Elisabeth und der verfemte Graf - Susanne Markus - E-Book

Elisabeth und der verfemte Graf E-Book

Susanne Markus

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Also, Frau Kronegger. Sie wissen Bescheid«, wiederholte Dr. Elisabeth Marval geduldig, während sie ihre große schwarze Tasche zuschnappen ließ. »Immer vor dem Essen eine Tablette, und vor allem unbedingt im Bett bleiben!« »Ja, Frau Doktor!«, sagte die alte Frau ergeben. »Das gilt auch für Sie, Kronegger!« Elisabeths Stimme wurde um einen Grad strenger. »Ihre Frau darf auf keinen Fall aufstehen. Sonst muss sie ins Krankenhaus, und das wollen Sie doch bestimmt nicht.« »Um Gottes willen, nein!«, rief der Bauer sichtlich eingeschüchtert. »Ich werde schon aufpassen auf die Barbara. Soll mir doch bald gesund werden.« »Das wird sie auch, wenn Sie tun, was ich Ihnen sage. – Und das Fenster dürfen Sie ruhig ein bisschen aufmachen. Frische Luft schadet Ihrer Frau nicht.« »Ja, Frau Doktor!« Der Bauer hastete zum Fenster, öffnete mühsam den verschlossenen Riegel und ließ den Flügel auf. Die stickige Luft, die sich beklemmend auf Elisabeths Brust gelegt hatte, wurde sofort ein wenig frischer. »Übermorgen komme ich wieder!« Sie hob mahnend den Finger. »Und schön folgen, Frau Kronegger!« Sie ging zu ihrem Wagen und atmete fast gierig die kühle Luft ein, die vom nahen Wald herüberstrich. Von gut gelüfteten Zimmern hielten die Bauern von Lichtenau immer noch nicht viel. Es war nicht immer einfach mit den Patienten in Lichtenau! Sie wusste das aus zahlreichen Erzählungen ihres Großvaters, und sie kannte sie selbst, seit sie als junge Studentin in ihren Ferien diesem in seiner Praxis geholfen hatte. Welch kuriose Dinge waren da schon passiert. Dem Beispiel ihres Großvaters folgend, hatte sie es sich angewöhnt, ihre Verordnungen nicht nur genau aufzuschreiben,

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Fürstenkrone – 114–

Elisabeth und der verfemte Graf

Hat sie ihr Herz an einen Mörder verloren?

Susanne Markus

»Also, Frau Kronegger. Sie wissen Bescheid«, wiederholte Dr. Elisabeth Marval geduldig, während sie ihre große schwarze Tasche zuschnappen ließ. »Immer vor dem Essen eine Tablette, und vor allem unbedingt im Bett bleiben!«

»Ja, Frau Doktor!«, sagte die alte Frau ergeben.

»Das gilt auch für Sie, Kronegger!«

Elisabeths Stimme wurde um einen Grad strenger. »Ihre Frau darf auf keinen Fall aufstehen. Sonst muss sie ins Krankenhaus, und das wollen Sie doch bestimmt nicht.«

»Um Gottes willen, nein!«, rief der Bauer sichtlich eingeschüchtert. »Ich werde schon aufpassen auf die Barbara. Soll mir doch bald gesund werden.«

»Das wird sie auch, wenn Sie tun, was ich Ihnen sage. – Und das Fenster dürfen Sie ruhig ein bisschen aufmachen. Frische Luft schadet Ihrer Frau nicht.«

»Ja, Frau Doktor!«

Der Bauer hastete zum Fenster, öffnete mühsam den verschlossenen Riegel und ließ den Flügel auf. Die stickige Luft, die sich beklemmend auf Elisabeths Brust gelegt hatte, wurde sofort ein wenig frischer.

