Das Tao der Pferde - Karsten Kulms - E-Book

Das Tao der Pferde E-Book

Karsten Kulms

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Beschreibung

Was hat der Taoismus, eine uralte chinesische Philosophie, mit der modernen Haltung und dem Umgang mit Pferden zu tun? In diesem Buch geht es vor allem um den achtsamen Umgang mit dem Pferd vom ersten Moment der Begegnung uber das Putzen, Satteln und Vorbereiten bis zur konkreten Trainingssituation. Angesprochen sind alle Reiter, die auf der Suche nach einem intensiven, harmonischen Verhältnis zu ihrem Pferd sind.

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Das Tao der Pferde

 

Über den achtsamen Umgang mit dem Pferd

Von Pferden lernen heißt leben lernen

„Das Allerweichste auf Erden überholt das Allerhärteste auf Erden.Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das, was keinen Zwischenraum hat.Daran erkennt man den Wert des Nicht-Handelns.Die Belehrung ohne Worte, den Wert des Nicht-Handelns erreichen nur wenige auf Erden.“

(Laotse)

 

Karsten Kulms

Das Tao der Pferde

 

Über den achtsamen Umgang mit dem Pferd

 

 

Der Autor, der Verlag und alle anderen an diesem Buch direkt oder indirekt beteiligten Personen lehnen für Unfälle oder Schäden jeder Art, die aus den in diesem Buch dargestellten Übungen entstehen können, jegliche Haftung ab.

Achten Sie immer auf die entsprechende Sicherheitsausrüstung für sich selbst.

 

 

 

Copyright © 2013 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: Hantsch & Jesch PrePress Services OG, Wien

Coverfoto: Susanne Retsch-Amschler

Fotos im Innenteil: Christiane Slawik, Fotolia, Chewell/Antje Kulms

Zeichnungen: Susanne Retsch-Amschler; Kalligrafien: Yasmin Jeng-Zeitz

Lektorat: Alessandra Kreibaum

 

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

 

ISBN: 978-3-8404-1031-4 (Print)

ISBN: 978-3-8404-6113-2 (EPUB)

 

www.cadmos.de

Karsten Kulms ist ausgebildeter Tierheilpraktiker mit dem Behandlungsschwerpunkt Pferde. In vielen Seminaren hilft er Reitern, Fahrern und anderen Pferdesportlern, einen direkten, unmittelbaren Zugang zu ihrem Pferd zu bekommen, um die Grundlage für ein vertrauensvolles und erfolgreiches Miteinander zu schaffen.

Vorab

So geheimnisvoll uns der Ferne Osten und seine Weisheitslehren erscheinen, sind die jahrtausendealten Erkenntnisse und Prinzipien der chinesischen Philosophie des Taoismus auch in unserer modernen Zeit eine wertvolle Bereicherung unseres Lebens.

Das Tao der Pferde soll keine neue Reitlehre sein, sondern möchte eine Art der mentalen Vorbereitung für jede Art der Beschäftigung mit dem Pferd sein. Es wendet sich mit seinen Überlegungen an alle Reitweisen und Pferderassen, an den ambitionierten Freizeitreiter ebenso wie an aktive Sportreiter und Profis. Dabei geht es in diesem Buch allein um den achtsamen Umgang mit dem Pferd − vom ersten Moment der Begegnung über das Putzen, Satteln und Vorbereiten bis zur konkreten Trainingssituation − und die vielen Vorteile, die sich aus einem achtsamen Zusammensein für Reiter und Pferd ergeben.

 

Über dieses Buch

„Das Nicht-Handeln üben: So kommt alles in Ordnung.“

(Laotse)

Was hat der Taoismus, eine uralte chinesische Philosophie, mit der modernen Haltung und dem Umgang mit Pferden zu tun, werden Sie sich vielleicht fragen.

Die Absicht dieses Buches ist es nicht, ein weiterer, vielleicht etwas exotischer Ratgeber in der überbordenden Masse der Pferdeliteratur zu sein. Vielmehr wenden sich die Ausführungen und Gedanken dieses Buches an diejenigen, die auf der Suche nach einem intensiven, harmonischen Verhältnis zu ihrem Pferd sind, ohne sich dabei verbiegen zu müssen oder in eine esoterische Ecke gedrängt zu werden.

