Das Limettenhaus - Valentina Cebeni - E-Book
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Das Limettenhaus E-Book

Valentina Cebeni

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Beschreibung

Vor der malerischen Kulisse Italiens entspinnt sich das Schicksal einer mutigen Frau – Valentina Cebenis gefühlvolle Romane laden zum Schwelgen und Verweilen ein.

Als Eva die Liebe ihres Lebens verliert, ist sie am Boden zerstört. Trotzdem wagt sie gemeinsam mit ihren beiden erwachsenen Töchtern einen Neuanfang in Latium. Inmitten hoher Zypressen, kurz vor Rom, erhebt sich das prachtvolle Anwesen ihres Schwagers Giacomo. Im wunderschönen Limettenhaus, das von den Klängen der Zikaden umspielt wird, beginnt Evas Herz mit der Zeit zu heilen. Doch während sie und ihre Töchter sich in Sicherheit wiegen, überschlagen sich die politischen Ereignisse im Europa der 30er-Jahre …

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Seitenzahl: 565

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VALENTINACEBENI wurde 1985 in Rom geboren, doch sie trägt das türkisblaue Meer, das die Küste Sardiniens umspielt, im Herzen. Bereits seit ihrer Kindheit hat sie zwei große Leidenschaften: mitreißende Geschichten und das Kochen und Backen. Sie liebt es, über die Rezepte ihrer Familie die gemeinsame Vergangenheit wiederzuentdecken.

Außerdem von Valentina Cebeni lieferbar:

Die Zitronenschwestern

Die Blütenmädchen

Die Wildrosentöchter

Der Orangengarten

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VALENTINA CEBENI

Das Limettenhaus

ROMAN

Aus dem Italienischenvon Ingrid Ickler

Die italienische Originalausgabe erschien unter dem Titel Il nuovo inizio.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © by Valentina Cebeni

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by

Penguin Verlag,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Favoritbüro

Umschlagmotiv: shutterstock_1158334582_Minzblatt_© Yeti studio / shutterstock

shutterstock_1342618724_Schmetterling_© Butterfly Hunter/shutterstock

shutterstock_1375061711_Limetten_© cosmicanna/shutterstock

shutterstock_140533206_Eiskugeln_© TinasDreamworld/shutterstock

shutterstock_1743085436_Eisbecher_© Svetlana Cherruty/shutterstock

Redaktion: Brigitte Lindecke

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-27542-6V002

www.penguin-verlag.de

Prolog

4. April, 1920

Eva schloss die Augen und atmete den Duft nach Karamell ein, der von der Zuckerfabrik herüberwehte. Die Luft war von Süße erfüllt, ein Geruch, der von dem Saft des Zuckerrohrs stammte, der bei der Ernte vom Zuckerrohr hinablief. Von morgens bis abends schnitten die Arbeiter unter der sengenden Sonne das Zuckerrohr rund um die Fabrik. Dahinter lagen grüne Wälder, so weit das Auge reichte.

»Ich liebe diesen Duft«, flüsterte sie, während sie die Verdampfer der Zuckerfabrik beobachtete, die weiße Wolken und Hitze in den Himmel spien. Das Ziegelgebäude mit den riesigen Schornsteinen, die zur Erntezeit Tag und Nacht rauchten, erhob sich über den sonnenverbrannten Feldern, auf denen die Saisonarbeiter noch immer geschäftig umherliefen. Zwischen der Fabrik und dem fernen Bahnhof herrschte ein reges Treiben.

Nicht mehr lange, dachte Eva und folgte mit dem Blick einem Schmetterling mit schwarz-roten Flügeln, der zwischen den blühenden Hibiskussträuchern im Wind schwankend hin und her flatterte. Er erinnerte sie an ihre eigene Verwirrung, die sie nach dem ersten Kuss von Fernando vor einigen Tagen erfasst hatte.

Seitdem kam es ihr vor, als würde sie keinen eigenen Willen mehr besitzen, als wäre das Leben stärker als ihre Gefühle und Bedürfnisse. Ihr Blick wanderte weiter zu den riesigen Blättern der Bananenstauden, dann wiederum zu den verschiedenfarbigen Hortensienblüten. Erinnerungen an den zurückliegenden Morgen drängten sich in ihr Bewusstsein. Etwa an die tiefen Glockenschläge der Kirche La Virgen del Rosario, die die Auferstehung des Herrn verkündeten. Oder an die Diskussionen ihres Vaters mit anderen Zuckerbaronen, bei denen es um den Ausbau der Eisenbahnstrecke ging, damit die Plantagen mit dem Hafen von Havanna verbunden wurden. Ein Streitthema, das die Männer selbst in die Kirche mitnahmen. Ihnen fehlte die strenge Frömmigkeit der hart arbeitenden Feldarbeiter oder die der alten Köchin Manuela, die vor langer Zeit mit Großvater Fontamara aus Italien ausgewandert war.

Neben ihr stand Fernando, der seine Finger ihren Rücken hinaufgleiten ließ. Wie immer hatte er die Ärmel seines Hemdes bis zu den Ellbogen aufgerollt, über seiner Schulter hing lässig eine beige-blaue Leinenjacke, und er ließ seinen Blick über die üppigen Plantagen seines Vaters schweifen.

»Dieses Jahr ist vielversprechend, die Arbeiter schuften seit November ununterbrochen«, sagte er. »Wenn du vor dem Ende der Saison deinen Vater davon überzeugst, eure Gleise bis zu unserer Zuckerfabrik zu legen, werden sich die Gewinne künftig vervielfachen. Schließlich produzieren die Ferrers und die Fontamaras den besten Zucker. Wenn wir jetzt noch den Transport beschleunigen, werden die Anfragen der europäischen Kunden in kurzer Zeit steil nach oben schnellen. Vielleicht können wir sogar gemeinsam den asiatischen Markt erschließen, stell dir das mal vor!«

Während sie in einiger Entfernung zur Villa standen, folgte Eva Fernandos Blick und betrachtete seine vor Aufregung geröteten Wangen. Seine Begeisterungsfähigkeit war eines der Dinge, die sie am meisten an ihm liebte. Doch manchmal fiel es Eva schwer, mit ihm Schritt zu halten.

»Du gehst gerne geschäftliche Risiken ein, schließt gewagte Verträge und versuchst alles, was du in deinem Notizbuch aufschreibst, Wirklichkeit werden zu lassen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass für dich nur die Geschäfte zählen.«

»Die Fabrik ist mein Leben, Eva. Ohne sie wäre ich nichts.«

Sie lächelte ihn an. »Ich sehe noch viel mehr in dir. Dinge, die du selbst nicht erkennen kannst«, antwortete sie leise und ließ den Blick erneut über die Felder schweifen. »Es ist wunderschön hier. Die Zuckerrohrpflanzen wachsen kräftig und sind voller Saft. Wenn die Ernte so weitergeht, wird der Zucker in wenigen Monaten den Hafen von Havanna überschwemmen.«

Fernando betrachtete lächelnd das Gewühl aus Menschen und Waren rund um die Fabrik. Seine Familie war nicht so wohlhabend wie die Ferrers, aber für Eva würde er alles versuchen.

»Du wirst sehen, diese Saison wird ein voller Erfolg. Solange ich diesen Duft einatmen und deine Hand in meiner halten kann, fürchte ich mich vor gar nichts.«

Eva schüttelte ihre kupferfarbenen Locken, die ihr bis auf die Schultern reichten, und unterdrückte ein Lächeln. Sie war fast ebenso groß wie Fernando, doch sehr viel schmaler. Ihre zarte Statur erinnerte an die einer Tänzerin und wurde durch das pfauenblaue Seidenkleid aus Crêpe de Chine, das weich über ihre Brüste und die wohlproportionierten Hüften fiel, noch weiter betont. Die Vorliebe für extravagante Kleider war vermutlich ein Erbe ihrer Familie väterlicherseits, die zu den reichsten Eisenbahnmagnaten Nordamerikas gehörte. Ihr Vater Andrew Morris hatte einen Zweig des Unternehmens dann auf die Insel geholt.

»Übrigens sprichst du von der Fabrik, als würde sie dir bereits gehören. Ich glaube nicht, dass das deinem Vater gefallen würde. Du solltest vorsichtiger sein«, warnte sie ihn mit sanfter Stimme.

Fernando wirbelte sie herum und nahm ihr Kinn zwischen die Finger. Er liebte die großen neugierigen Augen, ihr intensives Grün. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, und jedes Mal wenn sie sich trafen, war es wie ein Blitzschlag.

»Mach dir darüber keine Gedanken. Die Central Santa Sophia gehört meiner Familie und damit auch mir.« Er küsste sie flüchtig. »Als kleiner Junge habe ich oft davon geträumt, die Welt zu sehen. All die großen Städte und Restaurants, in die unser Zucker verschickt wird.«

»Das klingt schön.«

»Ich lerne gerne neue Gegenden kennen und habe das Gefühl, dass es an der Zeit ist, meinem Vater zu beweisen, wozu ich fähig bin. Früher war er monatelang unterwegs und kam mit Koffern voller Geschenke zurück. Das ist ihm mittlerweile zu mühsam. Seit Jahren möchte ich die Zügel der Firma in die Hand nehmen«, sagte er, wirkte jedoch plötzlich zögerlich, als er sie ansah.

