017, 206) bezeichnet, worunter die zahlreichen Elemente, die dem Lehrwerk zugehörig sind, subsumiert werden.

Das Lehrbuch als ein Teil eines Lehrwerks kann nach Neuner (2003, 399) als ein „in sich geschlossenes Druckwerk mit fest umrissener didaktischer und methodischer Konzeption, in dem alle zum Lehren und Lernen benötigten Hilfsmittel (Texte, Übungen etc.) zwischen zwei Buchdeckeln enthalten sind“, verstanden werden (vgl. dazu auch Fäcke 2011, 208). Ivić, Pešikan und Antić (2013, 42) definieren das Lehrbuch im Vergleich zu Neuner (2003, 399) deutlich weiter und nehmen insb. auch auf die Kombination verschiedener Materialien Bezug bzw. bezeichnen diese als Lehrbuch:

A textbook is any teaching tool or combination of teaching tools which contains a systematisation of knowlegde and information on a particular subject matter and which is didactically designed for a specific educational level and student age group in order to fulfil a developmental and formative role in students’ construction of knowledge. (Ivić, Pešikan & Antić 2013, 42)

Die vorliegende Arbeit distanziert sich allerdings – ähnlich wie Beyer (2018, 41) – von dieser weiten Definition des Lehrbuchs, indem es „als Teil eines sich gegenseitig ergänzenden Lehrwerks“ (Beyer 2018, 41) interpretiert wird. Letzteres enthält weitaus noch mehr Komponenten (vgl. dazu u. a. Edge/Garton 2009, 55) und versteht sich demnach als ein komplexes Medium mit einem „offenere[n] didaktische[n] und methodische[n] Konzept“ (Brill 2005, 15), das dazu verhelfen soll, individuell auf Interessen und Bedürfnisse der Lernenden einzugehen (vgl. ebd.).

Exkurs: englisch- und spanischsprachiger Forschungskontext zur Terminologie

Im englischsprachigen Kontext hingegen entspricht die Begriffsverwendung von Lehrwerk bzw. -buch, bspw. im Sinne von schoolbook, textbook oder coursebook, nicht unbedingt der Bedeutung, die dem deutschen Terminus Lehrwerk zugrunde liegt. So wird in englischsprachigen Publikationen häufig auf weitere Aspekte verwiesen, um den Kerngedanken des Lehrwerks zu erfassen: „printed textbooks and ancillary print-based or electronic resources“ (Kurtz 2018a, 45) oder „the aids that accompany them“ (Harwood 2014, 1).1 Auch die Analyse der im spanischsprachigen Kontext verwendeten Begriffe für das Lehrbuch und -werk fördert eine Fülle zutage, die von Torres und Moreno (2008, 62) in Anlehnung an Ossenbach und Somoza (2000, 15f.) ausgelotet wird:

Se usan principalmente tres sustantivos para indicar el nivel más general y abarcativo: libros, textos y manuales, seguidos o no, del adjetivo “escolar”. Tendríamos así, en principio: libros escolares, libros de texto, textos escolares, manuales, o manuales escolares. (Torres/Moreno 2008, 62)

Ossenbach und Somoza (2000, 19) plädieren daher für den Gebrauch des Terminus manual escolar, um dessen Entstehungskontext und Intention zur Begleitung des Lehr-/Lernprozesses zu betonen – denn: „[…] aquellas obras [están, JLK] creadas intencionalmente para ser usadas en el proceso de enseñanza-aprendizaje“ (ebd.). Torres und Moreno (2008, 68) definieren das Lehrbuch umfänglich unter Bezugnahme auf die im Forschungsdiskurs zu Lehrbüchern häufig geäußerten Charakteristika und beziehen damit bereits einige Elemente der verschiedenen Perspektiven (insb. didaktisch, werkzeugbezogen, ideologisch) der Systematisierung nach Würffel (2021, 291) ein:

El texto escolar es un recurso didáctico, que puede ser de sustrato material o virtual, en el cual se materializa un discurso compuesto por palabras, palabras y símbolos o palabras, símbolos e ilustraciones, estructurado de manera secuencial y sistemática en atención a la maduración intelectual y emocional del lector, y creado con la intención expresa de ser utilizado como un recurso pedagógico en el proceso de enseñanza-aprendizaje del sistema escolar formal, con el fin de brindar información sobre algún área del conocimiento en atención a la oferta curricular establecida en los programas de estudio, elaborados por las autoridades educativas nacionales, quienes a su vez autorizan, supervisan y reglamentan sus contenidos, extensión y tratamiento. (Torres/Moreno 2008, 68, Hervorh., JLK)

Das Lehrbuch wird gemäß dieser Definition, die Coronado Padilla, Castañeda Tibaquirá und Tique Riaño (2015, 45) als eine der vollständigsten und ausdifferenziertesten Begriffsbestimmungen im spanischsprachigen Diskurs erachten, als „didaktische Print- oder Online-Ressource“ verstanden, die einem sequenziellen und systematischen Aufbau folgt und ausdrücklich für die Unterstützung im Lehr-/Lernprozess erstellt wurde sowie an Vorgaben bildungspolitischer Dokumente ausgerichtet ist. Seit den 2000er-Jahren spricht man im spanischsprachigen Forschungskontext zu Lehrwerken und -büchern, insb. im Rahmen von Digitalisierungsprozessen, auch vom libro multimedia, um auf die digitale Diversifizierung des Lehrwerks bzw. -buchs im Rahmen einer Reihe von Peripheriekomponenten hinzuweisen (vgl. dazu u. a. Lotero Ovalles/de Hoyos Peinado 2015; Velásquez Aponte/Martínez 2015).