Ziel ist es, im ganz alltäglichen Umgang mit dem Pferd − gleich ob im Sattel oder vom Boden − eine Methode des gegenseitigen Verstehens und Austausches anzuwenden, die das Verhalten des Pferdes nicht vermenschlicht. Denn unsere vierbeinigen Sport- und Freizeitpartner sind eben Pferde und keine Menschen.

Bei allen meinen Lehrgängen, die ich schon zum Thema der Verständigung mit Pferden gehalten habe, zeigt sich immer wieder, dass der Reiter ganz entscheidend selbst bestimmt, ob sein Pferd ihn verstehen kann oder nicht. Der Einfluss, den Sie ab dem ersten Moment der Kontaktaufnahme auf Ihr Pferd haben, ist dabei immer unsichtbar. Gerte, Longe, Hilfs- und andere Zügel verhindern durch ihre Unnachgiebigkeit eine verlustfreie Kommunikation zwischen Pferd und Reiter. Denn das, was Sie von ihm möchten, vermitteln Sie immer nur durch Gedanken und dynamische Informationen. Es ist, als wollten Sie einer Person im Nebenzimmer etwas durch die Wand hindurch zurufen. Da aber die dynamischen Schallwellen die starre Wand nur schwer durchdringen können, wird das nicht funktionieren. Auf diese Weise kann auch ein statisch am Sattel befestigter Ausbinder als Gegenstand nicht reagieren. Wenn er überhaupt eine Information auf das Pferd übertragen kann, dann allenfalls die Information „Schmerz im Maul“. Dadurch, dass ein Ausbinder aber keine Information vom Pferd an den Reiter zurückgeben kann, nehmen Sie sich eine wichtige Informationsquelle und beschneiden damit Ihre eigenen Möglichkeiten, auf das Pferd einzugehen.

Je mehr Leder, desto weniger kann sich das Pferd entfalten und desto weniger können Sie es somit verstehen!

Der Pferdetrainer Michael Geitner bringt es auf den Punkt:

„Was wir von den Pferden verlangen, können sie schon. Wir müssen nur lernen, es ihnen zu sagen.“ An diesem Satz ist viel Wahres dran. Denn was unterscheidet das imposante Drohverhalten eines Hengstes oder das Spielen eines Wallachs mit Artgenossen von den Lektionen, die unsere Pferde in der Reitbahn oder in der Reithalle leisten sollen? Oder anders ausgedrückt: Wir können von den Pferden nichts verlangen oder ihnen beibringen, wozu sie aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage sind und was sie nicht schon längst wissen.

 

Im Leben einer Pferdeherde spielt Kommunikation der Herdenmitglieder untereinander eine entscheidende Rolle, um ein sicheres Leben im Schutz der Gemeinschaft zu gewährleisten. Kommunikation ist daher auch der Schlüssel für den sicheren Umgang des Menschen mit seinem Pferd. (© Slawik)

 

Dabei stellt sich bei der intensiven Arbeit am und mit dem Pferd, egal ob vom Boden oder im Sattel, bisweilen die nicht so kuriose Frage, wer eigentlich wen beeinflusst, der Mensch das Tier oder das Tier den Menschen.

Beobachten wir uns einmal selbst: Von dem Moment an, wenn wir unser Pferd von der Weide holen, um mit ihm zu arbeiten, lässt uns das Pferd, ohne selbst auch nur einen Muskel anzuspannen, wie eine Marionette hin und her springen, ohne dass es uns bewusst ist und wir darüber nachdenken.

 

Vor dem Reiten

Wir putzen von links, von rechts, wir laufen nach dem Sattel, nach der Trense, und haben, ohne es zu bemerken, oft bereits etliche Hundert Meter an Bewegungsstrecke zurückgelegt, ohne dass unser Pferd sich selbst auch nur einen Zentimeter bewegen musste.

 

Nach dem Reiten

Wir führen das Pferd von der Halle oder dem Reitplatz zurück in den Stall, schleppen den Sattel an seinen Platz, waschen die Trense aus und bringen sie weg, laufen nach der Putzkiste, dann noch rasch die Weidedecke aufgelegt, und bis das Pferd endlich wieder im Stall oder auf der Weide steht, sind vom Reiter nochmals viele Strecken zurückgelegt worden.