»Übermorgen komme ich wieder!« Sie hob mahnend den Finger. »Und schön folgen, Frau Kronegger!«

Sie ging zu ihrem Wagen und atmete fast gierig die kühle Luft ein, die vom nahen Wald herüberstrich. Von gut gelüfteten Zimmern hielten die Bauern von Lichtenau immer noch nicht viel.

Es war nicht immer einfach mit den Patienten in Lichtenau! Sie wusste das aus zahlreichen Erzählungen ihres Großvaters, und sie kannte sie selbst, seit sie als junge Studentin in ihren Ferien diesem in seiner Praxis geholfen hatte. Welch kuriose Dinge waren da schon passiert. Dem Beispiel ihres Großvaters folgend, hatte sie es sich angewöhnt, ihre Verordnungen nicht nur genau aufzuschreiben, sondern noch einige Male zu wiederholen. Und nun, da sie erst vor zwei Wochen aus der Stadt gekommen war, wo sie an einem großen Krankenhaus ihr Medizinalassistentenjahr vollendet hatte und damit approbierte Ärztin geworden war, empfand sie den Unterschied zwischen diesen beiden so völlig verschiedenen Tätigkeitsbereichen umso deutlicher.

Trotzdem liebte sie Lichtenau und seine Bewohner. Sie sind manchmal wie Kinder, pflegte der alte Dr. Gall, ihr Großvater, der fast schon ein Leben lang Arzt in Lichtenau war, zu sagen. Und so muss man sie auch behandeln – bisweilen voll Strenge, aber mehr noch mit Geduld. Elisabeth war das alles nicht neu. Hier war sie, als ihre Großmutter noch lebte, zur Schule gegangen, hier hatte sie, als sie später im Internat war, sämtliche Ferien verbracht und den Großvater auf manchen Krankenbesuchen begleitet, und hier war der Entschluss in ihr gereift, selbst Ärztin zu werden.

Ihre Eltern waren mit ihrem Wunsch einverstanden gewesen, wie sie mit allem einverstanden waren, was zuerst von den Großeltern und dann von ihr selbst über ihr Leben bestimmt wurde. Sie wussten ihre Erziehung in guten Händen und waren zufrieden, damit nicht belastet zu sein. Denn ihre Eltern, das waren der berühmte Dirigent Erik Marval und die nicht minder berühmte Sängerin Gitta Gall, zwei Künstler, die von Gastspiel zu Gastspiel reisten, und deren Heimat die großen Opern- und Konzertsäle der Welt waren, wo sie gelegentlich sogar gemeinsam, meist aber jeder für sich, auftraten, so wie ihre Verträge es gerade vorschrieben.

Ein Kind hatte in diesem Leben nie Platz gehabt.

Elisabeth seufzte ein wenig, während sie die steinige Forststraße hinunterfuhr. Früher einmal hatte diese Erkenntnis sie geschmerzt. Nun war sie erwachsen, und es machte ihr nichts mehr aus.

Sie drehte die Scheinwerfer an, denn im Wald war es schon ziemlich dämmerig. Fünf Uhr. Obwohl es schon Mitte September war, hätte es eigentlich noch nicht so dunkel sein dürfen. Aber der Himmel, am Nachmittag noch ganz klar, hatte sich in den letzten zwei Stunden allmählich bezogen, und nun begannen sogar einzelne Tropfen auf die Windschutzscheibe zu klatschen.

Elisabeth stieg aus und klappte das Verdeck ihres kleinen Sportwagens hoch. Sie hatte noch ein gutes Stück bis Lichtenau zu fahren und wollte nicht nass werden.

Sie trat das Gaspedal ein wenig tiefer. Aber die Straße war steinig und voll von Rinnen und Löchern und erlaubte keine schnelle Fahrt. Außerdem hatte der Regen an Stärke zugenommen, und die Regenpfützen wirkten hemmend auf die Geschwindigkeit.

Ekelhaftes Wetter!, dachte Elisabeth.

Dabei hatte sie es doch so eilig. Die Straße schien kein Ende zu nehmen.