Systematisierung des Lehrwerkbegriffs

Das Lehrwerk kann folglich anhand der von Würffel (2021, 286, 291) eingenommenen und nicht voneinander getrennt zu betrachtenden didaktischen, organisatorischen und ideologischen Perspektive eingeordnet bzw. systematisiert werden: Lehrwerke sind i. d. R. spezifisch für gewisse Lerngruppen und ihre Charakteristika konzipiert (z. B. Alter, Niveaustufe, fachliche Ausrichtung, Bezug zur Ausgangssprache/zu anderen Sprachen). Dabei liegt ihnen das übergeordnete Ziel der Erreichung einer gewissen Sprachniveaustufe am Ende eines bestimmten Zeitraums (z. B. Schuljahr) zugrunde. Mit den einzelnen Lektionen werden weitere (Teil-)Lernziele verfolgt, mit denen verschiedene Kompetenzen gefördert und die Lernenden auf dem Weg zur Erreichung des Globalziels begleitet werden. Damit sind Lehrwerke im Wesentlichen nach bildungspolitischen Vorgaben ausgerichtet und decken die vorgeschriebenen Inhalte in Lehrplänen im Regelfall ab. Deutlich wird hier bereits, dass in Lehrwerken bildungspolitische Interessen vertreten werden.

Im Vergleich zu anderen Lehr- und Lernmaterialien weisen Lehrwerke ein Höchstmaß an Didaktisierung auf, indem die Lehr- und Lerninhalte kontinuierlich und aufeinander aufbauend über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinsichtlich ihrer didaktischen Vermittelbarkeit aufbereitet werden. Einher geht damit u. a., dass didaktisierte Texte sprachlich so angelegt sind, dass sie hinsichtlich der „Menge der neuen lexikalischen Einheiten beschränkt“ (Leupold 2006, 4) sind und eine „willkürliche Ansammlung von komplexen grammatischen Strukturen vermeiden“ (ebd.). Dazu können Texte gezielt entwickelt, bereits existierendes Textmaterial abgeändert sowie durch das Einbetten von z. B. Vokabelhilfen, Textverständnisaufgaben didaktisierende bzw. adaptierende Maßnahmen ergriffen werden (vgl. Würffel 2021, 286). Betrachtet man Lehrwerke im Vergleich zu eher undidaktisierten Materialien ist zu beachten, dass es „strenggenommen keine undidaktisierten Lehr- und Lernmedien“ (ebd.) im Fremdsprachenunterricht gibt bzw. man diese nur hinsichtlich des Grades der Didaktisierung unterscheiden kann. Denn die Auswahl von Lehr- und Lernmaterialien erfolgt stets lernzielorientiert und durch die Anbindung an eine Aufgabe wird diese zu einer Lernanforderung (vgl. ebd.).

Dass Lehrwerke zu einer Art Leitmedium erhoben werden, hat unter didaktischen Gesichtspunkten unmittelbare Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung und den Lernprozess (vgl. ebd.). Denn wenn Lehrwerke als steuerndes Unterrichtselement verstanden werden, geht damit einher, dass sich der Unterricht im Wesentlichen an ihrer Aufmachung orientiert und damit die Lernziele, zu behandelnde Themen, abzuprüfende sprachliche Mittel sowie die Progression vorgegeben werden (vgl. ebd.).

Mit der Charakterisierung des Lehrwerks als Leitmedium geht gemäß dem Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit jedoch nicht einher, dass Lehrwerke den größten Einfluss auf die Kompetenzentwicklung der Lernenden haben oder dass sie die Lernfortschritte der Schüler*innen maßgeblicher beeinflussen als andere (lehrwerkunabhängige bzw. vom Leitmedium unabhängige) Lehr- und Lernmaterialien (vgl. dazu auch Würffel 2021, 287).

Zwischenfazit

Die terminologische Analyse verschiedener Begriffe im nationalen sowie internationalen Forschungskontext erlaubt die Schlussfolgerung, dass trotz teilweise uneinheitlicher und missverständlicher Verwendungsweisen die einzelnen Konzepte inhaltlich gefüllt und theoretisch ausgearbeitet worden sind. Zu beachten ist, dass im Rahmen dieser Abhandlung die Begriffe Lehrbuch und Lehrwerk weder synonym gebraucht noch das Lehrwerk auf das Lehrbuch reduziert wird, auch wenn dem zuletzt Genannten in der schulunterrichtlichen Realität die meiste Bedeutung zukommen mag (vgl. Kap. 4.2.2.2.3, 4.3.2, 4.3.3). Das Lehrwerk wird in dieser Arbeit als „Mehrkomponentensystem“ (Kurtz 2020, 198) verstanden, also als eine „Menge von geordneten Elementen mit Eigenschaften, die durch Relationen verknüpft sind“ (vgl. Feess/Gillenkirch 2018). Dieses System besteht aus mehreren Komponenten unterschiedlicher Art und Funktion, die in mehr oder weniger ausgeprägtem Maße systematisch aufeinander bezogen bzw. sinnvoll miteinander ergänzt werden (z. B. Lehrbuch, Arbeitsheft, Audio-CD, Kopiervorlagen und Handreichungen für Lehrkräfte). Dabei ist stets zu bedenken, dass sich die in diesem Teilkapitel bestimmten Begriffe als „dynamische Kategorien“ (Hansen 2018, 369) verstehen, die sich historisch entwickelt haben (vgl. Kap. 2.2) und mit den soziokulturellen Praktiken, die sie umgeben, variieren können (vgl. Hansen 2018, 369).

2.1.2 Konzeptionelle und strukturelle Betrachtung

Im Anschluss an die terminologische Klärung und Systematisierung des Lehrwerk- und Lehrbuchbegriffs liegt der Fokus im Folgenden auf konzeptionellen und strukturellen Gesichtspunkten.

Die von Funk (2016, 437) entworfene Übersicht veranschaulicht den Umfang und die verschiedenen Teilkomponenten von aktuellen Lehrwerken. Diese umfassen für Französisch und Spanisch meist zwischen 30 bis 40 Bestandteile (vgl. Franke/Plötner 2022, 7), die je nach Anlage und Intention unterschiedliche Lehr-/Lernzwecke erfüllen und sowohl in gedruckter und digitaler Version vorliegen als auch über das Internet abgerufen werden können. Funk (2016, 437) unterteilt diese in Kern- und Peripheriekomponenten. Erstere sind für die Unterrichtssituation in der Schule konzipiert, letztere bedienen hingegen primär außerschulische Lernorte für die selbstständige Auseinandersetzung der Lernenden. Damit wird bereits eine zentrale Funktion von Lehrwerken offensichtlich: der Zusammenhalt und die Kontextualisierung des Fremdsprachenlernens in schulischen und außerschulischen Settings.

