Die 42 größten Rätsel der Physik - Ilja Bohnet - E-Book
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Die 42 größten Rätsel der Physik E-Book

Ilja Bohnet

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Beschreibung

Woraus besteht das Universum und wie funktioniert die Welt? An diesen Fragen arbeiten Physiker weltweit, denn noch immer gilt es, die großen Rätsel der Physik zu lösen. Woraus besteht die ominöse Dunkle Materie? Besitzt das Universum weitere Dimensionen, sind Zeitreisen möglich und existiert eine symmetrische Spiegelwelt? Aus erster Hand beschreibt dieses Buch die Herausforderungen und Abenteuer, vor denen die Forschenden heute stehen. Ein kurzweiliger, verständlicher Überblick für alle, die in Sachen Astronomie und Physik mitreden möchten.

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»Aristotle said a bunch of stuff that was wrong. Galileo and Newton fixed things up. Then Einstein broke everything again. Now, we’ve basically got it all worked out, except for small stuff, big stuff, hot stuff, cold stuff, fast stuff, heavy stuff, dark stuff, turbulence, and the concept of time.«1

Zach Weinersmith

1 Zu Deutsch etwa: »Aristoteles sagte ein paar Sachen, die nicht ganz richtig waren. Galileo und Newton konnten das so weit richten. Dann kam Einstein und hat alles wieder aufgemacht. Inzwischen aber haben wir im Grunde alles verstanden, bis auf die kleinen Sachen, die großen Sachen, die heißen Sachen, die kalten Sachen, die schnellen Sachen, die schweren Sachen, die dunklen Sachen, Turbulenzen und das Konzept der Zeit.«

Für Folker

Inhalt

GRUSSWORT

PROLOG

1 DIE KLASSISCHE MECHANIK

Wo die Welt der Physik noch in Ordnung zu sein scheint

FRAGE 1: IST DIE NATUR ÜBERHAUPT DURCH PHYSIK BESCHREIBBAR?

2 DIE THERMODYNAMIK

Wo Ordnung und Chaos gegeneinander antreten

FRAGE 2: WIE LÄSST SICH UNSERE TURBULENTE WELT VERSTEHEN?

3 DIE ELEKTRODYNAMIK

Wo die Beziehung zwischen Feldern eine große Rolle spielt

FRAGE 3: WO STECKEN DIE MAGNETISCHEN MONOPOLE?

4 DIE RELATIVITÄTSTHEORIE

Wo zwischen Bezugssystemen absolute Gleichberechtigung herrscht

FRAGE 4: WAS SIND RAUM UND ZEIT?

FRAGE 5: WIE VIELE DIMENSIONEN HAT DAS UNIVERSUM?

5 DIE QUANTENTHEORIE

Wo diskrete Sprünge und Unschärfen Hand in Hand gehen

FRAGE 6: WORIN BESTEHT DAS MESSPROBLEM DER QUANTENMECHANIK?

FRAGE 7: WAS IST QUANTENGRAVITATION?

FRAGE 8: QUANTENCOMPUTING – DIE TECHNOLOGIE VON MORGEN?

FRAGE 9: WAS IST KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND WO LIEGEN IHRE GRENZEN?

6 DIE ATOMPHYSIK

Wo Elektronen und Photonen das Sagen haben

FRAGE 10: GIBT ES TEILCHEN AUS DEM NICHTS?

FRAGE 11: WIE KONSTANT SIND DIE NATURKONSTANTEN?

FRAGE 12: WORIN BESTEHEN DIE RÄTSEL DER HEISSEN PLASMEN?

7 DIE PHYSIK DER KONDENSIERTEN MATERIE

Wo rätselhafte Ordnung herrscht

FRAGE 13: WIE FUNKTIONIERT HOCHTEMPERATUR-SUPRALEITUNG?

FRAGE 14: LEUCHTENDE BLASEN – WIE ERKLÄRT SICH DIE SONOLUMINESZENZ?

FRAGE 15: TÄGLICH GENUTZT UND DOCH UNVERSTANDEN: WAS SIND EIGENTLICH GLÄSER?

8 DIE MOLEKÜL- UND BIOPHYSIK

Wo Physik, Chemie und Biologie auf Tuchfühlung gehen

FRAGE 16: WIE LASSEN SICH QUANTENPHÄNOMENE IN VIELTEILCHENSYSTEMEN ERKLÄREN?

FRAGE 17: LÄSST SICH DIE DYNAMIK VON MOLEKÜLEN PHYSIKALISCH ERFASSEN?

FRAGE 18: WAS IST LEBEN?

FRAGE 19: WIE FUNKTIONIERT BEWUSSTSEIN?

9 DIE HADRON- UND KERNPHYSIK

Wo nur kleinste Abstände zur Freiheit führen

FRAGE 20: WIE ERKLÄREN SICH DIE GEHEIMNISSE DER NUKLEONEN?

FRAGE 21: WAS PASSIERT ZWISCHEN QUARKS UND GLUONEN?

FRAGE 22: WESHALB SIND DIE MAGNETISCHEN DIPOLMOMENTE VON TEILCHEN ANOMAL?

FRAGE 23: WESHALB VERLETZT DIE KERNKRAFT KEINE SYMMETRIEN?

FRAGE 24: GIBT ES DIE INSEL DER STABILEN KERNE UND WO LIEGT SIE?

10 DIE TEILCHENPHYSIK

Wo die Welt der kleinsten Bausteine wie ein bizarrer Zoo erscheint

FRAGE 25: WELCHE ROLLE SPIELT DAS HIGGS-FELD FÜR DIE TEILCHENMASSEN?

FRAGE 26: WELCHE ROLLE SPIELT DAS NEUTRINO IM UNIVERSUM?

FRAGE 27: WIESO GIBT ES DREI TEILCHENGENERATIONEN?

FRAGE 28: WESHALB GIBT ES MEHR MATERIE ALS ANTIMATERIE?

FRAGE 29: WIESO SIND DIE FUNDAMENTALEN WECHSEL-WIRKUNGEN SO UNTERSCHIEDLICH STARK?

