Das rätselhafte Universum - Ilja Bohnet - E-Book

Das rätselhafte Universum E-Book

Ilja Bohnet

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Beschreibung

Was sind Raum und Zeit? Woraus besteht das Universum? Was war am Anfang und wie wird das Ende sein? So manches Welträtsel, das schon die klassische Physik und später Einstein und Hawking beschäftigte, ist bis heute ungelöst. Dieses Buch diskutiert die spannendsten Fragen und Forschungsprojekte. Es führt ein in das Weltbild der Physik gestern und heute, erörtert den Ursprung von dunkler Materie und andere ungelöste Rätsel der modernen Physik und stellt die Frage nach dem weiteren Verlauf der kosmologischen Evolution. Eine faszinierende Reise durch unser rätselhaftes Universum.

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Seitenzahl: 322

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„Fragen beantworten ist Evolution. Fragen stellen – Revolution.“

Dieses Buch widmen die Autoren einander. Es wäre ohne ein ständiges Geben und Nehmen weder entstanden noch fertig geworden.Ilja Bohnet und Thomas Naumann

Inhalt

Grußwort

Prolog

Teil 1: Das Weltbild der Physik

Die Welträtsel gestern und heute

Was ist ein Welträtsel?

Welträtsel von der Antike bis zur Neuzeit

Die sieben Welträtsel zu Beginn der Moderne

Die Physik um 1900

Die klassische Physik

Widersprüchliches und Unerwartetes

Aufbruch in die Moderne: ­die Relativitätstheorie …

… und die Quantentheorie

Der Makrokosmos und die Kosmologie

Der Anfang der modernen Kosmologie

Das Standardmodell des Kosmos

Die Inflation – eine kühne Hypothese

Schwarze Löcher und Gravitationswellen

Die Struktur des Kosmos in Raum und Zeit

Der Mikrokosmos und die ­Teilchenphysik

Die Bausteine der Welt

Die Wechselwirkungen

Higgs-Feld und Higgs-Boson

Das Standardmodell der Teilchenphysik und seine Symmetrien

Teil 2: Die sieben Welträtsel heute

Was sind Raum und Zeit?

Raum und Zeit – Apriori des Denkens

Die Zeit

Der Raum

Einsteins spukhafte Fernwirkung

Woraus besteht das dunkle Universum?

Die Rolle der Teilchen

Dunkle Materie und dunkle Energie

Die skalare Ära

Leben wir in der besten aller Welten?

Die Harmonien der Welt

Hatte Gott eine Wahl?

Die Feinabstimmung der ­Naturkonstanten

Ist die Welt für uns gemacht?

Die Multiversums-Hypothese

Was ist der Ursprung des Lebens?

Das Leben aus dem Nichts

Die Grenzen des Determinismus

Chaos und Selbstorganisation

Was ist Bewusstsein?

Sind wir allein im Weltall?

Gibt es ein Gesetz hinter den Dingen?

Können wir Gesetze erkennen?

Was ist Wahrheit?

Gibt es eine Weltformel?

Warum ist etwas – und nicht etwa nichts?

Ist Schönheit ein Kriterium der Wahrheit?

Wahrheit und Schönheit

Ideal und Wirklichkeit

Schönheit und Hässlichkeit

Was ist die Zukunft des Universums?

Der Anfang vom Ende

Weltendämmerung

Epilog

Danksagung

Literaturhinweise

Physikalische Einheiten

Originalzitate

Impressum

GRUSSWORT

„Wir haben heute einen Meilenstein in unserem Verständnis von der Natur erreicht. Die Entdeckung eines Kandidaten für das Higgs-Boson öffnet uns den Weg für noch detailliertere Untersuchungen […] und wird wahrscheinlich Licht auf andere Geheimnisse unseres Universums werfen.“1

Prof. Dr. Rolf-Dieter Heuer in seiner Funktion als Generaldirektor des Europäischen Forschungszentrums für Teilchenphysik CERN in Genf anlässlich der Verkündung der Entdeckung des Higgs-Bosons am 4. Juli 2012

Dieser Tag wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Frühmorgens betrat ich das Labor-Gelände des CERN und stieß sogleich auf eine große Schar Menschen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure, Studenten, Kolleginnen und Kollegen, Frauen und Männer aus aller Herren Länder, darunter sehr viele junge Menschen. Offenbar hatten sich die meisten von ihnen schon in der Nacht eingefunden – alle in erwartungsvoller Vorfreude auf die bevorstehende Verkündigung einer großen Entdeckung, eines Meilensteins in der Wissenschaftsgeschichte. Ich blickte in strahlende Gesichter, in denen eine unfassbare Spannung lag auf das, was nun kommen würde. Ich war auf dem Weg zum großen Hörsaal des CERN und lief quasi im Spalier der Menschen. Und obwohl völlig klar war, dass nicht alle Wartenden in den Hörsaal des Forschungszentrums hineingelassen werden konnten, gab es kein Gedränge oder Gewühl. Ob sie nun in den Hörsaal reinkommen würden oder weiter auf den Korridoren oder Eingängen ausharren müssten, einerlei, Dabeisein war alles. Und diesen Augenblick zu erleben, diese Stimmung zu spüren und diese Freude in den Gesichtern zu sehen, das war ein unglaublich schönes, ein berührendes wie faszinierendes Erlebnis für mich.

Als ich schließlich den Anfang der Menschenschlange erreicht hatte und endlich die Tür zum vollbesetzten Hörsaal öffnete, brach großer Jubel aus, als hätte ich persönlich das Higgs-Boson entdeckt. Dabei war ich doch lediglich der Überbringer einer frohen Botschaft. Die Menschen klatschten und jubelten. Es war ein Festtag. Für alle.

Fast 50 Jahre hatte es gebraucht, um von der theoretischen Vorhersage des Higgs-Felds, genauer des Brout-Englert-Higgs-Felds, bis zur experimentellen Verifikation, bis zur Entdeckung des Higgs-Bosons zu kommen. Und auch die eigentliche Entdeckung hatte viel Zeit beansprucht, bis sie spruchreif war. Es mussten erst etliche spannende Jahre des Betriebs am Large Hadron Collider (LHC) am CERN vergehen, mit Höhen und auch Tiefen, weil eine solche Teilchen-Maschine naturgemäß sehr anspruchsvoll ist, und sich zudem ein solches Signal, das die Existenz des Higgs-Bosons beweist, nur langsam aus den vielen Daten der LHC-Experimente herausschält. Bis zu jenem Tag der Verkündigung der Entdeckung, als die Analyse der Messungen die sogenannte Nachweisschwelle überschritten hatte, und damit klar war: Hier waren wir tatsächlich dem letzten Baustein des Standardmodells der Teilchenphysik auf die Spur gekommen.

