Das Schloss in Südtirol - Susanne Markus - E-Book

Das Schloss in Südtirol E-Book

Susanne Markus

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Ich verstehe dich wirklich nicht, Liebling!« Ruth Meinert, die ganz gegen ihre Gewohnheit an diesem heißen Juninachmittag ein wenig geschlafen hatte und nun am Fenster ihres Zimmers stand, fühlte, wie ihr Herz auf einmal schmerzhaft hart zu schlagen begann. Es war Hubert Ahlsen, der da eben gesprochen hatte. Hubert Ahlsen, seit einigen Jahren Direktor der Textilfabrik Meinert, der Mann, den sie selbst liebte. »Ruth ist noch ein Kind«, hörte sie nun die Stimme ihrer Mutter, die deutlich von der Terrasse zu ihr herüberklang. Instinktiv machte Ruth einen Schritt zur Seite, wo die Gardine sie jeglichen Blicken entzog. Sie wusste, dass es ungehörig war zu lauschen, aber trotzdem hätte sie keine Macht der Welt jetzt von dieser Stelle gebracht. »Ich bitte dich, Ruth ist neunzehn«, entgegnete der Mann. »In diesem Alter sind junge Mädchen doch keine Kinder mehr. Du hast in all den Jahren ihr gegenüber weit mehr als deine Mutterpflichten erfüllt. Ich habe das eingesehen und habe gewartet, obwohl es mir oft sehr schwer wurde. Aber jetzt.« Seine Stimme nahm einen fast beschwörenden Tonfall an: »Liebling, wir sind beide nicht mehr jung genug, um noch jahrelang heimlich verlobt zu sein und vor der Umwelt Versteck zu spielen. Siehst du denn das nicht ein?« »Gewiss. Ich möchte Ruth nur nicht ihr Heim nehmen«, antwortete Frau Marianne Meinert zögernd. »Kinder sind oft so empfindlich.« »Nun übertreibst du aber! Das Haus ist groß genug, und ich hatte bis jetzt nicht das Gefühl, deiner Tochter unsympathisch zu sein. Ich mag sie sehr gern und hoffe, dass ich ihr auch in Zukunft so

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Fürstenkrone – 110–

Das Schloss in Südtirol

Wie Ruth das Herz des traurigen Barons gewann

Susanne Markus

»Ich verstehe dich wirklich nicht, Liebling!«

Ruth Meinert, die ganz gegen ihre Gewohnheit an diesem heißen Juninachmittag ein wenig geschlafen hatte und nun am Fenster ihres Zimmers stand, fühlte, wie ihr Herz auf einmal schmerzhaft hart zu schlagen begann.

Es war Hubert Ahlsen, der da eben gesprochen hatte. Hubert Ahlsen, seit einigen Jahren Direktor der Textilfabrik Meinert, der Mann, den sie selbst liebte.

»Ruth ist noch ein Kind«, hörte sie nun die Stimme ihrer Mutter, die deutlich von der Terrasse zu ihr herüberklang.

Instinktiv machte Ruth einen Schritt zur Seite, wo die Gardine sie jeglichen Blicken entzog. Sie wusste, dass es ungehörig war zu lauschen, aber trotzdem hätte sie keine Macht der Welt jetzt von dieser Stelle gebracht.

»Ich bitte dich, Ruth ist neunzehn«, entgegnete der Mann. »In diesem Alter sind junge Mädchen doch keine Kinder mehr. Du hast in all den Jahren ihr gegenüber weit mehr als deine Mutterpflichten erfüllt. Ich habe das eingesehen und habe gewartet, obwohl es mir oft sehr schwer wurde. Aber jetzt.«

Seine Stimme nahm einen fast beschwörenden Tonfall an: »Liebling, wir sind beide nicht mehr jung genug, um noch jahrelang heimlich verlobt zu sein und vor der Umwelt Versteck zu spielen. Siehst du denn das nicht ein?«

»Gewiss. Ich möchte Ruth nur nicht ihr Heim nehmen«, antwortete Frau Marianne Meinert zögernd. »Kinder sind oft so empfindlich.«

»Nun übertreibst du aber! Das Haus ist groß genug, und ich hatte bis jetzt nicht das Gefühl, deiner Tochter unsympathisch zu sein. Ich mag sie sehr gern und hoffe, dass ich ihr auch in Zukunft so etwas wie ein verständnisvoller väterlicher Freund sein werde. Vor allem aber möchte ich, dass du endlich meine Frau wirst. Oder willst du das nicht mehr?«

»Aber Hubert, wie kommst du denn darauf?«, wehrte Frau Marianne erschrocken ab.

