Jenseits der roten Sonne - Anne McCullagh Rennie - E-Book

Jenseits der roten Sonne E-Book

Anne McCullagh Rennie

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Beschreibung

Für Hoffnung ist es nie zu spät Nach außen hin scheint Lisa das perfekte Leben zu führen: Sie führt das Hotel ihrer Eltern in den australischen Blue Mountains, schmiedet Zukunftspläne mit ihrem Verlobten Ben und bekämpft als Mitglied der örtlichen Feuerwehrbrigade die verheerenden Buschfeuer des Landes. Als jedoch eines Tages ihr Feuerwehr-Captain Scott bei einem Einsatz in ihren Armen stirbt, gerät Lisas Leben vollkommen aus der Bahn: Sie leidet an Panikattacken, zieht sich vollkommen zurück von ihrer Umwelt, bis nicht einmal an ihrer Seite bleibt. Lisas einsame Leere wird erst durchbrochen, als sie den Künstler Jeremy kennenlernt, der seine eigene schmerzvolle Vergangenheit mit sich trägt und dem sie sich auf rätselhafte Weise verbunden fühlt. Können sie gemeinsam die Kraft finden, den Neuanfang zu wagen, den sie beide so sehr brauchen? Große Gefühle in AUSTRALIEN: Ein bewegender Roman für alle Fans von Anna Jacobs und Di Morrissey.

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Seitenzahl: 519

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Nach außen hin scheint Lisa das perfekte Leben zu führen: Sie managt das Hotel ihrer Eltern in den australischen Blue Mountains, schmiedet Zukunftspläne mit ihrem Verlobten Ben und bekämpft als Mitglied der örtlichen Feuerwehrbrigade die verheerenden Buschfeuer des Landes. Als jedoch eines Tages ihr Feuerwehr-Captain Scott bei einem Einsatz in ihren Armen stirbt, gerät Lisas Leben vollkommen aus der Bahn: Sie leidet an Panikattacken, zieht sich vollkommen zurück von ihrer Umwelt, bis nicht einmal an ihrer Seite bleibt. Lisas einsame Leere wird erst durchbrochen, als sie den Künstler Jeremy kennenlernt, der seine eigene schmerzvolle Vergangenheit mit sich trägt und dem sie sich auf rätselhafte Weise verbunden fühlt. Können sie gemeinsam die Kraft finden, den Neuanfang zu wagen, den sie beide so sehr brauchen?

Über die Autorin:

Anne McCullagh Rennie wurde in Cambridge, England geboren und studierte in London und Wien Musik. In Österreich lernte sie ihren Ehemann Jim kennen und zog mit ihm nach Australien, wo sie zusammen eine Familie gründeten. Die Liebe zu ihrer Wahlheimat und zur Musik bringt sie in ihren Romanen zum Ausdruck.

Von Anne McCullagh Rennie erscheinen bei dotbooks die Australienromane:

»Der Himmel über Australien«

»Das Lied der Honigvögel«

»Die Sterne über Australien«

»Wohin der Wind uns trägt«

»Weites Land der Träume«

»Im Land des Schneeeukalyptus«

»Jenseits der roten Sonne«

***

eBook-Neuausgabe Juli 2025

Die australische Originalausgabe erschien erstmals 2014 unter dem Originaltitel »Beyond the Setting Sun«.

Copyright © der australischen Originalausgabe 2014 by Anne McCullagh Rennie

Published by Arrangement with Anne McCullagh Rennie

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2018 by Weltbild GmbH & Co. KG, Werner-von-Siemens-Straße 1, 86159 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Paul Raven, Megan Betteridge, kwest, Karen HBlack, Jr images, Paul shuang

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-968-7

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Anne McCullagh Rennie

Jenseits der roten Sonne

Australienroman

Aus dem Australischen von Dirk Risch

dotbooks.

Motto

Widmung

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil 2

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Teil 3

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Danksagung

Lesetipps

Motto

primum non nocere – Zuerst einmal nicht schaden.

Corpus Hippocraticum

Widmung

Für meine Familie

Teil 1

Kapitel 1

Werrinda Vale, Blue Mountains, New South Wales, Australien, 2003

Der Pager plärrte beharrlich durch das luftige Schlafzimmer und drang bis in Lisa O’Malley’s Traum vor. Die Siebzehnjährige schoss aus dem Bett hoch. Ihr Wecker zeigte 1 Uhr nachts. Sie schaute benommen um sich. Ihr Pager piepte wütend vom Oberteil der Eichenkommode. Lisa brauchte ein paar Sekunden, ehe ihr klar wurde, was los war, dann schlug sie das Federbett zurück, wankte durch den Raum und griff sich den Pager. Die Worte BRANDMELDUNG Werrinda Vale leuchteten auf der Anzeige.

Ihr erster Buschfeuer-Alarm! Augenblicklich war sie hellwach. Ihre Beine zitterten, während sie sich aus dem Pyjamaoberteil schälte. Sie zögerte einen Moment, dann griff sie nach dem zerknüllten T-Shirt auf dem Boden und zog es an. Über ihre Shorts zog sie ihren gelben Feuerwehr-Overall, verwandelte ihre haselnussbraune Mähne in einen Pferdeschwanz, zog ihre dicksten Socken an, schlüpfte in ihre Stiefel und eilte hinaus in die warme Novembernacht. Gott sei Dank liegt die Feuerwache nicht weit entfernt, dachte sie, als sie die Straße entlangstapfte.

Scott Hughes, der einundfünfzigjährige Captain der Brigade Werrinda Vale hatte sie geschlagen. Er stand schon vor der Feuerwache und redete über Sprechfunk mit dem wachhabenden Fernmeldeoffizier. Jack Cobham, der Fahrer des Feuerlöschfahrzeugs, manövrierte das glänzende rote Fahrzeug auf die Abstellfläche in der Auffahrt. Drei andere Mitglieder der Brigade eilten mit ihren Uniformen unter dem Arm herbei. Sie verschwanden in der Feuerwache, nur um ein paar Augenblicke später in ihren markanten gelben Overalls und blauen, schweren Baumwollhemden wieder aufzutauchen.

»Was ist los, Scottie?«, fragte Lisa mit Schmetterlingen im Bauch.

»Wir haben einen SVU auf dem Great Western Highway, westlich von Hartley in Richtung Lithgow, möglicherweise sind Personen eingeschlossen. Der Notarzt ist unterwegs. Ich gebe euch die Details, sobald sie reinkommen«, erwiderte Scott an die gesamte Crew gewandt. Er rutschte auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Lisa konnte ihre Aufregung nicht verbergen, als sie mit den anderen hinten in den Feuerlöschzug einstieg. Ihre Haare aus dem Gesicht gestrichen, was ihre dunklen Augen betonte, die kräftigen Schultern auf dem schlanken Körper – sie sah trotz ihrer Jugend in der Uniform des Rural Fire Service durchaus beeindruckend aus.

»Was ist ein SVU?«, flüsterte sie Dave zu, als sie sich neben den großen, stämmigen Mann in den frühen Dreißigern zwängte.

»Straßenverkehrsunfall«, flüsterte Dave zurück.

»Natürlich«, murmelte Lisa dankbar und errötete im Dunkeln, weil sie etwas vergessen hatte, was sie schon oft während des Trainings gehört hatte. Sie warf einen Blick auf ihre Mannschaftskameraden. Alte Hasen – Dave Young und der Fahrer Jack Cobham brachten es zusammen auf siebenunddreißig Jahre beim Rural Fire Service. Liam Farley studierte Naturwissenschaften an der Universität von Sydney und war seit drei Jahren dabei, und Sally Smith, die zweiundzwanzig war, hatte wie Lisa angefangen, sobald sie sechzehn geworden war. Lisa hatte sie alle kennengelernt, bevor sie offiziell in den Rural Fire Service eingetreten war, und hatte mit ihnen bei den Feuerübungen während der vergangenen aufregenden Monate zusammengearbeitet, in denen sie ihre Grundausbildung absolviert hatte. Das war eine Mischung aus Theorie (wo sie das erste Mal hörte, dass Autounfälle als SVUs bezeichnet wurden) – zurück auf die Schulbank, wie Jack es nannte – und Praxiswochenenden mit der örtlichen Einheit. Als jüngstes Mitglied des heutigen Teams und in ihrem ersten Einsatz war ihr mehr als klar, wie unerfahren sie war.

»Jungs, seid ihr bereit?«, fragte Scott.

»Alle anwesend und einsatzbereit«, antwortete David für das Team.

»Righty-o«, sagte Jack und legte den Gang ein.

Als der Löschzug die Straße hinunterpreschte, griff Scott zum Mikro und funkte wieder den Wachhabenden in der Feuerleitstelle an.

»Feuerleitstelle, hier Werrinda Vale. Fünfer-Mannschaft. Befehlshabender Captain Scott Hughes.«

»Danke, Werrinda Vale. Feuerleitstelle verstanden.«

»Dein erster Einsatz?«, fragte David und grinste zu ihr hinüber, während sie durch die Nacht düsten. Lisa nickte und grinste ungeniert zurück. Sie drückte sich zurück in den Sitz und fand den beengten Innenraum und die Nähe zu den anderen Crewmitgliedern überraschend beruhigend. Ihr Interesse am Rural Fire Service war rein zufällig erwacht, als sie und ihr Kindermädchen aus Fidschi, Nanny Josivini, mit Lisas lebhaftem weiß-braunen Cockerspaniel Milly nach der Schule ihren täglichen Rundgang durch die Umgebung machten. Die Feuerwache Werrinda Vale lag auf ihrem Weg. Oft arbeitete jemand bei der Wache, also hielten sie an, um ein bisschen zu reden. Am Wochenende war hier immer etwas los. Da Lisas Eltern so oft unterwegs waren, vor allem ihr Vater John O’Malley, sah ihre Nanny die Spaziergänge als gesunde Möglichkeit an, etwas Struktur ins Leben ihres Schützlings zu bringen, und die Mitglieder der Truppe gewöhnten sich an den Anblick des kleinen Mädchens bei der Wache.