»Aber?«, fragte Eva und nahm seine Hand, während sein Blick auf ihr ruhte.

»Jetzt gibt es dich«, sagte er ernst, »und ich bin dafür verantwortlich, auf dich zu achten und dich glücklich zu machen. Das will ich unbedingt.«

»Und das kannst du, ohne auf alles verzichten zu müssen, was du liebst, und ohne deine Persönlichkeit aufzugeben«, antwortete sie. Gemeinsam dachten sie an ihr zukünftiges Leben in der Villa Santa Maria, an die Kinder, die sie haben wollten, an das Lachen, das die Räume erfüllen würde. In Momenten wie diesen wurde Eva von ihren eigenen Gefühlen übermannt. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wie es wäre, jemanden so zu lieben.

Plötzlich wurde sie blass, und sie musste sich an der Balustrade festhalten, die den Garten der Villa umgab.

»Alles in Ordnung?«

Sie schüttelte den Kopf und presste ihre Hand auf den Mund, um gegen die Übelkeit anzukämpfen. Ihr war schwindlig, und ihr Herz klopfte wie wild.

Fernando legte ihr den Arm um die Taille und tupfte ihr die Stirn ab, doch Eva hatte in diesem Moment keine Augen für ihn. In einiger Entfernung hatte sie zwei Gestalten entdeckt, die miteinander sprachen. Einer der Männer war ihr zukünftiger Schwiegervater, der andere Mann ihr Verlobter. Sie atmete tief durch.

»Wir müssen mit dem Versteckspiel aufhören, Fernando, das dürfen wir Miguel nicht antun. Wir müssen es ihm sagen.«

»Das werden wir.«

»Wann?«

»Bald.«

»Wir spielen ein gefährliches Spiel. Miguel ist mein Verlobter und dein bester Freund.« Eva spürte, wie sich das schlechte Gewissen in ihrer Brust breitmachte.

»Ich weiß.«

»Ich habe es satt, ständig zu überlegen, wie ich ihm sagen soll, dass ich ihn nicht heiraten werde, dass ich dich liebe und ein Kind von dir erwarte.« Sie ballte verzweifelt die Fäuste. »Es gibt keine gute Art, ihm das zu sagen. Und noch länger zu warten, wird ihn nur wütender machen. Ich habe Miguel wirklich geliebt und möchte ihm das nicht antun.«

Sie wandte den Blick ab. Jede Minute, in der Miguel Ferrer sich rühmte, sie zu heiraten, war eine Last für sie. Ihre Mutter wäre fuchsteufelswild, und ihr Vater würde sich in seiner Ehre gekränkt fühlen. Er hatte der Familie Ferrer sein Wort gegeben, und sie hatte es gebrochen. Fernando sah sie verzweifelt an. Wie jedes Mal wenn sie über das Thema sprachen. Er würde nie begreifen, wie schwierig das alles für sie war, für eine Frau mit einem Namen, der so schwer wog.

Ein Windstoß ergriff den Garten und streifte zwei hohe Palmen, deren Blätter sich sanft zum Rhythmus der Brise wiegten. Fernando und Eva wurden vom Duft der blühenden weißen Lilien und den Dutzenden vielfarbiger Orchideen eingehüllt.

»Miguel ist mein bester Freund, er wird es verstehen. Er muss es verstehen«, entgegnete Fernando. »Nichts von alldem ist mit böswilliger Absicht geschehen, er wird es einsehen, selbst wenn er etwas mehr Zeit braucht.«

»Nein, er wird es nicht verstehen. Du kennst die Familie Ferrer nicht so wie ich. Mein Vater macht seit Jahren mit ihnen Geschäfte. Und eines habe ich über sie und über Miguel gelernt: Die Ferrers geben nicht auf, und sie verlieren auch nicht. Niemals«, sagte sie und schaute ihm fest in die Augen. »Und ich sage dir noch mehr: Die Ferrers haben unsere Familie nur als Geschäftspartner in Betracht gezogen, weil sie nach dem Bruch mit der Jones Ltd. nichts mehr mit Amerikanern zu tun haben wollten. Dass mein Vater aus Italien kommt, hat seinen Einstieg ins Geschäft erst ermöglicht. Wenn er rote Haare hätte wie meine Mutter und dazu ihren Bostoner Akzent, dann hätten wir keine Chance gehabt.«

Fernando machte einen Schritt zurück und vergrub die Hände in den Taschen seiner kakifarbenen Leinenhose. Er blickte hinüber zu Miguel, der sich bei seinem Vater untergehakt hatte. Sein Freund aus Kindertagen hatte schon immer ein hitziges Temperament gehabt.

»Die Ferrers haben die Jones Ltd. in den Bankrott getrieben und dafür gesorgt, dass niemand auf der Insel mehr Geschäfte mit ihnen machen wollte.« Eva atmete tief durch. Sie hatte Fernando bisher nichts davon erzählt, um ihn nicht zu beunruhigen. Doch er musste wissen, worauf er sich einließ, wenn er weiter mit ihr zusammenblieb. »Wenn unsere Beziehung ans Licht kommt, werden sie das Gleiche mit euch machen.«

Fernando schüttelte vehement seinen Kopf. »Nein, ich werde gleich morgen mit Miguel sprechen und ihn zur Vernunft bringen.« Er runzelte die Stirn. Das würde der schlimmste Tag seines Lebens werden. »Ich weiß, dass mein Vater mit den Ferrers ein großes Zuckerkonsortium gründen möchte und deine Familie beim Bau der Eisenbahn unterstützen will. Ich werde ihn vorher abpassen und mit ihm und Miguel sprechen und ihnen alles erklären. Wenn sie dann immer noch einen Vertrag schließen wollen, ist das gut für alle. Aber selbst wenn es zu keiner Einigung kommt: Wir haben viele internationale Kunden, denen es egal ist, ob die Ferrers uns in Kuba den Krieg erklärt haben. Was auch immer passiert«, er nahm Evas Gesicht in seine Hände, »wir werden uns niemals trennen. Auch wenn die Ferrers uns das Leben zur Hölle machen, wir bleiben zusammen.«

»Das wird nicht leicht, Fernando. Mein Vater hat eine Vereinbarung mit ihnen getroffen.«

»Für mich bist du die zukünftige Signora Fontamara, nicht Signora Ferrer. Ich weiß, wo meine Prioritäten liegen.«

Eva vergrub das Gesicht in seinen Händen und seufzte. Er wollte es einfach nicht verstehen. »Miguel wird uns das niemals verzeihen.«

Fernando schaute zu, wie Miguel und sein Vater mit leeren Gläsern lächelnd auf die Tür zugingen, und seufzte. Plötzlich erkannte er in diesem Mann mit dem dunklen Bart und dem hochmütigen Lächeln nichts mehr von dem Jungen, mit dem er zwischen den Zuckerrohrpflanzen gespielt hatte. Ihre komplizenhafte Freundschaft, die seit zwanzig Jahre Bestand hatte, drohte zu zerbrechen.

Er schob die Gedanken beiseite und wandte Eva den Rücken zu. Über ihnen brach langsam die Nacht herein.

»Falls das geschieht, dann war seine Freundschaft wohl nicht so aufrichtig, wie er immer gesagt hat. Und seine Liebe zu dir reine Lust am Besitz.«

»In jedem Fall wird es ein schrecklicher Schlag für ihn werden. Seine Braut an seinen besten Freund zu verlieren, ist etwas, das man nicht so leicht vergisst.«

»Aber wir müssen auch an unser Glück denken.« Er zog sie an sich und blickte in ihre smaragdgrünen Augen.

Eva lächelte. Für heute war es genug. Sie musste aufhören, sich wegen etwas Sorgen zu machen, das sie ohnehin nicht ändern konnte. Sie legte ihre Hände auf Fernandos Brust, auf den Stoff, der sie von seiner warmen Haut und dem heftig schlagenden Herzen trennte.

»Lia hat mir heute aus dem Kaffeesatz gelesen und mir Glück prophezeit. Sie meinte, wir würden glücklich und hätten viele Kinder, das waren ihre Worte.«

Mit einem Mal fühlte sie sich wieder wie das sorglose junge Mädchen, das nackt im Fluss schwamm, das barfuß durchs Haus lief. Das junge Mädchen, das sich in der Stille einer Sommernacht auf Fernando eingelassen hatte. Aus dieser einzigen Begegnung war ein neues Leben entstanden, das ihm helfen musste, den Sturm zu überstehen, der über ihn und seine Familie hereinbrechen würde.

»Ich sehe dich vor mir, wie du unseren Sohn in den Armen hältst und ihn wiegst«, flüsterte Fernando ihr zu, während aus der Ferne die Geräusche aus der Villa zu ihnen drangen. In der Küche wurde das Abendessen zubereitet, und der Duft nach karamellisierten Bananen und Kokosreis lag in der Luft. Dazu mischte sich der intensive Geruch nach Geflügel mit kreolischer Sauce. »Und bevor das passiert, bevor unser Sohn das Licht der Welt erblickt, möchte ich dich heiraten, Eva. Noch vor Ende des Sommers, ich verspreche es dir, gleich morgen werde ich mit deinem Vater sprechen. Und ich möchte dich nach Italien bringen, damit du dort meine Brüder Tommaso und Giacomo kennenlernst. Ich möchte dir all das Schöne zeigen, von dem du mir immer vorgeschwärmt hast. Und vor allem möchte ich Kinder mit dir, die dieses Haus mit ihrem Lachen erfüllen. Nichts anderes ist mir wichtig.« Er strich ihr über die kaum sichtbare Wölbung ihres Bauches, bevor sie ihn umschlang und sich diesem Traum hingab.

