Das Lied der Honigvögel: Ein Australien-Roman - Anne McCullagh Rennie - E-Book
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Das Lied der Honigvögel: Ein Australien-Roman E-Book

Anne McCullagh Rennie

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Beschreibung

Wenn die Sehnsucht dich ruft: Der gefühlvolle Roman »Das Lied der Honigvögel« von Anne McCullagh Rennie jetzt als eBook bei dotbooks. Aufgewachsen in den Weiten des australischen Outbacks, geht für die junge Lizzy ein Traum in Erfüllung: Die Sängerin wird auf den Bühnen der Welt gefeiert. Doch dann trifft sie ein schwerer Schicksalsschlag. Mit gebrochenem Herzen schwört Lizzy sich, nie wieder zu singen, und zieht sich in die Einsamkeit des australischen Outbacks zurück. Auf der alten Farm ihres Vaters will sie mit ihrer Vergangenheit abschließen. Aber plötzlich setzen sich gleich zwei Männer in den Kopf, Lizzy wieder zurück auf die Bühne zu holen. Ob der charmante Konzertveranstalter Brian dabei wirklich nur an ihre Karriere denkt – oder will er in Wahrheit das Herz der schönen Sängerin für sich erobern? Wird das Glück Lizzy noch eine zweite Chance geben? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Liebesroman »Das Lied der Honigvögel« von Anne McCullagh Rennie lässt seine Leser von der unendlichen Freiheit im wilden Outback Australiens träumen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 550

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Über dieses Buch:

Aufgewachsen in den Weiten des australischen Outbacks, geht für die junge Lizzy ein Traum in Erfüllung: Die Sängerin wird auf den Bühnen der Welt gefeiert. Doch dann trifft sie ein schwerer Schicksalsschlag. Mit gebrochenem Herzen schwört Lizzy sich, nie wieder zu singen, und zieht sich in die Einsamkeit des australischen Outbacks zurück. Auf der alten Farm ihres Vaters will sie mit ihrer Vergangenheit abschließen. Aber plötzlich setzen sich gleich zwei Männer in den Kopf, Lizzy wieder zurück auf die Bühne zu holen. Ob der charmante Konzertveranstalter Brian dabei wirklich nur an ihre Karriere denkt – oder will er in Wahrheit das Herz der schönen Sängerin für sich erobern? Wird das Glück Lizzy noch eine zweite Chance geben?

Über die Autorin:

Anne McCullagh Rennie wurde in Cambridge, England geboren und studierte in London und Wien Musik. In Österreich lernte sie ihren Ehemann Jim kennen und zog mit ihm nach Australien, wo sie zusammen eine Familie gründeten. Die Liebe zu ihrer Wahlheimat und zur Musik bringt sie in ihren Romanen zum Ausdruck.

Anne McCullagh Rennie veröffentlichte bei dotbooks bereits ihren Roman »Der Himmel über Australien«.

Die Website der Autorin: www.annemccullaghrennie.com

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Mai 2019

Dieses Buch erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »Song of the Bell Bird« bei Simon & Schuster.

Copyright © der australischen Originalausgabe 2000 by Anne Rennie

Published by Arrangement with Anne McCullagh Rennie

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH

Copyright © der aktualsierten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/leodaphne, worananphoto, Hack_bsh, Elena Yakusheva, Janelle Logge

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-790-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anne McCullagh Rennie

Das Lied der Honigvögel

Roman

Aus dem Englischen von Karin Dufner

dotbooks.

TEIL EINS

Kapitel 1

Das neu geborene Fohlen saugte zufrieden an den Zitzen seiner Mutter. Eigentlich hätte die vierzehnjährige Lizzy Foster, die gerade einen Blick in den Stall warf, vor Glück zerspringen sollen, denn schließlich waren Pferde und Singen die beiden wichtigsten Dinge in ihrem Leben.

Vor drei Wochen hatte sie die Hauptrolle in dem Musical bekommen, das an dem katholischen Internat, das sie besuchte, zum Jahresabschluss aufgeführt werden würde. Und nun war, während Lizzy das Wochenende auf Kinmalley verbrachte, der Weizen- und Schaffarm ihrer Familie in den Darling Downs in Queensland, dieses vollkommene kleine Geschöpf zur Welt gekommen. Dennoch gab es nur einen einzigen Gedanken, der Lizzy an diesem kühlen frühen Septembermorgen beschäftigte, nämlich, dass sie ihrem Vater auf keinen Fall von ihrer Gesangsrolle erzählen durfte.

Die große Scheune war vom Geruch nach frischem Heu erfüllt. Neben Lizzy wartete geduldig, gesattelt und gestriegelt Woeful, die zwölfjährige Stute; sie knabberte hin und wieder an der Schulter ihrer Herrin und pustete ihr von hinten in das T-Shirt. In der nächsten Box konnte Lizzy hören, wie ihre beste Freundin Marcia Pearce, die über das Wochenende zu Besuch war, den Eingangschor von »Oklahoma!« summte und dabei unter Geklapper Misty sattelte. Marcias Eltern waren die Besitzer von Four Pines, einer etwa eine Autostunde entfernt gelegenen Schaffarm.

Für gewöhnlich freute sich Lizzy darauf, die Pferde zu bewegen und Ställe auszumisten, doch heute spiegelten sich Sorgen in ihren dunklen Augen. Mit einem tiefen Seufzer spielte sie an dem Silbermedaillon herum, das sie um den Hals trug und das ihr Vater ihr zum sechsten Geburtstag geschenkt hatte. Sie drehte sich um, lehnte die Wange an Woefuls warmes braunes Fell und überlegte, wie sie sich nur wieder aus der Klemme befreien könnte, in die sie sich selbst hineinmanövriert hatte.

Es war wirklich eine Katastrophe. Niemals hätte sie die Rolle annehmen dürfen, und es war Wahnsinn gewesen, sich selbst weismachen zu wollen, sie könne ihren Vater überzeugen, wenn sie bis nach der Generalprobe wartete. Das Schlimmste dabei war nicht, dass Lizzy die Rolle überhaupt angenommen hatte. Dan Foster glaubte nämlich, dass seine Tochter in einem Gottesdienst singen würde. Es war schon schwer genug gewesen, ihm überhaupt die Erlaubnis zum Singen abzuringen. Wenn er herausfand, dass Lizzy ihn getäuscht hatte, würde er sich von seinem irischen Temperament womöglich sogar dazu hinreißen lassen, sie von der Schule zu nehmen.

Lizzy versuchte, nicht auf ihr flaues Gefühl im Magen zu achten. Wie ihr klar war, würde sie nicht darum herumkommen, ihm zu beichten, dass sie in einem Musical mitspielte – und das, obwohl er die bunten Farben, das Tanzen und den Trubel verabscheute, die damit einhergingen. Früher einmal hatte auch er diese Dinge geliebt. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass sie einfach nicht hatte ablehnen können, als die Hauptdarstellerin ausgefallen war und die gute Schwester Angelica ihr die Rolle mit so überschwänglicher Begeisterung angetragen hatte?

Zu allem Überfluss hatte sie die vergangenen drei Wochenenden bei Marcia verbracht, um ihr Treiben zu verheimlichen. Sie hatte die wundervollen, gestohlenen Stunden genossen, sich im Zauber der Musik verloren, sich einfach treiben lassen und dabei überlegt, wie sie ihren Vater überzeugen könnte.

Eigentlich wäre am gestrigen Abend der richtige Zeitpunkt gewesen. Sie hatten gemütlich mit den »Jungs« – Lizzys zweiundzwanzigjährigem Cousin Bob und Ken, dem achtunddreißigjährigen Rodeoreiter und Mädchen für alles, der ihr Woeful geschenkt hatte – auf der großen Veranda zusammengesessen. Dan Foster war so gut gelaunt gewesen wie schon lange nicht mehr. Ausgestreckt neben ihm lagen seine fleißigen Hunde, Ned und der sechs Monate alte Gyp. Nachdem Dan einen großen Schluck aus der Bierflasche genommen hatte, kraulte er Ned den Bauch und verkündete, dass endlich die Rekordernte fast völlig eingebracht sei. Am nächsten Tag würden sie fertig sein und den Weizen wohlbehalten in Silos in der Stadt verstaut haben. Wieder einmal seien sie den vorhergesagten Unwettern zuvorgekommen.

Der Abend versprach sehr angenehm zu werden, und da sie sich von Marcia Unterstützung versprach, hatte sich Lizzy wirklich Chancen ausgerechnet. Doch dann kam die Geburt des Fohlens dazwischen, und die günstige Gelegenheit war vorbei gewesen.

Die Natur hatte es gut mit Lizzy Foster gemeint. In ihrem pechschwarzen Haar schimmerten Lichtfunken. Üppige dunkle Wimpern umrahmten große, mandelförmige Augen, und sie hatte hohe Wangenknochen und einen breiten Mund. Obwohl die meisten Leute meinten, dass an ihr ein Junge verloren gegangen sei, verbarg sich hinter ihrer burschikosen Art eine sinnliche junge Frau. Lizzy musste zwar noch etwas Babyspeck verlieren, doch an ihren wohlgerundeten Formen ließ sich bereits erkennen, dass sie einmal eine Schönheit werden würde. Ihre glatte Haut wurde in der Sonne tiefbraun, und ihre anmutigen Bewegungen und ihre Musikalität – beides geerbt von ihrer polynesischen Großmutter – verliehen ihr eine geheimnisvolle Anziehungskraft. Da sich in ihr Leidenschaft und kühle Berechnung paarten, wusste sie, dass der einzige Ausweg aus ihrer momentanen Lage war, wenn sie sich beruhigte, sich mit ihrer Situation abfand und auf Zeit spielte. Sie hatte Bühnenluft geschnuppert. Das war zumindest schon einmal ein Anfang.

