Das Phantom - Michael Stavarič - E-Book

Das Phantom E-Book

Michael Stavaric

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Liebeserklärung an Thomas Bernhard - und zugleich eine Nabelschau desse, warum der Mensch als denkendes, reflektiertes und mitfühlendes Wesen am Abgrund steht.

Thom empfindet sich als Versager, von der Gesellschaft hält er nicht viel, von seinen Eltern noch weniger. Seine Lebensunfähigkeit schiebt er auf seine Sozialisation. Seine Sozialisation bezeichnet er als Verunmöglichung des Lebens. Thom ist hochintelligent, was auch die Umständlichkeit seines Denkens erklärt, er seziert sich und sein Sein, als wäre es die einzige Lebensaufgabe. Er fällt immer wieder mal in Ohnmacht, doch diesmal fühlt sich alles anders an – sein Leben zieht buchstäblich an ihm vorüber. Thom denkt über die Eltern und seine Kindheit nach, die eine Erklärung für seine Persönlichkeit liefern. Thom denkt über seinen Alltag, seine Schulzeit, seine Handlungen und Haltungen nach, die ihm verdeutlichen, dass er um keinen Deut besser ist als die anderen. Thom wünscht sich eine andere Welt, die er nach eigenen Ermessen gestalten kann. Thom möchte glücklich sein, doch die ungeheuerlichen Lasten, die das Leben mit sich bringt, lassen ihn hoffnungslos zurück. Thom lebt nicht mehr – doch tot ist er auch nicht. Und: Thom denkt an das Fräulein Gretchen, mit der er gerne eine Beziehung gehabt hätte. Ab wann lief bloß alles schief? Und lässt sich innerhalb einer halben Stunde eine ganze fatale Lebensbilanz ziehen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 345

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

»Wie sieht es aus im Kopf einer Bernhard-Figur? Und will man das wirklich wissen? Unbedingt, wenn sich dessen Inhalt mit solcher Verve, solch wildem Schmerz und komödiantischem Wüten über uns ergießt. Auf dem schmalen Grat zwischen Hommage und Persiflage zeigt Michael Stavarič seine akrobatischen Künste, atemlos und schwindelfrei.« Daniela Strigl

Thom empfindet sich als Versager, von der Gesellschaft hält er nicht viel, von seinen Eltern noch weniger. Seine Lebensunfähigkeit schiebt er auf seine Sozialisation. Seine Sozialisation bezeichnet er als Verunmöglichung des Lebens. Thom ist hochintelligent, was auch die Umständlichkeit seines Denkens erklärt, er seziert sich und sein Sein, als wäre es die einzige Lebensaufgabe. Er fällt immer wieder mal in Ohnmacht, doch diesmal fühlt sich alles anders an – sein Leben zieht buchstäblich an ihm vorüber. Thom denkt über die Eltern und seine Kindheit nach, die eine Erklärung für seine Persönlichkeit liefern. Thom denkt über seinen Alltag, seine Schulzeit, seine Handlungen und Haltungen nach, die ihm verdeutlichen, dass er um keinen Deut besser ist als die anderen. Thom wünscht sich eine andere Welt, die er nach eigenen Ermessen gestalten kann. Thom möchte glücklich sein, doch die ungeheuerlichen Lasten, die das Leben mit sich bringt, lassen ihn hoffnungslos zurück. Thom lebt nicht mehr – doch tot ist er auch nicht. Und: Thom denkt an das Fräulein Gretchen, mit der er gerne eine Beziehung gehabt hätte. Ab wann lief bloß alles schief? Und lässt sich innerhalb einer halben Stunde eine ganze fatale Lebensbilanz ziehen?

Autor

Michael Stavarič wurde 1972 in Brno (Tschechoslowakei) geboren. Er lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer und Dozent in Wien. Studierte an der Universität Wien Bohemistik und Publizistik/Kommunikationswissenschaften. Über 10 Jahre lang tätig an der Sportuniversität Wien – als Lehrbeauftragter fürs Inline-Skating. Zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, zuletzt: Adelbert-Chamisso-Preis, Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur. Lehraufträge zuletzt: Stefan-Zweig-Poetikdozentur an der Universität Salzburg, Literaturseminar an der Universität Bamberg.

Michael Stavarič

DAS PHANTOM

Roman

Luchterhand

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2023

Luchterhand Literatur Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign | München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27816-8V001

www.luchterhand-literaturverlag.de

facebook.com/luchterhandverlag

»Die Schwierigkeit bestehe ja nicht darin, etwas im Kopf zu haben, im Kopf hätten alle das Ungeheuerlichste und zwar ununterbrochen bis an ihr Lebensende, das Ungeheuerlichste, sondern die Schwierigkeit sei, dieses Ungeheuerliche aus dem Kopf heraus auf Papier zu bringen. Im Kopf könne man alles haben und tatsächlich habe auch jeder alles im Kopf, aber auf dem Papier habe fast keiner etwas …«

(Das Kalkwerk, Thomas Bernhard)

24. März, 10:44 Uhr

Eingebung, die …plötzlich auftauchender Gedanke, welcher den Betroffenen in einer bestimmten Angelegenheit sinnvoll handeln lässt, um die Verdammnis ein gehöriges, gar gehörigstes Stück hinauszuzögern.

Ungeheuerliches geschieht.

Hatte ich immer schon so ein Gefühl im Mund gehabt … wie Insekten auf einer Windschutzscheibe?

Wenn man stirbt, zieht das ganze Leben an einem vorüber, in wenigen, auf einen einprasselnden, zeitlich nicht unbedingt geordneten Augenblicken.

Gewiss bin ich das eine oder andere Mal ohnmächtig geworden, sogar schon als Kind, wenn ich zu lange auf dem Boden herumsaß, plötzlich aufsprang und nur noch Sternchen sah.

Die Augen kippten dann nach hinten, als würden sie höchstpersönlich im Kopf nachschauen wollen, was zum Teufel denn los sei, der Kreislauf, ach ja, der schon wieder, ich hätte eben die Neigung dazu, Beine hochlagern, kurz den Körper ruhen lassen, einen kühlen Lappen auf die Stirn, wieder zu Bewusstsein kommen, das sei nun mal die übliche Vorgangsweise.