FRAGE 30: GIBT ES EINE PHYSIK JENSEITS DES STANDARDMODELLS?

11 DIE ASTROPHYSIK

Wo Boten aus dem All von extremen Ereignissen zeugen

FRAGE 31: WAS IST DUNKLE MATERIE?

FRAGE 32: WIE FUNKTIONIEREN KOSMISCHE BESCHLEUNIGER?

FRAGE 33: GRAVITATIONSWELLEN, NEUTRONENSTERNE UND SCHWARZE LÖCHER – ALLES KLAR?

FRAGE 34: WIE ENTSTEHEN DIE SCHWEREN ELEMENTE?

FRAGE 35: GIBT ES EINE KOSMISCHE ZENSUR?

12 DIE KOSMOLOGIE

Wo geheimnisvolle Kräfte ihre Hände im Spiel haben

FRAGE 36: WAS IST DIE DUNKLE ENERGIE?

FRAGE 37: WELCHE GESTALT HAT DAS UNIVERSUM UND WOHIN DEHNT ES SICH AUS?

FRAGE 38: WIE SIEHT DIE WELT HINTER DEM KOSMISCHEN HORIZONT AUS?

FRAGE 39: GILT DAS KOPERNIKANISCHE PRINZIP?

FRAGE 40: WAS WAR AM ANFANG DES UNIVERSUMS UND WIE VERLÄUFT SEIN ENDE?

FRAGE 41: WAS SIND ZIEL UND ZWECK DER EVOLUTION?

FRAGE 42: WESHALB 42 FRAGEN?

DANKSAGUNG

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

IMPRESSUM

GRUSSWORT

42 Rätsel der Physik – warum ausgerechnet »42«? Vielleicht schauen Sie mal in den Roman »Per Anhalter durch die Galaxis« oder Sie blättern zur 42. und letzten Frage in diesem Buch. Mit diesem Bezug nimmt uns Ilja Bohnet mit auf eine spannende Reise durch die Welt der Physik. Dabei diskutiert er mit anerkannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihn jeweils ein Stück seines Weges durch das physikalische Universum begleiten. Sie zeigen uns jedoch nicht das Erreichte, so beeindruckend es auch ist, sondern weisen uns auf die Schönheit des Ungelösten hin, des Unbekannten. Die Physik untersucht grundlegende Phänomene der Natur und bildet mit ihren Erkenntnissen eine Basis für viele andere Wissenschaften. Wir haben viele Entdeckungen gemacht und zahlreiche Erkenntnisse gewonnen. Aber jede Erkenntnis erzeugt neue Fragen, deren Beantwortung uns wieder ein Stück weiterbringt. Dieses Frage-Antwort-Spiel macht die Faszination der Physik, ja der Wissenschaft im Allgemeinen aus. Doch werden wir jemals Antworten auf all unsere Fragen finden, und gibt es eine letzte, allumfassende Antwort auf die Frage aller Fragen, nämlich die »nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest«? Ich glaube es nicht, denn wer hätte schon das Wissen, um diese Frage zu beantworten? Selbst der Supercomputer »Deep Thought« im oben genannten Roman sah sich dazu außerstande. Womit wir wieder am Anfang dieses Grußworts sind: bei seiner unverständlichen Antwort »42« nämlich, dem wunderschönen Aufhänger dieses Buches.

Tauchen Sie nun ein in das Reich des Unbekannten. Sie werden staunen, wie viel es noch zu enträtseln gibt.

Prof. Dr. Rolf-Dieter Heuer

Ehemaliger Generaldirektor der Großforschungseinrichtung CERN und Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG)

PROLOG

Weshalb dieses Buch? Das vorliegende Werk möchte einen umfassenden Überblick zu den großen, fundamentalen Rätseln der Physik geben und die Leserschaft spielerisch über ein breites Themenspektrum hinweg für diese Naturwissenschaft begeistern. Es soll einen Eindruck davon vermitteln, was die »Physik« ausmacht, wie sie funktioniert und worin ihre prinzipiellen Grundsätze bestehen. Geboten wird eine Reise durch alle physikalischen Teilgebiete – von der klassischen Mechanik bis hin zur modernen Kosmologie. Dabei werden auch hochaktuelle Themen berührt wie Klimaforschung, Quantencomputing, künstliche Intelligenz sowie die Frage, was eigentlich »Leben« ist.

Mit rund 2 × 42 Wissenschaftlern – Frauen wie Männern – konnte der Autor ungelöste Fragen aus den zwölf »kanonischen« Teilgebieten der Physik diskutieren und dabei Einblicke in die brandaktuelle Forschung gewinnen. Auf dieser Grundlage werden Rätsel aus dem Mikro-, Meso- und Makrokosmos unter die Lupe genommen (dem Allerkleinsten, dem Mittleren und dem Allergrößten) und der aktuelle Stand ihrer Erforschung dargestellt. Das Buch startet mit den drei klassischen Teilgebieten der Physik – Mechanik, Thermodynamik und Elektrodynamik –, gefolgt von den beiden weiterführenden großen physikalischen Theoriegebäuden – Relativitätstheorie und Quantentheorie. Sie bilden die Grundlage der sieben physikalischen Forschungsgebiete: Atom- und Plasmaphysik, Physik der kondensierten Materie, Molekül- und Biophysik, Hadron- und Kernphysik, Elementarteilchenphysik, Astrophysik sowie Kosmologie.

Jedem Kapitel ist eine kurze Einführung in das entsprechende Teilgebiet vorangestellt, es folgen die Diskussionen mit den Fachexperten zu den spannenden Fragestellungen. Um theoretische wie experimentelle Aspekte auszuleuchten, werden zumeist ein theoretischer Physiker und ein Experimentalphysiker zu Rate gezogen. Dabei soll sich die Leichtigkeit der Gespräche im Buch bestmöglich wiederfinden. Da die Kapitel aufeinander aufbauen, ist ein Lesen von vorne nach hinten hilfreich.

