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Shri Mataji Nirmala Devis 'Metamodernes Zeitalter' ist ein liebevoll geschriebenes und zugleich verpflichtendes und kraftvolles Buch. Es beschreibt einen real greifbaren spirituellen Durchbruch für das 21. Jahrhundert: Die spontane Selbst-Verwirklichung durch 'Sahaja Yoga' ermöglicht den Zugang zu einer neuen Dimension des menschlichen Bewusstseins. Geschrieben von einer Kandidatin für den Friedensnobelpreis und einer der größten Stimmen der Spiritualität, bietet der Text tiefe Einsichten in die Krisen unserer modernen Zeit und darüber hinaus Lösungen für ihre zugrundeliegenden Ursachen.
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Seitenzahl: 417
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Allen Suchern
der
absoluten Wahrheit
© Nirmal Intellectual Property Corporation (NIPC) 2018
aus dem Englischen übertragen und herausgegeben
vom
Projektteam der österreichischen und deutschen
Sahaja-Yoga-Kollektivitäten (PÖDSYK)
Titel der Originalausgabe
Meta Modern Era
© NIPC 2018
Vorwort zur zweiten deutschen Ausgabe
Vorwort zur englischen Ausgabe
Modernismus und Rationalität
Die Qual der Wahl
Demokratie
Rassismus
Die Kultur des Westens
Religionen
Frieden
Weltfrieden
Evolution
Die Botschaft der Metawissenschaft
Das Subtile System
Glossar und Index
Die englische Originalausgabe von Shri Matajis einzigem selbstgeschriebenen und zu ihren Lebzeiten veröffentlichtem Buch erschien 1996. Sie wurde mit ihrem Einverständnis mehrmals redaktionell überarbeitet, und inzwischen ist eine fünfte Ausgabe erhältlich. Eine nicht veröffentlichte erste deutsche Übersetzung wurde 2000 bereitgestellt.
Nach 18 Jahren können wir eine völlig neu überarbeitete deutsche Version vorlegen, die in zeitgemäßer Form im gesamten deutschsprachigen Buchhandel sowohl gedruckt als auch als E-Book verfügbar ist. Die Übersetzung basiert auf den bisher erschienenen Überarbeitungen der Originalausgaben sowie mündlichen Absprachen mit den Herausgebern.
Der ursprüngliche Titel der Originalausgabe wurde durch einen Untertitel ergänzt. Die weitere Überarbeitung umfasst natürlich sowohl den Text als auch das Layout. Im deutschen Sprachraum nicht unbedingt geläufige Begriffe oder Hintergründe in Fußnoten erläutert. Ergänzungen oder Anmerkungen im Text sind als Anmerkung des Übersetzungsteams (AdÜ) gekennzeichnet. Soweit notwendig, wurden sachbezogene Erklärungen oder Bilder lizenzfreien und öffentlich zugänglichen Quellen entnommen. Sofern nicht anders vermerkt, verweisen Quellenangaben der verwendeten Bibelzitate auf die Lutherbibel (2017). Das Glossar wurde um einige Stichworte erweitert und andere entfernt, um es dem deutschen Kulturkreis anzupassen. Es wurde mit einem Index kombiniert, sodass entsprechende Textstellen schnell zu finden sind.
Es ist für alle an der Übersetzung Beteiligten eine große Ehre, die Worte dieser großen spirituellen Persönlichkeit in der eigenen Sprache wiedergeben zu dürfen. Es soll dem Leser überlassen bleiben, ihre Bedeutung zu ermessen.
Manchmal können Shri Matajis Worte provozierend wirken – vielleicht aus gutem Grund. Doch mit einer guten Portion Humor und aus einer geweiteten spirituellen Perspektive offenbart sie sehr grundlegende und aus unserer Perspektive vielleicht unbequeme Wahrheiten. Leserinnen und Leser sollten auch nicht vergessen, dass die eigentliche Botschaft des Buches jenseits der Worte in der konkreten Erfahrung der Selbst-Verwirklichung liegt.
Ohne sich in großem Maßstab der spirituellen Seite seines Wesens zu öffnen, wird es kaum möglich sein, dass der moderne Mensch seine wahre Bestimmung erfüllt und die von Shri Mataji bereits vor mehr als 20 Jahren beschriebenen und heute zum Teil auf den Punkt genau offensichtlich werdenden Probleme auf globaler Ebene löst. Westliche Gesellschaften spielen dabei eine entscheidende Rolle.
PÖDSYK, im Mai 2018
Eigentlich wollte ich ein Buch dieser Art gar nicht schreiben, denn ich lebe in vollkommener göttlicher Freude. Doch mein Wunsch war es auch, dass alle diese alles durchdringende Freude der göttlichen Liebe genießen können. Besonders im Westen suchen viele nach der absoluten Wahrheit und viele Wissenschaftler haben umfangreiche Werke über Bewusstsein geschrieben. Obwohl es eine lange Liste ergäbe, sind diese Bücher doch alle sehr ermüdend, weil sie kein Wissen über die höchste Wahrheit vermitteln. Ich möchte diese Wissenschaftler keinesfalls kritisieren, denn ihre Arbeit basiert auf ehrlicher Forschung. Doch warum sollte man dieser neuen Entdeckung nicht auch eine Chance geben und nicht in aller Bescheidenheit herausfinden, was jenseits dieses Verstandes mit seiner künstlichen Intelligenz liegt?
Für mich ist es sehr schwierig, über das westliche Leben zu schreiben, denn ich sehe einen riesigen, nur äußerlich gewachsenen Baum. Wie kann er sich jetzt auf seine Wurzeln besinnen und innerlich zur Entwicklung gebracht werden? Nur durch tiefe Innenschau können die Probleme der westlichen Zivilisation erkannt werden, die die Menschen daran hindern, die Wahrheit zu sehen.
Dieses Buch ist besonders für die Menschen im Westen gedacht, die mich darum baten, es zu schreiben. Leider habe ich keine westliche Sprache studiert. Das Englische ist eins der Geschenke, die die britische Herrschaft Indien hinterlassen hat. Da ich eine muttersprachliche Schule besuchte und danach Medizin studierte, kam es nicht dazu, dass ich die englische Sprache wirklich lernte, die heute überall und besonders im Westen gesprochen wird.
Deshalb soll dieses Buch in keiner Weise durch blumige Sprache beeindrucken, noch möchte ich damit irgendein literarisches Talent unter Beweis stellen. Es dient der Darstellung mir bekannter Dinge, die ich der westlichen Welt mitteilen möchte. Somit bitte ich die Leser, ihre Zeit nicht mit der Suche nach sprachlichen Mängeln zu verschwenden, denn Englisch ist wie gesagt nicht meine Muttersprache. Leider war es auch nicht möglich, dieses Buch von anderen schreiben zu lassen; ich musste es selbst tun.
Die größte Schwierigkeit besteht darin, den Menschen zum einen davon zu überzeugen, das höchstentwickelte Wesen der gesamten Schöpfung zu sein und dass er zum anderen die Fähigkeit besitzt, zu einer großartigen, wunderschönen, friedvollen und engelsgleichen Persönlichkeit heranzureifen. Die Probleme der heutigen Zeit anzusprechen, ist bestimmt nicht der beste Weg, ihn von seiner wahren Natur zu überzeugen. Doch die Menschen sind so verkannt und ihr Wertesystem so erschüttert, dass ich glaube, nur anhand der Wurzeln des Übels aufzeigen zu können, warum sie sich für ihre Weiterentwicklung befreien müssen.
Deshalb ist es wichtig, die Probleme und ihre Lösungen offen beim Namen zu nennen.