Heute fühlten sich die Umstände anders an, ich meine mich zu erinnern, vor der eigentlichen Misere endlich mal wieder gelesen zu haben, ganz und gar in einem Buch versunken zu sein, um diesen Ort (und hoffentlich auch mich) zu vergessen, denn gerade hier auf diesem mir angeborenen, von den Eltern beackerten Todesboden, bin ich zu Hause, und mehr noch in dieser (tödlichen) Stadt und in dieser (tödlichen) Gegend zu Hause als andere, und wenn ich heute durch die Straßen gehe und glaube, dass diese Stadt nichts mit mir zu tun hat, weil ich nichts mit ihr zu tun haben will, so ist doch alles in mir aus ihr, was sich nicht ablegen lässt, soll heißen, eben da hatte es im Stiegenhaus geraschelt, vielleicht auch schon zaghaft an der Tür geklopft, möglicherweise sogar laut geknallt, als würde sie eingetreten, und plötzlich stand die Wohnungstür sperrangelweit offen, und ich erkannte nichts mehr, wähnte mich wie an einer Garderobe wartend, oder genauer gesagt, ich wähnte mich wie an einer mir nicht näher bekannten, gar unbekannten Garderobe verweilend, wo man für gewöhnlich den wärmenden Mantel abgibt, um irgendeine Vor- oder Ausstellung aufzusuchen, doch reichte ich stattdessen nonchalant den eigenen Körper über die fleckige Theke und ließ diesen achtlos wie ein unliebsam gewordenes Kleidungsstück an einem mattierten Haken zurück, ohne auch nur die Idee eines Abholscheins erhalten oder eingefordert zu haben.

Ich meinte weiter, ein paar Stufen hochgegangen zu sein, vielleicht auch hinunter, ich konnte nichts mehr einschätzen oder unterscheiden, ich wollte wohl unbedingt etwas zum Ausdruck bringen, zu wem auch immer, doch kamen dabei lediglich ein Stöhnen und schauerliches Stammeln aus meinem Mund, als wäre ich eben aus einem mir gar nicht ähnlich schauenden, weil gewöhnlichen Tiefschlaf erwacht, ich hätte natürlich etwas abstrus Verworrenes geträumt, einen weltweiten, gar weltvernichtenden Stromausfall zum Beispiel, denn da war so ein »technisches« Klicken gewesen, als wären alle Sicherungen auf einmal in und aus mir herausgesprungen, es surrte befremdlich und roch nach verschmortem Metall, Schmorbraten wäre mir eindeutig lieber gewesen, dachte ich noch, und mir lief tatsächlich das Wasser im Mund zusammen, bevor es zusehends dunkler und immer noch abgedunkelter wurde, als wäre das Leben nur ein überdimensionierter, übergroßer Bildschirm, der nie das zeigt, was man sehen möchte, eine zusehends rissiger werdende Leinwand, die unweigerlich an Leucht-, besser noch Strahlkraft einbüßt, die von Umwelteinflüssen verun- und nie gereinigt, vielleicht auch mutwillig mit Werbebannern abgedeckt oder gar übermalt wird, vermutlich längst überflüssig geworden ist, und das Leben ist doch insgesamt ein anfälliges, gar anfälligstes System, das der Mensch liebend gern befingert, doch wirklich begreifen tut er nichts, freilich, man meint schon, mit der Zeit alles besser in den Griff zu bekommen, sich alltäglich über alle Ungereimtheiten hinwegsetzen zu können, und wenn einem etwa die Vor- oder Ausstellung, die Vor- oder Ausführung missfällt, macht man sich eben von dannen, löst seinen »Körpermantel« an der rund um die Uhr besetzten Garderobe aus, streift sich diesen wohlig über, draußen nur schön ordentlich den wattierten Kragen hochziehen bei dem für diese Jahreszeit üblichen Scheißwetter, und bloß nicht mehr daran denken, dass man erneut seine Zeit und am Ende gar einiges an Geld verschwendete, doch warum man plötzlich nichts mehr von der Welt sieht, warum da nichts mehr zu erkennen, ja nichts mehr vorhanden ist, das kann man sich in tausend Jahren nicht erklären, vollkommen egal, wie naheliegend es vielleicht auch sein mag, und man riecht also dieses »Schmorkabeldings«, als wäre man mit allem verlötet worden, hört einen frenetischen, gar frenetischsten Lärm, wobei es sich möglicherweise nur um Applaus handelt, der einen dazu bewegen will, sich zu verneigen, untertänigst, bescheiden und dankbar in Anbetracht des einem entgegenbrausenden Wohlwollens.