 

Printmedien

Digital verfügbare Materialien

Internetangebote

Kernbereich: Materialien für den Unterricht

Lehrbuch, Test-Training, Lehrerhandbuch, Arbeitsbuch, Foliensatz, Klassenarbeitsgenerator, Lektüre, Differenzierungsangebote

Audio-/Video-DVD, digitale Whiteboardmaterialien, digitales Lehrbuch/Tablet-Version, E-Book-DVD, digitaler Unterrichtsplaner und -manager

Internetportal, Übungen, Zusatz-Audios/-Videos, PDF-Downloads, Sprachlernspiele, Differenzierungsangebote

Peripheriebereich: Materialien für außerschulische Lernorte

Intensivtrainer, Zusatz-Lesehefte, Wortschatztrainer, Vokabeltaschenbuch

Vokabel-Apps, Wörterbuch-App, Lernsoftware, Klassenarbeitstrainer

 

Tabelle 2:

Übersicht zu Lehrwerkbestandteilen (nach Funk 2016, 437)

Aufgrund der Vielzahl der Lehrwerkbestandteile wird seit Ende der 1990er-Jahre immer wieder diskutiert, welche Anforderungen ein Lehrwerk zu erfüllen hat, damit es als „Medienverbund“ gelten kann (vgl. dazu u. a. Jung, Riechert und Westhofen 2000, 577; Wernsing 1999, 253). Jung, Riechert und Westhofen (2000, 577) fokussieren in ihren Ausführungen primär die Herstellung eines „integrierten Gesamtkonzepts“, „bei dem etwa ein Buch und Internet spezifische Aufgaben übernehmen und ineinander verzahnt“ sind. Erdmenger (1997, 159) führt den Gedanken der Verzahnung weiter aus, indem dem Lehrwerk „eine funktionsspezifisch differenzierte arbeitsteilige Kombination verschiedener Medien (bestehend aus personalen und nicht personalen Medien)“ zugrunde liegen müsse. Die Mindestanforderungen an den „Medienverbund“ werden in der Anpassung „der zusätzlichen, mediengerechten Inhalte an die Lehrwerkprogression“, der Anbindung der Internetangebote an die „Buchlektionen in Gliederung, Benennung und didaktischem Aufbau“ sowie in der kontinuierlichen Begleitung des Lehrwerks und der Web-Unterstützung in allen Lektionen gesehen (vgl. Brill 2005, 23). Ein Medienverbund kann je nach Verständnis des Terminus Medium sowohl enger als auch weiter gefasst werden, d. h. nicht nur digitale Medien können als Marker für ein Verbundsystem gelten. In Anlehnung an Grünewald (2017a, 239) können Medien „ganz allgemein als Vermittlungsträger von Informationen“ verstanden werden. Zu den Anforderungen an ein Medienverbundsystem, die sich nicht ausschließlich auf die Vernetzung von digitalen und analogen Teilen beziehen, formuliert Cunningsworth (1995, 28) folgende drei Fragen:

How well do the different parts relate to the whole?

Is there an overall guide to using the package?

Is there cross-referencing between different parts?

Reinfried (1999, 177) hingegen knüpft die Anforderungen an einen Verbund weniger eng an konkrete (digitale) Materialien bzw. Medien, sondern sieht diese darin, dass „in den unterschiedlichen Lernbereichen Auswahlmöglichkeiten [geboten, JLK] und durch ihre offene Struktur noch mehr Handlungsspielräume für Kommunikationsprozesse“ ermöglicht werden sollen. Ob Lehrwerke tatsächlich als Medienverbundsysteme charakterisiert werden können, wird im Forschungsdiskurs kritisch betrachtet. Rösler (1992, 49) begegnet dem Verbundkonzept skeptisch, da dieser Begriff suggeriere, dass es sich um „ein harmonisches Ganzes mit fein aufeinander abgestimmten Teilen“ handle, was seiner Ansicht nach auf Aspekten der Verlagskosmetik und des Marketings fuße. Darüber hinaus stellt sich ihm die Frage, ob alle Materialien, die sich Lehrwerk nennen, diese Bezeichnung auch tatsächlich „verdienen“ (ebd.). Von Lehrwerkteilen grenzen Heuer, Müller und Schrey (1973, 10ff.) Lehrwerkschichten ab, worunter sie u. a. den Umfang des Lehrwerks (z. B. Verhältnis von Masse der Lehrwerkeinheiten und Zeitraum) und Strukturprinzipien (z. B. psychologisch richtig verteilte Lernschwierigkeiten, sinnvolle Verknüpfung der Themen der Einheiten) subsumieren. Diese Differenzierung stellt den Ausgangspunkt für die nachfolgende Abhandlung zur Struktur des Lehrbuchs dar.

Unterzieht man die Struktur des Lehrbuchs als Bestandteil des komplexen Systems Lehrwerk einer näheren Betrachtung, so wird diese etwa von Michler (2005, 105 ff.) im Rahmen ihrer kritischen Fallstudie zu vier Lehrwerken für den gymnasialen Französischunterricht mittels einer Makro- und Mikrostruktur beschrieben. Zur Makrostruktur zählt Michler (ebd.) die Bereiche Lektionen, Textanzahl pro Lektion und Texte pro Band sowie charakteristische Lehrwerkbestandteile. Die Mikrostruktur wird anhand der spezifischen Betrachtung von Lektionen der vier Lehrwerke analysiert, im Rahmen derer thematische Schwerpunkte, der Aufbau und die Dosierung der lexikalischen Einheiten und grammatischen Inhalte in der Lektion erläutert werden (vgl. ebd., 114ff.).