»Ach, manchmal kommen mir eben solche Gedanken«, entgegnete der Mann und fuhr dann mit fester Stimme fort: »Ich finde, dass Ruths eben bestandenes Abitur gerade eine gute Gelegenheit wäre, mit ihr über unsere Pläne zu sprechen. Ich würde dir diese Unterredung auch gern abnehmen, aber in diesem Fall finde ich, dass es doch besser wäre, wenn du selbst …«

»Das muss ich wohl«, antwortete die Frau unsicher.

»Erwähne bitte auch, dass ich keineswegs die Absicht habe, deine Tochter zu schädigen. Ihr Erbe bleibt ganz unangetastet.«

»Aber Hubert! Ruth weiß ganz genau, wie viel die Firma dir zu danken hat. Außerdem glaube ich auch, dass sie dich recht gern mag.«

»Du wirst also mit ihr über uns sprechen?«

»Ja, Hubert«, versprach Frau Marianne.

Eine kurze Pause, dann wieder die Stimme des Mannes, bittend und verhalten: »Schieb es nicht zu lange auf! Und denke daran, dass ich dich liebe und wie lange ich schon auf dich warten muss.«

»Ich liebe dich auch, Hubert.« Frau Mariannes Stimme war so leise geworden, dass Ruth sie kaum verstehen konnte. »Du hast recht. Wir wollen nicht mehr länger warten.«

Das Mädchen zog sich lautlos in sein Zimmer zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Zutiefst hatte die Erkenntnis sie getroffen, dass gerade Hubert Ahlsen ihre Mutter liebte und nun ihr Stiefvater werden sollte. Von allen Männern auf der Welt ausgerechnet Hubert Ahlsen …

Es war ihr klar, dass ihre Gefühle für ihn völlig einseitig waren. Nie hatte Ahlsen sie nur im Geringsten ermutigt. Es war ihr Pech, dass ihr erstes schwärmerisches Gefühl einem Mann galt, der für sie nur ein freundschaftliches väterliches Interesse zeigte.

Fünf Jahre war es nun her, seitdem Hubert Ahlsen in die Firma eingetreten war, die Marianne Meinert seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes leitete. Vierzehn war Ruth damals gewesen. Es war ein wenig tröstlich, daran zu denken, dass ein Mann wie Hubert Ahlsen sich nicht in ein vierzehnjähriges Mädchen verliebt hatte, sondern eben in eine Frau Mitte der Dreißig. Nicht die Tochter, sondern die Mutter.

Ein tiefer Schmerz hob Ruths Brust. Sie liebte ihre Mutter, und sie gönnte ihr alles Glück der Welt, auch das, in einer zweiten Ehe Erfüllung zu finden. Nur mit Hubert Ahlsen in einem Haus zu leben und dieses Glück mit ansehen zu müssen, vermochte sie nicht.

In plötzlicher Entschlossenheit stand Ruth auf und wischte die Tränenspuren von ihrem Gesicht. Sie holte die Zeitung, die sie nach dem Essen mitgenommen hatte, und schlug den Anzeigenteil auf. Es war ihr mit einem Mal klar geworden, dass sie von hier fort musste, zumindest für eine gewisse Zeit, aber sie musste dabei so zu Werke gehen, dass niemand den wahren Grund ahnte, der sie aus dem Haus trieb.

Sie überflog die Stellenangebote und wollte schon entmutigt die Zeitung weglegen, als ihr Blick auf einer kleinen Annonce haften blieb:

Schloss in Südtirol. Junge Frau gesucht für Fremdsprachenkorrespondenz und Nachhilfeunterricht. Angemessene Bezahlung und freie Station …

Ruth betrachtete voll Interesse die Anzeige. Sie war die einzige, die infrage kam, und sie selbst fühlte sich den Anforderungen durchaus gewachsen.

