Stürmische Weihnacht in Cornwall - Maxim Wahl - E-Book
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Stürmische Weihnacht in Cornwall E-Book

Maxim Wahl

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Beschreibung

Wundersame Festtage.

Noch einmal möchte die hundertjährige Lady Virginia, Tochter des Earl Trevelyan, das Schloss ihrer Familie auf St. Michael's Mount besuchen. Mit ihrem Enkel reist sie zu der Gezeiteninsel, doch die steigende Flut verwehrt ihnen den Zutritt. Virginia erinnert sich an das Weihnachtsfest im Jahr 1899, als in einer Sturmnacht das Royal Heart, ein sagenumwobener Diamant, verschwand. Und als kurz darauf ein mysteriöser junger Butler auftauchte, brachte dieser Lady Virginias Gefühlswelt gehörig durcheinander ...

Vom Autor der Erfolgssaga »Das Savoy« – eine zauberhafte Weihnachtsgeschichte vor der rauen Kulisse Cornwalls.

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Über das Buch

Wundersame Festtage.

Noch einmal möchte die hundertjährige Lady Virginia, Tochter des Earl Trevelyan, das Schloss ihrer Familie auf St. Michael's Mount besuchen. Mit ihrem Enkel reist sie zu der Gezeiteninsel, doch die steigende Flut verwehrt ihnen den Zutritt. Virginia erinnert sich an das Weihnachtsfest im Jahr 1899, als in einer Sturmnacht das Royal Heart, ein sagenumwobener Diamant, verschwand. Und als kurz darauf ein mysteriöser junger Butler im Schloss auftauchte, brachte er Lady Virginias Gefühlswelt gehörig durcheinander …

Vom Autor der Erfolgssaga »Das Savoy« – eine zauberhafte Weihnachtsgeschichte vor der rauen Kulisse Cornwalls

Über Maxim Wahl

Hinter Maxim Wahl verbirgt sich ein deutscher Bestsellerautor, der mit seinen zahlreichen Romanen auch international Aufmerksamkeit erregte. Für seine Stoffe sucht sich Maxim Wahl am liebsten große Schauplätze der europäischen Geschichte. Er lebt in Berlin und London, und am allerliebsten im Hotel Savoy.

Im Aufbau Taschenbuch sind bisher »Das Savoy. Aufbruch einer Familie«, »Das Savoy. Schicksal einer Familie« und »Das Savoy. Geheimnisse einer Familie«, die ersten Bände seiner erfolgreichen Saga erschienen.

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Maxim Wahl

Stürmische Weihnacht in Cornwall

Roman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Eins

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Fünf

Sechs

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Acht

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Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Impressum

Eins

Virginia sah in den Spiegel, Papas Geschenk zu ihrem fünfzehnten Geburtstag. Er wirkte so kostbar wie eh und je, nur das Silber war matt geworden. Auch die Reflexion hatte sich verändert, das musste sie zugeben. In wenigen Tagen feierte Virginia ihren hundertsten Geburtstag.

Für eine beinahe Hundertjährige war sie ungewöhnlich aufgekratzt, sie zappelte regelrecht. »Du musst schon ein bisschen schneller fahren«, sagte sie zu ihrem Enkel Timmy.

Virginia hatte neun Enkel, und es gab bereits einige Urenkel. Timmy war ihr Lieblingsenkel, weil er als Einziger immer Zeit für sie hatte. Virginias Kinder waren im Rentenalter und schwer aus ihren Fernsehsesseln hochzukriegen. Die übrigen Enkel tummelten sich wichtig und tüchtig durchs Leben. Sie liebten ihre Großmutter, erfanden aber jedes Mal prima Ausreden, weshalb sie nicht zu Besuch kommen konnten. Timmy dagegen nahm sich die Zeit. Er und Virginia waren aus demselben Holz geschnitzt. Er spürte, wenn seiner Großmutter etwas wichtig war, deshalb hatte er sofort zugestimmt, sie nach St. Michael’s Mount zu fahren, in das Schloss, in dem sie geboren war. Zu ihrem Hundertsten wollte sie diesen sagenumwobenen Ort noch einmal wiedersehen.