Aber war es das jetzt? Kann die Physik damit als abgeschlossen gelten? Nein. Denn wie schon Alexander von Humboldt wusste: „Jedes Naturgesetz, das sich dem Beobachter offenbart, lässt auf ein höheres, noch unerkanntes schließen.“ Oder in anderen Worten: Mit jedem Erkenntnisgewinn eröffnen sich für uns neue Rätsel. Und genau das fasziniert mich so an der Forschung. Wir wissen inzwischen: Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt nicht mal 5 % der Materie des Universums. Es wird höchste Zeit, dass wir die restlichen 95 % endlich verstehen lernen und in den Griff bekommen – eines der großen Welträtsel von heute, das unter anderem in dem vorliegenden Buch behandelt wird.

Dieses Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten skizzieren die Autoren das bisher erarbeitete physikalische Wissen, ausgehend von der klassischen Physik über die Relativitätstheorie bis hin zur Quantenphysik. Im zweiten Teil widmen sie sich den großen offenen Fragen und Rätseln, an denen die Naturwissenschaft heute arbeitet. Was für ein Bild von unserer Welt vermittelt uns die moderne Wissenschaft? Was wissen wir über das Allergrößte, den Makrokosmos, das Universum? Und was über die Welt des Allerkleinsten, den Mikrokosmos, die Elementarteilchen? Und vor allem: Vor welchen fundamentalen offenen Fragen und Rätseln steht die Physik heute beim Blick ins unendlich Große und ins unendlich Kleine? Wo liegen die Grenzen unseres Wissens? Sind sie unüberwindlich? Begleiten Sie die beiden auf ihrer Reise vom Mikrokosmos zum Makrokosmos und lassen Sie sich fesseln von den großen Rätseln, vor denen die Wissenschaft im 21. Jahrhundert steht.

Rolf-Dieter Heuer

PROLOG

Wir schauen heute in der Zeit zurück bis zum Anfang der Welt, dem Urknall. Wir blicken im Raum bis an den Rand des sichtbaren Universums, auf Galaxien, die über 13 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind. Dieses Wissen ist elegant in zwei bewährten Modellen zusammengefasst: dem für die Physik des Allerkleinsten, der Teilchenphysik, und dem für die Physik des Allergrößten, der Kosmologie. Diese großartigen Gedankengebäude liefern uns ein geschlossenes Weltbild. Es erstreckt sich im Raum vom winzigen Elementarteilchen Proton mit einem Radius von 10–15 Metern (das sind 0,000.000.000.001 Millimeter) bis zum Radius des beobachtbaren Universums von 1026 Metern ­(100.000.000.000.000.000.000.000 Kilometer). Auch in der Zeit überblicken und untersuchen wir von Teilchenkollisionen von 10–24 Sekunden bis zum Alter des Kosmos von mehr als 1017 Sekunden (10 Milliarden Jahren) mehr als 40 Größenordnungen. Das ist eine bis vor Kurzem unvorstellbare Erweiterung des Horizonts unserer Erfahrungen und ein unerhörter Triumph menschlichen Denkens und Forschens.

Aber die aktuellen Erkenntnisse der Naturwissenschaften werfen zugleich neue, ungelöste Fragen auf, die rätselhaft und völlig ungeklärt sind. Sie schließen teilweise an Fragestellungen an, die schon die Naturphilosophen im antiken Griechenland rund 500 Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung und Forscher wie Emil du Bois-Reymond im 19. Jahrhundert stellten. Der unerklärte, im Verborgenen liegende Teil unserer Welt scheint trotz der beeindruckenden Fortschritte der Naturwissenschaften nicht kleiner geworden zu sein. Im Gegenteil: Es ist der größere Teil unserer Welt, der sich einer Erklärung entzieht. Je mehr Wissen wir erlangen, desto mehr unbekanntes Territorium tut sich auf, desto rätselhafter wird die Welt.

Im ersten Teil des Buches rüsten wir uns für die Auseinandersetzung mit den Rätseln der Gegenwart und beschreiben zunächst den gesicherten Teil unseres Weltbildes und die Fundamente des Wissens, auf denen wir stehen. Dazu stellen wir zunächst die Welträtsel im Wandel der Zeit dar und unternehmen eine Reise durch die Wissenschaftsgeschichte mit ihren zahlreichen Umbrüchen und Paradigmenwechseln. Wir reisen dann durch Raum und Zeit, vom Urknall, als die Welt auf kleinstem Raum konzentriert war, bis in die Weiten des heutigen Universums. Wir dringen vom Mikrokosmos zum Makrokosmos vor, von den elementaren Teilchen bis zum gesamten Weltall. Weil der Kosmos im Moment seiner Geburt durch die Elementarteilchen und deren Felder geprägt war, schließt sich ein Kreis zwischen der Erforschung des Universums und den Bausteinen der Welt. In der Mitte zwischen den Extremen des Größten und des Kleinsten, zwischen Mikro- und Makrokosmos, liegen die Dimensionen des Lebens, das eine der in dem Buch diskutierten Fragestellungen aufwirft.

Im zweiten Teil diskutieren wir die sieben fundamentalen Welträtsel der heutigen Physik. Wie seinerzeit Emil du Bois-Reymond formulieren wir die Rätsel als prägnante Fragen, hinter denen sich umfangreiche Forschungsthemen auftun:

Was sind Raum und Zeit? Sie bilden die Fundamente und Bühne des physikalischen Geschehens.

Woraus besteht das dunkle Universum? Seit kurzem wissen wir, dass der größte Teil des Universums unsichtbar ist und aus dunkler Materie und dunkler Energie besteht, deren Natur uns jedoch noch völlig unklar ist.

Leben wir in der Besten aller Welten? Winzige Änderungen der Naturkonstanten schaffen ganz andere Universen. Sind diese denkbar? Was (oder wer) ist für diese Feinabstimmung verantwortlich?

Was ist der Ursprung des Lebens? Welche physikalischen Prinzipien können unbelebter Materie Leben einhauchen? Diese Frage stellte schon Emil du Bois-Reymond. Sie ist nach wie vor ungeklärt.