Der moderne Mensch kennt weder inneren noch äußeren Frieden. Arme und Reiche sind gleichermaßen unglücklich, und überall wird nach Lösungen gesucht. Auf begrenzter mentaler Ebene kann der Intellekt gewisse Probleme und Gefahren bewältigen. Doch neue entstehen – denn die wahre Lösung liegt nicht in äußerenmateriellen Bedingungen, sondern im Menschen selbst. Eine wirkliche und dauerhafte Beseitigung von Missständen kann nur durch eine innere und gemeinsame Transformation der Menschen erreicht werden. Dies ist keine Utopie, sondern bereits Wirklichkeit, denn Tausende haben diesen Zustand tatsächlich erreicht. Die massenhaft stattfindende innere Transformation als Resultat der spirituellen Selbst-Verwirklichung ist die revolutionärste Entdeckung dieses Zeitalters. Dennoch haben die meisten Regierungen und besonders die von Amerika, England, Frankreich, Italien und Deutschland sie noch nicht anerkannt; und der angeblich für Religion zuständige Papst trifft sich mit sämtlichen falschen Gurus. Doch obwohl wir uns schon vor seiner Wahl zum Papst begegnet sind, wird er sich mit mir sicherlich nicht treffen oder mit mir sprechen.
Dies alles ist nicht mein Werk, sondern es ist der Wunsch des Göttlichen, dieses Wissen ans Licht zu bringen. Damit können die Menschen ein höheres Bewusstsein erreichen und sich selbst in ihrer ganzen Größe erkennen.
Für mich sind die meisten Menschen noch versteinerten Gottheiten ähnlich, die durch die Erweckung der Kundalini zu Engeln transformiert werden können. Mit diesem Buch hoffe ich, niemanden zu verletzen, sondern wünsche mir im Gegenteil, noch viele weitere Menschen für das große Werk Sahaja Yoga zu gewinnen – auf dass sich das Ziel ihrer Suche verwirklicht.
Oft schreibe ich mit einem Augenzwinkern, weil ich von Natur aus sehr humorvoll bin und auch die Dinge mit Humor betrachte, die von den Menschen manchmal sehr ernst genommen werden.
Einer Mutter fällt es immer schwer, über die Schwächen ihrer Kinder zu sprechen. Doch ich glaube, dass sie das höchste Ziel ihrer spirituellen Selbst-Verwirklichung nur erreichen können, wenn die Dinge beim Namen genannt werden. Daher bitte ich euch alle, mir nicht böse zu sein, sondern zu verstehen, dass ich dieses Buch mit den mir zur Verfügung stehenden sprachlichen, literarischen und stilistischen Mitteln aus tiefem Mitgefühl, tiefster Liebe und zum Wohl der Menschen geschrieben habe.
In den Puranas wird unsere moderne Zeit als Kali Yugabezeichnet, als Zeitalter der Verwirrung und Konflikte. Yugas sind Zeitabschnitte von Jahrtausenden, die sich zyklisch oder spiralartig wiederholen. Das Dwapara Yuga etwa ist das zweite Zeitalter, in dem die Menschen anfangen, einige der großen Qualitäten zu verlieren, die sie im Ersten oder Goldenen Zeitalter noch hatten. Der tiefste Punkt der moralischen und geistigen Entwicklung eines jeden Zyklus wird im der heutigen modernen Zeit entsprechenden Kali Yuga erreicht. Darauf folgt die Zeit der Transformation und Umsetzung der spirituellen Erfahrung im Krita Yuga. Dieses mündet schließlich ins Satya Yuga, das Zeitalter der Wahrheit oder Wirklichkeit. Das Goldene Zeitalter kehrt zurück, und alle spirituellen Fähigkeiten des Menschen beginnen, sich wieder im vollen Glanz zu offenbaren. Den Puranas zufolge dürfen die Menschen nun auf das Satya Yuga hoffen, das ihnen Frieden, Harmonie und Gottes Liebe bringen wird.
Vergleichen wir die Beschreibung des Kali Yugas in den Puranas mit dem offensichtlichen Zustand unserer heutigen Gesellschaft, so begann die schlimmste Phase des Kali Yugas wie mir scheint im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Es ist kaum zu glauben, wie schnell sich die Veränderungen in der Kultur und der Denkweise der Menschen besonders im Westen vollzogen haben, der wiederum alle anderen Kulturen beeinflusste. Im Kali Yuga werden traditionelle Werte immer stärker aufgeweicht und zerstört, sodass es zu immer stärkeren moralischen Verwirrungen kommt. Rastlos suchen die Menschen nach neuen Lebensstilen und Gesellschaftsordnungen. Am Tiefpunkt angekommen, werden sie gemäß den Puranas kein Gespür mehr für das ihnen innewohnende Dharma haben und Recht nicht von Unrecht unterscheiden können. Kinder werden ihre Eltern nicht mehr respektieren, Männer werden denken und handeln wie Frauen und Frauen wie Männer. Menschen niedrigsten Niveaus werden Macht und Ansehen besitzen, während höher entwickelte und spirituell orientierte auf Ablehnung und Verachtung stoßen.
Vor 25 Jahren etwa begann jedoch die Zeit der Wandlung, das Krita Yuga, und kündigte damit ganz leise ein neues Satya Yuga an. Das Krita Yuga ist eine einzigartige Zeit spirituellen Bewusstseins, da die alles durchdringende und auf Sanskrit Param Chaitanya genannte göttliche Kraft nun auch auf der ganz normalen Ebene menschlicher Existenz aktiv ist. Aus Weissagungen wissen wir, dass diese göttliche Aktivität das ersehnte Satya Yuga hervorbringen wird, das Zeitalter des Wachstums und des spirituellen Aufstiegs. Alle Zeichen sprechen dafür, dass sich nun dieses Zeitalter der Wahrheit nähert. Man kann deutlich beobachten, wie ganz normale und Sahaja Yoga praktizierende Menschen der absoluten Wahrheit und Realität gewahr werden. Sahaja Yoga bedeutet die spontane Vereinigung des individuellen Bewusstseins mit der alles durchdringenden göttlichen Kraft. Dieser Vorgang erfolgt mit Hilfe die Erweckung der Kundalini,einer „schlafenden“2 Kraft. Sie ruht im Kreuzbein oder auch Os sacrum, also dem „Heiligem Knochen“ am Ende der Wirbelsäule jedes Menschen.
Zum Krita Yuga gehört es auch, dass die Falschheit aller äußerlichen Religionen und die Verlogenheit der Mächtigen, die ihr Land nicht lieben, zwangsläufig ans Tageslicht kommen. Falsche Propheten und Sektenführer werden genauso entlarvt wie Organisationen, die im Namen Gottes Hass und Falschheit verbreiten, denn im Krita Yuga kommt die Wahrheit spontan ans Licht. Auch korrupte Unternehmer und falsche Lehrer werden exponiert.
Ein weiteres Merkmal des Krita Yugas besteht darin, dass die dem Menschen angeborenen göttlichen Gesetze der Rechtschaffenheit – die nicht nur die menschliche Existenz und die Struktur der Welt, sondern auch alles kosmische Geschehen lenken – bei einer Abkehr vom Dharma zum Tragen kommen und ihre Wirkung entfalten. Es handelt sich dabei um das „Gesetz der Polarität“ – auf Sanskrit Karma Phalam, die „Früchte des Handelns“. Das heißt, man wird die Früchte seiner Taten ernten: „Was ihr gesät habt, werdet ihr ernten.“3 In diesem Yuga werden also alle Menschen ihr aus der Gegenwart oder Vergangenheit resultierendes Karma Phalam erhalten. Führten sie ihr Leben im Einklang mit den universellen und ewigen Gesetzen des Seins, dem Dharma, können sie ein harmonisches und erfülltes Dasein genießen. Für alle schlechten Taten – also alle individuellen oder kollektiven Abweichungen vom zentralen Pfad des Dharmas – werden sie im Laufe ihres Lebens bezahlen müssen.
Leider ist es so, dass das Krita Yuga viel Leid mit sich bringen kann. Doch letztlich ist alles eine Folge unserer Handlungen, der wir uns stellen müssen. Natürlich müssen die Menschen nicht leiden, wenn sie spirituell wachsen und – wie es in der Sprache des Yoga heißt – den Zustand des Atmas erreichen, des Einsseins mit der göttlichen Kraft. Das Gesetz der Polarität, durch das wir Bestrafung und Bloßstellung erfahren, wird nur so lange wirken, bis wir den für den Menschen einzig wahren und befriedigenden Weg der absoluten Spiritualität einschlagen. Individuelles und kollektives Leid wird nur das Ergebnis der eigenen, heute getroffenen Entscheidungen sein – Karma Phalam.