»Ich kann nicht schneller fahren.« Vorsichtig steuerte Timmy den Vauxhall Senator, Baujahr 1973, über den schmalen holprigen Weg. Der Wagen hatte zehn Jahre auf dem Buckel, aber einen neuen konnte sich Timmy nicht leisten. »Wenn ich auf dem Kopfsteinpflaster mehr Gas gebe, bricht mir die Hinterachse durch.«

»Wenn du nicht wenigstens einen kleinen Zahn zulegst, werden wir die Insel nicht erreichen«, erwiderte Virginia gut gelaunt.

»Was redest du denn, Nana? Sie liegt doch direkt vor uns.«

»Du kennst Cornwall nicht, Timmy. Was vor einem liegt, ist manchmal ferner, als man glaubt.«

»Was soll das heißen?«

Virginia brauchte ihre Worte nicht zu erklären, das tat die Flut für sie. St. Michael’s Mount war eine Gezeiteninsel vor der Südküste Cornwalls. Vom Dorf Marazion aus fuhr man an den Strand, wo eine dreihundert Jahre alte Steinstraße trockenen Fußes auf die Insel führte – zu bestimmten Tageszeiten. Bei Ebbe herrschte reger Verkehr zwischen St. Michael’s und dem Festland. Die Touristen kamen in Scharen, überquerten die Straße zu Fuß und besichtigten das Schloss. Einer Neunundneunzigjährigen durfte man natürlich nicht zumuten, mehrere hundert Yards über holperige Granitblöcke zu laufen. Daher brachte Timmy sie im Auto hinüber.

Die Flut kam überraschend schnell.

»Was, was, was ist das?«, rief er, als der Weg vor ihnen im Meer versank. Das Wasser stieg bereits an den Reifen hoch. Timmy hielt an.

»Das, mein Lieber, ist St. Michael’s Mount.« Virginia lachte.

»Und was machen wir jetzt?« Er öffnete die Fahrertür. Die Radkappen waren zur Hälfte verschwunden.

»Wir warten, bis sich die Flut zurückzieht.«

»Wir warten – mitten im Meer? Und was ist, wenn das Wasser den Motorblock überflutet, wenn es zu uns hereindringt?«

»Wir haben die tiefste Stelle noch nicht erreicht«, beruhigte ihn Virginia. »Alles, was wir brauchen, ist Geduld.«

»Wie lange?«

»Ungefähr drei Stunden.«

»Drei …?!«

»Ich habe dir gesagt, dass du schneller fahren sollst.« Virginia lehnte sich zurück und spielte mit dem Anhänger ihrer Kette.

Timmy stellte den Motor ab. »Und was tun wir so lange?«

»Wir genießen die Aussicht auf mein wunderbares Schloss.«

»Dein Schloss?«

»Das war es einmal, oder sagen wir, es hätte mein Schloss werden können, wenn mein Vater …« Virginia tat einen tiefen Atemzug. »Wenn ich meinem Vater von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte.«

Timmy warf einen ängstlichen Blick aus dem Fenster. Tatsächlich schien die Flut nicht mehr höher zu steigen. »Du hast mir nie besonders viel von deinem Vater erzählt.«

»Weder dir noch sonst jemandem.« Virginias Blick schweifte zu den Festungsmauern. »Mein Vater war der 19. Earl of Laureal. Seit dem 17. Jahrhundert befand sich dieser Berg im Meer im Besitz meiner Familie.« Plötzlich sah sie ihren Enkel mit wundem Blick an, Tränen der Erinnerung drängten in Virginias Augen.

»Entschuldige, Nana, ich wollte dich nicht aufregen. Möchtest du mir nicht erzählen, was damals passiert ist?«

»Das ist jetzt vierundachtzig Jahre her.«

»Ich verstehe. Eine wahnsinnig lange Zeit. Erzähl mir einfach, woran du dich erinnerst.«

Sie musterte ihn mit jenem strengen Blick, vor dem er schon als Kleinkind Respekt gehabt hatte. »Es wäre nett, wenn du mich ausreden lässt. Es ist vierundachtzig Jahre her, aber ich rieche immer noch das Bohnerwachs, mit dem die Diener unsere Böden eingelassen haben. Ich sehe die Eisvögel den Ostturm anfliegen, wo sie im Frühling ihr Nest bauten. Ich höre den Bumms noch genau, mit dem mein Vater jeden Morgen die Kanone abgeschossen hat.«

»Eine Kanone? Wozu?«

»Als Begrüßung.«

»Wen hat er begrüßt?« Timmy löste den Sicherheitsgurt.