Lizzy war acht Jahre alt gewesen, als ihre Mutter die Familie verließ. Sie wusste noch, dass es an einem Mittwoch geschah. Dunkel erinnerte sie sich an den düster-attraktiven Mann, der mit einer reisenden Theatergruppe in die Stadt gekommen war und ihren Vater sehr wütend gemacht hatte. Früher hatte Dad Lizzy und ihrer Mutter gern beim Singen zugehört.

Die Liebe zur Bühne hatte Lizzy von ihrer Mutter, die ihr auch von glamourösen Inszenierungen in fernen Städten erzählte. Nie hörte sie auf, davon zu träumen. Sie erklärte Lizzy, ihre Großmutter wäre eine polynesische Prinzessin gewesen, die davongelaufen sei, um Sängerin zu werden. Die Musik liege ihnen eben im Blut.

Mit ihrer Sopranstimme sang sie Lizzy alle Lieder vor, die sie kannte – Stücke aus alten Varieteeshows, Liebeslieder und polynesische Volksweisen. Gemeinsam hatten sie getanzt und gesungen und waren vor einem eingebildeten Publikum aufgetreten, wobei ihre Mutter die Melodien auf dem alten Klavier klimperte oder zerkratzte Platten auf dem Grammophon abspielte. Dann wirbelten die beiden mit den zerbeulten breitkrempigen Hüten ihrer Mutter und mit Federboas durchs Zimmer, sprangen ums Sofa und warfen lachend die Beine hoch.

Einmal war Mutter mit Lizzy zu dem natürlichen Amphitheater auf einem Nachbargrundstück unweit von Kinmalley gefahren, und sie hatten dort zusammen gesungen, bis ihre Stimmen durch den gesamten Busch hallten. Ihr Vater hatte meistens nur zugesehen und applaudiert. Doch manchmal hatte er auch eingestimmt und monoton vor sich hin gebrummt, bis alle in lautes Gelächter ausgebrochen waren. Dann drückte Dan Foster, ein liebevoller Bär von einem Mann, seine beiden Frauen an sich, und sie küssten und umarmten sich wie eine heile Familie, für die Lizzy sie damals eigentlich gehalten hatte.

Dann plötzlich war die Mutter fort. Lizzy blieb allein mit ihrem Vater und einer Trauer zurück, die sie nie wieder verließ, über die jedoch nie gesprochen wurde. Und Dan verbot seiner Tochter, je wieder zu singen.

Doch als Lizzy ins Internat St. Cecilia gekommen war, musste Dan schließlich kapitulieren. Dafür hatte schon Schwester Angelica gesorgt, die ihm geduldig erklärt hatte, dass das Singen im Schulchor zu den Eintrittsbedingungen gehörte.

»Aber lass dich bloß nicht bei diesem Theatermist erwischen«, hatte er Lizzy auf dem Heimweg gedroht.

»Theatermist« – mein Gott, wie sie diesen Ausdruck hasste! Für sie war er wie ein Schlag ins Gesicht, da die Lieder ständig aus ihr herauszuströmen drohten. Manchmal hatte sie zu Hause das Gefühl zu ersticken, weil sie nicht singen durfte.

Auch wenn ihr Vater nicht mehr der umgängliche Mensch war, an den Lizzy sich aus ihrer Kindheit erinnerte, kritisierte sie ihn nie für seine Brummigkeit und Launenhaftigkeit, denn sie liebte ihn von ganzem Herzen und wusste, dass es sich umgekehrt genauso verhielt. Dennoch war ihr größter Wunsch, er möge irgendwann begreifen, dass sie ohne Gesang nicht leben konnte und Singen für sie so natürlich wie Atmen war.

Woeful, die das Herumstehen leid war, warf den Kopf herum und holte Lizzy unsanft in die Gegenwart zurück.

»Du verstehst mich doch, oder, meine Schöne?«, murmelte sie. Nachdem sie sich das dicke schwarze Haar hinter die Ohren geschoben hatte, setzte sie einen breitkrempigen Hut auf, stieg auf Woefuls Rücken und ritt hinaus in den Sonnenschein.

»Okay, Marcia, lass uns hinauf zu den Wasserlöchern reiten und nachsehen, was vor dem Unwetter noch erledigt werden muss«, rief Lizzy und unterdrückte ein Gähnen.

Wegen der aufregenden Geburt des Fohlens hatte in der letzten Nacht niemand viel geschlafen, und Lizzy war noch vor Morgengrauen wieder aufgestanden, um für Dan und die Jungen, die zur Ernte aufbrechen wollten, Frühstück zu machen. Ihr Vater hatte sie gebeten, die beiden Wasserlöcher zu überprüfen, die das Trinkwasser für die zweitausend Tiere zählende Schafherde lieferten. Das würde zwar den Großteil des Vormittags in Anspruch nehmen, doch Lizzy glaubte, dass die Zeit noch für das geplante Picknick reichen würde, bevor das Unwetter anfing und Marcias Bruder kam, um sie abzuholen.

»Welches Unwetter?«, spottete Marcia, die auf Mistys Rücken aus dem Stall kam. Nur ein paar weiße Schäfchenwolken zierten den makellos blauen Himmel im Westen, aber beide Mädchen wussten, wie schnell über den Dawns verheerende Gewitter aufziehen konnten.

»Also, ich bin fertig. Worauf warten wir noch?«, fragte sie und rutschte mit übertriebener Ungeduld auf dem Sattel herum.

»Dad glaubt, dass das Unwetter, das schon die ganze Woche angekündigt wird, heute zuschlagen könnte«, erwiderte Lizzy. Ihre Stimmung hellte sich ein wenig auf.

Marcia war einen guten Kopf kleiner als Lizzy und optisch auch sonst das genaue Gegenteil. Sie war schlank und blauäugig, und ihr kurz geschnittenes mausbraunes Haar wies noch die Überreste einer hellroten Tönung auf. Es war schwierig, in Marcias Gegenwart niedergeschlagen zu sein.

Lizzy ließ Woeful wenden und trieb die Stute zur Eile an. Dann trabten die beiden Mädchen in raschem Tempo über die Weide davon. Bald fielen sie in Galopp und preschten über den Reitweg, entlang der von der Sonne ausgedörrten Weiden. Die frische Brise rötete ihre Wangen. Der Weg war von niedrigem Gebüsch gesäumt, aus dem plötzlich ein Schwarm Ibisse aufflog; die Vögel ließen sich von den Aufwinden treiben und schwebten über den kobaltblauen Himmel. Das Gefühl von Woefuls kräftigem Körper unter sich, die vertrauten Gerüche und der Anblick der endlosen, gewellten Landschaft, die sich vor ihr erstreckte, lösten in Lizzy wie immer Hochstimmung aus. Hier draußen, angesichts der Ehrfurcht gebietenden Schönheit der Natur, empfand sie eine Freiheit wie sonst nirgendwo. Hier durfte sie singen, wie ihr der Sinn stand, denn nur die Vögel, die Kängurus und der Wind konnten sie hören, und niemand verbot ihr ihre Träume. Hier schien die Welt ewig zu sein.

»Wer zuerst am Tor ist«, rief sie Marica zu und stieß mit leuchtenden Augen Woeful die Fersen in die Flanken.

Das Wasserloch in der Nordecke der Farm gehörte zu den ersten, die auf dem Grundstück gebohrt worden waren. Die alte Windmühle mit den eisernen Flügeln, die Lizzys Großvater väterlicherseits gebaut hatte, drehte sich fast pausenlos, seit ihr Vater vier Jahre alt war, und pumpte das Wasser aus dem artesischen Brunnen in den nahegelegenen Kanal. Lizzy glitt von Woefuls Rücken und reichte Marcia die Zügel. Während Marcia die Pferde im Kanal tränkte, führte Lizzy die üblichen Untersuchungen durch.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass mit den Lagern unten an der Windmühle alles seine Richtigkeit hatte, überprüfte sie, ob auch die Pumpe funktionierte. Die Stange, die vom Bohrloch bis hinauf zur Windmühle reichte, bewegte sich rhythmisch auf und nieder. Lizzy sah, dass sich aus dem Rohr ein steter Wasserstrom in den Kanal ergoss. Sie schob sich den Hut aus dem Gesicht, beobachtete die Windmühlenflügel und lauschte. Kein Klappern und Klopfen. Mit der Windmühle war alles in Ordnung. Um auf Nummer sicher zu gehen, kletterte sie die Leiter hinauf, bis sie den Turm zu zwei Dritteln erklommen hatte. Immer noch war nur das leise Rauschen der Flügel zu hören. Eine Hand umfasste die Leiter, während sie liebevoll die Landschaft betrachtete und den Anblick auf sich wirken ließ: die Weizenfelder, die an eine Steppdecke erinnerten, die Stoppelfelder, die Eukalyptushaine und die Stellen, auf denen noch üppig grüne Feldfrüchte wuchsen.

»Mit der da sind wir fertig«, rief Lizzy.