Ich wüsste vielleicht, wie mir geschieht, wäre da nicht dieses Gefühl der Losgelöstheit, der Abgekapptheit von sich selbst, als hätte einen ein übermotivierter Zauberer in der Mitte durchgesägt, so einer von früher, im schwarzen Anzug und mit einem großen, obendrein stetig größer erscheinenden Zylinder, aus welchem er natürlich sein obligatorisches Kaninchen ziehen muss, die Löffelohren mit einem kräftigen Ruck packend, sich verbeugend, und mir das zweifelsohne sanftmütige Tier in den Schoß werfend, während ich mich wegzuducken versuche, weil es noch nie meine Art gewesen war, Teil einer »Show« zu werden, in der Pflicht zu stehen, mich am Ende vielleicht wirklich wie der Zauberer vor und beim Publikum bedanken zu müssen, etwa dass mich dieses in seinen Kreis aufgenommen und geduldet hatte, dass ich meine Sache freilich nicht schlecht angegangen bin, alles zufriedenstellend löste, wenn auch einiges zu bekritteln, ja schon übelst zu bemängeln gewesen wäre, und allein die Vorstellung, sich das samt detaillierteren, gar detailliertesten Ausführungen anhören, mir dabei auf die Schultern klopfen lassen zu müssen, während ich mich nervös am Kaninchen festkralle und der plüschrote Saal sich zusehends leert, wäre mir zutiefst und entschiedenst zuwider, ein plüschsamtenes Saalungetüm wohlgemerkt, das wie eine unverschämt sich aufblasende, eigentlich sich aufplusternde Gebärmutterhöhle wirkt, die nunmehr alle hier Versammelten so rasch wie nur irgend möglich zu verlassen gedenken, selbstverständlich abgesehen vom zum ewigen Repertoire zählenden Zauberer, der leidenschaftslos in seiner Versenkung verschwindet, bestimmt um sich in den Katakomben einen gehörigen Schluck zu genehmigen, bevor man ihn erneut aus den Tiefen der Unterbühnen bemüht, ja heraufhievt, damit er eine weitere illustre Zusammenkunft bespaßt, immer weitere sich auf die Schenkel klopfenden, sich dem Müßiggang hingebenden, schlichten, gar schlichtesten Gemüter, in deren Mitte für gewöhnlich ein blasser und schüchterner Junge, der man selbst einmal gewesen ist, sitzt, und das Licht wird zähnefletschend von einem vorüberhuschenden Gespinst ausgeknipst, man fühlt sich plötzlich einsam wie noch nie zuvor in seinem Leben, das alles andere als schön verlief, eher noch wie aus purem Trotz aufgesprühte Farbkleckse an einer räudigen Hinterhofwand beschaffen ist, die mittlerweile von Wind und Wetter heimtückischst aus-, ja »zugebleicht« worden sind, eine undefinierbare, graublasse Farbpalette stellt man fortan also dar, die obendrein am Abblättern, eher noch sich im schmerzlichen und zeitlupenhaften Abplatzen befindet, als würden sich maßgeblichste Hautpartien von einem ablösen wollen, die, wenig überraschend, ein trostloses, wenn nicht gar trostlosestes Mauerwerk preisgeben, das unmittelbar davor steht, zur Gänze in sich zusammenzufallen, vollständig wegzukippen und -zuklappen, und eben da, während dieser mir von überall her einschießenden Farce und Heuchelei, das ganze Leben höhnisch an einem vorüberzieht, eigentlich eher an jener unscheinbaren Mauernische vorbeiläuft, die einem von Geburt an vorbehalten blieb, in welche sich der Körper einst (und bald) resigniert zurückgezogen hatte, sich selbst freilich zunächst als »ge- und beschützt« bezeichnend, doch spielte sich nunmehr alles Bedeutsame und Außergewöhnliche irgendwo fern dieser Mauer ab, die immer doch andere um einen hochzuziehen gewusst haben, wo rasende, ja rasendtolle Moleküle und Atome in- und aufeinander prallten, um neue und fantastische Universen zu generieren, während man selbst, zweifelsohne mutwillig auf dem Abstellgleis geparkt, weiterhin einer schmierigen und rissigen »Leinwandmauer« gleicht, die nichts von dem großartig Hehren und Beflügelnden zeigen will, weil ihr schließlich nichts davon beschieden gewesen ist, und nur die in einem sich weiter verzweigenden und aufspaltenden Gedanken bleiben auf diese Unterlage gebannt, mich prägt ein be- und eingeschränktes Denken, das sich aus einem nicht näher ersichtlichem Grund nicht mehr stoppen lässt, das sich unfassbar und unnötig in die Länge zieht, als wäre man ohne normalem Bewusstsein und einer zweifelsohne angebrachten Scham zu solchem verurteilt, nämlich komatöse und »phantomeske« Hirngespinste einer Randexistenz abzusondern, die über und hinter alle Ränder gefallen ist, deren Gesundheit man (also die Gesellschaft) einst möglicherweise noch herzustellen gedacht hatte, um fortan auf einen zu zeigen, mich demnach mit dem Zeigefinger förmlich aufzuspießen, um sich einer guten Tat rühmen zu können, denn die Gemeinschaft findet immer den Schwächsten in ihrer Mitte und setzt ihn skrupellosem Gelächter, immer neuen und fürchterlicheren Verspottungs- und Verhöhnungstorturen aus, wo sie doch darin besonders erfinderisch veranlagt ist, und alles in mir wurde endgültig schwarz, als hätte man mich auf einem Rost abgelegt und dort angeblich nur vergessen, verkohltes, gar verkohltestes Seelenschwarz kam dabei allmählich zum Vorschein, das man nie wieder würde berühren oder in seiner Nähe haben, geschweige denn liebkosen wollen, vielleicht ja nur um des genüsslichen Abwischens, gar Abwaschens willen.

24. März, 10:45 Uhr

Verdüsterung, die … das absolute Gegenstück zur Helligkeit, eine fehlende Beleuchtung oder Abwesenheit von sichtbarem Licht, eine in sich lichtabsorbierende Oberfläche, früher gern mit sich verdichtendem, ja anschwellendem Nebel kombiniert, der eine zunehmende Orientierungslosigkeit mit sich bringt.

Selbst das Gemüt war mir verdüstert, als hätte jemand vorsätzlich die ganze Welt aus einer üblen und nie doch wirklich gänzlich nachvollziehbaren Laune heraus mit Terpentin überschüttet, sie einer zähen, aus frischen Harzausflüssen unterschiedlicher, gar unterschiedlichster Koniferen bestehenden Masse ausgesetzt, vornehmlich Kiefern und Lärchen freilich, die einem jeden für ihre ätherischen Öle bekannt sein dürften, ja bekannt sein müssten, wo sich doch das Gemisch beim Eintrocknen und unter Verlust der flüchtigen Stoffe in milchiges Harz verwandelt, wodurch all das, was darin eingeschlossen, das vielleicht nur versehentlich hineingeraten war, unweigerlich immer weiter in den Bewegungen abgebremst und verlangsamt wird, bevor es endgültig zu erstarren hat, man also noch störrisch die träger werdenden Arme und ausgelaugteren Beine bemüht, sich abmüht, den Kopf dabei vorwurfsvoll in alle Richtungen wendend, als müsste einem einer beispringen, irgendeine Form von Beihilfe leisten, um einen aus der misslichen Brühe zu befreien, in welcher man freilich längst versinkt, dem klebrigen Film ausgeliefert, zunächst wohl nicht ahnend, wie unangenehm alles noch werden wird, sich möglicherweise noch denkend, ach, es ist wie nach einem Liebesspiel, wo man ebenso erschöpft kaum mehr die Glieder bewegen, sich nicht unmittelbar erheben kann, sich vielmehr dieser bleiernen Schwere in jenem Bewusstsein hingibt, jederzeit, wenn es denn wirklich erforderlich wäre, aufspringen und das Weite suchen zu können, und jawohl, wenn das alle in eben diesem Moment in einem beispiellosen, ja beispiellosesten Akt von Solidarität täten, also nicht aufzuspringen, sondern einander in dieser Situation beizustehen, sich gegenseitig beim Aufspringen zu helfen, anstatt einander in diesem weltlichen Höllenloch unentwegt und von frühester Kindheit an zu behindern, ließe sich doch möglicherweise das absehbare Erstarren der harzigen, ja harzigsten Masse verhindern oder zumindest so weit »erweichen«, dass man sich gemeinsam Wege aus diesem unerträglichen Zustand bahnen könnte, Käfern gleich, die ihren misslichen Lagen entkommen, ohne für die Ewigkeit konserviert zu werden, sodass einen nämlich alle Außenstehenden künftig beliebig betrachten und mit einem sonstwas tun könnten, während man selbst über keinerlei Gestaltungsräume mehr verfügt, starr da liegt oder schwebt oder ruht in seinem Harzverließ, keine Ahnung, wie man das benennen müsste, wenn man mit der ganzen übrigen, einem durchaus noch vertrauten, ja unter die Haut gehenden Welt in Harz gegossen worden ist, nichts mehr sieht oder schlimmer noch, nur diesen dunkelharzigen Wulst in seinem Gesichtsfeld erkennt, als hätte einem der Teufel höchstpersönlich zehntausende, ums Verrecken verdreckte und schmiergetönte Brillengläser hintereinander auf die Nase gesetzt, deren bloßes Gewicht einen Kopf zu zermalmen vermag, doch kann nunmehr nichts mehr nachgeben oder gar von einem weichen, weil man längst zu diesem nur gelegentlich aufflimmernden Harzklumpen geworden ist, in welchem man nichts spürt, nichts mehr fühlt auf der Haut, weil alle Stofflichkeit unter einer wachsenden Kruste verschwindet, und nur die hinter, ja unter einer solchen, davon unabhängig operierenden Gedanken, als Repräsentanten einer jenseits dieser aller Stofflichkeit liegenden Welt, in einem weiterkreisen, kleinen Kreissägensatzgefügen nicht unähnlich, die freilich machtlos gegen das Terpentingelage, vielleicht ja sogar Terpentingelege oder Terpentingelee sind, in welchem sich etwas eigenständig und ohne jedwedes weitere Zutun auszubrüten versucht, irgendein abstruses Unheil sich auszuformen gedenkt, ich meine, beinahe wäre ich in diesen verworrenen, gemütszersetzenden Umständen unverzüglich zugrunde gegangen, die sich allerdings auch nicht sonderlich von jenen unterschieden, in denen ich zuvor mein Auskommen zu finden versuchte, und diese allgemeine Gemütsverdüsterung und Gemütsverfinsterung als Gemütszerstörung ist von niemandem, von keinem einzigen Menschen je wahrgenommen, beziehungsweise bestenfalls gönnerhaft registriert, beziehungsweise nur wie von einer seelenlosen Maschine beiläufig und beiläufigst aufgezeichnet worden, die stoisch diverse elektrische und nunmehr auch meine Impulse dokumentiert, welche handzuhaben sie nicht konstruiert worden ist, ja die Welt war schlicht an diesen ganzen sich über einen (und sie) stülpenden Auswüchsen erkrankt, und wir alle blieben in diesem in sich geschlossenen, sich zu Tode kreiselnden Universum fixiert, wogegen niemals ernsthaft etwas unternommen worden ist, was jedoch jemand dringend hätte tun müssen.