Dieser Streifzug durch die Physik und ihre offenen Fragen hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zwar basiert die Liste der vorgestellten »42 größten« physikalischen Rätsel auf einer eingehenden Analyse von Veröffentlichungen der Wissenschaftsgemeinschaft zu den »most important issues of physics«, doch stellen die Rätsel letztlich bloß eine Auswahl dar – denn selbstverständlich sind die spannenden offenen Fragen der Physik nicht auf die geschilderten 42 Fälle beschränkt. Zu diskutieren wäre überdies, welche Rätsel überhaupt als fundamentale, wirklich grundlegende Fragen gelten dürfen, welche dagegen eher supplementärer Natur sind, also vielmehr auf grundlegenden Fragestellungen aufbauen. Als fundamental werden hier Fragestellungen angesehen, die sich mit bestehenden Konzepten und Modellen nicht befriedigend beantworten lassen. Also Fragen, die grundsätzlicher Natur und von großer Relevanz sind, die gewissermaßen »Welträtsel« darstellen.

Der Begriff des Welträtsels ist tatsächlich nicht neu. Bereits der griechische Gelehrte Aristoteles hatte mit seinen »Problemata Physica« das Ziel, Welträtsel zu formulieren. Der erste Wissenschaftler jedoch, der explizit von Welträtseln sprach, war zum Ende des 19. Jahrhunderts der Physiologe Emil Heinrich du Bois-Reymond, Mitbegründer der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Er bewies dabei große Weitsicht, denn tatsächlich gelten die sieben Welträtsel, die er vor mehr als hundert Jahren formulierte, bis zum heutigen Tag nicht wirklich als gelöst. Sie lauten: (1) Was ist Materie und Kraft? (2) Woher kommt der Ursprung der Bewegung? (3) Woher kommt das erste Leben? (4) Woher stammt der Zweck in der Natur? (5) Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven? (6) Woher kommen das vernünftige Denken und die Sprache? (7) Woher stammt der »freie«, sich zum Guten verpflichtet fühlende Wille? Selbstverständlich finden sich diese Fragen in den 42 Rätseln dieses Buches indirekt wieder. Etwas später verfasste der Denker und Wissenschaftler Ernst Haeckel dann mit seinem Werk »Die Welträtsel« das bis heute erfolgreichste populärwissenschaftliche deutsche Buch zu diesem Thema. Es ist inzwischen völlig in Vergessenheit geraten – zu Recht, wie der Autor des vorliegenden Werkes findet, kündet es doch von einem Allmachtsanspruch der Wissenschaft, der aus heutiger Sicht mehr als problematisch anmutet.

Lässt sich eine fundamentale Fragestellung im Sinne der Erkenntnistheorie überhaupt grundlegend und ein für alle Mal klären? Ist die Natur physikalisch vollständig beschreibbar? Der Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz, Kommilitone und Freund von Emil du Bois-Reymond, war diesbezüglich nur bedingt optimistisch: »Jedoch das Gebiet, welches der unbedingten Herrschaft der vollendeten Wissenschaft unterworfen werden kann, ist leider sehr eng, und schon die organische Welt entzieht sich ihm größtenteils.« Auch Helmholtz beweist mit dieser Aussage große Weitsicht. Doch hat ihn diese nüchterne Erkenntnis nicht davon abgehalten, zahlreichen Fragestellungen mit wissenschaftlichen Methoden und großem Eifer weiter nachzugehen. So möge es auch mit den hier vorgestellten 42 ungelösten Rätseln der Physik sein: Sie sollen das Interesse und die Neugier der Leser wecken. Denn erst mit den richtigen Fragen bekommen wir auch die richtigen Antworten.

Was ist Physik? Bevor wir uns den großen Rätseln widmen, schauen wir zunächst auf die spannende Frage, welche Idee hinter dieser Naturwissenschaft steht, wie Physik eigentlich funktioniert. Ganz allgemein geht es in der Physik darum, über experimentelle und mathematische Methoden Zustände und Zustandsänderungen der uns umgebenden Natur gesetzmäßig zu beschreiben – vom mikroskopisch Kleinen über Alltagsphänomene unserer Umwelt bis hin zum Universum. Das Ziel ist die Enträtselung der Struktur, Dynamik und Funktionsweise der Materie, von Elementarteilchen und einzelnen Atomen bis hin zu Makromolekülen – letztlich die Entschlüsselung der fundamentalen Wechselwirkungen und Grundbausteine des Universums. Dafür werden physikalische Größen und festgelegte Einheiten verwendet, um die Größen gewissermaßen »wägbar« zu machen. Von besonderem Interesse sind die Beziehungen der physikalischen Größen zueinander, die in Gleichungen gegossen werden. Das Fundament der Physik sind empirische Beobachtungen und reproduzierbare Experimente, die mit zunehmendem Erkenntnisfortschritt stetig verfeinert und angepasst werden müssen. Dazu werden experimentelle Methoden entwickelt, wie das Streuexperiment, bei dem der zu untersuchende Gegenstand (das »Target«) mit »Sondenteilchen« beschossen wird (wie Röntgenstrahlung, Elektronen, Protonen, Neutronen oder Ionen), wobei die Art der Streuung Rückschlüsse auf die Struktur des Targets erlaubt. Physik besteht zudem aus einem engen Wechselspiel von Experiment und Theorie. Die Theorie formuliert – ausgehend von einem Konzept – zunächst eine These, die zu einem Modell erweitert und im Rahmen einer Simulation gegebenenfalls mit empirischen Messdaten überprüft werden kann. Das Ziel ist es, daraus eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten. Dabei lassen sich erfolgreich verwendete Konzepte häufig auf verschiedene physikalische Sachverhalte übertragen und bilden damit ein breit einsetzbares Rüstzeug, um unterschiedliche Fragestellungen zu verfolgen.