Kurz entschlossen holte sie ihre Schreibmappe und begann, ein Bewerbungsschreiben aufzusetzen. Sie brachte den Brief zur Post und trat, äußerlich völlig ruhig, auf ihre Mutter und Ahlsen zu, um sie zu begrüßen.

Nach dem Abendessen, als Ahlsen sich verabschiedet hatte, sagte sie unvermittelt: »Mama, ich möchte mir eine Stellung suchen.«

*

Drei Wochen waren seit jenem Nachmittag im Juni vergangen, und der Autobus, in den Ruth in Bozen umgestiegen war, hatte eine Passhöhe erklommen und fuhr nun auf einer schmalen Serpentinenstraße bergab. Es konnte nicht mehr weit sein bis zu ihrem Ziel.

Alles war schneller und reibungsloser abgelaufen, als Ruth es sich vorgestellt hatte. Frau Marianne hatte zwar über den Plan ihrer Tochter Erstaunen gezeigt, aber überraschend schnell ihrem Wunsch zugestimmt, zunächst ein wenig von der Welt zu sehen, ehe sie ihre Arbeit in der elterlichen Fabrik aufnehmen würde. Es schien, als sei sie sogar ein wenig erleichtert gewesen, Ruth zunächst aus dem Haus zu haben.

Eines Morgens Ende Juni war es dann so weit gewesen.

Marianne Meinert hatte Ruth zum Bahnhof gefahren und mit ihr auf die Abfahrt des Zuges gewartet. In diesem Augenblick hatte sie es zutiefst bereut, aus selbstsüchtigen Motiven ihre Einwilligung zu dieser Reise gegeben zu haben.

»Gib auf dich acht, Kind«, hatte sie leise gesagt. »Und denke immer daran, dass dein Elternhaus dir jederzeit offensteht.«

»Ich weiß, Mama. Mach dir keine Sorgen«, hatte Ruth geantwortet und versucht, das Gefühl von leiser Furcht zu unterdrücken, das in ihr aufgestiegen war. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie allein, auf sich selbst gestellt. Die Reise ins Ungewisse hatte begonnen Die Stimme des Fahrers unterbrach Ruths Gedanken.

»Sie müssen jetzt aussteigen!«, rief er, als der Bus sich einem Dorf näherte und gleich darauf vor einem Landgasthof hielt.

Ruth raffte ihre Gepäckstücke zusammen, kletterte aus dem Bus und nahm ihren Koffer entgegen, den der Chauffeur ihr reichte.

Wenig später setzte sich das Fahrzeug wieder in Bewegung und verschwand zwischen den Häusern der schmalen Dorfstraße.

Ruth stand allein vor dem Tor des Gasthauses und blickte verzagt um sich.

Niemand war zu sehen, obwohl sie den Zeitpunkt ihrer Ankunft genau angegeben hatte. Sie sah auf den schweren Koffer und die Tasche zu ihren Füßen und fühlte sich auf einmal unendlich verloren. Doch dann nahm sie sich zusammen. Sie trug ihr Gepäck in den dunklen Flur der Wirtschaft. Vielleicht wusste man dort Bescheid.

Als sie die Türklinke der Gaststube niederdrückte, wurde die Tür rasch von innen geöffnet. Ruth wäre beinahe mit einem Mann zusammengeprallt. Er war groß und schlank, und in seinem gebräunten Gesicht blinzelten auffallend helle Augen. Er trug eine schon reichlich abgeschabte Wildlederjacke und ein Hemd mit offenem Kragen.

»Verzeihung«, sagte Ruth verwirrt.

»Oh, keine Ursache«, erwiderte der Mann. »Mit hübschen jungen Damen stoße ich immer gern zusammen. Mein Pech, dass es nicht dazu gekommen ist.«

»Oder wir haben uns einen blauen Fleck erspart«, sagte Ruth trocken.

Der junge Mann schüttelte missbilligend den Kopf.

»Da fragen sich die jungen Damen, warum es keine Romantik mehr gibt. Kein Wunder, wenn sie selbst so nüchtern denken.«

Er betrachtete Ruth mit sichtlichem Wohlgefallen, und als sie nichts erwiderte, gab er ihr mit einer scherzhaft übertriebenen Verbeugung den Weg ins Gastzimmer frei.