Gibt es ein Gesetz hinter allen Dingen? Diese Frage ist noch älter. Sie wurde schon von den alten Griechen gestellt. Gibt es die Naturgesetze nur in unserem Denken oder auch unabhängig von uns? Woher kommen die Gesetze, und wie prüfen wir, ob sie wahr sind?

Ist Schönheit ein Kriterium der Wahrheit? Diese Frage ist eng verknüpft mit der Frage nach dem Gesetz und den Voraussetzungen unserer Erkenntnis.

Was ist die Zukunft des Universums? Setzt sich der Urknall für immer fort? Brennen die Sterne ewig? Und wenn nicht – was ist ihr Schicksal? Hier wagen wir einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des Universums.

Am Ende ziehen wir ein Resümee, fassen das heutige Weltbild zusammen und rekapitulieren die damit verbundenen großen Rätsel und fundamentalen Grenzen der heutigen Physik. Vor welchen Problemen steht die Wissenschaft der Gegenwart? Auf welche ungelöste Fragen sollten sich die Forscher im 21. Jahrhundert konzentrieren? Wie und wohin werden die Grenzen der Erkenntnis verschoben?

Auch wenn wir einzelne Wissenschaftler zitieren, muss uns bewusst sein: Physik ist die Leistung Vieler. Schon der große Isaac Newton bemerkte im 17. Jahrhundert: „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“ Die Physik kennt weder nationale noch kulturelle, politische oder ideologische Grenzen. Auch ist sie keine Männersache. Es gab und gibt geniale Frauen in der Physik wie Maria Mitchell, Henrietta Swan Leavitt, Marie und Irène Curie, Lise Meitner, Emmi Noether, Maria Goeppert-Mayer, Chien Shiung Wu, Donna Strickland oder Andrea Ghez. Physikerinnen nehmen heute einen festen Platz in der Wissenschaft ein. Wir verzichten jedoch in diesem Buch auf aktuelle Formen geschlechtergerechter Sprache, weil sie aus unserer Sicht die Lesbarkeit behindern und dem berechtigten Anliegen der Gleichberechtigung keinen Dienst erweisen. Wenn also im Folgenden von Physikern und Forschern gesprochen wird, sind immer sowohl Frauen als auch Männer gemeint. Und nun beginnen wir mit unserer Reise durch das rätselhafte Universum.

Die Erforschung des Kosmos vom Mikrokosmos zum Makrokosmos: von der winzigen Planckskala beim Urknall über Quarks, Kerne, Atome, Kristalle und den Menschen bis zu Planeten, Sternen, Galaxien und dem gesamten Universum.© Sam Eadington

TEIL 1

DAS WELTBILD DER PHYSIK

DIE WELTRÄTSEL GESTERN UND HEUTE

„Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen […] Es ist mir genug, diese Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen.“

Albert Einstein, Mein Glaubensbekenntnis (1932)

Wir besprechen, was unter Welträtseln zu verstehen ist und untersuchen einige Welträtsel aus der Wissenschaftsgeschichte. Schließlich kommen wir zu den sieben Welträtseln des Emil du Bois-Reymond und stellen ihnen die großen Rätsel der heutigen Wissenschaft gegenüber.

Was ist ein Welträtsel?

Dieses Buch beschäftigt sich mit „Welträtseln“. Darunter verstehen wir fundamentale Fragen an die Natur, die sich mit bestehenden Konzepten und Modellen der Naturwissenschaft nicht oder nicht befriedigend beantworten lassen. Es sind insofern Welträtsel, da sie sich auf die Welt als Ganzes beziehen, vom Kleinsten bis zum Größten, vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos, vom Elementarteilchen bis zum Universum – und damit auch uns betreffen, die wir in dieser Welt leben. Dazu gehören Fragen wie: Was sind Raum und Zeit? Wie und woraus ist unsere Welt entstanden? Was war vor dem Urknall? Gibt es etwas außerhalb dieser Welt? Was ist ihre Zukunft? Nach welchen Gesetzen funktioniert sie? Hätte unsere Welt auch anders entstehen können?

Der Begriff des Welträtsels ist nicht neu. Die Menschen waren zu allen Zeiten mit Phänomenen konfrontiert, die sie sich nicht erklären konnten. Ihre Antworten auf unbegreifliche Erscheinungen waren meist ganzheitlicher Art und eingebettet in den Rahmen ihres Weltbildes oder ihrer Religion. So stoßen Welträtsel außerhalb der Naturwissenschaften auch heute noch auf ein breites Interesse. Wir wenden uns in diesem Buch allerdings ausschließlich jenen zu, für die es wissenschaftlich überprüfbare Erklärungen geben muss. Dem Begriff der „Wahrheit“ in der Wissenschaft widmen wir deshalb ein gesondertes Kapitel.

Welträtsel von der Antike bis zur Neuzeit

Auch die Beschäftigung mit Welträtseln in einem strengeren wissenschaftlichen Sinn reicht weit in die Menschheitsgeschichte zurück. Bereits der griechische Gelehrte Aristoteles (384–322 v. Chr.) setzte sich mit ihnen auseinander. In seinem Hauptwerk Physica versucht er, die Welt mit physikalischen Gesetzen und mathematischen Methoden zu erklären. In seinem zweiten großen Werk Metaphysica begründet Aristoteles die Metaphysik, die auf das Studium der Physik und der Natur folgt und über ihr steht. Hier fragt Aristoteles nach den letzten grundlegenden Ursachen und Prinzipien der Welt – eine Frage, die an Aktualität nichts verloren hat. Über viele Epochen hinweg sollte Aristoteles der einflussreichste Naturforscher bleiben. Er ist wie die anderen antiken Philosophen davon überzeugt, man könne die Gesetze des Universums allein durch pures Nachdenken, durch Philosophieren entdecken. Entsprechend wenig fühlten sich Aristoteles und seine Anhänger bemüßigt, ihre Theorien durch Experimente zu überprüfen.