Hatte ich also immer schon so ein Gefühl im Mund gehabt, wie zerquetschte Insekten auf einer Windschutzscheibe, soll heißen, vielleicht fühlt sich noch jemand bemüßigt, sich vorzustellen, wie denn so ein an einem zehrendes, niemals nachlassendes Zerquetschen vonstattenzugehen pflegt, denn eines bleibt evident, die Anfälligkeit unserer Spezies, für diverse »Verunglimpfungen«, etwa für allerlei Anfeindungen und Verunmöglichungen und Verschaukelungen und Verladungen und Auslöschungen und Heimsuchungen und Bevormundungen und Abtötungen und was man sich sonst noch gegenseitig antut, hat Milliarden, ja Abermilliarden schwere Industriezweige geformt, und eine alles verzehrende Globalität hervorgerufen, die unentwegt darauf aus ist, uns mit neu hinzukommenden »Ungereimtheiten« und, uns zunichtemachenden »Kontaminationen«, verrückt zu machen, weil wir unentwegt alles in uns aufnehmen, es dort »einspeichern«, wie an einer Klebefolie bleiben solche »Verunglimpfungen« schließlich an uns hängen, und ein jeder von uns, ein jeder sogenannte Familienmensch, eine jede noch so kleine Küchenschabe oder sich im Leben sonstwie verwirklichende Existenz, wünscht sich nichts anderes, als ein glückliches, ja möglichst unbehelligtes Leben zu führen, man möchte wie ein Forscher die Welt entdecken, wodurch man freilich die eigenen Lebensumstände aufwertet, sie quasi rechtfertigt, und man gräbt vorbehaltlos selbst undenkbarste Ideen aus den Versenkungen seines Kopfes und trägt damit aktiv zur Bewusstwerdung immer weiterer Verunglimpfungen und Bedrohungen bei, weil auch das Grauen, das gerne dem eigenen Kopf entstammt, erkannt und benannt und es diesem also ermöglicht wird, ins Licht der Welt zu treten, und plötzlich werden dann Ideen existent, die zu immer neueren Untergangsszenarien, zu immer weiteren Verzweigungen eines immer sich weiter verzweigenden Lebensverwirklichungs- und Fortschrittsirrsinns führen, und man wird dabei ja unweigerlich dem Wahnsinn verfallen müssen, man erliegt doch immer der Versuchung, die Windschutzscheibe reinigen, die breiigen und klebrigen Insektenreste loswerden zu wollen, den widerlichen Geschmack im Mund wegbürsten, ja auskratzen zu können, doch ist ein solches Vorhaben immer zum Scheitern verurteilt, weil einem ein kranker Geist innewohnt, ein sich aus dem tief in einem selbst befindlichen Bodensatz erhebendes, sich ausformendes und über einen ausstülpendes Monstrum.