Jetzt werden Sie vielleicht sagen: „Aber ich muss doch mein Pferd für die Arbeit vorbereiten, es satteln und nachher noch versorgen.“ Das ist natürlich völlig richtig und notwendig und oft auch gar nicht anders machbar. Aber versetzen Sie sich einmal in die Wahrnehmung Ihres Pferdes: Ohne dass es sich bewegt, flitzen Sie wie ein Diener um das Tier herum. Ein Pferd lernt aber in der Herde, und sei sie noch so klein, dass derjenige, der von einem anderen „bewegt“ wird, nie selbst die Führung übernehmen kann. Eine Leitstute treibt ihre Herde stets vor sich her, an der Tränke genügt ein Blick, eine Geste, um rangniedrigere Tiere zu bewegen, großzügig Platz zu machen. Auch der Futterplatz eines ranghohen Tiers wird lediglich mit einem kurzen Anlegen der Ohren beansprucht und frei gemacht.

Mit wenigen Signalen, ohne Schläge oder andere „Hilfsmittel“, werden Absprachen und Abläufe organisiert. Auch im Zusammensein der Pferde in einer Herde ist es immer die Information, die den Willen eines ranghöheren Pferdes auf die übrigen Tiere überträgt. Und keine Gerte oder sonst ein Hilfsmittel.

Wenn Sie jetzt Ihr Verhalten mit den Augen Ihres Pferdes beobachten, muss Ihr vierbeiniger Sportsfreund zu der Überzeugung kommen, dass Sie ein rangniedrigeres Herdenmitglied sind, das allein schon durch seine pure Anwesenheit in hektische Aktion verfällt. Haben Sie im Sattel Platz genommen, soll Ihr Pferd plötzlich für die Dauer der Reitstunde in Kauf nehmen, sein Leben und seine Sicherheit Ihnen, einem „rangniederen“ Herdenmitglied, anzuvertrauen und sich durch Sie bewegen zu lassen?

Nachdem Sie im Vorfeld durch Ihr Verhalten bewiesen haben, dass Sie Ihr Pferd als den selbstverständlich Ranghöheren anerkennen? Das wäre für Ihr Pferd etwa das Gleiche, als wenn Sie für eine gefährliche Hochgebirgswanderung den Kapitän eines Küstenschiffes von der Nordsee als Bergführer engagieren würden. Natürlich sind das Satteln und Trensen notwendige Vorarbeiten, um eine Reitstunde zu absolvieren. Aber die Tatsache der andersartigen Interpretation Ihres Verhaltens durch das Pferd bleibt dennoch bestehen.

Dieses Buch will Ihnen mithilfe der chinesischen Philosophie des Taoismus, einer uralten fernöstlichen Weisheitslehre, neue Wege aufzeigen, Ihr Pferd mit einfachen Mitteln und ohne den Einsatz mechanischer Hilfen − die im Verständnis des bisher Gesagten keine wirklichen „Hilfen“ sein können − zu verstehen. Durch die andersartige Sichtweise dieser Philosophie bekommen Sie bei gleichzeitig gesteigerter Konzentrationsfähigkeit völlig neue Möglichkeiten an die Hand, um Ihr Pferd in seiner Art und Weise zu verstehen und somit pferdegerechter mit ihm umzugehen.

Eine merkwürdige Begegnung

Der letzte Auslöser für mich, dieses Buch zu schreiben, war ein Kunde von mir, eine schon äußerlich äußerst imposante Erscheinung mit asiatischen Gesichtszügen und langem, glattem, pechrabenschwarzem Haar. Er suchte mich zur Behandlung seines Hundes in meiner Tierheilpraxis auf. Glauben Sie mir − im ersten Moment dachte ich, ein leibhaftiger Nachfahre des legendären Mongolenführers Dschingis Khan säße in meiner Praxis – und damit lag ich gar nicht falsch, wie sich später herausstellte.

 

Pferde sind bis heute für das Überleben der Nomaden in den innerasiatischen Steppen unverzichtbar. In der Wahrnehmung und im Alltag dieser Menschen wird das Pferd somit zum selbstverständlichen Mittelpunkt ihres Daseins. (© Thomas Sereda – Fotolia.com)

 

Nachdem die Behandlung abgeschlossen war, erzählte er noch lange von seiner asiatischen Heimat und seinen Wurzeln. Sie können sich meine Verwunderung vorstellen, als er mir seinen Stammbaum erklärte, der in direkter Linie tatsächlich auf den großen Mongolenfürsten zurückzuverfolgen ist.