Erst Galileo Galilei führt um 1600 das Experiment als Grundlage naturwissenschaftlicher Forschung ein, wobei auch für ihn noch das Gedankenexperiment maßgeblich ist. Isaac Newton gelingt es schließlich 1687, in seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica Galileis Gesetze zur Bewegung irdischer Körper und Keplers Gesetze zur Planetenbewegung im Rahmen seiner Newtonschen Mechanik einheitlich zu beschreiben. Das revolutionär Neue daran war: Newtons Gesetze gelten „wie im Himmel, so auf Erden.“ Mit der Aufstellung seines Gravitationsgesetzes schafft Newton das erste universelle Kraftgesetz und damit eine umfassende Grundlage für eine Mechanik des Himmels und die klassische Physik. Dennoch kann Newton die Fernwirkung der Gravitation nicht erklären, also die Frage, wie sich die Wirkung der Schwerkraft von einem Körper auf einen anderen überträgt. Mit seinem berühmten Ausspruch „Hypotheses non fingo“, ich erfinde keine Hypothesen, bleibt er ehrlich, indem er diese Frage offenlässt – und ein neues Welträtsel formuliert.

Ab dem 18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung, beginnen sich viele Philosophen mit erkenntnistheoretischen Aspekten der Naturforschung zu beschäftigen und Welträtsel zu formulieren. So der Schotte David Hume, der „das Ganze der Welt“ für ein Rätsel hält und Naturwissenschaft bloß für eine Anhäufung von Wahrscheinlichkeiten. Oder die Deutschen Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer, die vom „Ding an sich“ sprechen, für das es keine sinnliche oder erfahrbare Anschauung gibt, und das sich einer naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht.

Nach der Optik entsteht im 19. Jahrhundert die Elektrizitätslehre als neues physikalisches Teilgebiet. Und mit der Erforschung physikalischer Eigenschaften von Gasen und Flüssigkeiten wird durch die Wärmelehre die Grundlage für das aufkommende Zeitalter der Dampfmaschinen gelegt. Angesichts dieser rasanten Entwicklungen behauptet der Mathematiker Pierre-Simon Laplace, dass bei Kenntnis des genauen Ortes und Impulses aller Objekte im Universum die Zukunft wie die Vergangenheit aller Dinge exakt berechenbar seien. Dieser „Laplacesche Dämon“ ist Ausdruck eines rigorosen mechanistischen und deterministischen Weltbilds. Er besagt, dass man bei genauer Kenntnis aller Gesetze und Vorbedingungen die Vergangenheit und Zukunft aller Prozesse exakt berechnen kann. Doch in der anschließenden Entwicklung der statistischen Mechanik und Thermodynamik spielt die Dialektik von Zufall und Notwendigkeit eine zunehmend wichtige Rolle, die den Dämon schließlich vertreibt.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts werden epochale Erkenntnisse über den Aufbau der Materie gewonnen: Sämtliche Formen der Materie bestehen aus nur 92 chemischen Elementen. Wärme ist nichts anderes als die ungeordnete Bewegung von Atomen und Molekülen dieser chemischen Elemente. Elektrische, magnetische und optische Erscheinungen sind letztlich Ausdruck ein und desselben Phänomens, nämlich von elektromagnetischen Feldern, die durch elektrische Ladungen erzeugt werden und sich in Gestalt von Licht und anderen elektromagnetischen Wellen im Raum ausbreiten.

Mit Mechanik, Wärmelehre und Elektrodynamik findet die klassische Physik Ende des 19. Jahrhunderts ihren Abschluss. In der Biologie wird die Evolution des Lebens postuliert und bakterielles Leben entdeckt. Die Geologie bestimmt das Alter der Erde, die millionenfach älter ist, als es die Bibel beschreibt. Die Psychologie entdeckt die Seele des Menschen als Untersuchungsgegenstand. Es gibt auch Widersprüchliches oder Unerklärtes, doch die meisten Wissenschaftler jener Zeit glauben, dass die Wissenschaft alle Rätsel der Welt grundsätzlich zu erklären vermag.

Die sieben Welträtsel zu Beginn der Moderne

Mitten in dieser Zeit eines triumphalen Erkenntnisfortschritts hält 1872 der Physiologe Emil Heinrich du Bois-Reymond, Mitbegründer der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und enger Freund von Hermann von Helmholtz, eine Rede Über die Grenzen des Naturerkennens und beendet sie mit dem Ruf „Ignorabimus“ – Wir werden es niemals wissen: „Es braucht nicht gesagt werden, dass der menschliche Geist von dieser vollkommenen Naturerkenntnis stets weit entfernt bleiben wird.“ In dieser Rede kritisiert er zwar die Reduktion der Naturerkenntnis auf reine Mechanik, sucht aber Antworten auf letzte Fragen in der Physik. Acht Jahre später formuliert er in einer weiteren Rede seine „Sieben Welträtsel“, die bis zum heutigen Tag nicht als endgültig gelöst gelten können. Sie lauten:

Was ist das Wesen von Materie und Kraft?

Was ist der Ursprung der Bewegung? Er fragt hier nach dem ersten Anstoß der Welt. Heute würden wir fragen: Was hat den Urknall bewirkt?

Woher kommt das erste Leben?

Wieso ist die Natur anscheinend so absichtsvoll und zweckmäßig eingerichtet?

Diese vier Fragen werden wir im zweiten Teil des Buches aufgreifen. Die letzten drei der sieben Welträtsel du Bois-Reymonds liegen zunehmend außerhalb des Fokus unserer Diskussion:

Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?

Woher kommen das vernünftige Denken und die Sprache?

Woher stammt der „freie“, sich zum Guten verpflichtet fühlende Wille?

Letztere drei Fragen betreffen mehr oder weniger das Rätsel des Bewusstseins und eines bewussten und ethischen Handelns. Einige dieser Welträtsel waren für du Bois-Reymond „transzendent“, einer rationalen Erkenntnis nicht zugänglich. Andere unter gewissen Voraussetzungen auflösbar. Obwohl wir nach fast 150 Jahren rasanter Entwicklung der Naturwissenschaften die Fragen heute etwas anders formulieren würden, ist es doch erstaunlich, dass die von du Bois-Reymond gestellten Grundfragen auch heute noch fundamentale Rätsel darstellen.