1

September, 1936

Die Nachmittagssonne brannte vom Himmel, und Trägheit lag über der ganzen Region. Seit Tagen war es windstill, und die Menschen waren überreizt und lustlos. Aufgrund der hohen Temperaturen und der schweren Arbeit gehörten Schlägereien auf der Plantage zur Tagesordnung. Gleiches galt für die Fabrik, wo die Hitze der Maschinen in den Lungen brannte und die Lage von Tag zu Tag angespannter war. Allein in der vergangenen Woche hatte es drei Messerstechereien mit einem Toten gegeben. Es war eine schreckliche Zeit, der Boden staubte unter den Sohlen, und Fliegenschwärme umschwirrten Mensch und Tier.

In der Nacht allerdings zeigte die Welt ihr schönstes Gesicht, schenkte den Menschen eine leichte Brise, man feierte und tanzte bis zum Morgengrauen barfuß unter dem Sternenzelt. Man saß am Feuer, und bei einem Glas Rum lösten sich die Zunge und die Sorgen.

»Wie fern die Nacht ist«, sagte Eva leise und presste ein gekühltes Tuch in den Nacken.

In der Villa Santa Maria war kein Geräusch zu hören, wie immer zu dieser Zeit. Manuela, die Köchin, machte nach den Vorbereitungen für das Abendessen im Sessel in der Küche ein Nickerchen, Marisol, das Kindermädchen, schlief neben der kleinen Clio unter dem Moskitonetz, Gabriel hatte sich im Arbeitszimmer des Vaters eingeschlossen und las verbotenerweise die Gedichte von Pablo Neruda. Diana und Myriam hingegen hatten ihre Beine bis zu den Knien ins kalte Wasser des Flusses getaucht, der sich an der Villa vorbeischlängelte, und tauschten lachend ihre Jungmädchengeheimnisse aus.

Eva stand am Fenster, blickte auf das Fabrikgebäude und fuhr mit der Fingerspitze über den silbernen Rahmen ihres Hochzeitsfotos. Auf der Kommode standen Bilder der Kinder, die Fernando aufgenommen hatte. Doch in die großen runden Augen seiner kleinen Tochter Clio hatte er nie geblickt. Clio war noch in Evas Bauch gewesen, als ihr Vater auf der anderen Seite des Ozeans verstorben war. Eva hatte ihren Schwiegervater gebeten, ein Foto ihrer Tochter zu machen, und das war ganz anders als die der älteren Kinder. Clio wirkte stolz, als müsste sie das Fehlen des Vaters kompensieren. Ihre Geschwister erzählten gerne von ihm, und Clio sog all diese Geschichten begierig auf.

Seit Fernandos Tod waren bereits vier Jahre vergangen, doch noch immer spürte Eva seine Abwesenheit jeden Tag. Sie wusste genau, dass sie mehr hatte, als manche sich erträumen konnten: eine wunderbare Familie und die Freiheit, an einem Ort zu leben, in dem die Kinder barfuß durchs Haus laufen und auf Bäume klettern konnten. Gabriel, Diana, Myriam und Clio durften frei aufwachsen. Und auch sie war inzwischen frei.

Sie verließ das Haus, streifte die Schuhe ab und ging zu den Zuckerrohrpflanzen, die ihr Grundstück begrenzten. Die regenfeuchte Erde unter ihren Füßen zu spüren, machte sie glücklich, genau wie das Wehen des Windes und das Rauschen der Blätter.

Doch wenngleich sie den Schmerz überlebt hatte, war sie nicht mehr dieselbe. Plötzlich hatte alles an Farbe verloren, die Menschen, die Firma, ihre Beziehungen. Alles war blass geworden.

Während sie in Gedanken in diese schwierige Zeit zurückkehrte, drängte eine ungeliebte Erinnerung an die Oberfläche. Eine Erinnerung an die einzige Nacht, die sie mit Miguel verbracht hatte. Sie hatten sich auf dem Silvesterball getroffen, inmitten von Menschen, die nur an das Morgen dachten, und hatten beim Feuerwerk schweigend nebeneinander gestanden, während um sie herum euphorisch das neue Jahr begrüßt wurde. Sie hatten sich angesehen, sich zugeprostet, und sein Lächeln hatte sie verzaubert.

Eva schob das Bild beiseite und kreuzte die Arme über der Brust, lauschte ihrem eigenen Atem und bemühte sich, die Erinnerung abzuschütteln. Erst heute Morgen hatte sie einen zusammengeknüllten Zettel gefunden, auf dem in wenigen Worten gestanden hatte, dass Catalina Suarez, Miguels Frau, gestorben sei.

Und dann sah sie ihn auf sich zukommen.

»Ich wusste, dass ich dich hier finde. Du kommst immer hierher, wenn du Sorgen hast.«

»Miguel«, begrüßte sie ihn und richtete sich stolz auf. »Und weil du mich so gut kennst, weißt du auch, dass ich nicht gerne überrascht werde.«

»Komm, Eva, wir kennen uns mittlerweile so lange, dass ich weiß, wie sehr du die Einsamkeit liebst, aber Überraschungen durchaus schätzt.«

»In diesem Augenblick nicht.«

Er nahm den Hut ab und hielt ihn in seinen Händen, die schwielig waren von der Arbeit auf den Feldern.

»Hast du kein Mitleid mit einem Witwer? Ich hatte von dir etwas mehr Nächstenliebe erwartet. Dein Vater war ein guter Katholik und hat dich auch so erzogen, das weiß ich.«

»Wenn du nach Trost suchst, findest du ihn in der Kirche, Don Felipe wird dir gerne zur Seite stehen.«

Miguel schaute in ihre sich rasch bewegenden Katzenaugen und schüttelte den Kopf. »Du fällst nie aus deiner Rolle als trauernde Witwe, oder?«

»Vor allem verstehe ich nicht, was du von mir willst«, antwortete sie abweisend. »Du hast deine Frau verloren, und statt an der Seite deines Sohnes zu sein, bist du hier.«

»Was wirfst du mir vor, Eva? Es ist kein Geheimnis, dass ich meine Frau nicht geliebt habe. Das weiß selbst Enrique, er ist ein kluger Junge.«

Eva hörte ihm schweigend zu. »Was für ein Mensch bist du bloß, Miguel Ferrer.«

»Einer, den du hättest heiraten sollen.«

»Nun, ich habe damals eine Entscheidung getroffen und sie nicht bereut.«

»Dinge ändern sich.«

»Nicht für mich.« Sie wich einen Schritt zurück.

Miguel lächelte. »Unsere gemeinsame Nacht straft dich Lügen.«

»Also, was willst du?«, ereiferte Eva sich voller Scham und Wut.

Ein Vogelschwarm flog auf in Richtung Meer, gen Westen, und es rauschte über ihren Köpfen. Miguel wartete, bis sie verschwunden waren, und streckte dann den Arm nach Eva aus.

»Ich habe dich Fernando überlassen, weil er mein bester Freund war. Ich habe immer gewusst, dass es etwas zwischen euch gab, gegen das ich nicht ankam. Es war unausweichlich, und ich habe es akzeptiert. Mein Leben ging weiter, ich habe geheiratet und ein Kind bekommen. Unser persönlicher Kleinkrieg sollte also zu Ende sein. Warum willst du mich nicht?«

»Es geht einfach nicht, Miguel.«

Er ließ die Arme sinken. »Hast du mich jemals geliebt?«

»Ich werde auf solche Fragen nicht antworten. Unser Gespräch endet hier.«

Als sie ihm den Rücken zudrehte, packte er sie am Arm und wirbelte sie herum. »Weil du noch etwas für mich empfindest? Willst du mir deshalb nicht antworten?«

»Nein, weil ich immer noch eine verheiratete Frau bin.«

Mit diesen Worten machte sie sich los und verschwand zwischen den Zuckerrohrpflanzen.

2

Am Tag des Begräbnisses von Catalina Suarez fegte ein schweres Unwetter über die Provinz Las Villas. Es war die Zeit der Stürme, die unvorhersehbar und voller Zerstörungskraft über das Land brachen. Die Pflanzen auf den Feldern bogen sich unter dem Wind, die Palmen näherten sich gefährlich den Fenstern der Villa, der Sturm heulte.

Eva nahm die schwarzen Spitzenhandschuhe vom Tisch, die ihrer Schwiegermutter Sophia gehörten und die sie Diana, ihrer ältesten Tochter, geben wollte.

»Meinst du wirklich, Diana sollte an Catalinas Beerdigung teilnehmen?«, fragte Eva an Sophia gerichtet, die gerade ins Wohnzimmer trat und sich kritisch in dem großen Spiegel musterte.

Die Frisur war nicht perfekt, und das schwarze Kleid war nicht so gebügelt, wie es dem Anlass angemessen war. Zum Glück war sie noch immer eine faszinierende Frau, und die kleinen Fehler fielen nicht weiter auf.