Auf einmal – sie befand sich etwa auf halber Höhe zwischen dem hochgelegenen Kroneggerhof und der Landstraße, die nach Lichtenau führte – begann der Motor ihres Wagens auf eigenartige Weise zu stottern. Erschrocken trat sie das Gaspedal durch, denn das Auto fuhr nur noch langsam und ruckartig. Doch es war zwecklos. Ein paar Meter noch, dann erstarb das Geräusch, und der Wagen rollte auf der abschüssigen Straße einfach dahin.

Geistesgegenwärtig trat Elisabeth auf die Bremse und lenkte das Fahrzeug behutsam zu einer einigermaßen ebenen Stelle am Straßenrand. Sie warf einen Blick auf das Armaturenbrett. Benzin – alles schien in Ordnung zu sein. Der Wagen war relativ neu. Sie hatte ihn erst im Vorjahr von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen und war noch nicht sehr viel damit gefahren, er hatte bis jetzt noch nie gestreikt. Draußen war es inzwischen ganz dunkel geworden, und es goss in Strömen.

Elisabeth schloss die Scheibe bis auf einen kleinen Spalt. Es war empfindlich kühl. Sie war eine sichere Autofahrerin, aber sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass sie vom Innenleben eines Motors herzlich wenig Ahnung hatte, denn das Wenige, was sie sich vor Jahren für die Fahrprüfung mühsam angeeignet hatte, war längst in Vergessenheit geraten.

Sie drehte den Zündschlüssel um, in der stillen Hoffnung, der Motor würde wieder anspringen. Doch es war vergebens.

Was soll ich bloß tun, dachte sie schon ein wenig verzagt. Unten in Lichtenau machte Großvater sich bestimmt schon Sorgen um sie, und Marianne wartete, um zum Zug gebracht zu werden.

Elisabeth sah auf die Uhr. Mariannes Zug fuhr um acht. Wenn sie sich beeilte, konnte sie es vielleicht zu Fuß schaffen, rechtzeitig nach Hause zu kommen: denn es wer ihr inzwischen klar geworden, dass ihr nur dieser Ausweg blieb, um nach Lichtenau zu kommen.

Sie nahm ihre Tasche, in der sich Medikamente und Instrumente befanden, und schloss sie im Kofferraum ein. Dann löschte sie das Licht und schloss den Wagen ab.

Schon nach wenigen Schritten war sie bis auf die Haut durchnässt, und das Wasser gluckste in ihren dünnen Schuhen. Sie lief, so schnell es die Finsternis und die Beschaffenheit der Straße erlaubte, und verwünschte ihr Missgeschick.

Der Regen prasselte so laut, dass sie das Motorengeräusch gar nicht hörte, das plötzlich hinter ihr laut wurde. Erst als die Scheinwerfer eines Wagens auf die Straße fielen, blieb sie stehen und wandte sich um.

Ein Auto! Welches Glück! Und das auf dieser einsamen Straße!, dachte sie erlöst und begann aufgeregt zu winken.

*

Im nächsten Augenblick war das Auto herangekommen und hielt neben ihr an.

Durch die rasch heruntergekurbelte Scheibe erschien im Licht der Scheinwerfer das Gesicht eines Mannes. Hätte Elisabeth es näher betrachtet, dann hätte sie bemerkt, dass es ein schmales Gesicht mit auffallend hellen Augen war, dessen jugendliche Züge gar nicht zu dem dunklen, mit vielen grauen Strähnen vermischtem Haar zu passen schienen. Doch Elisabeth war so glücklich, in dieser Einöde von Nässe und Finsternis einem Menschen zu begegnen, dass sie sein Aussehen überhaupt nicht beobachtete. Es kam ihr nur zum Bewusstsein, dass sie diesen Mann noch nie gesehen hatte.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er rasch.