Gleichzeitig ist das Krita Yuga für alle aufrichtigen Wahrheitssucher eine Zeit voller Freude, denn es bietet einzigartige Chancen der Transformation. Die Sucher werden eine hohe Ebene der Spiritualität erlangen; und durch die segensreiche Aktivität der alles durchdringenden Kraft des göttlichen Mitgefühls und der göttlichen Liebe, des Param Chaitanyas, werden im Krita Yuga auch alle erlöst, die unter den Folgen ihrer Fehler zu leiden haben. In den Puranas heißt es, dass die Kundalini – die innere Energie, die uns fortwährend drängt, nach Höherem zu suchen und so den Menschen zum Aufstieg führt – erweckt wird und dadurch die Sucher ihre Selbst-Verwirklichung – das Wissen über ihr wahres Selbst erhalten. Diese Kraft schenkt körperliches, mentales, emotionales und spirituelles Glück; und alle inneren Probleme der Energiezentren des Subtilen Systems (s. Abb. 3, S. →, AdÜ) werden durch die spontane reinigende und harmonisierende Wirkung der Kundalini gelöst. Alle individuellen, aber auch menschengemachten kollektiven oder gesellschaftlichen Probleme werden beseitigt. Es heißt, dieser Zustand sei denen vorbehalten, die durch ihren spirituellen Aufstieg den Zustand der Selbstheit erreicht haben. Es sind uralte Weissagungen, die nun sichtbar eintreffen.
Als erster großer Astrologe und Pionier auf seinem Gebiet hat Bhrigu Muni in seinem Buch Nadi Granth die Moderne sehr genau vorhergesagt. Insbesondere weissagte er die spontane Erweckung der Kundalini durch Sahaja Yoga, die spontane Vereinigung mit dem Göttlichen. Er sagte die Inkarnation eines großen Yogis voraus, durch dessen Lehre die Kundalini zum Instrument der individuellen und kollektiven Transformation vieler Menschen werde. Er4 sei ein konkurrenzloser Meister der Kundalini, der alle in die uralten Geheimnisse der Selbst-Transformation einweiht. Es ist die Zeit, die in der Heiligen Schrift als „Jüngstes Gericht“ und im Koran als Kiyama beschrieben wird, als „Zeit der Auferstehung“. In der Astrologie spricht man vom „Wassermann-Zeitalter“, der „Zeit der Wiedergeburt“ und des großen spirituellen Wachstums auf Erden.
Selbstverständlich ist es auch das Zeitalter der Wissenschaft und der Technologie, in dem die Menschen über das Stadium blinden Glaubens hinausgewachsen sind. In dieser Zeit des Jüngsten Gerichts und der Auferstehung darf und sollte man nicht einfach blindlings glauben, was über Aufstieg oder Erlösung gesagt wird. Man sollte das Gesagte als Hypothese sehen und die Tatsachen genau wie ein Wissenschaftler mit wachem und offenem Geist prüfen. Stellt sich eine Hypothese schließlich als wahr heraus, wird ein ehrlicher und wissenschaftlich denkender Mensch sie auch annehmen. Das reine und sich durch die Selbst-Verwirklichung unmittelbar manifestierende göttliche Wissen wird nach und nach eine neue Art von Menschen für das neue Zeitalter entstehen lassen. Dieses Wissen wird dann nicht mehr wie früher wenigen und Privilegierten vorbehalten sein, sondern der ganzen Welt zugutekommen. Der letzte evolutionäre Durchbruch des Menschen wird in großem Maßstab stattfinden und die Menschheit diese Erneuerung und Transformation als Ganzes erfahren. Das Dharma der gottgesetzten Ordnung der Welt wird wieder universell geachtet, und die Menschen werden ein Leben in Frieden und Harmonie mit sich selbst und im Einklang mit der Natur und ihren Mitmenschen führen.
Den meisten mag der Beginn des Krita Yuga noch verborgen sein, denn das Kali Yuga ist noch überall gegenwärtig. Im Westen scheint es besonders tief zu greifen. Doch auch in Indien und vielen anderen sogenannten Entwicklungsländern, in denen das Dharma eigentlich noch geachtet wird, hat das Kali Yuga vor allem in den Städten eine vom traditionellen und dharmischen Lebensstil abweichende Lebensweise hervorgebracht. Die moderne westliche Kultur ist eine große Bedrohung für die des Ostens, da sie junge Menschen zu einer billigen, leichtfertigen, oberflächlichen und selbstsüchtigen Lebensweise „bekehrt“.
Das Nadi Granth sagte sogar voraus, dass man von Metalltellern statt von traditionell hergestelltem Geschirr essen wird oder Kinder ihren Eltern Widerworte geben werden. Indien hat jedoch den Vorteil, dass der Glaube an das Göttliche nicht so stark in Frage gestellt wird wie im Westen, wo viele destruktiv und gottlos handeln. Der Hang zu vulgären, unmoralischen Verhaltensweisen und die Bereitschaft zur Selbstzerstörung ist im Westen stärker.
In Indien war der Glaube an die und die angeborene Achtung vor den göttlichen Gesetzen und einer universellen Harmonie des Kosmos bei vielen Menschen vorhanden.
Im unverdorbenen Zustand unschuldiger Kindheit haben praktisch alle Menschen ein natürliches und unmittelbares Gefühl für die Existenz eines allmächtigen Gottes. Mit zunehmendem Alter kann es jedoch passieren, dass sie von diesem Glauben abweichen und beginnen, an politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Kräfte zu glauben. Genauso kann der reine Glaube an einen wohlwollenden Gott zu destruktiven Religionsformen wie Orthodoxie, Fundamentalismus, Sektierertum, schwarzer Magie oder Hexerei verkommen. Manche verlieren aus vielen Gründen sogar völlig ihren Glauben und glauben noch nicht einmal mehr an sich selbst. Im Westen ist dies heute weitgehend Alltag. Nur in Ländern wie Indien ist vor allem auf dem Land der tiefe Glaube an das Göttliche noch normaler Bestandteil des Lebens.
Auch in Indien mögen die Auswirkungen des Kali Yugas bis zu einem gewissen Maß spürbar sein. Doch die Grenze der dem Menschen angeborenen Rechtschaffenheit und Gottgläubigkeit ist noch nicht überschritten. Dieser im Westen wohl als antichristlich bezeichnete Lebensstil wird im normalen indischen Alltag weit weniger akzeptiert. Dennoch haben nicht alle Inder ihr angeborenes Gespür für spirituellen Reichtum bewahrt. Viele in den Städten geborene Inder haben einen westlichen Lebensstil angenommen, selbst wenn sie einigen Respekt vor traditionellen Werten und überlieferter Weisheit verinnerlicht haben.
Ironischerweise finden manche Inder den Westen gerade wegen seines nicht zu übersehenden Überflusses so attraktiv. Indien war einst ein sehr reiches Land, das infolge der Fremdherrschaft jedoch verarmte und sich auch seit der Unabhängigkeit noch nicht wieder davon erholt hat. Einige der vielen englische Vermächtnisse sind gut, ein Großteil davon aber schlecht. Außer der verwestlichten Schicht der sogenannten Intellektuellen hat niemand den britischen Lebensstil in Indien anerkannt.
Nachdem die Engländer nach 300 Jahren einer Teile-und-herrsche-Politik abgezogen waren, wurde das Land nach der Religionszugehörigkeit geteilt. Vielerorts verbreiteten sich Zorn und Hass und schufen einen Nährboden für Fundamentalismus und Gewalt. Der traditionelle Lebensstil des Landes blieb jedoch trotz aller Rückschläge weitgehend erhalten. Die Menschen achteten weiterhin überlieferte Werte, und der Glaube an das Göttliche und die Rechtschaffenheit verloren auch nach der Unabhängigkeit bei vielen nicht an Bedeutung.
