Kirschblütensommer - Valentina Cebeni - E-Book
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Kirschblütensommer E-Book

Valentina Cebeni

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Beschreibung

Der Duft von Kirschblüten umhüllt das prachtvolle Anwesen ihrer Familie. Doch hinter der Fassade erwarten sie ungeahnte Geheimnisse …

Die mitreißende Geschichte um die Fontamara-Frauen geht weiter!


Obwohl das Leben im Rom der 40er-Jahre immer schwieriger wird, setzt sich Eva mutig an die Spitze des Familienunternehmens. Schon bald beliefert sie das kriegserschütterte Italien mit Backwaren. Doch der Duft des Mandelgebäcks weckt in ihr die Erinnerung an schönere Tage, an Zeiten, in denen alles noch so leicht erschien. Kurzerhand reist sie gemeinsam mit ihren erwachsenen Töchtern nach Latium, wo sie sorglose Stunden auf dem prachtvollen Anwesen der Familie verbringen wollen. Eva ahnt nicht, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Töchter Geheimnisse mit sich tragen, die den Lauf ihres Lebens für immer verändern könnten …

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Seitenzahl: 618

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VALENTINACEBENI wurde 1985 in Rom geboren. Latium mit seinen malerischen Gebirgen und dem grünen Hügelland kennt sie bereits seit ihrer Kindheit – schon früh hat Valentina Cebeni ihre Leidenschaft zu ihrer Heimat und den Rezepten ihrer Familie entdeckt. In ihren Romanen erzählt sie so gefühlvoll wie warmherzig vom Glück, der großen Liebe und dem Schicksal, das alles verändern kann. Kirschblütensommer ist die Fortsetzung ihrer emotionalen Trilogie über die Frauen der Fontamara-Familie.

Außerdem von Valentina Cebeni lieferbar:

Die Zitronenschwestern

Die Blütenmädchen

Die Wildrosentöchter

Der Orangengarten

Das Limettenhaus

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

VALENTINA CEBENI

Kirschblütensommer

ROMAN

Aus dem Italienischenvon Ingrid Ickler

Die italienische Originalausgabe erschien unter dem Titel La saga dei Fontamara – In guerra.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © by Valentina Cebeni

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022 by

Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Favoritbüro

Umschlagmotiv: © Shutterstock (RESTOCK images, Emilio100, Victoria Ki)

Redaktion: Brigitte Lindecke

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-28632-3V001

www.penguin-verlag.de

Teil 1

1

5. Oktober 1942

Ein Spatz ließ sich auf dem Fensterbrett direkt neben der mit Samen gefüllten Schale nieder, die ihre Tochter Clio regelmäßig nachfüllte, wenn sie nach der Schule im Büro ihrer Mutter vorbeikam. Eva lächelte dem Vogel zu. Dann schloss sie erschöpft die Augen. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt. Daran konnte auch die Tasse Ersatzkaffee nichts ändern – diese braune Brühe, die immerhin nach Kaffee roch, mittlerweile aber längst kalt war.

Carlos, die rechte Hand ihres Schwiegervaters in Kuba, hatte ihr versichert, dass sie auf ihrer »Spezialroute« eine Zuckerlieferung bekommen würde – illegal natürlich, aber das war ihre kleinste Sorge. Der Krieg, der sich nun schon zwei Jahre hinzog und bei dem kein Ende in Sicht war, legte die Industrie lahm und zwang die Menschen in einen nicht enden wollenden Stillstand. Seit vier Jahren leitete sie nun schon die »Forneria Principi«.

»Darf ich?«, fragte ihr Mitarbeiter Andrea, der zur Tür hereinsah.

Eva nickte.

Andrea hängte Mantel und Hut an den Ständer, sein Hemd war bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, Bartstoppeln zierten sein Gesicht. Er zog sich einen Stuhl an Evas Schreibtisch.

»Du wolltest mich sprechen?«, fragte er.

»Ja, ich möchte, dass du einen Brief auf die übliche Weise für mich verschickst und dich um das Entladen des Zuckers aus Kuba kümmerst. Hoffentlich können wir die Kontrollen auch diesmal umgehen.«

»Wir bezahlen viel Geld dafür. Ich würde mir keine großen Sorgen machen«, beruhigte er sie und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche. »Ich habe gehört, was gestern in La Gioiosa vorgefallen ist. Die Contradas haben deine Pläne mit dem Caffè Borghi wohl nicht so gut aufgenommen.«

Eva war das Caffè Borghi von einer Familie anvertraut worden, die ins Exil geflüchtet war. Sie wollte den Laden in eine Bäckerei verwandeln, um die Produktion der Keksfabrik zu steigern und beide Geschäfte am Laufen zu halten. Das gefiel nicht allen. Vor allem die Contradas hatten sich ihr in den Weg gestellt.

»Das war nicht anders zu erwarten. Aber von ihnen lasse ich mich nicht aufhalten«, entgegnete Eva und schaute noch einmal zu dem Vogel, der emsig Samen aus der Schüssel pickte. »Das Leben muss weitergehen. Ich habe die Pflicht, an das Wohl der Firma und meiner Familie zu denken. Und da wir gerade von Sorgen sprechen: Clio hatte heute Morgen Fieber. Der Arzt wird gleich nach ihr schauen.«

»Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes.«

»Das hoffe ich auch. Vermutlich hat sie sich nur verkühlt. Aber der Punkt ist ein anderer.«

»Nämlich?« Andrea runzelte die Stirn.

»Ich muss die Firma auch deshalb am Leben erhalten, um mich um die Gesundheit und das Wohlbefinden meiner Kinder zu kümmern. Und um die der Arbeiter. Die Regierung wird das wohl kaum machen. Die ist ja gerade mit anderen Dingen beschäftigt.«

»Das fürchte ich auch.« Andrea nickte finster.

»Zu viele Väter müssen irgendwo auf der Welt kämpfen, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte.«

»Auch wenn du es dir noch so sehr wünschst: Den Krieg kannst du nicht aufhalten.«

»Ich weiß, leider. Aber ich kann auf meine Weise Widerstand leisten. Mit meinen Mitteln.« Sie trommelte unruhig mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Allein in diesem Haus fehlen mehr als dreißig Männer, die mit ihrer Arbeitskraft, ihrem Wissen unersetzlich sind. Menschen mit einer Geschichte, die zu dieser Firma gehören und die vielleicht nie zurückkehren werden. Ich habe es satt, den Angehörigen Beileidsbekundungen zu schicken. Jedes Mal muss ich dabei an meinen eigenen Sohn denken, der irgendwo in Griechenland kämpfen muss, und es zieht mir das Herz zusammen.« Sie fuhr sich über die Stirn, auf der sich tiefe Sorgenfalten eingegraben hatten.

Andrea blies den Zigarettenrauch zur Seite und schnippte Asche von seinem Hosenbein. »Was schlägst du vor?«

Sie umklammerte die Stuhllehne und atmete tief durch. »Ich habe beschlossen, aus dem Caffè Borghi eine Bäckerei zu machen. Und du sollst dich um den Umbau und die Organisation kümmern. Ich möchte, dass du die Bäckerei führst. Denn ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du wirst das Personal sorgfältig auswählen.«

Andrea drückte die Zigarette aus und rieb nachdenklich sein Kinn. »Das wird viel Arbeit. Das Caffè Borghi ist nicht leicht umzubauen.«

»Deshalb habe ich dich dafür ausgesucht.«

»Ja, und ich danke dir dafür. Aber ich kenne dich. Wie viel Zeit haben wir?«

»Einen Monat.«

Ihm blieb fast die Luft weg. »Du meine Güte, ich wusste es!«

»Reg dich nicht auf.«

»Du bist verrückt, Eva, das musst du dir mal sagen lassen.«

»Das hat man mir auch gesagt, als ich die Firma übernommen habe«, antwortete sie ihm breit grinsend.

»Ich weiß, aber diesmal ist es anders. Selbst in Friedenszeiten wäre der Umbau in einem Monat nicht zu schaffen! Wo soll ich die Arbeiter hernehmen?«

Eva trommelte erneut mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ein Monat, Andrea. Im November müssen wir eröffnen. Der Krieg wartet nicht.«

»Aber …«

»Das ist alles.« Sie faltete den Brief und reichte ihn Andrea. »Du wirst es schaffen. Ich weiß, dass ich mir vor vier Jahren die beste rechte Hand ausgewählt habe, die man sich wünschen kann.«

Mit einem matten Lächeln griff er nach dem Brief. »Ich hoffe, dass Diana das auch so sieht. Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass ihr das gar nicht gefallen wird, wenn ich es ihr erzähle.«

Beruhigend legte ihm Eva eine Hand auf die Schulter. »Dann erzähl es nicht. Du musst meiner Tochter nicht über jeden Handschlag Rechenschaft ablegen.«

Andrea sah sie von der Seite an. »Stimmt, das muss ich nur bei ihrer Mutter machen.«

Eva zwinkerte ihm zu und brachte ihn zur Tür. »Ich sehe, du beginnst, in die richtige Richtung zu denken, mein Junge.« Sie winkte ihm nach, kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück und nahm den Telefonhörer ab. Eine unangenehme Aufgabe stand ihr bevor: ein Abendessen mit Carnai, einem hohen Parteifunktionär, der über die Auftragsvergabe für die Lebensmittelversorgung entschied und der eine Schwäche für sie hegte. Ihr Schwager Tommaso warf ihr vor, mit dem Feuer zu spielen, aber sie musste mit allen Waffen kämpfen, und bisher hatte sich das als gute Strategie erwiesen. Sie standen mit dem Rücken zur Wand, ihr blieb also gar nichts anderes übrig, als sie weiterzuverfolgen. In der Hoffnung, dass diese Geschichte bald zu Ende geht, dachte sie. Ihr blieben nur noch zwei Stunden bis zu ihrem Treffen, und sie musste noch die Abrechnungen der letzten Monate durchgehen. Aber immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Clio, auch wenn ihre Schwägerin Lia sie beruhigt und ihr versprochen hatte, sich sofort nach dem Arztbesuch bei ihr zu melden. Das waren die Momente, in denen sie ihre Arbeit, die sie von ihrer Tochter fernhielt, hasste.