Zu Scott hatte Lisa ein besonderes Verhältnis entwickelt, schon bevor er Captain der Truppe wurde. Er hörte ihr zu und gab ihr das Gefühl, etwas beizutragen, und er füllte die Lücke, die die häufige Abwesenheit ihres Vaters riss. Einmal hatte er Lisa zu Weihnachten einen Teddybären geschenkt, der wie ein Mitglied des New South Wales Volunteer Bushfire Service angezogen war – mit der markanten gelben Uniform komplett mit Hut und Schutzbrille. Lisa betete den Teddy an und taufte ihn Happy Bär. Happy Bär musste sie überallhin begleiten. Die Farbe seiner Uniform war verblichen, seine Nase hatte mehrmals geflickt werden müssen, und sein Pelz und seine verknitterte Jacke waren fleckig von Tränen und Himbeersaft.

Zehn Jahre alt war sie gewesen, als der NSW Bushfire Service offiziell in NSW Rural Fire Sevice umbenannt worden war. Lisa erinnerte sich gut daran, weil kurz nach der Bekanntgabe ihre Nanny während eines Heimaturlaubs unerwartet gestorben war. Sie erinnerte sich auch noch, wie verzweifelt sie gewesen war. Der Mensch, der ihr am Nächsten stand, war auf einmal verschwunden. Von dem Moment an, als Nanny in ihr Leben trat, hatte sich Lisa auf eine Weise verstanden gefühlt, wie sie es nicht einmal bei ihrer Mutter erlebt hatte. Aufgeweckt und sensibel wie sie war, wurde Lisa regelmäßig durch Menschen oder Ereignisse oder sogar ihre eigene Einbildungskraft verschreckt oder aufgeregt, aber Nanny musste sie nie erklären, was los war. Nanny wusste einfach Bescheid. Nun, da Nanny nicht mehr da war, wurden die Besuche in der Feuerwache umso wichtiger. Sie fing an Fragen zu stellen, und allmählich schlüpfte Scott in die Rolle ihres Mentors. Die Brigade Werrinda Vale wurde zu ihrer zweiten Familie. Mit vierzehn hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie würde der Werrinda-Brigade als Freiwillige des Rural Fire Service beitreten. Ihre Mutter war von dieser Entscheidung alles andere als begeistert.

Wie so viele andere junge australische Paare hatten John und Olivia O’Malley mit praktisch nichts angefangen. Sie waren sich in Griechenland begegnet, wo John als Reiseführer für ein Billig-Reiseunternehmen arbeitete. Olivia arbeitete in dem Hotel, vor dem sein Reisebus hielt und eine Gruppe von jungen Urlaubern ablud. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, und während Olivia ursprünglich nicht an Heirat dachte, verliebte sich John auf den ersten Blick und lief ihr nach, bis sie schließlich lachend nachgab und einwilligte, ihn zu heiraten. Nach ihrer Hochzeit in Sydney nahmen sie beide Jobs im Gastgewerbe an und beschlossen dann, ein eigenes Hotel zu eröffnen. Sie fanden ein heruntergekommenes Hotel in Katoomba, dass zum Kaufen immer noch zu teuer war, also mieteten sie es, richteten es wieder her und verwandelten das Gebäude in ein elegantes kleines Luxushotel. Am Ende kauften sie das Hotel dann doch und benannten es in »O’Malley’s« um. Es war das erste und erfolgreichste einer Kette kleiner Luxushotels, die sie jetzt über Australien verteilt besaßen.

Die O’Malleys schrieben ihren Erfolg, sowohl geschäftlich als auch in ihrer Ehe, einem klaren Blick für ihre jeweiligen Fähigkeiten zu. Sie kannten ihre Stärken und mischten sich nicht in das Fachgebiet des anderen ein. John kümmerte sich um die Renovierung und Instandhaltung der Immobilien und suchte auch potenzielle neue Objekte zum Kauf aus, was bedeutete, dass er viel Zeit weg von zu Hause verbrachte. Olivia überwachte den Betrieb der Hotels, Reservierungen, Finanzen, die unvermeidbare Fluktuation der Angestellten, Essen, Wäsche, Ausstattung – und kümmerte sich darum, dass der Service dem Standard entsprach, den man von einem Luxushotel erwarten durfte, ohne dabei das Gefühl von Intimität und Verbindlichkeit zu beeinträchtigen. Die Erfordernisse ihres Jobs brachten es mit sich, dass Olivia sehr beschäftigt, regelmäßig außer Haus und ausgesprochen kontrollversessen war.

Lisa war angenehm davon überrascht gewesen, dass ihre Mutter ihr entgegen der früheren Bedenken erlaubt hatte, der Brigade beizutreten, sobald sie sechzehn wurde. »Solange es sich nicht auf deine schulischen Leistungen oder deine Pflichten im Hotel auswirkt«, hatte sie gesagt. Und Lisa sorgte dafür, dass es das nicht tat. Sie war damit aufgewachsen, im Hotel mitzuhelfen, in der Küche oder im Speisesaal oder bei anderen einfachen täglichen Aufgaben, und je älter sie wurde, desto mehr Verantwortung wurde ihr übertragen – und ihre Eltern erwarteten von ihr, sie sehr ernst zu nehmen. Sie würde alles tun, was sie wollten, wenn das bedeutete, dass sie in ihrer Freizeit Feuerwehrfrau sein konnte.

Und jetzt war sie bei ihrem ersten richtigen Einsatz. Dafür musste sie sich bei Jacks Tochter Amy bedanken, die mit ihr in eine Klasse ging. Amy war ihrem Vater sehr ähnlich – laut und begeisterungsfähig, dabei jedoch praktisch und besonnen. An manchen Tagen, wenn das Jonglieren mit Schulaufgaben, der Arbeit im Hotel und dem RFS zu schwierig wurde, wenn Lisas extremer Sensibilität dafür sorgte, dass die Welt zu hell und die Geräusche und Gerüche alarmierend stark erschienen, war sie versucht gewesen, ihren Traum sausen zu lassen. Doch der lautstarke Pragmatismus ihrer Freundin hatte ihr schnell wieder den Kopf zurechtgerückt. Wirklich schade, dass Amy heute Nacht nicht auch gerufen worden war, dachte Lisa kurz; aber sie war viel zu aufgedreht, um richtige Enttäuschung zu empfinden, und ungemein stolz darauf, die gelbe und blaue Uniform zu tragen.

Der Autounfall hatte in westlicher Richtung stattgefunden, zehn Kilometer vor Lithgow. Lisas Herz fing an zu pochen, als sie sich dem Unfallort näherten. Jedoch waren statt der gemeldeten vier aufeinander gefahrenen Wagen offenbar nur zwei beteiligt. Eine nagelneue Limousine steckte mit der Schnauze nach unten im Graben, das andere Auto, ein kleiner Familienwagen, Motorhaube und Fahrerseite arg verbeult, war geschleudert und stand mitten auf der Straße entgegen der Fahrtrichtung. Ein Abschleppwagen der Volunteer Rescue Association (VRA) und ein Streifenwagen der Highway Patrol waren am Straßenrand geparkt. Zwei Männer in Uniform sprachen neben dem Familienwagen mit einem Polizeibeamten. Lisa konnte eine Person erkennen, die im Auto eingeklemmt war. Jack hielt hinter dem VRA-Abschleppwagen an, und Scott stieg aus.

»Was haben wir hier, mein Freund?«, fragte er, während er sich dem VRA-Verantwortlichen näherte, der offenbar das Kommando hatte.

Ein paar Momente später stiefelte er zurück zu Lisa, die mit den anderen beim RFS-Wagen wartete. »Wir haben eine Frau und einen jungen Mann, beide im Fahrersitz eingeklemmt. Der Fahrer der Limousine braucht anscheinend zuerst Hilfe, aber die Frau hat ein Kleinkind dabei und ist im sechsten Monat schwanger. Der Rettungswagen kommt in etwa zehn Minuten «, erklärte er und begann, Befehle auszugeben. »Sally, ich brauche dich für die erste Hilfe. Lisa, ich möchte, dass du dich um die Frau mit dem Kleinkind kümmerst. Der Name der Mutter ist Beryl. Sie hat einen Schock, scheint aber nicht ernsthaft verletzt zu sein. Beruhige sie, rede mit dem Kind. Versuch sie abzulenken, bis der Rettungswagen eintrifft. Wir wollen nicht, dass die Wehen vorzeitig einsetzen.« Lisa nickte. Sie eilte weg vom Löschzug und verließ Jack und Dave, die einen der Schläuche ausrollten und die Wasserpumpe fertigmachten, um für eventuelle Feuer gerüstet zu sein. Vollgepumpt mit Adrenalin ging sie hinüber zu dem kleinen Auto.

»Hallo, mein Name ist Lisa. Sie müssen Beryl sein«, sagte sie, und ihr Mund war plötzlich ausgetrocknet vor Nervosität, als sie die dunkelhaarige Zweieinhalbjährige wahrnahm, die immer noch in ihrem Kindersitz festgeschnallt war.