Freilich meint man nach wie vor über die alleinige Kontrolle zu verfügen, ja glaubt weiterhin, eine einigermaßen klare Sicht auf die Welt zu haben, ein paar Käfer und Nachtfalter im Sichtfeld würden einen schließlich niemals ein- und abbremsen, wie ein routinierter, gar routiniertester Pilot wähnt man sich nur allzusicher am Steuer, weil man glaubt, den Weg genau zu kennen, als würde es auf einem sanften Gleitpfad in die Tiefe gehen und alles, was oben ist, bleibt weiter erkenn- und zuordenbar, ja alles scheint absolut einleuchtend, und man weiß schließlich genau, wo man hingehört, wovon man abstammt, wo die Erde und wo der Himmel beheimatet sind, wo sich das Dach befindet und wo der Keller, und keiner denkt daran, dass alles wie das Wetter umschlagen könnte, dass die Welt gegen einen wettert und wettet, und dass einem »Basisorientierungen« schnell abhandenkommen, das hat in Wahrheit niemand auf seiner Rechnung, am ehesten vielleicht noch fast verunfallte Piloten, solche, die in ihren Flugzeugen in finstersten Nächten schon mal auf ihren sicher erscheinenden Gleitpfaden die Kontrolle verloren haben, plötzlich nicht mehr wissend, wo oben, wo unten, wo links und rechts ist, weil sich alles plötzlich anders anfühlt, und selbst Bordinstrumente einen mit den widersprüchlichsten Signalen fluten, deren Auswertung nur weitere Irritationen gebiert, bis nichts mehr davon einen Sinn ergibt, sodass ein Flugzeug unweigerlich am Boden oder im Meer zerschellen müsste, und erst im allerletzten Augenblick blitzt es möglicherweise im Kopf auf, wo man sich nunmehr befindet, und dass man doch bislang alles falsch eingeschätzt und eigentlich nur verschlimmert hat, obwohl man jedwede Anstrengung unternommen zu haben glaubt, sich selbst und das Leben der einem anvertrauten Passagiere zu retten, und es also offensichtlich reichlich Situationen gibt, die so eine «Kopflosigkeit« zu beschreiben wissen, als würde man beispielsweise die Wörter Macht und Ohnmacht unentwegt in gleicher Tonlage aussprechen, einmal laut und einmal leise, einmal deutlich und dann wieder so undeutlich wie nur möglich, und plötzlich versteht man ihre Bedeutung nicht mehr, oder vermag sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden, was man sich niemals auch nur ansatzweise hätte ausmalen können, dass so etwas wirklich passieren und sich dermaßen konfus anfühlen wird, man sich ja vielleicht noch die Überlappungen diverser krankhafter Symptomatiken vorzustellen vermag, die einen fragilen Gemüts- und Geisteszustand unverhältnismäßig, ja immer unverhältnismäßiger aufzuwühlen wissen, und man hört sich plötzlich Sätze sagen wie »Gerechtigkeit, das ist wenn einer den anderen umbringt« oder man blickt aus dem Fenster und hört den Satz »Vogelschwärme, immer mehr Vogelschwärme schwärzen den Park« oder »Man macht sich an den Menschen nur schmutzig«, mehrere Male hallen sie in einem nach, es ist ein Echo, größer noch als die kindliche Vorfreude auf den Heiligen Abend, und man ist absolut überrascht von der fremden Stimme, die man nicht mehr zuzuordnen weiß, ob sie noch einem selbst, oder doch schon irgendwem anderen gehört, der nur neben einem steht oder liegt, der Pflegerin oder der Ärztin, die neue Infusionen montiert und immer weitere und dickere Schläuche in einen schiebt, als wäre das ein untrüglicher Liebesbeweis, dass man sich, ganz egal was sonst noch passiert, weiter um einen kümmert und alles, was da noch in einen Körper geschoben werden wird, einem klaren, ja allerklarsten Procedere folgt, bis hin zur künstlichen Beatmung und künstlichen Ernährung und zum künstlichem Koma und was weiß ich einer Künstlichkeit, die man freilich nicht mehr bewusst wahrnimmt, weil sich inzwischen der ganze Körper mit der ganzen leidigen Welt so weit von einem entfernt hat, dass man nichts mehr abschätzen kann, wo man sich zum Beispiel befindet, wenn einem die Augenlider erst endgültig zugefallen sind, und man kann diese allmählich nicht mal mehr aus eigener Kraft anheben, man verliert allem Anschein nach vollständig das Bewusstsein, ohne aber dieses Bewusstsein jemals wirklich abzulegen, was die fürchterlichen, gar fürchterlichsten Ausmaße eines solchen Blindflugs aufzeigt, es ist alles in allem wie ein Totsein, ohne die eigentlichen Vorzüge eines solchen genießen zu dürfen, nämlich das Denken und die einem in seinen Erinnerungen eingebrannte Verdammnis ein für allemal ein- und abstellen zu können.

Man schließt ja vielleicht durchaus frei- oder auch bereitwillig die Augen, um jenes selbstzerstörerische Unwohlsein auszublenden, das einen bei einer jedweden, in Frage kommenden Gelegenheit befällt, man versucht die damit einhergehenden Ungeheuerlichkeiten willentlich abzulegen, die sich wie Parasiten in einem festzusetzen beginnen, bis schließlich überall nur noch Zerstörung herrscht, wo die Menschen, einmal von der Leine gelassen, aus sich heraus und absolut agieren dürfen, was freilich durchaus Faszinationen auf den Plan ruft, wenn nicht gar tiefgründige Gedanken in diesem »Abwärtsstrudel« hervorkehrt, als würde man den absoluten, ja absolutesten Brutalitäten fasziniert begegnen wollen, wortlos und beinahe andächtig in Anbetracht der Geschehnisse verharren, als hätte jemand in einem Museum die schönsten und wertvollsten Gemälde von den Wänden gerissen und zu Boden geworfen, wäre auf diesen herumgetrampelt und hätte sie sogar in Brand gesetzt, während man selbst nur daneben stand und wusste, man müsste eigentlich eingreifen, dieses ungeheuerliche Verhalten, ja diese Barbarei unterbinden, die schließlich an einem aufgeklärten Selbstbildnis der Menschheit rüttelt, oder als hätte einem ein noch kränkeres Gehirn plötzlich den Befehl erteilt, zum Strand zu gehen, während überall Bomben und Granaten explodieren, und Hubschrauber über einem kreisen, als wäre heute irgendein »Hubschrauberfeiertag«, und man breitet sein Badehandtuch, richtet seinen Schwimmreifen aus, der Kopf des Einhorns muss freilich dorthin zeigen, wohin man zu schwimmen gedenkt, und stürzt sich in die Fluten, ich meine, es ist beinahe so, als wäre man fortan nur noch ein entbehrlicher Statist in einem über uns alle hereinbrechenden Unwetter, einer kriegerischen, uns von unsichtbaren Mächten aufgezwungenen Handlung, die leichtfertig, gar leichtfertigst weiteres Terpentin und Napalm und was weiß ich verspritzen, immer noch reichlich Öl ins Feuer gießen, in welchem wir uns bereitwillig selbst entzünden, als würden wir uns längst danach sehnen, unterzugehen, uns selbst und die Erde mitzureißen, keinen Stein auf dem anderen zu belassen, um diese Trümmerlandschaften in eben jenem »göttlichen« Harz zu konservieren, das wir ironischerweise noch als Mahnung verstanden wissen wollen, um unsere Schwächen zu kaschieren, ja zu rechtfertigen, welchen wir beliebig nachgeben und vom Augenblick unserer Geburt an auch nachgehen wollen.