Eva räusperte sich. Ihre Schwiegermutter wandte sich um und lächelte sie an, dabei nahm sie die Handschuhe in Empfang.

»Unsere Diana ist ein störrisches Mädchen, genau wie ihr Vater mit sechzehn Jahren. Eine junge und schöne Rebellin!« Ihre himmelblauen Augen nahmen einen melancholischen Ausdruck an.

»Eben. Die Tatsache, dass sie Fernandos Tochter ist, macht die Sache noch schlimmer, das könnte zu einer peinlichen Situation führen. Diana sollte lieber hierbleiben, denk an unser schlechtes Verhältnis zu den Ferrers.«

»Du vergisst, dass Catalina eine Suarez war. Mit den Suarez haben wir uns immer gut vertragen«, korrigierte sie Sophia. »Sie alle waren bei Fernandos Beerdigung, wenn ich mich recht erinnere. Catalinas irdisches Leben mit einem Ferrer war die Hölle, wir sollten sie wenigstens auf ihrem letzten Weg in Frieden und Eintracht begleiten.« Sie seufzte. »Wenn ich bloß an ihren armen Sohn Enrique denke, es muss schrecklich für ihn sein.«

»Wie für jedes Kind, das Vater oder Mutter verliert. Deshalb sollte Diana auch lieber in der Villa bleiben. Die Beerdigung wird sie an Fernandos Tod erinnern, es gibt keinen Grund, sie dem auszusetzen.«

»Sind Mitleid und Mitgefühl nichts mehr wert?«, schaltete sich plötzlich Diana ein, die unbemerkt ins Zimmer gekommen war. Trotz ihrer sechzehn Jahre konnte man bereits die Frau erkennen, die sie einmal werden würde.

»Zu den Qualitäten, die eine Frau besitzen sollte, gehört unter anderem gesunder Menschenverstand, meine Liebe«, warf Eva ein, »und deine Unnachgiebigkeit verrät in dieser Hinsicht einen gewissen Mangel.«

Sophia klatschte resolut in die Hände. »Es reicht mit den Spitzfindigkeiten. Pedro wartet draußen, und wenn wir uns nicht beeilen, beginnt die Trauerfeier ohne uns. Wo ist deine Tante, Diana?«

»Sie ist noch oben und sucht einen passenden Mantel.«

Sophia schlug die Schirmspitze auf den Boden. »Du liebe Güte, wir gehen auf eine Beerdigung! Welchen Mantel soll man da schon wählen? Den dunkelsten, den man hat!«

Die Uhr schlug zur vollen Stunde, Sophia und Diana sahen ungeduldig zur Treppe.

»Ich schau mal nach«, sagte Eva und stieg rasch die Stufen hinauf. Sie fand ihre Schwägerin vollständig angezogen auf dem Bett sitzend, neben sich eine leere Tasse Kaffee, aus der sie den Kaffeesatz las.

Eva seufzte. »Was hast du gesehen?«

Lia schaute sie mit verweinten Augen an, ihre Lippen zitterten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren, war sie die zarteste der Fontamaras. Als Baby hatte sie nur knapp eine schwere Lungenentzündung überlebt. Kurz bevor sich die Türen des Jenseits hinter ihr schließen konnten, war sie ins Leben zurückgekehrt. Seitdem besaß sie die Fähigkeit zu »sehen«, konnte im Kaffeesatz oder in den Tarotkarten lesen.

Jetzt packte sie die Hände ihrer Schwägerin und drückte sie mit unvermuteter Kraft: »Alles wird sich ändern, Eva, alles«, flüsterte sie. »Hier steht es, ich habe es gesehen.« Sie sprach schnell, griff nach einem Taschentuch, draußen heulte der Wind und holte die letzten Blätter von den Bäumen und färbte die Wiesen rot. Der Himmel war pechschwarz, und in der Kirche La Virgen del Rosario läuteten die Totenglocken.

Beim ersten Schlag trat Lia ans Fenster und riss die Augen auf. »Catalinas Tod ist erst der Anfang. Heute beginnt alles.«

Eva verdrehte die Augen. Es war nicht leicht, Lia und ihre Visionen zu verstehen.

»Und was beginnt?«

Die Schwägerin legte ihre Hände auf Evas und lächelte ihr unter Tränen zu. »Ein neues Leben, weit weg von hier. Ein Leben, von dem wir nichts wissen. Alles wird sich ändern, und wir können nicht zurück. Ich habe Angst, Eva, große Angst.«

»Wir werden nicht von hier weggehen, die Villa ist unser Zuhause. Niemand wird uns von hier wegschicken, verstehst du?«

»Aber …«

»Manchmal kann uns das Schicksal verwirrende Nachrichten schicken, doch das darf uns nicht lähmen. Sophia und Diana warten auf uns, lass uns gehen.«

Wieder unten angekommen, setzte sie Lia zu ihrer Mutter auf die Rückbank von Alfredos Daimler und schaute dem Auto nach, bis es hinter einer Kurve verschwunden war. Eva stand auf der Schwelle der Villa und fragte sich, ob die bedrohlichen Wolken oder Lias Worte ihr Angst machten.

»Was immer passiert, ich bin an deiner Seite. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, einen Elternteil zu verlieren. Ich weiß, wie sehr du leidest.«

Enrique löste seine Hände von Dianas, sein Gesicht brannte. Er schien in seiner Jacke fast zu versinken. Sie gehörte seinem Vater, der darauf bestanden hatte, dass er sich wie ein Mann kleidete, dabei hatte er sich bis vor wenigen Wochen noch nicht einmal rasiert. Wie versteinert saß er auf der Bank in Don Felipes Hinterhof und starrte auf den Pfarrgarten.

Der Himmel war wieder blau, und von dem Unwetter, das während des Gottesdienstes gewütet hatte, blieben nicht mehr als ein paar Schlammpfützen auf der grünen Wiese. Die Farben des kleinen Obstgartens leuchteten wieder. Vom satten Grün der Vegetation hoben sich das Orange der reifen Mangos und das Rot der Tomaten ab, während die üppigen Dolden der violetten Trauben unter dem Schutz des Blätterdachs zu schlummern schienen.

»Nein, Diana, das weißt du nicht«, stammelte der Junge.

Diana schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich habe vor vier Jahren meinen Vater verloren. Das war ein harter Schlag, von dem sich keiner aus unserer Familie erholt hat«, sagte sie leise.

»Das ist etwas anderes. Deine Eltern haben sich geliebt. Und wenn einer von beiden geht, bleibt dir immer noch die Liebe des anderen. Bei mir ist das anders. Mein Vater hasst mich, und ich hasse ihn.«

»Mit meiner Mutter zu leben, ist auch nicht das Gleiche. Mein Vater war ein ganz besonderer Mensch«, sagte Diana und blickte in den Himmel.

»Ich erzähle dir lieber nicht, wie besonders mein Vater ist. Du würdest dich wundern.«

»Enrique, rede nicht so über deinen Vater.«

»Du kennst ihn nicht. Der Mann ist ein Monster, glaub mir.«

»Er ist dein Vater«, sagte sie knapp. Sie schaute den Jungen an, den sie seit zwei Jahren im Geheimen liebte. »Das ist nur der Schmerz, der aus dir spricht. Es wird nichts mehr wie früher, das stimmt, aber irgendwann wird es auszuhalten sein. Man lernt, damit zu leben. Eines Tages wirst du wieder lachen können, auch wenn am Weihnachtsabend ein Platz am Tisch leer bleibt.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange und lächelte. »Du wirst dich daran gewöhnen, auch wenn es dir jetzt unmöglich erscheint, mit deinem Vater allein zu leben.«

Er atmete tief durch. »Nein, ich werde mich nie daran gewöhnen, dass meine Mutter nicht mehr da ist. Seit heute bin ich Waise, ich habe keine Familie mehr. Ich hatte nur sie auf der Welt, und nichts und niemand wird meine Gefühle für Miguel Ferrer verändern. Er hat meine Mutter seit Jahren betrogen, und wenngleich sie es wusste, hat sie nie ein Wort darüber verloren. Nie, verstehst du? Wie soll ich für einen solchen Menschen etwas empfinden? Wie soll man sich da nicht verloren fühlen?«

Enriques Wut nahm ihr fast den Atem, und sie fühlte sich wieder an den Tag zurückversetzt, als ihr Vater gestorben und ihre Welt in sich zusammengebrochen war. Sie dachte an die Wut auf ihre Mutter, an ihre Großmutter, die sie in den Arm genommen hatte, an ihren Großvater, der sich am Abend mit einem Glas Madeira in sein Arbeitszimmer eingeschlossen und alte Fotos angeschaut hatte. Sie erinnerte sich an jedes einzelne Detail, tauchte wieder tief in das Dunkel der Vergangenheit ein, Enriques Hand hielt sie dabei fest umklammert.

»Es tut mir so leid«, sagte sie leise und legte ihren Kopf auf seine Schulter, während die Vögel zwitschernd zwischen den Hibiskussträuchern umherflogen. Sie fragte sich, was wirklich in Enrique vorging. Zwar lächelte er ihr hin und wieder zu, doch sein Blick war leer. Während des Gottesdienstes war er ein paarmal ganz blass geworden, und Diana hatte ihn nach draußen begleitet und sich mit ihm in den Garten gesetzt, statt dem Trauerzug bis zum Grab zu folgen, damit er nicht sah, wie der Sarg seiner Mutter in der Erde verschwand.