Beryl nickte. »Ist meine Tochter Sophie in Ordnung?«, fragte sie verängstigt. Sie war leichenblass – erst das haarscharfe Entkommen, dann die Aufregung über die verkeilte Tür, die vergeblichen Bemühungen, den Gurt zu öffnen und ihre Tochter zu erreichen. »Es ist in Ordnung, Sophie, mein Schätzchen, es wird alles wieder gut. Mami geht es auch gut. Ich kann mich bloß gerade nicht zu dir umdrehen. Also wird diese nette Frau Lisa dir jetzt helfen«, erklärte sie. »Ihre Wasserflasche steht neben ihr in der blauen Lunchbox, und da ist auch ein Sandwich drin und ein paar Gummibärchen.«

»Es wird am besten sein, ihr erst mal nichts zu geben, bis die Sanitäter eintreffen«, sagte Lisa behutsam.

»Ich will ein Bärchen«, jammerte Sophie. Beryl fing an, schnell auf sie einzureden, um das kleine Mädchen zu beruhigen. Rasch öffnete Lisa die hintere Tür auf der Beifahrerseite neben der Kleinen.

»Hallo, Sophie. Was für ein schöner Schmetterling! Wie hübsch du aussiehst. Ist das ein kleines Herz da auf deinem Kleidchen? Oh, schau, da ist noch eins!« Sophie starrte einen Moment Lisa an und fing an zu schreien. Lisa dachte daran zurück, wie ihre Mutter sie als Kleinkind getröstet hatte, und begann sofort, die Herzen mit einem Finger abzuzählen. »Nein, schau Sophie, Schmetterlinge und Herzen eins, zwei, drei ... sieben, acht und hier ... und hier ...« Sophie brach mitten im Schrei ab und fing an, mit ihr mitzuzählen.

»Braves Mädchen. Du bist ein ganz tapferes Mädchen«, rief Beryl aufmunternd vom Vordersitz aus. Dave versuchte, die Autotür abzumontieren.

Scott kam zu ihnen herüber. »Ist hier alles in Ordnung?«, fragte er. »Alles okay, Lisa?«

»Ups! Hab ich ja ganz vergessen! Wart mal, Sophie. Ich hab einen ganz speziellen Freund, den ich dir vorstellen möchte. Zwei Sekunden«, platzte es aus Lisa heraus, weil Scotts Anwesenheit sie an etwas erinnert hatte. Während er wieder ging, raste Lisa zum Löschzug und kam mit einem Trauma-Teddy in den Händen zurück, der eine weiße Krankenschwesteruniform und ein leuchtendrotes Cape um die Schultern trug. »Der ist für dich. Hier ist dein besonderer Freund, der wirklich gern mit dir reden würde.« Sie überreichte Sophie den Bären, während plötzlich Tränen aus ihren Augen quollen, als sie an den Tod ihrer Nanny dachte. »Ich hab auch so einen speziellen Freund. Sein Name ist Happy Bär«, sagte sie und kämpfte darum, ihre bebende Stimme wieder unter Kontrolle zu kriegen.

»Was für ein schöner Bär, Sophie«, stellte Beryl nach einem Blick in den Rückspiegel fest. »Du gibst ihm am besten gleich einen Namen.«

»Hm, sie heißt Autobär, glaube ich«, antwortete Sophie feierlich.

»Ich fahre normalerweise nicht mit meinem Kind mitten in der Nacht herum«, sagte Beryl von sich aus. »Sophie und ich waren schon startklar, um pünktlich zur Essenszeit bei ihrer Tante in Lithgow zu sein, aber dann fiel mein Dad von der Leiter und musste ins Krankenhaus gebracht werden, und wir mussten warten, bis klar war, dass es ihm gut ging und meine Mutter mit allem zurechtkam. Schlussendlich kamen wir erst nach eins weg. Sophie ist so ein braves Mädchen. Sie hätte den ganzen Weg über geschlafen, wenn dieser Idiot nicht gewesen wäre ...«

»Sie hält sich großartig. Und Sie auch«, erwiderte Lisa beruhigend. Beryl sollte sich auf keinen Fall wieder aufregen. »Wann soll Ihr Baby kommen?«

Dave und der VRA hatten es endlich geschafft, die Fahrertür zu entfernen, und er kappte den Sicherheitsgurt. »Es ist am besten, erst einmal abzuwarten und Sie von den Sanis durchchecken zu lassen, bevor Sie versuchen, sich zu bewegen – sicher ist sicher«, beschwichtigte er. Beryl seufzte und ließ sich in den Sitz zurücksinken, die Arme um ihren dicken Bauch.

Zwanzig Minuten später wurden Mutter und Tochter in den Notarztwagen geladen und Lisas Job war beendet. Sie beobachtete, wie sie wegfuhren, und schaute dann, was sie als Nächstes tun könnte. Sie war so konzentriert darauf gewesen, ihre Sache gut zu machen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, was die anderen taten. Liam und Dave kehrten die Überreste des Spaghsorb zusammen, ein natürliches Bindemittel aus Torf, dass sie vorher verteilt hatten, um das Öl der beiden zertrümmerten Wagen auf der Straße aufzunehmen, und Sally leitete den Verkehr um die Unfallstelle herum. Schließlich fuhr der Abschleppwagen mit seiner verbeulten Ladung ab, und Jack rollte den Feuerwehrschlauch wieder auf, den man gefüllt bis zur Abfahrt liegengelassen hatte, um eventuell aufflammende Brände durch ausgelaufenes Benzin oder die Motoren sofort unterdrücken zu können. Das war die übliche Vorgehensweise.

Während Scott noch einen letzten Check der Umgebung machte, sammelte Lisa den Erste-Hilfe-Koffer und einen Besen ein, der vergessen worden war, und stieg dann hinter Liam in den Feuerwehrwagen. »Alle hier? Das war’s dann«, rief Jack und fuhr sie zur Feuerwache zurück. Der ganze Einsatz hatte etwas über zwei Stunden gedauert. Es war 3.08 Uhr.

»Hat jemand Lust auf Kaffee?«, fragte Sally, als sie zurück im Feuerwehrschuppen waren – unterwegs zu dem kleinen Küchenbereich, um ein paar Cokes aus dem Kühlschrank zu holen und zu verteilen. Dave holte eine Packung Kekse aus dem Küchenschrank. Lisa folgte Sally aus der Küche und ließ sich dankbar auf einen daneben herumstehenden Stuhl fallen, einen Becher heißen Kakao in beiden Händen. Der Lärm im Raum erstarb, während das Team sich dankbar den Erfrischungen widmete. Als die Pause vorbei war, begann die Mannschaft, den Löschzug für den nächsten Einsatz vorzubereiten.

»Die Sanis waren schneller da als erwartet«, bemerkte Liam gähnend, als er und Lisa die Schläuche im Löschzug austauschten.

»War das schnell? Ich hätte Angst gehabt wegen der langen Warterei, wenn ich es gewesen wäre«, platzte Lisa raus, immer noch voll auf Adrenalin und im Rückblick auf ihre Sorge, bei Beryl könnten vorzeitig die Wehen einsetzen.

»Und wenn es passiert wäre, was hättest du getan?«, fragte Dave, der gerade mit einem frischen Sack Spaghsorb vorbeilief. Lisa begann, eine Erklärung zu brabbeln, und stoppte dann errötend. »Egal. Erwartet man von mir, das ich irgendwas von dem Zeug nachbestelle?«, fragte sie und meinte damit die Erste-Hilfe-Utensilien, die sie ersetzen sollte.

Es fiel ihr schwer, nach dem Einsatz wieder herunterzukommen, und sie merkte, wie sie innerlich dagegen rebellierte, dass alle anderen so ruhig und gefasst waren. Irgendwie hatte sie sich mehr erwartet. Mehr Lärm, mehr Gespräche, mehr – Drama, während das Team sich wieder seinen Aufgaben widmete, beiläufig über die Ereignisse der Nacht plauderte. Gleichzeitig mit der Enttäuschung empfand sie Erleichterung darüber, dass sie nicht mit wirklich grässlichen Verletzungen oder gar einem Sterbenden konfrontiert worden war. Es war schlimm genug gewesen, sich um die schwangere Mutter sorgen zu müssen, die in ihrem Sitz eingeklemmt war. Sie war nicht annähernd so souverän gewesen, wie sie getan hatte. Tatsächlich hatte sie sich ziemlich überfordert gefühlt. Aber als sie dann mit Sophie geplaudert hatte, war sie ruhiger geworden. Und das Helfen hatte sich gut angefühlt. Sie trank den Rest ihres jetzt kalten Kakaos aus und hoffte, ihre Mutter würde beim Frühstück nicht davon anfangen, dass diese langen Nächte mit dem RFS sie überanstrengen und ihre schulischen Leistungen beeinflussen würden.

Scott hörte seiner Crew zu, wie er das immer tat, stellte die eine oder andere Frage, schaute nach Anzeichen, ob einer von ihnen von den Ereignissen der Nacht negativ beeinflusst war. Sein Hauptaugenmerk galt Lisa. Er hatte sie den Abend über sorgfältig beobachtet. Jeder praktische Ersteinsatz bei einem Unfall hatte die eine oder andere Auswirkung, aber in seinen sachkundigen Augen hatte sie sich gut geschlagen. Glücklicherweise waren keine Todesopfer oder grausame Funde zu beklagen. Nicht dass er sie aus dem Löschzug hätte aussteigen lassen, wenn er gedacht hätte, sie würde nicht klarkommen. Im Gegenteil, sie hatte die Situation sehr gut gemeistert. Er war angenehm von dem Grad der Reife überrascht, den sie beim Umgang mit der Mutter und dem kleinen Mädchen gezeigt hatte. Sie hatte gute Chancen, zu einem starken Mitglied der Truppe heranzuwachsen. Gut, jemanden wie Lisa dabeizuhaben, der so begeistert und engagiert ist, dachte er, während er das Protokollbuch ausfüllte. Allmählich ebbten die Gespräche ab. Der Löschzug war wieder aufgefüllt, die Brandwache wurde abgeschlossen. Jack steckte die Schlüssel ein, und die erschöpfte Mannschaft machte sich zu ihren Autos auf, um nach Hause zu fahren und den Rest der Nacht zum Schlafen zu nutzen.