»Oh«, rief Elisabeth atemlos, »ich hätte es nie zu hoffen gewagt, dass mir hier jemand begegnen würde. – Könnten Sie mich wohl bis zur Hauptstraße mitnehmen?«

»Selbstverständlich!« Der Mann beugte sich zur Seile, um die rechte Tür seines Wagens aufzumachen. Es war ein niedriger roter Sportwagen, ein ausländisches Fabrikat, wie Elisabeth feststellte. »Wohin möchten Sie denn?«

Elisabeth setzte sich neben ihn und strich sich das triefende Haar aus der Stirn.

»Nach Lichtenau. Leider streikt mein Wagen.«

Der Fremde, der schon losfahren wollte, wandte sich ihr überrascht zu:

»Ach, gehört Ihnen das Auto, das ein Stückchen weiter oben an der Straße steht? Ich wunderte mich schon.«

»Ja, ich verstehe nicht, was damit los ist. Es ist die erste Panne, die ich damit habe. Er blieb ganz plötzlich stehen und wollte um keinen Preis mehr weiter. Da entschloss ich mich, wohl oder übel, zu Fuß zu gehen.«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Sonderbar. Und Sie haben keine Ahnung, woran es liegen könnte?«, fragte er interessiert.

»Nein«, antwortete Elisabeth. »Der Motor begann zu bocken und nach einigen Metern stand er still.«

Der Fremde überlegte einen Augenblick, dann sagte er:

»Ich will Sie natürlich gern nach Lichtenau mitnehmen, aber trotzdem möchte ich Ihren Wagen vorher ansehen, ich verstehe einiges von Motoren, und oft handelt es sich nur um eine Kleinigkeit.«

»Ich weiß leider so gut wie nichts darüber«, gestand Elisabeth ein wenig beschämt. »Aber ich möchte wirklich nicht, dass Sie bei diesem Regen … Ich bin schon froh, wenn Sie mich bis Lichtenau bringen. Morgen hole ich dann einen Mechaniker.«

»Der Regen macht mir nichts aus. Ich will Ihnen auch nicht zu viel versprechen, aber einen Versuch könnte man ja machen.« Damit lenkte er seinen Wagen geschickt im Rückwärtsgang die Straße hinauf bis dorthin, wo Elisabeths Auto stand, das nun von den Scheinwerfern des roten Wagens hell beleuchtet wurde.

Der Mann – Elisabeth sah erst jetzt, dass er sehr groß und schlank war und eine braune Wildlederjacke trug – nahm ihren Schlüssel, schaltete die Zündung ein, prüfte die Kontrolllichter auf dem Armaturenbrett und versuchte, den Motor in Gang zu bringen. Nachdem ihm das missglückt war, öffnete er vorn die Haube und machte sich rasch und geschickt darunter zu schaffen. Nach einer Weile schüttelte er ratlos den Kopf und wandte sich an Elisabeth.

»Das Ganze ist mir wirklich ein Rätsel«, sagte er. »Ich kann beim besten Willen nichts finden.« Plötzlich hob er den Kopf. »Haben Sie eigentlich noch genug Benzin im Tank?«

Elisabeth sah ihn verwundert an.

»Aber bestimmt! Die Uhr zeigt ja noch fast eine halbe Füllung an. Ich habe zwar schon eine Weile nicht mehr getankt, aber …«

Der Mann zuckte die Achseln.

»Probieren geht bekanntlich über studieren. Ich habe einen Reservekanister im Kofferraum.«

Noch ehe Elisabeth ihn daran hindern konnte, hatte er ihn herausgenommen, die Verschlusskappe abgeschraubt und in den Benzintank ihres Wagens ein paar Liter des Treibstoffes gefüllt. Dann setzte er sich ans Steuer und drehte den Schlüssel herum.

»Aber die Uhr …«, rief Elisabeth. Doch ehe sie ihren Satz noch vollenden konnte, hörte sie das regelmäßige Geräusch des laufenden Motors, der wie eh und je funktionierte.

