Das schreckliche Zebra - Klaus Cäsar Zehrer - E-Book

Das schreckliche Zebra E-Book

Klaus Cäsar Zehrer

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Beschreibung

Es gibt alte Fotos, die beflügeln auf höchst reizvolle Weise die Phantasie des heutigen Betrachters. Mal kurios, mal anrührend, stellen sie uns jedes Mal aufs Neue vor die Frage: Was um Himmels willen war da los? Klaus Cäsar Zehrer hat sich von solchen Bildern zu kurzen Geschichten, Szenen und Gedichten anregen lassen – von fein-zart bis beinhart, von poetisch bis bedenkenlos albern. Und Shakespeares 155. Liebessonett ist auch dabei.

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Seitenzahl: 131

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Klaus Cäsar Zehrer

Das schreckliche Zebra

Fotos und ihre Geschichten

Diogenes

Zum Geleit

Ü-BER-RA-SCHUNG!!

Wir sind’s, deine peinliche Verwandtschaft.

Du findest uns peinlich, weil uns nichts peinlich ist und dir alles. Dein Problem, nicht unsres.

Du hast uns nicht eingeladen, also sind wir eben ohne Einladung gekommen. Uns doc h egal, Hauptsache, wir sind da.

Du denkst, wir wären zurückgeblieben. Du bist viel weiter als wir, denkst du. Denk, was du willst. Aber denk bloß nicht, du hättest uns zu sagen, wo vorne und hinten ist.

Du würdest am liebsten nichts mit uns zu tun haben. Ja, das könnte dir wohl so passen.

Du hast keinen Spaß mit uns. Macht nichts, dafür haben wir welchen.

Alles klar so weit?

DANN KANN’s JA LOSGEHEN.

Die Trulla und der Eisbär

Eine Trulla verliebte sich einmal in einen Eisbären.

»Liebst du mich denn auch wirklich?«, fragte der Eisbär.

»Sehr sogar«, sagte die Trulla.

»Dann gib mir Geld«, sagte der Eisbär.

Die Trulla gab ihm alles Geld, das sie hatte, denn sie liebte ihn wirklich. Sehr sogar.

Der Eisbär kauf‌te sich von dem Geld einen Porsche und fuhr mit ihm gegen einen Baum. Totalschaden.

»Tja«, sagte der Eisbär. »Blöd.«

»Wie konnte das denn passieren?«, fragte die Trulla.

»Das Glatteis«, erklärte der Eisbär. »Wo ich herkomme, ist immer Glatteis. Für mich ist es sehr schwierig zu fahren, wenn kein Glatteis ist.«

»Da hättest du aber auch vorher dran denken können«, tadelte die Trulla.

»Mach du mich nicht auch noch fertig«, sagte der Eisbär. »Ich hab’s grad echt schon schwer genug.«

»Tut mir leid«, entschuldigte sich die Trulla. »Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache, dir ist nichts passiert.«

»So seh ich das auch«, sagte der Eisbär und küsste die Trulla an ihrer geheimen Stelle. Davon wurde sie immer ganz wuschig. Das wusste er.

»Hihihi«, machte die Trulla.

»Brrrummm«, machte der Eisbär. Das ist eisbärisch und heißt: »Hehehe.«

*

Hinterher saßen sie zusammen auf dem Balkon und spielten Scrabble.

»Das gilt nicht«, sagte die Trulla. »XÖV ist kein richtiges Wort.«

»Ist es wohl«, sagte der Eisbär.

»Und was bedeutet es?«, fragte die Trulla.

»Ungefähr dasselbe wie ›minderwertiges Getränk‹«, erklärte der Eisbär. »In Bayern sagt man das oft: ›Wos ist denn dös für a mieses Xöv?‹«

Die Trulla blätterte im Duden.

»Steht nicht drin«, sagte sie.

»Weil du noch eine Ausgabe mit der alten Rechtschreibung hast«, sagte der Eisbär. »Acht, sechzehn, zweiundzwanzig, doppelter Wortwert, macht vierundvierzig Punkte. Du bist dran.«

Die Trulla legte ein E vor das Wort IN und schrieb einen Punkt für sich auf.

»Gut gesehen!«, lobte der Eisbär, fischte mit seiner Pranke Buchstaben aus dem Beutel und legte, ohne zu zögern, das Wort JYCZQÜÄ.

»Was soll denn das schon wieder sein?«, fragte die Trulla.

»Das ist das Geräusch, das eine Robbe macht, wenn man in sie reinbeißt«, sagte der Eisbär.