»Ich setz dich zu Hause ab. Liegt auf dem Weg«, bot Scott an.

»Es sind nur fünf Minuten zu Fuß«, erwiderte Lisa.

»Ach was, du hast es dir verdient«, beharrte Scott.

»Na gut, danke«, antwortete Lisa, die plötzlich merkte, wie erschöpft sie war. Scott öffnete die Wagentür für sie und setzte sich dann auf den Fahrersitz. Lisa sank in den Sitz zurück.

»Ich glaube, ich war noch nie so müde!«, rief sie mit einem ironischen Lacher aus.

»Da könntest du recht haben. Der erste Einsatz ist immer etwas nervenaufreibend. Aber du hast das gut gemacht. Du hast die Mutter-Tochter-Lage sehr ruhig gehandhabt. Richtig gut. Schön, dich im Team zu haben«, sagte er, als er den Wagen vor ihrem Gartentor zum Halten brachte.

»Ich freu mich wahnsinnig, mit im Team zu sein«, strahlte Lisa dankbar und hüpfte leise ins Haus. Aber als sie endlich ins Bett ging, war sie so aufgedreht, dass sie nicht schlafen konnte. Und als sie endlich eingedöst war, wurde sie noch einmal von ihrem schrillenden Pager auf der Kommode geweckt.

Es war 4.43 Uhr. Mit trüben Augen zog sie die Uniform über, rannte zurück zur Feuerwache und kletterte in den Löschzug zum Rest der Crew. Augenblicke später rasten sie noch einmal durch die Nacht einem Feuer entgegen.

»Die Risikorückführung von vor drei Tagen ist durch den Windrichtungswechsel wieder hochgekommen und bedroht drei Liegenschaften am Rand des Tals«, erklärte Scott und bezog sich dabei auf das kürzlich stattgefundene kontrollierte Abbrennen entflammbarer Vegetation unten im Bachbett. »Schläuche. Dave, ich möchte, dass du und Sally zusammen an einem arbeitet. Liam, du und Lisa nehmt den anderen. Ich denke, wir werden ein bisschen Gegenfeuer einsetzen müssen, aber wir schauen uns erst einmal an, was wir vorfinden.«

»Es geht doch nichts über eine Feuertaufe für den Neuen, ich bitte den Kalauer zu entschuldigen«, scherzte Jack über die Schulter, als sie sich der Abzweigung Richtung Feuer näherten. Trotz ihrer Müdigkeit grinste Lisa breit. Dieser Feueralarm ist das einzig – einzig Wahre, dachte sie mit einer Mischung aus Spannung und Beklommenheit und starrte aus dem Fenster auf das schnell näherkommende unheimliche Glühen über den Bäumen.

Dann konnte sie die Flammen sehen, deren roten Zungen die Eukalyptusbäume hoch leckten und das nebenstehende, zundertrockene Unterholz entzündeten. Ihr Herz klopfte wie wild, ihre Handflächen begannen zu schwitzen. Sie kontrollierte die Schließe an ihrem Helm, rückte die alte Mullwindel zurecht, die zu einem Schal über ihrem Gesicht umfunktioniert worden war, und zog – plötzlich ganz nüchtern – ihre Handschuhe an. Ein heißer Windstoß erwischte sie im Gesicht, als sie hinaus auf die Piste stieg. Der Geruch von brennendem Holz reizte ihre Kehle und Nase, umherwirbelnder Rauch stach in ihren Augen. Das sah nicht gut aus. Schnell zog sie ihre Schutzbrille über.

Die Besitzer des nächstgelegenen Hauses spritzten bereits das Dach und die Regenrinne ab, während die Familien der beiden nächsten Häuser beklommen von ihren Vorgärten aus zuschauten. Irgendwo bellte ein Hund. An einem Ende der Straße hatte sich noch mehr Gesträuch entzündet und verbrannte zu glühender Asche, im Dunkeln deutlich sichtbar, wurde hoch- und herumgewirbelt, landete aufs Geratewohl und startete neue Brandnester.

»Wir werden das durch das Verbrennen des Buschwerks zwischen dem Feuer und den Häusern eingrenzen«, verkündete Scott, rasch die Situation zusammenfassend. »Dave, du bist für die Tropffackel verantwortlich«, befahl er und deutete auf die kleine Brennstofftonne mit dem langen Docht, die eine Mischung von zwei Dritteln Diesel und einem Drittel unverbleitem Benzin ausschied und dazu verwendet wurde, kontrollierte Verbrennungen durchzuführen. »Wir brauchen zwei Reihen 38-mm-Schläuche, um das Feuer hinter dem Gebäude direkt anzugreifen. Sally, du unterstützt Dave an einem Schlauch. Lisa, du hilfst Jack mit der Pumpe und nimmst dann den zweiten Schlauch mit Liam. Alle daran denken, auf Brandnester um euch herum zu achten.«

Lisas Finger zitterten, während sie Jacks Anweisungen Folge leistete. Sie hustete trotz des Schals um ihr Gesicht. Sie musste aufhören und ihre Schutzbrille saubermachen, deren Gläser angelaufen waren. Als sie anfing, mit Liam zu arbeiten, hatte sie sich beruhigt.

Die Feuerwehrschläuche waren schwer und unhandlich, da sie den Wasserdruck aushalten mussten, also wurden zwei Leute benötigt, um sie zu bedienen: einer am Rohrstutzen, der andere zum Ausrichten des Schlauchs, um zu gewährleisten, dass der Wasserstrahl direkt auf die Flammen gerichtet war. Während Dave das nahe Buschwerk anzündete, stand Sally mit der Spritze bereit, um alle Flammen zu löschen, die in die falsche Richtung wanderten. Währenddessen löschten Liam und Lisa am zweiten Schlauch alle Brandherde und brennenden Baumstämme und nässten den Boden hinter dem kontrollierten Brand.

Scott war am Funkgerät, um dem Diensthabenden in der Feuerleitstelle einen Lagebericht durchzugeben.

»Das Feuer ist zwanzig Meter breit an der Front und kommt von der Risikorückführung, die vor ein paar Tagen vorgenommen wurde. Wir legen strategische Gegenfeuer, um dieses Feuer einzugrenzen. Haben einen Buschbereich hinter Nummer 42 angezündet. Zielen darauf ab, auf fünf Meter Tiefe zu vertiefen. Wir werden versuchen, dies als Gegenfeuer zum Hauptfeuer hinzuleiten, und es damit einzugrenzen. Habe genug Einsatzmittel, um dies auszuführen, momentan also keine weiteren Mittel erforderlich. Ende Lagebericht. Over.«

»Danke, Werrinda Vale. Feuerleitstelle verstanden, 5.09 Uhr«, antwortete der Diensthabende.

Obwohl Lisa während ihrer Ausbildung Erfahrungen mit dem Umgang mit Buschfeuern in nächster Nähe gemacht hatte, fühlte sich die Realität, der sie sich jetzt stellen musste, ganz anders an. Die Intensität der Hitzestrahlung, der herumwirbelnde Rauch, der Lärm des Feuers, das Knistern und Brennen und die rasante Geschwindigkeit, in der sich alles permanent veränderte, überwältigte sie. Der Wind, der das Feuer ursprünglich wieder angefacht hatte, frischte auf und veränderte unberechenbar die Richtung. Glühende Asche flog hoch, während Liam und sie zusammenarbeiteten, und verursachte neue Brandnester. Sie musste ohne Unterlass in sämtliche Richtungen Ausschau halten. Und sie hatte in dieser Nacht kaum geschlafen, sie wurde langsam todmüde. Als ein heißer Windstoß eine Flammensalve in ihre Richtung spie, stolperte sie und fiel beinahe mit dem Schlauch hin.

»Bist du in Ordnung?«, schrie Liam, als er die volle Kraft des Wasserstrahls auf die Flammen richtete. Sekunden später sprangen die Flammen auf einen benachbarten spindeldürren Baumstamm über.

»Fein! Aua«, rief Lisa, als sie fast durch einen Felsbrocken das Gleichgewicht verlor, und wuchtete den Schlauch dann nach links, um Liam mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.

Scott kam mit Sally zu ihr hochgelaufen. »Zeit für ne Pause, Lisa. Sally wird dich ablösen. Besorg dir nen Schluck Wasser, ja?«

»Großartig«, erwiderte Lisa dankbar und wischte mit dem Handrücken über ihr dreckverschmiertes Gesicht. Scott ging mit ihr zum Löschzug. »Wie fühlst du dich?«, fragte er besorgt.

»Ein bisschen steif, aber okay«, antwortete Lisa. Sie nahm einen langen Zug aus ihrer Wasserflasche. »Es ist viel lauter, als ich es mir vorgestellt habe.«

»Das stimmt. Ich werde mich nie daran gewöhnen. Du machst dich gut. Ich bin stolz auf dich. Frag nach Hilfe, wenn du welche brauchst. Gut gemacht.« Er nickte ihr beruhigend zu und drehte sich weg, als das Funkgerät zum Leben erwachte.