Man kann seinen Geist wie ein Wetterphänomen betrachten, für das niemand verantwortlich gemacht werden darf, das tut, was es will, das Wetter, die unscheinbaren, gar die unscheinbarsten Wetterumschwünge vollziehen sich ja ununterbrochen, man erkennt sie an den Bäumen, den Felsvorsprüngen, dem Wasser oder an den Mauern, jene durch Wetterumschwünge hervorgerufene Schmerzen, ja Phantomschmerzen, ohne dass sich jemand ernsthaft daran stoßen würde, weil sich alle Lebewesen an diese Unvermeidlichkeiten angepasst haben, dass einer jeden Verdüsterung eine Aufhellung folgt, dass Gewitterzellen und Gewittertürme ihre Opfer einfordern, dass sie wie der Sturmwind zwischen die Bäume fahren und sich so lange an einigen von uns reiben, bis diese einknicken und als Fußabstreifer und -treter für die Tiere des Waldes, die Tiere der Ebenen, überhaupt alljenige dienen, die dort künftig noch entlangstreifen werden, und ich will damit ja nur zum Ausdruck bringen, dass der Geist ein ebenso fragiles, ja fragilstes Pflänzchen im Kreislauf der Natur darstellt, das gehegt und gepflegt werden muss, sollte jemals etwas aus diesem werden, weil ein jeder Geist, der unseren Körpern innewohnt, zunächst einmal von sich selbst überzeugt werden muss, dass er eine Verbesserung hervorzurufen imstande und seine Existenz in der Welt erwünscht ist, obwohl er in Anbetracht der schieren Masse an Körpern und darin enthaltenen »Geisterscharen« freilich vornweg unterzugehen droht, restlos verschreckt von den auf einen einprasselnden Gewittern, die manchen von uns stärker zusetzen als anderen, begraben von Muren und Felsstürzen, die einen wie auch jenes Harz zu konservieren imstande sind, die alle in die Tiefen ziehen und dort vielleicht sogar verwandeln, unsere Körper allemal, doch was mit der »Geisterseele« passiert, die auch ich in mir zu verspüren glaube, ob diese wie ein laues Lüftchen zum Himmel steigt, um sich dort einem Hoch oder Tief anzuschließen, ob sich aus dieser oder gar aus der schieren Masse solcher Seelen Gewitterwolken zusammensetzen, die ständig in meinem Kopf aufzublitzen scheinen, als befände sich das gesamte Universum, die gesamte Atmosphäre bis hin zur Stratosphäre, innerhalb meines Denkens und Fühlens, den einzigen mir zur Verfügung stehenden Regulatoren in der Dunkelheit, bleibt ein Rätsel.

24. März, 10:46 Uhr

Verstörung, die … eine unerwünschte Beeinträchtigung, eine absehbare, mehr oder minder vorübergehende Fehlfunktion, allemal deutlich stärker als ein »entschuldigen Sie bitte die Störung, aber können Sie mir sagen wie spät es ist«, ein mit Besitz-, Betriebs-, Ruhe-, Verkehrs-, Zirkulations-, Anpassungs-, Durchblutungs-, Entwicklungs-, Erektions-, Gleichgewichts-, Konzentrations-, Zyklus-, Bild-, Empfangs-, Oberleitungs- und Oberstübchenstörung einhergehender Zustand, ein pathetisches Fiasko.

Hatte ich immer schon dieses abartige Gefühl im Mund gehabt, wie Insekten auf einer Windschutzscheibe, die ich mit meiner Zunge von einer Seite auf die andere schob, als wären der ganze Mund und Rachen ein über die Zähne gleitender Scheibenwischer, und wider allen Erwartungen sehe ich mich dabei von oben, wische mit der Zunge die gelblichen Zahnreihen entlang, höre den einfältigen Ansichten noch einfältigerer Menschen zu, spreche selbst, wo ich schweigen sollte, kritzele allerlei auf, wo ich mir dieses ebenso sparen könnte, gestatte vielen, was ich nicht gestatten müsste, stelle mich vor und aus, setze mich hin und ab, einen jeden Tag meines Lebens bin ich am Verzweifeln, weil Menschen hierzulande (und andernorts) nichts taugen und endlich als das akzeptiert werden sollten, was sie unzweifelhaft und unbedingt aus freien Stücken zu sein entschieden haben, Zeitvernichtungsmaschinen einerseits, und Gemütsverfinsterungsmaschinen andererseits, deren jeglicher und jeglichster Gesinnungs- und Haltungsmüll bloß die Erde besudelnd aus allen Fugen und Spalten einer Gesellschaft quillt, eine Schlamm- und Drecksschicht folgt unabdingbar der nächsten, eruptive Wort- und Patronenhülsen, die man später möglicherweise in Fachbereichen wie Geologie oder Ethnologie oder Volkswirtschaftslehre oder politische Bildung oder Geschichte zu legitimieren suchen wird, freilich voller kluger Ausdrücke, ausgefeilter Formulierungen und Haltungen, an die ich oft genug denke und über die ich nach- und die ich tagtäglich bedenke, sorgfältig alles Weltliche abwägend, um nicht vollkommen verrückt zu werden, während ich also wie ein Roboter durch alles watend und darauf achtend, dass nichts oder nur homöopathische Dosen von der Misere an mir haften bleiben, allem zu entkommen versuche, was erfahrungsgemäß schwerlich gelingen kann, weil es sich bei allem in dieser Welt um einen sprichwörtlichen, gar sprichwörtlichsten Kampf gegen »Windmühlen« handelt, deren geisteszersetzende und gemütsverfinsternde Wirkung allmählich selbst den stumpfsinnigsten Mitläufern aus der Literatur bekannt sein dürfte, man erinnere sich an Sätze wie »Narrheit hat gewiss mehr Genossen und Schmarotzer als die Gescheitheit« oder »Die Freiheit, Sancho, ist eine der köstlichsten Gaben, die der Himmel dem Menschen verliehen« oder »Das Abenteuer lenkt unsere Schritte besser, als wir uns wünschen könnten, denn sieh’ nur da, mein Freund, dort warten dreißig oder mehr ungeheure Riesen, die ich zur Schlacht herauszufordern gedenke«, doch die sich freilich auch anhand anderer und praktischerer Beispiele beweisen ließe, wie etwa der Tatsache, dass sich neuerdings ein Sportschützenverein namens »Germania« in meinem Souterrain einmietete, oder, besser gesagt, höhnisch einnistete, sich gewiss jedoch an alle in näherer und nähester Umgebung wandte, um sie mit diversen »Lockangeboten« zu überschütten, dass sich also ein solch berückender Sportschützenverein bei uns im Hause festsetzte und sich sowohl in mein Leben als auch in die Lebensumstände anderer Wohnparteien drängte, wo es doch fortan unablässig unter und neben uns allen lärmt, vornehmlich ausgiebigst raucht und knallt, an allen Wochentagen und auch am Wochenende, gewiss aber morgens und abends besonders ausladend, sofern ein Lärmpegel überhaupt als ausladend bezeichnet werden darf, also morgens hauptsächlich zwischen fünf und acht Uhr früh, und spätnachmittags zwischen vier und elf Uhr abends, und sollte unerwarteter- jedoch erfreulicherweise zufällig etwas Ruhe einkehren, oder sich eine wahrnehmbar leisere Schießphase anbahnen, dann läge es meines Erachtens und Beobachtens daran, dass viele der Schießwütigen späteren vormittags und nachmittags doch einem Brotberuf nachzugehen haben, respektive etliche während der saisonal bedingten Grippewellen erkranken, um bedauernswerterweise zu früh oder überhaupt zu genesen, allesamt jedoch offenbar darauf hoffend, endlich den leidigen Broterwerb und das lästige Bett abschütteln zu können, um sich unverzüglich, nach den polierten Schusswaffen langend und hurtigst alle Utensilien in die Trainingstaschen packend, in den Sportschützenverein »Germania« aufzumachen, mit dem Auto loszubrausen, um das sorgfältig eingepackte und ordnungsgemäß Verstaute auch schon wieder aus den Trainingstaschen zu zerren, es zu reinigen, zu polieren, durchzuladen, zu repertieren und fortan also zu »trainieren«, denn ohne Drill und Übung lässt sich bekanntlich nichts gewinnen, ja ist auch sonst kein Staat zu machen.