Nach der Unabhängigkeit führten besonders in der Bürokratie, Politik und Wirtschaft Scheinheiligkeit und mangelnder Patriotismus vieler dazu, dass die einfache und unschuldige Bevölkerung ausgenutzt wurde – Verhaltensweisen, die keineswegs typisch für den Lebensstil der meisten noch fest in traditioneller Weisheit verwurzelten Inder sind. Viele Probleme sind Betrügereien der Mächtigen zuzuschreiben, die den Wohlstand des Landes in der Hand halten. Zum Glück gab es in Indien nur wenige Intellektuelle wie Freud oder de Sade. Ihre endlosen mentalen Projektionen hatten allein den Zweck, Veränderungen um der Veränderung willen zu bewirken sowie den Verfall traditioneller Werte und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft nach westlichem Muster zu forcieren. Auch von großen Kriegen blieb Indien glücklicherweise verschont.
Indien hat zahlreiche große Persönlichkeiten mit hohen Idealen hervorgebracht, die die Wahrheit und alte Weisheiten hochhielten. Seine Geschichte wurde von Heiligen, Sehern, großen Königen und echten Sozialreformern spirituell bereichert, die vom einfachen Volk bis heute geschätzt und verehrt werden. Hochgebildete und charakterstarke Männer und Frauen mit tiefem spirituellem Wissen wie der selbst-verwirklichte Mahatma Gandhi gründete eine ganze Generation großer Patrioten. Wie Gandhi glaubten sie an eine universelle und alle Prinzipien der großen Weltreligionen umfassende Religion. Nach der Selbst-Verwirklichung ist leicht zu erkennen, dass alle Religionen auf dem gleichen lebendigen Baum der Spiritualität gewachsen sind. Die Verantwortlichen dieser Religionen rissen jedoch einzelne Blüten ab und kämpfen jetzt mit abgestorbenen Blüten von Teilwahrheiten gegeneinander. Leider lebten die meisten Patrioten aus Gandhis Generation nur kurz und konnten den ihnen gebührenden Platz im politischen Leben Indiens nicht einnehmen. Da aber die meisten Religionen des Landes nicht organisiert sind und völlige Glaubensfreiheit herrscht, ist auch der Hindu-Fundamentalismus eher eine Art Nationalismus und der überlieferte Glaube an die eine universelle Religion im Volk noch stark verbreitet. So blieben die traditionellen gesellschaftlichen Werte weitgehend intakt.
Nach 300 Jahren britischer Herrschaft liegt das Hauptproblem Indiens in der Armut und der industriellen und wirtschaftlichen Unterentwicklung. Im Gegensatz zu England ist die Church of England nicht die einzige religiöse Autorität. Am schlimmsten ist es in Frankreich, der angeblich ältesten Tochter der Katholischen Kirche. Trotz aller illegalen Aktivitäten und haarsträubender Verbrechen, die rund um den Erdball aufgedeckt werden, gibt es die ADFI5, eine katholische Organisation mit großem Einfluss auf das Justizwesen der meisten europäischen Staaten. Dabei gilt Frankreich als Säkularstaat.
Anders als in Europa kann in Indien keine offizielle Religion einen anderen Glauben als Sekte abtun oder als unerwünscht abstempeln, ohne dabei der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Jeder kann frei einer Religion oder Ideologie seiner Wahl folgen. Die Kehrseite dieser Aufgeschlossenheit und religiösen Toleranz besteht darin, dass die Menschen alle möglichen Irrwege einschlagen und jeden zu ihrem Guru machen können. Glücklicherweise sind alle falschen Gurus raffsüchtig und geldgierig und fühlen sich vom Westen angezogen – das ist der Vorteil eines armen Landes. In Ländern mit einer offiziellen Staatsreligion sind die Menschen jedoch in ihrer Entscheidungsfreiheit völlig eingeschränkt. Sie können Erkenntnisse anderer Religionen nicht für sich in Betracht ziehen, um spirituell weiterzukommen und mehr zu erleben als ihnen die offizielle Religion bieten kann. So bleiben sie entweder ihrem blinden Glauben treu, schlagen Irrwege ein oder fallen Sekten zum Opfer. Die orthodoxen Kirchen versuchten, die Freiheit der frühen Gnostiker zu unterbinden, die sich um die offiziellen Dogmen und Glaubensbekenntnisse nicht kümmerten. Stattdessen hielten sie sich an die Wahrheit, wo auch immer sie sie fanden, und es ging ihnen ausschließlich um die unmittelbare Erkenntnis der göttlichen Realität. Das Sanskrit-Wort Gna bedeutet „Wissen“. Andere Ausdrücke dafür sind Bodha oder Vida. Alle Begriffe weisen darauf hin, dass man die Wahrheit über das eigene zentrale Nervensystem spüren kann. Von Bodha leitet sich das Wort Buddha, der Erleuchtete, ab; und von Vida kommt das Wort Veden, mit dem die alten Schriften des göttlichen Wissens bezeichnet werden.
Inmitten von Heuchelei und moralischem Verfall im Westen können wir die Wirkung des Polaritätsgesetzes beobachten. Der Wohlstand – den die Kolonialmächte so schnell erreichten, indem sie natürliche Rohstoffe plünderten und skrupellos die eroberten kolonialen Märkte ausbeuteten – verbreitete sich und führte zu gewaltigen Veränderungen. Trotz des entstehenden großen materiellen Reichtums, kam es auch zu schrittweisem Verlust kultureller Traditionen, die den Menschen überall auf der Welt helfen, das ewige Dharma zu erkennen. Die tiefgreifenden Änderungen führten zu einer starken Aushöhlung traditioneller kultureller Werte und hinterließen auch in den großen Städten vieler unterentwickelter Länder ihre Spuren. So brachte der Materialismus unmerklich die primitive Kultur des heutigen Westens hervor.
Als Folge der beiden Weltkriege und der Konflikte des Kalten Krieges waren haltgebende traditionelle Werte schlimmen Angriffen ausgesetzt. Eingehende historische Studien zeigen, dass diese Angriffe von Soldaten und Seeleuten ausgingen, die in diese Länder kamen. So ist etwa den während des Vietnamkriegs in Thailand stationierten US-Kräften in hohem Maße die Untergrabung und Zerstörung der einheimischen kulturellen Traditionen zuzuschreiben, an deren Stelle die Antikultur der Prostitution, des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens trat. Möglicherweise waren die beiden Weltkriege für den endgültigen Zusammenbruch der alten Wertesysteme in der westlichen Welt verantwortlich. Das in jenen Tagen im Westen so dominante Ego hat nicht nur andere Länder überrollt, sondern führte auch zu weltweiten Kriegen unter den Weißen.
Die Europäer fielen in Amerika ein und zerstörten die friedliche Kultur seiner Ureinwohner. In Nordamerika findet sich kein einziger Eingeborener in hoher gesellschaftlicher Position. In südamerikanischen Staaten wie Argentinien fanden einige deutsche Kriegsverbrecher ein angenehmes neues Heim, und es heißt, sie hätten auch den Falkland-Krieg geplant. Als ich sie fragte, wie sie den langen Weg von Deutschland hierhergekommen seien, erhielt ich die prahlerische Antwort: „… durch die Gnade Gottes und sein Instrument, die Katholische Kirche.“
Natürlich gibt es noch viele weitere subtile Ursachen für die im Westen neu entstandenen Gegen- oder Parallelkulturen, auf die ich an späterer Stelle eingehe.
Das Anliegen dieses Buchs besteht darin, sich mit den tiefgreifenden Veränderungen in der Kultur und Denkweise der modernen westlichen Menschen auseinanderzusetzen – ein Anliegen, das von Herzen kommt. Es ist wichtig zu verstehen, warum diese Veränderungen besonders dort so tiefgreifend und offenkundig sind. Westliche Menschen sind stolz darauf, Verteidiger demokratischer Rechte und Verfechter der Freiheit zu sein. Doch sofern ihren wirklich das Wohl der gesamten Welt am Herzen liegt, wird man dort den Blick nach innen richten müssen. Der Westen wurde mit materiellem Reichtum und technischem Fortschritt gesegnet, der allerdings aus dem Gleichgewicht geraten ist. Deshalb sind es die Menschen des Westens, die die Verantwortung für die Einleitung eines neuen Zeitalters und die Transformation der Menschheit hin zu einem höheren Bewusstsein übernehmen müssen. Möchten westliche Länder ihre Probleme jedoch durch eine Art faschistische Umstrukturierung lösen und ihre Bemühungen auf ihresgleichen beschränken – also auf die Industrieländer mit stagnierender Entwicklung –, dann werden sie ihrer Pflicht, moralische Verantwortung (Dharma) zu übernehmen, nicht gerecht. Und dann ist es auch schwer zu sagen, wohin sie dieser Weg der inneren und äußeren Selbstzerstörung führen wird. Unkontrollierter Materialismus ist nicht in der Lage, inneren und äußeren Frieden zu bringen. Meiner Meinung nach muss jeder Einzelne im Westen dringend verstehen, dass er in diesem großen Zeitalter der Transformation und des Jüngsten Gerichts eine maßgebliche Rolle zu spielen hat.