Marcia war gerade damit beschäftigt, stachelige Grassamen aus ihren Socken zu zupfen. Ganz in der Nähe weideten die mit Fußfesseln versehenen Pferde genüsslich das Gras ab. Lizzy streckte sich. Der Wind hatte nachgelassen, und die Temperaturen stiegen. Da sie nicht in Eile war, dachte sie an die letzte Probe. Sofort roch sie die Mischung aus Staub und Möbelpolitur, die über der stickigen Schulaula hing. Sie spürte die Finger des Hauptdarstellers auf ihrem Arm und fühlte, wie ihre Aufregung wuchs. Den Hut in den Händen, trat sie auf eine imaginäre Bühne hinaus, und der blecherne Klang des alten Klaviers aus Walnussholz hallte ihr in den Ohren. Gefangen in einer anderen Welt, schlug sie die Augen auf und begann zu singen:

»If you loved me ...« Die Töne, anfangs kaum mehr als ein Flüstern, schwebten in die stille Luft hinauf und wurden, der Melodie folgend, lauter und leiser. Dann, als sich die Leidenschaft des Liedes steigerte, erhob sich Lizzys Stimme, sodass ihr Klang die gesamte Landschaft zu erfüllen schien. Marcia hörte auf, an ihren Socken herumzufingern, und lauschte. Leise setzte sie sich auf den Boden und hörte aufmerksam zu. Es war, als ob Lizzy sich beim Singen verwandelte. Sie leuchtete von innen heraus und verstrahlte Wärme und Energie. Auch wenn ihre Stimme noch ursprünglich und nicht ausgebildet war, klang sie reifer, als es ihrem Alter entsprach. Eine verborgene Sehnsucht war zu spüren, die ans Herz ging, ein Zauber, der den Zuhörer in seinen Bann schlug. Kein Wunder, dass Schwester Angelica Lizzy immer wieder erinnerte, sie sei von den Engeln gesegnet.

»Los, mach schon, willst du nicht mitsingen?«, forderte Lizzy ihre Freundin auf.

Vor lauter Freude am Singen funkelten ihre dunklen Augen, und ihr ganzer Körper schien zu leuchten. Sie machte auf der imaginären Bühne ein paar Schritte vorwärts und stimmte, mit den Füßen auf den Boden klopfend und die Hände ausgestreckt, die ersten Töne des Schlusschores an.

Lachend sprang Marcia auf, umfasste Lizzys Hände und tanzte im gleichen Rhythmus mit.

»... Dum, dum, dum ... when the wind comes sweeping down the plain ...«, sang sie, wobei sie Mühe hatte, sich an den Text zu erinnern.

Ihre jungen Stimmen erhoben sich im Gleichklang. Sie lüpften die nicht vorhandenen Cancan-Röcke, schwenkten sie beim Singen, warfen die Beine in die Luft, liefen vor und zurück und spielten die letzte Szene des Stücks, obwohl sie den Großteil des Textes vergessen hatten. Nach einem genüsslich in die Länge gezogenen hohen Abschlusston schleuderten sie ihre Hüte hoch, fielen einander applaudierend und jubelnd in die Arme und wälzten sich lachend und erhitzt auf dem Boden.

»Ach, Marcia, ich könnte immer weitersingen. Ich liebe die Show von der ersten bis zur letzten Sekunde. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals wieder so glücklich fühlen würde«, keuchte Lizzy. »Das letzte Mal brachte Mum mir ein Lied aus ›Oliver‹ bei!«

Ihre Miene verdüsterte sich, und ein beklommenes Schweigen entstand. Eigentlich wollte sie heute nicht an ihre Mutter denken. »Ich verhungere. Was hast du mit dem Kuchen gemacht?«, fragte sie unvermittelt.

»Ich hole ihn«, rief Marcia, die Lizzys traurige Miene bemerkt hatte, und sprang auf.

Sie eilte zu dem großen Felsen hinüber, wo die Picknicktasche stand, und reichte Lizzy ein Stück von dem Kuchen, den sie am Vortag gebacken hatten. Dann bediente sie sich selbst. Schweigend und in Gedanken versunken verspeisten die beiden Mädchen das Gebäck.

»Wann wirst du es deinem Dad sagen?«, erkundigte sich Marcia nach einer Weile. Die Frage hing zwischen ihnen in der Luft.

»Was soll ich ihm denn sagen?«, gab Lizzy mit einem forschenden Seitenblick zurück.

»Du weißt schon. Das mit der Hauptrolle.«

»Gar nicht.«

»Was? Du musst aber!«, stieß Marcia erschrocken hervor.

»Warum? Er kriegt es doch sowieso heraus«, erwiderte Lizzy mit funkelnden Augen.

Sie zog die Knie hoch und schlang die Hände darum. Warum musste Marcia alles verderben, indem sie ausgerechnet jetzt damit anfing?

»Genau darum geht es doch. Dann bekommst du erst so richtig Ärger«, beharrte Marcia.

»Das ist mir egal. Ich singe die Rolle«, entgegnete Lizzy trotzig. »Wenn er es erfährt, ist es ohnehin schon zu spät. Außerdem würde er Schwester Angelica niemals verärgern.«

Doch sie glaubte selbst nicht, was sie sagte. Sie zog sich das silberne Medaillon über das Kinn, ließ es einige Male an der Kette hin und her gleiten und starrte ins Leere. Als sie es wieder sinken ließ, stand nicht mehr Wut, sondern Trauer in ihren Augen.

»Was soll ich nur tun, Marcia?«

»Du musst es ihm sagen«, antwortete Marcia leise. »Es wird schon kein Weltuntergang«, fügte sie nach einer Weile hinzu.

Sie wusste nicht, warum Mr. Foster, was Lizzys Gesang anging, eine derart merkwürdige Einstellung hatte. Allerdings war sie froh, nicht in Lizzys Haut zu stecken, denn das eine Mal, dass sie ihn brüllen gehört hatte, genügte ihr.

»So schlimm wird es sicher nicht werden«, meinte sie und sah zu, wie Lizzy niedergeschlagen im Staub kratzte. »Er kann dir nichts tun.«

»Er kann mir nur das Singen verbieten.« Achselzuckend ließ Lizzy sich den Rest des Sands durch die Finger rinnen.

Das Gespräch war zwecklos und sorgte nur dafür, dass sie sich noch elender fühlte. Also stand sie auf und biss sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzudrängen. Als sie die kühle Brise spürte, lief ihr ein Schauder den Rücken hinunter. Das Wetter hatte sich eingetrübt, und in der Ferne ballten sich Gewitterwolken zusammen. Sie sah auf die Uhr.

»Wenn wir rechtzeitig zurück sein wollen, können wir die zweite Windmühle vergessen«, verkündete sie fröhlicher, als sie sich fühlte. Abgesehen von dem Unwetter, das sich, wie so häufig, bereits an den Grenzen des Farmgebietes zusammenbraute, hatten sie schon zu viel Zeit vertrödelt. Marcias achtzehnjähriger Bruder Tim wollte sie um zwölf Uhr mittags abholen.

»Ich wünschte, du müsstest nicht weg«, fügte sie traurig hinzu.

»Ich auch, aber du kennst ja die Einstellung meiner Mutter zu Sonntagen«, erwiderte Marcia voller Mitleid mit ihrer Freundin. Rasch sammelten die beiden Mädchen ihre Sachen zusammen und riefen die Pferde.

Der Heimritt verging schnell, war aber anstrengend, denn die Tiere waren durch das Wetter nervös geworden und schwer zu bändigen. Misty versuchte ständig durchzugehen, und Woeful scheute immer wieder ohne ersichtlichen Grund. Einmal zuckte ein Blitz im Himmel, gefolgt von entferntem Donnergrollen. Erschrocken galoppierte Woeful los, sodass Lizzy auf seinem Rücken auf und nieder hüpfte und das Pferd erst kurz vor dem Haus zügeln konnte. Als sie auf die große Scheune zugeprescht kamen, war Tim schon da und lehnte an seinem Wagen, der vor dem Haus stand.

»Super, dass wenigstens eine von euch pünktlich ist«, witzelte er grinsend, denn er hatte Lizzys wenig elegante Ankunft beobachtet.

»Halt den Mund, Tim«, riefen Lizzy und Marcia im Chor. Rasch sattelten die Mädchen die Pferde ab und ließen sie für den Fall, dass das Wetter umschlagen sollte, auf einer Koppel gleich neben der Scheune laufen.

Lizzy winkte dem Wagen nach, als dieser den Weg entlangrollte und in der Ferne verschwand. Dann warf sie einen Blick in den Himmel, um sich zu vergewissern, dass die Pferde für den Moment gut aufgehoben waren. Langsam schlenderte sie zum Haus, während Marcias Worte ihr noch in den Ohren klangen. Dad hatte gesagt, er und die Jungen würden spät zum Mittagessen kommen. Wenn sie den Augenblick mit Bedacht wählte ...

Lizzy band sich eine Schürze um und machte sich in den nächsten eineinhalb Stunden zufrieden in der Küche zu schaffen. Während sie das Leibgericht ihres Vaters zubereitete, summte sie vor sich hin und redete sich ein, der Lammbraten, der im Ofen schmorte, würde ihr helfen, ihn zu überzeugen. Der Duft des alten Winterrindenbaums wehte durch das Küchenfenster hinein. Als sie das Eiweiß für die Zitronenbaiser-Torte geschlagen hatte, war der Himmel so dunkel geworden, dass sie Licht machen musste. Fast fing sie an, sich zu fürchten, aber dann hörte sie, wie der Pick-up in den Hof einfuhr und Autotüren ins Schloss fielen.

