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Der Mittelstand. Die Stütze der deutschen Wirtschaft galt lange als Digitalisierungsmuffel. Damit ist Schluß, findet Philipp Garra. Er leitete bei Microsoft zuletzt den Cloudvertrieb für einige der wichtigsten Unternehmen in Deutschland und kommt selber aus einem Familienunternehmen. Verständlich und praxisnah erzählt er von Vorreitern der Digitalisierung im Mittelstand – und was wir von ihnen lernen können. Das Buch überträgt ein umfassendes Verständnis der digitalen Transformation auf die Besonderheiten der deutschen Wirtschaft. Es ist ehrlich, humor- und hoffnungsvoll, kommt ohne technischen Jargon aus und ermutigt, neue Wege zu gehen und alte Denkmuster abzulegen.
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Seitenzahl: 108
Veröffentlichungsjahr: 2024
Philipp Garra
Wie der Mittelstand unseren Wohlstand rettet
Ein Buch, das Mut auf Neues macht.
Die deutsche Wirtschaft hat eine Midlife-Crisis. Im Angesicht skrupelloser Techkonzerne und entfesselter Start-ups ist der Alltag in deutschen Büros und Werkshallen unübersehbar ergraut. Unternehmen, die über Jahrzehnte nichts als Erfolg kannten, werden in der Digitalisierung mit ihrer Vergänglichkeit konfrontiert. Made in Germany, so scheint es, ist in die Jahre gekommen.
Das muss nicht so sein, findet Philipp Garra. Er leitete zuletzt für Microsoft den Cloud-Vertrieb in Deutschland und kommt selber aus einem Familienunternehmen. Verständlich und praxisnah erzählt er von Vorreitern der Digitalisierung im Mittelstand – und was wir von ihnen lernen können. Das Buch überträgt ein umfassendes Verständnis der digitalen Transformation auf die Besonderheiten der deutschen Wirtschaft. Es ist ehrlich, humor- und hoffnungsvoll, kommt ohne technischen Jargon aus und ermutigt, neue Wege zu gehen und alte Denkmuster abzulegen.
Philipp Garra ist gleichermaßen in der Digitalisierung und im Mittelstand zu Hause. Er ist Jahrgang 1989 und wuchs im Sauerland auf, wo er schon in Kindheitstagen durch die Werkshallen des familieneigenen Zulieferbetriebs rannte. Er ist studierter Betriebswirt, gründete zwei Start-ups und leitete bei Microsoft zuletzt den Cloudvertrieb für einige der wichtigsten Unternehmen in Deutschland. Heute lebt er in München und hilft mittelständischen Unternehmen, ihren Kurs in der Digitalisierung zu finden.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2024
Copyright © 2024 by brand eins Verlag Verwaltungs GmbH, Hamburg
Lektorat Gabriele Fischer, Holger Volland
Faktencheck Victoria Strathon
Projektmanagement Hendrik Hellige
Covergestaltung Mike Meiré / Meiré und Meiré
ISBN 978-3-644-02102-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Meinen Eltern
Wer glaubt, dass die besten Jahre der deutschen Wirtschaft hinter uns liegen oder die Digitalisierung den jungen Unternehmen vorbehalten ist, unterschätzt die eigenen Stärken. Der Mittelstand hat Erfahrung, Integrität und eine unerschütterliche Arbeitsmoral. Er ist Anker für Stabilität in turbulenten Zeiten, Motor des Fortschritts und ein leuchtendes Beispiel für Beständigkeit und Qualität. Diese Form der Verantwortung bleibt auch in digitalen Zeiten unersetzlich. Der Mittelstand wird dringender gebraucht als jemals zuvor.
In meiner Arbeit darf ich seit Jahren mittelständische Unternehmen auf ihrer digitalen Transformation begleiten. Für mich ist das ein großes Glück. Ich kann meine gesamte Faszination und mein Wissen bei Unternehmen einsetzen, die mir am Herzen liegen. Zu diesem Ziel ist das Buch in drei Abschnitte unterteilt. Der erste baut ein Verständnis dafür auf, was es mit dem ganzen Tohuwabohu um die Digitalisierung eigentlich auf sich hat. Wie kann sich der Mittelstand verorten? Der zweite Abschnitt beantwortet die Frage, wie eine mittelständische Digitalisierung auf den eigenen Stärken aussehen kann. Brauchen wir eine eigene Digitalstrategie? Wie lassen sich eigenständige Technologieentscheidungen treffen? Und was bedeutet das alles für die Belegschaft? Der letzte Abschnitt führt all diese Punkte dann zusammen, indem er die Werte des Mittelstands in die neue Zeit führt und eine Antwort darauf gibt, wie wir unsere Digitalisierung in die eigenen Hände nehmen können.