»Besser nicht daran denken«, ermahnte sie sich, während aus dem Erdgeschoss der Duft nach frischem Gebäck heraufzog – eine beruhigende Reminiszenz an eine Normalität, die es nicht mehr gab. Sie schaute in den Hof hinunter, wo zahlreiche Frauen geschäftig umherliefen, und dann zu der Schüssel, vor der noch bis vor Kurzem der Spatz gesessen hatte. Überall waren Samen verstreut, doch der Vogel war weggeflogen. Die Lieferwagen kehrten von ihrer Runde zurück, es wurden wegen der Vorgaben der Regierung immer weniger. Sie presste die Stirn an die Scheibe und seufzte.

»Wann wird das endlich ein Ende haben?«, sagte sie halblaut zu sich selbst und ballte die Hände zu Fäusten.

Eva schritt durch den Rosenbogen, dessen Blüten trotz Lias sorgfältiger Pflege mittlerweile verblüht waren. Sie schloss den Schirm, schüttelte sich in der feuchten Abendluft und betrat entschlossen das Haus. Beim Verlassen des Restaurants waren sie von einem Sturm überrascht worden. Blieb nur zu hoffen, dass ihre neuen Schuhe nicht ruiniert waren. Das Leder war sehr empfindlich, Ersatz würde sie nicht finden. Auf dem Kopfsteinpflaster hatte sie sich fast einen Absatz abgebrochen, als sie rasch aus Carnais Auto ausgestiegen und in einem Zwischenraum hängen geblieben war. Es war mehr eine Flucht gewesen.

Tommaso hat recht, das ist ein gefährliches Spiel, dachte sie, während sie mit schnellen Schritten das dunkle Wohnzimmer durchquerte. Ihre Absätze klapperten laut in der Stille des Hauses. Sie stellte ihre Tasche neben der Lampe im Art-Nouveau-Stil ab, die Diana vor dem Krieg auf einem Flohmarkt am Fluss ergattert hatte. Es kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her. Es wird wohl nie wieder so werden, dachte sie betrübt und betrachtete die bunten Glasstücke, die vom Licht, das aus der Küche hereinfiel, beleuchtet wurden und zusammen eine Blüte formten.

Sie ging durch den Flur, blieb dann auf der Schwelle zum Salon stehen. Am Esstisch aus Nussbaum, an dem sonst Micol und Lara – die beiden Hausmädchen, die sie seit vier Jahren beschäftigte – ihrer Arbeit nachgingen, saßen ihre Tochter Myriam und Tommaso. Zu seinen Füßen stand seine Reisetasche, seine Hände hielten die seiner Nichte. Myriam saß ihm schweigend und kerzengerade gegenüber.

»Willkommen zurück«, begrüßte Eva ihren Schwager, der sich zu ihr umwandte und sogleich zu lächeln begann.

Regentropfen liefen die Scheiben hinunter, die Stille im Haus wurde nur vom Rauschen des Regens in der Dachrinne unterbrochen, und es war ungewöhnlich kalt. Eine Lampe malte eine schwache Lichtsichel auf den Tisch, doch sie konnte die Stimmung von Onkel und Nichte nicht erhellen. Beide saßen regungslos auf den Stühlen.

Eva legte ihren Mantel über die Stuhllehne und beugte sich zu ihnen hinunter. »Darf man erfahren, was los ist?«, sagte sie und schaute zwischen den beiden hin und her.

»Giovanni …«, begann Tommaso und räusperte sich.

»Mein Mann ist verhaftet worden«, unterbrach ihn Myriam.

Evas Knie gaben nach, sie suchte Halt an der Stuhllehne. »Wie ist das möglich? Warum?«

Tommaso seufzte tief.

»Er hat den faschistischen Gruß verweigert. Ich war gestern in einem Theater an der Bastille, um ihn spielen zu hören. Ich wollte den Vertragsabschluss mit den Franzosen feiern, also habe ich ihn angerufen, und er hat mir einen Platz in der ersten Reihe reserviert. Kurz vor dem Konzert hat er mich noch begrüßt, und wir haben kurz gesprochen, dann musste er auch schon auf die Bühne. Was niemand wusste: In der ersten Reihe saß auch ein hoher Parteifunktionär aus Berlin. Nachdem die Musiker ihr Programm zu Ende gespielt hatten, hat er darauf bestanden, standesgemäß begrüßt zu werden. Und alle haben den Arm gehoben, bis auf Giovanni.«

»Warum nicht?«

»Weil er das Regime schon immer gehasst hat«, erklärte Myriam knapp und schaute ihrer Mutter dabei ins Gesicht.

Eva war immer noch eine schöne Frau, trotz des Kummers und des Krieges. Sie war immer noch die Frau, die Myriam seit ihrer Kindheit bewunderte, mit ihrem starken Charakter, um den sie sie immer beneidet hatte.

Bis zu diesem Abend. Denn nach Tommasos nüchternen Worten hatte sie tief in ihrem Inneren das Echo eines neuen Ich wahrgenommen. Im zitternden Blick ihrer Mutter erkannte Myriam an diesem Abend zum ersten Mal eine Schwäche, ein Zögern, das ihr sonst immer fremd gewesen war. Im Schein der Lampe wirkte Eva nur noch wie eine verängstige Mutter. Eine von vielen.

»Was heißt das, Giovanni hat das Regime schon immer gehasst? Ist er ein Aufrührer, ein Kommunist? Und was zum Teufel ist passiert?«, fragte Eva jetzt etwas vehementer und sah Tommaso und ihre Tochter fest an. Der Zorn, der aus dem Blick des Mädchens sprach, machte ihr Angst. Das war doch Myriam, ihre süße und verträumte Myriam, die einen leidenschaftlichen Musiker geheiratet hatte und davon träumte, einen Haufen Kinder mit ihm zu bekommen.

Der Krieg hat ihr auch diesen Traum geraubt, dachte sie und schaute in Myriams plötzlich so harte meergrüne Augen.

»So wie es aussieht, hat man ihn als Regimegegner verhaftet«, schaltete sich Tommaso ein und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. Er kratzte sich an der Stirn und versuchte die richtigen Worte für etwas zu finden, was er selbst kaum verstand, was ihn in diesen ganzen stillen Stunden seit seiner Abreise aus Paris begleitet hatte. Er fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken und versuchte, etwas klar zu sehen, etwas, das ihm immer wieder entglitt. Es war still, nur hin und wieder waren von draußen die Geräusche von Reifen auf der regennassen Straße zu hören. »Ich habe mit allen Mitteln versucht, mehr herauszufinden, aber seit seiner Verhaftung ist er wie vom Erdboden verschluckt. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, stand er auf der Bühne und sah dem Parteifunktionär direkt in die Augen, den Arm als Einziger nicht zum Hitlergruß erhoben. In diesem Moment habe ich nicht verstanden, was da vor sich geht. Alles wirkte normal, ein Protest wie viele«, berichtete er und starrte vor sich auf den Tisch, um Myriams Blick zu entgehen, die sein frisch rasiertes Gesicht unverwandt anstarrte.

»Und was ist dann passiert?«, fragte Eva.

»Nichts. Ich bin zum Seiteneingang gegangen, zum Künstlereingang, und habe auf ihn gewartet, aber er kam nicht heraus. Dann habe ich einen der anderen Musiker gefragt, und der hat mir dann heimlich anvertraut, dass die Deutschen hinter die Bühne gekommen seien und ihn weggebracht hätten.«

»Und keiner hat etwas dagegen unternommen?«, protestierte Eva, woraufhin Tommaso nur den Kopf schüttelte.

»In Paris haben alle so viel Angst vor den Deutschen, dass sie fast den Atem anhalten, wenn sie einen sehen. Da stellt sich wohl kaum einer schützend vor einen anderen.«

»Giovanni ist doch nicht irgendwer!«, empörte sich Eva. »Er hat sich immer für andere eingesetzt, er ist ein guter Mensch. Was für Feiglinge!«

Tommaso schüttelte den Kopf. »Du machst dir keine Vorstellung davon, was es heißt, unter deutscher Besatzung zu leben. Die sind nicht wie die Faschisten bei uns: Gegen die SS sind unsere Schwarzhemden Waisenknaben.«

Eva ballte die Fäuste und presste die Lippen aufeinander, während sich Myriams Mund verzog, als würde sie jeden Moment weinen.

