Das Savoy - Hoffnung einer Familie - Maxim Wahl - E-Book
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Das Savoy - Hoffnung einer Familie E-Book

Maxim Wahl

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Beschreibung

Kostbare Augenblicke 

London, 1946: Der Krieg ist vorbei, doch die Hotelerbin Violet Mason findet kaum Zeit, ihr Liebesglück mit Lionel Burke zu genießen. Ein Juwelendieb treibt sein Unwesen im Savoy. Während der Hausdetektiv und Scotland Yard im Dunkeln tappen, stellt Violet eigene Nachforschungen an. Verbirgt sich hinter dem amerikanischen Gast Gary Stewart etwa das Phantom des berüchtigten Juwelenräubers »Descoyne«? Als eine Jugendliebe Lionel Burkes auftaucht, sucht Violet ausgerechnet in den Armen des Hauptverdächtigen Trost … 

London in der Nachkriegszeit  – der neue Band der Erfolgssaga über das berühmteste Hotel der Welt

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Seitenzahl: 302

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Über das Buch

London, 1946: Nach Kriegsende erstrahlt das Savoy in neuem Glanz, und auch privat könnte es für die Hoteldirektorin Violet Mason kaum besser laufen. Doch die schönen Stunden mit ihrer Tochter und Lionel Burke sind gezählt. Eine Serie von Juwelendiebstählen erschüttert das Hotel, Violets Beziehung zu Lionel steht plötzlich auf der Kippe – und dann auch noch das: ein Toter im Lichthof des Savoy. Selbst als der Dieb Nacht für Nacht die Hotelfassade erklimmt und die kostbarsten Schmuckstücke entwendet, kann die Polizei keinen Täter überführen. Violet will nicht länger tatenlos zusehen und ermittelt auf eigene Faust. Dabei kommt sie einem amerikanischen Gast näher – doch was ist, wenn sich ausgerechnet hinter dem geheimnisvollen Gary Stewart der berüchtigte Juwelenräuber »Descoyne« verbirgt?

Über Maxim Wahl

Hinter Maxim Wahl verbirgt sich ein deutscher Bestsellerautor, der mit seinen zahlreichen Romanen auch international Aufmerksamkeit erregte. Für seine Stoffe sucht sich Maxim Wahl große Schauplätze der europäischen Geschichte. Er lebt in Berlin und London – und am allerliebsten im Hotel Savoy. 

Im Aufbau Taschenbuch sind bisher seine Romane »Das Savoy. Aufbruch einer Familie«, »Das Savoy. Schicksal einer Familie«, »Das Savoy. Geheimnisse einer Familie« sowie bei Rütten & Loening »Stürmische Weihnacht in Cornwall« erschienen.

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Maxim Wahl

Das Savoy - Hoffnung einer Familie

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

London 1946

1: Das Glück der Stunde

2: Der Mann von Lloyd’s

3: Neuf à la Banque

4: Tanqueray

5: Fenstersturz

6: Angelo Sciapiarelli

7: Ich war ihm treu

8: Der Vegetarier

9: Ein vergilbtes Foto

10: Das Halstuch

11: Weatherby’s

12: Oxfordshire

Der Meisterdieb

13: Kleine Ewigkeit

14: Die Gemme

15: Der Mann, den sie suchen

16: Mitternachtsblau

17: Chamber of Horrors

18: Herzog und Köchin

19: Scotch oder Bourbon

20: Hinreißend

21: Nach Mitternacht

22: Reginalds Dilemma

23: Das war schön

24: Der dunkle Affe

25: Aus der Dose

Ball im Savoy

26: Ein glücklicher Tag

27: Der verlorene Sohn

28: Die Schuld

29: Geheimnis auf den Stufen

30: Der große Abend

31: Der Dieb

32: Drehung in Schwarz

33: Notgroschen

34: Die kürzeste Nacht

35: Weil ich sie liebe

Epilog: Eines Tages

Impressum

London 1946

1

Das Glück der Stunde

»Ich habe ein Kind«, sagte Violet mit Blick in die Sterne. »Ich habe ein Hotel, dem ich meine ganze Kraft widme. Und neben dem Hotel und meiner Tochter gibt es etwas, das ich genauso liebe. Weißt du, was ich meine?«

Der Mann in ihrem Bett streckte sich wohlig aus. »Ich habe keine Ahnung.«

Der Friede machte Violet glücklich. Alles, so kam ihr vor, schien sich zum Guten zu wenden. Deutschland war besiegt, das mörderische Regime stand in Nürnberg vor Gericht. Großbritannien hatte wirtschaftlich zwar eine harte Zeit durchzustehen, doch nach einem Krieg wie diesem war das zu erwarten. Die Briten wollten Weltmacht bleiben und unterhielten weiterhin ein riesiges Heer. Das Königreich bat die USA um einen Kredit von drei Billionen Dollar. In London wurde der neue Flughafen Heathrow eröffnet. Großbritannien schloss Frieden mit Indien und Thailand. Die Zeitungen waren voll von solch großartigen Neuigkeiten. Der Mensch, so schien es Violet, hatte begriffen, dass er den Ast, auf dem er saß, nicht absägen durfte.

Auch sie selbst konnte ihr Glück manchmal kaum fassen. Der Mann, den sie tot geglaubt hatte, der in Nordafrika verschollen gewesen war, hatte den Weg zurück nach Hause gefunden. Lionel war zu ihr gekommen, nach London, ins Savoy, hierher, in das wunderbare Kuppelzimmer.