Im Vergleich zu Michlers Modell (ebd.) gliedert Rezat (2009) im Rahmen seiner umfassenden Untersuchung zu Strukturelementen des Mathematiklehrbuchs diese in eine Makro-, Meso- und Mikroebene. Diese werden wiederum nach fünf Kategorien systematisiert, die sich auf inhaltliche Aspekte, sprachliche und typografische Merkmale, didaktische Funktionen sowie auf situative Bedingungen beziehen und auch für den Aufbau fremdsprachlicher Lehrwerke relevant sind (vgl. dazu Beyer 2018). Auf einer makrostrukturellen Ebene steht die „grundlegende Systematik der Bücher“ (z. B. Wahl und Aufstellung der Themen) im Vordergrund (vgl. Rezat 2009, 78). Dazu entwickelt Rezat (ebd., 94) elf Strukturelementtypen, die im Folgenden exemplarisch kurz skizziert werden. Diese sind gemäß der chronologischen Abfolge eines Lehrbuchs ausgearbeitet (z. B. Inhaltsverzeichnis, Übersicht über die jeweiligen Inhalte, Kompetenzen, einzelne Lektionen/Kapitel zu verschiedenen Themen, sprachliche Mittel, weitere Lektionsteile, (kapitelübergreifende) Selbstevaluationsseiten).

Die mesostrukturelle Ebene stellt bei Rezat (ebd., 96) eine Neuerung dar, deren Notwendigkeit darin begründet liegt, dass die Einteilung in eine Makro- und Mikroebene nicht auf die in fast allen Lehrbüchern enthaltenen Lektionen bzw. Lektionsteile zutreffe. Auf dieser Ebene erarbeitet er acht weitere Strukturelementtypen, die ebenfalls nach den o. g. fünf Kategorien aufgegliedert sind. Bei diesen handelt es sich u. a. um Einführungsseiten, Aktivitäten, Themenseiten und Aufgaben zu Inhalten früherer Lektionen.

Die mikrostrukturelle Ebene kann sich nach Rezat (ebd., 82) auf verschiedene Teile einer Lektion beziehen (z. B. Themenkomplex, Themenseite, Lerneinheit). Dies hänge davon ab, wie die Mesostruktur aufgebaut sei. Auf dieser Ebene arbeitet er weitere elf Strukturelementtypen heraus, die u. a. den Einstieg in die Lektion, Einstiegsaufgaben, Lektionstexte, Übungen und Zusatzinformationen (z. B. Hinweiskasten) beinhalten.

Erweiternd zu Rezats Strukturmodell entwirft Beyer (2018) im Rahmen der von ihr entwickelten Theorie zur Konzeption von Lateinlehrbüchern eine weitere Strukturierung, die die drei Ebenen nach Rezat (2009) um eine weitere ergänzt, die als Nanoebene (Modul) bezeichnet wird. Diese wird als notwendig erachtet, da „sie als Ebene von Mikro-Lerneinheiten nicht auf den ersten Blick sichtbar ist und unter der Ebene einer Lektion (Mikroebene) liegt“ (Beyer 2018, 338). Gemäß der Theorie von Beyer (ebd.) ist die Einbindung dieser Ebene unter die anderen drei unbedingt notwendig, „da didaktische Kernelemente zunächst auf unterschiedliche Weise zu Mikro-Lerneinheiten zusammengeführt werden können, bevor diese Einheiten wiederum mithilfe spezifischer Zwischenelemente zu einer Einheit auf der Mikroebene (Lektion) zusammengefasst werden“ (ebd.). Schematisch dargestellt, sieht die von Beyer (ebd.) erarbeitete Struktur wie folgt aus: Modul (Nanoebene) → Lektion (Mikroebene) → Sequenz (Mesoebene) → Lehrbuch (Makroebene).

2.1.3 Einflussfaktoren auf Lehrwerke und ihre Erforschung

Da sich Lehrwerke als „Konvergenzpunkte der vielschichtigen Diskussionen, die um sie in unterschiedlichen Zusammenhängen geführt wurden und weiterhin geführt werden“ (Kurtz 2011, 5) verstehen, ergeben sich zahlreiche Einflussfaktoren, die auf sie, ihre Entwicklung und Erforschung einwirken. Lehrwerke können nach Kurtz (2011, 5f.) auch als „zeitlich versetzte ‚Materialisierungen‘“ verstanden werden, die u. a. aus bildungspolitischen, fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen sowie kommerziellen „Überlegungen und Entwicklungen […], Theorien und Modelle[n], Werte[n] und Normen, Ansprüche und Forderungen […]“ (ebd.) resultieren. Im Folgenden werden mögliche Einflussfaktoren unter Bezugnahme auf die von Neuner (1994a, 13) entworfene Graphik einer näheren Betrachtung unterzogen sowie neuere Entwicklungen im Forschungsdiskurs dazu eingebunden.

Abbildung 2:

Einflussfaktoren auf Lehrwerke und ihre Erforschung (nach Neuner 1994a, 13)

Die Einflussfaktoren auf Lehrwerke und ihre Entwicklung lassen sich grundlegend in zwei Bereiche unterteilen, nämlich einerseits in allgemeine, fachübergreifende Gesichtspunkte und andererseits in fachspezifische Bereiche. In der erstgenannten Gruppe werden v. a. legitimative und reflexive Bedingungen geführt. Hierbei handelt es sich um gesellschaftliche Vorgaben zur Institution Schule und ihrer Fächer sowie um übergeordnete pädagogisch-didaktische Konzepte. Auf einer Art „Zwischenebene“ der genannten Faktorengruppen finden sich u. a. institutionelle Rahmenbedingungen (z. B. Lehrpläne, Stundentafeln). Lehrwerke verstehen sich demnach als „Instrumente bildungspolitischer Steuerung“ (Niehaus et al. 2011, 20) und unterliegen umfangreichen und strengen Genehmigungsverfahren hinsichtlich der Prüfung auf Übereinstimmung mit den Lehrplänen (vgl. ebd.; Nieweler 2005, 126). Daraus resultiert vonseiten der Bildungspolitik die Forderung, dass derart geprüfte und einheitliche Lehrwerke in der Folge auch verbindlich eingesetzt werden, was primär mit politischen und ökonomischen Überlegungen begründet wird – denn die eher offen gestalteten Kerncurricula rechtfertigen nur bedingt ein einheitlich zugelassenes Lehrwerk (vgl. Niehaus et al. 2011, 20).