Emil du Bois-Reymond gilt trotz seines „Ignorabimus“ nicht als Kulturpessimist. In seinen Schriften preist er die Naturwissenschaft als das „absolute Organ der Cultur“ und betrachtet sie als den einzigen menschlichen Fortschritt und ihre Geschichte als die eigentliche Kulturgeschichte der Menschheit. Was jedoch die Aufklärung seiner Rätsel anbetrifft, bleibt du Bois-Reymond wenig zuversichtlich: „Der menschliche Geist kann es nicht weiterbringen, als bis zu einem schwachen Abbild des Laplaceschen Geistes. Da diesem dieselben Grenzen des Erkennens gezogen, dieselben Rätsel unlösbar bleiben würden, wie uns, so lautet unabänderlich und unerbittlich der Wahrspruch: Ignorabimus.“

Diese pessimistische Feststellung stieß damals in der von einem Erfolg zum nächsten eilenden Wissenschaft auf starke Gegenwehr und provozierte in der Öffentlichkeit eine heftige Kontroverse. Du Bois-Reymond kritisierte unverhohlen, dass „die Naturwissenschaft selber an manchen Punkten beim Philosophieren angelangt ist.“ Sein „Ignorabimus“ führte schließlich zum Eklat. Die Gegenthese formulierte kurz darauf der Zoologe und Naturforscher Ernst Haeckel in seinem Werk Die Welträtsel. Um die Jahrhundertwende stand es in vielen bürgerlichen Haushalten des Kaiserreichs. Selbstbewusst verkündet Haeckel darin die baldige Entschlüsselung sämtlicher bis dato bekannter Welträtsel.

So mutet es aus heutiger Sicht nicht verwunderlich an, dass in jener Epoche der arrivierte Münchner Physik-Professor Philipp von Jolly einem sechzehnjährigen jungen Mann namens Max Planck davon abrät, seine Begabung an ein Physikstudium zu verschwenden, da in dieser Wissenschaft keine wesentlichen Entdeckungen mehr zu erwarten seien. Was alle damals nicht ahnen, weder Emil du Bois-Reymond noch Ernst Haeckel, weder von Jolly noch der junge Max Planck: dass der Wissenschaft gewaltige Erschütterungen bevorstehen, die das Weltbild der Physik aus den Angeln heben werden. Dafür sollte ausgerechnet Max Planck selbst sorgen. Und etwas später noch ein anderer junger Mann: Albert Einstein.

Resümee

Welträtsel begleiten die Menschen, seit sie versuchen, die Natur und ihre Umwelt zu verstehen – von Aristoteles über Newton bis Kant. Nachdem man am Ende des 19. Jahrhunderts glaubte, mit der klassischen Physik ein geschlossenes wissenschaftliches Weltbild geschaffen zu haben, zogen Emil du Bois-Reymond und Ernst Haeckel eine Bilanz und formulierten die Welträtsel ihrer Zeit. Mehr als ein Jahrhundert später fragen wir: Vor welchen Welträtseln und fundamentalen Fragen stehen wir heute?

DIE PHYSIK UM 1900

„Die wichtigsten fundamentalen Gesetze und Fakten der Physik sind bereits alle entdeckt.“

Albert A. Michelson, Light Waves and Their Uses (1903)

Zunächst erläutern wir die Grundsätze der klassischen Physik und ihre Widersprüche, die am Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend erdrückender werden. Dann skizzieren wir den Aufbruch der Physik in die Moderne, der mit der Entdeckung unerwarteter Phänomene und der Formulierung von Relativitätstheorie und Quantentheorie einhergeht.

Die klassische Physik

Ende des 19. Jahrhunderts, als der Disput zwischen Emil du Bois-Reymond und Ernst Haeckel hinsichtlich der Grenzen der Erkenntnis entbrannte, war die Physik längst zu einer tragenden Säule der industriellen Revolution geworden. Mit der Mechanik, Thermodynamik und Elektrodynamik konnte sie einen Großteil der den Menschen umgebenden Welt erklären. Mehr noch, sie wies einen Weg in eine völlig neue Welt von Wärme, Strahlung und Elektrizität. Die drei Gebiete der klassischen Physik basieren auf streng deterministischen Theorien. Das Verhalten deterministischer Systeme ist vollständig durch ihre Anfangsbedingungen bestimmt, es lässt keinen Raum für Zufall. Im Folgenden wollen wir kurz die Konzepte der klassischen Physik beschreiben, aber auch auf Widersprüche hinweisen, die schon seinerzeit bekannt waren und nicht mehr ignoriert werden konnten.

Beginnen wir mit der klassischen Mechanik. Das ist der Zweig der Physik, der die Bewegung von Körpern unter dem Einfluss von Kräften beschreibt – zum Beispiel von Kreiseln oder Pendeln bis hin zur Bewegung von Planeten um ihr Zentralgestirn. Sie basiert auf fundamentalen physikalischen Größen wie Raum, Zeit, Masse, Energie und Kraft. Die Grundlage der klassischen Mechanik bilden die drei Newtonschen Gesetze aus dem Jahr 1687. Das erste ist das Trägheitsprinzip, wonach Körper ihre Bewegungsrichtung oder Geschwindigkeit ohne Einwirkung einer äußeren Kraft nicht ändern. Das zweite Newtonsche Gesetz beschreibt den Zusammenhang zwischen der Kraft, die auf eine Masse wirkt und ihrer Beschleunigung: Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Das dritte Gesetz besagt, dass jede Kraft eine gleich große, aber entgegengesetzte Gegenkraft erzeugt: Der Abschuss einer Kugel aus einer Kanone erzeugt einen gleich großen Rückstoß – das Prinzip von „Actio“ und „Reactio“.

Der englische Naturforscher Isaac Newton formuliert bald darauf das Gravitationsgesetz, wonach die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern quadratisch mit ihrem Abstand abnimmt – bei Verdoppelung des Abstandes sinkt die Kraft auf ein Viertel des ursprünglichen Wertes. Mit diesem Kraftgesetz stellt er ein universelles Prinzip auf, das für die Planetenbewegung ebenso verantwortlich ist wie für den Apfel, der vom Baum fällt. Für Newton ist das Universum ein absoluter und unveränderlicher Raum. Die Zeit vergeht in diesem Raum überall und für jeden Beobachter immer gleichmäßig. Obwohl Newton die Gravitationskraft beschreiben kann, bleibt es für ihn rätselhaft, wie sie sich im Raum von einem Punkt zum anderen überträgt, also über Entfernungen wirkt.

In der Folgezeit entwickelten sich die Mathematik und die Physik Hand in Hand mit der Differential- und Integralrechnung wesentlich weiter. In der Zeit nach der Französischen Revolution diskutiert Laplace um 1814 den nach ihm benannten Dämon, der in Kenntnis aller Naturgesetze sowie der Lage und Impulse aller Objekte im Universum den Zustand der Welt von der Vergangenheit bis in alle Zukunft exakt berechnen und damit determinieren könne. Die Idee von einem solchen Dämon entsprang sowohl dem Erkenntnisoptimismus der Aufklärung als auch den neuen Fähigkeiten der Menschen, die Welt mit Physik und Mathematik zu erfassen. Sie war zugleich ein Versuch, einen allwissenden und allmächtigen Gott durch die menschliche Vernunft zu ersetzen und entsprach damit der atheistischen Tendenz jener Zeit.