»Vor sechs Jahren standen wir im Krieg«, fuhr sie fort. »Er sollte noch fünf lange Jahre dauern. Damals zu Weihnachten habe ich den Vorsatz gefasst, um meine Liebe zu kämpfen. Diese Liebe gehörte dir, Lionel. Und sie gehört dir bis heute.«

Violet ließ den Blick durch den Raum schweifen. Hier hatte einmal ihr Großvater, Sir Laurence Wilder, gewohnt. Als sie auf die Welt kam, war er schon im vorgerückten Alter gewesen, trotzdem hatten seine Privaträume nie den Geschmack eines alten Mannes widergespiegelt. Nach seinem Tod war diese Suite verwaist, aber der Friede hatte Violet veranlasst, den Räumen neues Leben einzuhauchen. Sie ließ alles so renovieren, wie er es geliebt hätte. Die kräftigen Linien, das dunkle Holz, das den Deckenbogen trug. Der Bogen stützte die Glaskuppel, durch die man in den Himmel sah.

»Jeder Mensch fasst zu Weihnachten gute Vorsätze«, sagte sie. »Aber wie ist das mit guten Vorsätzen an einem Geburtstag?«

»Wer hat Geburtstag?« Lionel schob sich das verstrubbelte Haar aus der Stirn.

Als hätte er das richtige Stichwort gegeben, klopfte es an der Tür.

»Da ist er schon.«

»Wer denn?«

Mit zärtlichen Knüffen boxte Violet ihren Liebsten aus dem Bett. »Du musst dich anziehen.«

»Warum?« Widerwillig stand er auf.

»Weil er dich nicht nackt in meinem Bett erwischen soll. Er ist ein bisschen altmodisch.«

Lionel nahm seine Sachen vom Sessel und lief zum Paravent. Schmunzelnd beobachtete Violet, wie er hinter dem Möbel verschwand, das schon Sir Laurence als Umkleidekabine gedient hatte. Die Seidenstickerei auf dem Bambusrahmen war brüchig geworden, aber das Motiv leuchtete noch immer: eine japanische Raupe, die an einem Schilfhalm emporkroch.

Von draußen hörte Violet ein helles Stimmchen. »Nun mach schon!«

»Warte«, widersprach eine feine Männerstimme. »Wir können nicht einfach …«

»Klar können wir.« Ein kleines Mädchen stürmte ins Zimmer. Ihre Bluse hatte Puffärmel, ihr Rock war übersät von Flecken. Sie trug lange Strümpfe, obwohl es dafür eigentlich schon zu warm war. »Das war früher mein Zimmer!«, rief Maxine, Violets Tochter.

»Du hast recht. Als du noch klein warst, ist das unser gemeinsames Zimmer gewesen.« Violet warf ihren Morgenmantel über. »Aber jetzt bist du schon groß und hast ein viel schöneres Zimmer nebenan.«

»Jutty huy!« Mit einem gewaltigen Satz hopste Maxine in das Bett ihrer Mutter.

»Aber doch nicht mit den Kleidern ins Bett, Maxine.« Ein älterer Mann folgte dem Kind. Er trug einen korrekten Gehrock mit Stehkragen und Krawatte, sein Haar war weiß. »Du hast gerade im Sandkasten gespielt. Der ganze Schmutz kommt ja ins Bett.«

Maxine fiel ihrer Mutter um den Hals. »Wir waren in der Sandkiste, Henny und ich. Und ich habe ihn im Pennywerfen besiegt.«

»Stimmt das, Onkel Henny?«, lachte Violet. »Du warst beim Pennywerfen doch sonst der Champion.«

»Eine bittere Erfahrung für mich, Vi«, antwortete Henry Wilder, Violets Onkel und zugleich Sohn und Nachkomme von Laurence Wilder, in dessen Fußstapfen er aber nie getreten war. »Im Pennywerfen rücken nun jüngere Athleten nach.« Solange seine Nichte ihm im Nachtgewand gegenübersaß, hielt Henry den Blick respektvoll abgewandt.

Wenn Violet ihren Onkel heute vor sich sah, musste sie an ein Wunder glauben. Er war krank gewesen. Die Ärzte hatten keine organische Erklärung für seinen Zusammenbruch finden können, doch schien er damals jegliche Lebenskraft zu verlieren. Henry wurde immer schwächer, er verließ sein Zimmer und bald darauf auch sein Bett nicht mehr. Violet hatte den Eindruck gehabt, als würde ihr Onkel Tag für Tag mehr erlöschen. Die Zerstörung Londons während des Luftkampfes, die vielen Toten, die zahllosen Menschen, die von den Schlachtfeldern nicht zurückkehrten; Henry verkraftete das alles einfach nicht. Er hatte dem Wüten des Bösen und der Macht des Teufels über die Welt nichts entgegenzusetzen.

Dazu war ein persönlicher Schicksalsschlag gekommen. Henry, der zarte Mensch in den Sechzigern, hatte sich getraut, wieder zu lieben. Doch die Frau, die sein Herz erobert hatte, war eine Betrügerin gewesen. Sie verriet Violet, sie verriet das Savoy. Ihr Ende war traurig und dramatisch. Sie wurde ermordet. Man fand ihre Leiche in einem zusammengerollten Teppich.

Als Henrys Zustand immer schlimmer wurde, suchte Violet nach einem Ausweg, der medizinisch nicht zu erklären war. Er wog damals nur noch neunzig Pfund. Die Rettung war einem Zufall zu verdanken. Einmal, als Violet ihn in seinen Privaträumen besuchte, war Maxine hinter der Mutter hergeschlichen und mit Trara in Henrys Zimmer gesprungen. Das Mädchen erschrak einen Moment über das Aussehen ihres Großonkels, setzte sich aber ungezwungen auf sein Bett und stellte Fragen. Henry war ein leidenschaftlicher Uhrensammler, überall hingen seine Exponate in Glasvitrinen. Maxine fand die schimmernden Uhren interessant und wollte mehr darüber wissen. Mit schwacher Stimme gab Henry seiner Großnichte Auskunft.