Lächelnd stieg der Mann wieder aus. Er sah auf einmal viel jünger aus.

»Aber die Benzinuhr … Sie zeigte doch …«, stammelte Elisabeth ratlos.

»Wenn ich Sie wäre, würde ich die Benzinuhr einmal nachsehen lassen. Sie scheint nicht in Ordnung zu sein.«

»Ich habe mich wirklich darauf verlassen«, murmelte Elisabeth verlegen, »und habe mich sogar noch gewundert, wie wenig Benzin mein Wagen braucht.«

»Nun, das hätte jeder andere wohl auch getan«, meinte der Fremde lächelnd. »Sie brauchen sich daher keine Vorwürfe zu machen, aber …« Plötzlich wurde sein Gesicht ernst und seine Stimme seltsam brüchig. »Es gibt viel schwerwiegendere Dinge, die einen im Leben im Stich lassen. Warum sollte es nicht einmal eine Benzinuhr tun?«

»Ich mache mir trotzdem Vorwürfe«, sagte Elisabeth in die plötzliche Stille hinein, »nämlich, dass Sie jetzt wegen meiner Nachlässigkeit ganz nass geworden sind. Es tut mir wirklich leid.«

»Ach, das bisschen Regen spielt doch keine Rolle, und meine Jacke wird auch wieder trocken. Deswegen machen Sie sich keine Sorgen. Sehen lieber Sie zu, dass Sie in trockene Kleider kommen, sonst erkälten Sie sich noch.«

Elisabeth sah beschämt an ihrem nassen Kleid herunter, das so sehr an ihrem Körper klebte, dass dessen Konturen deutlich sichtbar wurden.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte sie leise. »Darf ich Ihnen wenigstens das Benzin ersetzen?«

»Ich bitte Sie, das ist doch lächerlich. Wegen der paar Liter Benzin lohnt es sich nicht, ein Wort zu verlieren.«

»Also, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich herzlich zu bedanken.«

Ein paar Sekunden lang spürte sie den Blick seiner hellen Augen auf ihrem Gesicht, fühlte eine kleine heiße Welle zu ihrem Herzen strömen, das rascher zu klopfen begann.

Sie reichte dem Fremden die Hand.

»Auf Wiedersehen«, sagte sie leise.

Als seine Hand die ihre umschloss, bemerkte sie den schweren goldenen Ring mit dem gravierten dunklen Stein.

»Auf Wiedersehen«, erwiderte er, und es war Elisabeth, als zögere er, diese Worte auszusprechen. Einen Herzschlag lang kreuzten sich ihre Blicke. Täuschte sich das Mädchen, oder war das Gesicht des Mannes wirklich von seltsamer Trauer überschattet?

»Fahren Sie vor«, sagte er. »Ich folge Ihnen, damit ich sicher bin, dass Sie gut zur Hauptstraße kommen.« Dann schwang er sich rasch hinter das Steuer seines Wagens und ließ den Motor an.

Auch Elisabeth glitt auf ihren Sitz. Langsam beruhigte sich ihr heftig schlagendes Herz, kam in ihre kalten, bebenden Finger wieder ein wenig Wärme. Dann erforderte die Straße ihre ganze Aufmerksamkeit.

Doch auch als sie die Hauptstraße erreicht hatte und nach Lichtenau einbog, sah sie den Wagen des Fremden noch immer in ihrem Rückspiegel, dabei war sie sicher, dass er sie längst hätte überholen können. Erst als die Häuser von Lichtenau bereits in Sicht waren und sie zum Hause ihres Großvaters abbiegen musste, beobachtete sie, wie er auf der Hauptstraße weiterfuhr. Sie sah noch seine grüßende Hand, dann fuhr er an ihr vorbei, und gleich darauf waren auch die Schlusslichter seines Wagens ihren Blicken entschwunden. Eine Autonummer mit dem Kennzeichen des Landkreises, zu dem auch Lichtenau gehörte, war das Letzte, was in ihr Gedächtnis drang.