Dieser Mann begeisterte mich mit sehr tiefgründigen Einsichten in die Grundlagen der chinesischen Philosophie des Tao des berühmten chinesischen Arztes und Gelehrten Laotse. Im Verlauf unserer weiteren intensiven Gespräche begriff ich, dass die Erkenntnisse dieser Lehre in ganz wunderbarer Art und Weise auch und gerade auf Tiere im Allgemeinen und Pferde im Besonderen anzuwenden sind.

Daraufhin begann ich, mich eingehend mit dieser zunächst zugegebenermaßen sehr fremden und in einer merkwürdig blumigen Sprache geschriebenen Lehre auseinanderzusetzen – natürlich immer mit den Pferden im Hinterkopf. Zu meinem eigenen Erstaunen fand ich schnell heraus, dass sich aus den Ausführungen der Schriften dieses Philosophen unglaublich verblüffende Hinweise und Ansichten herauslesen lassen, die in einem merkwürdig intensiven Bezug zur Wahrnehmung von Pferden und auch zur Beziehung Mensch–Pferd stehen.

 

Das Tao der Pferde

Pferde und Tao

Das Pferd im alten China

„Die vor alters tüchtig waren als Meister, waren im Verborgenen eins mit den 4200 unsichtbaren Kräften.“

(Laotse)

Die Beschäftigung mit den alten Schriften der asiatischen und vor allem der chinesischen Dynastien und Herrscherfamilien zeigt, dass das Pferd damals gleich in mehrfacher Hinsicht eine weitaus wichtigere Funktion hatte, als es im modernen China nach außen hin den Eindruck macht. Das betrifft nicht nur seine praktische Verwendung als Last-, Reit- und Zugtier in der Landwirtschaft und zu Kriegszwecken, sondern besonders seine Wertschätzung in Kunst und Religion. Denn als „Geschöpf des Himmels“ folgt es in der chinesischen Mythologie gleich hinter dem Drachen, der auch heute noch als das heiligste Tier der chinesischen Geisteswelt angesehen wird.

Zeitgleich mit der Domestizierung des Pferdes der alten Ägypter, Babylonier und Assyrer und etwa 3800 Jahre vor den Schriften Xenophons (circa 440 v. Chr.) begannen auch chinesische und innerasiatische Völker, das Pferd für ihre Zwecke dienstbar zu machen. Die Domestikation des Pferdes hat somit eine ihrer tiefen Wurzeln auch in Asien!

Hier muss ich nun für einen Moment ein wenig wissenschaftlich werden, bevor wir uns wieder dem Tao der Pferde zuwenden: In Asien, dort, wo sich heute Nordchina und die Mongolei auf Tausenden von Quadratkilometern über endlose Steppengebiete und einsame, unzugängliche und unwirtliche Bergregionen erstrecken, beginnt circa 4200 Jahre vor unserer Zeitrechnung die gemeinsame Geschichte von Mensch und Pferd. Die Nutzung dieser kleinen struppigen Pferde war in der kulturellen Entwicklung der Menschen dieser Region ein großer Schritt nach vorn. Denn durch den Einsatz dieser Tiere war es den Menschen nun möglich, größere Strecken schneller zu überwinden, Lasten zu transportieren und landwirtschaftliche Methoden zu verbessern. Die Qualität der Pferde und die reiterlichen Fähigkeiten waren − nicht nur in China − bis zur Erfindung der Schusswaffen häufig auch kriegsentscheidend. Nicht nur als Arbeitstier, Fleisch- und Milchlieferant, wurden Pferde schon frühzeitig auch zu Repräsentationszwecken gezüchtet und daraus resultierend zum Symbol für Freiheit, Kraft, Schnelligkeit und vor allem Macht.

Nach dem aktuellen Stand der Forschung ist das Pferd trotz der hohen kulturellen Bedeutung, die ihm im kaiserlichen China der verschiedenen Herrscherdynastien zukam, dort nicht einheimisch. Vielmehr verweisen die chinesischen Schriftquellen auf die Mongolei und das östliche Tibet als die Gebiete, aus denen das Wildpferd ursprünglich nach China kam. Man kannte die Wildpferdejagd, und in seltenen Fällen wird in Orakelschriften auch die Verwendung von Pferden als Opfertiere erwähnt. „Pferdeseher“ und Priester, sogenannte „Wu – Ma“, orakelten aus der Lage der Opfertiere nach deren Tötung die Zukunft, beschwörten Geister oder heilten Kranke.