»Als sie ihn wegbrachten, hat er kein Wort gesagt und auch keinen Widerstand geleistet«, schloss er seufzend. Myriam sprang auf, schob den Stuhl zurück und stürzte hinaus. Eva wollte ihr nach, doch Tommaso hielt sie zurück.

»Warum?«

»Das ist nicht dein Kampf, Eva. Sondern der deiner Tochter«, erwiderte er. »Giovanni ist ihr Mann. Und er ist ein Dissident«, fuhr er fort und schob Eva sanft auf den Stuhl zurück.

»Erklär mir das.«

»Ich habe mich erkundigt und herausgefunden, dass er viele Feinde hat. Wahrscheinlich hat er sich festnehmen lassen, um zu verhindern, dass Myriam in die Sache hineingezogen wird. Wenn diese Leute etwas wollen, dann gehen sie nicht zimperlich vor.«

Eva starrte auf die Lampe über ihnen, die Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Vergebens versuchte sie, sie zu ordnen, ihre Angst um ihre Tochter zu beherrschen.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und betrachtete ihre Hände. »Meinst du, Giovanni hat sich absichtlich festnehmen lassen?«

Tommaso richtete sich auf und holte ein Zigarettenetui aus der Tasche. »Ich meine gar nichts. Was ich gesagt habe, ist alles, was ich weiß. Es ist besser, Myriam in Ruhe zu lassen. Vielleicht sieht sie ihren Mann nie wieder. Sie braucht Zeit.«

Diana blieb vor dem Gästezimmer stehen, die Hand auf der Klinke. Es war still, nur aus dem Erdgeschoss waren gedämpft die Stimmen von Tommaso und ihrer Mutter zu hören. Sie horchte kurz, dann öffnete sie die Tür.

»Ich habe das mit Giovanni gehört«, sagte sie zu Myriam, die am Fenster stand und ihr den Rücken zuwandte. Die Vorhänge waren geöffnet, sodass der Sternenhimmel über der schlafenden Hauptstadt zu sehen war. Mit behutsamen Schritten ging Diana auf ihre Schwester zu. Seitdem sie mit Giovanni verheiratet war, ließ Myriam sich die Haare nicht mehr wachsen, sondern trug nun einen Pagenschnitt. Etwas in ihrem Gesicht, an ihrem Blick auf die Welt hatte sich verändert. Myriam hatte sich zunehmend der Politik zugewandt, sprach nun eine Sprache, die Diana stets abgelehnt hatte. Diese intellektuelle Herangehensweise an die Dinge ging ihr auf die Nerven, sie fühlte sich unwissend. Sie war immer die Schönste, aber nie die Klügste gewesen. Dieser Makel haftete seit ihrer Kindheit an ihr. »Du weißt, ich interessiere mich nicht für Politik, deshalb verstehe ich auch nicht, warum man ihn festgenommen hat. Aber ich weiß, dass du leidest, und deshalb bin ich hier.« Sie fuhr ihrer Schwester mit der Spitze des Zeigefingers über die Schulter. Myriam erstarrte, senkte den Blick und beugte sich nach vorne. Sieistsozart, dachte Diana, als sie die Rippen sah, die sich wie Flügel unter ihrer Haut abzeichneten.

»Giovanni war alles, was ich hatte«, flüsterte Myriam. Ihre Stimme brach, ein namenloser Schmerz durchfuhr sie, der ihr den Atem nahm.

»Warum sprichst du in der Vergangenheit? Wir wissen doch nicht, ob …«

»Ich weiß es sehr wohl«, entgegnete Myriam mit harter Stimme und wischte sich resolut die Tränen von der Wange. Sie drehte sich langsam um, die Augen rot vom Weinen. »Giovanni wird nicht zurückkommen, Diana. Niemand kommt zurück, der von den Deutschen festgenommen wird. Das ist so«, sagte sie und richtete sich kerzengerade auf, als wollte sie ihren Worten so mehr Gewicht verleihen.

»Aber das können wir nicht mit Sicherheit …«

»Diana, bitte lass es«, fiel Myriam ihr ins Wort und hob die Hand, um ihre Schwester zum Schweigen zu bringen. Myriam trug einen Morgenmantel, der bis zu den Knöcheln reichte, der schmale Körper zeichnete sich vor dem Mondlicht ab, ihr Atem ging schwer. Sie stützte sich mit der Hand am Fensterrahmen ab. »Lass mich bitte allein, ich brauche Ruhe.« Diana ging zur Tür, öffnete sie und warf einen Blick in den leeren Korridor, in die Dunkelheit, die sie erwartete.

Auf der Schwelle blieb sie noch einmal stehen. So einfach wollte sie sich nicht wegschicken lassen. Sie atmete tief durch. Sie kannte ihre Schwester gut, auch der Ring an ihrem Finger hatte sie kaum verändert.

Heute kann sie große Reden schwingen und alle Denker dieser Welt zitieren, aber damals in Kuba sind wir zusammen barfuß über die Felder gerannt und haben in reife Mangos gebissen, erinnerte sie sich. Sie wandte sich um, und ohne ihrer Schwester Zeit zu lassen, zu reagieren, nahm sie sie behutsam in den Arm und hielt sie ganz fest, so wie früher. »Weine, schrei, sei verzweifelt. Lass den Schmerz zu. Mir machst du nichts vor. Bitte behandle mich nicht, als wäre ich eine Fremde. Wir gehören zu einer Familie.«

Diana hielt ihre jüngere Schwester ganz fest, und nach und nach gab Myriam nach. Sie legte ihre Stirn an Dianas Schulter und klammerte sich an sie, die Brust von Schluchzern geschüttelt. Sie gab sich ganz der Zärtlichkeit hin, die immer noch da war, trotz allem, was geschehen war. Diana küsste ihre dunklen, nach Jasmin duftenden Haare und schloss die Augen. Sie versank in Erinnerungen an Kuba, an ihre Kindheit, daran, wie sie gemeinsam über die Plantage gerannt waren, an den schrecklichen Brand, nach dem sie nach Italien geflohen waren, an die Angst, die andere zu verlieren. Und doch hatten sie einander immer wiedergefunden, sich einander wieder genähert.

Im dunklen Flur stand Eva und beobachtete unbemerkt ihre Töchter. Die beiden waren so verschieden und doch vereint, auf ihre Weise. Dann löste sie sich von dem Anblick, ging zur kleinsten Fontamara, ihrer Clio, die an schwerem Fieber litt.

Wir sind immer noch eine Familie, auf die Fernando stolz gewesen wäre, dachte sie.

2

Diana betrat das Arbeitszimmer ihrer Mutter, die mit Tommaso gerade die aktuellen Zahlen der Firma durchging. »Ich gebe auf, ich weiß nicht, was ich noch machen soll«, seufzte sie und ließ sich in den Sessel fallen.

Eva hob den Blick von ihren Papieren. »Myriam?«

»Wer sonst?«

Tommaso schlug die Beine übereinander und kratzte sich an der Schläfe. Draußen blies ein scharfer Wind Blätter und Zeitungen durch die Straßen – mit Nachrichten, die keiner mehr las. Das Feuer im Kamin brannte zu langsam, um das Haus warm zu halten. Es duftete nach dem Essen, das Micol in der Küche zubereitete.

»Was ist mit deiner Schwester?«

»Alles und nichts«, antwortete Diana. »Seit Giovanni tot ist …«

»Wir wissen nicht, ob er wirklich tot ist«, korrigierte sie Tommaso.

»Myriam ist davon überzeugt. Sie ist nicht mehr dieselbe, seitdem sie die Nachricht bekommen hat. Sie bleibt für sich, sitzt im Gästezimmer und schreibt. Nur ab und zu verlässt sie das Haus und kommt nach ein paar Stunden wieder. Und wenn ich sie frage, wo sie gewesen ist, weicht sie aus. Als ich sie eben gefragt habe, ob alles in Ordnung ist, hat sie gesagt: ›Diana, halte dich von den Nazis fern.‹ Ich glaube, sie verliert langsam den Verstand«, sagte Diana und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Tommaso sah sie missbilligend an.

Eva seufzte und schob die Papiere in den Ordner zurück. »Ich rede mit ihr«, sagte sie, stand auf und machte sich auf den Weg zum Gästezimmer, das Myriam bewohnte, seitdem sie wieder in Rom war.

»Du könntest wieder mit deiner Schwester zusammenziehen, wenn du willst«, begann sie. Sie war in der Tür stehen geblieben und lehnte sich gegen den Rahmen. Myriam schrieb gerade auf der Schreibmaschine, sie hatte ihr den Rücken zugekehrt und schaute nun auf den kleinen Garten im Innenhof. Man konnte ein Stück des Rosenbogens sehen und die Avocado- und Mangopflanzen, die ihre Großmutter Sophia noch in Friedenszeiten bei ihrem letzten Besuch in Rom mitgebracht hatte. Sie nahm die Finger von den Tasten und zog einen eng beschriebenen Bogen aus der Maschine.