Diana verstand das. Noch immer weinte sie um ihren Vater, träumte oft, er würde ihr einen Gutenachtkuss geben, und manchmal schloss sie sich stundenlang in seinem Büro in der Zuckerfabrik ein, um den Duft seiner geliebten Zigarren zu riechen und seine Anwesenheit zu spüren. »Die Trauer«, erklärte sie nach einer langen Pause, »ist wie eine chronische Krankheit. Sie ist immer da, sie schlummert im Verborgenen, dagegen gibt es keine Medizin. Der Schmerz bleibt und kommt immer dann an die Oberfläche, wenn du am wenigsten damit rechnest. Das ist schrecklich, und du glaubst zu sterben. Dann aber gibt es wieder Zeiten, in denen die Trauer sanfter ist – etwa wenn du während der Ernte auf die Terrasse trittst und den süßlichen Zuckerduft einatmest, den er ebenfalls so geliebt hat. Such etwas, worin du deine Mutter wiederfindest, das wird dir helfen.«

Enrique dachte eine Weile darüber nach und küsste sie auf den Nacken.

»Womit habe ich das verdient«, fragte sie mit einem koketten Lächeln.

Daraufhin nahm er ihre Hand und zog sie in Don Felipes Werkzeugschuppen am Rand des Gartens. Früher hatte hier Don Felipes Pferd Byron gestanden, das er aus Argentinien mitgebracht hatte. Fast jedes Kind in Las Villas hatte mal auf seinem Rücken gesessen.

»Das erste Mal, als ich dich gesehen habe, hast du auf einem Pferd gesessen. Du warst noch ganz klein«, sagte Enrique. »Du trugst ein blaues Kleid mit weißem Spitzenkragen und hattest die Haare offen. Dein rebellischer Geist hat sich sehr früh gezeigt.«

»Ich bin nicht rebellisch, ich mag meine Haare einfach nicht zusammengebunden. Ich bin stolz auf sie.« Diana wickelte sich eine Locke um den Finger.

»Ich weiß, und mit dem gleichen Gefühl hast du auf dem Pferd gesessen. Der Rücken gerade, die Zügel fest umklammert, dein Blick war stolz. Du wirktest wie eine Amazone.«

Diana lächelte und gab sich der Erinnerung an diesen fernen Tag hin. »Ich durfte nur reiten, weil ich meinen Vater nicht in Ruhe gelassen habe«, gab sie zu. »Er konnte mir nichts abschlagen, und deshalb bat er Don Felipe, mich ausreiten zu lassen. Ich glaube, er hat ihm dafür eine Ration Zucker für die Armen versprochen.« Sie wandte sich zu Enrique um. »Das ist eine der schönsten Erinnerungen, die ich an uns beide habe. Was hast du?«

Enrique, der neben der ehemaligen Pferdebox an der Wand lehnte, ging auf sie zu, presste sanft seine Lippen auf ihre und strich ihr zärtlich über die Wange, sog den fruchtigen Duft ihrer Haut tief ein und küsste sie dann noch inniger. »Durch dich fühle ich mich lebendig«, flüsterte er, bevor Diana nach einem weiteren Kuss verlangte.

Ihre Finger gruben sich in seine dunklen Locken, ihre Brust presste sich gegen seinen Körper, ihr Herz raste genau wie seins. Sie konnte Enriques Verlangen spüren und auch ihr eigenes. Sie nahm seine Hand und schob sie unter ihre Bluse, dorthin, wo ihr pochendes Herz war.

»Es schlägt für dich«, sagte sie leise und streichelte sein Gesicht. »Also sag nie wieder, dass du dich allein und verlassen fühlst. Du hast mich.« Sie schaute ihm fest in die Augen, dann küsste sie ihn, woraufhin er ihre Taille umschlang. Diana streifte ihre Bluse ab, Enrique breitete eine Decke auf dem Boden aus und zog sie an sich.

»Hast du Angst?«, fragte er.

»Sollte ich?«

»Nicht wenn du dir deiner Gefühle sicher bist.«

Sie schaute ihm in die Augen und lächelte: »Dann habe ich keine Angst«, sagte sie und überließ sich seiner Umarmung.

3

Als Miguel unvermittelt in ihrem Wohnzimmer auftauchte, umklammerte Eva das Glas Port, das sie in der Hand hielt, fester. Sie legte die Zeitschrift beiseite, in der sie gerade geblättert hatte, stellte das Glas ab und zog den bodenlangen seidenen Morgenmantel enger um sich. Es war kurz nach Mitternacht, im Haus was es still. Die Dienerschaft und die Kinder schliefen längst.

»Darf ich fragen, was du zu dieser Uhrzeit hier zu suchen hast? Wie bist du überhaupt reingekommen?«

Miguel schüttelte den Kopf und kam näher. Er trug noch immer den Anzug, den er beim Gottesdienst getragen hatte, auf den Wangen waren erste Bartstoppeln zu erkennen. Er streifte die Jacke ab. »Lia hat mich reingelassen. Ich weiß, es ist spät, aber ich muss mit dir reden.«

Eva drehte ihm den Rücken zu und schaute durchs Fenster in die Nacht. Abertausende Sterne standen am Himmel, und die Landschaft schien in silbernes Licht getaucht. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und räusperte sich. »Es tut mir leid, dass du den langen Weg umsonst gemacht hast, aber bitte geh jetzt. Sofort.«

»Erst muss ich dich etwas fragen.«

Sie wandte sich ihm zu und zog die Augenbrauen hoch. »Du bist seit nicht mal zwei Tagen Witwer, und schon tauchst du hier auf. Was immer du im Sinn hast, es wird nicht funktionieren.«

»Ich hatte auf das Gegenteil gehofft.«

»Mach dir keine Illusionen.«

Er zuckte mit den Schultern und fuhr mit dem Finger die Krempe seines Hutes nach.

»Ich weiß, dass du dich gerne versteckst.« Er goss sich einen Port ein. »Ich kenne deinen Charakter und weiß, wie viele Gesichter du haben kannst. Dabei steckt unter dem schönen Schein noch immer das junge Mädchen, in das ich mich vor sechzehn Jahren verliebt habe.«

»Du irrst dich.«

Miguel betrachtete seine Hände und leerte sein Glas. »Ich habe die Freundlichkeit und das Mitgefühl meiner Gäste strapaziert, um heute Abend zu dir zu kommen. Ich weiß genau, was ich tue.«

Eva seufzte, dieses Katz-und-Maus-Spiel war unerträglich. Sie goss sich noch ein großes Glas Port ein und trank einen Schluck, bevor sie sich in den Sessel fallen ließ.

»Auf uns!« Miguel prostete ihr zu.

Sie sah ihn an. »Trink ruhig meinen Wein, wenn du magst, aber falls deine Frage dieselbe ist wie vor Jahren, dann kennst du meine Antwort. Hör zu, Miguel …«

»Nein, du hörst mir jetzt zu. Catalina ist tot, und das tut mir leid. Doch jeder weiß, dass unsere Ehe eine Farce war. Bei dir hingegen war es anders, du hast Fernando geliebt, und deshalb möchte ich mich für mein Verhalten in der Neujahrsnacht entschuldigen. Ich hätte das nicht tun sollen, du warst verletzlich und es war unsensibel, doch mittlerweile hat sich die Situation verändert. Wenn du willst, können wir auch noch einige Monate warten, bis die bösen Zungen Ruhe geben.«

Eva leerte ihr Glas in einem Zug. Die Flüssigkeit brannte ihr im Magen, egal, sie musste vergessen. Ihren Mann, Miguels Hände in jener Nacht, die Leidenschaft, mit der sie sich einander hingegeben hatten. Es war reine Lust gewesen, ohne jedes echte Gefühl.

»Miguel, du weißt, wie schwer es mir fällt, über dieses Thema zu sprechen.«

Miguel griff nach ihren Händen. »Ich weiß. Aber ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt, und ich habe nie damit aufgehört. Nicht einmal, als du meinen besten Freund geheiratet und Kinder bekommen hast. Ich war verletzt, ja. Deshalb habe ich mich an Fernandos Fabrik gerächt. Ein Wort von dir hätte genügt, um mich zu besänftigen.« Eva bemerkte, wie seine Hände zitterten, als er weitersprach. »Jetzt ist die Situation eine andere, wir müssen uns nicht mehr bekriegen. Wir können das Leben führen, das uns vor Jahren genommen wurde. Es steht uns nichts mehr im Weg.«

»Im Weg?« Eva erstarrte. »Glaubst du wirklich, dass Fernando uns im Weg stand? Glaubst du wirklich, dass …«, sie hob die Hand, ließ sie dann wieder sinken. »Wie kannst du so etwas nur denken? Und was ist mit Catalina? Mein Gott, Miguel, die Erde auf dem Sarg deiner Frau ist noch nicht einmal trocken, und du sprichst von ihr, als hätte es sie nie gegeben. Was bist du nur für ein Mensch? Du vergießt nicht mal eine Träne für die Frau, die dir einen Sohn geschenkt hat!« Ihre Stimme klang schneidend, und Miguel fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht.