Am Ende des 19. Jahrhunderts weist allerdings der französische Mathematiker Henri Poincaré nach, dass es selbst unter Annahme idealer Randbedingungen auch in der klassischen Mechanik nur in Ausnahmefällen stabile Lösungen gibt. Schon im Fall von drei miteinander wechselwirkenden Teilchen gibt es in der mathematischen Beschreibung des Systems im Allgemeinen keine eindeutige Lösung mehr. Es hängt von den Abständen und Impulsen der drei Massen ab, ob ein System stabil und vorhersagbar ist oder ob es in einen instabilen und chaotischen Zustand gerät. Eine beliebig kleine Störung kann zu völlig unterschiedlichem Verhalten des Systems führen. Das damit verbundene komplexe Verhalten ist nicht mehr durch eine geschlossene mathematische Lösung beschreibbar. Dieses Problem wurde noch lange von vielen Wissenschaftlern ignoriert, die an einem streng deterministischen Weltbild und dem Laplaceschen Dämon festhielten.

In dieser Zeit entwickelte sich die statistische Mechanik als mikroskopische Grundlage der Thermodynamik. Sie beschreibt die ungeordnete Bewegung von Atomen und Molekülen. Die klassische Thermodynamik verknüpft Eigenschaften der Materie wie Druck, Temperatur, Volumen, Wärme oder geleistete Arbeit und basiert auf den sogenannten Hauptsätzen der Thermodynamik.

Der erste Hauptsatz – der berühmte Satz von der Erhaltung der Energie – besagt, dass sich die Energie eines geschlossenen Systems nicht verändert. Hermann von Helmholtz beschreibt als Erster mathematisch und physikalisch korrekt, dass Energie weder vernichtet noch aus dem Nichts geschaffen werden kann, sondern sich lediglich von einer Energieform in eine andere umwandelt. Zum Beispiel mechanische Energie oder Wärme in elektrische Energie.

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik schränkt die spontan in der Natur ablaufenden Prozesse weiter ein. Er macht Aussagen über die Richtung des Wärmeflusses und dessen Folgen: Spontan fließt Wärme immer von warm nach kalt. Wie der erste Hauptsatz mit dem Begriff der Energie verknüpft ist, ist der zweite Hauptsatz mit dem Begriff der Entropie verbunden. Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung eines Systems. Der Zustand der größten Entropie ist das maximale Chaos – die vollständige Unordnung und Durchmischung. Dagegen stellt die perfekte Ordnung, wie die Konzentration aller Atome an einem Ort oder die perfekte Trennung eines Systems in ein heißes und ein kaltes Untersystem, einen Zustand minimaler Entropie dar. In einem geschlossenen System kann die Entropie, also die Unordnung, aufgrund der höheren statistischen Wahrscheinlichkeit ungeordneter mikroskopischer Zustände nicht spontan abnehmen. Nur Prozesse, bei denen sich die Entropie nicht ändert, zum Beispiel das Schwingen eines Pendels, sind reversibel, also umkehrbar.

In einem abgeschlossenen System im thermodynamischen Gleichgewicht nimmt die Unordnung oder Entropie mit der Zeit zu (oder bleibt gleich). Im Universum nimmt die Unordnung unter dem Einfluss der Schwerkraft jedoch ab. Es strukturiert sich im Laufe von Milliarden Jahren in Galaxien, Sonnensystemen und anderen Objekten.© Sam Eadington

Nimmt die Entropie dagegen zu, sind die Prozesse irreversibel. So kann zwar ein Glas in tausend Stücke zerspringen, die Splitter werden sich aber spontan nicht wieder zu dem Glas zusammenfinden. Die Entropie des Splitterhaufens wird nicht abnehmen. Eine anschauliche Interpretation der Entropie findet sich in der Anzahl der Mikrozustände eines Systems, beispielsweise der Orte und Impulse von Atomen und Molekülen in einer Flüssigkeit oder in einem Gas. Der Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit eines makroskopischen Zustands und seiner Entropie wird zuerst von Ludwig Boltzmann im Jahr 1877 erkannt. Demnach gibt es extrem viele Möglichkeiten, die Atome eines Gases in einem Volumen zu verteilen. Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, dass sich alle heißen Atome an einem Ort und alle kalten an einem anderen Ort konzentrieren. Der wahrscheinlichste und damit stabile Zustand eines Systems ist also der mit der größten Unordnung, der maximalen Entropie des Systems.

Die klassische Thermodynamik beschreibt typischerweise ein thermodynamisches Gleichgewicht, den stabilen Zustand maximaler Unordnung. Doch in der Natur wird es genau dann interessant, wenn sich geordnete Zustände bilden, die instabil und nicht im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung sind. Beispiele reichen von Wirbeln in der Erdatmosphäre über biologische Zellen bis hin zu ganzen Organismen. All diese Systeme sind offen und fern des thermodynamischen Gleichgewichts. Sie alle verwandeln Energie aus ihrer Umgebung in negative Entropie, um so die Ordnung ihrer Strukturen aufzubauen. Die Thermodynamik des Nichtgleichgewichts war aber am Ende des 19. Jahrhunderts noch wenig bekannt.

Parallel zur Thermodynamik entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert die Physik des Elektromagnetismus. Obwohl für das Auge unsichtbar, finden Charles Augustin de Coulomb und später Michael Faraday und andere in ihren physikalischen Experimenten positive und negative elektrische Ladungen, zwischen denen die elektrische Kraft wirkt. Elektrische Ladungen können aufgenommen oder abgegeben werden. Eine Ladung erzeugt an jedem Punkt im Raum ein elektrisches Feld mit einer bestimmten Stärke und Richtung. Bewegte Ladungen verursachen einen elektrischen Strom. Es wurden jedoch bis heute keine isolierten magnetischen Ladungen gefunden.