»Den neuen Tag. An jedem Morgen. Wenn die Leute in der Umgebung dieses Geräusch hörten, wussten sie, dass die Welt noch in Ordnung war. St. Michael’s Mount wurde damals die Kathedrale zu den vier Winden genannt. Und das war sie. Bei Gott, das war sie.«

* * *

»Macht die Tür zu!«, rief Sir Thomas Trevelyan, der 19. Earl of Laureal. »Es fliegen einem ja die Haare vom Kopf.«

Januar war der Eismonat, Februar der Nebelmonat, aber Dezember galt als der Monat der Stürme auf St. Michael’s. Die Fenster mit ihren dünnen Scheiben in den Bleifassungen hielten zwar den Frühlingswinden stand, doch gegen die Stürme des Dezembers erwiesen sie sich als nutzlos. Sir Thomas konnte rufen, so oft er wollte, man solle die Türen schließen, das änderte nichts daran, dass der Wind durch die Ritzen pfiff. Sobald jemand eine Tür ins Freie öffnete, hielten die Dienstmädchen ihre Schürzen fest, und die Diener hatten ihre liebe Mühe, die erloschenen Kerzen neu anzuzünden.

Virginia liebte es, wenn ihr Rock im Wind flatterte, wenn das lange Haar um ihr Gesicht wehte, wenn die Finger nach wenigen Minuten auf dem Ostturm so klamm waren, dass sie das verrostete Türschloss kaum aufbekam. Für sie war der Dezember die Zeit, in der sich die ganze Insel auf Weihnachten vorbereitete. Einer alten Tradition zufolge luden die Trevelyans ihre Pächter und Lehensbauern, die das Land rundum bewirtschafteten, zur Weihnachtsfeier in den Schlosssaal ein.

Zu keiner Zeit des Jahres gab es so viel zu tun. Das Personal schuftete von früh bis spät, und auch sie als Tochter des Hauses packte mit an. In diesem Jahr musste alles noch schöner, noch heller und glitzernder werden, schließlich begrüßten sie in wenigen Tagen das neue Jahrhundert. Das gesegnete 20. Jahrhundert stand vor der Tür. Virginia hatte vor, es zu ihrem Jahrhundert zu machen. Sie war sechzehn, Herrgott, so viele glorreiche Jahre lagen noch vor ihr.

»Tür zu!«, wiederholte der Lord.

Die Diener waren dabei, den Lunch zu servieren und sahen sich daher nicht zuständig für die Türen. Lionel Patters, der Chefbutler auf St. Michael’s, der bereits Lord Trevelyans Vater gedient hatte, erledigte es persönlich. Niemand kannte das Alter von Patters genau, er musste weit über achtzig sein. Im Schloss nannte man ihn den Fahnenmast, weil er sich immer so steif aufrecht hielt. In den letzten sechzig Jahren war er keinen einzigen Tag krank gewesen. Ihm entging nichts, er bestrafte Nachlässigkeit streng, aber fair.

»Verzeihen Sie, Mylord«, sagte Patters, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Schon gut.« Hastig löffelte Sir Thomas seine Suppe. Die anderen mussten sich ranhalten, denn sobald der Lord fertig gegessen hatte, wurden sämtliche Teller abgeräumt. »Ist Hailsham schon eingetroffen?«, fragte er.

»Seine Gnaden werden erst zum Dinner erwartet«, antwortete Patters. »Er hat wohl die Ebbe verpasst, wollte sein Gepäck aber nicht auf das Fährboot umladen und wartet daher in der Taverne auf den Gezeitenwechsel.« Patters gab das Zeichen, dass der Hauptgang serviert werden sollte.

Virginia spitze die Ohren. »Freddie kommt?«, rief sie quer über den Tisch. »Freddie kommt zu uns?«

»Er ist sozusagen meine erste Weihnachtsüberraschung für dich«, lächelte Sir Thomas. »Der Duke of Hailsham bleibt über die Feiertage bei uns.« Er ließ sich zwei Stück Roastbeef auftun.