»Ich kann dir sagen, was für ein Mensch ich bin: einer, der gezwungen war, die falsche Frau zu heiraten«, antwortete er nach einer Weile sarkastisch.

Eva seufzte. Es war sinnlos. Miguel würde sie nie verstehen und auch kein Nein akzeptieren. »Miguel, ich bitte dich, sei vernünftig.«

»Das habe ich versucht, und was hat es gebracht? Es hat mich bloß unglücklich gemacht«, antwortete er und kam ihr bedrohlich nah. »Du gehörst mir!« Er zog sie grob an sich. Es dauerte lediglich einen Moment, dann entwand sich Eva seinem Griff.

»Fass mich nie wieder an«, zischte sie leise, und ihren Morgenmantel enger um sich ziehend, ging sie zur Tür und öffnete sie. »Verlass sofort mein Haus und lass dich hier nie wieder blicken.«

»Eva.« Er massierte sich die Schläfen. »Reg dich bitte nicht so auf. Ich habe doch nichts Schlimmes gesagt.«

»O doch. Du denkst anscheinend, ich stünde dir zu Diensten. Aber nicht mit mir.« Sie ballte die Faust. »Ich gehöre weder dir noch irgendjemand sonst. Nicht einmal Fernando habe ich gehört. Er hätte es niemals gewagt, mich wie ein Objekt zu behandeln.« Sie schob Miguel zur Tür hinaus und schloss sie hinter ihm, lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

»Das wirst du bereuen, Eva Fontamara. Das schwöre ich dir!«, hörte sie Miguel vor der Tür noch sagen.

Eva brach in Tränen aus, dann wurde es still.

»Keine Ahnung, was sie gesagt haben, hier kann man nichts verstehen«, sagte Diana, die sich hinter der Balustrade im ersten Stock versteckt hatte, weil sie unbedingt wissen wollte, was zwischen Miguel Ferrer und ihrer Mutter vorging.

»Wir sollten lieber wieder ins Bett gehen. Wenn wir erwischt werden, kriegen wir Ärger«, protestierte Myriam, die hinter ihrer Schwester kauerte. Sie wickelte nervös eine dunkle Locke um ihren Finger und schaute zu Diana, die sich nach vorne beugte, um besser zu sehen. »Das geht uns nichts an. Wir dürfen ihr nicht nachspionieren.«

»Sei nicht so puritanisch, Myriam! Mama sagt uns von morgens bis abends, was wir tun und lassen sollen. Sie wollte mir sogar verbieten, auf Catalinas Beerdigung zu gehen. Und das nur, weil sie vor Ewigkeiten Miguel Ferrer heiraten sollte. Als ob unsere Familien die Montagues und die Capulets des Zuckers wären. Und dann trifft sie sich ausgerechnet mit ihm? Das ist doch wohl sehr merkwürdig, oder?«

Myriam biss sich auf die Lippe, dem selbstsicheren Blick ihrer Schwester konnte sie nichts entgegensetzen. »Wahrscheinlich wollte Mama dir verbieten, zur Beerdigung zu gehen, weil sie vermutet, dass zwischen dir und Enrique etwas ist«, verteidigte Myriam ihre Mutter. »Und sie hat recht, das wissen wir beide. Wenn deine Beziehung zu ihm herauskommt, ist die Hölle los.«

»Denkt doch, was ihr wollt. Ich werde Enrique niemals verlassen. Eines Tages werden wir heiraten, selbst wenn Mama einen Herzinfarkt bekommt.«

Myriam riss die großen grünen Augen auf. »Wie kannst du so etwas sagen, Diana?«, fuhr sie ihre Schwester an, die wie hypnotisiert zwischen den Holzstäben hindurch nach unten starrte.

Diana strich mit den Fingerspitzen über die Unebenheiten des Holzes und holte tief Luft.

»Myriam, warst du jemals verliebt?« Sie hob den Blick, in Gedanken immer noch bei den leidenschaftlichen Gefühlen des Nachmittags.

Myriam sah sie unverwandt an. Seit einiger Zeit hatte sie das Gefühl, ihre Schwester nicht mehr zu verstehen. »Nein, das war ich noch nicht«, sagte sie und fuhr sich durch die langen kastanienbraunen Haare, die ihr bis über die schmalen Schultern fielen.

»Solltet ihr beide nicht längst im Bett liegen?«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihnen.

Diana zuckte zusammen, und Myriam fuhr herum. Ihre Tante sah sie vorwurfsvoll an.

»Wir wollten uns aus der Küche ein Glas Wasser holen, aber dann haben wir bemerkt, dass Mama Besuch hat«, sagte Diana rasch zu Lia, die die beiden misstrauisch musterte.

»Ich will keine faulen Ausreden hören«, wies Lia sie zurecht. »Und jetzt ins Bett mit euch, der Tag war anstrengend.« Sie legte ihren Nichte die Hände auf die Schultern und bugsierte sie in ihr Zimmer. Als sie das Licht löschen wollte, hielt Diana sie am Arm zurück.

»Meinst du, da läuft was zwischen Miguel Ferrer und unserer Mutter?«

Lia sah sie ausdruckslos an. »Wie kommst du darauf?«

»Nun ja, sie schienen sich ziemlich nah zu sein. Da habe ich mich gefragt, ob Mama vielleicht in ihn verliebt ist.«

»Wenn es um Gefühle geht, gibt es keine einfachen Antworten. Außerdem seid ihr noch zu jung …«

»Ich bin kein Kind mehr und Myriam ebenso wenig.«

»Wenn du meinst.« Der jugendliche Eifer ihrer Nichte amüsierte Lia. »Für mich werdet ihr jedenfalls immer Kinder bleiben, egal, wie alt ihr seid.« Sie strich Diana über die Wange, die nach Mandelbutter und Rosen duftete, eine spezielle Mischung, die die Haut vor der sengenden karibischen Sonne schützte. In Lia erkannte Diana ihren Vater wieder – die Geschwister hatten den gleichen freundlichen Blick, die gleichen Grübchen.

Lia löschte das Licht und schloss die Tür hinter sich. Diana starrte an die Decke und dachte nach. Sie hätte gerne noch mit Myriam über das Vorgefallene gesprochen, aber die regelmäßigen Atemzüge neben ihr verrieten, dass ihre Schwester bereits schlief.

Vom Garten drangen Geräusche zu ihr herauf, die Blätter raschelten im Wind, und in der Ferne erklang die Musik aus den Baracken der Arbeiter, die dort trotz der harten Arbeit bis zum Morgengrauen tanzten und billigen Zuckerrohrschnaps tranken.

»Ich kann einfach nicht schlafen«, murmelte sie, schob die Decke beiseite und stand auf. Als sie die Läden öffnete und auf den Balkon trat, presste sich plötzlich eine Hand auf ihren Mund, und ein starker Arm legte sich um ihre Brust.

»Entschuldige, ich dachte, du schreist«, flüsterte Enrique.

»Bist du verrückt? Weißt du, was hier los ist, wenn man dich erwischt?«

»Das ist mir egal. Ich wollte mir mit dir die Sterne ansehen. Und diesen herrlichen Mond. Du hast mir gefehlt.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Plötzlich waren alle Sorgen wie weggewischt, und Diana erwiderte den Kuss leidenschaftlich.

Die Augen, die sie durch das Fenster fixierten, sah sie nicht, und auch nicht die Tränen auf dem Kopfkissen.

4

April, 1937

Alles war vorbereitet. Marisol stand seit Tagen am Herd und kochte für das Bankett, das zu Ehren von Evas Geburtstag stattfinden sollte und zu dem alle Familien aus Las Villas, die Rang und Namen hatten, eingeladen waren.

Alle bis auf die Ferrers.

Nach dem Tod seines Sohnes Fernando hatte ihr Schwiegervater Alfredo wieder die Geschäfte übernommen. Es war nicht leicht, weil ein Parasit die Pflanzen befallen hatte. Die Ernte fiel so schlecht aus, dass die Bestellungen aus Europa nur schleppend oder gar nicht erfüllt werden konnten.

»Wir können die Arbeiter kaum noch bezahlen. Alfredo denkt darüber nach, das Grundstück zu verkaufen, das Fernando erworben hat, bevor er nach Italien gereist ist«, sagte Eva und bat Carlos, die rechte Hand ihres Schwiegervaters, Platz zu nehmen. Er schlug die Beine übereinander und fixierte Eva, die nervös vor ihm saß.

»Dein Schwiegervater ist verzweifelt, und ich hoffe bei Gott, dass sein Herz, das ohnehin stark belastet ist, das alles noch mitmacht.« Sie schaute auf den Tisch, auf dem ein Brief lag, eine Mahnung ihres Schwagers aus Italien. »Ich erlebe einen Albtraum, Carlos, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«

Sie seufzte und schloss die Augen, um ihre Kopfschmerzen im Zaum zu halten, die sie seit Tagen plagten. Durch das offene Fenster drang das Plaudern der Männer und Frauen herein, die mit den Vorbereitungen für das abendliche Fest beschäftigt waren. »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, wiederholte sie und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Nun, was immer es ist, heute solltest du jedenfalls nicht darüber nachdenken.«

»Soll ich etwa den Kopf in den Sand stecken?«

»Nein, aber etwas mehr Leichtigkeit hat noch niemandem geschadet, Eva«, sagte er mit leisem Vorwurf und griff nach ihren Händen. »Vertrau einem alten Freund, und mach mal eine Pause. Gönn dir heute zur Abwechslung mal ein bisschen Spaß. Das hast du dir verdient.«

Eva zuckte mit den Schultern, den sanften kaffeebraunen Augen ihres Gegenübers konnte sie nichts entgegensetzen. Carlos war der Einzige, dem sie vertraute. Er hatte seine Treue zu den Fontamaras inzwischen bei so vielen Gelegenheiten unter Beweis gestellt, dass er fast zur Familie gehörte. Vor allem hatte er ihr geholfen, ihre Trauer um Fernando zu verarbeiten.