Lisa sank dankbar hinunter in den Schutz des Feuerlöschzugs, beobachtete Scott und dachte, wie gut es war, von ihm so bestärkt zu werden. Sie schnupperte die heiße Luft, die kräftig nach brennendem Holz roch. Ihre Augen brannten von dem Rauch. Sally kam zu ihr hinüber und setzte sich. »Menschenskind, bin ich geschafft.«

»Ich auch.« Verdutzt schnupperte sie wieder. »Warum rieche ich Lavendel?«

Sally schnupperte. »Ich auch.« Schnell war sie wieder auf den Beinen.

Lisa suchte die unmittelbare Umgebung ab. »Da ist ein Lavendelbusch. Alles in Ordnung«, schrie sie und zeigte dabei auf die Stelle, wo glühende Asche gelandet war, und jetzt Flammen um den Busch herum hervorleckten. »Brandnest«, riefen die Mädchen einstimmig. Bevor irgendjemand die Möglichkeit hatte zu reagieren, packte eine Frau in mittleren Jahren, die alles von ihrem Hof aus beobachtet hatte, ihren Gartenschlauch und löschte die Flammen. »Das war einfach«, sagte Lisa, die Erschöpfung ließ sie schnippisch werden. Eine plötzliche Windbö überraschte sie, und sie drehte sich, um ihre Augen zu schützen. Gleichzeitig kam eine junge Frau aus dem Schleier aus Rauch auf sie zu gerannt.

»Das Feuer ist an der Rückseite von Thompsons Besitz und bedroht die Ställe. Ich bin Megan. Ich hab einen Anruf bekommen, ich soll herkommen und helfen. Die Besitzer sind auf dem Weg. Eure Jungs haben mich durch die Straßensperre gelassen. Es sind sechs Pferde.« Sie sprach schnell und zeigte dabei auf ein Gebäude auf der anderen Seite einer nahegelegenen Pferdekoppel. Lisa schaute hinüber. Da war eine Menge Rauch, das Unterholz daneben brannte lichterloh. Scott sah Lisa mit der jungen Frau und kam herübergeeilt.

»Du hilfst Megan, die Pferde zu befreien«, befahl er, nachdem sie ihn aufgeklärt hatten. »Jack fährt den Löschzug mit Dave und Liam rüber zu den Ställen.« Lisa sprang in Megans Geländewagen, und sie fuhren so schnell, wie sie sich trauen konnten, die schmale Straße zu den Ställen hinunter.

Bei den Pferden herrschte schon Panik, der Rauch wirbelte herum. Megan stieß die erste Boxentür auf, und Lisa sprang voller Angst zurück, als ein rotbrauner Wallach mit rollenden Augen und verängstigt wiehernd ausbrach.

»Lass ihn laufen«, rief Megan, als er vorbeirannte. Aufgewühlt lief Lisa zur nächsten Box und befreite das ängstliche Tier, das buckelte und ebenfalls über die Koppel galoppierte. Flammen knisterten nur Meter entfernt und schickten glühende Asche in die Luft. Schnell stießen sie die restlichen Boxentüren auf und befreiten die panischen Pferde. Zur gleichen Zeit fuhr Jack den Werrinda-Löschzug vor, und David und Liam sprangen heraus. Schnell rollten sie einen Schlauch ab und begannen, die Umgebung mit Wasser zu besprengen, während Sally herüberlief, um Lisa zu helfen. Das Herz in der Hose, fragte Lisa sich, ob sie die Ställe auch würden retten können. Aber dann war der Notfall vorüber, und die mittlerweile eingetroffenen Besitzer fingen mit Megan zusammen die Pferde wieder ein.

»Okay, zurück an die Arbeit«, sagte Lisa, als die Pferde weggeführt wurden. Sie streckte sich, ignorierte ihren schmerzenden Rücken. Sie konnte den Druck aushalten, das wollte sie allen zeigen. Obwohl es schien, als ob jeder einzelne Muskel in ihrem Körper jetzt anfangen würde zu schmerzen.

Doch in ihr sang jubelnd eine Stimme, dass sie ein Teil dieser erstaunlichen Gemeinschaft von Freiwilligen geworden war, die ihr Leben für das Wohlergehen anderer riskierten. Es war diese triumphierende innere Stimme, die sie diese langen Stunden vor Tagesanbruch durchhalten ließen, während der die kleine Feuerwehrcrew einen Brand weiterbekämpfte, der sich stur weigerte abzusterben. Gerade wenn jeder dachte, alles wäre unter Kontrolle, wechselte die Windrichtung, und es flackerte wieder auf. Lisa wischte den Schweiß zum x-ten Mal aus ihren Augen, zog den Baumwollschal wieder über Nase und Mund und dachte stolz an die wunderschönen Pferde, die sie gerettet hatte. Sie wuchtete den Schlauch einmal mehr über den Boden und fragte sich, wie lange sie noch durchhalten würde. Endlich war der letzte Brandherd gelöscht, der letzte glimmende Baumstamm besprengt. Erschöpft ging Lisa mit den anderen hinüber zum Feuerwehrwagen und trank durstig aus ihrer Wasserflasche.

Mit der Dämmerung kam die Offenbarung, wie nah das Feuer den Häusern gekommen war. Nur den übermenschlichen Anstrengungen der Mannschaft war es zu verdanken, dass die Ställe noch standen. Der geschwärzte Boden und die verkohlten Überreste der Baumstämme und des Unterholzes, nur Meter entfernt von den Häusern, zeigte, wie viel Glück sie gehabt hatten. Die nächste Stunde verbrachten sie damit, wieder und wieder zu kontrollieren, ob sie irgendwelche glimmenden Stämme oder Glut um und unter den Häusern und in den Dachrinnen übersehen hatten, die alles niederbrennen konnten, nachdem man dachte, die Brandgefahr wäre vorüber. Schließlich waren alle überzeugt, dass es sicher wäre, zu fahren. Unter den freigebigen Dankesbezeugungen der Anwohner beorderte Scott die erschöpfte Mannschaft zurück in den Löschzug, und es ging zurück zum Stützpunkt, um das Fahrzeug aufzufüllen– bereit für den nächsten Einsatz. Lisa, die jetzt völlig ausgepumpt war, kam es so vor, als ob sie niemals fertig würden.

»Zwei zum Preis von einem heute Nacht. Hart für den ersten Einsatz, aber es kommt vor, und du hast dich wirklich wacker geschlagen«, sagte Scott und umarmte sie kurz, als sie schließlich die Feuerwache verließen. Lisa nickte und grinste erschöpft zurück. Sie hatte sich in ihrem Leben noch nie so ausgelaugt gefühlt, aber gleichzeitig fühlte sie sich auch ungeheuer lebendig. Es hatte einen Moment blanken Schreckens gegeben, als das Feuer die Ställe bedroht hatte und das Pferd sie fast überrannt hätte, und dann noch einmal, als sie ernsthaft gedacht hatte, sie würde vor Erschöpfung zusammenbrechen, aber eins wusste sie ganz sicher: Sie war kein Neuling mehr. Sie fühlte sich nicht mehr als Neuling. Mit der Unterstützung des Teams – ihres Teams, dachte sie breit grinsend mit stolzgeschwellter Brust – hatte sie zwei Einsätze in einer Nacht überstanden, sie hatte ihre Initiation als Freiwillige im Rural Fire Service durchgestanden. Sie war eine RFS-Freiwillige! Als sie vormittags endlich ins Bett kam, hatte sie keine Probleme einzuschlafen.

Kapitel 2

Lisa mühte sich damit ab, den schweren Feuerwehrschlauch ruhigzuhalten, während das Wasser fächerförmig aus der Düse spritzte. Der Druck war so stark, dass sie drohte, nach hinten überzukippen. Ihr Teamgefährte John, ein Freiwilliger aus einer anderen Brigade, stand direkt hinter ihr, seine Schulter stützte ihren Rücken, um ihr Halt zu geben. Rechts neben ihr stand ein zweites Paar Feuerwehrmänner in einer ähnlichen Position. Zwischen ihnen der Captain, vor ihnen eine brennende Flüssiggasflasche.

»Vortreten«, befahl der Captain. Wie ein Mann trat die Fünfergruppe nach vorn, das gefächerte Wasser als Schutzwall vor ihnen. »Vortreten«, wiederholte der Captain. »Vortreten«, befahl er ein drittes Mal. Vorsichtig griff er zwischen den beiden Pärchen durch und drehte das Ventil der Gasflasche zu. »Zurücktreten! Zurücktreten! Zurücktreten!« Die Gruppe gehorchte als Einheit. »Wasser halt«, befahl er. Lisa stellte das Wasser ab und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Gruppe entspannte sich.

»Okay, Leute! Nicht schlecht fürs erste Mal. Rollt die Schläuche wieder auf und wir wiederholen das Ganze. Lisa, du musst schneller mit deinem Schlauch sein.« Lisa nickte und fing an, ihren Schlauch aufzurollen. Ihre Arme zitterten noch von der Anstrengung. Als sie fertig war, ließ sie die Schultern kreisen und streckte Nacken und Arme, um die schmerzenden Muskeln zu lockern.