Von nun an brachte Violet ihre Tochter zu jedem Besuch mit. Das Verhältnis der beiden vertiefte sich, bis sie mitunter ganz vergaßen, dass Violet ebenfalls anwesend war. Henry bekam wieder Appetit, er aß mit Maxine, weihte sie in die Uhrmacherei ein und spielte ihre kindlichen Spiele mit, darunter auch das Pennywerfen. Es kam der Tag, als die beiden das Savoy zum ersten Mal zu zweit verließen und einen Spaziergang entlang der Themse machten. Violet beobachtete das Ereignis vom Fenster ihres Büros aus. Ihr standen die Tränen in den Augen. Es war Liebe. Wie immer war es die Liebe, die Henry geheilt hatte. Die Liebe zu seiner Großnichte ließ ihn die Verneinung des Lebens vergessen.

Tagsüber war Violet zu beschäftigt, um sich um Maxine zu kümmern; mehrere Nannys waren für die Kleine zuständig. Seit einiger Zeit besuchte sie außerdem den Kindergarten. Doch nach der wundersamen Genesung Henrys gab es nur noch eine Nanny für Maxine, ihren Großonkel. Das Hotel wurde Zeuge, wie die beiden ein Herz und eine Seele wurden. Eine innigere Freundschaft konnte sich niemand vorstellen.

»Hast du ihm schon gratuliert?«, fragte Violet ihre Tochter.

Mit großem Ernst schüttelte Maxine den Kopf. »Nein, Mama.« Sie machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Das wollten wir zusammen tun.«

Violet hauchte dem Kind einen Kuss auf die Stirn. »Du hast recht.«

»Jetzt, Mama?«, fragte Maxine mit leuchtenden Augen.

»Was wird denn da getuschelt?« Hinter dem Paravent kam Lieutenant Lionel Burke hervor. Diesen Rang hatte er im Krieg bekleidet. Nachdem er verwundet, in italienische Gefangenschaft geraten und nach einer Odyssee über das Mittelmeer nach England zurückgekehrt war, quittierte er den Militärdienst. Nicht in Uniform, in einem schlichten Leinenanzug trat er zu ihnen.

»Lonny!«, rief Maxine, verließ das Bett, eine Fontäne Sand hinter sich lassend, hopste an Lionel hoch und umklammerte ihn wie ein Äffchen. »Wieso hast du dich versteckt?«

»Um dich zu erschrecken.« Er drehte sich mit ihr im Kreis.

»Ich bin aber nicht erschrocken!« Sie schlug ihre Fersen in sein Hinterteil.

»Schluss!«, rief Violet. »Lass den Lieutenant in Ruhe. – Sag doch auch etwas, Henry.«

Mit versonnenem Lächeln betrachtete der Weißhaarige die beiden. »Sie kann deinen Lionel eben gut leiden.«

Und auch dieser Umstand war ein Grund zur Freude für Violet. Maxine wuchs ohne Vater auf. Und obwohl Lionel diese Stellung nicht einzunehmen versuchte, akzeptierte das Kind, dass die Liebe ihrer Mutter diesem Mann gehörte.

Violet ging zur Kommode, auf der zwei Päckchen bereitlagen. »Komm, Maxie, es ist so weit.«

Das Mädchen ließ den Lieutenant los und nahm das kleinere Paket entgegen. Die beiden traten auf Henry zu, der noch nicht ahnte, was ihm bevorstand.

»Los?«, fragte Maxine.

»Los«, nickte Violet.

»Was denn los?« Lionel kam dazu.

Das Päckchen vor der Brust haltend begann Maxine:

»Der beste Onkel, den ich gern mag,

der feiert heute den Geburtstag.

Ich wünsche dir zu deinem Feste

von Herzen nur das Allerbeste.«

Sie wurde über das ganze Gesicht rot, sprang auf den Großonkel zu und gab ihm das Päckchen. Als er sich zu ihr beugte, umarmte Maxine ihn so leidenschaftlich, dass Henry fast umgekippt wäre.

Violet schloss sich an. »Happy birthday, mein lieber Henry. Ich wünsche dir noch viele glückliche Jahre.«

»Danke … danke«, erwiderte er überrascht und sichtlich bewegt. »Ohne euch beide hätte ich diesen Tag nicht erlebt.« Er sah Nichte und Großnichte innig an. »Euch verdanke ich alles.«

»Was meint er damit, Mama?«, fragte Maxine.

»Er meint, dass er dich sehr lieb hat.« Violet umarmte beide gleichzeitig. So stand die kleine Familie Wilder beisammen, für Violet war es das schönste Gefühl von allen.

Plötzlich lächelte Henry verschmitzt. »Soll ich euch was sagen? Ich hätte den heutigen Tag am liebsten verschwitzt. Aber unsere Hausdame, Mrs Drake, die über die Ereignisse, die in diesem Hotel passieren, bestens Bescheid weiß, hat mich gefragt, wie mein Geburtstag begangen werden soll.«

»Mrs Drake hat mich ebenfalls darauf aufmerksam gemacht.« Violet nickte. »Seitdem haben Maxine und ich an deinen Geschenken gebastelt.« Auch sie gab ihm ein Päckchen.

»Das ist wirklich lieb von euch.«

»Ich hab es selbst gemacht!«, rief Maxine. »Aufmachen, Henny, los, mach es schon auf!«

Lionel trat zu ihnen. »Darf ich ebenfalls gratulieren, Mr Wilder? Die Damen haben ein Geheimnis daraus gemacht. Ich wusste nichts von Ihrem Geburtstag.«

Henry schüttelte die Hand des Lieutenants. »Mir wäre es lieber gewesen, wenn er unbeachtet vorbeigeschlüpft wäre, aber nun freue ich mich doch.«

»Wir machen eine Party«, bestimmte Violet.

»Ach nein, lieber nicht«, wiegelte Henry ab. »Der Geburtstag ist doch schon fast vorbei.«

»Nicht heute. Wir legen einen Tag dafür fest. Du bekommst deine Party. Habe ich recht?«, fragte sie ihre Tochter.