»Schreibst du einen Artikel?«

»Nein«, sagte Myriam. Die Oktobersonne fiel auf ihre eingefallenen Wangen. »Ich wollte Großmutter einen Brief mit der Maschine schreiben, weil sie so schlecht sehen kann. Aber ich schaffe es nicht. Ich kann so nicht mit ihr reden.« Sie deutete auf die Schreibmaschine, ihre treue Gefährtin, die sie überall mit hin nahm.

Eva setzte sich auf den Sessel in der Ecke zwischen Kommode und Schreibtisch und beugte sich vor, um diese zerbrechliche junge, Frau, die voller Ideen steckte, genauer zu betrachten. »Dann nimm doch Tinte und Papier. Sophia wird dir das verzeihen.«

»Das werde ich.«

Eva hustete und wandte sich dann wieder an ihre Tochter. »Gibt es etwas Neues von Giovanni? Hast du von eurem französischen Freund etwas gehört?«

»Nein, aber das habe ich auch nicht erwartet.«

Eva schaute sich um. Der Zimmer war penibel aufgeräumt. Bücher stapelten sich ordentlich auf dem Nachttisch, andere standen in alphabetischer Reihenfolge in dem kleinen Bücherregal, die Kleider hingen nach Farben geordnet im Schrank, auf dem Koffer am Ende des Bettes lagen einige Zeitschriften. »Du rechnest also mit dem Schlimmsten?«

»Wir reden hier von Nazis«, erwiderte Myriam und stand auf. Sie strich ihren dunkelblauen Faltenrock glatt und knöpfte ihre Strickjacke zu. Dann ging sie zum Nachttisch, nahm ein kleines, blau gebundenes Büchlein und blätterte durch die Seiten. »Sie haben ihn geholt, Mama«, murmelte sie leise, die Augen fest auf die Seiten geheftet, um nicht zu zeigen, wie tief getroffen sie war. »Sie haben ihn in eines ihrer Lager gebracht. Dorthin, wo sie politische Gegner, Homosexuelle und vor allem Juden hinbringen. Giovanni hat schon lange von diesen Gräueln gewusst. Er hat versucht, es vor mir geheim zu halten. Aber er konnte keine Geheimnisse vor mir haben und hat mir am Ende doch alles erzählt.«

Eva umklammerte die Sessellehnen, immer weiter nach vorne gebeugt, um die ganze Tragweite dessen zu erfassen, was ihre Tochter da sagte. »Bitte«, begann Eva zögerlich, »von was für Lagern sprichst du? Ich habe noch nie davon gehört. Und du weißt, ich kenne Leute, die mit der Partei zu tun haben.«

»Viele wissen wirklich nichts, andere tun nur so als ob«, antwortete Myriam. »Offiziell handelt es sich um Arbeitslager für Regimegegner, in denen sie dem Vaterland dienen sollen. Aber in Wahrheit wird in den Lagern gefoltert, gelitten, gestorben. Die Deutschen sollen mit den Gefangenen sogar medizinische Experimente machen.«

Eva schluckte. »Und Giovanni hat sich festnehmen lassen, um in eines dieser Lager zu kommen?«

»Das weiß ich nicht, aber möglich ist es. Er wollte, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dass die Amerikaner erfahren, was hier in Europa passiert. Es gibt Leute, die versuchen, Bildmaterial aus den Lagern aus dem Land zu schmuggeln, aber der Weg ist noch weit, und unser Netzwerk ist noch nicht groß genug, um die Informationen schnell genug auf die richtigen Schreibtische zu bringen.«

Eva richtete sich auf. »Unser? Was willst du damit sagen, Myriam?«

»Ich habe begonnen, anonym über die Lager zu schreiben, um die Wahrheit über sie zu verbreiten.«

Eva schüttelte aufgebracht den Kopf. »Bist du verrückt geworden? Du könntest im Gefängnis landen oder Schlimmeres. Was hast du dir dabei gedacht?«

»Papa hat mir beigebracht, dass man gegen Ungerechtigkeit kämpfen muss. Wir müssen uns auflehnen, und ich bin eine von denen, die das tun. Und wir sind viele, Mama, viel mehr, als du dir vorstellen kannst.«

»Ihr seid verrückt, ihr wisst nicht, worauf ihr euch da einlasst«, widersprach Eva, während ihre Tochter sie weiter fest ansah.

»Die Menschen müssen wissen, dass man in diesen Lagern stirbt. Die Deutschen sind grausame Schlächter. Ich tue nur das, was ich für richtig halte, so wie man es mir beigebracht hat. Ich kann nicht einfach schweigen.«

»Nein«, entfuhr es Eva, und sie ballte die Faust, während ihr Blick unruhig durchs Zimmer glitt. »Du hast recht: Angesichts all dessen darf man nicht schweigen. Aber dennoch bitte ich dich, sprich mit niemandem in der Familie und der Firma über das, was du mir erzählt hast. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Micol, Lara, Rachele und dem kleinen Mosè darf kein Leid geschehen. Aber du musst mir schwören, dass du dich nicht in Schwierigkeiten bringst. Wir haben schon Fernando verloren. Und Gabriel kämpft in Griechenland für ein Regime, das er hasst.«

Myriam sah sie an, den Rücken fest gegen die Stuhllehne gepresst. »Mama, ich kann nicht schweigen.«

»Myriam, schwöre es mir. Es ist das Einzige, was ich von dir verlange. Das Einzige.«

Eva hielt ihrer Tochter die Hand hin, damit sie einschlagen konnte, doch die Finger streckten sich ins Leere. Sie sahen sich lange an, bis Myriam schließlich ihre Hand in die ihrer Mutter legte. »Ich schwöre es.«

3

Schon seit einer halben Ewigkeit starrte Eva auf den Brief in ihren Händen, doch ihre Gedanken waren überall, nur nicht bei diesen Zeilen.

Ein weiterer Gefallener, eine weitere Familie, die es zu trösten galt, ein Päckchen mit den Habseligkeiten und etwas Geld für die Hinterbliebenen eines Arbeiters aus der Fabrik. Es war die Idee ihrer Schwägerin Ottavia gewesen, eine Stiftung für die Angehörigen der gefallenen Arbeiter zu gründen, und sie hatte darauf bestanden, dass sie im Andenken an den Mann benannt wurde, der die Firma gegründet hatte, bevor viele Jahre später Eva das Unternehmen in die »Pregiata Forneria Principi« verwandelt hatte. Doch die Kasse der Stiftung war von Monat zu Monat leerer, es wurde immer schwieriger, Gelder aufzutreiben. Die Kriegsabgaben an die Regierung wogen schwer.

Die Kasse ist leer wie die Flure der Fabrik, sagte sich Eva, nachdem sie ihr Büro verlassen hatte, um in die Abteilung Produktion und Verpackung zu gehen. Sie hatte einige Neuerungen veranlasst und auch in moderne Teigknetmaschinen investiert, die in Friedenszeiten rund um die Uhr gearbeitet hatten. Damals waren auch die von Tommaso entworfenen Blechdosen bis an den Rand mit Keksen gefüllt gewesen. Jetzt standen sie traurig und leer in der Ecke. Der Duft aber war noch immer der gleiche, ebenso wie die Handgriffe der Angestellten: Die Bäcker bestäubten die Arbeitsflächen mit Mehl, um die Brote zu formen, an den Öfen standen die erfahrensten Arbeiter, immer ein Rasiermesser in der Tasche, um mit der scharfen Klinge Muster in die Brotlaibe zu schneiden – Handgriffe, die sie schon von ihren Vorfahren gelernt hatten.

Das ist zwar eine große Firma, aber immer noch ein Familienunternehmen, genau wie früher, als wir ausschließlich süßes Gebäck hergestellt haben, dachte Eva und grüßte die Arbeiter mit einem Lächeln, während das Rumoren der Maschinen ihre Gespräche überdeckte.

Sie hielt inne und betrachtete die Produktionsstrecke der stranggepressten Kekse, die direkt aus der Düse kamen, aufs Band fielen und dann zum Backen fuhren. Sie stellten Hunderte davon her, aber die neuen Anweisungen würden die Produktion drastisch herunterfahren, auch für diese wenigen Gramm puren Glücks.

»Die da oben sollten begreifen, dass der Mensch nicht allein von Brot lebt, stimmt’s?«

Eva drehte sich um und sah Andrea, der sich gerade einen noch warmen Keks vom Band genommen hatte, der intensiv nach Südfrüchten und Honig duftete.

»Stimmt, aber die interessiert vor allem, dass sie genug für sich selbst haben. Die anderen zählen nicht. Und natürlich haben die Leute immer weniger Geld. Wenn dieser Krieg nicht bald zu Ende ist, wird alles nur noch schlimmer.« Sie grüßte zwei Frauen, die gerade die Formen für die Brotlaibe neu befüllten.

»Signora Sarti meinte, dass der Verkauf in den Geschäften noch gut läuft. Aber wer weiß, wie lange wir noch durchhalten«, sagte Andrea.