Ein Jahr nachdem sie der Werrinda-Brigade beigetreten war, war Lisa immer noch genauso leidenschaftlich Feuerwehrfrau wie am Anfang. In den dazwischen liegenden Monaten waren ihr Wissen und ihre Erfahrung gewachsen. Entschlossen, ihre RFS-Qualifikationen zu erweitern, hatte sie an den regelmäßigen Trainingstagen und -wochenenden bei der Werrinda-Brigade und im Distrikt-Feuerkontrollzentrum teilgenommen, und sie war mehrmals zur Bekämpfung von Buschfeuern angefordert worden. Außerdem war sie bei einer Anzahl von örtlichen Verkehrsunfällen dabei gewesen und einmal angefordert worden, um als Mitglied der Ablösemannschaft im Norden von Coffs Harbour zu helfen. Sie hatte auch schon bei einem Hochwassereinsatz im Norden von New South Wales ausgeholfen. Ihre Begeisterung für den Freiwilligendienst wuchs weiter. Vieles davon war Scotts Beratung und Ermunterung zu verdanken.

Der heutige Sonntagnachmittag bildete das Ende einer zweitägigen Trainingsveranstaltung im Feuerkontrollzentrum Katoomba, an der Feuerwehrleute aus dem ganzen Distrikt teilnahmen. Es war der letzte Teil von Lisas Village-Firefighter-Qualifikation, der nächste Schritt in ihrer Ausbildung. Den theoretischen Unterricht hatte sie schon absolviert. Wenn ihre heutige Mitwirkung befriedigend verlief, musste sie nur noch ihre Beurteilung überstehen, um ihren Village-Firefighter-Schein zu bekommen. Das Manöver, das sie mit der Gruppe gerade ausgeführt hatte, nannte sich der »Fünf-Mann-Schleier-Drill«. Eine Schutzübung, die es den Feuerwehrleuten ermöglichen sollte, sich bereits entflammten Objekten zu nähern und dabei die Gefahr für die Brandbekämpfer zu reduzieren. Die simulierte Gefahrenquelle war heute eine Flüssiggasflasche, die Feuer gefangen hatte.

»Hab ich eigentlich irgendwelche Muskeln, die nicht wehtun?«, fragte Amy, auch sie ein Teil des Fünf-Mann-Schleier-Drills.

»Das bezweifle ich«, antwortete Lisa grinsend. Ihr jedenfalls tat alles weh. Sie war froh, dass ihre Freundin beim Training mit dabei war. Während der letzten zwei Tage hatten sie, immer im Wettlauf gegen die Uhr, Schläuche abgerollt und sie an Pumpen angeschlossen, mit dem Ziel, innerhalb von neunzig Sekunden Wasser aus der Düse zu bekommen. Wenn die Übung beendet war, hatten sie das Wasser wieder abgestellt, die Pumpe abgekoppelt, die Schläuche wieder aufgerollt und dann die Übung wiederholt. Lisa hatte den Überblick verloren, wie oft sie dieses Manöver wiederholt hatten. Aber schließlich hatte die Mannschaft es triumphierend unter neunzig Sekunden geschafft. Der Fünf-Mann-Schleier war die letzte Übung des Tages und des Kurses. Lisa nahm ihren Schlauch hoch, ging einmal mehr in Position vor Amy und erinnerte sich im Stillen daran, wie sehr sie das alles liebte.

Schließlich war das Training beendet. Als die Abenddämmerung einsetzte, nahm sie dankbar die Mitfahrgelegenheit bei Amys Mum an, die sie vor der Feuerwache Werrinda absetzte. Einige Brigademitglieder gönnten sich gerade gegrillte Würstchen, nachdem sie einen Tag mit Wartungsarbeiten in der Feuerwache hinter sich gebracht hatten. »Ich glaube, ich schaue mal rüber und sag Hallo zu den Jungs. Hast du auch Lust?«, fragte Lisa.

Amy schüttelte den Kopf. Die zwei Tage waren anstrengend gewesen. »Schaff ich nicht mehr«, sagte sie.

Trotz ihrer eigenen Erschöpfung fühlte Lisa sich zu beschwingt, um jetzt sofort nach Hause zu gehen. Sie ging schnurstracks zu Scott.

»Sie müssen noch den Papierkram fertigmachen, es ist also noch nicht offiziell, aber es sieht so aus, als hätte ich den Schein«, prahlte sie jubelnd.

Scott strahlte sie an. »Das sind ja großartige Neuigkeiten. Ich hab nie daran gezweifelt, dass du das schaffen würdest.« Lisa strahlte zurück.

»Und, kannst du noch stehen?«, fragte Jack, der auf dem Weg zu der Grillparty war.

»Gerade mal so«, antwortete Lisa, grinste zurück und schloss sich den anderen an.

»He, Lisa, du siehst ja fertig aus«, sagte Dave, der mit einer Dose Bier in der Hand ankam. »Sieht so aus, als könntest du eins von denen hier vertragen. Warte mal, du bist ja noch minderjährig. Als verantwortungsbewusstes Mitglied der Polizeibehörden von New South Wales hole ich dir besser mal ne Limonade«, sagte er und grinste sie frech an.

Lisa schnappte sich seine Dose und nahm einen tiefen Schluck Bier. »Das wird’s für den Anfang tun, danke auch.«

»Hey, das kannst du nicht machen, du bringst mich in höllische Schwierigkeiten «, protestierte Dave und nahm ihr die Dose wieder ab. Etwas Bier spritzte auf Lisas Jeans. »Ups, das tut mir leid.«

»Du hast ja ein kurzes Gedächtnis. Ich bin volljährig!«, rief Lisa und versuchte, die Dose zurückzuerobern.

»Oh, richtig, du bist groß geworden«, antwortete Dave und grinste Lisa an. Einlenkend reichte er ihr die jetzt fast leere Dose.

»Danke für nichts, böser Kerl. Ich werd jetzt mal diese Limonade nehmen«, erwiderte Lisa und vertilgte die Überbleibsel.

»Alles für ein friedvolles Leben«, sagte Dave und holte ihr eine kalte Limonade.

»Du hast mir das Leben gerettet, Dave«, sagte sie und nahm das Getränk. Menschenskind, war sie erschöpft.

»Also, wie war das Training? Irgendwelcher ungewöhnlicher Trubel? Außergewöhnliche Geistesblitze?«, erkundigte Dave sich fröhlich. Lisa grinste den frisch beförderten Polizisten an. Sie mochte Dave. Er war genauso ernsthaft und voller Begeisterung bei der Polizei, wie sie bei der Feuerwehr. Er war voller Interesse für seinen Job und wurde offensichtlich auch gut darin. Sie hatten einige gute Gespräche über Familie und über die Arbeit an ungelösten Kriminalfällen geführt, und sie hatte Daves weiche Seite zu sehen bekommen. Noch dazu sah er außergewöhnlich gut aus mit seinen haselnussbraunen Augen, den breiten Schultern und seinem entwaffnenden Lächeln. Wirklich schade, dass er so viel älter war als sie ... und verheiratet, dachte sie flüchtig.

»Wenn du schon fragst, ich wollte dir von meinen letzten Traum erzählen ... genau genommen hat er mich ziemlich erschreckt.« Sie fing an zu erzählen, wie in ihrem Traum ein Mädchen aus einer Pferdekoppel herausgerannt kam und dabei mit einem pinkfarbenen Bastbeutel winkte. »Das Mädchen rief immer wieder: ›Ich bin hier!‹. Als ich klein war, hat mir meine Nanny aus Fidschi erzählt, wenn du dich an Wörter in einem Traum erinnerst, hätten diese eine besondere Bedeutung. Aber noch genauer habe ich mich an die Sachen des Mädchens erinnert. Es war so eine komische Kombination. Grellorange Strumpfhosen, und dieser lange meergrüne und pinkfarbene Schal mit einem weißen Einschnitt, der wie aufgemalt aussah. Das Mädchen sah wirklich sehr verängstigt aus. Dann verschwand es wieder durch das Tor der Koppel. Ich fühlte mich wirklich gruselig beim Aufwachen. Denkst du, Träume haben jemals eine Bedeutung? Ich meine, Amy hat erzählt, du hast mit Toten und ungeklärten Kriminalfällen zu tun, und mit Leuten, die verschwinden, und so Zeug. Und eben auch mit Leuten, die euch melden, was sie geträumt haben. Meinst du, das bedeutet irgendwas?«

»Wenn du damit andeuten willst, du hättest eine psychische Offenbarung gehabt, und müsstest jetzt hinlaufen und jemandem davon berichten, vergiss es. Was ich weiß, ist, dass die Polizei so etwas nicht ernst nimmt. Genau genommen legt die Polizei großen Wert darauf, dass wir dieses ganze Zeug ignorieren! Fakten, Logik, Motive und Beweise – danach suchen wir.«

»Vielen Dank dafür, Police Constable Young. Ich wollte nirgendwo hinrennen. Ich hab nur gefragt«, antwortete Lisa schnell und fühlte sich plötzlich überaus albern. »Tatsächlich hörst du dich gerade an wie mein Vater.« Sie trank den Rest ihrer Limonade, fühlte sich leicht schwummrig vom Bier und davon, dass sie fast nichts gegessen hatte, und unterdrückte ein Gähnen. »Gibt es eigentlich noch Würstchen? Ich bin am Verhungern«, sagte sie und ging hinüber zu den anderen, die auf dem Rasen des Hinterhofs der Feuerwache aßen und plauderten. Dankbar bediente sie sich selbst und ließ sich mit dem gefüllten Teller auf einem Stuhl nieder.

»Also haben wir jetzt einen neuen Fast-Village-Firefighter in unserer Brigade. Gut gemacht, Lisa«, sagte Scott und strahlte sie an. Die anderen klatschten und hämmerten mit ihren Fäusten auf dem Tisch. »Wie ihr alle wisst, versuche ich, jedem gegenüber fair zu sein«, fuhr er fort. »Also muss ich euch zu diesem Zeitpunkt daran erinnern, dass unsere Brigaderegeln ganz klar sagen, dass jeder neue fast zertifizierte Village-Firefighter den Tee macht.«

»Das klingt nach ner Regel nach meinem Geschmack«, gluckste Liam unüberhörbar.