Der Begriff des »Gesetzes« ist in der Physik ganz wesentlich, ebenso wie derjenige der »Gültigkeit«. Wir werden erfahren, dass anders als in der Mathematik (oder der Theologie) in der Physik keine absoluten, sondern nur relative Wahrheiten gelten, und dass den Gesetzen in der Regel Gültigkeitsgrenzen gesetzt sind. Die Grenzverschiebungen in der Physik sind mitunter verbunden mit Paradigmenwechseln, also neuen Konzepten und Lösungsansätzen, die sich zur Beschreibung der Natur als gangbarer erweisen. Doch die vorangegangenen, alten Gesetze werden zumeist nicht einfach beiseitegeschoben und vergessen, vielmehr werden ihre Gültigkeitsbereiche begrenzt und neu abgesteckt. Das Ziel der Physik ist es, Gesetze von universellem, allgemeingültigem Charakter zu finden, die die Kriterien der Einfachheit, Effizienz, Natürlichkeit und Symmetrie erfüllen.

Wissenschaft lebt vom Disput und der Kontroverse innerhalb der Forschergemeinde. Und sie lebt von Kommunikation und Austausch. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist die internationale Solvay-Konferenz, die seit 1911 regelmäßig in Brüssel stattfindet. Physik kennt weder nationale Grenzen noch kulturelle Unterschiede und ideologische Anschauungen. Sie baut auf der Arbeit von vielen auf – auch wenn immer wieder einzelne Namen besonders hervorstechen. Aber schon Isaac Newton bemerkte im 17. Jahrhundert: »Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.«

Physik ist auch beileibe keine Männersache, es gab und gibt geniale Frauengestalten in der Physik wie Maria Mitchell, Henrietta Swan Leavitt, Marie Curie, Lise Meitner, Emmi Noether oder Donna Strickland, um nur einige zu nennen. Überdies ist in der modernen Physik zu beobachten, wie sich das Bild der Akteure erfreulicherweise zunehmend geschlechterübergreifend durchmischt. Frauen als Wissenschaftler, Professoren, Forschungsdirektoren – das ist in den modernen Wissenschaften eigentlich eine Selbstverständlichkeit – und ist es keine, muss es eine werden. In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Sprache: Hier wird bewusst auf aktuelle Formen einer »geschlechtergerechten Sprache« verzichtet, weil sie aus Sicht des Autors die Lesbarkeit deutlich behindern. Wenn also im Folgenden von Forschern und Fachexperten gesprochen wird, sind durchweg männliche wie weibliche gemeint. Denn eines muss klar sein: Physik gehört allen – Frauen und Männern, Mädchen und Jungen über alle Grenzen und Kulturen hinweg. Bevor wir nun aber zur Sache kommen, treten wir noch einen kurzen Streifzug durch die Geschichte der Physik an – denn ihre Entwicklung ist fast ebenso spannend wie die Physik selbst.

Wie entwickelt sich die Physik? Systematische Himmelsbeobachtungen werden bereits von den Urmenschen betrieben. Aber erst in der griechischen Antike beginnt eine Erforschung der Natur über die Formulierung physikalischer Gesetzmäßigkeiten mittels mathematischer Methoden. Im 5. Jahrhundert vor Christus schafft Platon einen mathematisch-philosophischen Rahmen dafür. Etwas später formuliert Demokrit die These, die Welt bestehe aus fundamentalen, nicht weiter teilbaren Bausteinen – den Atomen. Empedokles entwickelt die Idee, alles setze sich aus vier Grundbestandteilen zusammen (Wasser, Feuer, Erde, Luft) und sei durch zwei Wechselwirkungen miteinander verbunden (Liebe, Hass) – das antike Standardmodell der Physik sozusagen. Mit erstaunlicher Genauigkeit bestimmt Eratosthenes als Erster den Erdumfang. Der einflussreichste Naturforscher bleibt aber über viele Epochen hinweg Aristoteles. Wie er sind die alten Griechen davon überzeugt, man könne die Gesetze des Universums allein durch pures Nachdenken entdecken. Sie fühlen sich daher wenig bemüßigt, ihre Theorien durch Experimente zu überprüfen.

So schreitet die Entwicklung der Physik in Etappen und mit Unterbrechungen fort, ohne dass es bis zum 16. und 17. Jahrhundert zu entscheidenden Paradigmenwechseln kommt. Angestoßen durch die Überlegungen von Nikolaus Kopernikus zu einem heliozentrischen Weltbild bringen schließlich Tycho Brahe, Johannes Kepler und Galileo Galilei die Himmelsmechanik wie auch die irdische Mechanik durch Beobachtungen und Experimente auf eine gesetzmäßige Grundlage, die der methodischen Vorgehensweise einer modernen Physik schon sehr nahekommt.

Erst Isaac Newton gelingt es jedoch, getreu dem Prinzip »wie im Himmel, so auf Erden«, die Bewegungsgesetze Galileis und die Planetengesetze Keplers im Rahmen seiner Newtonschen Mechanik einheitlich zu beschreiben. Mit der Aufstellung seines Gravitationsgesetzes – dem ersten universellen Kraftgesetz – schafft er eine umfassende Grundlage für die klassische Physik und das Vorbild für die spätere Elektrodynamik. Kurz darauf entsteht die moderne Optik, die sich mit den Eigenschaften des Lichts auseinandersetzt. Gleichzeitig wird die Mathematik, die das formale Fundament der Physik bildet, mit der Differential- und Integralrechnung wesentlich weiterentwickelt. Mit der Elektrizitätslehre entsteht im 18. Jahrhundert ein weiteres neues physikalisches Teilgebiet. Parallel dazu schafft die Thermodynamik (die Wärmelehre) mit der Erforschung von Gasen und Flüssigkeiten die Grundlage für das aufkommende Dampfmaschinenzeitalter und damit für die industrielle Revolution.

Das 19. Jahrhundert zeichnet sich aus durch epochale Erkenntnisse über den Aufbau der Materie, denen die moderne Physik gewissermaßen noch heute nachgeht: (1) Sämtliche Formen der bekannten Materie bestehen aus nur 92 chemischen Elementen. (2) Wärme ist nichts anderes als die ungeordnete Bewegung dieser chemischen Elemente und ihrer Verbindungen. (3) Elektrische, magnetische und optische Phänomene sind letztlich Ausdruck ein und desselben, nämlich von elektromagnetischen Feldern, die durch elektrisch geladene Teilchen erzeugt werden und sich in Gestalt von Licht und anderen elektromagnetischen Wellen im Raum ausbreiten. Die Einführung des Feldbegriffs durch James Clerk Maxwell gilt übrigens als einer der bedeutendsten Meilensteine des 19. Jahrhunderts und bildet gewissermaßen den Abschluss der klassischen Physik.