»Meine Schwägerin kann sich bei den Verkäuferinnen bedanken, die sich an die neue Situation angepasst haben. Und bei mir, für meine Kontakte in die Partei. Die wichtigsten Familien kaufen bei uns, auch die Aristokratie ist unseren Produkten gewogen. Was mir mehr Sorgen macht, ist die Tatsache, dass wir einen weiteren Arbeiter an der Front verloren haben.«

»Wen?«

»Einen jungen Mann, der kurz nach meiner Übernahme in die Firma gekommen ist und am Ofen gearbeitet hat. Er war genauso gut wie seine erfahreneren Kollegen.«

Andrea vergrub die Hände in den Taschen seiner Wollhose und ließ den Blick umherwandern. »Es wird immer schwieriger, diese Arbeiter zu ersetzen. Die wenigen Männer auf dem Arbeitsmarkt sind entweder wehruntauglich oder alt.«

Eva seufzte und betrachtete fasziniert die Hände einer Packerin, die rasch und präzise, ohne eine einzige überflüssige Bewegung, eine perfekt symmetrische Schleife formte. Sie musste an ihr Gespräch mit Myriam vor einigen Tagen denken. Sie nahm Andrea am Arm und zog ihn in eine Ecke der Produktionshalle.

»Finde Frauen, damit sie hier arbeiten. Auch Alte und Kinder, alle.«

Andrea riss überrascht die Augen auf. »An wen genau denkst du dabei?«

»Juden.«

Andrea wich einen Schritt zurück.

»Schau mich nicht so an. Ich möchte ihnen helfen. Ich muss an den kleinen Mosè denken, an Rachele, die Verlobte meines Sohnes. Was für eine Welt erwartet sie, wenn diese Verrückten den Krieg gewinnen? Was wird aus all diesen Menschen, wenn niemand diesen Wahnsinn stoppt?«

Andrea atmete tief durch und schaute sich um. »Ich verstehe, was du sagen willst, aber lass uns lieber nicht hier darüber reden. In Zeiten wie diesen haben sogar die Wände Ohren.« Er zog sie hinaus in den Hof und zündete sich eine Zigarette an.

»Denkst du etwa, mein Büro wird abgehört? Immerhin mache ich Geschäfte mit der Partei.«

»Eben drum. Also, was genau willst du mir sagen?«, fragte Andrea.

Eva warf einen Blick zu den Fahrern, die die Waren verluden. Allesamt ältere Männer, die ihre Söhne ersetzen mussten, die an der Front kämpften. »Ich möchte jüdische Arbeiter. Die Nazis sollen keine Gelegenheit bekommen, Menschen wie den Contradas oder unseren Hausangestellten zu schaden. Ich möchte nicht, dass ihnen noch Schlimmeres zustößt als das, was wir ohnehin alle erdulden.«

Andrea drückte seine Zigarette aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was genau meinst du? Wovor hast du Angst?«

Eva fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und knetete unruhig die Bündchen ihres smaragdgrünen Kleides. Sie seufzte. Über ihr war der blaue Himmel verschwunden, dichte Wolken drängten sich aneinander wie die Sperrballons des Luftschutzes. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und sie versuchte, ihren Kragen etwas zu lockern. Doch ihr Brustkorb hob sich unter ihrem Kleid keinen Millimeter.

»Ist alles in Ordnung?«

Andrea berührte sie sanft mit den Fingerspitzen, doch sie nahm seine Stimme kaum wahr. Sie nickte, doch in ihrem Kopf hallten Myriams Worte nach.

»Es gibt Orte in Deutschland, wo Juden eingesperrt werden und wie Sklaven arbeiten müssen, und wie es scheint, macht man auch Experimente mit ihnen. Orte, die keiner mehr lebend verlässt.«

»Ich weiß ja nicht, wer dir das erzählt hat, aber wer auch immer es war, muss eine schreckliche Fantasie haben«, entgegnete Andrea mit einem heiseren Lachen, dann sah er Eva ernst an. »Die Deutschen sind verrückt, das stimmt. Aber doch nicht so.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu absurd, um wahr zu sein«, fügte er hinzu, aber Eva schaute auf ihre Hände, die sich langsam zu Fäusten ballten.

»Mir wäre auch lieber, wenn das nur grausame Fantasien eines kranken Geistes wären, aber meine Quelle ist absolut verlässlich. Ich habe keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln.« Sie wandte den Blick von ihren lackierten Fingernägeln wieder auf die Arbeiter und stellte sich vor, wie sie Tausende Kilometer von zu Hause zu einer Armee von Gespenstern werden mussten. »Diese Orte gibt es, Andrea. Und wenn ich mir anschaue, wie die Regierung mit den Juden umspringt, habe ich allen Grund zu befürchten, dass sie auch bei uns in Lager gebracht werden könnten. Auf welcher Seite wären wir als Bevölkerung dann? Wo stehen wir, wenn wir schweigen und nicht laut aufbegehren?«

»Das ist eine ziemlich unangenehme Frage.«

»Ich weiß. Aber irgendwann werden wir uns die Frage gefallen lassen müssen, was wir getan oder eben nicht getan haben. Es wird der Moment kommen, in dem wir uns entscheiden müssen. Ich weiß, auf welcher Seite ich stehe. Auf welcher Seite stehst du?«

Andrea wandte den Blick ab und sah einem Blatt nach, das der Wind davonwehte. »Ich habe keine Angst zu wählen, denn mir ist die Gefahr bewusst. Und ich weiß, woher ich komme. Ich steckte in einem Hamsterrad fest, dasselbe, in dem auch mein Vater und mein Großvater gesteckt haben. Du hast mein Leben verändert. Du hast mir eine Alternative zu meinem vorbestimmten Weg aufgezeigt, auch wenn ich mir manchmal die Hände dafür schmutzig machen musste. Aber ich verstehe, dass du das Gleiche auch für Rachele und Mosè willst. Für sie steht viel mehr auf dem Spiel als nur ihr Lebensglück. Für sie geht es um Leben und Tod.«

»Genau. Man macht ihnen das Leben Tag für Tag schwerer, es gibt immer neue Einschränkungen«, klagte Eva. Der Wind hatte aufgefrischt und fegte nun durch den Hof wie ein böses Omen. Sie strich sich eine Locke hinters Ohr und wandte sich wieder Andrea zu. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie einander zum ersten Mal begegnet waren, nachdem sie in der Firma angefangen hatte: er ein junger Mann voller Energie und Tatendrang, sie eine Frau, die fest entschlossen war, den Brudermord zu rächen, dem ihr Mann zum Opfer gefallen war. Sie hatten beide nach einer Chance gesucht, auch wenn es ihm, der jetzt mit Vollbart und Nadelstreifenanzug vor ihr stand, damals noch nicht bewusst gewesen war. Sie trat näher zu ihm. »Dann hilfst du mir?«

Andrea schaute sich um, dann zündete er sich eine weitere Zigarette an. »Was soll ich für dich tun?«

»Ich brauche falsche Papiere.«

»Was?«

»Jetzt sieh mich nicht so an, du hast schon richtig verstanden. Wenn ich Juden beschäftige und die Regierung morgen beschließt, dass das nicht mehr geht, dann war alles umsonst. Mit gefälschten Papieren können wir dieses Problem umgehen. Verstehst du?«

»Ich verstehe schon, aber das würde nur für die Frauen funktionieren. Gesunde Männer zu beschäftigen, würde Verdacht erregen. Dann müssten wir auch noch gefälschte ärztliche Bescheinigungen besorgen.«

Eva biss sich auf die Lippe. »Daran habe ich nicht gedacht.«

Andrea blies den Rauch aus. »Du weißt, was sie mit uns machen, wenn wir entdeckt werden?«

Eva nickte. »Keine Sorge, ich habe mir alles gut überlegt. Meine Kinder sind erwachsen, mit Ausnahme von Clio. Sie wäre bei Lia und bei ihren Schwestern in guten Händen. Und mein Mann ist schon so lange tot, dass ich die Jahre kaum mehr zählen kann. Ich habe also nicht viel zu verlieren.« Sie runzelte die Stirn. »Diana könnte eine ganze Liste meiner Fehler aufzählen, aber ich habe immer für das gekämpft, woran ich geglaubt habe.«

Sie schauten sich lange an, mit angehaltenem Atem, während um sie herum das Leben weiter seinen Gang ging. Die letzten Lastwagen fuhren mit ihren Lieferungen vom Hof, während andere auf der Straße darauf warteten, auf den Hof zu fahren.

Andrea rauchte seine Zigarette zu Ende und betrachtete die Packer: junge Burschen, beinah noch Kinder, mit glatter Haut und dem selbstsicheren Lächeln derer, die zu schnell erwachsen werden mussten. Sie standen in Gruppen beisammen, aßen ein Stück halb verbranntes Brot, das sie nicht verkaufen konnten, und rauchten, während am Tor ein Mädchen mit viel zu dünnen Beinen wartete. Sie war die Tochter eines Verwandten von Gino, auch sie Jüdin, und sie kam jeden Morgen mit ihrem Korb zur Fabrik, um das Brot abzuholen, das zu dunkel oder nicht dunkel genug gebacken war. Wenn man ihr den Korb füllte, sagte sie nie ein Wort außer »Danke« und verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Eine Unsichtbare unter den Unsichtbaren. Ein jeder kannte sie, aber niemand sah sie.