»Hallo, Dad«, rief sie fröhlich. Während sie lauschte, wie ihr Vater auf der Veranda die Stiefel auszog, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Im nächsten Moment kam er zur Tür herein und verschwand in der Dusche. Mit schweißnassen Händen warf Lizzy noch einen letzten Blick auf den Esstisch, spähte unter das Geschirrtuch, das sie über die Baisertorte gebreitet hatte, und holte Brot und Butter. Dann machte sie sich nervös an der Spüle zu schaffen und spitzte die Ohren, ob es schon regnete.

Zwanzig Minuten später trat Dan Foster, frisch rasiert, in einem sauberen Hemd und das sonnengebräunte Gesicht geschrubbt, in die Küche, gab Lizzy einen Kuss auf die Wange und nahm die angebotene kalte Flasche Bier entgegen. Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern und leichtem Übergewicht. Außerdem litt er an erhöhtem Blutdruck, auch wenn er allen immer wieder versicherte, dass er im Leben noch keinen Tag krank gewesen sei – bis auf den kleinen Zwischenfall von letzter Woche.

»Heute haben wir eine Menge geschafft, Kleine«, verkündete er ein wenig atemlos. »Alles ist im Silo und von bester Qualität, und wir haben kein Körnchen wegen des Unwetters verloren. Ken bringt gerade den Mähdrescher zurück. Er kommt gleich.«

Er trank einen Schluck Bier, wischte sich mit einem sauberen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er gab zu, dass er letzte Woche »eine kleine Grippe« gehabt und sich noch nicht völlig wieder erholt hatte. Allerdings hatte er entgegen des Rates seines Arztes weitergearbeitet.

»Du wirst mit jedem Tag hübscher«, sagte er bewundernd zu Lizzy, die gerade die Essteller aufdeckte. »Und was hast du heute für deinen armen alten Vater und seine schwer arbeitenden Männer gekocht?« Aus dem Ofen wehte ein köstlicher Duft durch die Küche. Dann bemerkte er das Geschirrtuch. »Habt ihr Mädchen wieder gebacken? Der Himmel steh uns bei!«, lachte er und lüpfte eine Ecke des Tuches.

»Spionieren verboten«, protestierte Lizzy grinsend und griff nach einem Kochlöffel. Sie klang viel selbstsicherer, als sie sich fühlte. In gespielter Furcht ließ Dan das Geschirrtuch los.

»Eine Überraschung für deinen Dad, was?«

»Vielleicht.«

In eine angeregte Debatte vertieft, kamen Bob und Ken zur Tür herein. Als Ken Lizzy, den Kochlöffel immer noch in der Hand, bemerkte, nahm er sie in die Arme und schwenkte sie herum.

»Wie geht es meiner furchtlosen Rodeokönigin? Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, Lizzy, wärst du vor mir nicht mehr sicher«, rief er grinsend und drückte sie an sich. Nachdem er sie wieder abgesetzt hatte, streckte er die Hand nach dem Geschirrtuch aus.

»Irgendwas riecht hier gut. Was ist das?«

»Jetzt fang du nicht auch noch an«, schimpfte Lizzy lachend und versetzte ihm einen leichten Klaps mit dem Löffel.

Angesichts der allgemeinen guten Laune ließ ihre Nervosität nach. Ken war wie ein Onkel für sie. Er hatte Arme so dick wie Baumstümpfe. Sein muskulöser Körper war von den vielen Stürzen während seiner Zeit als Rodeoreiter von Narben übersät. Er war immer knapp bei Kasse, hatte ein Herz aus Gold und hatte sich vom ersten Augenblick an so gut in die Familie eingefügt, dass er auch ein Verwandter hätte sein können.

»Oho, dann müssen wir uns heute offenbar benehmen«, erwiderte er schmunzelnd. Als er Bob zugrinste, war ein abgebrochener Zahn zu sehen. Rings um seine freundlich dreinblickenden Augen gruben sich tiefe Krähenfüße in sein sonnengebräuntes Gesicht.

Lizzy erwiderte das Lächeln. Als sie den Kochlöffel mit Topfhandschuhen vertauschte und den Braten vor ihren Vater hinstellte, bemerkte sie zu ihrem Erstaunen, dass ihre Hände zitterten.

»Okay, Essen fassen«, verkündete Dan und begann, das Lamm zu tranchieren.

»Wir könnten ein ziemliches Unwetter bekommen«, meinte Bob und wies mit seiner Bierflasche auf das Fenster, wo ein dunkler und bedrohlicher Himmel zu sehen war. Bob, der hauptsächlich als Schafscherer arbeitete, unterschied sich grundlegend von Ken. Er konnte einiges vertragen und hatte einen so spöttischen Humor, sodass Lizzy sich manchmal fragte, ob er ihr Komplimente machte oder sie auf den Arm nehmen wollte. Nach einem heftigen Streit mit Dan war Bobs Vater vor einigen Jahren nach Neuseeland ausgewandert, und die beiden Familien sprachen seitdem nicht mehr miteinander. Daher war Dan ausgesprochen überrascht gewesen, als Bob ihn um Arbeit gebeten hatte.

»Sind die Pferde in der Scheune?«, fragte er Lizzy streng.

»Denen passiert schon nichts, bis wir gegessen haben«, brummte Dan. »Bis das Gewitter kommt, dauert es noch ein paar Stunden, wenn überhaupt etwas passiert. Lizzy, gib mal das Gemüse weiter.«

In den nächsten Minuten waren nur Kaugeräusche, das Kratzen von Besteck auf Porzellan und hin und wieder ein »kann ich mal das Salz haben« zu hören. Für Lizzy schmeckte das Essen wie Sand, und sie brachte nur ein paar Gabeln voll herunter.

»Das war ausgezeichnet, Lizzy. Einfach köstlich. Was hast du denn? Warum isst du nichts? Und jetzt die wichtigste Frage: Was gibt's zum Nachtisch?« Dan lehnte sich zurück und tupfte sich zufrieden den Mund ab. »Ihr Mädchen habt euch ja gestern Abend prächtig amüsiert und ständig gekichert und geredet. Was wolltest du mir denn sagen? Du hast gemeint, es wäre etwas Besonderes.«

Lizzy klopfte das Herz bis zum Halse.

»Zitronenbaiser-Torte«, verkündete sie zu laut, überrascht von seiner plötzlichen Aufforderung. Sie sprang auf, riss das Geschirrtuch hoch und präsentierte das appetitliche Gebäck, auf dem sich Gipfel aus Eischnee türmten. Ihre Augen funkelten zu hell, ihre Bewegungen waren zu schnell, und ihre Hände zitterten so, dass sie das erste Stück beinahe fallen ließ, als sie es auf einen Dessertteller legte. Nachdem sie jedem der Männer eine Portion serviert hatte, setzte sie sich und versuchte, ruhig zu wirken. Jetzt oder nie.

»Du hast doch sicher schon vom Abschlusskonzert gehört. Nun ja, sie haben so viele Eintrittskarten verkauft, dass es in der Stadthalle und nicht in der Schule stattfinden wird«, begann sie, wobei sich ihre Worte vor Hast fast überschlugen. Der Mut verließ sie, als die Augen ihres Vaters den abweisenden Ausdruck annahmen, den Lizzy so hasste.

Ein plötzlicher kalter Windhauch fuhr unter der Küchentür hindurch und strich über ihre Waden. Draußen warnten die Vögel zwitschernd vor dem Unwetter.

»Weiter«, forderte Dan sie in scharfem Ton auf. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht und in die Augen, sodass er ihn mit einer Serviette wegwischen musste. »Bobby, dreh den Ventilator höher, ich schwitze mich tot hier drin.«

»Das ist die Grippe, die du angeblich nie hattest«, wandte Ken ein, offenbar in dem Versuch, die angespannte Stimmung zwischen Vater und Tochter aufzulockern. Doch Dan achtete nicht auf ihn. Lizzy holte tief Luft und sprach rasch weiter.

»Dad, jetzt werde nicht sauer, aber, tja, es hat sich etwas geändert. Es ist kein Konzert, sondern ein ... ein Musical«, stammelte sie. »Wir führen ›Oklahoma!‹ auf, und ich habe die Hauptrolle. Es ist so aufregend! Das andere Mädchen ist ausgestiegen, und Schwester Angelica hat mich gefragt, ob ich mitmachen will. Oh, Dad, ich bin so froh, dort oben auf der Bühne zu stehen, und die Mutter Oberin und all die anderen Schwestern ... sie sind so aufgeregt ...«

Als ihr Vater mit der Faust auf den Tisch schlug und aufstand, fuhr sie zusammen.

»Ich will kein Wort mehr hören, Kind!«, brüllte er. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Die Hände zu Fäusten verkrampft, lehnte er sich schwer auf den Tisch und blickte Lizzy finster an. Sie erbleichte.

»Nein, so hör doch zu, Dad, bitte, nur dieses eine Mal. Ich hätte nie damit gerechnet, aber ...«

»Meine Tochter wird nicht in so einem billigen Bühnenstück herumtänzeln, ganz gleich, was die Nonnen dazu sagen«, schrie Dan.

»Bitte, Dad.« Flehend sah sie ihn aus dunklen Augen an.

»Jetzt Schluss damit. Du wirst dieser Schwester soundso sagen ...«

Lizzy konnte es nicht mehr ertragen.