»Seit wann denn?«, fragte Sally und schaute überrascht hoch.

»Willst du damit sagen, das hast du nicht gewusst?«, sagte Scott mit einem Augenzwinkern. »Ich denke mal, das heißt, ab heute du, Lisa. Dann mal los, mach mal ne Kanne Tee– bitte. Übrigens, wir sind alle sehr stolz auf dich.«

Lisa stand auf. »Nun, eine Brigaderegel ist eine Brigaderegel. Ich könnte jetzt aber auch eine Tasse heißen Tee gebrauchen«, antwortete sie guter Stimmung, marschierte in das Gebäude und nahm den Wasserkocher. Das Anschlusskabel war verschwunden. Sie suchte an der Seite neben der Spüle und begann dann, in den Schubladen herumzukramen, aber das Kabel blieb unauffindbar. Sie gab auf, füllte den Kessel und stellte ihn auf den Herd. Dann setzte sie sich auf das nahe Sofa, griff träge nach einer Tageszeitung und wartete darauf, dass das Wasser kochte. Krass, fühlte sich das gut an, sich einfach nur zurücklehnen und ausruhen. Sie schloss die Augen und dachte an die letzten zwei Tage, die vielen Schläuche, die sie aufgerollt, die Leitern, die sie herumgewuchtet hatte, die verschiedenen Arten von Feuerlöschern. Sie döste weg.

Sie schreckte aus dem Schlaf hoch. Jemand rüttelte an ihrer Schulter. Scott. »Die Party ist vorbei, du hart arbeitendes Mädchen. Wir sind dabei, abzuschließen. Zeit, nach Hause zu gehen, außer du planst, hier zu übernachten«, neckte er sie.

»Wie spät ist es denn?«, fragte Lisa und setzte sich verschlafen auf. Die Uhr an der Wand starrte böse zurück – elf Uhr dreiundvierzig.

O nein, das durfte nicht sein! Sie hatte ihrer Mum versprochen, spätestens um zehn Uhr zu Hause zu sein. Morgen sollte sie im Hotel bei einer wichtigen Veranstaltung helfen und ganz früh anfangen. Deshalb hatte sie darum betteln müssen, bei ihrem Village-Firefighter-Training teilnehmen zu dürfen. Sie hatte fest versprochen ... Sie sprang auf und fing an, ihre Jacke und ihre Tasche zu suchen. »Der Kessel! Hat jemand den Kessel ausgemacht?«

»Der Kessel ist aus. So viel zu unserem Tee«, scherzte Scott. Lisa starrte ihn für einen Moment verständnislos an.

»Ja, sorry, Scott. Braucht ihr Hilfe, alles abzuschließen? O verdammt!«, würgte sie heraus und griff nach ihren Sachen. »Ich habe diese Hotelsache morgen ... du weißt, wie Mum sein kann ...« Bevor er Zeit hatte zu antworten, war sie aus der Tür gehuscht und rannte nach Hause.

Etwas später, sie keuchte noch von der Anstrengung, öffnete Lisa die Vordertür und schlüpfte hinein. Fast gleichzeitig öffnete sich die Schlafzimmertür ihrer Eltern, und ihre Mutter fegte im Nachthemd den Flur hinunter auf sie zu, ihr Gesicht angespannt vor Ärger. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Ich dachte, wir hätten vereinbart ...« Lisa öffnete den Mund, aber Olivia bedeutete ihr, still zu sein. »Ich will deine Entschuldigungen nicht hören ...« Sie stoppte, schnüffelte, und machte ein entsetztes Gesicht. »Du hast getrunken! Lisa, jetzt platzt mir aber der Kragen.« Sie schnüffelte wieder und kam noch näher.

»Mum, ich bin neunzehn, und es waren nur ein paar Schluck Bier. Die Jungs sind etwas übermütig geworden und dabei ist Bier auf meine Jeans gekleckert. Ich bin zu spät, weil ich eingeschlafen bin ... es tut mir wirklich leid ...«

»Neunzehn, und du benimmst dich wie eine Zwölfjährige. Nun, schau, dass du pünktlich bei der Arbeit bist.« Sie drehte sich um und wollte gehen. »Wann wirst du endlich verstehen, dass ich versuche, hier ein Hotel zu betreiben? Oh, du regst mich so auf. Und ohne deinen Vater ...« Sie sah erschöpft und mitgenommen aus.

»Und ich studiere, um meinen Bachelor of Business and Hotel Management zu machen, damit ich dir helfen kann, um Himmels willen! Jetzt bist du aber ungerecht!«, blaffte Lisa zurück. »Und was hat Dad mit dem hier zu tun? Was für einen Unterschied macht es denn, dass er wieder unterwegs ist? Dad ist immer weg.«

»Rede nicht so mit mir, Lisa. Du weißt genau, dass wir unterbesetzt sind. Du hast dich einverstanden erklärt, mir zu helfen ... Ich war damit einverstanden, dass du zu all diesen Abenden und Wochenendaktivitäten gehst, weil ich dachte, ich könnte dir trauen. Aber es scheint, als hätte ich mich gründlich getäuscht. Ich hatte keine Ahnung, wann du zu Hause sein würdest. Wie soll ich mich auf dich verlassen können, wenn du mich so hängen lässt? Manchmal denke ich, dir ist das völlig egal. Und ich will keine lahmen Geschichten über irgendwelche Unfälle hören. Ich bin zu müde und enttäuscht von dir, um jetzt im Moment über irgendwas zu reden.«

»Lass mich doch erklären, Mum ...«, bat Lisa entmutigt. Plötzlich forderten die Anstrengungen des Tages ihren Tribut und sie rastete aus. »Um Himmels willen, Mum, ich bin nicht betrunken, das Training war anstrengend, ich bin eingeschlafen ... und ich werde morgen früh um sechs im verdammten O’Malley’s sein«, schrie sie. Dann stürmte sie an ihrer Mutter vorbei in ihr Zimmer, schlug die Tür zu und lehnte sich dagegen, vor Frustration und Enttäuschung zitternd. Warum konnte ihre Mutter nicht verständnisvoller sein? Warum konnte sie nicht einmal danach fragen, wie das Training gewesen war, anstatt andauernd alles kontrollieren zu müssen?, fragte sie sich wütend. Ihre Mutter wusste, dass es ihr wichtig war, diesen Schein zu machen. Okay, sie war versehentlich eingeschlafen, aber sie wollte doch ihre Mutter nicht aufregen oder beunruhigen oder die morgigen Pläne gefährden. »Wann habe ich das letzte Mal verschlafen und irgendetwas zum Scheitern gebracht?«, verlangte sie wütend von den Wänden zu wissen. Sie schmiss sich noch voll angezogen aufs Bett, ließ Happy Bär dabei vom Kissen runterpurzeln, zog die Bettdecke über die Knie und schloss die Augen. Tränen quollen unter ihren Augenlidern hervor. Sie wischte sie weg und starrte durch die Gardinen hinaus in den dunklen Himmel auf das Mondlicht, das in der großen alten Ulme spielte. Warum hatte Mum nicht wenigstens ein Mal nach dem Feuerwehrtraining fragen können, statt sie zu beschuldigen, unzuverlässig zu sein?

Als sie sich beruhigt hatte, dachte Lisa nach. Sie dachte an den heutigen Tag im Feuerkontrollzentrum, an die anderen Freiwilligen, denen sie begegnet war, die Aufregung, die schiere, harte körperliche Arbeit, die mit dem Lehrgang verbunden war. Leitern hochheben, Ausrüstung auf Dächer und wieder hinunterbefördern. Sie und John mussten den Feuerwehrschlauch bestimmt zwanzig Mal ausgerollt haben, bevor sie es auch nur annähernd in neunzig Sekunden geschafft hatten, und das, nachdem sie vorher wochenlang geübt hatten. Mittendrin hatte sie ernsthaft geglaubt, sie müsste vor Erschöpfung aufgeben. Aber ein Blick auf John, und ihr Stolz stoppte sie. Und dann all das Zeug, an das sie sich erinnern musste! Erste Hilfe, den Löschzug wieder bestücken, was wohin gehörte und warum. Aber sie würde niemals das Hochgefühl vergessen, als sie die Stoppuhr anhielten, und es geschafft hatten, in unter neunzig Sekunden den Schlauch einzurichten und das Wasser in voller Stärke zum Fließen zu bringen. Keine Überanstrengung und kein Standard der Welt, für dessen Einhaltung ihre Mum die Werbetrommel rührte, konnten ihr das Gefühl des Erfolgs oder die Gewissheit nehmen, dass ihre harte Arbeit und ihre Schnelligkeit eines Tages Leben retten könnte. Und sie und ihre Mannschaftskollegen hatten es wieder und wieder getan.

Lisas Gedanken kehrten zu ihrer Mutter zurück. »Das Letzte, was ich will, ist dich im Stich lassen, Dummerchen. Wie konntest du so etwas überhaupt denken?«, flüsterte sie mit einem Seufzer. Ihre Mutter war in letzter Zeit sehr erschöpft und nicht zuletzt äußerst aufgewühlt wegen ihrer älteren Schwester gewesen. Tantchen Therese, schon zu besseren Zeiten eine schwierige Frau, hatte sich kürzlich nach siebenundzwanzig Jahren Ehe scheiden lassen.