Der Zusammenhang zwischen elektrischen und magnetischen Phänomenen ist wechselseitig: Jeder elektrische Strom erzeugt ein magnetisches Wirbelfeld. Umgekehrt erzeugt ein veränderliches Magnetfeld ein elektrisches Feld und damit eine Spannung. Veränderliche magnetische Felder sind also immer mit elektrischen Feldern und veränderliche elektrische Felder mit magnetischen Feldern gekoppelt. Beide können sich gemeinsam als elektromagnetische Welle im Raum ausbreiten. Auch Licht ist eine elektromagnetische Welle. Die Theorie der bewegten elektrischen Ladungen und der zeitlich veränderlichen elektrischen und magnetischen Felder wird Elektrodynamik genannt. Ihre Grundgleichungen wurden erstmals 1861 vom schottischen Physiker James Clerk Maxwell beschrieben.

Die Einführung des Feldbegriffs durch Maxwell gilt als einer der bedeutendsten Meilensteine der Physik des 19. Jahrhunderts und bildet den krönenden Abschluss der klassischen Physik. Doch an einem Problem der Elektrodynamik sollten sich die Wissenschaftler noch drei Jahrzehnte lang die Zähne ausbeißen: Woraus besteht das Medium, in dem sich die elektromagnetischen Wellen ausbreiten?

Widersprüchliches und Unerwartetes

Trotz der überragenden Erfolge der drei physikalischen Disziplinen klassische Mechanik, Thermodynamik und Elektrodynamik vermochten sie nicht alle bis dahin beobachteten Phänomene zu erklären, noch ließen sie sich innerhalb eines einheitlichen physikalischen Weltbilds zusammenführen. So hatten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts die deutschen Forscher Joseph von Fraunhofer, Robert Wilhelm Eberhard Bunsen und Gustav Robert Kirchhoff im Rahmen ihrer optischen Experimente mit Spektrometern die Abstrahlung und Aufnahme von Licht untersucht, also die Lichtemission und -absorption von Stoffen, und dabei Erstaunliches entdeckt. Sowohl Fraunhofers dunkle Absorptionslinien im Sonnenspektrum als auch die hellen Emissionslinien von Elementen wie Natrium waren so faszinierend wie unverstanden und im Rahmen der klassischen Elektrodynamik nicht zu erklären. Ebenso wenig konnten die Konzepte der Mechanik und Elektrodynamik sinnvoll miteinander vereint werden. Drei Schlüsselexperimente brachten schließlich das physikalische Weltbild um das Jahr 1900 ins Wanken. Auf sie wollen wir im Folgenden kurz eingehen.

Trotz aller Erfolge der Elektrodynamik war völlig unklar, was da eigentlich bei der Übertragung von elektromagnetischen Wellen schwingt. Jede mechanische Welle benötigt ein Medium. So pflanzt sich beispielsweise eine Wasserwelle in Wasser fort. Weshalb aber breiten sich elektromagnetische Wellen auch im Vakuum aus – in einem völlig leeren Raum? Welches Medium ist im Fall der elektromagnetischen Wellen dafür verantwortlich? Es blieb den Physikern damals nichts Anderes übrig, als das Konzept eines Äthers einzuführen – die Vorstellung von einem unendlich elastischen Medium, das den gesamten Raum erfüllt. Eine alles durchdringende Substanz, die an das fünfte Element von Aristoteles erinnerte – die „quinta essentia“, die Quintessenz, den Äther. Der Widerstand dieses Äthers gegenüber der Bewegung der Himmelskörper musste jedoch unmerklich klein sein, sonst hätte er den Lauf der Planeten mit der Zeit abgebremst. Zudem stellte sich die Frage, ob dieser ominöse Äther ruhte oder in Bewegung war. Gegen einen mitgeführten Äther sprachen optische Experimente wie Untersuchungen zur stellaren Aberration. Das ist die scheinbare Bewegung von Sternen um ihre wahre Position, die von der Geschwindigkeit des Beobachters auf der Erde abhängt.

Wenn der Äther aber ruhte, hieß das umgekehrt, dass die Geschwindigkeit der von Himmelskörpern ausgesandten elektromagnetischen Wellen aufgrund der Bewegung der Erde durch den Äther in verschiedenen Raumrichtungen unterschiedlich ausfallen musste. Je nachdem, ob die elektromagnetischen Wellen in Bewegungsrichtung der Erde ausgesandt wurden oder ihr entgegengesetzt, sollte die Geschwindigkeit des Lichts kleiner oder größer ausfallen. Denn selbstverständlich war davon auszugehen, dass sich die Geschwindigkeiten addieren – wie die eines Fahrgasts in einem Zug, die relativ zur vorbeiziehenden Landschaft größer ausfällt, wenn der Fahrgast in Fahrtrichtung des Zuges marschiert, und entsprechend kleiner, wenn der Fahrgast in entgegengesetzter Richtung läuft.

Zur Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit relativ zur Bahngeschwindigkeit der Erde um die Sonne machten Albert A. Michelson und Edward W. Morley in den 1880er Jahren eine Reihe sorgfältig präparierter Experimente an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Jahreszeiten. Zu ihrer großen Verblüffung zeigte sich dabei, dass die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Orientierung zur Bewegungsrichtung der Erde stets konstant ist. Das war im Sinne einer mechanischen Wellenausbreitung in einem wie auch immer gearteten Äther nicht zu verstehen. Erst Albert Einstein sollte viele Jahre später diesen Gordischen Knoten der Erkenntnis zerschlagen. Wir kommen später darauf zurück.

Mehr oder weniger zeitgleich zu der erfolglosen Suche nach einem Äther ließen sich zum Schrecken der Physiker auch andere aktuelle Messungen der elektromagnetischen Strahlung nicht im Rahmen der klassischen Elektrodynamik und Thermodynamik erklären. Das betraf zum Beispiel die Hohlraumstrahlung eines sogenannten Schwarzen Körpers. Ein Schwarzer Körper nimmt die auftreffende elektromagnetische Strahlung jeglicher Wellenlänge vollständig auf, während er gleichzeitig elektromagnetische Strahlung als Wärmestrahlung aussendet. Er befindet sich also im perfekten thermischen Gleichgewicht mit der ihn umgebenden elektromagnetischen Strahlung. Die Intensität der Wärmestrahlung hängt nur von der Temperatur des Schwarzen Körpers ab. Ein idealer Schwarzer Körper sollte nach der damaligen Vorstellung im thermischen Gleichgewicht kontinuierlich über alle Frequenzen und mit zunehmender Frequenz immer mehr Strahlung abgeben können, was bei beliebig hohen Frequenzen paradoxerweise zu einer unendlich hohen Abstrahlung führt.