Der Westen muss begreifen, welche enorme Verantwortung den Menschen dort auferlegt wurde. Es muss schnellstens ein Weg gefunden werden, der sie wieder ins Gleichgewicht bringt – nicht im finanziellen, sondern im Sinne der Erkenntnis ihrer Verantwortung. Dies ist für den Aufstieg der gesamten Menschheit unerlässlich. Wem wird andernfalls die Schuld für die Zerstörung der menschlichen Kultur durch die Dynamik des Modernismus zugewiesen werden – den Industrie- oder den Entwicklungsländern?
Die Evolution ist heute auf der Stufe des menschlichen Bewusstseins angekommen. Ihm liegen Denken, Rationalität und Konditionierungen zugrunde, also Eigenschaften, die von vielen modernen Dichtern als „Mauern der Freiheit des Selbst“ beschrieben wurden. Was wäre, wenn wir zu einer höheren Bewusstseinsdimension aufsteigen können? Warum öffnen wir nicht Herz und Verstand für diese einzigartige Entdeckung, die uns für diesen lebenswichtigen Aufstieg anvertraut wurde? Wenn es heißt: „Das versprochene Königreich Gottes ist zum Greifen nah“,6 dann ist das nicht nur eine Phrase aus einer Predigt oder einem Vortrag. Es geht hier um die tatsächliche Erfahrung der höchsten, absoluten Wahrheit, die sich in der heutigen Zeit ganz gewöhnlichen Menschen offenbart. Nach der Selbst-Verwirklichung zur Realität werdend lautet sie: „Du bist nicht dieser Körper, dieser Verstand, diese Konditionierungen der Vergangenheit, dieses Ego oder diese Emotionen – du bist das Atma.
Ein weiterer Aspekt dieser höchsten Wahrheit liegt in der alles durchdringenden Kraft der göttlichen Liebe, die alles jemals Erschaffene durchdringt und alle lebendige Arbeit der Schöpfung vollbringt. Für uns ist alles selbstverständlich. Wir sehen schöne Blumen aus winzigen Samen entstehen und aus kleinen Setzlingen große Obstbäume werden. Doch wie viele Wissenschaftler auch immer diesen Lebensprozess analysieren, keiner kann sagen, wie dieses Wunder zustande kommt und was ihn in seiner Gesamtheit kontrolliert und erhält. Versuchen sie zu erklären, auf welchem Geheimnis etwa der Herzschlag beruht, sagen sie, es sei das autonome Nervensystem. Doch was steckt hinter diesem „Auto“, diesem „Selbst“? Welch wunderbare Kameras sind doch die menschlichen Augen und was für ein großartiger Computer ist das Gehirn? Auch wenn Wissenschaftler diese Vorgänge analysieren, werden wir niemals aufhören, danach zu suchen, warum wir mit all diesen Gaben gesegnet sind. Jetzt ist für alle bewussten Menschen die Zeit gekommen, in der sie aufgrund ihrer eigenen, spontanen Erfahrung verstehen, dass unser Leben auf der Erde einen Sinn hat. Der Sinn unserer gesamten Evolution und Entwicklung besteht darin, uns mit dieser alles durchdringenden Kraft verbinden zu müssen, um selbst göttlich zu werden. Dieser Prozess geschieht sahaj, also spontan, und er ist beweisbar und deutlich erfahrbar – weitaus mehr als wissenschaftliche Erkenntnisse und Gesetze, die immer wieder angefochten oder geändert werden können.
Dieser Prozess hat nun für viele begonnen und ist die Erfüllung des größten Herzenswunsches von William Blake; er hoffte, dass alle Menschen Gottes Propheten wären. In unserem Zeitalter des Krita Yugas wird die Kundalini zahlloser Menschen durch das Mitgefühl Param Chaitanyas, also der göttlichen Liebe erweckt, sodass es tatsächlich geschieht: Die Menschen Gottes werden zu Propheten – und mehr noch; sie haben auch die Kraft, andere zu Propheten zu machen.
Doch leider ist das moderne Gehirn überfüllt mit Vorstellungen, die ursprünglich gar nicht unsere eigenen sind, sondern die wir aus Büchern, Medien und unserer kopflastigen Umgebung aufgenommen haben. Es ist von Ideen übersättigt, die größtenteils von anderen stammen. Dadurch fällt es den Menschen schwer, die Wahrheit zu akzeptieren, und sie brauchen lange dafür. Es ist nicht leicht, sie davon zu überzeugen, dass es eine absolute Wahrheit jenseits des Verstandes gibt, die überdies greifbar ist und von jedem erfahren werden kann. Jesus sagte: „Die Sanftmütigen werden die Erde erben.“7 Damit meinte er nicht die Schwachen, sondern im Gegenteil jene Menschen, die stark genug sind, ihren Egoismus und ihre Konditionierungen zu überwinden. Doch der moderne Mensch ist weder stark noch demütig. Er ist zu versnobt und arrogant, zu konditioniert und zu sehr von sich selbst eingenommen, als dass er den Gedanken zuließe, jemand anderes könne ihm etwas über Wahrheit oder Wirklichkeit sagen oder ihm zeigen, wie er sie erkennt. Die absolute Wahrheit muss in dieser modernen Zeit ihren Ausdruck finden. Sie kann auch dann nicht sterben, wenn niemand sie akzeptiert. Vielmehr wird dies dazu führen, dass alle Falschheit aufgedeckt und somit zerstört wird.
Wird die absolute Wahrheit nicht akzeptiert, werden die sie ablehnenden Gehirne zerstört, denn sie werden sich Alternativen zuwenden und meist selbstzerstörerische Wege einschlagen. Sie akzeptieren die falschen Konzepte der vielen, die im Namen der Wahrheit Falsches lehren. Möchte man dieses Thema mit Mitgefühl angehen, so ist es bemerkenswert, dass man die Menschen regelrecht darum bitten muss, sich anzuhören, was die absolute Wahrheit ist: Alle tragen das Göttliche in sich, und durch die Erweckung der Kundalini kann sich diese Wahrheit manifestieren.
Aus meiner Sicht ist es sehr schade, dass man so viel unnötige Zeit dafür aufwenden muss, die komplizierten westlichen Gehirne zu überreden und zu überzeugen. Ironischerweise sind falsche Führer und Lehrer – die modernen, gegen das Göttliche arbeitenden und die Zerstörung der Menschen vorantreibenden Antigötter – in der Tat sehr erfolgreich und gewinnen in kürzester Zeit weltweit Anhänger. Zutreffend ist aber auch, dass dank der Aktivität Param Chaitanyas und des Gesetzes der Polarität die irrigen Praktiken und Ideen dieser falschen Lehrer über kurz oder lang ans Tageslicht kommen und keinen Bestand haben. Sie tauchen aus dem Nichts auf und fassen schnell Fuß, doch werden sie sich in diesem Krita Yuga nicht lange halten können. Sorgen bereitet nur, dass die Anhänger derart falscher Gurus so schwach sind, sich sofort dem nächsten zuzuwenden, sobald ihrer überführt wurde. Lassen sie sich auf einen falschen Guru ein, enden sie gewöhnlich als verarmte Einsiedler. Dieses „Guru-Shopping“ ist heute bei den westlichen Suchern ein verbreiteter und moderner Lebensstil. Genauso ist es mit anderen Ideologien: Der Kommunismus ist in Russland gescheitert, und in den sogenannten Demokratien füllten Fundamentalismus und Rassismus das Vakuum und wurden immer stärker.