»Party, Party!« Maxine hopste um den Großonkel herum.

»Damit ist es entschieden.« Violet klatschte in die Hände.

»Ist es in Ihrem Alter schicklich –«, begann Lionel. »Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Mr Wilder?«

Henry legte den Kopf ein wenig schief. »Ich wurde in dem Jahr geboren, als Queen Victoria große Anteile am Suezkanal kaufte und dem britischen Empire damit die wichtige Handelsroute für immer sicherte.«

Lionel überlegte. »Der Suezkanal? Das war … Aber das kann doch nicht …«

»Die Zeit vergeht schneller, als man glaubt, Lieutenant.«

Maxines Ungeduld war nicht länger zu bändigen. »Jetzt mach es schon auf, Onkel Henny!«

Vorsichtig zog Henry an der Schleife.

Er kam nicht mehr dazu, Maxines Bastelarbeit zu bewundern, denn mit einem Mal stand der Hoteldetektiv in der Kuppelsuite.

»Ich störe ungern«, sagte Clarence Oppenheim, doch sein Ausdruck machte klar, dass die Störung nötig sei.

Vor dem korrekt gekleideten Mr Oppenheim kam sich Violet in ihrem aprikosenfarbenen Morgenmantel fast nackt vor. »Was gibt es denn, Clarence?«, fragte sie irritiert.

»Ich muss Sie bitten, mich zu begleiten, Miss Mason.«

Violet musterte Lionel und Oppenheim nebeneinander. Wieder einmal stellte sie fest, dass Männer wie Oppenheim den besten Anzug ruinieren konnten. Die Oberarme des Hoteldetektivs drohten die Nähte seiner Anzugjacke zu sprengen. Männer wie Lionel hingegen, die ein wenig schmächtiger und in nacktem Zustand zart und knabenhaft waren, wirkten in einem guten Anzug wendig, elegant und sportlich. Clarence Oppenheim hatte die Ausstrahlung einer Skulptur aus Eisen. Entweder er bewegte sich, oder er erstarrte. Es gab kein Mittelding, nichts Langsames, Geschmeidiges an ihm, ungewöhnlich für einen Detektiv, von dem man erwartete, dass er unauffällig durch Räume strich, alles sah und kaum gesehen wurde. Doch wo immer Oppenheim erschien, war es, als hätte ein Gladiator den Raum betreten.

»Was ist denn so dringend, Clarence?« Die Unterbrechung passte Violet nicht.

»Ein Juwelenraub im dritten Stock«, erwiderte er schlicht.

»In der dritten Etage? Aber doch hoffentlich nicht bei –?« Violet sah ihn fragend an.

»Ich fürchte doch.« Oppenheim biss die Kiefer aufeinander. »Die Herzogin von Londonderry wurde ausgeraubt.«

2

Der Mann von Lloyd’s

Violet nickte den Pagen zu, die von Oppenheim beauftragt worden waren, das Treppenhaus zu sichern. Niemand durfte in den Trakt hinein oder ihn verlassen, solange Scotland Yard nicht eingetroffen war. Gäste wurden höflich ersucht, auf ihren Zimmern zu bleiben.

»Melden Sie mich bitte bei der Herzogin«, forderte Violet den Chefbutler auf. Er klopfte.

Zugleich kam Mrs Drake den Korridor entlang.

»Sie haben es schon gehört?«, fragte Violet.

»Ich war in der Küche. Entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt komme, Miss Mason.« Die Hausdame gehörte dem Savoy seit Ewigkeiten an und war eine Stütze des Betriebs. Im Hotel hielt sich hartnäckig der Witz, dass Mrs Drake in Wirklichkeit ein Mann sei. Sie überragte die meisten der Angestellten, ihre Haut hatte die Grobporigkeit eines Elefanten. Ein Mr Drake war im Hotel noch nie gesehen worden.

Der Chefbutler meldete: »Die Herzogin lässt bitten.«

»Bringen wir’s hinter uns.« Violet nickte bekümmert. Als Oppenheim mit ihr zusammen eintreten wollte, hielt sie ihn sanft zurück. »Warten Sie besser draußen auf den Yard, Clarence. Ein Gespräch unter Frauen scheint mir im Moment richtiger.«

Lady Edith, die Herzogin von Londonderry, war eine Frau mit schwarzem Haar, hängenden Schultern und traurigen veilchenblauen Augen. Seit Jahren gehörte sie zu den Stammgästen des Savoy. Man durfte annehmen, dass sie ihrer Haarfarbe inzwischen ein wenig nachhalf, doch die Strahlkraft ihrer Augen war ungebrochen. Früher, wenn Lady Edith im Haus gewesen war, konnte man damit rechnen, dass noch am selben Tag der Wagen des Premierministers vorfuhr. Ramsey MacDonald hatte das Savoy durch den Seiteneingang betreten und sich zur Suite der Herzogin bringen lassen. Mit dem Erkerblick auf die Themse galt sie als die romantischste im ganzen Haus. Auch diesmal bewohnte Lady Edith die Erkersuite, während MacDonald das Amt des Premierministers längst hatte abgeben müssen. Ihm waren Baldwin, Chamberlain und Churchill gefolgt. Seit 1945 stand nun Mr Clement Attlee der Regierung vor.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut, Mylady.« Als Violet auf ihren Gast zueilte, bemerkte sie, dass die Duchess nicht allein war. Ihr Besuch war zweifellos Engländer, sein akkurat gestutztes Bärtchen ließ auf eine Offizierskarriere schließen. Trotz der Wärme, die London in diesem Mai überraschte, trug er einen dreiteiligen Anzug aus wetterfestem Tweed.

»Danke, Miss Mason«, erwiderte die Herzogin. »Einer gewinnt, und einer verliert. Heute ist wohl der Juwelendieb der Gewinner.« Sie bat Violet zur Chaiselongue.