»Nein, Dad!« Sie sprang auf, und all die unterdrückte Sehnsucht und die Schuldgefühle brachen sich mit einem Mal Bahn. Wut ergriff sie. »Warum musst du so abscheulich sein? Du bist sogar zu faul, dir Schwester Angelicas Namen zu merken. Es ist doch kein Verbrechen, in einem ...«

»Wage es nicht, in Gegenwart von Gästen so mit mir zu sprechen«, unterbrach Dan sie mit kalter Stimme.

»Was für Gästen? Ken und Bob sind keine Gäste, und es ist ihnen auch egal«, schrie sie zurück, ohne sich um die Folgen zu scheren. Ihr Herz klopfte so heftig, dass es ihr den Brustkorb zu zerreißen drohte. Mit funkelnden Augen wandte sie sich zu den beiden Männern um. »Euch ist es doch egal, ob ich in diesem Stück auftrete, oder?«

Verlegen wichen Ken und Bob Lizzys Blick aus und waren plötzlich ganz und gar mit ihrer Nachspeise beschäftigt.

»Du bist genau wie deine Mutter, egoistisch, gedankenlos und unhöflich. Und jetzt Schluss damit!«, brüllte Dan. Sein Gesicht war aschfahl.

»Warum musst du Mum mit hineinziehen, obwohl wir sonst nie über sie reden?«, rief Lizzy. Ihre Hände krampften sich um die Tischkante. Zitternd vor Wut und Enttäuschung, interessierte es sie nicht länger, was sie sagte und wen sie damit kränkte. »Du weißt, dass Singen das Einzige war, was ich jemals wollte.«

Heiße Tränen traten ihr in die Augen und kullerten ihr die Wangen hinab. Zornig wischte sie sie weg. »Was ist denn so schrecklich daran, singen zu wollen? Erklär es mir.«

Ein Blitz zuckte durch den Himmel und erleuchtete das Zimmer. Im nächsten Moment folgte ein Donnerschlag, der Lizzy mitten im Satz unterbrach. Dann gingen die Lichter aus, und der Ventilator blieb stehen. Niemand im Raum bewegte sich. Der Strom war ausgefallen. Schließlich fluchte Dan vernehmlich.

»Der verdammte Generator.«

»Ich hole besser die Pferde rein. Nur für alle Fälle«, entschied Ken und sprang auf. Bob, der bereits stand, nickte.

»Ich helfe«, erbot sich Lizzy, das Gesicht fleckig vom Weinen.

»Kommst du mit den beiden Stuten allein klar, Lizzy? Iron Lad schaffen wir nur zu zweit. Bestimmt ist er schrecklich verängstigt«, sagte Ken.

»Etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig«, stieß Dan hervor. Bevor Lizzy etwas erwidern konnte, stürmte er zur Vordertür hinaus, sodass das Fliegengitter hinter ihm zuknallte. Nachdem er Gyp befohlen hatte, sitzen zu bleiben, rief er Ned zu sich und marschierte in Richtung des Generators, der hundert Meter vom Haus entfernt stand.

Lizzy versicherte den Jungs, dass sie schon zurechtkommen würde. Froh, dem schrecklichen Streit mit ihrem Vater entrinnen zu können, rannte sie hinaus und hinüber zu dem Pferch, in dem sie die Stuten freigelassen hatte. Hinter ihr sprangen Ken und Bob in den Pick-up, um den Hengst zu holen. Windböen trieben Lizzy Staub in die Augen, sodass sie einige Male stehen bleiben und sich abwenden musste. Die Stuten liefen wiehernd und mit wehenden Schwänzen und Mähnen auf der Koppel hin und her. Die Temperatur fiel zusehends. Lizzy brauchte einige Minuten, um die Tiere einzufangen und sie so weit zu beruhigen, dass sie sie in die Scheune führen konnte. Nachdem sie die nervösen Pferde wohlbehalten in ihre Boxen gesperrt hatte, sah sie rasch nach der dritten Stute und dem Fohlen. Als sie wieder ins Freie trat, war trotz des frühen Nachmittags wegen des dunkelgrün verfärbten Himmels eine unheimliche Nachtstimmung aufgekommen.

Lizzy stemmte sich gegen den immer stärker werdenden Wind, drückte das Scheunentor zu und eilte dann zu der Wäschespinne hinüber, die im Sturm wie wild um die eigene Achse wirbelte. Sie stoppte sie, indem sie nach einem Handtuch griff, riss die Wäsche herunter und sammelte sie in ihren Armen. In ihrer Hast ließ sie die Wäscheklammern einfach auf den Boden fallen. Kaum hatte sie das letzte Hemd abgenommen, brach das Unwetter los. Binnen weniger Sekunden war sie nass bis auf die Haut. Durch die Regenwand betrug die Sichtweite nur noch wenige Meter, und die steinharte Erde verwandelte sich im Nu in weichen, klebrigen Morast. Schlamm und Laub hafteten Lizzy an den Knöcheln, und kleine, von den umliegenden Bäumen abgerissene Zweige wurden, zusammen mit Knäueln aus dünnen Grashalmen und Holzsplittern, über den Boden geweht.

Ein besonders starker Windstoß hob einen zerbrochenen Holzstuhl hoch und schleuderte ihn zwanzig Meter weit. Lizzy wich einem leeren Ölfass aus, das klappernd über den Hof kullerte, taumelte auf die Veranda, die durchweichte Wäsche im Arm, rief den ängstlich zusammengekauerten Gyp zu sich und stürzte ins Haus. In der Küche angekommen, erstarrte sie, als sie das Knattern von Blech hörte; offenbar hatte sich ein Teil des Daches gelockert. Am ganzen Leibe zitternd ließ sie die Wäsche auf den Küchenboden fallen und hastete zurück zur Vordertür, wo sie durch das Fliegengitter zum Generator hinüberstarrte und überlegte, ob es wohl draußen oder drinnen weniger gefährlich sei.

Der Regen trommelte mit einem ohrenbetäubenden Geräusch auf das Metalldach. Das Wasser rauschte die überlasteten Regenrohre hinunter und auf den Boden, wo es breite Rinnen in die Erde grub. Mit zitternden Beinen und klopfendem Herzen sah Lizzy voller Angst zu, als schließlich ein Teil des Daches abgerissen und wie ein Stück Pappe in den Hof geschleudert wurde. Das war zu viel. Sie schlüpfte durch die Fliegengittertür und verkroch sich mit Gyp unter dem Tisch aus massiver Eiche, der auf der Veranda stand; in diesem Augenblick kippte der alte Winterrindenbaum um und stürzte auf den hinteren Teil des Hauses. Glas splitterte, und das ganze Gebäude wurde in seinen Grundfesten erschüttert, ein Geräusch, das sich für immer in Lizzys Gedächtnis eingraben sollte.

Entsetzt beobachtete sie den Boden der Veranda und rechnete jeden Augenblick damit, dass alles in sich zusammenbrechen würde. Das Gesicht in Gyps Fell geschmiegt, flüsterte sie ihm in der Dunkelheit beruhigend zu und wünschte, ihr Vater würde schleunigst zurückkommen. Noch nie zuvor hatte sie so etwas erlebt, und zitternd vor Angst begann sie zu beten.

Der Sturm tobte zwanzig Minuten lang. Dann ließ der Regen nach, hörte schließlich auf, und der Himmel wurde wieder heller. Lizzy kroch unter dem Tisch hervor und spähte, ängstlich beäugt von Gyp, durch das Fliegengitter ins Haus. Ihr wurde flau, als sie dort, wo gerade noch die Küchenwand gewesen war, einen Ast liegen sah. Panisch wirbelte sie herum, um sich zu vergewissern, ob der Schuppen mit dem Generator noch stand. Zu ihrer Erleichterung kam im nächsten Moment ihr Vater heraus. Unverletzt und gefolgt von Ned überquerte er vorsichtigen Schrittes den Hof.

Lizzy seufzte auf. Sie würde sich bei ihm entschuldigen und ihm sagen, wie leid es ihr täte. Schließlich war es nur ein dummes Musical. Wenn es ihm so zu schaffen machte, würde sie eben darauf verzichten. Sie erschauderte bei dem Gedanken, ihn beinahe für immer verloren zu haben. Was, wenn sie alle in der Küche geblieben wären? Sie trat von der Veranda und watete durch den zähen Morast, in dem sie bei jedem Schritt versank, auf ihn zu. Warum ging er denn so langsam? Plötzlich gaben ihrem Vater die Knie nach. Ned verharrte jaulend neben ihm.

Voller Angst wollte Lizzy losrennen, doch ihre Füße blieben dauernd stecken. Der Schlamm klebte an ihren Sohlen, sodass sie nicht mehr von der Stelle kam. Lizzy zog die Schuhe aus und eilte barfuß weiter. Auf der Veranda fing Gyp zu bellen an, machte dann einen Satz und folgte ihr. Inzwischen hatte Dan sich wieder aufgerichtet, doch als Lizzy ihn erreichte, sah sie zu ihrem Entsetzen, dass sein Gesicht aschfahl war. Nach Atem ringend, umklammerte er ihre Schultern wie ein Schraubstock.

»Die Schmerzen, Lizzy, die schrecklichen Schmerzen«, keuchte er, ließ mit einer Hand los und drückte sich gegen die Brust. Lizzy trat näher, um ihm zu helfen. Da knickten seine Beine ein, und er sackte gegen sie. Er war zu schwer für sie, sie konnte nicht verhindern, dass er zu Boden glitt.