»Ich bin dabei«, sagte Andrea plötzlich in die Stille, und dabei knetete er das Zigarettenpäckchen in seiner Hosentasche. »Aber eines muss ich dir gestehen.«

Eva runzelte die Stirn, während einer der älteren Arbeiter dem Mädchen den Korb füllte. »Und was?«

»Ich habe es gewusst. Aber mir war nicht klar, ob wir auf derselben Seite stehen.«

»Was hast du gewusst?«

Andrea schaute sie mit einem bitteren Lächeln an. »Ich wusste von den Lagern. Ich habe die Beweise ihrer Existenz mit eigenen Augen gesehen.«

Eva blickte zu Boden. Die ersten schüchternen Regentropfen fielen vom Himmel, während ihre Fingerspitzen nach ihrem Herzschlag tasteten.

»Geht es dir nicht gut?«

»Doch, doch«, sagte sie und blickte zu dem Mädchen am Zaun. »Ich hatte nur gehofft, dass alles nur ein böser Traum wäre.«

Liebe Sophia,

es ist schon eine Weile her, dass ich dir geschrieben habe. Ich war mir nie sicher, ob meine Briefe dich überhaupt erreichen, und wenn ja, ob sie vielleicht zensiert worden sind. Diesmal aber weiß ich sicher, dass mein Schreiben unzensiert bei dir ankommen wird.

Ich schreibe dir, weil in Europa schreckliche Dinge vor sich gehen. Menschen verüben grausame Verbrechen: Noch nie hat jemand von solchen Gräueltaten berichtet, nicht einmal in den Heiligen Schriften. Hier werden Menschen aufgrund ihrer Rasse, ihrer politischen Einstellung oder ihrer Religion getötet. Es gibt kein Mitgefühl mehr, ein Menschenleben ist nichts mehr wert.

IchhabedasalleserstvorKurzemerfahren,aberseitdemkannichnichtmehrschlafen,nichtmehressen.

Deshalb habe ich mich entschlossen, das Meine zu tun, um Widerstand zu leisten. Aber ich habe Angst, große Angst.

Ich fürchte um das Leben meiner Kinder, denn das Regime ist hinterhältig und rachsüchtig. Und ich fürchte um die Firma, die ich wiederaufgebaut habe, nachdem Giacomo sie fast zugrunde gerichtet hätte. Manchmal, wenn ich nachts wach liege und die Decke ansehe, versuche ich an Fernando zu denken. Der Gedanke an ihn gibt mir Kraft, denn er hätte nicht gezögert, das weiß ich. Zu wissen, dass er mein Handeln auf die eine oder andere Weise gutheißt, tröstet mich.

Er fehlt mir sehr, auch wenn ich mir das nur selten eingestehe. Mir fehlt seine Nähe, die Gewissheit, dass er mich jederzeit verteidigen und beschützen würde. Tommaso meint, ich solle andere Männer kennenlernen … Aber jeder Mann muss sich mit Fernando messen – und es gibt niemanden, der es mit ihm aufnehmen könnte.

Vielleicht sollte ich es für Clio tun, aber ich habe nicht die Kraft dazu. Ich kann mich nicht der Notwendigkeit beugen, einem Kind einen Vater zu geben. Bin ich eine schlechte Mutter, Sophia? Bin ich noch die Frau, auf die du stolz warst, vor dem Krieg, als du uns besucht hast?

Eva schrieb und schrieb, füllte Seite um Seite mit Gedanken, inneren Kämpfen, die sie nur der Frau anvertrauen konnte, die sie wie eine Mutter liebte. Als sie endlich fertig war und der Brief vor ihr auf dem Schreibtisch lag, schaute sie hinaus in den Herbst, der mit großen Schritten durch den Garten zog und den Sommer verabschiedete.

Der Oktober in Rom ist wie ein zweiter Sommer, hatte Tommaso ihr einmal erklärt. Die Straßen am Fluss sind dann in goldenes Licht getaucht, während sich auf den Hügeln, die die Stadt schützend umgeben, bereits der Winter ankündigt. Der kühle Abendwind weht die Wärme des Sommers fort, doch etwas von seiner Süße bleibt.

Dennoch konnte Eva nur das Chaos des Krieges sehen, die Armut, die die Menschen dazu brachte, nicht mehr in den Himmel zu schauen und zu lächeln, sondern im Müll nach etwas Essbarem oder gar nach einer Münze zu suchen, die einem zerstreuten Passanten aus der Tasche gefallen war. Alles wurde aufgehoben und aufbewahrt – für noch schlechtere Zeiten, wie viele sagten.

Als ob dieses Elend nicht schon reichen würde, sagte sie sich, als das Telefon im Flur klingelte. Micol kam herein und teilte ihr mit, dass Andrea sie sprechen wolle.

»Ich habe besorgt, worum du mich gebeten hat. Wir können also loslegen.«

Eva nickte, als stünde Andrea ihr gegenüber, und wickelte sich die dunkle Telefonschnur um den Zeigefinger. Ihr Blick traf den von Diana, die soeben mit ihrer Schwester nach Hause gekommen war. »Sehr gut«, sagte sie zu Andrea ins Telefon und winkte den beiden zu, doch sie verschwanden sofort in ihren Zimmern.

»Diana weiß davon natürlich nichts. Ich habe sie in der Firma gesehen, aber ich habe ihr nichts gesagt.«

»So soll es auch sein«, antwortete Eva und legte auf, als aus Richtung des Gästezimmers plötzlich aufgeregte Stimmen zu hören waren. Sie ging rasch über den Flur, um nach dem Rechten zu schauen. Vor der geschlossenen Tür stand Diana und flehte ihre Schwester an, ihr aufzumachen.

»Myriam, bitte«, rief sie eindringlich. Als sie die kühlen Finger ihrer Mutter auf ihrer Schulter spürte, fuhr sie herum.

»Was ist passiert?«, fragte Eva, doch ihre Tochter sah sie nur kalt an.

»Was passiert ist? Sie hat ihren Mann verloren. Schon vergessen?«

Eva schluckte.

»Warum hat sie sich eingeschlossen?«

Diana starrte auf die Tür. »Ich hatte sie endlich überredet, mal rauszugehen und Tante Ottavia im Geschäft zu besuchen, aber auf dem Weg ist uns eine Gruppe Soldaten begegnet. Sie ist sofort zurückgerannt und hat sich eingeschlossen«, seufzte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

Eva faltete die Hände wie zu einem Gebet. »Dann lassen wir Myriam heute in Ruhe, wenn sie das möchte. Sie braucht eben Zeit. Komm schon, gehen wir«, sagte sie und trat beiseite, um ihre Tochter vorbeizulassen. Diana zögerte einen Moment, dann ging sie hinauf in ihr Zimmer.

»Lass mich raten: Es geht um Myriam?«

Eva fuhr herum. Ihre Schwägerin war hinter ihr aufgetaucht. Sie nickte. »Diana versucht verzweifelt, ihrer Schwester ihren Lebensmut zurückzugeben. Anscheinend begreift sie nicht, wie groß Myriams Schmerz ist.«

Lia sah zur Treppe und seufzte. »Sie will ihr eben helfen. Auf ihre Art.«

»Das weiß ich. Aber sie muss doch verstehen, wie schwer es ist, den Ehemann zu verlieren. Das ist ein Schmerz, der nie vergeht, und Myriam hat diesen Weg gerade erst begonnen. Sie braucht Zeit und Geduld.«

Lia lächelte. »Zwei Eigenschaften, die Diana leider nicht hat.«

»Stimmt. Vielleicht sollte ich versuchen, mit Myriam zu reden.«

Lia griff nach Evas Hand. »Du bist eine gute Mutter und eine gute Schwägerin«, sagte sie mit einem melancholischen Lächeln, dann ging sie gebeugt und so langsam, als fürchtete sie hinzufallen, durch den Flur davon. Eva blickte ihr nach, dann klopfte sie an Myriams Tür. Doch da sich nichts rührte, kehrte sie seufzend ins Wohnzimmer zurück.

Derweil saß Myriam in ihrem penibel aufgeräumten Zimmer und schaute aus dem geöffneten Fenster, die Arme fest um sich geschlungen. Sie fröstelte, aber das war ihr egal. Ein Teil von ihr wünschte, die gleiche Kälte, die gleiche Hitze, den Hunger und den Schmerz zu fühlen, den auch Giovanni fühlte, wo immer er sein mochte. Seinen Schmerz zu spüren, erlaubte es ihr, einen Teil von ihm zu bewahren, das festzuhalten, was das Leben ihr genommen hatte.