Neben institutionellen Rahmenbedingungen wirken auch solche materieller Natur auf Lehrwerke ein (insb. Faktoren der Lehrwerkproduktion). Dementsprechend steht die kommerzielle Perspektive im Zentrum der folgenden Abhandlung (vgl. dazu auch den ökonomischen Blickpunkt in der Systematisierung nach Würffel 2021, 291). Deutlich werden hier bereits auch die Wechselwirkungen, die zwischen den in der Abb. 2 dargestellten Elementen bestehen.

In den meisten Ländern sind Lehrwerke eine Ware, die von kommerziell agierenden Verlagen produziert werden und kostenpflichtig sind. Meist dient die Produktion von Lehrwerken demnach nicht nur der Erfüllung bildungspolitischer Anforderungen, sondern bedient auch einen Markt mit einem hohen wirtschaftlichen Wert (vgl. Fuchs/Henne 2018, 40). Daher können Lehrwerke auch als Produkte1 betrachtet werden, die wirtschaftlichen Gesetzen unterliegen. Die Anfertigung von Lehrwerken im Sinne einer Herstellung von Gütern i. w. S. ist demnach bedingt durch die Kombination verschiedener Produktionsfaktoren (z. B. Produktionskosten: Autor*innen- und Berater*innenhonorare, Redaktions-, Werbe-, Druck- und Marketingkosten) (vgl. ebd.). Auch Choppin (2001, 211) unterstreicht die Bedeutsamkeit wirtschaftlicher, (haushalts-)politischer und regulatorischer Faktoren bei der Erstellung von Lehrwerken:

Su producción material y, consecuentemente, su aspecto, evolucionan con el progreso tecnológico y con el concurso de otros soportes de la información; su comercialización, su distribución, su coste depende del contexto económico, presupuestario, político y reglamentario. (ebd.)

Aufgrund der zahlreichen Aspekte im Zusammenhang mit der Lehrwerkproduktion geht Ezeiza Ramos (2009, 9) in seinen Ausführungen – in Anlehnung an u. a. Rubdy (2003) und Sheldon (1988) – auf die Problematik des Interessenkonfliktes bei der Herstellung von Lehrwerken ein, die durch die Vielzahl der beteiligten Akteur*innen bedingt ist und teils langwierige Entwicklungsprozesse mit sich bringt:

un conflicto de intereses profesionales, económicos e, incluso, políticos que conciernen no solo a profesores y alumnos, sino también a administradores, autoridades educativas, autoridades ministeriales y gobernadores estatales. (Ezeiza Ramos 2009, 9)

Richtet man den Fokus spezifischer auf das Zusammenspiel von Materialentwicklung auf inhaltlicher und didaktisch-methodischer Ebene sowie Materialproduktion unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird aus den Erläuterungen von Littlejohn (2012, 284) folgendes deutlich: Es bestehen problematische Wechselwirkungen, die im Regelfall zu Lasten der inhaltlichen und didaktisch-methodischen Aufbereitung von Lehrwerken gehen und ökonomischen Interessen Vorrang geben.2

Although materials are aimed to use inside a classroom, they will always bear the hallmarks of the conditions of their production outside the classroom. This is particularly the case with materials which are produced in a commercial context, where the need to maximise sales, satisfy shareholders, and achieve corporate goals may have a direct impact on the design of materials, quite distinct from their pedagogic intent. (ebd., Hervorh., JLK)

Beyer (2018, 357) bestätigt die vorangegangenen Erläuterungen, dass aus der Vielzahl an Faktoren ein komplexes Unterfangen der Lehrwerkentwicklung resultiert, dessen Schwächen aufgrund der teils nicht miteinander zu vereinbarenden Bereiche akzeptiert bzw. selbst durch die Lehrkräfte kompensiert werden müssen (z. B. Genehmigungsverfahren der Bundesländer und sich daraus evtl. ergebende länder-spezifische Ausgaben, fachspezifische Anforderungen, Entwicklungskosten, kürzer werdende Lebenszyklen von Lehrwerken).

Unter kommerziellen Gesichtspunkten unterzieht Kurtz (2002, 8) Verlagskataloge für das Fach Englisch einer marketingstrategischen, sprachlichen und fremdsprachendidaktischen Analyse. Das Material beschreibt er (ebd.) als „bedeutsame Marketinginstrumente, die der Verkaufssicherung und der Verkaufsförderung dienen“ sollen. Auf sprachlicher Ebene werden „zahlreiche adjektivistische Beifügungen“ (ebd.) identifiziert, mit denen die Besonderheit des Produkts in den Vordergrund gestellt werden soll, um eine Verankerung im Kurzzeitgedächtnis der potenziellen Kund*innen zu erzielen. Darüber hinaus identifiziert Kurtz (ebd., 9) eine tendenzielle Personifizierung von Lehrwerken und stellt unter marketingstrategischen Gesichtspunkten fest, dass das Ziel vorrangig darin liege, Image- und Produktwerbung mithilfe „einer auf das besondere Kundenprofil der Lehrenden ausgerichteten werbespezifischen Pull-Strategie“ miteinander zu vernetzen (vgl. ebd., 10). Eine Erkenntnis der fremdsprachendidaktischen Analyse ist, dass sich Werbemaßnahmen vorrangig auf die Kombination von „bewährten fremdsprachenunterrichtlichen Erfahrungen“ mit „neusten fremdsprachendidaktischen Erkenntnissen“ beziehen (vgl. ebd.).