Mit der Entdeckung des Elektrons, der Röntgenstrahlung und der Radioaktivität am Ende des 19. Jahrhunderts wird das nächste, entscheidende Kapitel der Physik aufgeschlagen, und damit ein neuer Untersuchungsgegenstand gefunden – das Atom. Kurz darauf werden dann jene Entdeckungen gemacht, die zur Ausgestaltung der bei-den Theoriegebäude führen, die die klassische Physik auf den Kopf stellen – die Relativitätstheorie und die Quantentheorie.

Die von Albert Einstein entwickelte Relativitätstheorie beruht auf der Erkenntnis, dass die Lichtgeschwindigkeit eine universale und nicht überschreitbare Grenze darstellt. Hieraus leitet Einstein das Relativitätsprinzip ab, wonach die Naturgesetze in allen Bezugssystemen (ob auf dem Erdboden, in einem fahrenden Aufzug oder in einem um die Erde kreisenden Satelliten) stets die gleiche Form haben und nichts schneller sein kann als das Licht.

Das Universum – eine Explosion. Allein das ist starker Tobak. Doch den eigentlichen Bruch mit der klassischen Physik vollzieht kurz darauf die Quantentheorie mit ihrer Beschreibung des mikroskopisch Kleinen. Denn die Quantentheorie muss den strengen Determinismus der klassischen Physik aufgeben, wonach physikalische Ereignisse durch die Vorbedingungen im Prinzip eindeutig festgelegt sind. Zum einen durch die Entdeckung von diskreten, also von der Natur festgelegten Zustandsänderungen im atomaren Bereich, die den Ausgangspunkt für das Bohrsche Atommodell bilden. Zum anderen durch den Welle-Teilchen-Dualismus von atomaren Teilchen, der im klassischen Verständnis unvorstellbar ist. Quantenteilchen sind beides zugleich: Welle und Teilchen. Das führt schließlich zu Heisenbergs Unschärferelation, wonach bestimmte Eigenschaften eines atomaren Teilchens wie zum Beispiel sein Ort und sein Impuls nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind – eine Restunschärfe als Naturprinzip!

Mit der Relativitätstheorie und der Quantenphysik auf dem Fundament der klassischen Physik erschließt sich im 20. Jahrhundert erstmals ein umfassendes physikalisches Weltbild, das sich vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos erstreckt – vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Großen. Dieses Weltbild erklärt die Struktur der Materie – die Atome, Atomkerne und Elementarteilchen ebenso wie den Kosmos und seine Planeten, Sonnensysteme und Galaxien. Es umfasst die entferntesten astrophysikalischen Objekte des Universums und beschreibt so unvorstellbare Phänomene wie Neutronensterne und schwarze Löcher.

Mit der Festkörperphysik entsteht ein eigenständiges faszinierendes Teilgebiet der Physik, in dem Materialien erforscht und hergestellt werden. Die Anwendungen prägen wesentliche Teile unseres Lebens. Entwicklungen wie in der Elektronik und im Bereich der Computer bis hin zum Internet wären völlig undenkbar ohne die oben beschriebenen epochalen Erkenntnisse der Physik. Im Rahmen der Materialforschung entstehen neue »Wunderstoffe« wie zum Beispiel Halbleiter, Leuchtdioden (LEDs), Kristalle für Festkörperlaser, »Quasikristalle« als Zuschlagstoffe für hochwertigen Stahl oder topologische Isolatoren (außen leitend, innen isolierend) – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Die Übergänge von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung sind mitunter fließend, und naturgemäß sind zukünftige Anwendungen nicht von vornherein klar erkennbar. So soll schon der englische Physiker Michael Faraday, ein Pionier der Elektrizitätslehre, auf die Frage des britischen Schatzkanzlers nach dem Nutzen seiner elektrischen Untersuchungen, geantwortet haben: »Keine Ahnung, Sir, aber ich bin sicher, Sie werden schon bald Steuern darauf erheben.«

Doch nicht erst die Atombombenabwürfe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs zeigen die Kehrseite der physikalischen Forschung. Raubbau an der Natur, Massenproduktion, Wegwerfgesellschaft und Klimawandel machen zunehmend deutlich, welche Verantwortung den Industriegesellschaften zukommt, eine nachhaltige und lebenswerte Welt zu schaffen – und zu erhalten. Eine Verpflichtung auch für die Physik. Das Einzige, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist sein Verstand, gepaart mit großer Neugier. Durch die Physik kann der Mensch die Natur erkennen. Vielleicht ist auch so Immanuel Kants Appell zu verstehen, wenn er sagt: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Das wollen wir beherzigen und springen nun direkt hinein in die Materie.

TEIL 1

DIE KLASSISCHE MECHANIK

Wo die Welt der Physik noch in Ordnung zu sein scheint

Die klassische Mechanik ist das Teilgebiet der Physik, das die Bewegung von Körpern unter dem Einfluss von Kräften beschreibt – zum Beispiel von Kreiseln oder Pendeln bis hin zum Planetenlauf um die Sonne. Sie basiert auf fundamentalen physikalischen Größen wie Raum, Zeit, Masse und Kraft. Die Grundlage der klassischen Mechanik sind die drei Newtonschen Gesetze. Das erste ist das Trägheitsprinzip, das besagt, dass Masse träge ist und ohne äußere Krafteinwirkung in Ruhe verbleibt oder ihre Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit nicht ändert. Das zweite Newtonsche Gesetz ist das Aktionsprinzip, es beschreibt den grundlegenden Zusammenhang zwischen Kraft, Masse und Beschleunigung: Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Das dritte Gesetz sagt aus, dass jede Kraft eine gleichgroße, aber entgegengesetzte Gegenkraft erzeugt. Der Stoß einer Kugel aus einem Katapult erzeugt einen gleichgroßen Rückstoß. Das ist das Prinzip von »Actio und Reactio«.