Doch Elisabeth verscheuchte die Gedanken, die gegen ihren Willen um den Mann kreisten, der ihr so hilfreich beigestanden hatte. Rasch und konzentriert fuhr sie weiter, und bald darauf lag vor ihren Blicken das alte Doktorhaus, das seit ihrer frühesten Jugend ihre Heimat war.

Kaum hatte Elisabeth ihren Wagen zum Stehen gebracht, als sie durch das geöffnete Wohnzimmerfenster im Parterre bereits eine aufgeregte Stimme hörte:

»Sie ist da! Endlich ist sie da!«

Gleich darauf erschien ihre Freundin Marianne im Türrahmen, gefolgt von dem alten Dr. Gall.

»Um Himmels willen, Elisabeth! Wo bist du so lange gewesen!«, riefen beide wie aus einem Mund, und Großvater Gall setzte hinzu:

»Du triefst ja vor Nässe! Wir haben uns schon die größten Sorgen um dich gemocht!«

Elisabeth ging ins Haus.

»Aber Großpapa«, sagte sie beruhigend. »Es ist gar nichts passiert. Mein Wagen blieb mitten auf dem Berg stehen, weil die Benzinuhr nicht funktionierte. Da ich mich auf sie verlassen hatte, war kein Tropfen Benzin mehr im Tank.

»Und wie bist du heimgekommen?«

»Ich hatte Glück. Ein Mann kam mit seinem Wagen zufällig vorbei und half mir aus der Patsche. Das alles dauerte natürlich seine Zeit. Aber ich war trotzdem sehr froh, denn ich sah mich schon zu Fuß nach Lichtenau marschieren.«

Dr. Gall atmete auf. Dann schüttelte er mit einem kleinen missbilligendem Lächeln den Kopf.

»Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert, obwohl ich seit über vierzig Jahren Auto fahre, ich sage ja immer: Die Frau am Steuer …«

Elisabeth legte ihren Arm zärtlich um seine gebeugten Schultern.

»Ich weiß, sie ist nicht geheuer! Aber nun bin ich ja unversehrt wieder hier, dank eines Kavaliers am Steuer.«

»Ja – aber nun zieh dich um. Ich werde Resi sagen, dass sie dir einen heißen Tee machen soll«, setzte er besorgt hinzu.

»Und wer war der hilfreiche Mann?«, fragte Marianne Held, Elisabeths langjährige Freundin und Studienkollegin, ein wenig neugierig, als sie mit Elisabeth die Treppe hinaufging.

Elisabeth fühlte, wie ihr Herz erneut um eine Spur rascher zu schlagen begann.

»Keine Ahnung«, antwortete sie jedoch betont gleichgültig.

Doch während sie sich in ihrem Zimmer von ihren durchnässten Kleidern befreite und eine lange Hose und einen warmen Pullover aus dem Schrank nahm, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu jenem Mann zurück, den sie, wie sie überzeugt war, noch nie gesehen hatte.

Was mochte einen Fremden auf die versteckte Forststraße geführt haben, die sonst den Holzfuhrwerken und den Fahrzeugen der in der Gegend wohnenden Bauern vorbehalten war? Ein Sommergast! Das wäre die einfachste Erklärung gewesen, aber wie kam ein solcher zu dieser Autonummer?

Sie frottierte ihr nasses Haar und föhnte es, bis es sich wieder in natürlichen Wellen um ihren Kopf zu legen begann.

Unsinn, sagte sie sich dabei. Es war sinnlos, über einen Menschen nachzugrübeln, den sie wohl nie im Leben wiedersehen würde. Wahrscheinlich hatte er sich den Wagen irgendwo geliehen. – Aber auch dieses Argument befriedigte sie nicht ganz. Sie verstand genug von Autos, um zu wissen, dass es sich hier um einen sehr teuren und ziemlich seltenen Wagen handelte, die konnte man für gewöhnlich nicht leihen.