Und im Sport und Staat gehe es doch vornehmlich um erste und vielleicht noch zweite, mal dritte Plätze, ob am Podest oder bei sogenannten demokratischen Wahlen, doch hat es sich damit dann auch schon, es raucht und kracht und knallt demnach unablässig, bestenfalls variiert die gefühlte Lautstärke, je nachdem welches Kaliber wer im Souterrain, demnach also eigentlich »Schießkeller« bevorzugend, und, ich kann kaum fassen, was ich da von mir gebe, denn mit der Zeit kam ich tatsächlich selbst mit mir überein, mich im besagten Sportschützenverein »Germania« einzuschreiben, regelmäßig eine Gebühr zu entrichten, und mich gleichfalls an einer Waffe ausbilden zu lassen, zum Sport- oder auch nur Gelegenheitsschützen, denn das Schlafen, Lesen oder Fernsehen musste ich in der elterlichen Wohnung, ergo Haus über dem Sportschützenverein, ohnedies stark einschränken, und obwohl mir der Schusswaffengebrauch an sich zuwiderst und ich es freudigst begrüßt hätte, diese Leute allesamt zu delogieren und irgendwohin umzusiedeln, gelte ich nunmehr selbst als aktives, gar aktivstes Vereinsmitglied, da eine Delogierung und Umsiedlung weder in Aussicht noch sonstwie wahrscheinlich scheint, soll heißen, ich zähle also seitdem zu diesen mehr Sport- denn Gelegenheitsschützen, wie ich unumwunden einzugestehen habe, ich lasse es so oft rauchen und knallen und krachen, wie ich nur kann, und das ganze Anvisieren und Abfeuern sind sogar ansatzweise befriedigend, vornehmlich dann, wenn man also etwas »erreicht«, man ins Schwarze trifft und sich bei den Zielscheiben sonstwas oder sonstwen vorstellt, wie man den Betreffenden oder der Auserwählten zwischen die Augen oder einfach nur in die blöde, gar blödeste Fresse schießt und einem die fremde Hirnmasse um die Ohren zischt, was, wie ich weiß, viele so handhaben und befürworten, sich also freudigst solchen Vorstellungen und Fantasien hingeben, ich meine, es missfällt mir nach wie vor als Tätigkeit, das reaktionäre Geballere, doch trage ich endlich teuren Schallschutz an den Ohren, der die Salven und Schusstiraden filtert und dämpft, es demnach im Schießkeller paradoxerweise leiser als im gesamten Haus scheint, und auch wenn der Sportschützenverein »Germania« weiterhin etwas absurd Idiotisches darstellt, akzeptiere ich es anstandslos, diesem an- und zuzugehören, und genau das beweist und veranschaulicht doch allemal nach- und ausdrücklich jene »Gemütsabsetzung« und Geisteszersetzung, die ich beanstanden will, und die alles und jeden anzu- und befallen vermag, sobald, wie ich sie für mich gekennzeichnet habe, schmähliche, gar schmählichste »Windmühlen« ins Spiel kommen, vollkommen egal, wie sich diese für gewöhnlich in der Realität manifestieren und »ausgestalten«, all die Wind-, Tret- und Geistesmühlen oder dergleichen, die auf den ersten Blick gar nicht wie solche wirken, doch auf einen zweiten Blick schon blankes, ja blankestes Entsetzen hervorrufen, ähneln sich frappierend, wie etwa Begegnungen mit verbliebenen Bekannten, die sich so gar nicht damit anfreunden können, dass mir ein stechender, in ihren Augen brennender und durchwegs durchdringender Schießpulvergeruch anhaftet, welchen restlos abzuwaschen mir stetig misslingt, weil doch das ganze verdammte Haus und selbst mein Gemüt mit diesem schwefligen, ja schwefligsten »Räuchermief« durchzogen ist und man augenscheinlich pausenlos duschen oder die Haut bis aufs Blut abschmirgeln müsste, um wirklich Abhilfe zu schaffen, und warum ich mich also nicht gleich aus- und umquartiere, besser noch losspreche von der Vereinsgesellschaft, wollen die Bekannten wissen, deren Einflüsse sich allmählich auch anderweitig bemerkbar machen, der Schimmel und die Spinnen in manchen Ecken zählen zweifelsohne dazu, wo ich doch meinen häuslichen Umständen nur noch wenig Beachtung schenke, über sie hinwegsehe, ausdrücklich darüber hinweggehe, und dadurch etwas zum Ausdruck brächte, dass ihnen, den wenigen mir verbliebenen Ex-Saufkumpanen, förmlich Gänsehaut verursache, als wäre ich ein anderer, ihnen unvertrauter, gar unvertrautester Mensch, dem zu begegnen eine wachsende Überwindung darstelle, was sich in den anfallenden Verspätungen und zögerlicheren Zusagen zu selten werdenden Treffen widerspiegele, und ja wann immer von mir andernorts die Rede sei, verfalle man in ein sich zunehmend ausweitendes, kollektives Schweigen, als hätte ich meine Waffe zwischen die Betreffenden am Tisch abgelegt, um so allfällige Diskussionen darüber im Keim zu ersticken.

Man schnappe also nach Luft wie anderswo ausgehungerte Hundsviecher nach ihnen zugeworfenen Leckerbissen gieren, sich dabei immer weiter im Kreis drehend und unverschämt bettelnd, sich insgeheim von einem lossagend, doch aus freilich falsch verstandener Anhänglichkeit einem weiterhin nach- und zulaufend, wie man das für gewöhnlich ausdrücken würde, man beuge sich wohl förmlich bis zu einem nachvollziehbaren Grad der latenten Unheimlichkeit und Unzurechnungsfähigkeit, der fortwährenden Ungeheuerlichkeit und Unglaublichkeit, die mit der eigenen Persönlichkeit einhergeht, doch könnte ich (man) nicht gänzlich aufgeben, ohne alles Menschenmögliche versucht zu haben, sich wieder in den Griff zu bekommen, das sei man sich selbst offenbar schuldig, wobei mich dieser ganze Vorgang, mein Innerstes fühlbar mit Wut erfüllend und dieses noch unzugänglicher machend, förmlich in den Schießkeller treibt, welchen ich nach weiteren, rasend schnell verstreichenden Monaten wie ein dort ansässiges Phantom immer seltener zu verlassen pflege.