Für den englischen Naturforscher Isaac Newton stellt sich das Universum im 17. Jahrhundert als ein ausgezeichnetes (also »besonderes«) physikalisches System dar, als ein absoluter Raum, der stets gleich und unbeweglich bleibt. Auch die Zeit vergeht darin überall und für jeden Beobachter stets gleichförmig. Newton formuliert auch das Gravitationsgesetz, wonach die Gravitationskraft zwischen zwei Massekörpern mit ihrem Abstand voneinander quadratisch abnimmt – bei Verdopplung der Entfernung sinkt die Kraft auf ein Viertel des ursprünglichen Wertes. Obwohl Newton die Gravitationskraft auf diese Weise beschreiben kann, bleibt ihm schleierhaft, wie ihre Wirkung übertragen wird. Erst im 20. Jahrhundert zieht Albert Einstein aus Newtons selbstkritischen Gedanken die richtigen Schlussfolgerungen, aber dazu später mehr.

FRAGE 1: IST DIE NATUR ÜBERHAUPT DURCH PHYSIK BESCHREIBBAR?

Worin das Wesen der Physik ergründet wird und sich offenbart, dass das Dreikörperproblem Freiheit verheißt.

Die Frage mutet zunächst etwas philosophisch an, sie hat aber einen praktischen Bezug. Wir möchten wissen, inwieweit und wie genau physikalische Gesetzmäßigkeiten die Realität abzubilden vermögen. Inwiefern stellen die physikalischen Gesetze nicht eine Idealisierung dar, die der Wirklichkeit gar nicht entspricht? Oder ist es noch schlimmer? Die Physik gerät nämlich selbst unter idealisierten Annahmen schnell an ihre Grenzen. Zur Erläuterung schauen wir uns das sogenannte Zweikörperproblem in der klassischen Mechanik an: die Bewegung zweier punktförmiger Massen, die durch die Gravitationskraft miteinander wechselwirken. Dank des Newtonschen Gravitationsgesetzes lässt sich das Problem exakt lösen. Der Trick besteht darin, den Ursprung des Koordinatensystems in den Schwerpunkt der beiden Massen zu verlegen und die Relativbewegung von der Bewegung des Schwerpunkts zu separieren, damit also das Zweikörperproblem im Grunde auf ein Einkörperproblem zu reduzieren. Ein Beispiel für ein solches Zweikörperproblem ist die Bewegung eines Planeten um die Sonne. Doch stellt das Zweikörperproblem in Form zweier punktförmiger, sich umeinander bewegender Teilchen schon eine Idealisierung der Wirklichkeit dar. Überdies besteht die Welt überwiegend aus Systemen mit mehr als zwei Körpern, denken wir nur an unser Sonnensystem mit seinen acht Planeten und unzähligen Kleinplaneten. Ende des 19. Jahrhunderts konnte der französische Mathematiker Henri Poincaré nachweisen, dass es schon im Fall von drei miteinander in Wechselwirkung stehenden Teilchen keine geschlossene mathematische Lösung mehr gibt. Die physikalische Beschreibung des Dreikörperproblems ist nicht mehr exakt, sondern nur noch numerisch und damit näherungsweise lösbar. Punkt.

Der Experimentalphysiker Thomas Naumann vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg sieht das gelassen. Für ihn ist das Dreikörperproblem ein wunderschönes Beispiel dafür, dass sogar die klassische Mechanik fundamentales Chaos erzeugen kann. »Es hängt von den Massen, Abständen und Impulsen der drei Körper ab, ob sich das System in einem Zustand von Stabilität, Wiederholbarkeit und quasi-deterministischem, also festgelegtem Verhalten oder in einem fundamental chaotischen Zustand befindet.« Eine beliebig kleine Störung kann zu völlig unterschiedlichen Systemreaktionen führen. Diese Nichtvorhersagbarkeit bedeutet Instabilität und Chaos. Die damit verbundenen Nichtlinearitäten und daher komplexen Zusammenhänge sind zwar numerisch beschreibbar, aber eben nicht mehr durch eine einfache, prägnante Formel.

Naumann sieht darin einen herrlichen Widerspruch zum Anspruch der klassischen Mechanik und der aufstrebenden Mathematik ab der Zeit der Französischen Revolution, die es sich damals ambitioniert zum Ziel gemacht hatte, die Bahnen der Planeten genauso präzise zu berechnen wie die von Artilleriegeschossen – was wegen des Mehrkörperproblems nicht gelang. »Das kratzte natürlich kräftig am Erkenntnisoptimismus der Aufklärung im ausgehenden 18. Jahrhundert und der Französischen Revolution, die damals enorm progressiv ausgerichtet war. So soll Pierre-Simon Laplace auf die Frage Napoleons, wo denn Gott in seinen mathematischen Überlegungen stecke, selbstbewusst geantwortet haben, dass er dieser Hypothese nicht bedürfe.« Der Mathematiker Laplace vertrat die Ansicht, wer die Lage und Impulse aller Objekte im Universum genau kenne, könne den Zustand der Welt von der Vergangenheit bis in alle Zukunft exakt berechnen. Für Thomas Naumann hat dieser Laplacesche Determinismus eine fatalistisch-pessimistische Komponente. »Das wäre doch schrecklich«, sagt Naumann, »wenn alles tatsächlich derart vorherbestimmt wäre. Erst Chaos, Instabilität und Nichtvorhersagbarkeit machen unsere Zukunft fundamental offen. So sehr wir das Chaos fürchten – es ist eine Quelle der Freiheit. Nur aus ihm kann Neues entstehen.«