»Herrlich, ach, herrlich, da freu ich mich!« Virginia nahm vom Rosenkohl. »Freddie ist der Einzige, mit dem man die Insel bei Sturm umrunden kann, ohne dass er gleich zu bibbern anfängt.« Ein gewitzter Blick zur Seite. »Ganz anders als meine Schwester, die den Wind auf St. Michael’s nicht erträgt.«

»Sportliche Unternehmungen dieser Art überlasse ich gerne dir«, entgegnete Moyra Trevelyan mit ihrer rauchigen, stets ein wenig heiseren Stimme.

»Man darf Moyras angegriffene Lungen nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sprang ihr Ehemann Ethelred bei.

»Danke, mein Lieber.« Moyra tätschelte seine Hand und schenkte Virginia einen mitleidigen Blick. »In deinem Alter kennt man die Tücken des Körpers noch nicht. Dieses Klima und unser zugiges Schloss haben mich krank gemacht. Ich hoffe, dass du es nicht eines Tages bereust, mich verspottet zu haben.«

»Aber ich verspotte dich doch nicht.« Die herben Worte der Schwester schüchterten Virginia ein.

Sir Thomas wollte den Frieden am Mittagstisch wiederherstellen. »Du freust dich also, dass der Duke uns die Ehre gibt?«

»Und ob ich mich freue!« Virginia sprang auf. »Ich will mal sehen, ob die Flut zurückgeht. Vielleicht ist Freddie bereits auf dem Weg.«

»Du isst erst mit uns zu Ende«, gebot der Lord. »Danach darfst du ihn willkommen heißen.«

»Das mache ich!«, lachte Virginia. »Ich renne Freddie entgegen.«

»Du rennst nicht, du eilst ihm bestenfalls entgegen«, schmunzelte der Vater. »Die Countess of Laureal ist gar nicht imstande, zu rennen.«

Fröhlich schaufelte Virginia Rosenkohl und Kartoffeln in sich hinein. Der wunderbare, der lustige, der einfallsreiche Freddie, Duke of Hailsham, kam zu ihnen aufs Schloss. Das würden herrliche Feiertage werden. In ihrer Vorfreude bemerkte Virginia den besorgten Blick nicht, den der alte Patters ihr zuwarf.

Zwei

Das Ungeheuer von Cormoran?« Alfred Malffay Duke of Hailsham, Herzog von Somerset und Pool sah ein wenig wie ein Italiener aus. Schwarzes Haar und blaue Augen, das war der Inbegriff männlicher Schönheit, zumindest für Virginia.

»Du hast also davon gehört, Freddie?«

Da sie bis zum Dinner noch Zeit hatten, unternahmen Virginia und der Duke einen Rundgang durch das Schloss. Sie begannen in der Hauskapelle mit dem berühmten Rosenfenster. Der Duke bekreuzigte sich. Virginia senkte die Stimme.

»Vor langer Zeit ist unsere Familie fast ausgerottet worden«, flüsterte sie. »Das Ungeheuer von Cormoran hat sich einen nach dem anderen meiner Vorfahren geholt.«

»Wann ist das gewesen?«, fragte er leise. »Etwa, als hier noch das Kloster stand?« Weil Freddie sie um einiges überragte, musste er sich zu ihr beugen.

»Irgendwann in grauer Vorzeit.« Details interessierten Virginia nicht besonders, sie wollte über das Ungeheuer erzählen. »Eines Tages kam ein Jüngling aus dem Dorf zu uns, der hatte ein magisches Schwert.«

»Was war an dem Schwert magisch?«

»Unterbrich mich nicht dauernd. Der Jüngling gelobte meinem Urahn, das Ungeheuer zu bekämpfen.«

»Hat dein Held auch einen Namen?«, fragte der Duke zwinkernd.

Wieso machte er sich über sie lustig? Freddie war nur sechs Jahre älter als sie, trug aber nach dem plötzlichen Tod seines Vaters bereits die Bürde der Herzogskrone.