»Gut, ich werde deinen Rat befolgen. Aber nur heute.«

»Tu das«, erwiderte er und ging auf den Balkon. »Wenn du nichts dagegen hast, lass uns einmal nachsehen, wie weit sie mit den Vorbereitungen sind.«

Eva liebte das Haus im kubanischen Stil. Die blau gestrichenen Fenster harmonierten mit den Farben des Himmels, und von der Villa aus konnte man ein prachtvolles Farbenspiel sehen, von dem man anderswo bloß träumen konnte. Es war schön, sich ein Stück Natur ins Haus zu holen: frische zuckersüße Früchte, üppig blühende Blumen, deren Duft sie begierig einsog.

»Du hast recht, Carlos, heute ist ein wunderbarer Tag. Es wäre schade, ihn mit dunklen Gedanken zu ruinieren«, sagte sie und ging mit dem Berater ihres Schwiegervaters in den Garten, wo Diana und Myriam im Schatten des Mangobaums lagen.

»Ich bleibe heute Abend nicht hier«, verkündete Diana. »Ich habe keine Lust, mir von meinem Bruder beim Tanzen auf die Füße treten zu lassen.« Sie hielt den Fächer vor das Gesicht, um sich vor der Sonne zu schützen.

Myriam, die neben ihr lag, schaute in den Himmel. Der Wind streichelte ihre Haut. Seit Monaten hatten die beiden Schwestern kaum Zeit miteinander verbracht, so sehr war Diana von ihrer heimlichen Liebe mit Enrique eingenommen.

In diesem Jahr hatte sich in ihrer Beziehung zu Diana etwas Grundlegendes verändert. Ihre Schwester war plötzlich zur Frau geworden und hatte nun Geheimnisse, die sie nicht mit ihr teilte. Aber die Diana mit den aufgeschürften Knien, die Marisol Süßigkeiten aus der Speisekammer stahl und ihr beim Begräbnis des Vaters die Hand gehalten hatte, fehlte ihr jeden Tag.

»Kommst du mit heute Abend? Ich will auf ein kleines Fest.«

»Ich weiß nicht. Ich überlege es mir.«

»Was gibt es da zu überlegen?« Diana sah zu Clio hinüber, die einem Schmetterling nachjagte. »Du willst doch nicht hierbleiben und auf deine kleine Schwester aufpassen?«

»Warum nicht?«

Myriam erhob sich, um Clio aufzufangen, die gerade gestolpert war. »Pass auf, dass du dir nicht wehtust. Alles in Ordnung?«, fragte sie das kleine Mädchen, das mit seinen schokobraunen Haaren und den meerblauen Augen ein Abbild ihres Vaters war, eine perfekte Fontamara.

»Ja, ich wollte den Schmetterling fangen«, antwortete das Mädchen und deutete auf ein paar weiße Flügel, die sich von den roten Blüten des Hibiskus abhoben.

»Wir können ihn anschauen, aber nicht fangen.«

»Warum nicht?«

Myriam kniete sich neben ihre kleine Schwester und strich ihr über die Wange. »Wenn man sie berührt, können sie nicht mehr fliegen, und ihr Zauber verschwindet. Wollen wir stattdessen eine Runde Rad fahren? Ich trete, und du kannst im Fahrradkorb sitzen, was meinst du?«

Clio musste nicht lange überlegen und streckte ihr die Arme entgegen. Myriam lachte und nahm Clio auf den Arm. Sie wollte gerade gehen, als sie hörte, dass Diana sich räusperte. »Also, wie sieht es aus? Kommst du heute Abend mit, oder bleibst du hier?«

Myriam zuckte mit den Schultern. »Kommt Enrique auch?«

»Natürlich, es war ja seine Idee.«

Myriam seufzte und biss sich auf die Lippe. Die Aussicht, ihre Schwester und Ferrers Sohn leidenschaftliche Blicke austauschen zu sehen, war nicht besonders verlockend. Sie schüttelte den Kopf. »Dann brauchst du keine weitere Gesellschaft. Ich bleibe hier.«

»Juhu«, jubelte Clio und warf die Arme in die Luft.

»Was soll das heißen, du bleibst hier?«, rief Diana empört.

»Wir sehen uns später, Diana«, verabschiedete sich Myriam und ging mit Clio rasch durch den Garten davon. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Diana wollte einfach nicht begreifen, dass sie ihre Schwester zurückhaben wollte, ihre nächtlichen Gespräche und ihre Vertrautheit.

»Warum weinst du?«, fragte Clio und strich mit ihrer kleinen Hand über ihre Wange.

»Ich weine gar nicht. Es ist alles gut«, beruhigte Myriam sie und wischte sich die Tränen weg.

»Aber du bist traurig«, beharrte Clio, die mit ihren fünf Jahren die Gefühle anderer ganz deutlich wahrnahm und sich von ihnen anstecken ließ.

»Nur ein bisschen, meine Prinzessin. Das geht vorbei. Kannst du für mich nachschauen, ob mein Fahrrad im Schuppen steht?«

Clio lachte und lief auf den Schuppen zu, hopste über das Gras, hielt inne, rannte zu Myriam zurück, warf sich in ihre Arme und umarmte sie, so fest sie konnte, ehe sie wieder verschwand.

»Wie gerne wäre ich wie sie«, seufzte Myriam, als sie ihren Bruder neben sich bemerkte.

»Du musst dich einfach nur daran erinnern, wie du damals warst. Unbeschwert und spontan.«

»Und glücklich«, ergänzte sie und griff nach Gabriels Hand. Er war inzwischen zu einem jungen Mann geworden, hochgewachsen und mit den sanften, klugen Augen eines Dichters. »Alles war schöner, als Papa noch bei uns war«, fügte sie hinzu und ließ sich von ihm in den Arm nehmen.

»Ich weiß«, sagte er, »doch jetzt ist Schluss mit den trüben Gedanken. Kommt mit.« Er reichte ihr die Hand und zog sie mit sich.

Die Sonne ging rasch über der Plantage unter und nahm das intensive Orange ihrer Strahlen mit sich. Kurz darauf war der Himmel kobaltblau, durchsetzt von silbernen Sternen.

Im Garten der Villa Santa Maria wurden die letzten Vorbereitungen getroffen, bald würden, in Seide und Spitze gehüllt und mit Fächern gerüstet, die Gäste hereinströmen. Gabriel stand auf der Leiter und versuchte, die Lichterkette im Mangobaum zu befestigen, das andere Ende hatte er um den Stamm einer Palme geschlungen. Er nickte Myriam zu, die den Schalter betätigte, worauf alles in schimmerndes Licht getaucht wurde.

»Ich denke, jetzt ist alles fertig«, sagte Gabriel zu seiner Schwester und sprang von der Leiter.

»Ich würde sagen, es ist großartig geworden«, bekräftigte Myriam. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute zum Fenster ihres Zimmers hinauf, das sie mit Diana teilte. Sie winkte ihr zu, aber ihre große Schwester wandte sich ab und schloss das Fenster.

»Was ist denn mit Diana los, hast du ihr was getan?«, fragte Gabriel verwundert.

»Sie ist sauer, weil ich nicht mit ihr auf ein Fest will.«

»Sie will auf ein Fest? Ist ihr hier etwa zu wenig los?«

»Du kennst sie doch. Diana ist ja nie zufrieden.«

»Und du? Warum willst du nicht mit?«

Myriam pflückte eine Pusteblume von der Wiese und blies hinein. »Es ist kompliziert«, sagte sie schließlich und zuckte die Schultern. Sie wusste nicht, ob sie Dianas Geheimnis preisgeben sollte. Dabei wünschte sie sich nichts mehr, als sich endlich von der Last zu befreien.

»Wenn ich du wäre, würde ich mitgehen. Ich halte dir hier den Rücken frei, bis du wieder da bist.«

»Bist du sicher?«

»Wenn ihr gleich nach dem Abendessen geht, kann ich Mama und Großmutter ablenken. Und wenn sie Fragen stellen, seid ihr eben schon ins Bett gegangen. Ich kann ja sagen, dass Diana sich nicht wohlfühlt und du sie nicht allein lassen wolltest. Einverstanden?«

Myriam seufzte. »Womit habe ich einen Bruder wie dich bloß verdient?«

»Du hast eine schwierige Schwester, genau wie ich. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen.«

Erleichtert fiel Myriam ihm um den Hals. »Habe ich dir schon gesagt, dass du der beste Bruder der Welt bist?«

»Aber behalte Diana im Auge. Ich möchte nicht, dass sie sich in Schwierigkeiten bringt«, flüsterte Gabriel ihr ins Ohr, dann wandte er sich von ihr ab und begrüßte mit strahlendem Lächeln die ersten Gäste des Abends.