Doch welche Rolle spielen dann die Gesetze der Physik, wenn sie bloß innerhalb eines gewissen Bereichs und unter bestimmten Annahmen gültig sind? Diese Frage beantwortet Thomas Naumann ganz pragmatisch: »Es gibt in der Physik keine absolute Wahrheit. Es gibt nur relative Wahrheiten. Relativ zu ihrem Gültigkeitsbereich.« Das ist für ihn aber kein Makel. Für Naumann muss ein Gesetz, eine Theorie, eine Formel gut in ihrem Gültigkeitsbereich funktionieren. »Das Gesetz muss dabei möglichst einfach, effizient und minimal sein und mit einer minimalen Menge an Voraussetzungen und Informationen auskommen. Eine schöne Formel sollte kurz sein, also wenige Zeichen beinhalten. Das ist ein objektives Kriterium für Einfachheit und Eleganz. Und wie in der Kunst und der Ästhetik spielen in der Physik auch Symmetrien eine wichtige Rolle. Einfachheit, Funktionalität und Symmetrie sind eng mit Wahrheit und Schönheit verbunden.« Der Begriff des Gesetzes ist nach Auffassung von Naumann in der Physik von besonderer Bedeutung. »Wichtig für ein physikalisches Gesetz ist seine experimentelle Überprüfbarkeit und deren Wiederholbarkeit. Die Grenzen eines Gesetzes liegen zunächst einmal in den Grenzen der Genauigkeit.« Mitunter komme es in der Physik zu Paradigmenwechseln, bei denen ganze Theorien auf den Kopf gestellt würden, weil sie außerhalb eines gewissen Bereiches eben nicht mehr gelten, wie beispielsweise im Fall des Übergangs von der klassischen Mechanik und Elektrodynamik zur Relativitätstheorie. »Aber das ist kein Problem, denn wir nähern uns der Wahrheit immer nur asymptotisch, also ganz langsam an.«

Die Idee des Gesetzes hat nach Thomas Naumann im alten Judentum Form angenommen. »In der Heiligen Schrift gab Gott Moses am Berge Sinai die Tafeln mit den Gesetzen. Damals waren das moralische Gesetze. Der Philosoph Immanuel Kant hat diese beiden Arten von Gesetzen sauber auseinandergehalten und gesagt, zwei Dinge erfüllten ihm das Gemüt mit Bewunderung und Ehrfurcht: der bestirnte Himmel über ihm und das moralische Gesetz in ihm.« Naumann zufolge habe sich zunächst im Judentum und später im Christentum der Gedanke herausgebildet, dass ein Gesetz hinter den Phänomenen des Universums stehen müsse. Während sich der griechische Gelehrte Aristoteles noch darauf beschränkte zu sagen, dass »die Dinge sind, wie sie sind«. Für Thomas Naumann ist das der typische Standpunkt eines Experimentalphysikers. »Der Gedanke, dass es hinter den Dingen ein Gesetz gibt, ist idealistisch und wurde von Aristoteles’ Lehrer Platon vertreten.« Die Physiker versuchen also, das Gesetz hinter den Dingen zu erkennen. Und die Erkenntnistheorie fragt, ob sich die Natur überhaupt physikalisch beschreiben lässt. Für Nauman führt das zu der Frage, was die Rolle des Menschen in der Natur ist. »In uns, unseren Köpfen, unserer Wissenschaft, unserer Kultur reflektiert die Natur sich selbst. Sie macht ein Abbild ihrer selbst, gegossen in die abstrakte Form des Gesetzes.« Nach Naumann hat die Vorstellung des Gesetzes über das alte Israel Eingang in unsere abendländische Kultur gefunden. Die griechische Kultur steuerte Philosophie und Mathematik bei. Es folgten Renaissance und Aufklärung, in der Individuen begannen, frei zu denken, und dann die Mathematik ab der Zeit der Französischen Revolution bis hin zu unserer modernen Technokultur, von und in der wir heute leben. »Das entscheidende Erfolgsrezept«, sagt Thomas Naumann, »ist meines Erachtens die Vorstellung, dass es hinter den Dingen erstens ein Gesetz gibt und dass wir zweitens dieses Gesetz erkennen können.« Diese Vorstellung wird uns auch im Folgenden weiter begleiten.

TEIL 2

DIE THERMODYNAMIK

Wo Ordnung und Chaos gegeneinander antreten

Die Thermodynamik beschreibt Prozesse, in denen Energie in Form von Wärme vorkommt. Darunter versteht man die ungeordnete Bewegung von Atomen und Molekülen. Die klassische Thermodynamik verknüpft Materieeigenschaften wie Druck, Temperatur, Volumen, spezifische Wärme, Reaktionswärme oder geleistete Arbeit miteinander. Sie basiert auf drei grundlegenden Postulaten, den Hauptsätzen der Thermodynamik. Der erste besagt, dass die Energie eines abgeschlossenen Systems konstant ist. Verschiedene Energieformen können sich ineinander umwandeln, zum Beispiel mechanische Energie in Wärme. Jedoch kann Energie weder vernichtet noch aus dem Nichts erzeugt werden.

Der zweite Hauptsatz trifft Aussagen über die Richtung des »freiwilligen« Wärmeflusses und seiner Folgen: Ohne Zutun von außen wird Wärme stets von heiß nach kalt transportiert. Der Satz ist eng verknüpft mit dem Begriff der Entropie, der häufig etwas irreführend als »Unordnung« eines Systems beschrieben wird. Der Zustand der größten Entropie ist die vollständige Durchmischung. In einem geschlossenen System kann die Entropie nicht abnehmen. Prozesse, bei denen sie gleich bleibt, bezeichnet man als umkehrbar (oder reversibel). Nimmt die Entropie zu, sind sie irreversibel – was bei makroskopischen Prozessen eigentlich immer der Fall ist. Zu einer anschaulichen Deutung der Entropie über die Anzahl von möglichen Mikrozuständen – wie den Anordnungsmöglichkeiten von Molekülen in einer Flüssigkeit oder einem Gas – kommt es in der statistischen Mechanik. Der Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit eines makroskopischen Zustands und seiner Entropie wird zuerst von Ludwig Boltzmann im 19. Jahrhundert erkannt. Demnach ist der wahrscheinlichste Zustand eines Systems die größte Unordnung (die maximale Entropie). Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist nicht allgemein beweisbar, er entspricht schlicht Erfahrungstatsachen und ist daher empirisch begründet.