»Hab ich ja noch nie gehört«, sagte die Trulla.

»Schätzungsweise deshalb, weil du noch nie in eine Robbe gebissen hast«, sagte der Eisbär. »Ich aber, und zwar schon oft. So, dann wollen wir mal: Sechs, zehn doppelter Buchstabenwert also zwanzig, vier, drei, zehn, sechs und noch mal sechs sind zusammen fünfundfünfzig mal dreifacher Wortwert plus fünfzig fürs leere Bänkchen macht nach Adam Riese und Eva Zwerg haargenau …«

»Beschiss! So ein elender Beschiss!«, rief die Trulla zornig und bewarf den Eisbären mit Buchstaben.

»Aua!«, rief der Eisbär.

»Bist du verletzt?«, fragte die Trulla erschrocken.

»Geht schon wieder«, sagte der Eisbär und küsste die Trulla an ihrer geheimen Stelle.

»Hihihi«, machte die Trulla.

»Brrrummm«, machte der Eisbär.

Was das heißt, wisst ihr ja schon.

Hinterher schauten sie zusammen Fernsehen.

»Möchtest du noch ein paar Fischli?«, fragte die Trulla.

»Immer«, sagte der Eisbär.

»Also, ich glaube, der Taxifahrer ist der Mörder«, sagte die Trulla. »Wie der schon guckt.«

»Geil«, sagte der Eisbär.

»Was?«, fragte die Trulla.

»Die Kommissarin«, sagte der Eisbär. »Irgendwie find ich die geil.«

»Ach so«, sagte die Trulla. »Ich dachte schon, du meinst die Wasserleiche. Dass du die geil findest.«

»Ja, die auch«, sagte der Eisbär. »Aber die Kommissarin find ich noch geiler.«

»Weißt du was?«, fragte die Trulla. »Manchmal denke ich, du bist gar kein Eisbär.«

»Sondern?«, fragte der Eisbär.

»Ein Mann, der in einem Eisbärenkostüm steckt«, sagte die Trulla.

»Du verrücktes kleines Ding du«, sagte der Eisbär. »Auf was für Gedanken du immer kommst.«

Dann küsste er die Trulla an ihrer geheimen Stelle usw.

*

Hinterher fuhren sie zusammen an die Ostsee.

»Ich hab Hunger«, sagte der Eisbär. »Mal sehen, ob’s hier irgendwo eine Robbe zum Reinbeißen gibt. Kommst du mit?«

»Nee, ich hatte grade erst Pommes«, sagte die Trulla und räkelte sich faul im Strandkorb.

Als er alleine durch die Dünen wanderte, traf der Eisbär eine wunderschöne Frau.

»Ich glaub, ich kenn Sie«, sagte der Eisbär. »Sind Sie nicht die Kommissarin aus dem Krimi?«

»Ja, das bin ich wohl«, lächelte die Kommissarin und fühlte sich geschmeichelt, weil der Eisbär sie erkannt hatte.

»Wissen Sie was? Ich find Sie total geil«, gestand der Eisbär. »Allein schon Ihr Style: Blümchenkleid, weiße Socken und Gesundheitssandalen. Da steh ich total drauf, ehrlich.«

»Das hat noch nie ein Bär zu mir gesagt«, flüsterte die Kommissarin errötend.

»Sie sind viel geiler als die Wasserleiche«, bekräftigte der Eisbär. »Und, ehrlich gesagt, auch geiler als die Trulla.«

»Ach, Sie Charmeur«, wisperte die Kommissarin wie benommen.

»Obwohl Sie reich, berühmt und wunderschön sind, schlägt in Ihrer Brust ein einsames Herz, das Nähe sucht«, sagte der Eisbär.

»Und wie sensibel Sie sind«, hauchte die Kommissarin, beinahe darniedersinkend.

»Ist meine große Stärke. Ein Eisbär spürt so was«, sagte der Eisbär und nahm sie in den Arm.

*

Nun sind die Kommissarin und der Eisbär schon lange ein Paar. Tagsüber fängt er Robben, während sie Mordfälle aufklärt, und abends küsst er ihre geheime Stelle. Denn auch Kommissarinnen haben eine geheime Stelle, die sie wuschig macht.

*

Die Trulla ist inzwischen mit dem Taxifahrer zusammen. Zum Glück hatte sich herausgestellt, dass er doch nicht der Mörder war. Weil mit einem Mörder, also nein, das ginge echt nicht.