»Ich wusste nicht, dass Sie Besuch haben. Ich dachte, mein Personal hätte den Trakt abgeriegelt.« Die Frauen setzten sich.

Lady Edith lächelte. »Ich habe den guten Mr Asquith als Ersten zu mir gebeten, noch bevor ich Ihren Detektiv informierte. Er arbeitet für Lloyd’s.«

»Die Versicherung?«, fragte Violet. »Haben Sie den Schmuck der Herzogin versichert?«

Der Mann im Tweed nickte bekümmert. »Ausgerechnet die wertvollsten Stücke. Die Versicherungssumme beläuft sich auf einen fünfstelligen Betrag.«

»Ich möchte mich auch bei Ihnen für das Verbrechen in meinem Haus entschuldigen, Mr Asquith. Es ist bestimmt keine Freude, Ihrer Direktion einen solchen Verlust zu melden.«

Mit einer Geste lud Lady Edith den Versicherungsvertreter ein, sich ebenfalls zu setzen.

»Wie Sie wissen, ist das nicht der erste Juwelenraub in Ihrem Haus«, sagte Asquith. »Der Einbrecher hat zunächst die Gattin eines Regierungsbeamten bestohlen, dann die Besitzerin eines Schweizer Pelzhauses und nun bedauerlicherweise Lady Edith.«

»Wollen Sie damit sagen, dass diese Juwelen sämtlich bei Lloyd’s versichert sind?«, fragte Violet überrascht.

»Wir sind das weltweit größte Versicherungsunternehmen auf diesem Sektor. Gestatten Sie mir eine Bemerkung. Da die aktuellen Raubzüge so knapp hintereinander erfolgt sind, wäre es da nicht an der Zeit, Ihr Sicherheitssystem zu überprüfen, Miss Mason? Ich habe den Eindruck, der wackere Mr Oppenheim ist von dieser Aufgabe überfordert.«

Violet straffte den Rücken. »Clarence Oppenheim arbeitet seit Jahren für das Savoy. Er hat Giftmörder, Sexualtäter, Diebe und Männer entlarvt, die in meinem Haus mit käuflichen Frauen gehandelt haben. Oppenheim mag nicht so aussehen, aber er ist ein Fuchs.«

»Hatte Ihr Fuchs nie den Verdacht, dass der Täter hier im Haus wohnen könnte?«

»Einer meiner Gäste?«

»Die Vermutung wäre nicht abwegig. Wie gelingt es dem Einbrecher so leicht, in die Zimmer mit dem Schmuck zu kommen?«

»Oppenheim glaubt, der Dieb sei über den Balkon eingestiegen.«

»Ein Fassadenkletterer im Herzen Londons?« Asquith zog die Augenbrauen hoch. »Wissen Sie, wie viele Passanten hier vorbeikommen und das Savoy bestaunen?«

»Aber nicht um drei Uhr früh, Mr Asquith.« Violet war gekommen, um der Herzogin ihr Mitgefühl auszusprechen, nicht um sich vor einem Versicherungsmann zu verantworten. »Scotland Yard wird all diese Fragen bestimmt klären«, entgegnete sie dezidiert.

»Die Firma Lloyd’s bietet Ihnen die Hilfe eines Experten auf dem Gebiet an, Miss Mason«, ließ Asquith nicht locker.

»Wer sollte das sein?«

»Ich selbst. Ich nehme an, dass der Dieb die Zimmer mit einem Zweitschlüssel betritt. Das lässt eher auf jemanden vom Personal schließen.«

Der Herzogin war daran gelegen, den Konflikt beizulegen. »Warum warten wir nicht auf die Gentlemen von Scotland Yard?«, schlug sie vor. »Wollen wir solange einen Tee nehmen?«

Violet telefonierte mit dem Zimmerservice. Sie verstand Mr Asquiths Argument. Wenn diese Diebstähle nicht aufhörten, konnte sie der Firma Lloyd’s nicht verbieten, eigene Untersuchungen anzustellen. Sie fasste den Versicherungsmann ins Auge. Der klassische Tweed und das Bärtchen waren seine Verkleidung. Anders als Oppenheim war dieser Mann vollständig unauffällig, zumindest solange er sich unter Briten aufhielt. Wer verbarg sich in Wirklichkeit hinter dem pflichtbewussten Mr Asquith? Gerade beugte er sich zu Lady Edith. »Sie hätten auf meinen Rat hören und den Schmuck im Hotelsafe deponieren sollen, Mylady.«

»Und was soll ich tun, wenn ich ausgehe? Mir den Safe um den Hals hängen?«

»Natürlich nicht, aber …«

Die Herzogin machte eine abschließende Geste. »Sobald etwas gestohlen wird, denkt jede Versicherung nur an ihren Verlust. Warum haben Sie meine Wette angenommen, wenn Sie keinen Mumm haben, Mr Asquith? – Denn das war es doch wohl, eine Wette.«

»Da Ihre Juwelen gestohlen wurden, bezahlen wir natürlich, Mylady. Aber wir können Ihnen nicht die liebevollen Erinnerungen ersetzen, die Sie mit den Stücken verbinden.«

»Ach, ich hänge an meinem Schmuck nicht besonders. Er ist hübsch, manche Stücke erregen Aufsehen, aber vor allem ermöglichen sie es meinem Sohn, sich meiner in der Öffentlichkeit nicht zu sehr zu schämen.«

Die darauffolgende Stille war Ausdruck dafür, dass Lady Ediths Offenheit für beide überraschend kam.