Schließlich zwang sie ihre Gedanken energisch in eine andere Richtung. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ein leises Bedauern ihr Herz erfüllte.

Als sie später beim Abendessen saßen, fragte Dr. Gall:

»War sonst alles in Ordnung auf deinem Besuch?«

»Ja, alles. Das Herz der Kroneggerin ist schon bedeutend besser. Trotzdem habe ich ihr strikte Ruhe verordnet.«

»Hoffentlich wird sich der Kronegger das zu Herzen nehmen und wenigstens ein paar Tage ein bisschen arbeiten, statt nur in Lichtenau in der Wirtschaft zu sitzen, was ich aber stark bezweifle«, bemerkte Dr. Gall seufzend.

»Ich habe ihm angedroht, dass seine Frau sonst ins Krankenhaus müsste«, meinte Elisabeth lächelnd.

Der alte Arzt nickte seiner Enkelin liebevoll zu.

»Du bist ein tüchtiges Mädchen, Elisabeth, das bereits gelernt hat, wie die Lichtenauer zu behandeln sind.«

»Aber Großpapa, ich weiß genau, wie viel mir noch fehlt«, versetzte Elisabeth ein wenig verlegen. »Ich spüre es immer wieder, wie wenig Praxis ich noch habe. Dann bin ich froh, dass du in der Nähe bist und ich eine Entscheidung nicht allein treffen muss.«

»Auch das lernt man mit der Zeit, und ihr beide …«, sein Blick umflog die beiden Mädchenköpfe, den kastanienbraunen seiner Enkelin und den hellblonden Mariannes, »werdet es auch sehr bald geschafft haben. Marianne hat mir nämlich den ganzen Nachmittag in der Sprechstunde geholfen, obwohl es doch ihr letzter Ferientag ist. Und wenn man eine tüchtige Helferin hat, dann geht alles doppelt so schnell«, fügte er mit scherzender Anerkennung hinzu.

»Aber Herr Doktor! Ich habe doch kaum etwas getan!«, wehrte Marianne verlegen ab.

»Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen! Sie haben dem Hofer-Buben eine so lustige Geschichte erzählt, dass ihm der Gedanke, zu schreien, gar nicht gekommen ist, während Sie seinen gebrochenen Knöchel behandelten, und Sie sind mit den beiden Kindern des Melcherbauern so schnell fertig geworden, wie es mir noch nie gelang. Dabei gäbe es für eine junge Frau bestimmt Besseres, als einem alten Mann bei seinen Patienten zu helfen.«

»Ganz im Gegenteil! Es tut mir sogar sehr leid, dass meine Ferien heute zu Ende gehen. Ich bin sehr gern in Lichtenau.«

Dr. Gall sah wohlwollend auf die Freundin seiner Enkelin, die er auch schon seit einigen Jahren kannte.

»Dann kommen Sie nur recht bald wieder, Marianne.«

»Sehr gern, Herr Doktor. Aber nun muss ich oben noch meine Sachen in Ordnung bringen. Mein Koffer ist zwar schon gepackt …«

Elisabeth sah auf die Uhr.

»Wir haben noch genügend Zeit bis zu deinem Zug. Eine Tasse Kaffee kannst du schon noch trinken.«

»Lieber nicht«, wandte Marianne ein. »Trinkt nur allein. In der Zwischenzeit bin ich fertig.«

Dr. Gall sah ihr sinnend nach.

»Ein nettes Mädchen, wirklich. So freundlich und bescheiden, und dabei ist sie recht tüchtig. Schade, dass sie uns schon verlässt. Nun wirst du dich recht einsam fühlen. Lichtenau bietet einem Mädchen nicht viel, das an die Großstadt gewöhnt ist.