Zufälle

FRAU WUTTKE Guten Tag, Frau Lehmann! Wie geht’s?

FRAU LEHMANN Ach, hallo, Frau Wuttke! Das ist ja ein Zufall, Sie ausgerechnet hier zu treffen!

FRAU WUTTKE Warum Zufall? Ich wohne doch hier im Haus!

FRAU LEHMANN Tatsächlich? So ein Zufall! Ich wohne auch hier im Haus! Im zweiten Obergeschoss!

FRAU WUTTKE Aber das weiß ich doch, Frau Lehmann. Ich wohne ja auch im zweiten Obergeschoss.

FRAU LEHMANN Sagen Sie bloß! Dann sind wir ja Nachbarinnen, Frau Wuttke!

FRAU WUTTKE Seit zwölf Jahren, Frau Lehmann.

FRAU LEHMANN Ja, ist denn das die Möglichkeit? So eine riesengroße Stadt – und dann sind ausgerechnet Sie und ich Nachbarinnen. Unglaublich, was für Zufälle es gibt.

FRAU WUTTKE Nun hören Sie doch mal auf, alles für Zufall zu halten, Frau Lehmann. So wie neulich, als Sie mir ganz aufgeregt erzählt haben, Sie hätten eine Feuerwehrsirene gehört. Und ich habe gesagt: Ich habe auch eine Feuerwehrsirene gehört. Und dann haben Sie gesagt: Das ist ja ein Zufall!

FRAU LEHMANN War’s ja auch.

FRAU WUTTKE Warum? Es ist doch völlig normal, dass wir beide die Sirene hören.

FRAU LEHMANN Ja, aber nicht im selben Moment! Das war doch der Zufall: Dass wir genau im selben Moment eine Feuerwehrsirene gehört haben. Wenn ich, sagen wir, heute eine Feuerwehrsirene höre und Sie hören, sagen wir, in drei Jahren eine, dann ist das kein Zufall, würde ich sagen. Aber dass wir genau im gleichen Augenblick, in derselben Sekunde – verstehen Sie? Das war doch der Zufall!

FRAU WUTTKE Ach, lassen Sie mich in Ruhe mit Ihren ewigen Zufällen. Ich muss zum Bahnhof, meine Cousine abholen.

FRAU LEHMANN Sie haben eine Cousine? Na, das ist nun aber wirklich ein Zufall! Ich habe nämlich auch eine Cousine! Wie heißt denn Ihre Cousine?

FRAU WUTTKE(ungeduldig) Heike. Würden Sie mich nun bitte –

FRAU LEHMANN Heike! Ich werd verrückt! So einen Zufall kann man sich gar nicht ausdenken: Meine Cousine heißt Meike! Und wo wohnt sie, Ihre Cousine?

FRAU WUTTKE(kurz angebunden) In Essen.

FRAU LEHMANN Jetzt bin ich aber baff. Sie werden’s mir nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, wo meine Cousine wohnt.

FRAU WUTTKE(gelangweilt) Und zwar?

FRAU LEHMANN(feierlich eine große Sensation verkündend) In … Rüsselsheim!

FRAU WUTTKE Na, so was.

FRAU LEHMANN Nicht zu fassen, oder? Rüsselsheim, das liegt in Hessen. Heike – Meike. Essen – Hessen. Was für ein Zufall!

FRAU WUTTKE(ironisch) Fas-zi-nie-rend.

FRAU LEHMANN Sagen Sie mal, Frau Wuttke: Was macht Ihre Cousine eigentlich beruf‌lich?

FRAU WUTTKE Sie ist Molekularbiologin und schreibt gerade ihre Doktorarbeit zum Thema »Acetylcholin als postganglionär-parasympathischer Neurotransmitter der penilen Erektion«.

FRAU LEHMANN(eingeschüchtert) Aha. Klingt interessant.

FRAU WUTTKE Ist es auch.

FRAU LEHMANN Und diese, diese … Neuro … Neurotanz … also, diese Mittel … was ist das noch mal genau?

FRAU WUTTKE Neurotransmitter sind Botenstoffe des Nervensystems.

FRAU LEHMANN(plötzlich wieder hellwach) Nein! Das ist ja ein Zufall! Frau Wuttke, Ihre Cousine und meine müssen sich un-be-dingt kennenlernen!

FRAU WUTTKE Wieso? Ist Ihre Cousine zufälligerweise auch Molekularbiologin?