»Der Jüngling hat keinen Namen, und jetzt lass mich fertig erzählen.« Sie verließen die Kapelle. »Mit seinem magischen Schwert bekämpfte er das Ungeheuer. Es gelang ihm, die Bestie zu töten. Er schnitt dem Ungeheuer von Cormoran das Herz heraus. Mit dem blutenden Herzen in der Hand trat er vor meinen Urahn und sagte: Dieses Herz müsst Ihr in einem Stein versiegeln, Mylord. Der Stein soll die oberste Bekrönung Eures Schlosses abschließen. Solange das Herz von Cormoran dort verwahrt bleibt, wird Eurer Familie das Glück gewogen sein, und es kann euch nichts Böses widerfahren.«

Virginia strahlte. »Ist das nicht eine großartige Geschichte?« Hintereinander stiegen sie die Treppe hinauf.

»Was wurde aus dem Herz des Ungeheuers?«, fragte Freddie.

»Man hat es im Schlussstein versiegelt und in die Dachbekrönung eingesetzt. Und dort ist es bis heute.«

»Das Herz müsste längst zu Staub zerfallen sein.«

Sie erreichten St. Anthony’s Hall, den größten Saal des Schlosses. Farbige Glasfenster schufen Licht. Die fünfzig Yards lange Decke wurde von einem Vielpassbogen-Gewölbe gestützt. Die Dienerschaft war dabei, die Weihnachtstafel, den größten Tisch in der Grafschaft, aufzubauen. In einem Stück hätte man ihn unmöglich in die Halle schaffen können. Bei jedem großen Fest musste dieser Tisch aufs Neue zusammengezimmert werden. In der offenen Feuerstelle an der Stirnseite konnte ein Mann aufrecht stehen. Noch war sie schwarz und rußig, doch während der Feiertage ging das Feuer darin nicht aus. Man verfeuerte ganze Baumstämme, die so schwer waren, dass zwei Mann sie hereinschleppen mussten. Wenn sie diese Vorbereitungen sah, freute sich Virginia auf den Anblick, wenn die Tafel sich bog von den cornischen Weihnachtsspezialitäten, der Festtagspastete, dem Lachs, in Brot gebacken, der Ente mit Honig und natürlich dem gefüllte Truthahn. Die Düfte, die dann durch die große Halle zogen, waren unverwechselbar für dieses Fest. Und von den Cornish Cookies konnte sie einfach nicht aufhören zu naschen.

»Ich habe eine ganz andere Geschichte gehört.« Freddie riss sie aus ihrer Vorfreude, während sie an den Handwerkern vorbeischlenderten. Vor dem Duke und der Countess zogen die Männer ihre Mützen.

»Was für eine Geschichte?« Ungezwungen hakte sie sich bei ihm unter.

»Dass das Herz nicht aus Fleisch und Blut war, sondern ein Edelstein. Er soll von unschätzbarem Wert sein.«

»Ein Schatz?«, fragte Virginia begeistert. »Wir haben einen Schatz auf unserem Dach?«

»Wieso auf dem Dach?«

»Der Stein schließt die Bekrönung ab, heißt es in der Legende. Wenn das stimmt, muss sich das Juwel im Schlussstein der Dachbekrönung befinden.«

Vor ihnen setzte ein Zimmermann den Hobel an, dass die Späne nur so flogen. Dahinter trat der alte Patters aus dem Halbschatten der Fensternische.

»Guten Tag, Patters«, begrüßte Freddie ihn leutselig. »Was macht Ihr Rheumatismus? Hat das Mittel gewirkt, das ich Ihnen empfohlen habe?«

»Danke der Nachfrage, Euer Gnaden, die Anwendung hat mir wohlgetan.«

»Ich wusste nicht, dass ihr beide euch so gut kennt«, warf Virginia überrascht ein.

»Der gute Patters gehört doch gewissermaßen zum Schlossinventar.« Beschwingt zog der Duke Virginia weiter. Der Butler sah die beiden durch die Halle verschwinden.

»Ich glaube kaum, dass man einen Schatz von solchem Wert im Dach eingemauert hat«, nahm Freddie das Thema wieder auf.