Erst mit Beginn des zweiten Jahrtausends v. Chr. finden wir die geplante Pferdezucht als kulturelle Errungenschaft, vermutlich von den Völkern aus dem Westen und Nordwesten Chinas übernommen.

Alten Überlieferungen ist weiterhin zu entnehmen, dass das Pferd im alten China bereits etwa um das Jahr 2070 v. Chr. als Haustier, und hier zunächst zu Essenszwecken, gehalten wurde − anders als etwa in Japan, wo das Pferd nie als Nahrungsmittel Verwendung fand.

 

Die kleinen, zähen Pferde der innerasiatischen Steppen waren an die rauen Bedingungen ihrer lebensfeindlichen Umwelt bestens angepasst und spielten auch für die Entwicklung der chinesischen Kultur und Zivilisation einstmals eine wichtige Rolle.

 

Aber erst sehr viel später, seit etwa 1600 v. Chr., setzte sich die Verwendung des Pferdes als Zugtier vor dem Wagen oder Karren durch. Und erst 1300 Jahre später, in der Zeit um 300 v. Chr., erfolgte seine Verwendung als Reittier, und zwar durch die Vermittlung der Reitervölker Innerasiens beziehungsweise der Inneren Mongolei.

In den Anfängen noch weit vom Ideal der klassischen Reitkunst nach unseren Vorstellungen entfernt, wurde das Pferd zunächst hauptsächlich zu militärischen Zwecken genutzt. Doch ungeachtet seines Verwendungszwecks erfreute sich das Pferd einer allgemeinen hohen spirituellen Wertschätzung. Und das kam so:

Das Pferd aus dem Nordwesten

Alte chinesische Schriften berichten, dass zur Zeit der Westlichen Han-Dynastie (200 v. Chr. bis 9 n. Chr.) der große chinesische Entdecker und Gelehrte Zhang Qian (? bis 114 v. Chr.) durch die weiten Steppen Zentralasiens in den fernen Westen reiste. Die Menschen dort erzählten ihm von „Blut schwitzenden Pferden“, denen nachgesagt wurde, sie seien die stärksten und ausdauerndsten Pferde der Welt und könnten eine Strecke von 1000 Meilen an einem Tag zurücklegen. Zhang Qian hatte nichts Eiligeres zu tun, als schleunigst seinem Kaiser Wu Di (157 bis 87 v. Chr.) davon zu berichten. Der Kaiser erkannte sofort die strategische Bedeutung solcher Pferde für die Schlagkraft seiner Armee. Er überrannte das Gebiet und gelangte in den Besitz ausgesprochen kräftiger, wendiger und schneller Pferde. Ob sie allerdings tatsächlich 1000 Meilen am Tag zurücklegen konnten, darüber schweigen die alten Schriften.

Die erbeuteten Pferde müssen derart leistungsfähig gewesen sein, dass Kaiser Wu Di diese Tiere in seinen Dichtungen als „überirdisch“ bezeichnete und ihnen außergewöhnliche Eigenschaften wie Bewusstsein und Gefühle, aber auch Allmacht zuerkannte. Seither wurde und wird das Pferd in der chinesischen Mythologie als Wesen des Himmels dargestellt. Auch im wichtigsten Buch des Taoismus, dem I Ging (Yi Jing), auf das später noch einzugehen sein wird, lautet eine Prophezeiung, dass das „himmlische Pferd aus dem Nordwesten kommen wird“.

In der chinesischen Mythologie war das Pferd der Sonne gleichgesetzt und folgte nach dem Drachen als das zweitheiligste Tier. Einige Schriften weisen das Pferd sogar als den Ahnherren des Menschen aus, und es spielte eine wichtige Rolle im Ahnen- und Totenkult des alten China. Es wurde als von der Erde geboren angesehen, wodurch es im chinesischen Denken deutlich aufgewertet wurde. Diese kurze Beschreibung der Bewertung des Pferdes im alten China zeigt, dass seine immaterielle, spirituelle Wertschätzung weit über seinen praktischen, alltäglichen Nutzen als Zug- und Lasttier hinausging.

 

Pferd