Die Duchess lächelte. »Wir alle wissen, wovon ich spreche. Ich stehe im Verdacht, meinen Mann unterstützt zu haben, der mit den Nazis sympathisierte. Niemand glaubt mir, dass ich damals auf einen Betrüger hereingefallen bin, nicht einmal mein Sohn.« Sie ordnete die Spitze ihres Ärmels. »Von Zeit zu Zeit müssen Tyrone und ich zusammen auf einem Empfang erscheinen. Nur für meinen Sohn mache ich mich dann hübsch und behänge mich mit dem Christbaumschmuck. Ein persönlicheres Verhältnis habe ich zu den Steinen nie gehabt.«

Violet kannte die heikle politische Vergangenheit der Duchess und versuchte, ein Gespräch darüber zu vermeiden. »Wie alt ist Ihr Sohn Tyrone inzwischen, Mylady?«

»Er wird neunzehn, schrecklich, stellen Sie sich das vor. Ich komme mir uralt vor.«

Es klopfte. Gemeinsam mit dem Zimmermädchen, das den Tee servierte, hatten die Herren von Scotland Yard ihren Auftritt. Detective Inspector Smythe machte eine korrekte Verbeugung vor der Herzogin. Jovial begrüßte er Violet.

»So sieht man sich wieder, Miss Mason.«

»Wäre der Anlass nicht so unerfreulich, würde auch ich mich freuen, Detective.«

3

Neuf à la Banque

Lionel verspätete sich nicht zum ersten Mal, auch nicht zum dritten Mal, und das ärgerte Violet. Gewöhnlich entschuldigte er sich hinterher mit Blumen. Wieso konnte er nicht einfach pünktlich sein und die Blumen sparen?

Um ihm eine Freude zu machen, hatte sie das leichte Kleid gewählt, das in zwei Blautönen changierte, und ihr Haar hochgesteckt. Violet wollte sich als junge Frau fühlen, der ein zauberhafter Abend im Mai bevorstand. Lionels Verspätung war es zuzuschreiben, dass sie sich von Minute zu Minute mehr wie eine Frau Ende dreißig fühlte, eine Frau mit Kind und einem Hotel, dessen Leitung ihr mit den Jahren nicht einfacher, sondern anstrengender erschien. Unwillig schüttelte sie den Kopf – das waren dumme Gedanken. Lionel kam eben ein bisschen zu spät. Seit er Abschied von der Armee genommen hatte, war er zu seiner alten Leidenschaft, der Mathematik zurückgekehrt. Er unterrichtete das Fach auf der Secondary Kensington School. Wenn es seine Zeit erlaubte, widmete er sich nebenbei quantenphysikalischen Phänomenen. Wahrscheinlich hatte er bei einer seiner Berechnungen die Zeit übersehen.

Es war keine besonders gute Idee gewesen, sich mit Lionel in der Hotellobby zu verabreden. In einem fort musste Violet Gäste begrüßen oder Fragen des Personals beantworten. Dabei liebte sie diese Halle. Im Krieg war eine Fliegerbombe vor dem Eingang eingeschlagen und hatte die gesamte Vorderfront zerstört. Bald darauf war im Keller ein Brand ausgebrochen und hatte das Foyer zum zweiten Mal stark beschädigt. Violet hatte die Lobby jedes Mal wieder in den Originalzustand versetzen lassen. Das besondere Flair des Savoy lag in seiner lässigen Eleganz. Poliertes Messing und geätztes Glas, dazu die dunkle Täfelung aus Mahagoni, abgelöst durch Marmor verkleidete Säulen, halb schwarz, halb Elfenbein. Die Goldblatt-Tapete war teuer gewesen, aber die Ausgabe hatte sich gelohnt. Über der Treppe zog sich das restaurierte Fries mit jugendlichen Gottheiten entlang, und über allem hing der Lüster, ein goldener Ring aus Licht.

Seit sie klein war, kannte Violet diese Halle. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie vom Großvater im Savoy aufgenommen worden und hatte sich bald als Teil des Inventars gefühlt. War sie das nicht heute immer noch? Mit Haut und Haaren verschrieb sie sich diesem Haus.

Für einen Moment schloss Violet die Augen. Der Klang in diesem Raum erinnerte sie an einen Akkord, der sich in einem fort veränderte. Die vielen Stimmen, die sich zu einer einzigen Stimme vereinten, dazu gesellte sich das Gläserklirren, wenn die Kellner mit einem Brandy oder einer Flasche Wein durcheilten. Aus dem Nightingale Room schwoll das Jazztrio an und ab, je nachdem, ob eintretende Gäste die Schwingtür bedienten. Die Geigen aus dem Wintergarten hingen träge in der Luft. Violet hörte das zarte Singen von Seidenkleidern, das Rascheln der Abendanzüge und der Schals der Herren.

Sie betrat die Treppe. Dieses Haus, ihr Savoy, war eine Welt für sich, die jeden Tag ihren eigenen Sonnenauf- und untergang erlebte. Hier arbeiteten, bedienten, genossen und vergnügten sich Menschen, die nicht nur aus der ganzen Welt kamen, sondern auch für die ganze Welt standen. Das schottische Zimmermädchen, das in den französischen Baron verliebt war. Der bengalische Zigarettenverkäufer, der Liftboy, stets bemüht, seinen kleinen Hund zu verstecken, da Haustiere im Personaltrakt verboten waren. Dabei kannte jeder das Hündchen längst, und Mrs Drake drückte deswegen beide Augen zu. Die reichen italienischen Witwen, der argentinische Rinderzüchter, die belgische Gouvernante und der tschechische Tenor, der am Telefon so laut sprach, dass sich die Gäste im Nebenzimmer beschwerten. Der Major der Royal Army, der bedauerlicherweise einen Arm verloren hatte, und die wenigen deutschen Juden, die sich das Savoy leisten konnten – Violet kannte viele dieser Menschen persönlich. Das Savoy war ein Hotel, in das man wiederkam; für den, der es bezahlen konnte, war es ein Zuhause.

»Guten Abend, Miss Mason.« Wegen seines eleganten Stils wurde der Schriftsteller Mr Wallhead von den Damen gern gelesen. Er trat auf Violet zu. »Ich befinde mich in der größten Verlegenheit.«

»Was ist passiert, Mr Wallhead?«

»Man unterschlägt meine Wäsche.«

»Unterschlägt?«, erwiderte Violet lächelnd.