Wirkliche Sucher der Wahrheit sollten in aller Bescheidenheit akzeptieren, dass sie bisher nicht gefunden wurde und dass man sie tatsächlich alleine nicht finden kann. In östlichen Ländern wissen die Menschen, dass sie nur dann zur höchsten Wahrheit finden, wenn sie bescheiden und demütig werden wie Christus es sagte. Im Westen jedoch tut man sich extrem schwer, dies zu akzeptieren; denn es bedeutet, dass man sein Ego ablegen muss.
Einer meiner neuen westlichen Sahaja-Yoga-Schüler fand es ganz einfach, die Selbst-Verwirklichung zu bekommen, ganz ohne Anstrengung und ohne dafür zahlen zu müssen. Er war so begeistert, dass er in den Garten lief und rief: „Ich habe es gefunden!“ Vor Freude fast tanzend kam er wieder herein: „Das werde ich allen meinen Freunden schreiben, die schon so lange nach der Wahrheit suchen. Ich spüre diese alles durchdringende göttliche Kraft als Kühle Brise des Heiligen Geistes auf meinen Fingerspitzen und weiß jetzt, dass wir zum Atma werden müssen. Die Kraft der Liebe Gottes existiert, und wir können sie dank dieses evolutionären Durchbruchs über unser zentrales Nervensystem spüren. Es ist ein lebendiges Geschehen, das man nicht aus Büchern lernen kann und dass nichts kosten darf.“
Er war sehr aufgeregt und schrieb viele Briefe an seine Professoren, Freunde und Kollegen, die alle schon jahrelang Buch um Buch über die Suche nach der Wahrheit gelesen und diskutiert hatten. Zu seinem Erstaunen und seiner Enttäuschung war die Reaktion aber sehr durchwachsen. Einige antworteten gar nicht und andere schrieben: „Wir freuen uns, dass du es geschafft hast, aber wir müssen unseren eigenen Weg gehen. Hoffentlich finden wir es auf unsere Weise.“ Manche konnten nicht glauben, dass es so einfach sein soll, und andere meinten, dass ein Wahrheitssucher sein normales Leben nicht weiterführen könne. Man müsse für seine schlechten Taten leiden und sich von der Gesellschaft und allen menschlichen Bindungen lösen, bevor man auch nur anfangen könne zu suchen. Niemand wollte hören, dass er die Wahrheit durch die Erweckung der Kundalini gefunden hätte. Und in typischer Manier für das moderne, fortschrittliche Denken, das sich mit endgültigen Lösungen niemals abfinden will, meinten sie: „Ja, für dich mag das stimmen. Doch dies kann nicht der einzige Weg sein, es muss auch andere Methoden geben.“
Zutiefst schockiert stellte er fest, dass die Menschen, mit denen er stundenlang diskutiert, gelesen und Briefe über die Frage nach der absoluten Wahrheit ausgetauscht hatte, jetzt noch nicht einmal bereit waren, ihm zuzuhören. Er begriff, dass viele nicht stark und bescheiden genug waren, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Alle versuchten, sich herauszuwinden und ihr mit irgendeinem „Ja, aber …“ zu entfliehen. Doch es heißt ganz richtig: „Die Wahrheit kommt von selbst ans Licht.“8
Zum Glück kann heute niemand, der die Wahrheit über Gott kennt und darüber spricht, gekreuzigt oder zum Schweigen gebracht werden. Er kann aber natürlich auch nicht warten, bis die verschlossenen Menschen mit etwas bescheideneren Ansichten wiedergeboren werden; denn das versprochene Königreich Gottes ist zum Greifen nah.9 Und jetzt ist die Zeit, in der wir die Wahrheit erkennen müssen. Stattdessen gibt es so halbherzige Christen wie die der französischen ADFI, die alles Mögliche über Sahaja Yoga über die Medien verbreiten lassen, ohne auch nur einen blassen Schimmer von der Wahrheit zu haben.
Bedauerlicherweise wurde im Kali Yuga die Suche für viele zu einem Automatismus, so wie bei den Freunden des Mannes, der die Wahrheit von den Dächern verkünden wollte. Auch wenn sie das, was sie suchen, direkt vor sich haben, wollen die Menschen weitersuchen. In Modern Times steht Charlie Chaplin an einem Fließband und dreht Schrauben fest. Sein Körper führt diese Bewegung so träge und automatisch aus, dass seine Hände auch noch damit weitermachen, als das Band bereits stillsteht, und er gar keine Schrauben mehr anziehen muss. Genauso geht es den Menschen, die aus dem Hamsterrad des Suchens nicht herauskommen. Ihre Suche geht automatisch immer weiter. Sie können sie nicht bremsen oder innehalten, um jemandem zuzuhören, der ihnen tatsächlich sagen könnte, wie sie die absolute Wahrheit finden. Doch wer die Wahrheit kennt, trifft immer auf großes Unverständnis. Der Dichter Kabir sagte einmal: „Wie kann ich erklären, was ich weiß und sehe, wenn die ganze Welt blind ist?“ Natürlich hat sich seit seiner Zeit vieles geändert, und ich kann über die heutige Zeit nicht sagen, dass alle Welt blind ist; denn Tausende sind mit großer Offenheit gekommen, um durch die Erweckung der Kundalini die absolute Wahrheit zu erfahren. Nach 25 Jahren harter Arbeit mit Sahaja Yoga gibt es erstaunlicherweise doch sehr viele realisierte Seelen.
In diesem Buch sollen die tiefgehenden, positiven und negativen Veränderungen besprochen werden, die während des Kali Yugas im Westen stattfanden. Vom Niedergang des Dharmas und der fortschreitenden Selbstzerstörung wurde bereits gesprochen. Demgegenüber steht, dass in der modernen Zeit viele Sucher der Wahrheit hier geboren wurden. Die richtigen Bedingungen dafür entstanden besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem das einstige Wertesystem von Rechtschaffenheit und Ehre zerstört war. Sogar der Glaube an Gott stand in Frage, und die Sucher sahen sich der damaligen verwirrten und ungläubigen Gesellschaft gegenüber.
Im Grunde wurde die natürliche Grundlage der westlichen Kultur aus vier Richtungen angegriffen: zum einen durch die Wissenschaft, dann von den Intellektuellen – den Erben der sogenannten Aufklärung –, als nächstes von den organisierten Religionen, falschen Gurus und Sekten und schließlich am stärksten von den geldgeblendeten und von Unternehmern benutzten und ausgebeuteten Medien.
Infolge des Polaritätsgesetzes mussten sich westliche Mächte schließlich den Konsequenzen der Aggression stellen, mit der sie die Kolonien erobert und ausgebeutet hatten. Der Westen hatte die Früchte der Taten (Karma Phalam) zu ernten, die auf kollektiver Ebene begangen wurden. Auch das ist ein Segen des Krita Yugas, selbst wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Jeder Schaden, den ein Land einem anderen zugefügt hat, fällt auf dieses Land zurück und die Bewohner müssen kollektiv dafür zahlen. Genauso hat aber auch jeder Einzelne für die Folgen seiner Taten einzustehen. Viele Nationen fühlten sich infolge des Imperialismus und der Ausbeutung der Kolonien schuldig und bekannten sich als Nation zu ihren Fehlern. Doch bei den einst angegriffenen und unterdrückten Völkern entstand Rachsucht, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt. Die Kette von Aggression und Ausbeutung brachte schließlich die ganze Welt aus ihrem Gefüge und führte zu den bekannten Aufteilungen in Nord und Süd, in entwickelte und unterentwickelte Länder und in Arm und Reich. Wie können nun die westlichen, aber auch die einst unterdrückten Länder, diesem Teufelskreislauf aus Schuld und Hass ein Ende bereiten? Aggression, Schuldgefühle und Selbsthass sind extrem destruktiv, und es bleibt nur, in aller Deutlichkeit zu sagen, dass die Erfahrung der absoluten Wahrheit göttlicher Liebe der einzige Ausweg ist. Nur wenn sie wirklich spirituell wachsen, können die westlichen Menschen vor der inneren Zerstörung durch Schuldgefühle und Selbsthass bewahrt werden.