»Aber der Jüngling sagte: Solange das Herz von Cormoran dort verwahrt bleibt, wird der Familie …«

»Nichts Böses geschehen, ich weiß«, unterbrach der Duke sie. »Aber so einen Stein bewahrt man im Tresor auf und nicht unterhalb der Dachrinne.«

Im Treppenhaus, das zum Ostturm führte, blieb Virginia stehen. »Das hätte Daddy mir erzählt, wenn wir so ein Juwel besitzen sollten. Er verheimlicht mir nichts. Ich bin die Erbin von St. Michael’s, vergiss das nicht.«

»Ich weiß«, nickte der Duke. »Als älteste Tochter erbt Moyra eure Ländereien in Cornwall. Aber du bekommst die Insel.«

»Moyra will fort von hier, sie hält das Wetter nicht aus. Beim kleinsten Windstoß fängt sie zu husten an. Ständig hat sie etwas. Mal ist es die Lunge, dann schmerzen ihr die Gelenke wegen der Feuchtigkeit. Manchmal glaube ich, Moyra will nur die Aufmerksamkeit der anderen auf sich ziehen.«

»Kannst du das nicht verstehen?«

»Wieso?«

»Ist dir nicht aufgefallen, was für ein außergewöhnlich reizendes Geschöpf du in den letzten Jahren geworden bist? Nicht mehr das rotznasige Kind, das auf den Felsen von St. Michael’s umherklettert, sondern eine kleine Lady, eine ungemein reizvolle Lady.«

Virginia freute sich über das Kompliment, verstand aber nicht, worauf er hinauswollte. »Ja, und?«

»Fragst du dich wirklich, warum deine Schwester sich nach Aufmerksamkeit sehnt? Vor nicht langer Zeit war Moyra die Prinzessin auf diesem Schloss. Mittlerweile hast du ihr diesen Rang abgelaufen. Du bist das Schönste, was St. Michael’s Mount zu bieten hat.«

So etwas Nettes hatte noch niemand zu Virginia gesagt. Verlegen suchte sie nach Worten. »Aber … aber Moyra ist verheiratet. Sie hat ihren Mann.«

»Dein Schwager? Denkst du wirklich, der steife Ethelred könnte Moyras Sensucht nach Bewunderung befriedigen? Soweit ich weiß, waren es die reichen Zinkvorkommen auf Ethelreds Ländern, die den Ausschlag für die Hochzeit gegeben haben. Moyra erbt die Manufakturen, Ethelred liefert den Rohstoff dafür. So einfach ist das.«

»Glaubst du wirklich?«

»Wie auch immer, du erbst dieses Schloss.«

»Und deshalb will ich dir noch mehr von meinem Schloss zeigen.« Über die Galerie führte Virginia den Duke zur nächsten Treppe.

»Noch weiter?«, seufzte er.

»Du sollst ihn doch sehen.«

»Wen?«

»Den Schlussstein. Ich zeige dir das Herz von Cormoran. Komm!« Sie lief voraus.

»Bis ganz hinauf?«

»Bis zur obersten Zinne!« Das Echo ihrer Stimme hallte durch den Treppenschacht. Als sie die Eichentür zur obersten Plattform aufstieß, fegte der Wind sie fast um. Virginia stemmte sich dagegen und eroberte den schmalen Umgang des Spitzdaches. Die Schindeln trotzten dem Wetter seit Hunderten von Jahren. Freddie blieb in der Türöffnung stehen.

»Warum kommst du nicht?« Den Blick nach oben gerichtet, lief Virginia im Kreis.

»Ich habe meinen Mantel unten gelassen.«

»Sei keine Memme!« An einem bestimmten Punkt blieb sie stehen. »Ich habe ihn!«

Die Wolken, düstere Gesellen, wurden vom Meer aufs Land getrieben und balgten sich über der Schlossspitze. Feiner Regen fiel. Noch ein paar Grad weniger, und es würde Schnee daraus werden.

Freddie trat ins Freie. »Es regnet.«

»Ach was, das ist bloß die erhöhte Luftfeuchtigkeit.« Sie zeigte auf das Mauerwerk über ihnen. »Siehst du ihn?«

Der Duke hob den Kopf, der feine Sprühregen ließ ihn blinzeln. »Das soll der Schlussstein sein? Sieht gar nicht so besonders aus.«

»Das Besondere ist im Inneren verborgen.«

In dem Moment, als sie es aussprach, teilten sich über Virginia die Wolken. Ein Lichtstrahl ging auf das Schloss nieder, so leuchtend rein, dass beide verstummten. Der Sonnenstrahl fiel auf den grauen Schiefer, die kupferne Dachrinne mit ihrer Patina, das blonde Haar der Countess und in die blauen Augen des Duke.