FRAU LEHMANN Nein, aber sie arbeitet in einem Teppichladen und weiß sehr viel über Bodenstoffe.

UNBEKANNTER HERR Entschuldigen Sie bitte die Störung, die Damen, aber ich habe Ihnen zufällig zugehört …

FRAU WUTTKE(kühl) Ja, bitte?

UNBEKANNTER HERR Ich wollte nur sagen, ich habe einen Cousin, der heißt Eike.

FRAU LEHMANN(unbeeindruckt) Und? Weiter?

UNBEKANNTER HERR Er arbeitet auf dem Bau und ist ein Fachmann für Betonstoffe.

FRAU LEHMANN Was haben wir damit zu tun?

UNBEKANNTER HERR Nix, nix … Verzeihung … (verzieht sich eilig)

FRAU LEHMANN Tss, Leute gibt’s …

FRAU WUTTKE Ja, es wird immer schlimmer hier in dieser Gegend. Also dann, passen Sie gut auf sich auf, Frau Lehmann!

FRAU LEHMANN Werd ich machen, Frau Wuttke! Schönen Tag noch, und grüßen Sie Ihre Cousine!

Rede an den Vater

Zupacken kann er, mein Vater, das will ich ihm gerne konzedieren. Tüchtigkeit ist ja die Tugend des Ochsen. Dass ich ihm das einmal, im Eifer eines Meinungsstreits, kurz und hart an den Kopf geworfen habe, bedaure ich noch heute. Ich hätte mein Blut besser kühl gehalten. Andererseits war er selbst es gewesen, dieser grobgeschnitzte Bauernschädel, der mich mit seinen unbeherrschten Anwürfen überhaupt erst zu Widerworten getrieben hatte.

 

»Ihr seid doch stinkfaule Säck, all middenanner«, so und ähnlich pflegt er zu zetern, wenn er aus der Haut fährt, weil wir wieder einmal seinen Erwartungen nicht entsprochen haben, und allein schon der Mangel an Unterscheidung würde rechtfertigen, die Dinge mit einer beherzten Gegenrede ins rechte Maß zu rücken. O dass er doch Ohren hätte, sie zu hören!

 

Klaus-Dieter und Ernst, meine älteren Brüder, ja, bei denen kann ich’s wohl verstehen, wenn er sie Nichtsnutze nennt. Wie die beiden Gecken sich sogar werktags herausputzen, das will auch mir nicht gefallen. Und gar nicht erst anfangen will ich von ihrer Zecherei. Kein Glas ist ihnen groß genug, es wird ihnen immer leer. Glaube mir, Vater, würdest du dich darauf besinnen, deine Gardinenpredigten nur vor den beiden zu halten, du könntest auf mich als Verbündeten zählen!

 

Auch Peterle, das Nesthäkchen in unserer Familie, bietet zu mancherlei berechtigtem Tadel Anlass. Sein ganzes Bestreben richtet sich darauf, den nächsten Unsinn auszuhecken. Dass seine dummen Lausbubenstreiche niemandem als ihm selbst Spaß bereiten, bekümmert ihn nicht, und mitunter denke ich, es könnte nicht schaden, ihm noch deutlicher zu verstehen zu geben, wie sehr er die Nervenkostüme aller strapaziert.

 

Aber ich, Vater! Wie kannst du es wagen, meine guten Absichten mit derart schroffer Geringschätzung zu strafen! »Dä Fridolin, des is dä Allerschlimmste von alle«, so hörte ich dich einmal am Gartenzaun der Nachbarin klagen, als du mich gerade in der Reitschule wähntest. »Dä geht mer villeischt uff de Weggä mit seim ehwische Geglimber.«

 

Wenn du wüsstest, wie tief ins Herz mich deine Worte trafen! Ich wünschte, ich könnte dir begreif‌lich machen, dass mein Mandolinenspiel – mein »Geklimper«, um bei deinem bösen Ausdruck zu bleiben – keinen minderen Wert besitzt als deine Arbeit, deren sinnreiche Bewandtnis ich ja auch nicht in Abrede stelle. Denn sieh, es ist doch so: Um der Winterskälte zu trotzen, braucht der Mensch nicht nur Wärme in den Knochen, er braucht Wärme ebenso in der Seele. Jene spendet ihm der Ofen, diese die Kunst. Ich bin nicht gewillt, das eine über oder unter das andere zu setzen, und alles, worum ich dich, Vater, bitte, ist, es ebenso zu halten.