Der dritte Hauptsatz besagt, dass die Entropie eines Reinstoffs mit perfekter Kristallstruktur, der sich in einem inneren Gleichgewicht befindet, mit sinkender Temperatur gegen Null strebt. Der absolute Nullpunkt der Temperatur kann demnach nicht erreicht werden.

FRAGE 2: WIE LÄSST SICH UNSERE TURBULENTE WELT VERSTEHEN?

Worin gezeigt wird, dass sich unser (kosmisches) Leben aus dem Chaos heraus selbst organisiert.

In der Natur tritt das Chaos sehr häufig in Form von Turbulenz auf. Dies ist zum Beispiel der Fall in einem Wasserfall oder in Luftwirbeln der Erdatmosphäre. Im Unterschied zu einer gleichförmigen (laminaren) Strömung in Flüssigkeiten oder Gasen zeichnet sich eine turbulente Strömung durch unregelmäßige Geschwindigkeiten und Druckschwankungen aus. Sie zeigt sich in Form von Wirbeln und führt zu verstärkter Durchmischung. Das Phänomen der Turbulenz ist noch nicht grundsätzlich verstanden. Der theoretische Physiker Uwe Thiele von der Universität Münster spricht in diesem Zusammenhang von offenen chaotischen Systemen. »Da gibt es Stoffe, die in das System hinein- und herausfließen und viele natürliche Prozesse antreiben, bei denen sich zeitabhängige räumliche Strukturen bilden. Man versteht bisher noch nicht richtig, was die eigentlichen Grundprinzipien dahinter sind. Mit anderen Worten: Man kann jedes einzelne turbulente System für sich betrachtet gut untersuchen und dafür einzelne Modelle erstellen, aber ein grundsätzliches, allgemeines Konzept für strukturbildende turbulente Systeme fehlt noch.«

Turbulente Vorgänge werden häufig mit dem Begriff der Selbstorganisation verknüpft – ein Wort, das auch im Bereich der Biophysik vorkommt. Dabei geht es um das Phänomen, dass sich Systeme selbstständig strukturieren. Entsprechend versuchen die Physiker, in jedem betreffenden System zu verstehen, wie die Reihenfolge der Strukturübergänge aussieht. »Fängt ein System zunächst an zu oszillieren, also mit einer bestimmten Periode zu schwingen, kommt danach vielleicht die Überlagerung einer zweiten und dritten Schwingung hinzu«, beschreibt Thiele ein Beispiel. »Ab wann verhält sich das System nun chaotisch? Ab der dritten Schwingung? Oder beobachtet man nahezu beliebig viele Perioden?«

Der Ansatz der Turbulenzforschung ist, unterschiedliche Systeme experimentell zu untersuchen und zu simulieren. Dabei bedient man sich der Grundgleichungen der Hydrodynamik (der Strömungslehre für Flüssigkeiten) mit dem Ziel, die experimentellen Ergebnisse zu reproduzieren. »Die Theorie versucht, die Eigenschaften der Turbulenz möglichst grundsätzlich zu beschreiben. Aber hier ist die Theorie tatsächlich noch nicht sehr weit. Entsprechend individuell fallen die Lösungsansätze für viele experimentell untersuchte turbulente Systeme aus – spezifische Modelle für konkrete Experimente, ohne dass sich im eigentlichen Sinne die Abfolge der Strukturen verstehen lässt, die man experimentell beobachtet.« Das Problem besteht darin, dass Turbulenzen in der Regel Strukturen betreffen, die sich über viele Längen- und Zeitskalen erstrecken und demnach im ganz Kleinen ebenso wirken wie im ganz Großen. Statistische Ansätze sind daher extrem schwierig anzuwenden.

Während sich ein typisches thermodynamisches Gleichgewicht, das globale Größen wie Druck und Temperatur beinhaltet, in der klassischen Thermodynamik sehr gut beschreiben lässt, sind Modelle für Nicht-Gleichgewichtsphänomene dagegen noch wenig entwickelt. »Dafür fehlen uns die thermodynamischen Grundgesetze.« Für Uwe Thiele sind die Gesetze der klassischen Thermodynamik deshalb im Grunde Gesetze des Gleichgewichts. Die eigentliche Thermodynamik des Nicht-Gleichgewichts wurde erst später begründet, von Wissenschaftlern wie Lars Onsager in den 1930er- und 1940er-Jahren oder Ilya Prigogine in den 1960er-Jahren. Uwe Thiele sieht einen Lösungsansatz in der Entschlüsselung des Phänomens der Selbstorganisation. »Man muss nicht nur die ›Organisation‹ in den turbulenten Systemen verstehen, sondern insbesondere, wie sich die Systeme ›selbst‹ organisieren.« Hier gibt es Uwe Thiele zufolge mehrere vielversprechende Ansätze, aber noch nicht die eine Theorie, die verspricht, alles zu lösen. Aber was genau ist unter der Selbstorganisation eines turbulenten Systems zu verstehen?

Der Physiker Frank Stefani vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) führt hier als Beispiel die Herkunft und Wirkung von kosmischen Magnetfeldern an – beispielsweise des Sonnenmagnetfeldes. Stefani spricht in diesem Zusammenhang vom Yin und Yang der kosmischen Magnetohydrodynamik und ihrer Turbulenz. »Yin bedeutet, dass Strömungen in elektrisch leitfähigen Flüssigkeiten Magnetfelder erzeugen können, was als hydromagnetischer Dynamoeffekt bezeichnet wird. Das Yang steht dafür, dass Magnetfelder wiederum in der Lage sind, stabile Strömungen zu destabilisieren, was auch Magneto-Rotationsinstabilität genannt wird.« Frank Stefani findet besonders faszinierend, dass diese beiden Effekte ineinandergreifen und eine gewisse Kreiskausalität bilden können. Er stellt fest, »dass Magnetfelder Strömungen destabilisieren können, dabei Turbulenz entsteht, und diese Turbulenz wiederum das angeregte Magnetfeld reproduzieren kann – die Schlange beißt sich so gewissermaßen in den eigenen Schwanz.«