Ich muss mich freilich der Tatsache vergegenwärtigen, dass ich jahraus jahrein an weihnachtlichen und überhaupt Feiertagen (und mitunter gewöhnlichen Sonntagen) meine Zeit mit den Eltern verbrachte, als wäre das wie eine Krankheit in mich eingeimpft worden, um also mit ihnen diese festlichen, gar festlichsten Tage gebührlich zu ver- und durchzubringen und ich dieser zeitvernichtenden und lebenszersetzenden Geistesumnachtung selbst nach ihrem Tod munter weiter frönte, soll heißen, zu ihren Lebzeiten hätte man durchaus argumentieren können, dass es sich dabei um keine einen umnachtende Geisteszersetzung, vielmehr aber um Tradition oder profane Gewohnheit handelte, doch war nach ihrem Tod das weiterhin an mir zu beobachtende und beobachtbare Verhalten zu einer krankhaften, nunmehr unerwiderten und in seinem Kern widernatürlichen Geistesäußerung geworden, weil ich, im gewissermaßen verwaisten und allmählich auch im Dreck versinkenden Wohnhaus, das aufzusuchen mir schon unter normalen Umständen, abseits von Feiertagen und Sonntagen, Kopfschmerzen bereitete (ich wohnte bis zur Abklärung der erbschaftlichen Angelegenheiten mittelfristig zur Untermiete), weiterhin trotzig zu ihnen sprach, für sie kochte und den Tisch aufdeckte, rechtzeitig den Weihnachtsbaum mit dem von der Mutter eingelagertem Firlefanz schmückte, Vaters Lieblingszeitung beim mir unsympathischen, gar immer unsympathischer werdenden Trafikanten holte, oder Mutters Lieblingstorte in der Konditorei besorgte, dieses und einiges mehr war offenbar nicht mehr aus meinem Kopf zu dreschen, wohin man es von frühester Kindheit an mit verderblichem Nachdruck verfrachtet hatte, und bald konnte ich also nach ihrem Tod überdeutlich in allen Räumen die eigenen Fußabdrücke im Staub erkennen, was mich nicht weniger zu einem Phantom machte, das seltsamste Verhaltensweisen mittels verloren wirkender Fußabdrücke dokumentierte, und daher weiß ich in Anbetracht der Umstände auch nicht mehr, welcher drastischer Maßnahmen es bedurft hätte, um mich von diesem unglückseligen und keinesfalls von einem gesunden Menschen tolerierbaren Verhalten abzuhalten, und die Tatsache, dass ich schon seit Jahren dem Fräulein Gretchen in meinem Stammlokal gelegentlich, eigentlich sogar regelmäßig Avancen unterbreitete, machte es auch nicht besser, ein sachtes, nahezu dezentes Ansinnen stellten meine pathetischen Wortmeldungen freilich dar, dennoch waren sie als Andeutungen keinesfalls misszuverstehen, wo ich doch das Fräulein Gretchen von unserer ersten Begegnung an, diese überaus sympathisch findend, redlich und redlichst umwarb, und ich mich also wiederholt im Laufe der Zeit um ihre Gunst bemühte, immerzu ein ordentliches, wenn nicht gar fürstliches Trinkgeld gebend und mich sogar dabei nützlich machend, wenn zu viele Gäste sie um- und »zuschwirrten«, dann war ich mir nicht zu schade dafür, ihr ein paar der eingegangenen Bestellungen abzunehmen, Bier und Schnitzel und Gulasch aufzutragen, ja man könnte sogar konstatieren, dass ich mit meinen regelmäßigen Besuchen den ganzen Laden mit am Laufen hielt, und das alles nur, um eines Tages wie aus heiterem Himmel zu erfahren, dass das Fräulein Gretchen plötzlich geheiratet habe, es wäre ein wildfremder und keinesfalls Stammgast gewesen, zweimal nur hätte er zuvor das Lokal aufgesucht und alles just in jener Woche, in der ich kränkelnd und elendig vor mich hinsiechend, im Bett liegend, die gesamte Zeit über an das Fräulein Gretchen denkend, meine Angina verfluchte, jedenfalls sei alles Liebe auf den ersten Blick gewesen und schon am Sonntag in besagter Woche habe sie den im Wirtshaus Anwesenden freudestrahlend verkündet, sie kündige fristlos, selbstverständlich alle anwesenden Stammgäste spontan zur Vermählung einladend, dass diese doch im Standesamt vorbeischauen und sie hochleben lassen dürfen, nur ich war damals eben nicht zugegen, weil ich ja kränkelnd und elendig vor mich hinsiechend, schwitzend im Bett liegend und die gesamte Zeit über an das Fräulein Gretchen denkend, weiterhin und kurzatmigst meine Angina verfluchte, wohingegen anderweitig alles schnell vonstattenlief, und ich also just in jener verwunschenen Woche, und selbst noch in die nächste hinein, kränkelnd und leidend dem Wirtshaus fernbleiben musste, sodass mir alles erst später und viel zu spät zu Ohren kommend gehörig den Tag vermieste, und ich das Fräulein Gretchen auch nicht mehr im Gasthaus antraf, als ich wieder in der Lage war, dieses aufzusuchen, und eben dort erfuhr ich erst die wahren Ausmaße der Geschehnisse, was sich im Detail während meiner Abwesenheit alles zugetragen hatte, und was soll ich noch sagen, in mir waren nur noch Wut und Gekränktheit, mein Kopf dröhnte wie ein vollbesetzter Flug- und Fluchzeugträger, meine Gliedmaßen bebten derart, dass ich schon meinen musste, endgültig dem Irrsinn verfallen zu sein, ja ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, wie eine Rassel geschüttelt zu werden, und da es mit der Zeit nicht wirklich besser wurde, verlor ich auch jegliche Hoffnung auf Wiederherstellung eines ohnehin nie gekannten Normalzustandes, soll heißen, ich fing mich freilich äußerlich wieder, das lästige Zittern hatte ich irgendwann wieder in den Griff bekommen, doch etwas war in meine Seele gekrochen, eine implodierende Unruhe und Hast, eine modrig riechende, lodrige Feuersbrunst, ein Nichtmehraushalten meines Wesens, meines Kopfes und meines Köpers, sie alle einer Geisteszersetzung mehr als förder- und zuträglich.