Fast alles, was wir über die Digitalisierung denken, ist falsch. Zum Glück.
Kaum jemand vermutet die Herzkammer der Digitalisierung im niederländischen Veldhoven. Dort steht, zwischen Windmühlen und Tulpenfeldern, die Zentrale von Advanced Semiconductor Materials Lithography, kurz ASML – dem wohl bedeutendsten Digitalunternehmen Europas. Und ein Hidden Champion im ganz klassischen Sinne. Denn der unangefochtene Weltmarktführer für Halbleitersysteme ist den wenigsten Menschen ein Begriff.
ASML baut Maschinen, mit denen Mikroprozessoren für Handys, Laptops oder Server hergestellt werden. Das sind bis zu 180 Tonnen schwere und 150 Millionen Euro teure Anlagen; technische Wunderwerke, in denen pro Sekunde Tausende Tropfen geschmolzenes Zinn durch Kammern fallen, während Laser jeden einzelnen anvisieren, um möglichst viele Transistoren auf Siliziumscheiben zu brennen.
Kein anderes Unternehmen auf der Welt ermöglicht eine Chip-Produktion mit der 5-Nanometer-Technologie. Und je kleiner die Wellenlänge, desto mehr Schaltkreise passen auf einen Chip und umso besser funktionieren all die Geräte unseres Alltags. Innerhalb von nur zehn Jahren steigerte ASML seinen Umsatz von 5,7 Milliarden auf 21 Milliarden Euro. Die einstige Konkurrenz, in Form von großen Konzernen wie Nikon und Canon, hält hier längst nicht mehr mit. So lässt ASML die Träume der mittelalterlichen Alchemie wahr werden: Aus Sand, also dem Grundstoff für Silizium, wird pures digitales Gold.
Lässt sich dieser Erfolg kopieren? Können andere Unternehmen das auch?
Peter Wennink, seit 2013 Geschäftsführer von ASML und Vater des Erfolgs, ist fest davon überzeugt. Für ihn kommt es jedoch nicht allein auf die Technologie an. Stattdessen rücken für ihn verantwortungsvolles Unternehmertum und Glaubwürdigkeit in die Mitte der Diskussion. Also das, was unsere Wirtschaft stark macht.
In Interviews und Vorträgen verbindet Wennink sein protestantisches Arbeitsethos mit einer Bestimmtheit, die nur entwickelt, wer über Jahrzehnte gegen zähe Widerstände kämpft: «Wir haben die Universitäten, wir haben die Forschungseinrichtungen und die Infrastruktur. Das Einzige, was fehlt, sind Unternehmen, die daraus etwas machen.» Seine Ausführungen kommen beim Publikum nicht immer gut an: Denn wenn es nicht am Umfeld liegt, dann liegt es an ihnen. Dann zählen die vielen kleinen Entschuldigungen, die sie sich selbst erzählen, plötzlich nichts mehr. «Mit unserer Industrie hat diese Digitalisierung wenig zu tun. Wir können warten.» – «Das ist eine Sache der EDV-Abteilung. Das machen die schon.» Oder, ganz klassisch: «Das haben wir schon immer so gemacht. Da wird nicht dran gerüttelt.»
Doch wer genau hinsieht, kommt an der Einsicht nicht vorbei, dass die Digitalisierung großflächig verschlafen wurde. In Sachen Glasfaser ist Deutschland das Schlusslicht in Europa. Dabei hat der Ausbau von Netzstrukturen einen direkten Einfluss auf unsere wirtschaftliche Entwicklung. Nach einer Studie der Weltbank würde eine um zehn Prozent verbesserte Internetanbindung in Deutschland zu einem Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 0.255 Prozent führen.[1] Seit den Achtzigerjahren wurden zwar Abermillionen Euro in Computer, Rechenzentren und Roboter investiert, doch unsere Arbeit hat sich nicht merklich verändert. Der amerikanische Nobelpreisträger Robert Solow stellte dazu zähneknirschend fest, dass man das Computerzeitalter überall sehen kann, außer in der Produktivitätsstatistik.[2] Für so manches Unternehmen wird die Digitalisierung so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Man investiert leidenschaftslos in Technik und fühlt sich bestätigt, wenn das dann kaum Verbesserungen mit sich bringt. So werden aktenweise Prozesse in eine computerisierte Welt übertragen und man wundert sich, warum am Ende kein digitaler Champion steht.