Im Bereich der fachspezifischen Faktoren werden konstruktive und analytische Bedingungen formuliert, die auf Lehrwerke und ihre Entwicklung einwirken. Erstere beziehen sich auf fremdsprachendidaktische Lehr- und Lerntheorien und verstehen sich im Kontext veränderter Konzeptionen der Fremdsprachendidaktik und -methodik. Zweitere ergeben sich aus (neu) gewonnenen Erkenntnissen in den Fach- bzw. Bezugswissenschaften (z. B. Sprach- und Literaturwissenschaft) (vgl. dazu auch Brill 2005, 64). Die Rolle der Fremdsprachendidaktik bei der Entwicklung neuer Lehrwerke wird dabei verstanden als „Mittlerin zwischen eigentlichem Fremdsprachenunterricht und Anforderungen an Lehrer, Lerner, Medien und den Erkenntnissen der Bezugswissenschaften“ (ebd.).

Als weitere Einflussfaktoren hat die Fachdiskussion die Unterrichtspraxis und -erfahrung der Lehrkräfte sowie die Perspektive der Lernenden und der Lehrwerkverfassenden identifiziert (vgl. Brill 2005, 64ff.; Heuer/Müller 1973, 7; Rösler 1992, 112). Krumm (1994, 23) stellt in seinen Ausführungen die Bedeutsamkeit der Einbindung der Lernenden in die Lehrwerkentwicklung heraus, da von der Entscheidung für bestimmte Inhalte und Formen Wirkungen auf die Lernenden, ihre Wahrnehmung der Aktivitäten und auf die gemachten Erfahrungen ausgehen. Heuer und Müller (1973, 7) sowie Rösler (1992, 112) geben außerdem zu bedenken, dass die Lehrwerkverfassenden, ihr wissenschaftlicher Hintergrund sowie ihre Involviertheit in die fachdidaktische Diskussion als zusätzlicher Einflussfaktor miteinbezogen werden müssen, da den Autor*innenteams eine Art Filterfunktion zukommt, wenn es darum geht, zu entscheiden, was Gegenstand der unterrichtlichen Praxis wird (vgl. Brill 2005, 65f., 69).

Die Studie von Niehaus et al. (2011, 21, 25) mit einer wissenschaftlichen Recherche und Analyse zur Gestaltung, Verwendung und Wirkung von Lehrmitteln sowie die Untersuchungen von u. a. Bohnensteffen (2011), Michler (2005) und Müller-Bittner (2008) zeigen, dass die Perspektive der Lehrenden und Lernenden und ihre Forderungen verstärkt in den Diskurs zu Lehrwerken und ihrer Entwicklung aufgenommen wurden. Exemplarisch können die folgenden empirisch-gestützten Ergebnisse berichtet werden: Lehrende fordern eine stärkere Einbindung kultureller Vielfalt und differenzierender Angebote in Lehrwerke sowie die Befähigung zum sprachlichen Handeln aufseiten der Lernenden. Schüler*innen erwarten eine selbsterklärende Aufmachung des Lehrwerks, Lösungsmaterialien zu Kontrolle sowie die Einbindung aktueller Themen und offener Arbeitsformen (vgl. Niehaus et al. 2011, 21f., 24 f.).

Unter Bezugnahme auf die anfangs formulierte Gegebenheit, dass Lehrwerke „Konvergenzpunkte der vielschichtigen Diskussionen“ (Kurtz 2011, 5) darstellen, können Lehrwerke und ihre Analyse, Entwicklung sowie Verwendung folglich nicht losgelöst von ihrem Faktoren- und Bedingungsgefüge sowie von unmittelbar beteiligten Interaktant*innen (u. a. Lehrende, Lehrende, Autor*innen) erforscht werden. Darüber hinaus sind die auf Lehrwerke einwirkenden Faktoren nicht statisch, sondern entwickeln sich weiter, was eine „fortlaufende Überprüfung, Überarbeitung, Weiter- und Neuentwicklung“ (ebd., 6) notwendig macht.

2.1.4 Zur Bedeutung des Lehrwerks im Fremdsprachenunterricht: Funktionen, Grenzen und Alternativen

Im letzten Teilkapitel zum Forschungsgegenstand wird das Lehrwerk einer funktionalen Betrachtung unterzogen und seine Bedeutung im schulischen Fremdsprachenunterricht in den Fokus gerückt. Im Anschluss daran werden Grenzen des Lehrwerks sowie mögliche Alternativen diskutiert.

Der hohe Stellenwert von Lehrwerken im Fremdsprachenunterricht wird sowohl im nationalen als auch internationalen Forschungskontext zu Lehr- und Lernmaterialien regelmäßig über Jahrzehnte hinweg betont. Die nachfolgend exemplarisch angelegte Zusammenstellung von Aussagen verschiedener Lehrwerkforschenden veranschaulicht nicht nur die Reichweite von Lehrwerken, sondern auch deren substanziellen Charakter im Fremdsprachenunterricht auf der ganzen Welt:

Much of the language teaching that occurs throughout the world today could not take place without the extensive use of commercial materials. (Richards 2001, 251)

Por décadas y aún hoy, maestros y alumnos han orbitado y siguen orbitando en torno al texto escolar. (Ramírez 2003, 274)

Dass Lehrwerke seit Jahrzehnten als bedeutsames Medium des Fremdsprachenunterrichts angesehen werden, dieser als lehrwerkbasiert gilt und insb. in den Anfangsjahren maßgeblich daran ausgerichtet wird, heben auch Fäcke (2016, 35), Franke und Plötner (2022, 9) sowie Rückl (2017, 248) hervor. Nicht nur in der fremdsprachendidaktischen Forschung, sondern auch in der empirischen Bildungsforschung stellt man noch immer fest, dass trotz des Umstands, dass

Schüler in einer veränderten Medienumwelt aufwachsen und Lehrende wie Lernende auf ein breites Spektrum an Bildungsmedien zurückgreifen können, Schulbücher nach wie vor für Schule und Unterricht große Relevanz haben. (Doll/Rehfinger 2012, 20)

Betrachtet man die Ergebnisse des Forschungsdiskurses der letzten vier Jahrzehnte zu Funktionen des Lehrwerks, können eine Vielzahl an Aspekten mit verschiedenen Graden der Bedeutsamkeit und Reichweite sowie unterschiedliche Perspektivierungen identifiziert werden. Funktionen des Lehrwerks mit besonderer Bedeutsamkeit und Reichweite werden insb. im Forschungsdiskurs der 1990er-Jahre u. a. von Rösler (1994, 73 f.) und Neuner (1999, 160) angeführt. Laut Rösler (1994, 73 f.) liege der Anspruch, den das Lehrwerk erhebt, darin, „den gesamten Lernprozess über einen bestimmten Zeitraum zu begleiten oder gar zu steuern […]“.