»Seit drei Tagen urgiere ich bei den Zimmermädchen. Eine jede verweist mich an die nächste und keine weiß, was mit meiner Wäsche passiert ist.«

»Handelt es sich um Ihre Oberhemden, Mr Wallhead?«

»Wenn es nur so wäre. Hemden habe ich genügend dabei. Nein, es geht um Dinge, die man darunter trägt, zuunterst sozusagen. Kurz und gut, seit drei Tagen vermisse ich meine wollene Leibwäsche.«

»Die Wäsche ist aus Wolle, sagen Sie?«

»Macht das einen Unterschied?«

»Ich hoffe, dass Ihre Wollsachen nicht versehentlich mit der restlichen Unterbekleidung zur Kochwäsche gegeben wurden.«

Wallhead übernahm Violets düsteren Ton. »Das wäre furchtbar. Es würde alles einlaufen.«

»Ich werde Mrs Drake bitten, sich darum zu kümmern«, versprach Violet und entlockte dem Dichter einen Glanz von Dankbarkeit. Er entnahm seinem frühlingshaften Sakko ein Etui und schlenderte in den Zigarrensalon.

Violet hatte keine Lust, noch länger zu warten. Lionel wusste, wo er sie fand, im Kuppelzimmer, im Kinderzimmer oder im Büro. Doch in diesem Moment der Ungeduld fand sie diese Regelung ungerecht: Er wusste stets, wo sie war, dagegen hatte Violet nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie sein Tag, seine Arbeit, seine Umgebung aussahen. Die kleine Wohnung in Pimlico sei zu schäbig, um Violet dort zu empfangen, behauptete er. Mit seinem Lehrergehalt könne er sich nichts Besseres leisten. Wie oft hatte sie ihm schon klar gemacht, dass auch sie nicht mit dem silbernen Löffel im Mund geboren worden war? Sie hatte als Autorin bei der BBC begonnen, ein mager bezahlter Job. Damals hauste sie in einem schmuddeligen Zimmer, wo man Münzen in den Automaten werfen musste, um die Gasheizung in Betrieb zu setzen. Durch die Erkrankung von Sir Laurence war Violet gewissermaßen ins Savoy zurückgeholt worden, gegen ihren Willen. Trotzdem war sie geblieben, bis heute.

Sie lief weder ins Büro noch zu Maxine, sie durcheilte die Lobby und steuerte auf einen tiefer liegenden Trakt zu, auf den sie besonders stolz war. Im Vereinigten Königreich war das Glücksspiel fast so alt wie Großbritannien selbst. King Charles II. hatte bereits 1539 einen eigenen Palast für seine Spielleidenschaft bauen lassen. Seit jeher war das englische Glücksspiel streng reguliert gewesen und wurde selbst von der Kirche nicht als unmoralisch verteufelt. Die Briten gehörten zu den leidenschaftlichsten Spielern der Welt.

So kurz nach dem Krieg eine Gambling-Konzession zu bekommen, war von einigen Hürden begleitet gewesen, doch zuletzt hatte Violet die Genehmigung erhalten und ließ einen unbenützten Keller des Hauses in ein Spielcasino umbauen. Genau dort wollte sie jetzt hin. Ihr hübsches blaues Kleid sollte nicht nur in Maxines Kinderzimmer seine Wirkung verströmen.

Der Fahrstuhl brachte Violet in die Tiefe. Die marmornen Stufen, die Tapete im Stile Louis XVIII. und der enorme Kronleuchter legten Zeugnis davon ab, dass sie bei der Einrichtung dem britischen Understatement französischen Glamour entgegengesetzt hatte. Die mitternachtsblauen Vorhänge mit den zarten Voiles kaschierten, dass die Räume unter der Erde lagen. An den Tischen spielte man Roulette und Chemin de fer, die beliebte Abart des Baccara.

Sobald die Angestellten ihre Direktorin eintreten sahen, eilten sie noch geschäftiger zwischen den Tischen umher, servierten Sherry, Brandy oder Sauvignon Blanc. Auch die Croupiers taten ihre Arbeit um eine Spur engagierter.

»Zweitausend hält die Bank«, gab der Chefcroupier am Baccaratisch bekannt und nickte Violet höflich zu.

Sie wollte noch nicht an die Spieltische und beobachtete stattdessen die Nische, in der die Herzogin von Londonderry saß. Lady Edith schien sich über den Verlust ihrer Juwelen rasch hinweggetröstet zu haben. Sie trug ein malvenfarbenes Kleid und ein brillantbesetztes Halsband, das offenbar nicht unter dem Diebesgut gewesen war. Auch diesmal leistete ihr Mr Asquith Gesellschaft. Aber es war noch jemand an ihrer Seite, ein junger Mann, schmal, blass, mit ungewöhnlichen Augen. Sie strahlten die Unruhe eines scheuen Tieres aus.

Man befand sich bereits im Aufbruch, Lady Edith wollte an den Spieltisch. Der Kellner präsentierte die Getränkerechnung, Mr Asquith zückte die Brieftasche.

»Sparen Sie Ihr Geld und schwindeln Sie lieber bei Ihrer Spesenabrechnung«, sagte die Duchess.

Am Blick des jungen Mannes – es konnte nur ihr Sohn sein – erkannte Violet, dass er sich für die gönnerhafte Art seiner Mutter schämte.