 

So lasse ich dich fleißig Brennholz spalten, damit wir genügend Scheite haben, uns über die eisigen Monate hinwegzuhelfen. Und lass du mich im Gegenzug nur fleißig üben, auf dass wir, wenn die dunklen Abende in der Stube uns lang zu werden drohen, auch an Melodien reichlichen Vorrat besitzen. Wenn Fleiß zu Fleiß sich gesellt, ist zum guten Ende für alles gesorgt.

 

Das, Vater, ist es, was ich dir zu sagen habe. Und dies, nur dies eine noch: Nein, ich kann jetzt nicht Unkraut jäten. Ich habe mir ja eben erst die Hände eingecremt.

»Kapiert kein Mensch«

Ein Gespräch mit Theaterregisseur Sebastian Roedelhovenüber preiswürdige Sperrmüllentsorgung,stumme Rapper und Hexen als Kriminalitätsopfer

Herr Roedelhoven, Ihr Faust am Stadttheater Pasewalk wurde von der Fachzeitschrift Theater heute zur schlechtesten Inszenierung des Jahres gekürt. Was bedeutet das für Sie?

 

Also, da stört mich jetzt ehrlich gesagt so ein bisschen die Formulierung »Ihr Faust«. Als ob das alles nur die Einzelleistung von Sebastian Roedelhoven gewesen wäre. Sie müssen bedenken, dass hinter einem solchen Projekt immer ein größeres Team steht, angefangen von einem Ensemble aus wirklich sagenhaft miesen Schauspielern bis hin zur Bühnenbildnerin, die ihre alten Terrassenmöbel von zu Hause mitgebracht und im Bühnenvordergrund abgestellt hat, nur um die Sperrmüllgebühren zu sparen. Das hat alles zum verheerenden Gesamteindruck beigetragen. Aber darüber redet niemand.

 

Das haben Sie ja jetzt getan. Trotzdem, als Regisseur sind Sie der Hauptverantwortliche für das Desaster. Deshalb noch einmal: Wie wichtig ist Ihnen die Auszeichnung?

 

Was soll ich sagen? Im Grunde war uns schon nach der Premiere klar, dass uns etwas Außergewöhnliches gelungen ist. Die eine Hälfte des Publikums ist in der Pause rausgegangen, und die andere hat nur deshalb bis zum Schluss durchgehalten, um uns ausbuhen zu können. Aber natürlich, diese überregionale Würdigung jetzt, das ist schon noch mal eine tolle Bestätigung. Gerade wenn man bedenkt, wie hart die Konkurrenz ist, wie viele grauenhafte Inszenierungen es im letzten Jahr im deutschsprachigen Raum gegeben hat, dann dürfen wir, glaube ich, schon alle ein bisschen stolz sein.

 

Das Szenenfoto zeigt den berühmten Moment, als Faust Gretchen auf der Straße anspricht: »Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?« Sie haben zwei Gretchen nebeneinander auf die Bühne gestellt. Warum?

 

Das ist ein Missverständnis. Bei den beiden handelt es sich um Faust eins und Faust zwei. Gretchen ist die in der Mitte, die mit dem Anzug und den kurzen Haaren.

 

Ein interessanter Regieeinfall: Sie machen die beiden Seelen sichtbar, die in Fausts Brust wohnen, eine helle und eine dunkle. Und indem Sie ihn in Frauenkleidern zeigen, spielen Sie auf sein Ringen um Identität und Selbsterkenntnis an, während Sie Gretchen aus ihrer voremanzipatorischen Rolle als naives Dummchen befreien.

 

Ach, Quatsch mit Soße. Ich mag Transen. Mehr steckt nicht dahinter.

 

Mephistopheles – ganz rechts – ist bei Ihnen ein Rapper und zugleich ein Pantomime. Lassen Sie mich raten: Sie mögen auch Rap und pantomimische Darstellungen. Richtig?

 

Falsch. Mir geht beides total auf die Nerven. Aber es gab schon unzählige Faust-Inszenierungen, bei denen Mephisto seine Texte rappt, und mindestens ebenso viele, bei denen er sie pantomimisch zum Ausdruck bringt. Ich wollte ausprobieren, was passiert, wenn beides zugleich geschieht.

 

Rappen ohne Worte? Wie soll das gehen?

 

Ja, eben. Es geht überhaupt nicht. Mephisto hampelt und strampelt einfach nur herum und bewegt dazu stumm die Lippen. Was das soll, kapiert kein Mensch.

 

Hätte man sich im Grunde auch vorher denken können, oder?