Es war ein wahrhaft fürstliches Abendessen. Marisol hatte sich selbst übertroffen. Nach sieben Gängen gab es zum Abschluss eine spektakuläre fünfstöckige Kokos- und Limettencreme-Torte, die über und über mit Früchten verziert war.

Eva entspannte sich zusehends und genoss den Abend. Die Luft war lau, und Carlos goss ihr einen köstlichen Wein ein, während die Lichter den Garten in märchenhaftes Licht tauchten. Sophia erzählte Geschichten von Fernando, die Eva bereits oft gehört hatte. Aber jedes Mal fügte ihre Schwiegermutter ein weiteres Detail hinzu. Eva mochte die Geschichten über Fernando, durch sie fühlte sie sich ihrem verstorbenen Mann näher.

»Was meint ihr, wollen wir tanzen?«, unterbrach Carlos ihre Gedanken und sah zu Lia hinüber, die in ihrem nachtblauen Kleid begeistert nickte.

Gabriel gab Myriam ein Zeichen, sich Diana anzuschließen und nach oben zu verschwinden. Dann ging er zum Grammofon und legte eine Platte auf, die gerade aus Wien eingetroffen war, eine Sammlung der schönsten Walzer von Johann Strauß. »Ich hoffe, die Musik gefällt euch«, sagte er in die Runde und wandte sich insbesondere an seine Mutter. »Alles Gute«, flüsterte er und nahm ihre Hand.

Eva fühlte sich nach Wien in ihre Flitterwochen zurückversetzt und ließ sich von ihrem Sohn auf die Tanzfläche ziehen. Sie vertraute ihm blind und fühlte wie so oft die mütterliche Fürsorge für ihren sensiblen Gabriel, der stets ein Buch unter dem Arm trug und mit seinem zerzausten Haar einen jungenhaften Charme verströmte.

Als die letzten Töne des Walzers verklungen waren, folgte ein Charleston, der die Gäste erstarren ließ. Doch Carlos und Lia gaben schließlich eine rasante Kostprobe dieses frischen, jungen Tanzes aus den Vereinigten Staaten.

Den Enthusiasmus ihrer Schwägerin, die mit Carlos im Garten umherwirbelte, fand Eva wunderbar.

»Tolle Entdeckung, mein Freund«, lobte Carlos, der eine kleine Tanzpause einlegte, und klopfte Gabriel anerkennend auf die Schulter. Dann fügte er hinzu: »Ich denke, es war an der Zeit, musikalisch das alte Europa hinter uns zu lassen und uns der Moderne zuzuwenden.«

»Du willst doch nicht allen Ernstes dieses grässliche Zeug spielen! Das ist doch keine Musik«, rief Sophia indigniert und warf Gabriel einen strengen Blick zu. »Und dazu noch dieses unmoralische Gezucke, das ist geschmacklos.«

»Vielleicht haben Sie recht, Doña Sophia, aber Sie sehen die Welt mit den Augen der Vergangenheit. Deshalb verrate ich Ihnen jetzt etwas: Diese Musik ist die Zukunft, und niemand kann sie aufhalten«, erwiderte Carlos und ließ dabei seinen Blick einen Moment zu lange auf Lia ruhen, die sich bereits mit einem anderen Gast unterhielt. »Gott weiß, dass wir jeden Moment genießen müssen.«

»Sie waren immer ein rebellischer Geist, Señor Castro. Aber es gibt eine Lektion, die Sie noch nicht gelernt haben. Ein Volk, das seine Wurzeln nicht kennt, ist ein Volk ohne Zukunft. Und ob Sie es wollen oder nicht: Ein großer Teil dieses Kontinents hat europäische Vorfahren, die mit Mozart, Rossini und Verdi aufgewachsen sind und nicht mit diesem Duke Ellington, der sich am Klavier wie ein Wilder gebärdet.«

»Ihrem Enkel gefällt es. Und er ist die Zukunft«, erwiderte Carlos und hob sein Glas in Richtung Gabriel, der ihnen amüsiert zuhörte. »Wir beide gehören inzwischen zum alten Eisen.«

»Sie sprechen wohl von sich, Señor Castro«, gab Sophia zurück und warf sich stolz in die Brust. »Ich habe auf dieser Welt noch einiges zu erledigen, und ich kann mit ihr Schritt halten, besser, als Sie glauben.« Sie blickte ihn schelmisch an und nippte an ihrem Glas. »Und jetzt werde ich mal nach meinem Ehemann sehen.«

Eva verdrehte die Augen und sah ihrer Schwiegermutter nach, die ins Haus ging. Währenddessen konnte Lia den Blick nicht von Carlos wenden, der jetzt mit Gabriel Wein trank. »Ich möchte tanzen«, sagte sie an ihren Neffen gerichtet, und Gabriel, der den Hinweis verstanden hatte, legte eine neue Platte auf. Leise jazzige Töne erklangen, und die melancholische Stimme von Carlo Buti, einem Sänger aus der alten Heimat der Fontamaras, erhob sich über die Tanzfläche.

Lia lächelte Carlos an und legte ihre Hand in seine. Er zog sie langsam an sich, und gemeinsam begannen sie, sich im Takt zu wiegen. Es duftete nach Frangipani, einer jasminähnlichen Blume.

»Man könnte glauben, es sei Sommer. Der blühende Frangipani erinnert mich immer an die warme Sonne und das tosende Meer.« Lia schaute ihm in die Augen. »Ich war schon so lange nicht mehr am Meer. Obwohl ich auf einer Insel lebe, habe ich das Gefühl, keine Zeit für solche Dinge zu haben. Und die Tatsache, dass meine Familie ihr Geld mit dem Verschiffen von Gütern verdient, macht die Sache noch absurder, findest du nicht?«

»Nun ja, das lässt sich leicht ändern. Wir können morgen nach der Messe ans Meer fahren. Ich kenne da einen wunderschönen Strand ganz in der Nähe«, antwortete Carlos leise.

»Ich finde, Lia und Carlos passen gut zusammen«, flüsterte Gabriel seiner Mutter ins Ohr und ließ das Paar nicht aus den Augen. Er reichte ihr ein Glas Wein, und sie setzten sich neben das Grammofon und beobachteten die Gäste.

»Und ich finde, du gibst einen perfekten Cupido ab«, sagte Eva. »Es war eine sehr gute Idee, die beiden einander näherzubringen. Es wird Zeit, dass deine Tante ihr Glück findet, und sollte Carlos der Richtige dafür sein, dann ist das auch dein Verdienst.«

»Aber nein. Ich habe diese Platte nur aufgelegt, weil ich weiß, dass Lia Carlo Buti liebt. Ohne jeden Hintergedanken.« Er lächelte verschmitzt und begann, leise zur Musik zu singen.

»Ach wirklich?«

»Natürlich.«

»Du bist ein schlechter Lügner.« Eva ließ zu, dass Gabriel ihr noch einmal nachschenkte. »In der Hinsicht bist du ganz wie dein Vater«, fügte sie hinzu. Sie legte den Kopf auf Gabriels Schulter. »Es kommt mir vor wie gestern, als du und deine Schwestern durch den Garten gekrabbelt seid. Und jetzt seid ihr erwachsen.«

»So ist eben das Leben, früher oder später musste es so kommen.«

»Ich weiß. Doch die Tatsache, dass ihr mich nicht mehr braucht, gibt mir das Gefühl, nutzlos und alt zu sein.«

»Immerhin ist Clio noch klein.«

»Du hast recht. Unser kleines Maskottchen«, räumte sie ein und betrachtete ihre Jüngste, die mit ihren Spielkameraden kreuz und quer durch den Garten rannte. »Ich bin froh, dass sie noch klein ist. Du und Myriam seid fast erwachsen, und Diana erklärt mir jeden Tag, dass sie endlich unabhängig sein will. Als euer Vater starb, hätte ich mich mehr um euch kümmern müssen. Ihr hättet mehr Unterstützung gebraucht, um eure Trauer zu überwinden und mit dem Verlust fertigzuwerden. Aber ich habe mich damals selbst wie tot gefühlt, vollkommen leer. Mittlerweile bin ich zwar wieder stärker, aber dafür muss ich mich jetzt wohl damit abfinden, dass ihr langsam flügge werdet und mich nicht mehr braucht. Ich habe vieles versäumt.«

Gabriel griff nach der Hand seiner Mutter und drückte sie fest. »Wir werden niemals aufhören, unsere Mutter zu brauchen.«

Die Grammofonnadel glitt zur Seite und verkündete das Ende des Liedes. »Kümmere du dich weiter um die Musik, ich bringe Clio ins Bett, sonst wird es zu spät für sie.« Eva ging auf die Büsche zu, hinter denen sie das Gesicht ihrer Tochter erspäht hatte, aber nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal zu Gabriel um. »Wo sind eigentlich deine Schwestern? Gleich beginnt das Feuerwerk. Myriam liebt es.«

»Ich glaube, sie sind auf ihrem Zimmer. Diana hatte Kopfschmerzen, und Myriam leistet ihr sicher Gesellschaft. Wahrscheinlich schlafen sie schon.«

»Sehr schade, sie verpassen ja das gesamte Fest«, wunderte sich Eva.