Sie fühlte sich bestohlen, verletzt, wütend, oftmals aber auch einfach nur leer. Sie legte die Wange auf ihr knochiges Knie und schloss die Augen, wie damals als Kind, wenn sie auf der Plantage inmitten der Zuckerrohrpflanzen gesessen und auf die Geräusche der Natur um sich herum gelauscht hatte. Sie hörte den Wind, die leichte Brise, die die Wolken wegschob und sich in ihr Zimmer schlich, ihr durch die Haare strich, ihre Schultern streichelte, den Baumwollstoff ihres Nachthemds, das am Kleiderschrank hing, sanft bewegte. Die Schranktür klapperte, ein Rhythmus, der die Zeit einteilte, die Myriam nicht mehr zählte. Sie war müde. Sie stand auf, hängte das Nachthemd in den Schrank, zog die Schuhe an, warf sich den olivgrünen Mantel über die Schultern und setzte das ziegelbraune Barett auf den Kopf. Als sie am Wohnzimmer vorbeischlich, saß dort ihre Mutter und las, Lia war mit Clio und Viola in der Küche, wo sie mit Micol Kekse buken. Auch Diana hatte sich zu ihnen gesellt.

Draußen atmete sie tief durch und entspannte sich langsam. Sie sog den Geruch nach feuchter Erde, nach dem nassen Laub der Bäume tief ein. Noch immer war fernes Donnergrollen zu hören. Sie betrachtete die Pfützen, die an das Unwetter erinnerten. Mit dem Schirm in der Armbeuge lief sie los, durch die wohlbekannten Straßen der Nachbarschaft, wo sie jede Pflanze, jeden Baum, die Farben der Fassaden kannte, selbst die Stimmen, die durch die geschlossenen Läden drangen. Sie lief weiter über die breiten Alleen, die von den Schienen der Straßenbahn durchzogen waren, die täglich Hunderte von Frauen transportierte. Männer waren immer seltener zu sehen. Sie kam an den dunklen Fassaden der Palazzi im Neorenaissance-Stil vorbei, die mit schmiedeeisernen Balkonen geschmückt waren, an den Schaufenstern der Via Nazionale, wo ihre Tante Ottavia arbeitete, dann ging sie immer weiter, bis sie schließlich den Fluss erreichte, der in kleinen Wellen die Insel umspülte – das Auge des Tibers. Auf der Brücke blieb sie endlich stehen.

Schweigend betrachtete sie den Fluss und lauschte seinem Rauschen. Nach dem langen Spaziergang war sie verschwitzt, die Füße taten ihr weh, die Schuhsohlen waren so durchgelaufen, dass sie jeden Stein spürte, aber das störte sie nicht. Sie musste an ihr erstes Treffen mit Giovanni denken, an einem Abend vor vielen Jahren in einem illegalen Lokal, an den ersten Kuss, ihr Versprechen zusammenzubleiben, für immer, was auch geschehen mochte. Die Hochzeit, genau so, wie sie es sich gewünscht hatte: mit wenigen Gästen in der kleinen Kirche auf dem Hügel nahe La Gioiosa, dem Limettenhaus, ein selbst genähtes schlichtes Kleid und eine unvergessliche Nacht in einem Haus am See.

Es war nicht so romantisch gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte, aber sie war bei Giovanni, und alles andere zählte nicht.

Sie stellte sich vor, wie er tot dalag, in einem schnell ausgehobenen Loch auf einem Acker, der leblose Körper merkwürdig verdreht, die Augen weit aufgerissen. Myriam umklammerte das Brückengeländer, die Brust schmerzte, sodass sie kaum atmen konnte.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte ein Fremder hinter ihr. Myriam blieb reglos liegen und starrte den Mann mit aufgerissenen Augen an.

Myriam schüttelte den Kopf. Dann sah sie sich den dunkelhaarigen Mann genauer an. Er wirkte angespannt, sein Mund war unter dem dichten Bart kaum zu sehen.

Myriam befeuchtete sich die Lippen und schaute auf das wogende Wasser. Ihr Herz schlug schneller. Sie dachte an Giovanni, an das Gefühl der Verlorenheit, das sie seit Tagen begleitete, das ihr den Schlaf und die Luft zum Atmen raubte, das ihren Tagen die Farbe genommen hatte. Giovanni war verschwunden, und auch weil es keinen Leichnam gab, den sie begraben konnte, war es, als wäre ihr Leben angehalten worden, als steckte sie fest mit ihren Ängsten. Sie presste die Hand auf die Brust, um die hämmernden Herzschläge zu beruhigen, um sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen, nicht jetzt, vor einem Fremden. Aber ehe sie wusste, wie ihr geschah, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie konnte nur die Hände vors Gesicht schlagen und einen Schritt zurückweichen. »Gehen Sie, bitte«, flehte sie mit tränenerstickter Stimme, doch der Mann umfasste ihre Handgelenke und zwang sie, ihn anzusehen.

»In dem Zustand lasse ich Sie nicht einfach hier auf der Straße stehen.«

»Gehen Sie, bitte.«

»Das kann ich nicht. Tut mir leid.« Er suchte Myriams Blick.

Myriam sah ihm geradewegs in die Augen.

Er wischte seine Hand am Hosenbein ab und streckte sie ihr entgegen. »Ich heiße Giovanni Guida. Ich arbeite als Arzt im Krankenhaus, dort auf der Insel.«

»Myriam Fontamara«, stellte sie sich mit ihrem Mädchennamen vor. Sie musste unwillkürlich lächeln über den Scherz, den sich das Schicksal mit ihr erlaubte: ein Giovanni, ihr Giovanni, hatte sie geliebt, ein anderer fremder Giovanni kümmerte sich nun um sie.

»Gut, Myriam, was halten Sie davon, mit mir ins Krankenhaus zu kommen? Sie können von dort Ihre Familie anrufen und sie informieren, dass es Ihnen gut geht und sie Sie abholen können.«

»Das ist nicht nötig, ich kann alleine nach Hause gehen«, entgegnete sie, doch Giovanni schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, aber das kommt nicht infrage. Es ist dunkel, da sollte eine junge Frau nicht mehr alleine auf der Straße unterwegs sein. Schon gar nicht in Ihrem Zustand. Sie sind völlig aufgelöst.«

»Mein Mann ist festgenommen worden«, stieß sie hervor, während das Knattern eines Motorrads zu hören war, das im Viertel patrouillierte. »Er war Musiker. Er war ein guter Mensch und vor allem ein freier Geist.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte tief. »Sie haben ihn weggebracht, und keiner weiß, wohin, noch, wie er gestorben ist.«

»Woher wollen Sie wissen, dass er tot ist?«

Sie hob den Kopf und warf ihm ein bitteres Lächeln zu. »Niemand, der von ihnen geholt wird, überlebt.«

Giovanni legte ihr eine Hand auf die Schulter und fuhr sich mit der anderen über das Gesicht. »Dieser verdammte Krieg trifft uns alle.«

»Es war nicht der Krieg. Es waren die Deutschen. Sie haben ihn mir genommen. In Paris«, erklärte sie dem Arzt. »Und ich hasse sie von ganzem Herzen, oder dem, was davon noch übrig geblieben ist.«

Sie sahen sich lange an: sie eine zierliche junge Frau mit geballten Fäusten und voll verzweifelter Wut, er ein Mann, der Leben retten wollte.

»Sie können mich gerne anzeigen, wenn Sie wollen. Ich habe keine Angst mehr«, erklärte Myriam schließlich, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Doch der Mann schüttelte den Kopf und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

»Kommen Sie mit mir ins Krankenhaus, bitte. Trinken Sie etwas Warmes, und dann können Sie meinetwegen nach Hause gehen. Aber ich lasse Sie hier nicht so auf der Straße stehen«, sagte er und bemerkte aus dem Augenwinkel zwei Soldaten, die in ihre Richtung liefen. »Man weiß nie, was in den Köpfen bestimmter Menschen vor sich geht«, fügte er leise hinzu, während er Myriam sanft in Richtung Krankenhaus schob.

Sie gingen über die Ponte Fabricio, die schmale Straße an der Apotheke und der Kirche San Giovanni Calibita vorbei und erreichten einen freien Platz, auf dem die Basilika San Bartolomeo all’Isola mit ihrer Barockfassade, den drei Arkaden und dem romanischen Glockenturm aufragte. Gegenüber lag das kürzlich renovierte Krankenhaus, das sie durch den Nebeneingang betraten. Durch ein Gewirr von Korridoren und Wartesälen mit hohen Decken und riesigen Fenstern ging es immer weiter. Hin und wieder drangen Klagelaute aus den im Halbdunkel kaum zu erkennenden Betten, übertönt von dem Geräusch der raschen Schritte der Schwestern, die den zahlreichen Patienten zu Hilfe eilten.