Es sind die Annahmen, die wir über die Digitalisierung treffen, die Denkmuster und Narrative, welche einer erfolgreichen Digitalisierung des Mittelstands enge Grenzen setzen. An wen denken Sie beispielshalber in folgendem Abschnitt:
Es toben die wilden Siebzigerjahre. Inmitten der aufsteigenden Gegenkultur aus Hippies, Kaltem Krieg und der Ölkrise beginnen die ersten Computer-Nerds, mit Technologie die Welt zu verändern. Erst zum Spaß mit der Clique im Studium und schließlich, um damit Geld zu verdienen. Sie nehmen ihren Mut zusammen, arbeiten die Wochenenden und Nächte durch und gründen ihr erstes eigenes Unternehmen. Mit ihrem Start-up sagen sie den alten EDV-Riesen wie IBM – ihrem ehemaligen Arbeitgeber – den Kampf an. Sie schaffen eine globale IT-Supermacht, die bis heute besteht.
Gemeint sind nicht Steve Jobs, Bill Gates oder Larry Ellison. Sondern Hasso Plattner, Dietmar Hopp, Hans-Werner Hector, Claus Wellenreuther und Klaus Tschira. Die Gründer von SAP. 1972 beschlossen die wilden fünf, dass man Datenverarbeitung für Unternehmen besser machen kann. Tagsüber befragten sie die Mitarbeiter einer Nylonfabrik zu jedem kleinen Detail ihres Betriebes, abends pressten sie die Antworten in Computercode. Heute ist SAP der größte Softwarehersteller Europas – alles aus dem beschaulichen Walldorf heraus.
Neben der Annahme, dass die Digitalisierung amerikanisch geprägt ist, hält sich auch die Idee wacker, dass sie nur etwas für junge Leute sei. Schließlich arbeitet im Silicon Valley kaum jemand, der älter als 35 ist, oder? Bei genauerer Betrachtung ist jedoch auch das Bild des spätpubertären Firmengründers, der sein Studium abbricht, um in kürzester Zeit Millionen zu verdienen, brüchig. So beträgt das durchschnittliche Gründeralter der am schnellsten wachsenden Start-ups in den USA nicht etwa 25, sondern 45. Die Chance, dass eine Idee erfolgreich ist, steigt mit der beruflichen Erfahrung der Gründer steil an. Mit 50 ist die Erfolgsquote doppelt so hoch wie mit 30. Erfahrung und Know-how kommen also auch in der Digitalisierung nicht aus der Mode.[3]
Vielleicht ist folglich auch die Annahme falsch, dass wir den Anschluss an die neue digitale Zeit endgültig verpasst haben?
Unternehmen wie SAP oder ASML sind zwar längst aus dem Prädikat Mittelstand herausgewachsen, aber es gibt auch familiengeführte Maschinenbauer und Zulieferer, die zeigen, dass ein digitaler Mittelstand möglich ist. Einer davon ist die Trumpf-Gruppe aus Tuttlingen bei Stuttgart. Das Unternehmen begann in den Zwanzigerjahren mit der Produktion von biegsamen Wellen für den Druckereibedarf. Heute stellt man lasergestützte Systeme inklusive der passenden Automatisierungssoftware her. Es ist kein Zufall, dass die Hochleistungsverstärker von Trumpf in den Maschinen von ASML verbaut werden.
Das Unternehmen hat seinen eigenen Weg gefunden. Das hat zwei Gründe. Zunächst ist da eine unschlagbare technische Tiefe, die nun um die Digitalisierung ergänzt wird. Man nimmt die Stärken des eigenen Unternehmens, also was man aus dem Effeff beherrscht, und interpretiert diese neu. So wurde zum Beispiel aus dem Wunsch heraus, endlich das elende Papier aus der eigenen Logistik zu verbannen, das Softwareunternehmen Axoom ausgegründet. Als Nächstes lancierte die Trumpf-Tochter Q.ANT einen Quantencomputer aus eigener Produktion.