»Dad, was ist los?«, flüsterte Lizzy kreidebleich. »Oh, mein Gott! Dad, Dad! Oh, mein Gott! Dad, wach auf!«

Verzweifelt klopfte sie ihm auf die Wangen, damit er wieder zu sich kam. Seine Lippen waren blau. Ängstlich zitternd sah sie sich um. Wo war nur Ken?

»Ken! Ken! Bob! Hilfe! Es ist etwas mit Dad!«, schrie sie, so laut sie konnte. Wieder schlug sie ihm gegen die Brust, doch er reagierte nicht. Endlich spürte sie die Arme von Ken, der sie aus dem Weg stieß und anfing, die Brust ihres Vaters zu bearbeiten.

»Hol Hilfe, Lizzy«, befahl er.

Schreckensbleich starrte Lizzy ihren Vater an und schlug die Hände vors Gesicht, während Ken weiter Dans Brust massierte. Bob kam herangestürmt.

»Was ist passiert?« Diese Frage holte Lizzy zurück in die Wirklichkeit.

»Dad ist krank. Ich hole Hilfe«, erwiderte sie und eilte ins Haus. Das Telefon im Wohnzimmer war tot, und das Licht funktionierte auch nicht. Voller Furcht hastete Lizzy barfuß in das Zimmer, in dem das Funkgerät stand. Doch sie blieb erstarrt stehen, als sie den Ast sah, der auf den zertrümmerten Überresten des Apparates lag. Unter Zuhilfenahme eines Kissens arbeitete sie sich durch die überall herumliegenden Glasscherben vor und versuchte, das Funkgerät wieder in Gang zu bringen, doch bald wurde ihr klar, dass es unwiederbringlich zerstört war. Sie waren von der Außenwelt abgeschnitten. Ihr nächster Nachbar lebte vierzig Kilometer entfernt. Lizzy eilte wieder nach draußen und sprang in den Pick-up. Wenn sie ordentlich Gas gab, würde sie zwanzig Minuten brauchen. Sie ließ den Motor an. Doch die hinteren Räder drehten sich im Schlamm auf der Stelle. Sie kletterte aus dem Wagen und rannte hinüber zum Familienauto. Der Mut verließ sie: Ein gewaltiger Ast lag quer vor der Einfahrt des selbst gezimmerten Carports.

Also blieb Lizzy nichts anders übrig, als umzukehren und hilflos zuzusehen, wie Ken und Bob versuchten, Dan ins Leben zurückzuholen. Obwohl beide gesunde kräftige Männer waren, waren sie nach einer halben Stunde völlig erschöpft. Schließlich kauerte Ken sich auf die Fersen und wischte sich Schweiß und Schlamm aus dem Gesicht.

»Es ist zwecklos, Lizzy. Dein Vater ist tot«, sagte er leise.

»Er hat recht. Wir haben getan, was wir konnten«, fügte Bob kopfschüttelnd hinzu und betastete eine verkrustete Schnittwunde an seiner Wange.

Eine kalte Hand griff nach Lizzys Herz. Verzweifelt sprang sie auf.

»Nein! Nein! Ihr dürft nicht aufhören. Ihr müsst weitermachen, bis es ihm besser geht«, schrie sie. Die Jeans mit Schlamm beschmiert und das T-Shirt durchweicht, begann sie, sinnlos die Brust ihres Vaters zu bearbeiten.

»Wir müssen weitermachen. Wir müssen weitermachen«, wiederholte sie nur und stieß die Männer zur Seite, bis diese sie schließlich trotz ihrer Gegenwehr wegzerren konnten.

»Es hat keinen Sinn, Lizzy. Du musst ihn gehen lassen«, meinte Ken so sanft wie möglich, während er sie weiter festhielt.

»Nein, nein, Dad, bitte, nein«, schluchzte Lizzy und schlug um sich. Sie war nicht bereit, sich mit ihrem reglos und fahl daliegenden Vater abzufinden. Die verunsicherten Hunde warteten derweilen geduldig neben ihrem Herrchen.

»Schsch, Lizzy. Wir haben für ihn getan, was wir konnten«, flüsterte Ken hilflos und nahm das bebende Mädchen fester in seine starken Arme. Er vermutete, dass Dan einem schweren Herzinfarkt erlegen, war. So etwas hatte er schon häufiger gesehen. Wahrscheinlich war Dan tot gewesen, bevor er den Boden berührte. Lizzy riss sich los.

»Ich liebe dich, Dad, bitte, Dad, stirb nicht«, schrie sie. Sie fiel auf die Knie, schlang die Arme um den reglosen Körper ihres Vaters und versuchte, ihn wieder zum Leben zu erwecken.

»Ich liebe dich«, flüsterte sie. Dann presste sie schluchzend das Gesicht an seine Brust.

Kapitel 2

Vater O'Shehan, der Gemeindepfarrer, hielt das Gebetbuch umfasst. Der Wind zauste sein langes, schwarzes Gewand.

»Liebe Gemeinde, wir haben uns hier versammelt, um uns von unserem Freund Dan Foster zu verabschieden. Dan liebte sein Land, sein Zuhause und seine Tochter. Wir werden ihn sehr vermissen ...«

Benommen hörte Lizzy zu, wie Vater O'Shehan am offenen Grab seine Rede hielt. Das schimmernde Holz des Sarges lugte zwischen den Kränzen und Blumensträußen hervor und bildete einen scharfen Kontrast zu den schmucklosen grauen Grabsteinen und der sie umgebenden Erde. Mit trockenen Augen und eine Rose in dunklem Rosa umklammernd, starrte sie abgestumpft auf die Schleife an dem Kranz aus weißen Lilien und gelben Margeriten. »Dad, ich liebe dich. Lizzy.« Mehr war nicht zu sagen.

Neben ihr, die schwarze Trauerkleidung durch eine cremefarben und schwarz gemusterte Bluse ein wenig aufgelockert, stand Lizzys Großmutter, deren Kopf ab und zu unwillkürlich zitterte. Mary Foster war eine kleine, schlanke Frau mit dichtem grauen Haar und tief liegenden blauen Augen. Sie war einmal sehr schön gewesen. Im nächsten Monat würde sie ihren sechzigsten Geburtstag feiern, und sie arbeitete immer noch zwei Tage pro Woche in einem kleinen Zeitschriftenladen in Toowoomba. Das einzige Anzeichen, mit dessen Hilfe man Gefühlsregungen bei ihr feststellen konnte, war ein roter Ausschlag am Hals. Dort befand sich auch heute ein deutlich sichtbarer Streifen.

Sie wurde von Onkel Brent überragt, Dans jüngerem Bruder, der vor zwei Tagen aus Neuseeland eingeflogen war. Den Kopf gesenkt und den Hut in der Hand, trat er schweigend von einem Fuß auf den anderen. Sein Sohn Bob stand neben ihm. Ken schien sich in seinem Anzug ziemlich unwohl zu fühlen. Außerdem hatten sich Marcia, ihr Bruder Tim und deren Eltern eingefunden, die mit der im australischen Hinterland üblichen Gastfreundschaft vorgeschlagen hatten, sich nach dem Gottesdienst auf ihrer Farm Four Pines zu versammeln.

Es waren noch weitere Menschen am Grab erschienen, um ihrem Vater die letzte Ehre zu erweisen, die Lizzy kaum kannte. Dans plötzlicher Tod war für die Gemeinde, deren Mitglieder schwer von dem Unwetter in Mitleidenschaft gezogen worden waren, ein zusätzlicher Schock gewesen. Selbst Schwester Angelica und die Mutter Oberin waren gekommen. Auch Doktor Hughes und seine Frau wohnten der Beerdigung bei. Der Arzt hatte Lizzy erklärt, Dans »bisschen Grippe« sei in Wirklichkeit ein leichter Herzinfarkt und ein Warnsignal gewesen. Doch Dan habe sich wegen der anstehenden Ernte geweigert, darauf zu achten.

»Lizzy!«, zischte Marcia ihr da ins Ohr. Vater O'Shehan hatte sie gefragt, ob sie ihre Rose zu den anderen auf den Sarg legen wolle.

Lizzy riss sich mit aller Macht zusammen, als sie vortrat und die Rose vorsichtig neben ihren Kranz legte. Doch als der Sarg dann ins Grab hinabgelassen wurde, liefen ihr die Tränen die Wangen hinunter und durchnässten das rote Kleid, das Dad so gern an ihr gesehen hatte.

Während Vater O'Shehan den letzten Segen sprach, wurde sie von lauten und heftigen Schluchzern geschüttelt.

Wortlos tätschelte Mary Lizzys Hand und wischte sich selbst eine Träne ab, während die Trauergäste sich zerstreuten.

»Lass dir Zeit, Kind. Wir warten am Auto auf dich.« Mit diesen Worten ging sie davon und lehnte das Angebot ihres Sohnes ab, sie zu stützen.

Lizzy starrte auf den Sarg.

»Er ist doch nicht wirklich da drin. Ich meine, er ist nicht ... seine Seele ...«

»Nein, er ist nicht da drin, sondern bei Gott.«

Lizzy hatte gar nicht bemerkt, dass sie laut gesprochen hatte. Sie spürte Mrs. Pearce' Arm um ihre Schulter. Der leichte Hauch ihres Parfüms war etwas Vertrautes in dieser fremden Welt.