Im Westen werden große Reden über Spiritualität und die spirituelle Entwicklung der Menschen gehalten, doch letztlich weiß keiner wirklich, was er eigentlich sucht. Am Ende des „großen“ Zeitalters des Imperialismus, also um das Jahr 1918 und zu Beginn der sogenannten Moderne, machte sich eine unwissende und nach Spiritualität dürstende Gesellschaft auf die Suche. Die Menschen litten individuell wie auch kollektiv unter dem Phänomen des Kriegs. Sie unternahmen alle erdenklichen Anstrengungen und Versuche, um zur Wirklichkeit vorzudringen. Zu dieser Zeit wurden viele Sucher geboren, die ihr Leben schließlich aus Unwissenheit ruinierten, weil sie falschen Lehrern aufsaßen, die ihnen viel versprachen, sie aber letztlich nur in finanziellen Ruin und psychologische Abhängigkeit trieben. Auch hier wirkte das Gesetz der Polarität.
Als sich während der sechziger und siebziger Jahre im Westen erneut ein Pseudoüberfluss einstellte und die Kunde von der wachsenden Zahl der Sucher bis nach Asien drang, machten sich einige gewiefte Inder auf, den Menschen im Westen ihr überflüssiges Geld aus der Tasche zu ziehen. So kamen viele Antichristen in den Westen und besonders ins wohlhabende Amerika. Sie betätigten sich aktiv als Guru und boten falsche Spiritualität zum Kauf an. In ihrer Gier zogen sie den rastlosen, ehrlichen Suchern das Geld aus der Tasche und richteten sie zugrunde. Außenstehenden ist nur schwer begreiflich, wie die gebildetsten und wohlhabendsten westlichen Menschen diese Falschheit schlucken und akzeptieren konnten? Man hat den Eindruck, ihnen sei jegliches traditionelle Wertempfinden abhandengekommen, und sie hätten ihren Verstand und ihr Geld nicht mehr weise einzusetzen gewusst.
Tatsächlich füllten die Reichen für ihre spirituelle Zukunft die Bankkonten falscher Gurus, und ihre Naivität ist nur nachvollziehbar, wenn man darin eine Art verschleierten Egoismus sieht. Sie glaubten wohl, sich mit ihrem Reichtum oder einem Teil ihres überschüssigen Geldes ihr Heil bei einem Guru erkaufen zu können. Doch wie sagte Christus: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“10 Verglichen mit der Dritten Welt war zumindest in den sechziger und siebziger Jahren jeder im Westen ein reicher Mensch. Und die falschen Gurus verstanden es, die reichen Sucher bei ihren Egos oder Schwächen zu packen, denn in ihrer Geldgier hatten sie ihre Sensibilität für den wahren Reichtum der Spiritualität längst verloren.
Die meisten Sucher dieser Zeit erzählten mir, sie hätten zwar gewusst, dass sie etwas suchten, aber nicht was. So seien sie in den Bann der falschen Lehrer geraten. In meinen Augen ist es sehr schlimm, wie diese indischen Pseudogurus ehrliche Sucher ausbeuteten, denn sie sind etwas Besonderes; es sind wertvolle Menschen. William Blake bezeichnete sie als „Menschen Gottes“. Sie haben viele Leben lang nach Gott gesucht, sich jedoch immer wieder im Gewirr falscher Ideen verirrt – Shabda Jalam, wie Adi Shankaracharya es auf Sanskrit nannte.
Nach ihren Gründen gefragt, warum sie sich das Geld vom Mund abgespart hätten, um ihrem Guru einen Rolls-Royce zu kaufen, antworteten mir viele, sie würden es gerne für ein bisschen Blech ausgeben, wenn er ihnen dafür den „reinen Geist“, das Atma, als Gegengabe schenkte. Den meisten dieser naiven und unglückseligen Sucher nahm der Guru ihr Geld ab und hinterließ ihnen dafür tatsächlich einen „Geist“, nämlich den eines Verstorbenen, der von ihnen Besitz ergriff, sie dominierte und zu verarmten und vereinsamten Menschen machte. Man braucht nur in die müden und leeren Gesichter der Anhänger falscher Gurus zu sehen, um zu wissen, dass das Licht ihres Geistes ausgelöscht wurde und eine furchtbare, zerstörerische Kraft an seine Stelle getreten ist.
Leider waren es ausgerechnet die Grundprinzipien der freien Meinungsäußerung und der Glaubensfreiheit, die sich die falschen Gurus im Westen zynisch zunutze machten und ihnen zum Erfolg verhalfen. Natürlich wurde der Freiheitsgedanke völlig korrumpiert. Freiheit bedeutet heute die Abkehr von Weisheit und Rechtschaffenheit auf Kosten des gesunden Menschenverstandes und der Vernunft. Jetzt steht der Begriff für die Preisgabe sämtlicher lebenserhaltenden Wertsysteme. Jeder ist frei, sich und egal zu welchem Preis, selbst zu zerstören. Die Pseudogurus erkannten, dass nicht mehr wahre Freiheit – also die Freiheit zu leben und unser höchstes menschliches Potenzial zu verwirklichen – als höchstes Gut galt, sondern einfach nur Geld. Und so „befreiten“ sie die Sucher geschickt davon und von ihrer Gesundheit. Ein Guru etwa schickte Sucher in die Wüste Gobi, damit sie dort ihr Nirvana fänden. Ein sehr sicherer Weg, sie loszuwerden und an ihr Hab und Gut zu gelangen.
Heute verseucht Geld jede sogenannte Spiritualität. Sogar vom Vatikan wird behauptet, er habe neun Millionen Dollarnoten gefälscht und sie über die Vatikanbank in Umlauf gebracht, die Bank des Heiligen Geistes. Alle Religionen scheinen heutzutage gleichermaßen geldgierig oder machthungrig zu sein. Deshalb wollen wir uns genauer anschauen, was uns die moderne Zeit gebracht, wie sie uns verändert hat, und warum wir diese Veränderungen akzeptierten?
Die heutige Zeit wird als „modern“ bezeichnet. Interessanterweise kommt darin in kürzester Zeit alles außer Mode und gilt als alt oder antiquiert. „Modern“ bedeutet also „im Augenblick neu“, was wiederum heißt, dass alles nur für kurze Zeit modern ist und dass sich Modernsein nur auf einen Moment bezieht. Das Wort „Modernismus“ ist daher sehr irreführend. Man scheint sich damit auf derzeit anerkannte Theorien oder aktuelle Weltanschauungen zu beziehen; in Wahrheit ist aber alles dauernden Veränderungen und Verschiebungen unterworfen. Eine instabile Folge von Trends und Kulten sind kurzzeitig aktuell und verschwinden dann wieder – doch hinterlassen oft tiefe Eindrücke oder Narben auf der Seele der Menschen.
In der gehobenen Literatur und der Philosophie bezieht sich der Begriff Modernismus auf die Suche nach etwas Neuem oder zumindest nach einer Veränderung des Alten. Dies geschieht oft über außerordentlich irrationale und beängstigende mentale und von Rationalität oder vielmehr Rationalisierungen gestützten oder dahinter versteckten Projektionen. Wird die stabile Welt traditioneller Werte – nur weil sie aus der Mode gekommen und deshalb verachtenswert ist – vollständig aufgegeben, so führt dies zu innerer Leere, Chaos und Verwirrung. Werden alle langerprobten Wegweiser und Stützen über Bord geworfen, sehen die Menschen in mentaler rationaler oder irrationaler Aktivität das einzige Mittel, die Wahrheit zu finden.
Der Modernismus hat kuriose Beispiele hervorgebracht, wie mit übersteigerter Irrationalität der Sinn des Lebens oder der Urgrund unserer Existenz erklärt werden kann. Psychologie, Surrealismus oder Nazismus haben alle ihren Ursprung in der irrationalen Seite mentaler menschlicher Projektionen, denen der Anstrich von Rationalität verliehen wird. Rationalität ist aber lediglich eine weitere mentale und substanzlose Projektion – unabhängig davon, ob sie bewusst zur Verdeckung von Irrationalität eingesetzt wird oder in Form der Illusion, dass lineare Gedankenstrukturen zur Wahrheit führen können. Wahrheit kann nicht mit Hilfe von Rationalität oder Gedankenexperimenten gefunden werden.