Die Funktion der Unterrichtssteuerung, „die nachhaltig das Verhalten von Lehrenden und Lernenden“ (Neuner 2003, 400) beeinflusse sowie bestimme, „was im Fremdsprachenunterricht geschieht“ (ebd., 1994a, 8), findet sich ebenfalls durchgängig in den Ausführungen von Neuner. Im Forschungsdiskurs zu Lehrwerken der 1990er-Jahre wird vor dem Hintergrund des substanziellen Charakters des Lehrwerks auch vom „Lehr- und Lernschrittmacher“ (Bausch 1999, 17) gesprochen, dem die oben erläuterten Steuerungsfunktionen zukommen. Anfang der 2000er-Jahre werden die Funktionsbereiche des Lehrwerks für Lehrkräfte explizit in fachdidaktische und fachmethodische Elemente gegliedert, was die nachfolgende Tabelle zeigt:

Fachdidaktische Elemente (Auswahl)

Fachmethodische Elemente (Auswahl)

Unterrichtszielbestimmung

Präzision und Gewichtung des Lehr-/Lernstoffs

Überführung in eine abgestufte und koordinierte Lehr-/Lernprogression

Bestimmung der Unterrichtsverfahren

Unterrichtsgliederung

Einteilung von Unterrichtsphasen

Auswahl von Unterrichtsmedien und Sozialformen

Tabelle 3:

Funktionsbereiche des Lehrwerks (nach Neuner 2003, 400)

Weitere Funktionen, die sich auf die Lehrkräfte beziehen, liegen neben der Orientierungs- und „Geländerfunktion“ (Nieweler 2017, 206) in der Systematik der Stoffaufbereitung, der Arbeitserleichterung und Zeitersparnis durch das Bereitstellen aller erforderlichen Lehr- und Lernmaterialien in einer aufbereiteten Reihenfolge sowie in der Unterstützung bei der Umsetzung curricularer Vorgaben und der Vergleichbarkeit von Abschlüssen (vgl. Hansen 2018, 369; Michler 2017, 21; Nieweler 2017, 206; Würffel 2021, 291f.). Eine weitere lehrer*innenbezogene Funktion von Lehrwerken, die u. a. Nieweler (2000, 14) betont, ist deren „katalysierende Wirkung bei der Umsetzung neuer didaktischer Erkenntnisse“. Auch Leupold (1999, 139) beschreibt das Lehrwerk als „Motor zur Einführung didaktischer Innovationen“ für Lehrkräfte (vgl. zum Lehrwerk als „agent of change“ Hutchinson/Torres 1994). Dadurch würden Lehrkräfte bei der Umsetzung eines Fremdsprachenunterrichts unterstützt, der sich an aktuellen fremdsprachendidaktischen Erkenntnissen und didaktisch-methodischen Prinzipien orientiert (vgl. Fuchs/Henne 2018, 25f.; Würffel 2021, 292f.). Laut Würffel (ebd.) könne daher mit Lehrwerken ein Beitrag zur Qualifizierung der Lehrkräfte, die diese verwenden, geleistet werden (z. B. durch detaillierte Lehrer*innenhandreichungen, die Unterstützung bei der didaktisch-methodischen Umsetzung bieten).

Neben diesen grundlegenden Funktionen, die sich durch ihre besondere Reichweite auszeichnen, werden dem Lehrwerk im Forschungsdiskurs der 1980er- und 1990er-Jahre auch (damals) neuartige Aufgaben zugeschrieben (vgl. Königs 1999, 108). Königs (1983, 395 ff. und 1999, 108) bezieht sich in seinen Ausführungen auf lerner*innenorientierte Funktionen des Lehrwerks, z. B. als Nachschlagewerk und Lernhilfe für Lernende.

Weitere lerner*innenorientierte Funktionen des Lehrwerks sind u. a. das Angebot verlässlicher Korrektheitsmodelle für Lernende durch Lehrwerke, die Stimulation von Unterrichtsinteraktion durch Aufgaben und die Generierung von Vorschlägen zur Verbesserung des Sprachlernprozesses (vgl. Knapp-Potthoff 1999, 99). Der lerner*innenbezogene Funktionsbereich von Lehrwerken wird im Laufe der folgenden Jahre und Jahrzehnte ausgeweitet, indem Aspekte wie die Lernsicherheit, das Angebot von Wiederholungsmöglichkeiten, die Orientierungsfunktion für Lernende sowie die Hilfe zum selbstständigen Lernen aufgenommen werden (vgl. Fuchs/Henne 2018, 25f.; Michler 2017, 21; Würffel 2021, 292f.).