Nachdem sie O’Malley’s erfolgreich in den Blue Mountains aufgebaut hatten, hatten sich Olivia und John dazu entschlossen, zu expandieren, und begannen, Hotels in anderen Bundesstaaten zu kaufen. The Terrace in Adelaide war ihr zweites und das kleinste der Kette von Luxushotels. Therese und ihr jetzt Exehemann Ross lebten in Adelaide und erklärten sich bereit, The Terrace zu führen. Es war eine unbeschwerte und erfolgreiche Übereinkunft gewesen, während der ihre beiden Kinder Louise und Kieren aufwuchsen. Ganz besonders hatte es Ross ins Konzept gepasst, da er zu dieser Zeit arbeitslos war. Ross wurde die treibende Kraft hinter dem Erfolg von The Terrace und baute es zu einem der besten Hotels Südaustraliens aus, mit großen Plänen für die Zukunft in der Hinterhand. Das dachten jedenfalls alle.

Ihre Scheidung hatte alle geschockt. Olivia, die sah, wie todunglücklich ihre Schwester war und wie sie kämpfte, mit allem emotional fertigzuwerden, war in den vergangenen drei Monaten hin und her geflogen, um ihr zu helfen. Olivia war auch extrem besorgt wegen der Zukunft von The Terrace. Das kam zu ihrem Stress, das Hotel zu führen, und den regulären Geschäftsreisen, um in den anderen Hotels nach dem Rechten zu sehen, noch hinzu. Und es spiegelte sich in ihrem Jähzorn und ihrem irrationalen Ausbruch. Dad war natürlich wieder weg.

Lisa dachte an den herzlichen Empfang, den ihr ihre Brigadefreunde an diesem Tag bereitet hatten. Sie dachte über Daves Reaktion auf ihren Traum nach. Guter alter, bodenständiger Dave. Sie hatte nicht wirklich erwartet, er würde angesichts ihrer Offenbarung plötzlich spirituell werden. Der Gedanke an seine Antwort erinnerte sie an Nanny. Lisa fing fast wieder an zu weinen. Sie griff rüber, nahm Happy Bär vom Boden hoch und strich seine gelbe Jacke glatt. Dann setzte sie ihn wieder neben sich aufs Kissen. Sie vermisste Nanny noch immer nach all diesen Jahren. Sie fragte sich, wie Nanny ihren Traum über das Mädchen mit dem grünen Schal wohl gedeutet hätte.

Es war Nanny, die Lisa mit sieben Jahren erzählt hatte, dass sie »die Gabe« habe. So nannte sie es. Die Familie wohnte bei Freunden in ihrem Luxusferienort auf Fidschi. Nanny war mit dabei. In der Nacht vor ihrem Rückflug nach Australien war Lisa aus einem Albtraum erwacht, in dem ein Blitz in das Dach über dem Raum einschlug, in dem Nanny schlief, und das Gebäude in Brand setzte. Dann donnerte es richtig über ihnen wegen des Tropensturms, der sich den ganzen Tag über ihnen zusammengebraut hatte, und gezackte Blitze erhellten die Nacht. Immer noch halb im Traum, sprang Lisa vor Schreck aus dem Bett und lief in Nannys Schlafzimmer, wo sie sie zusammen mit ihrem Cousin, dem achtjährigen Kieren, und ihrer Cousine, der fünfjährigen Louise, hinauszog, die beide beim zweiten Donner mit schreckgeweiteten Augen in der Schlafzimmertür aufgetaucht waren. Die Vier waren zum Strand hinuntergelaufen. Olivia und John, zusammen mit Tante Therese und Ross, bekamen die Schreie und die Unruhe mit und waren zu den Kindern gelaufen, gerade als ein echter Blitz in Nannys Schlafzimmer einschlug. Bald wurde Rauch sichtbar, und dann setzten Flammen, angefacht vom stärker werdenden Wind, das Dach in Brand. Innerhalb von wenigen Augenblicken stand der hintere Teil des Ferienorts in Flammen, und trotz aller Anstrengungen war ein Großteil dieses Zufluchtsorts auf dieser wunderschönen Insel bei Dämmerung zerstört.

Nanny bestand darauf, es sei Lisas »Gabe« gewesen, die ihr das Leben gerettet habe. »In meiner Kultur lernen wir viele Dinge. Jeder hat ›die Gabe‹, aber nur wenigen wird es bewusst, und noch weniger wissen, wie sie sie einsetzen können«, erklärte sie Lisa eines Morgens kurz nach dem Feuer. »Du weißt und siehst Dinge früher als andere, weil du die Gabe hast, und du fühlst sie intensiver, obwohl dir das jetzt noch nicht klar sein mag. Deshalb konntest du uns vor dem Feuer retten. Hab davor keine Angst, benutz deine Gabe.«

Lisa erzählte es ihrer Mutter.

»Hübscher Gedanke, aber ich glaub ja nicht, dass da viel Wahrheit drinsteckt«, antwortete Olivia flapsig. Sie war mit dem Wenigsten einverstanden, was Nanny ihrer Tochter erzählte. Aber dann, als Lisa nach einem besonders lebendigen und erschreckenden Albtraum in Nannys beruhigender Umarmung auf dem Schoß saß, sagte sie ihr: »Du wirst viele Träume und Albträume in deinem Leben haben. Einige werden sehr wichtig sein und dir von deinem Leben erzählen. Andere wirst du nicht verstehen, aber das ist in Ordnung. Du wirst Visionen und Vorahnungen haben, Wachträume und Erscheinungen. Sie sind alle Teil deiner Gabe. Akzeptier sie und lerne aus ihnen.« Nachdem Nanny ihr es erklärt hatte, fing vieles an, Sinn zu ergeben. Sie hatte immer die Energie anderer Menschen gespürt und gemeint, andere empfänden es genauso. Oft nervte es, aber sie wusste, ob Dinge eintreffen würden oder nicht, bevor sie passierten. Sogar nachdem Nanny es ihr erklärt hatte, tat sie diese kleinen Zwischenfälle als Zufallstreffer ab. Aber dann wiederholte es sich – wie Lisas Traum, ihr Dad würde ihr einen Hund schenken, und am nächsten Tag kam er mit der lebhaften kleinen Milly nach Hause, einem anhänglichen braunen und weißen Cockerspaniel; oder als sie und ihre Eltern ins Perisher Valley fuhren und sie einen Lastwagen »sah«, der in sie hineinraste. Sie schrie ihrem Dad zu, er solle anhalten, und er hatte scharf gebremst. Sekunden später raste ein Lastzug, voll beladen mit Vieh, auf der falschen Straßenseite durch die einzige Kurve weit und breit. Die ganze Familie war ziemlich erschrocken über diesen Beinahe-Unfall.

Lisa fragte sich oft, ob sie in den Wochen vor Nannys Tod irgendetwas hätte tun können, um ihr zu helfen. Sie hatte versucht, ihrer Mutter von den plötzlichen Schwitz- und den Panikattacken zu erzählen, die sie heimsuchten, aber sie ergaben zu der Zeit keinen Sinn. Und ihre Mutter war ohnehin nicht gewillt, auf irgendetwas zu hören, was irgendwie alternativ oder unkonventionell roch. Für sie war alternativ gleichbedeutend mit Quacksalberei; der Rat des Doktors musste befolgt werden, alles andere war es nicht wert, auch nur in Betracht gezogen zu werden. Obwohl sie es nie offen zugab, fand sie die Hochsensibilität ihrer Tochter schwer verständlich und konnte damit nicht umgehen. Sie erklärte Lisas Voraussagen zu glücklichen Zufällen und beschuldigte sie, sich Sachen auszudenken.

»Ich wünschte, Nanny hätte dir nicht diesen ganzen Unsinn in den Kopf gesetzt«, schnauzte sie bei mehreren Gelegenheiten. Irgendwann hörte Lisa auf, ihr anzuvertrauen, was sie sah und fühlte.

Andererseits konnte Olivia sehr liebevoll und großzügig sein, wenn es um eher praktische Dinge ging. Sie und Therese begannen, Lisa und ihren jüngeren Cousin Kieren und ihre Cousine Louise auf regelmäßige Skiurlaube in Neuseeland oder Australien mitzunehmen. Smiggins’ Holes, Blue Cow und Perisher Valley wurden ein jährliches Ereignis. Es war ein Sport, den Lisa liebte und in dem sie sich schnell auszeichnete. In einem dieser Urlaube hatte sie die glamouröse schwedische Freundin ihrer Mutter kennengelernt, Freja Engström, und mochte sie sofort. Olivia und Freja waren sich mit Ende zwanzig begegnet, waren schnell Freundinnen geworden und standen sich weiterhin nahe, obwohl sie so weit entfernt voneinander in verschiedenen Ländern lebten. Freja war freundlich und sprach leise und erinnerte Lisa an eine Prinzessin aus einem ihrer Märchenbücher. Natürlich trug auch die Tatsache dazu bei, dass sie eine exzellente Skifahrerin war.

Olivia saß schon an ihrem Schreibtisch, als Lisa um Viertel vor sechs im Hotel ankam. Sie begrüßte Lisa frostig und begann dann, Befehle auszugeben. Lisa würde damit anfangen, Adam im Speisesaal zu helfen. Eine Gruppe japanischer Zahnärzte hatte das O’Malley’s für ihre morgen beginnende Jahrestagung gebucht. »Ich will, dass hier alles perfekt läuft. Ich habe Adam gebeten, noch einmal durch die Speisepläne zu gehen. Der Küchenchef ist bekannt dafür, in letzter Minute noch etwas zu ändern, ohne das mit mir abzustimmen. Ich möchte sichergehen, dass nichts durchgerutscht ist, was unsere japanischen Gäste verärgern könnte.«