»Bitte, treten Sie ein in die gute Stube!«

Ruth sah sich mit einem raschen Blick um.

»Ist da niemand?«, fragte sie enttäuscht. »Ich hätte gern eine Auskunft.«

»Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«

»Kennen Sie sich hier aus?«, fragte Ruth.

Der Mann lachte. »Ein wenig, ja.«

»Dann können Sie mir vielleicht sagen, wie ich von hier am bestem zum Schloss Wolfsberg komme.«

»O ja«, antwortete er rasch, während sein Blick auf Ruths umfangreiches Gepäck fiel. »Sie haben gewiss die Absicht, dort Ihren Urlaub zu verbringen.«

»Nein. Ich werde im Schloss Wolfsberg arbeiten.«

Der Mann warf Ruth einen überraschten Blick zu.

»Ist es sehr indiskret zu fragen, was Sie dort arbeiten wollen?

»Keineswegs«, entgegnete Ruth. »Genau weiß ich es allerdings selbst noch nicht. Ich glaube, ich soll hier so eine Art Hotelsekretärin sein.«

»Oh! Machen Sie sich von diesem Hotel nur keine großen Vorstellungen.«

»Ist es kein – gutes Haus?«, fragte Ruth ängstlich.

»Doch. Aber es ist kein Hotel«, entgegnete der Mann bestimmt. »Es ist ein altes Schloss, in dem man einige Zimmer hergerichtet hat und nun auf Gäste wartet, die es schick finden, in einem Schloss zu wohnen. Zum Unterschied von vielen Häusern dieser Art, versteht auf Wolfsberg kein Mensch etwas vom Gastgewerbe, einschließlich der guten Helene. Deshalb glaube ich kaum, dass das Unternehmen von großem Erfolg gekrönt sein wird.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht irre ich mich auch.«

»Außerdem soll ich einem Mädchen Nachhilfeunterricht geben«, berichtete Ruth weiter.

Der Mann lachte wieder. »Auch dazu wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Beatrix ist der größte Wildfang, den ich kenne. Aber lassen Sie sich durch meine düsteren Prognosen nicht abschrecken. Vielleicht gefällt Ihnen Ihre Tätigkeit dort sogar sehr gut.«

»Ich hoffe es«, antwortete Ruth zögernd. »Allerdings hatte ich erwartet, wenigstens abgeholt zu werden. Nun muss ich wohl versuchen, hier mein Gepäck einzustellen.«

»Das brauchen Sie nicht«, erklärte der Mann rasch. »Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin. Es ist nicht weit.«

»Wäre das nicht eine zu große Mühe für Sie?«

Statt einer Antwort ergriff der Mann Ruths Gepäck und ging mit raschen Schritten um das Haus herum, wo im Schatten eines Baumes ein weißer Sportwagen stand. Es war ein sehr teures Fabrikat, wie Ruth unwillkürlich feststellte.

Der Mann verstaute den Koffer und schloss die Tür auf.

»Bitte, steigen Sie ein!«, sagte er. Dann fuhr er die Hauptstraße entlang und bog schließlich in ein schmales staubiges Sträßchen ein, das sich steil und kurvenreich in die Höhe schlängelte.

»Sie scheinen sich ja sehr gut hier auszukennen«, bemerkte Ruth zögernd. »Ich weiß nicht einmal, wem das Schloss gehört. Das ging aus dem Antwortschreiben nicht klar hervor.«

»Da kann ich Ihnen gern Auskunft geben. Das Schloss ist seit Jahrhunderten im Besitz der Freiherren von Wolfsberg, einem alten Tiroler Adelsgeschlecht, dessen Besitz einmal sehr bedeutend war, aber …« – er zuckte mit den Schultern – »wie das oft mit Besitztümern geschieht, leider von Generation zu Generation kleiner geworden ist. Der jetzige Eigentümer, Andreas von Wolfsberg, ist auch kaum der Mensch, der diesen Verfall aufhalten kann. Er ist nie geschäftstüchtig gewesen und seit dem Tode seiner Frau überhaupt ein wenig sonderbar geworden. Seine einzige Tochter ist jene bereits erwähnte Beatrix.«

»Meine künftige Schülerin also.«

»Richtig. Die einzige Initiative in diesem Haus entwickelt Helene, Baron Wolfsbergs Schwägerin, deren Idee wohl auch die Errichtung der Schlosspension war.«

»Sie hat mir auch auf meine Bewerbung geantwortet«, warf Ruth ein.