»Das Herz von Cormoran ist noch da«, rief Virginia gegen den Wind. »Der Himmel weiß, dass es noch dort oben ist.«

Der Duke betrachtete den unscheinbaren Stein, der die Bekrönung abschloss.

Drei

Insgeheim betete jeder im Schloss, dass die alten Mauern einer solchen Gewalt standhalten mochten. Keiner schlief, jeden hatte der Sturm geweckt. Die Kammerzofen und Küchengehilfinnen, die Hausdame und die Erste Näherin lagen in ihren Betten in den Obergeschossen, die Augen ängstlich zur Decke erhoben. Wenn das Dach nur hielt! Die Valets, die Butler, auch der Schuhputzer waren aufgestanden. Sie rauchten Zigaretten und redeten über belanglose Dinge, um sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.

Der alte Patters hatte den bodenlangen Morgenmantel übergezogen, einen Kerzenleuchter ergriffen und geisterte durch das Schloss. Während des Sturmes war der Strom ausgefallen. Morgen früh würde jemand aus Marazion herüberrudern und den Schaden beheben. Patters prüfte, ob die Fenster und Läden richtig schlossen. Er stieg sogar in den Ostturm hoch, weil es dort eine Ecke gab, wo er Schimmel entdeckt hatte. Schimmel bedeutete Feuchtigkeit, Feuchtigkeit bedeutete eine undichte Stelle.

Virginia saß aufrecht im Bett und lauschte dem Tosen, das vielstimmig um das Schloss raste. So eine Kraft, so eine Macht hatte der Himmel. Die Burg stand nun seit Jahrhunderten auf den Fundamenten des früheren Klosters, doch eines Tages würde die Macht der Natur St. Michael’s Mount ein Ende bereiten. Als kleines Mädchen war sie in Nächten wie diesen zu ihrem Vater hinübergelaufen. Das Schlafzimmer des Lords lag auf der anderen Seite des Korridors. Seit vielen Jahren schlief Sir Thomas allein. Virginias Mutter war so früh gestorben, dass ihr Antlitz in der Erinnerung der Tochter verblasste.

Sie stand auf, warf den Morgenmantel über und lief zur Tür. Virginia besann sich. Sie war schließlich kein kleines Kind mehr; irgendwann musste sie damit aufhören, zu Papa zu laufen, wenn es stürmte. Aber heute noch nicht. Das war eine Nacht, in der eine Tochter Schutz suchen durfte. Sie öffnete die Tür und prallte zurück.

»Was machst du denn hier? Bist du auch wach geworden?«

Der Duke stand im Abendanzug vor ihr. »Wer könnte bei diesem Lärm schlafen? Solche Stürme kennen wir in Somerset nicht.«

»Wieso bist du angezogen?«

»Da ich nicht schlafen kann, wollte ich lesen und war auf dem Weg in eure Bibliothek.«

»Aber …« Sie schaute den Korridor hinunter. »Aber die Bibliothek liegt auf der anderen Seite des Schlosses.«

Ein Lächeln huschte über Freddies Gesicht. »Du hast mich erwischt.«

»Wobei?«

»Kannst du dir das nicht denken?«

Sie wurde rot bei der Vorstellung, weshalb Freddie vor ihre Tür geschlichen kam.

»Ich dachte, in einer Nacht wie dieser kannst du bestimmt auch nicht schlafen.« Er trat näher. »Ich sagte mir: Wenn du unter ihrer Türschwelle Licht entdeckst, klopfst du an. Wenn es dunkel ist, gehst du weiter und holst dir ein langweiliges Buch.«

»War unter meiner Türschwelle denn Licht?« Virginias Herz begann wie verrückt zu schlagen.

»Ich konnte keines entdecken.«

Sie drehte sich um. Die Kerze brannte so schwach, dass man es von draußen wohl nicht wahrnahm. »Aber du stehst trotzdem hier.«

»Ja, ich stehe trotzdem hier.« Er trat noch einen Schritt näher.

»Ist das denn schicklich?« Ihr Herz machte einen gewaltigen Lärm.