»Ich wollte nie ... Ich hätte ihm mehr erzählen sollen ...«

Nancy Pearce drückte Lizzy an sich, bis ihre Schultern nach und nach zu beben aufhörten.

»Glauben Sie, Dad wusste, wie sehr ich ihn geliebt habe?«, stieß Lizzy hervor. Ihr Gesicht war fleckig vom Weinen. »Hat er es wirklich gewusst?« Ihre Lippen zitterten.

»Er wusste es, mein Kind. Er wusste es. Er hat es jeden Tag gesehen, und er weiß auch, dass du es schaffen wirst«, flüsterte Nancy Pearce. Während sie Lizzys Tränen und ihre eigenen wegwischte, fragte sie sich, wie die Großmutter des Mädchens nur so herzlos sein konnte, sie in diesem Augenblick allein zu lassen.

Lizzy saß zwischen Marcia und ihrer Großmutter im Auto und sah zu, wie der Friedhof hinter ihnen immer kleiner wurde. Mrs. Pearce war in einem der anderen Wagen mitgefahren, die in der Kolonne folgten. Am liebsten hätte Lizzy gegen die steifen Gespräche angeschrien, damit sich die anderen wieder normal verhielten und alles gut wurde. Stattdessen beobachtete sie wortlos, wie die Koppeln vorbeiglitten. Als das Ende der Teerstraße erreicht war, holperte der Wagen die restlichen fünf Kilometer der Schotterstraße entlang. Nach dem Unwetter war sie so von Schlaglöchern und tiefen Rillen durchzogen, dass Lizzys Zähne aufeinanderschlugen. Dann waren sie endlich am Farmhaus der Pearce' angekommen, und alle stiegen erleichtert aus.

Nancy kochte Tee und verteilte Getränke, während Mary Foster die Frischhaltefolie von Tellern mit belegten Broten und Kuchen entfernte. Nachdem sie ihre Enkelin angewiesen hatte, die Platten herumzureichen, begrüßte sie zuerst die Mutter Oberin und Schwester Angelica und anschließend die übrigen Trauergäste.

Die Mutter Oberin lächelte Mary zu, und Mitgefühl zeigte sich in ihrem Blick. Sie wusste, wie stark die Frau sich beherrschte. Kerzengerade aufgerichtet, in ihrer Tracht aus blauem Wollstoff und die frisch gestärkte Haube fest unter dem Kinn verschnürt, sah die Nonne zu, wie Mary energischen Schrittes zu Lizzy hinüberging, die gerade tapfer Beileidswünsche entgegennahm.

Die beiden älteren Frauen kannten sich seit mehr als dreißig Jahren. Sie waren sich an der örtlichen Schule begegnet, wo die Mutter Oberin seinerzeit unterrichtet hatte. Damals war sie eine junge Nonne gewesen und hatte sich ein wenig überfordert gefühlt, als sie Mary half, die düstersten Jahre ihres Lebens zu überstehen.

Innerhalb von nur achtzehn Monaten hatte Mary beide Eltern verloren. Danach war ihr drittes Kind gestorben, und daran zerbrach ihre Ehe. Die Tragödien in Marys Leben hatten der Mutter Oberin eine Lektion über die menschliche Seele erteilt, die sie nie wieder vergessen sollte, und sie hatten auch ihren Glauben stark auf die Probe gestellt. Doch aus dem Unglück war eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen entstanden. Als Mary Lizzy in St. Cecilia anmeldete, war die Mutter Oberin hocherfreut gewesen und hatte alles getan, um das Mädchen zu fördern.

Ihr Blick wanderte wieder zu Mary hinüber. Sie war eine tapfere Frau. Kein Mensch sollte das ertragen müssen, was sie bereits durchgemacht hatte – und nun war ihr ältester Sohn mit dreiundvierzig gestorben, obwohl er noch so viel vorgehabt hatte. Den Tränen gefährlich nah, schlang die Mutter Oberin die Finger um das große Zinnkreuz, das sie immer um den Hals trug, und suchte Trost bei dem festen, kühlen Metall. Sie wünschte, sie hätte etwas tun können, um das Leid der Freundin zu lindern. Gott in seiner Weisheit wird ihr den richtigen Weg zeigen, dachte sie, als sie das angebotene Gurkensandwich annahm.

Nach etwa einer Stunde verabschiedeten sich die Gäste allmählich. Als sich die Mutter Oberin, die wusste, dass sie hier nichts mehr ausrichten konnte, und die deshalb gern ins Kloster zurückkehren wollte, auf die Suche nach Schwester Angelica machte, geriet sie in der Küche mitten in einen Streit zwischen Lizzy und ihrer Großmutter.

»Mit Bob in Kinmalley wohnen? Aber das kommt überhaupt nicht infrage, Lizzy. Du bist vierzehn, und er ist ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren. Was bildest du dir eigentlich ein?«, sagte Mary mit Nachdruck.

»Na und? Er ist mein Cousin. Er ist uralt. Wir haben doch kein Verhältnis miteinander.«

Marcia plätscherte mit gesenktem Kopf im Spülbecken und war voll und ganz mit dem Geschirr beschäftigt.

»Lizzy, das reicht. Wir sprechen später darüber.« Mary nickte heftig mit dem Kopf und wandte sich der nächsten Sandwichplatte zu.

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre, Lizzy. Die Leute könnten falsche Schlüsse ziehen«, mischte sich Schwester Angelica, in dem Versuch, die Spannung zwischen dem Mädchen und seiner Großmutter aufzulockern, freundlich ein.

»Das ist doch albern. Was gäbe es denn da zu reden?«, entgegnete Lizzy laut und griff nach einem Geschirrtuch. Mit Schwester Angelica konnte man offen sprechen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Lizzy stellte eine abgetrocknete Tasse weg und lief feuerrot an, als sie die Mutter Oberin bemerkte.

»Ach, ehrwürdige Mutter, ich danke Ihnen sehr, dass Sie gekommen sind. Oma hat es auch sehr viel bedeutet«, fügte sie hinzu und wäre bei dem Gedanken, dass die Mutter Oberin alles mitgehört hatte, am liebsten im Erdboden versunken.

»Gott segne dich, mein liebes Kind«, antwortete die Mutter Oberin sanft und wandte sich dann Mary zu. »Mary, meine Liebe, ich wollte nicht gehen, ohne dir zu sagen, dass wir in St. Cecilia in unseren Gedanken und Gebeten bei dir und deiner Familie sind.«

»Ich danke dir, Mutter. Danke, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast. Es war mir wichtig, dich heute hier zu haben. Dan hätte sich sicher auch gefreut«, erwiderte Mary seltsam gestelzt. »Lizzy, begleite die Mutter Oberin und Schwester Angelica zum Auto.«

»Du könntest doch bei mir in Kinmalley wohnen, Oma«, schlug Lizzy bemüht fröhlich vor, als sie zurückkam. Doch beim Anblick der Miene ihrer Großmutter war ihre vorübergehende gute Laune sofort wieder verflogen. Mary wienerte übertrieben lange an einem Teller herum und stellte ihn dann sorgfältig weg. Ärgerlich griff Lizzy nach einer Hand voll Teelöffel.

Genau das war das Problem mit Großmutter. Wenn man etwas sagte, das ihr nicht gefiel, trug sie es einem ewig nach. Sosehr Lizzy ihre Großmutter auch liebte, hatte sie schon als kleines Kind zwei wichtige Dinge gelernt. Erstens durfte man in ihrer Gegenwart nie unangemessene Gefühle zeigen, und zweitens gab es da eine Grenze, die man nicht überschreiten durfte. Und das genau hatte Lizzy soeben getan.

All die unausgesprochenen Dinge machten ihr zu schaffen. Wen interessiere es schon, wenn der ganze Bezirk über sie tratschte? Ihr war das gleichgültig. Und wenn es so unannehmbar war, mit Bob in einem Haus zu wohnen, warum zog Oma dann nicht einfach bei ihnen ein und kümmerte sich um Kinmalley? Weshalb musste sie nur so stur sein? Aus welchem Grund konnte sie nicht einmal im Leben Gefühle zeigen? Lizzys Hand blieb auf der Tasse liegen, die sie gerade abtrocknete, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Eigentlich war es ihr gar nicht wichtig, ob sie mit Bob zusammenwohnte. Im Grunde war ihr alles egal. Sie wollte nur, dass ihr Dad lebte und sie fest umarmte. Plötzlich fühlte sie sich erschöpft und leer.

»Warum lasst ihr beiden die Arbeit nicht stehen und geht frische Luft schnappen?«, meinte Mary, die Lizzys hängende Schultern bemerkt hatte, müde. Es war für sie alle ein langer und emotional aufwühlender Tag gewesen, und sie sehnte sich nach einer Pause.

Nancy Pearce kam in die Küche geeilt.

»Eine wunderbare Idee. Ich koche deiner Oma einen Tee«, stimmte sie zu und legte ein Tischtuch in eine Schublade, die sich hinter Lizzy befand. »Wenn ihr zurückkommt, könnt ihr ein schönes heißes Bad nehmen. Und dann gehen wir am besten früh zu Bett. Marcia, leg bitte ein sauberes Handtuch in Lizzys Zimmer, bevor ihr rausgeht.«

Sie umarmte Lizzy rasch und begann dann, die Anrichte abzuwischen und mit Mary zu plaudern. Erleichtert ergriffen Lizzy und Marcia die Flucht.