Der menschliche Verstand kann praktisch alles rational erklären oder rechtfertigen – ob absurd oder alltäglich, vernünftig oder verrückt, konstruktiv oder destruktiv. Er kann eine Idee in jede beliebige Richtung, jedes Modell, jedes Muster oder jede Art von Konstruktion weiterentwickeln. Auch die rationalen Antworten auf die großen Menschheitsprobleme sind sehr merkwürdig und jedes Mal anders, da sich Rationalität nur mit dem Relativen und nicht mit dem Absoluten befasst. Die Existenz des Göttlichen oder der Liebe Gottes etwa kann man auf rationale Art und Weise nicht beweisen, aber auf den Fingerspitzen spüren.
Schauen wir uns an, wie wichtig rationelles Denken für die Aufklärung des 19. Jahrhunderts war und halten uns seine historischen Konsequenzen vor Augen, stellen wir erstaunt fest, dass es in einigen Fällen katastrophalen Folgen hatte. Die entsetzlichsten Sozialmodelle auf der Grundlage dieser Art von Rationalität lieferten uns Hitler, Mussolini und Stalin. Sofern Rationalität allein die treibende Kraft der Moderne ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie irgendwann nur noch von den zügellosen Launen des menschlichen Egos bestimmt wird und in blanken Unsinn, Idiotie und schließlich Leid und Katastrophen mündet.
Als Werkzeug der Analyse und Kritik hat Rationalität einen hohen Stellenwert. Individualistische Rationalität kann allerdings extrem raffiniert und manipulativ sein, besonders wenn sie dazu dient, das Ego eines anderen modernen Denkers durch Kritik herauszufordern. Wirklich kreative Autoren und Denker hatten immer unter ihren Kritikern zu leiden, die selbst nicht kreativ sind. Wohl aus Missgunst oder einem Minderwertigkeitskomplex heraus verbringen sie ihre Zeit damit, das kreative Werk anderer zu analysieren, zu attackieren und niederzumachen. Damit wird das andere Ego seiner Energie beraubt und das eigene aufgebläht. Doch selbst wenn Rationalität sich nicht gegen andere richtet oder aggressiv ist, kann auf ihrer Grundlage allein nie mit völliger Klarheit gesagt werden, wer Recht oder Unrecht hat. Wir kennen das alle. Jeder hält sein Regierungssystem und seinen Glauben für den besten. Daher gehört es zum guten Ton, in besserer Gesellschaft die Themen Politik und Religion zu meiden. Für die Wissenschaft ist Kritik natürlich von Nutzen, denn die Wissenschaftler sind dadurch angehalten, ihre Theorien auch zu beweisen, wodurch viele neue und nützliche Entdeckungen gemacht werden können. Doch auch die Wissenschaft kann nicht mit absoluter Sicherheit sagen, was wirklich wahr ist. Hinzu kommt, dass sie sich bei all ihrem praktischen Wert nicht mit den Problemen der Menschheit insgesamt befasst. Diese Probleme können meines Erachtens nur auf dem Wege der Selbst-Erkenntnis gelöst werden. Natürlich sind Wissenschaftler allem Mystischen und nicht Greifbaren gegenüber skeptisch. Doch die Selbst-Erkenntnis, von der ich spreche, ist konkret, verifizierbar und fassbar wie die Wissenschaft selbst und auch unter rationalen Gesichtspunkten verständlich.
Betrachtet man die Absurdität vieler eigentlich rational erscheinender Schlussfolgerungen, ihre Folgen und Wirkungen, muss man zugeben, dass unsere so vielgerühmte Rationalität als Träger von Weisheit nicht besonders zuverlässig ist. Angesichts unzuverlässiger Ergebnisse angewandter Rationalität ist es sicher falsch, sich auf dieser Grundlage fixe Vorstellungen zu machen. Auf fundamentale Fragen kann die Ratio allein keine endgültigen Antworten geben, denn Diskussionen zeigen, dass jeder Standpunkt teilweise richtig sein könnte. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, das eine sei hundertprozentig richtig und das andere falsch. Wollen wir weise sein, müssen wir verstehen, dass die Wahrheit tatsächlich absolut ist und nicht etwa relativ oder variabel wie so oft behauptet. Es ist wie mit der Geschichte von den sechs blinden Männern, die einen Elefanten aus sechs verschiedenen Perspektiven beschreiben. Der eine hält den Rüssel und sagt: „Er ist lang wie eine Schlange.“ Ein anderer tastet ein Bein ab und meint: „Er ist kräftig wie ein Baum.“ Jeder ist überzeugt, Recht zu haben; und doch widersprechen sie einander, weil ihre Wahrnehmungen unvollständig und relativ sind.
Dabei ist Rationalität noch weniger auf Wirklichkeit gegründet als die Wahrnehmungen des Blinden, der womöglich gar keinen Elefanten anfasst, sondern tatsächlich einen Baumstamm, ein hängendes Seil oder eine Giftschlange. Woher wollen wir wissen, ob eine Ansicht richtig ist, solange wir keinen Zugang zur reinen Wahrheit in ihrer Gesamtheit haben, also nicht den ganzen Elefanten sehen?
Viele treten sehr überzeugt für etwas Unwahres ein und spielen sich dabei groß auf. Stellen andere ihre Ansichten in Frage, reagieren sie aggressiv und gewalttätig bis hin zum Mord, wie man bei den sogenannten religiösen Fundamentalisten mehr als deutlich sehen kann. Viele nach außen harmlos erscheinende Sekten vertreten gegenüber Suchern die Lehre vom bevorstehenden Weltuntergang. Anhänger solcher Sekten finden möglicherweise Gefallen an Gewalt und beginnen als Gotteskrieger der Zerstörung, Menschen zu töten, die nicht ihrer Sekte angehören. Manche falschen Gurus gehen bis zum Mord an eigenen Anhängern, um an das Geld zu kommen, das diese sich meisterhaft zusammengestohlen haben. Manche Weltuntergangspropheten verbieten ihren Anhängern zu heiraten, andere vergewaltigen ihre weiblichen Anhängerinnen und wenn diese schwanger werden, töten sie heimlich die ungeborenen oder neugeborenen Kinder. „Geheimhaltung“ ist das Schlüsselwort dieser Weltuntergangssekten.
Nur auf den Grundfesten der absoluten Wahrheit kann man sich vertrauensvoll, zutiefst friedvoll und gewaltfrei in dieser relativen Welt der Unsicherheiten, Widersprüche und Verwirrung behaupten. Wirklich Heilige wie William Blake etwa zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Wahrheit so darstellen, wie sie sie mit ihrer höheren Wahrnehmung sehen. Auf Widerspruch und Verachtung reagieren sie weder vehement noch gewalttätig, sondern bemitleiden ihre Angreifer, weil sie blind und unwissend sind.
Heute beeindruckt eine einfache und bescheidene Darstellung der Wahrheit niemanden mehr, sondern die Menschen wollen Show und oberflächliches Theater.
Während einer Vortragsreise durch die USA fragten mich Fernsehreporter in Boston, wie viele Rolls-Royces ich hätte. Als ich antwortete, dass ich nicht einmal einen einzigen besäße, lehnten sie es ab, mich zu interviewen, weil ich keine Geschäfte machte. Natürlich klage ich diese Bostoner Fernsehleute nicht an, leben sie doch in einer Gesellschaft, in der nur die Macht des Geldes zählt. Wer im Chaos der modernen Gesellschaft Erfolg haben will, wo Rationalität und Egoismus die starren Scheuklappen eines einzig aus Geld bestehenden Pferdes sind, kann nur so überleben.
Da der Rationalität in ihrer Macht und Reichweite natürliche Grenzen gesetzt sind, muss jemand, der mit Bestimmtheit sagen kann, was absolut richtig und falsch ist,
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