»Sie bekommen gleich erst mal etwas Warmes zu trinken, und dann zeige ich Ihnen das Telefon«, sagte Giovanni und führte sie weiter durch die schier endlosen Gänge. Hin und wieder grüßte er einen Kollegen oder eine Stationsschwester. »Wir sind hier wie eine große Familie, jeder kennt jeden und man hilft sich, wo man kann.«

»Klingt nach einem idealen Arbeitsplatz.«

»Ja und nein«, sagte er und führte sie auf seine Station. Er begrüßte die Stationsschwester und brachte Myriam in ein kleines Zimmer, das als Personalküche genutzt wurde und in dem ein Topf Wasser auf dem Herd stand, daneben eine Kaffeemaschine, einige Dosen mit Kamillen- und Malventee sowie Kaffeeersatz. »Wenn ich nicht mindestens vier Tassen Ersatzkaffee trinke, komme ich nicht durch die Nacht«, sagte er, während er für sie einen Kamillentee zubereitete. Sie trank ihn lauwarm, mit einem Teelöffel Honig. »Den hat eine Krankenschwester mitgebracht, die auf dem Land lebt, ihr Schwiegervater züchtet Bienen. Du musst ihn probieren, er ist einfach köstlich«, sagte er, wobei er unwillkürlich zum Du übergegangen war.

Myriam saß in der Ecke auf einem Stuhl, eingezwängt zwischen dem Tisch und dem Fenster, durch das der Fluss und der Sternenhimmel zu sehen waren. Sie war schon seit Stunden von zu Hause fort und fürchtete, ihre Mutter könnte sich Sorgen machen. »Wann kann ich telefonieren?«, fragte sie, woraufhin Giovanni sie sogleich in das Zimmer des Oberarztes führte.

»Nachts dürfen wir sein Telefon benutzen. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst«, sagte er auf der Türschwelle, während sie den schwarz glänzenden Hörer umklammerte. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er freundlich und ging auf sie zu. Myriam ließ den Hörer sinken. »Ich schäme mich. Ich bin seit Stunden verschwunden. Meine Familie macht sich sicher Sorgen«, sagte sie.

Giovanni legte ihr sanft die Hand auf den Rücken.

»Wir verlieren alle mal die Orientierung, wenn der Schmerz übermächtig scheint.«

Giovanni, der nachdenklich vor sich hin gesehen hatte, blickte Myriam jetzt direkt an, eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte, mit ihren riesigen meergrünen Augen und den weichen Lippen. »Bleib hier.«

»Bitte?«

»Arbeite als Hilfskrankenschwester. Wir haben nicht genug Personal, wir können jede helfende Hand gebrauchen. Wenn du die Grausamkeit des Krieges lindern willst, dann hilf uns, diejenigen zu pflegen, die Hilfe brauchen. Und vielleicht kommt für dich irgendwann der Tag der Rache.«

Myriam richtete sich auf und verschränkte die Arme. »Was meinst du damit?«

Giovanni räusperte sich: »Früher oder später werden die Alliierten bei uns einmarschieren, so viel ist sicher. Die Deutschen wollen aus uns Schlachtvieh machen, mit Unterstützung der Faschisten, die ihnen schwanzwedelnd hinterherlaufen. Aber wir werden das nicht zulassen.«

Myriam wich einen Schritt zurück. »Wer, wir?«

»Alle, die die Freiheit lieben«, antwortete er und schaute ihr forschend in die Augen, um zu sehen, ob sie verstand. »Es ist deine Entscheidung. Wenn du möchtest, kannst du morgen anfangen. Frag nach mir oder nach der Oberschwester: Die weiß, was zu tun ist. Was den Rest angeht, kannst du jederzeit zu mir kommen, dann werde ich dir sagen, was es zu wissen gibt. Aber jetzt mach deinen Anruf, ich muss zu meinen Patienten zurück.« Er wandte sich zum Gehen und ließ Myriam im Halbdunkel des Zimmers vor dem Telefon zurück. Während sie wählte und mit leiser Stimme in den Hörer sprach, hielt er auf der Türschwelle noch einmal kurz inne, wandte sich um, betrachtete ihre Silhouette.

Diana riss die Tür auf und funkelte ihre Schwester wütend an: »Wo zum Teufel warst du?«

Myriam winkte Andrea zum Abschied, der sofort weiterfuhr. Sie hatte sich doch nicht getraut, ihre Mutter anzurufen, sondern hatte stattdessen Andrea gebeten, sie abzuholen. Sie schob sich an Diana vorbei ins Haus. »Ich bin müde, ich möchte jetzt nicht darüber reden.«

»Natürlich, die Prinzessin hat jetzt keine Lust zu reden! Aber bis spätabends herumstreunen, das kannst du!«

Beklommen ging Myriam in Gästezimmer, wandte sich aber dann doch noch einmal um. »Das sagst ausgerechnet du! Du hast doch immer nur gemacht, was du wolltest, und hast dich einen Dreck um die anderen geschert! Du bist die Letzte, die mir Vorwürfe machen sollte.«, donnerte sie und wollte gerade in ihrem Zimmer verschwinden, als plötzlich ihre Mutter vor ihr stand. Sogleich senkte sie den Blick. »Es tut mir leid, dass ich euch Sorgen gemacht habe. Ich habe mich verlaufen. Zum Glück habe ich einen freundlichen Arzt getroffen, der mich mit ins Krankenhaus genommen hat, von wo ich euch anrufen konnte.«

Eva sah sie aufmerksam an, während Diana mit theatralischem Türenknallen in ihrem Zimmer verschwand. »Myriam«, sagte sie leise. Am liebsten hätte sie ihre so leidende Tochter in den Arm genommen und ihr gesagt, dass der Schmerz mit der Zeit nachlassen würde; aber sie konnte sie nicht belügen. Sie streckte ihr die Hand hin und führte sie in die Küche. Es war inzwischen tiefe Nacht, Lia und die Kleinen waren bereits zu Bett gegangen, und auch Micol hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen. Auf dem Tisch stand das Frühstück für den nächsten Morgen, Micol hatte es mit einem Baumwolltuch abgedeckt. Eine Feigentarte, Violas Lieblingskuchen aus dem Rezeptbuch ihrer Mutter. »Setz dich, dann können wir reden«, forderte Eva sie auf und goss Milch in einen Topf. »Möchtest du ein Stück?« Sie hob das Geschirrtuch etwas an, damit Myriam den Kuchen sehen konnte. »Ich gebe noch einen Löffel Honig dazu, dann wird der Schlaf schon kommen, oder?«

Myriam nickte und nahm die Dose mit dem Firmenlogo vom Fensterbrett. »Dann brauchen wir aber auch ein paar Kekse. Marisol hat uns abends immer so viele gegeben, dass Diana und ich oft mit Bauchweh ins Bett gegangen sind.«

Eva lächelte, füllte die Milch in zwei Tassen und gab zwei Esslöffel Honig dazu. »Als Kinder wart ihr echte Leckermäuler. Und was Diana angeht …«

»Ich werde mich morgen bei ihr entschuldigen«, fiel Myriam ihr ins Wort. Sie faltete die Hände auf der dunklen Tischplatte. »Ich weiß, dass ich nicht so hätte reagieren sollen, aber sie versteht einfach nicht, wann es genug ist. Ich habe so oft versucht, ihr zu erklären, wie ich mich fühle, aber das interessiert sie überhaupt nicht. Ihrer Meinung nach sollte ich Giovanni einfach vergessen und mein Leben weiterleben, als ob nichts passiert wäre. Diana begreift einfach nicht, dass manche Menschen nicht so leicht mit gewissen Dingen fertigwerden. Sie hat eine sehr egoistische Sicht auf die Welt, und wer sie nicht so sieht wie sie, liegt in ihren Augen falsch.«

Eva brach einen Keks in der Mitte durch und legte ihn wieder auf die Serviette. »Ich weiß, dass Diana nicht immer einfach ist, aber sie liebt dich wirklich, auf ihre Weise.«

»Ich will auch anfangen, die Dinge auf meine Weise zu machen«, entgegnete Myriam und dachte an die letzten Stunden zurück, an ihr Treffen mit Giovanni und sein merkwürdiges Angebot. Sie war selbst überrascht, wie natürlich sich alles zwischen ihnen entwickelt hatte. Sie hatten einander sofort vertraut.

»Was meinst du damit, du willst die Dinge auf deine Weise machen? Willst du wieder anfangen zu arbeiten? Wenn du möchtest, kann ich mich bei Freunden umhören, es wird sich sicher etwas finden. Oder du fängst bei uns in der Firma an. Damit würdest du mich sehr glücklich machen.«

Myriam legte den Kopf schief und biss in einen Keks. »Danke für das Angebot, aber die Firma ist nichts für mich. Das weißt du ebenso gut wie ich«, sagte sie vorsichtig und dachte an Giovannis Angebot. Die Vorstellung, Teil eines großen Ganzen zu werden, gefiel ihr. Es wäre viel bedeutsamer als alles, was sie bisher getan hatte. Natürlich wäre Giovanni, ihr Giovanni, nicht mehr an ihrer Seite, um sie zu beschützen. Aber vielleicht war jetzt die Zeit gekommen, auf eigenen Füßen zu stehen.

»Schluss mit dem Artikelschreiben, es ist Zeit zu handeln«, entschied sie am nächsten Morgen, als sie mit angezogenen Knien im Bett saß und den Sonnenaufgang betrachtete.

Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und zog sich rasch an, schob einen Entschuldigungsbrief unter der Tür ihrer Schwester durch und ging in die Küche, wo sie mit Micol eine Tasse Ersatzkaffee trank, dann verließ sie das Haus.