»Mit ihr werden Sie wohl auch meist zu tun haben. Ich kann es mir nämlich nicht gut vorstellen, dass Baron Wolfsberg sich um Pensionsgäste kümmert. Mich wundert überhaupt, dass er seine Einwilligung zum Vermieten gegeben hat, wo doch Gäste möglicherweise seine geheiligte Ruhe und Beschaulichkeit stören könnten«, meinte er ein wenig spöttisch und fuhr fort: »Über die gute Helene sparen Sie mir bitte nähere Erläuterungen.« Er lachte. »Übrigens beruht meine Antipathie auf Gegenseitigkeit. Sie kann mich auch nicht ausstehen.« Er warf Ruth einen kurzen Blick zu. »Ich gebe Ihnen den guten Rat. Lassen Sie sich von ihr nicht zu viel gefallen. Sie liebt es nämlich, ihre Umgebung zu beherrschen, etwas, das ihr bei Andreas anscheinend bereits geglückt ist.«

Sie waren schon eine Weile an einer teilweise ziemlich abgeblätterten Mauer entlanggefahren. Nun wurde in der Ferne ein hohes, schmiedeeisernes Tor sichtbar.

»Ich werde hier stehen bleiben«, sagte der Mann, »und mich dann rasch aus dem Staub machen. Wie Sie bereits schon ahnen, stehe ich nicht besonders gut mit den Leuten hier, und es wäre unklug von Ihnen zu erwähnen, dass ich Sie hierhergebracht habe.«

Ruth lächelte. »Ich kann von Ihnen nichts erzählen, da ich nichts von Ihnen weiß.«

»Ich bitte um Entschuldigung für meine Nachlässigkeit«, sagte der Mann rasch. »Ich heiße Dieter Wolff, und ich hoffe sehr, dass ich Sie bald einmal wiedersehen werde.«

»Leben Sie hier?«

»Gelegentlich«, antwortete Dieter. »Ich habe hier in der Nähe ein kleines Haus. Und wenn Sie einmal etwas brauchen sollten, oder wenn die gute Helene es zu arg mit Ihnen treibt, dann kommen Sie unbesorgt.«

»Danke«, antwortete Ruth, fest entschlossen, es nie zu tun. »Nochmals Dank für alles. Sie haben mir sehr geholfen.«

Dieter schwang sich hinter das Steuer. »Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte er, »Frau …? Ich sehe, ich weiß noch weniger von Ihnen, als Sie von mir.«

»Meinert«, rief sie, »Ruth Meinert!«

»Danke«, sagte er und hob lachend die Hand. Im nächsten Augenblick war der Wagen in einer Staubwolke verschwunden.

Ruth öffnete das Tor und schritt langsam über den von Unkraut überwucherten Zufahrtsweg, neben dem sich ein verwilderter Park erstreckte, der die pflegende Hand eines Gärtners wohl schon lange entbehrte.

Das Schloss, das schließlich hinter einer Biegung des Weges sichtbar wurde, erwies sich als imposantes zweistöckiges Bauwerk, das links und rechts von zwei Ecktürmen flankiert wurde. Doch die barocke Fassade war vielfach abgeblättert. Zwischen den zum Teil geborstenen Stufen der Freitreppe wucherte Gras.

Ein Gefühl der Beklommenheit stieg in Ruth hoch. Besonders vertrauenserweckend sah dieses Haus wirklich nicht aus, und wie ein Hotel schon gar nicht.

Es dauerte geraume Zeit, ehe sich das schwere Eichentor auf Ruths Klingeln öffnete. Hinter einem drallen Bauernmädchen, das sich die Hände rasch an seiner Schürze abtrocknete, war eine große, mit Marmorplatten ausgelegte Halle zu sehen. Von einer holzgeschnitzten Decke hing ein riesiger Brabanter Lüster.

»Mein Name ist Meinert«, sagte Ruth. »Ich werde erwartet. Wollen Sie mich bitte dem Herrn Baron melden?«