Am folgenden Morgen fuhr Lizzys Onkel Brent sie und ihre Großmutter nach Kinmalley. Die Sonne schien von einem leuchtend blauen Himmel, und eine sanfte Brise zauste das Gras. Das Land wirkte beinahe so trocken wie vor dem Regen. Im Auto wurde kein Wort gesprochen. Lizzys Herz schmerzte vor Einsamkeit, als sie die beiden schweigenden Menschen auf dem Vordersitz betrachtete. Großmutter hatte die Lippen finster zusammengepresst. Onkel Brent wirkte abweisend wie immer und konzentrierte sich aufs Fahren.

Schließlich ergriff Brent das Wort.

»Ich würde Lizzy ja gern bei uns aufnehmen, Mum. Aber Shane geht bald aufs College, die Zwillinge fangen mit der Vorschule an, und Janine erwartet wieder ein Baby. Wir kommen gerade so über die Runden ...«

Seine Mutter tat seine Ausflüchte mit einer unwirschen Handbewegung ab.

»Das würde ich ohnehin nicht zulassen, selbst wenn du es wolltest. Lizzy wird bei mir wohnen«, verkündete sie. »Ich werde nicht erlauben, dass sich weitere Mitglieder meiner Familie nach Übersee davonmachen.«

»Meinst du das ernst? In deiner Wohnung? Da ist doch gar kein Platz«, rief Brent aus.

»Das geht schon.« Mary presste die Lippen zusammen und starrte gleichmütig auf die Straße.

Bevor das Gespräch Gelegenheit hatte, in einen handfesten Streit auszuarten, bog Brent in die Einfahrt von Kinmalley ein. Lizzy schnappte unwillkürlich nach Luft. Zum ersten Mal seit dem Unwetter kehrte sie nach Hause zurück, und der Anblick ließ ihr einen Schauder den Rücken hinunterlaufen. Die Wipfel der Bäume an der zwei Kilometer langen Auffahrt zum Haus sahen aus, als ob sie mit einem Rasiermesser abgeschnitten worden wären. Einige lagen entwurzelt am Boden, während sich andere noch an ihre Artgenossen lehnten, bis der nächste starke Wind sie endgültig umwerfen würde. Überall lagen Äste und Laub herum.

Lizzy stieg aus dem Wagen und betrachtete entsetzt das zerstörte Haus. Sie musste die Tränen zurückdrängen, als sich die Erinnerungen an den schrecklichen Tag wieder meldeten. Lautes Hämmern, gefolgt von Rufen holte sie wieder in die Gegenwart zurück. Als sie aufblickte, sah sie Bob mit einem der Aborigine-Hilfskräfte ihnen vom Dach aus zuwinken. Dieses war frisch gedeckt, das Wellblech funkelte in der Sonne. Eine blaue Plane, die den Rest des Hauses schützte, flatterte im Wind.

»Ich kann mir nicht leisten, ihn zu bezahlen«, sagte Mary. Als sie zu Brent hinaufspähte, hob das grelle Sonnenlicht die Falten in ihrem Gesicht hervor. Lizzy stellte fest, dass sich der rote Ausschlag an ihrem Hals wieder zeigte und dass ihr Kopfnicken heftiger war als sonst.

»Das brauchst du nicht eigens zu betonen, Mum«, seufzte Brent entnervt.

»Ich schaue nach, was sie drinnen schon geschafft haben«, meinte Lizzy, wobei sie sich fragte, worüber ihre Großmutter sich Sorgen machte.

»Das wirst du schön bleiben lassen. Oder willst du dich umbringen?«, protestierte Mary.

Lizzy erspähte Ken, der – gefolgt von Ned und Gyp – die Hausecke umrundete und auf sie zukam. Erleichtert beim Anblick seines faltigen Gesichts, eilte sie ihm entgegen. Als die Hunde Lizzy erkannten, fingen sie an zu bellen, sprangen an ihr hoch und tänzelten im Kreis um sie herum.

»Ist es gefährlich hineinzugehen, Ken?«, rief Lizzy, während sie die Hunde streichelte.

»Aber nein. Solange du vorne bleibst und dich von der Küche fernhältst«, antwortete er und zauste ihr das Haar. Mit einem trotzigen Blick über die Schulter stieg Lizzy die Treppe zur Veranda hinauf. »Guten Morgen, Ma'am«, grüßte Ken und zog vor Mrs. Foster seinen verbeulten Hut. »Ihr passiert nichts. Dieser verdammte Baum hat einen ziemlichen Schaden angerichtet, doch das Gebäude an sich ist noch stabil.«

»Sie ist vernünftig genug, nicht in die Küche zu gehen«, räumte Mary widerstrebend ein. Sie erkannte an Lizzy viele von Dans Eigenschaften wieder.

Vorsichtig öffnete Lizzy die Eingangstür und trat ein. Trotz der muffigen Feuchte – das Haus war Wind und Wetter ausgesetzt gewesen – schlugen ihr vertraute Gerüche entgegen. Als sie durch die beschädigte Wand einen Blick in die Küche warf, wurde ihr flau im Magen. Obwohl der Großteil des Baums inzwischen entfernt war, waren die von ihm verursachten Schäden unübersehbar. Jemand hatte die Mahlzeit weggeräumt und zerbrochenes Porzellan und Glas nachlässig in eine Ecke gefegt. Die Überbleibsel von Tisch und Stühlen waren, die Metallrahmen irreparabel verbogen, wie Brennholz an einer Wand aufgestapelt. Das Spülbecken, das durch die Wucht des stürzenden Baums von der Wand weggedrückt worden war, hing schief. Zwischen Essensresten und durchweichtem Papier summten Fliegen.

Bedrückt drehte Lizzy sich um und ging in ihr Zimmer. Obwohl hier fast nichts beschädigt war, sah sie sich um, als wäre sie noch nie hier gewesen. Dann ließ sie sich auf das Bett fallen und starrte mit leerem Blick an die Decke. Als sie die Schritte eines Mannes hörte, schlug ihr Herz schneller. Dad! Sie sprang auf, doch im nächsten Moment dämmerte ihr die Wahrheit: Dad war tot. Nie wieder würde sie seine Stiefel auf der Veranda hören, seine Arme um sich spüren oder ihm lauschen, wenn er erklärte, wie man einen Traktor reparierte. Dad war fort – für immer.

Lizzy fühlte sich wie ein Eindringling, als sie sich in das Zimmer ihres Vaters vorwagte. Die meisten Möbel standen noch an ihrem Platz. Allerdings war wegen der Erschütterung durch den fallenden Baum ein Hängeschrank über der Kommode aufgesprungen. Ein alter, brauner Koffer war herausgefallen, und sein Inhalt hatte sich auf den Boden neben dem Bett ergossen. Lizzy ging in die Knie und begann mit dem Aufräumen. Es waren alte Karten und Rechnungen, Briefe und Päckchen mit Fotos. Sie öffnete einen Umschlag und holte die Fotos heraus. Sie waren während eines Familienurlaubs an der Südküste aufgenommen worden. Ein Bild zeigte Lizzy im Alter von fünf Jahren. Sie saß fröhlich auf dem Knie ihrer Mutter; beide hatten sie Karnevalshüte auf dem Kopf.

Als Lizzy das Foto anstarrte, verschwamm es ihr vor den Augen. Tränen flossen und liefen ihr die Wangen hinab. Zornig wischte sie sie weg und steckte die Fotos zurück in den Umschlag. Doch die Tränen wollten nicht versiegen. Was war von diesem Glück geblieben? Mum war fort. Und nun hatte sie auch Dad verloren. Alles, was sie jetzt noch erwarten konnte, war ein Leben in Toowoomba in einer winzigen Wohnung. Mit einer Großmutter, die ihr alles verbieten und jegliches Gespräch verweigern würde, und die so penibel und ordentlich war, dass man ihr nichts recht machen konnte. Mit einem erstickten Schluchzer holte sie das Foto von sich selbst und ihrer Mutter hervor und steckte es ein. Dann stopfte sie die übrigen Aufnahmen mit den restlichen Papieren zurück in den Koffer und klappte ihn zu. Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Schuldbewusst wirbelte sie herum. Es war Ken.

»Alles in Ordnung?«, fragte er sanft.

Lizzy nickte, wandte sich ab und wischte rasch ihre Tränen weg. Dann stand sie auf. »Ich habe nur ein bisschen aufgeräumt ...« Sie wies auf das Bett.

»Schon gut, Lizzy ...« Er hielt inne und schluckte. »Ich glaube, deine Großmutter braucht dich.«

Lizzys dunkle Augen weiteten sich vor Schreck, und die Angst versetzte ihr einen Stich in den Magen.

»Was meinst du mit ›sie braucht mich‹? Oma braucht nie jemanden!«

»Ich denke, diesmal schon.«

»Wo ist sie?«, fragte Lizzy, erschrocken über seinen eindringlichen Tonfall.

»Drüben bei den Ställen.«

Mit klopfendem Herzen hastete Lizzy hinaus und überlegte, was um alles in der Welt nur so dringend sein mochte. Sie fand ihre Großmutter auf einer Bank sitzend vor. Sie hatte Lizzy den Rücken zugekehrt und sonnte sich.

»Oma, ist alles in Ordnung?«, rief Lizzy bemüht vergnügt. Ihre Großmutter rührte sich nicht. Nur ihr Kopf nickte.