Die Abhängigkeit der Leistung der elektromagnetischen Strahlung eines solchen Schwarzen Körpers von der Wellenlänge konnte lange nicht vom infraroten bis zum ultravioletten Licht durch eine Formel erklärt werden. Erst 1900 gelang es Max Planck, die Strahlungsleistung bei einer gegebenen Temperatur von großen bis zu kleinen Wellenlängen durch eine einheitliche Formel auszudrücken. Als Preis seiner kompakten Beschreibung musste er allerdings die Existenz einer kleinsten Wirkung als das Verhältnis der Energie eines Strahlers zu seiner Frequenz annehmen. Sie sollte später als Plancksches Wirkungsquantum nach ihm benannt werden.

Die Wirkung ist in der Physik das Produkt von Energie mal Zeit oder Länge mal Impuls. In der Mechanik bewegen sich Körper nach dem Prinzip der kleinsten Wirkung. Der Energieaustausch des Körpers mit der ihn umgebenden Strahlung konnte demnach nicht kontinuierlich erfolgen, sondern in Form kleinster diskreter Energiepakete, die später Quanten genannt wurden. Das war im Rahmen der klassischen Physik absolut unverständlich.

Auch ein drittes Experiment wurde über Jahrzehnte wiederholt und verfeinert, ohne dass es mit den Vorstellungen der klassischen Physik in Einklang zu bringen war. Das Experiment ging einher mit einer Reihe von Entdeckungen, die in eine ganz neue Richtung wiesen. Dies waren die Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Conrad Wilhelm Röntgen 1895 und die nicht minder überraschende Entdeckung der Radioaktivität durch Henri Becquerel 1896. Kurz darauf entdeckte Joseph John Thomson 1897 in den sogenannten Kathodenstrahlen die Elementarladung des Elektrons, deren Existenz schon Hermann von Helmholtz vorausgesagt hatte. In diesem Zusammenhang wurden viele spannende Experimente gemacht. Dazu gehörten Messungen zum sogenannten photoelektrischen Effekt, bei dem Licht beim Auftreffen auf ein Material Elektronen freisetzt, die sich als Strom messen lassen. Die experimentellen Ergebnisse widersprachen allerdings auch hier den Vorstellungen des klassischen Elektromagnetismus. Dieser sagte nämlich voraus, dass eine Änderung der Lichtintensität die Energie der emittierten Elektronen verändern würde, weil das Licht kontinuierlich Energie auf Elektronen übertragen könne. Stattdessen zeigten die Messungen, dass Licht erst ab einer bestimmten Frequenz Elektronen aus dem Material herauslöst – unabhängig von der Intensität des Lichts oder der Dauer der Belichtung. Im selben Jahr 1905, in dem er seine Spezielle Relativitätstheorie veröffentlichte, schlug Albert Einstein vor, dass Licht aus Teilchen besteht, den sogenannten Photonen, die eine gequantelte Energie besitzen. Er griff Plancks Strahlungsformel auf und schlussfolgerte, dass die Energie des Lichts das Produkt aus seiner Frequenz und Plancks Wirkungsquantum ist.

Die Experimente von Michelson und Morley zur Lichtgeschwindigkeit wie auch die Untersuchungen der Schwarzkörperstrahlung und die Messungen zum photoelektrischen Effekt deckten innere Widersprüche der alten Physik auf. Diese drei Schlüsselexperimente öffneten zusammen mit der Entdeckung des Elektrons, der Röntgenstrahlung und der Radioaktivität das Fenster in eine bis dahin unbekannte Welt. Sie ebneten den Weg zur Entwicklung zweier bahnbrechender Theorien, die unser modernes physikalische Weltbild bestimmen: die Relativitätstheorie und die Quantentheorie.

Aufbruch in die Moderne – die Relativitätstheorie …

Mehr als drei Jahrzehnte hatten die Physiker versucht, den Äther als Trägersubstanz der elektromagnetischen Wellen und als besonderes, absolutes Bezugssystem nachzuweisen. Weshalb aber ist die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Bewegungsrichtung der Erde im Weltall stets konstant? 1887 formulierte der niederländische Physiker Hendrik Lorentz dazu einen ersten Lösungsansatz – die später nach ihm benannte gleichzeitige Transformation von Raum und Zeit. Dabei handelt es sich um eine Umrechnung von einem Koordinatensystem in Raum und Zeit in ein anderes, das sich relativ zu ersterem mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Lorentz stellte zwar damit die Existenz eines Äthers nicht in Frage, löste sich aber bereits von der Newtonschen Vorstellung eines absoluten Raums. Neben der vom Bezugssystem unabhängigen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit versuchte er mittels der heute nach ihm benannten Transformationen auch die Symmetrien in den Gleichungen des Elektromagnetismus zu verstehen. Aber erst 1905 schuf Albert Einstein mit seiner Speziellen Relativitätstheorie eine logisch widerspruchsfreie Formulierung der Elektrodynamik. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass die Lichtgeschwindigkeit universell ist und eine nicht überschreitbare Grenze für die Ausbreitung von Kräften und Feldern darstellt. Hier folgte der Theoretiker Einstein strikt der Beobachtung aus dem Experiment. Diese Feststellung hat allerdings Konsequenzen, die unserer Alltagserfahrung widersprechen und auch die klassische Physik in ihren Grundfesten erschüttert: Es gibt kein besonderes Bezugssystem – und damit keinen Äther.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie geht Einstein 1915 wesentlich weiter. Darin behauptet er, dass Masse die Raumzeit krümmt und umgekehrt die Bewegung der Massen der Krümmung der Raumzeit folgt, dass Gravitation oder Schwerkraft also die Wirkung der Krümmung der Raumzeit durch Masse ist. Die Aussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie sind formal ähnlich der klassischen Elektrodynamik: Während dort beschleunigte Ladungen elektromagnetische Wellen aussenden, senden im Fall von Gravitation beschleunigte Massen Gravitationswellen aus. Beide breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus.

Der Nachweis der Ablenkung des Lichts aus dem Universum während der totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 durch die Engländer Arthur Stanley Eddington und Frank Dyson ist der erste direkte Beweis für die Richtigkeit von Einsteins Theorie und stellt einen Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte dar. Die Allgemeine Relativitätstheorie wird zum Fundament der modernen Kosmologie und der Beschreibung des Makrokosmos. Fast einhundert Jahre später, im Jahr 2015, werden erstmals Gravitationswellen direkt nachgewiesen.