Der zweite Grund heißt Nicola Leibinger-Kammüller. Die promovierte Philologin übernahm 2005 die Leitung des Unternehmens und brach mit vielen Traditionen, die bis heute fest im Mittelstand verankert sind. Sie ist so medienpräsent, dass von einem Hidden Champion kaum noch die Rede sein kann. Statt sich in der Provinz zu verstecken, rückt sie die Trumpf-Gruppe bewusst in die Öffentlichkeit. Sie kommuniziert Ziele und Visionen, spricht von Werten und mobilisiert ihre Belegschaft. So zerstreut sie Zweifel, öffnet das Unternehmen für eine vernetzte Welt und wird nicht müde, die Wichtigkeit des Mittelstands hervorzuheben. Es hilft sicherlich, dass Dr. Leibinger-Kammüller, im Gegensatz zu vielen anderen mittelständischen Führungskräften, nicht aus dem sachlichen Ingenieurswesen kommt, sondern aus der Unternehmenskommunikation.
Die Digitalisierung kann also durchaus mittelständisch sein, zumindest mit der richtigen Technik und Führung. Was fehlt also noch, um unsere Neugier, unseren Mut und Gestaltungswillen zu wecken?
Die Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht noch an Heinz Nixdorf. Jahrgang 1925, gehörte er in den Nachkriegsjahren der typischen mittelständischen Gründergeneration an. Sein Studium brach er ab. Stattdessen entwickelte er einen neuartigen Rechner auf Basis von Elektronenröhren. Damit schwang er sich auf sein Moped und wurde bei jedem größeren Unternehmen vorstellig, das ihn durch die Tür ließ. Es war schließlich der Leiter der Lochkartenabteilung bei RWE, in dessen Kellerräumen Nixdorf sein Unternehmen aufbaute.
Jedes Unternehmen sollte sich einen Computer leisten können und mit modernen Methoden arbeiten. Das war der Traum. So gab es nach einigen Jahren die ersten Nixdorf-Rechner für 10000 Mark – eine Kampfansage an die bis dato üblichen millionenschweren Maschinen von IBM. Für die meisten Unternehmen war das pure Science-Fiction. Die leuchtenden Tasten und blinkenden Eingabefelder kannte man bisher nur von der Raumpatrouille Orion.
Der Erfolg sollte aber nicht ewig währen. Ende der Achtzigerjahre verpasste Nixdorf den Trend zum Personal Computer – nicht ohne einen gewissen Hochmut. So wurde eine Anfrage von Steve Jobs, ob Nixdorf den europäischen Vertrieb von Apple-Produkten übernehmen wolle, nicht einmal beantwortet. Die letzte große Computer-Erfolgsgeschichte aus Deutschland fand im März 1986 ihr abruptes Ende. Heinz Nixdorf starb an einem Herzanfall. Mitten auf der ersten Cebit. Ein Jahr später geriet das Unternehmen in Schieflage. 1990 übernahm Siemens, was noch übrig war. Und der Firmensitz in Paderborn, wo einmal zehntausend Mitarbeiter die Zukunft bauten, ist heute ein Museum.
Nixdorfs Geschichte ist allerdings mehr als nur ein weiteres Beispiel dafür, dass wir in Deutschland durchaus einmal einen Geltungsanspruch in der digitalen Welt hatten. Sie zeigt auch, warum wir uns heute so schwertun.
Für die Nachkriegsgeneration war das Ziel noch klar. Das Wirtschaftswunder kam nicht von allein und man hatte eine Menge zu beweisen. Wirtschaftlicher Erfolg bot die Möglichkeit, sich wieder Respekt zu verschaffen und unseren Platz in der Welt neu zu definieren. Ein paar Jahrzehnte später war all das erreicht und der technische und wirtschaftliche Gestaltungsdrang nahm drastisch ab.
Wohin das führt? Heute wird die Digitalisierung oft als eine Art Selbstzweck gesehen. Als ginge es nur darum, einen Trend mitzugehen und nun auch etwas mit der Blockchain, KI