»Service compris«, las die Duchess. Auch in diesem Punkt hatte Violet französische Sitten eingeführt; das Trinkgeld war im Preis inbegriffen. »Jeder, vom Küchenchef bis zum Chefbutler, bekommt hier Trinkgeld, ob er es verdient oder nicht.«

»Mutter, du beklagst dich überall über die Trinkgelder«, sagte der junge Mann. »Egal ob London, Monte Carlo oder St. Moritz.«

»Das ist der einzige Reiz am Trinkgeld«, konterte sie. »Es bietet Gesprächsstoff. Gehen wir an den Roulettetisch, solange die Kugel noch warm ist. Vielleicht kann ich mein Trinkgeld zurückgewinnen. Hilfst du mir mal, Tyrone?«

Der junge Mann legte seiner Mutter die Nerzstola um. Zugleich schien die Duchess jemanden zu bemerken, einen Mann im Smoking, der soeben an Violet vorbeilief und auf den Baccaratisch zusteuerte.

»Sieh mal an«, lächelte Lady Edith.

»Kennen Sie ihn?«, fragte Mr Asquith.

»Nein. Aber so ein flotter Neuzugang im gediegenen Savoy ist doch eine Abwechslung.«

Violet schrieb das frivole Interesse der Duchess an dem attraktiven Fremden den leeren Champagnerflaschen auf ihrem Tisch zu.

»Ich möchte eigentlich nicht spielen«, sagte Tyrone.

»Du wirst in deinem Leben bestimmt noch oft spielen, Darling, sobald der Einsatz stimmt.«

Der Gentleman, über den sie gesprochen hatten, mochte Mitte vierzig sein. Er hatte kurz geschnittenes schwarzes Haar mit ergrauten Schläfen. Bevor er den Spieltisch erreichte, blieb er vor einer Vitrine stehen. Violet hatte dem Schmuckhaus Blauzwirn erlaubt, seine schönsten Kollektionen in den Räumen des Casinos auszustellen.

»Ist das eine Imitation?«, fragte der Gentleman.

»Allerdings, Sir.« Der Angestellte holte ein Collier aus dem Kasten und präsentierte es dem Gast.

»Erstaunlich«, lächelte der Fremde. »Ich könnte es von echten Steinen nicht unterscheiden.«

»Falls Sie interessiert sind, würden wir Ihnen natürlich das echte Collier präsentieren. Es ist nur wegen der Versicherung, Sie verstehen, wir dürfen die Originale nicht ausstellen.«

»Da haben Sie es, Asquith«, raunte die Herzogin. »Wegen Ihrer Vorsichtsmaßnahmen wird hier unechter Plunder gezeigt.«

»Der Einbruch letzte Nacht lässt unsere Maßnahmen sinnvoll erscheinen«, verteidigte sich der Mann von Lloyd’s.

»Suchen Sie etwas für Ihre Frau?«, fragte der Vertreter der Firma Blauzwirn.

»Meine Frau ist gestorben«, antwortete der Gast.

»Das tut mir leid, Sir.«

Die Herzogin lächelte. »Auch noch ein Witwer, so viel Glück hat man selten.«

»Mutter, bitte«, ging Tyrone dazwischen.

»Hör schon auf mit deinem Mutter, bitte.«

Ein Stuhl wurde für sie zurückgezogen, Lady Edith nahm am Baccaratisch Platz. Der Gentleman setzte sich ihr gegenüber und legte seine Jetons auf den Tisch.

»Suivie«, sagte der Spieler daneben und schob den Baccaraschlitten weiter.

»Acceptez vous la banque?«, fragte der Croupier den Gentleman.

»Bien sûr. Merci.« Der Unbekannte im Smoking zog den Kartenschlitten zu sich und begann auszuteilen.

»Mr Stewart hält die Bank«, gab der Croupier in die Runde bekannt.

Das also war der Name zu dem Gesicht, dachte Violet und näherte sich unauffällig, bis sie sowohl Mr Stewart als auch die Herzogin im Blick hatte.

Stewart servierte verdeckt, zwei Karten für jeden. Der Croupier schob Lady Edith ihr Blatt mit der Palette zu.

»Carte«, sagte sie unternehmungslustig.

Es wurde aufgedeckt. Die Duchess hatte überzogen.

»Sept à la banque«, gab der Croupier bekannt. Mr Stewart strich den Gewinn ein.

Ungeduldig wünschte die Duchess neue Karten und deckte sofort auf.

»Huit pour la duchesse«, erklärte der Croupier.

Auch Stewart drehte sein Blatt um.

»Neuf à la banque.«

Erstauntes Gemurmel, weil die Herzogin zweimal eine hohe Summe verloren hatte.

In diesem Moment entdeckte Lady Edith Violet unter den Umstehenden. »Miss Mason, ich hoffe, das Savoy gibt mir Kredit, falls dieser Gentleman mir weiterhin das Geld aus der Tasche zieht.«

Violet wäre lieber noch eine Weile unentdeckt geblieben. »Selbstverständlich, Mylady.« Die Gesellschaft drehte sich zu ihr um. In der Runde wurde gelacht. Nur Tyrone blieb todernst. Er musterte den Gegner seiner Mutter.

Mr Stewart erhob sich. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Mason. Mein Name ist Gary Stewart.«

»Angenehm.«

Die Herzogin setzte fünfhundert Pfund.

»Ich bewundere Ihre Courage, Hoheit.« Stewart teilte aus.

»Ihr Glück muss ja irgendwann mal enden.«

»Sind Sie mir etwa auf der Fährte?« Er lächelte.

»Ich kriege Sie schon noch, Mr Stewart.«

»Mutter –«, kam es leise von Tyrone.

Die Herzogin verlor abermals.

4

Tanqueray

Die Schulleitung der Secondary Kensington School erlaubte Lionel Burke, abends, wenn niemand mehr im Gebäude war, einen Raum für seine Forschungsarbeit zu benützen. Das biologische Archiv war ein Ort, an dem er von ausgestopften Mardern, sezierten Fröschen und den Nachbildungen menschlicher Organe umgeben war. Lionel ließ an der großen Tafel Gleichungen und mathematische Abläufe entstehen, wischte sie wieder aus, schrieb neue, löschte die gesamte Tafel und begann von vorn. Seit fast einem Jahr betrieb er das nun.