Darüber hinaus kommen dem Lehrwerk Aufgaben zu, die die fachbezogene Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden auf organisatorischer, aber auch inhaltlicher Ebene erleichtern können (z. B. organisatorische Absprachen, inhaltliche Erwartungen) (vgl. Würffel 2021, 291f.). In Anlehnung an die Studie von Wipperfürth und Will (2019, 204f.) mit Englischlehrkräften sind folgende Funktionen als zentral einzustufen (vgl. dazu u. a. Garton/Graves 2014a; Koenig 2013; McGrath 2002; Thaler 2011):

Erfüllung der Lehrplanziele;

Struktur (Layout, Aufbau);

Progression (insb. in den sprachlichen Mitteln, v. a. in der Unterstufe, auch noch in der Mittelstufe);

Erleichterung der Unterrichtsplanung (insb. in der Ausbildung und dem Berufseinstieg);

„Fundgrube“, „Ideensammlung und Inspiration“, „Steinbruch“, „Materialpool“;

Grundlage für die Kooperation mit Kolleg*innen;

Grundlage für gemeinsame Unterrichtsplanung und gemeinsame Prüfungen;

sichere Grundlage für die Kolleg*innen der Folgejahre;

Gesprächsgrundlage für Unterrichtserfahrungen;

Kommunikationsmedium mit den Eltern;

Übungspool insbesondere für Grammatik.

Im Forschungsdiskurs zur Funktionsbestimmung von Lehrwerken wird ihre Notwendigkeit im Fremdsprachenunterricht jedoch auch kritisch hinterfragt, da von Lehrwerken nicht unerhebliche Beeinflussungstendenzen auf den Lehr- und Lernprozess ausgehen können (vgl. dazu u. a. Cunningsworth 1995; Harmer 2001; McGrath 2002). „Trotz oder gerade wegen dieser Dominanz“ (Thaler 2011, 16) von Lehrwerken hat die Kritik ihrer Verwendung im Unterricht schulischer Fremdsprachen eine lange Tradition (vgl. ebd.). Es gilt hier jedoch darauf zu verweisen, dass vornehmlich das Lehrbuch Gegenstand der Kritik ist, da nur selten auf das System Lehrwerk Bezug genommen wird. Lehrbuchbezogene Kritik ist in ihrem Erkenntnisgehalt nur bedingt auf das Konzept des Lehrwerks als Kompendium und Impulsgeber zu übertragen bzw. nur teilweise von Aussagekraft, wenn man das Lehrwerk in dieser Anlage zu begreifen versucht.

Thaler (ebd., 17) fasst grundlegende kritische Stimmen im Hinblick auf Lehrwerke zusammen und bezieht sich insb. auf Begrenzungen, die vom Lehrwerk auf Lehrende und Lernende, die Darstellung der Inhalte und auf den Authentizitätsgrad im Klassenzimmer ausgehen können:

Irrelevance

Textbooks may not be relevant to the needs of a particular group of learners.

Homogeneity

Textbooks ignore the heterogeneity of pupils we find in most classrooms.

Length

Textbooks include texts which may be too long or too short.

Difficulty

Textbooks include texts which may be too difficult or too easy.

Publication

Textbooks quickly go out of date.

Boredom

Textbooks deal with topics that are not interesting, humorous or relevant to pupils.

Routine

Textbooks can be repetitive (same character, same topic, same format for every unit).

Passivities

The activities in textbooks do not deserve their name, do not really activate pupils and do not automatically guarantee acquisition of learning input.

Bias

Textbooks present a middle-class view of reality – sanitized, elitist – and avoid controversial topics or present them in too formalized a way.

Dependence

Textbooks prohibit the learners’ freedom of choice and act against spontaneity in the classroom.

Straitjacket

Textbooks threaten the teacher’s freedom of action.

Economic interest

Textbooks are merely money-spinners for publishers.

Tabelle 4:

Nachteile von Lehrwerken (nach Thaler 2011, 17)

Auch im spanischsprachigen Forschungsdiskurs zu Nachteilen von Lehrwerken werden vorrangig Aspekte thematisiert, die die Grundsatzfrage stellen, ob man überhaupt an einen komplexen, individuellen und heterogenen Fremdsprachenlernprozess mit vorgefertigtem Material herantreten könne (vgl. Ezeiza Ramos 2009, 8):

El proceso de aprendizaje de una lengua es demasiado complejo como para pretender que pueda ser satisfecho plenamente con unos materiales prefabricados. Existe un amplio conjunto de aspectos fundamentales de la enseñanza y del aprendizaje que, difícilmente, éstos podrán abordar, gestionar o cubrir: por ejemplo, el control sobre los procesos, la orientación pedagógica, la interacción, el “feedback”, el uso del espacio y del tiempo, etc. (ebd., Hervorh., JLK)

Im deutschsprachigen Forschungskontext wurde daher in den 1990er-Jahren der Einsatz von Lehrwerken grundlegend infrage gestellt.1 Argumente gegen die Verwendung von Lehrwerken beziehen sich u. a. darauf, dass diese zur fehlenden Effektivität des Unterrichts beitragen und authentische Kommunikation in der Fremdsprache verhindern würden, weshalb sie durch einen Pool an authentischen Materialien2 ersetzt werden sollten (vgl. Freudenstein 1999, 63f.). Verschärfend dazu führen Kritiker*innen an, dass keine gesicherte Grundlage darüber existiere, ob Lehrwerke tatsächlich den Lehr-/Lernprozess unterstützen.

Laut Bleyhl (1999, 27) beziehe man sich auf die traditionelle Annahme, dass „Wissen durch Instruktion transferierbar“ sei. Seines Erachtens sei es die Aufgabe der Lehrkraft, das Lehrwerk so schnell wie möglich überflüssig werden zu lassen (vgl. ebd.). Die Forderung eines radikalen Verzichts auf Lehrwerke findet sich vorrangig in den Ausführungen von Vertreter*innen der konstruktivistischen Fremdsprachendidaktik (vgl. dazu u. a. Krüssel 1993; Wolff 1996). In Anlehnung an Freudenstein (1999) plädiert auch Wolff (1996, 549) für den Einsatz von authentischen Materialien anstelle von Lehrwerken, damit Lernenden die Chance zuteilwerde, ihr „eigenes Wissen mit dem angebotenen Wissen verbinden zu können“. Auch Thornbury (2000, 2) spricht sich mit seinem Dogme Approach für eine „pedagogy of bare essentials“ und ein „teaching unplugged“ aus, wodurch „echte“ Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden ermöglicht werden könne: