Das Thomasevangelium - neu gelesen - Renate Siefert - E-Book

Das Thomasevangelium - neu gelesen E-Book

Renate Siefert

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Beschreibung

Das viel beachtete und kommentierte Evangelium nach Thomas, warum sollte es einmal neu gelesen werden? Das Thomasevangelium ist eine Sammlung von Logien, Sprüchen, die Jesus zu seinen Lebzeiten mit seinen Jüngern geteilt hat. Sein Schüler Thomas hat sie aufgezeichnet. Diese Spruchsammlung ist somit ein Dokument erster Hand, da es älter ist als die Evangelien der Bibel. Jahrhunderte galt es als verschollen, bis 1945 eine alte Klosterbibliothek in einem Tonkrug verschlossen in Nag Hammadi in Oberägypten gefunden wurde. Das Dokument ist auf Papyrus geschrieben und in koptischer Sprache verfasst, wie sie um die Zeitenwende in Ägypten gesprochen wurde. Der Text ist faszinierend und verwirrend zugleich; faszinierend, weil wir Meisterworte hören, verwirrend, weil der Meister nie beim Thema bleibt. Wie durcheinander gewürfelt hinterlassen die Sprüche in uns vieles, über das man nachdenken sollte, aber ein Gesamteindruck der Lehre Jesu entsteht nicht. Nun war es seinerzeit durchaus üblich, geheime Botschaften verschlüsselt weiterzugeben. Bestünde also die Möglichkeit, dass die Gespräche Jesu mit seinen engsten Vertrauten, den Jüngern, hier getarnt als Spruchsammlung vorliegen? Die Autorin hat das alte Dokument neu übersetzt und die Logien in einen Sinnzusammenhang gebracht. So können wir den alten Text neu lesen und werden Zeugen einer Geheimlehre, die Jesus seinen Jüngern offenbart: Ein Einweihungsweg, der männliche und weibliche Energie in uns verschmelzen lässt, die Geburt des Lichtmenschen, ein Quantensprung des Bewusstseins. Wir finden in dieser Ausgabe das Thomasevangelium als Spruchsammlung und als narrativen Text mit Kommentar. Die Botschaft Jesu IHR SEID LICHT wird sowohl auf dem Hintergrund der Gnosis betrachtet als auch in Übereinstimmung mit den Geheimlehren buddhistischer und hinduistischer Traditionen gefunden. Nicht nur das: Heute bestätigt die Quantenphilosophie die Entstehung der Materie aus Licht, wie der Meister sie in diesem alten Dokument vor 2000 Jahren gelehrt hat.

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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

I. METHODE UND WAHRHEIT

Zum Geleit

Hermeneutik als eine Methode existenziellen Verstehens

Anmerkungen zur Übersetzung des Thomas-Evangeliums

Das Thomasevangelium – eine Geheimlehre

Wurde der Text dieser Geheimschrift bewusst durcheinander gewürfelt, um ihn vor unerwünschten Zugriffen zu schützen?

II. DAS EVANGELIUM NACH THOMAS NARRATIVER TEXT

Evangelium nach Thomas

Prolog

Die Ernte ist groß – es gibt wenig Arbeiter

Das Königreich des Vaters

Wer die Welt gefunden hat, der hat eine Leiche gefunden

Welche Vorschriften sollen wir beachten

Reichtum und Armut

Die Pharisäer sind ohne Erkenntnis

Ich bringe Feuer und Schwert

Sie werden euch hassen und verfolgen

Wenn jemand mit sich eins ist, wird er mit Licht gefüllt sein

Wenn ihr die Zwei zu Einem macht, werdet ihr eingehen in das Reich

Die kostbare Perle finden

Der Vater schuf den Menschen als sein Abbild

Ich bin das Licht, das über allem ist

Wir wissen, dass du von uns gehen wirst

Selig ist, wer war, bevor er wurde

III. KOMMENTAR

Kommentar: Ein altes Evangelium – neu gelesen

Prolog: Ein Versprechen tiefer Erkenntnis

Das Königreich des Vaters ist in euch

Gesetzestreue nur zum Schein schadet der Seele

An mir scheiden sich die Geister

Wer mir nachfolgt, lebt gefährlich

Werdet wie Kinder: vertrauensvoll, unverfälscht und ursprünglich

Überwindung der Dualität durch Verschmelzung

Jesus lehrt eine Meditationshaltung

Sucht den Funken Licht in euch

Ihr seid Lichtmenschen, eurem Vater ähnlich

Ich bin das Licht, der Ursprung von Allem

Engel und Propheten werden euch zur Seite sein

Selig sind, die den Weg tapfer gegangen sind

Die Botschaft des Thomasevangeliums: Ein neuer Mensch, eine neue Weltordnung

IV. DAS THOMASEVANGELIUM IM KONTEXT SEINER ZEIT

In welchem Kontext befindet sich das Thomasevangelium?

Die Gnosis: Überwindung der Dualität durch Erkenntnis

Das Apokryphon des Johannes: die Lehre vom vollkommenen Menschen

Das Weltbild der Gnosis

Das Lied von der Perle

Das gnostische Christentum wurde verfolgt und verboten

V. DAS THOMASEVANGELIUM: EINE BOTSCHAFT FÜR UNSERE ZEIT

Existenzphilosophie

Die geheime Lehre Jesu im Lichte der Lehren von Hinduismus, Taoismus und Buddhismus

VI. EIN QUANTENSPRUNG DES BEWUSSTSEINS: DIE VERSCHMELZUNG DER GEGENSÄTZE

Die Verschmelzung der Gegensätze: ein Quantensprung des Bewusstseins

Geheimlehren: Die Macht, enorme Energien zu beherrschen

Ein Tropfen Licht – die Quantenphysik bestätigt

VII. DAS EVANGELIUM NACH THOMAS: DIE SPRUCHSAMMLUNG, WIE SIE GEFUNDEN WURDE

ANHANG

Anmerkungen

Literatur

Renate Siefert

Weitere Veröffentlichungen

I. METHODE UND WAHRHEIT

Zum Geleit

Mein Weg mit dem Thomasevangelium hat eine längere Geschichte. Ich studierte Anfang der 1960er Jahre Theologie in Marburg und Berlin. Ein Schwerpunkt waren Vorlesungen und Seminare bei Ernst Fuchs zum Neuen Testament. Fuchs war seinerzeit Schüler von Rudolf Bultmann und Martin Heidegger gewesen. Aus dieser Zeit verband ihn auch eine Freundschaft mit dem Philosophen Hans Georg Gadamer, der ebenfalls ein Schüler Heideggers war.

Beide Wissenschaftler vertieften unser Verständnis der Geisteswissenschaften als Verstehenswissenschaften durch ihre Forschungen zur Hermeneutik. Geisteswissenschaften arbeiten mit dem Wort; sie bemühen sich um das Verstehen von Texten. Dies alles bedarf einer Interpretation, einer Übersetzung, die Verstehen schaffen soll. „Hermeneutik“, das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet: Übersetzung, Transfer, Übermittlung. Das ist, wenn man es genau nimmt, eine ernsthafte Sache. Zumal wenn es – wie in der Theologie – um Glaubensfragen geht. Wie treffe ich nun das Gemeinte, wenn ich beispielsweise einen Text aus einer fremden Sprache übersetzen soll? Und, gäbe es ein Korrektiv, wenn ich mich geirrt hätte? Bei einem 2000 Jahre alten Text kann ich den Verfasser nicht fragen, ob er sich richtig verstanden fühlt. Aber ja, dieses Korrektiv gibt es. Es ist der „hermeneutische Zirkel“, ein Kreis, den ich schließen sollte, wenn ich mich an eine fragwürdige Übersetzung oder Interpretation gewagt habe. Dann befrage ich den Kontext nach einem bestätigenden Sinnzusammenhang.

Nach diesen Studien richtete sich mein Interesse auf einen Fund aus dem Wüstensand: 1945 hatten Fellachen, Bauern, in Oberägypten nahe Nag Hammadi einen großen Tonkrug gefunden. Er barg dreizehn in Leder gewickelte Papyrusbündel, offenbar eine alte Klosterbibliothek. Die Papyri zeigen Dokumente in koptischer Schrift. Koptisch ist die Sprache der Ägypter zur Zeit der Zeitenwende, die nun nicht mehr in Hieroglyphen geschrieben wurde, sondern in einer dem Griechischen ähnlichen Schrift. Der Fund war aufsehenerregend, vermutete man doch darin Zeugnisse christlicher Lehren, die älter waren als die Schriften des Neuen Testaments. Ägypten war sehr früh christianisiert worden und gilt – neben Syrien – als die Wiege des christlichen Mönchtums. Eine Klosterbibliothek sorgfältig verschlossen in einem Tonkrug und im Gebirge verborgen. Warum? Wir wissen, dass die Schriften der Bibel, wie sie uns vorliegt, um das Jahr 350 nach Chr. von den Kirchenvätern zusammengestellt wurde und seitdem als verbindliches Gedankengut christlichen Glaubens gilt. Wir wissen auch, dass es viele weitere schriftliche Zeugnisse des frühen Christentums im östlichen Mittelmeerraum gegeben hat. Und wir wissen, dass christliche Glaubensgemeinschaften verfolgt wurden, die solch heilige Schriften ehrten. Es ist also denkbar, dass um die Mitte des 4.Jahrhunderts diese Bibliothek in Sicherheit gebracht werden musste und durch Zufall nun, in unserer Zeit, ans Licht kam.

Nun, ich wollte diese Schriften lesen. Da galt es erst einmal Koptisch zu lernen. Im Fachbereich Altorientalistik – Ägyptologie fand ich meinen Lehrer, Prof. Helmuth Jacobsohn. Er hatte gerade keine Schüler im Bereich Koptologie und gab mir Einzelunterricht. Der erste größere Text, den wir dann lasen, war das Thomasevangelium. Es war einer der wenigen in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bereits herausgegebenen und lesbar gemachten koptischen Texte der Bibliothek von Nag Hammadi. Man kann sich gut vorstellen, dass so alte und lange gelagerte, vielleicht früher bereits viel benutzte Papyri Gebrauchsspuren aufweisen, vielleicht auch teilweise zerstört sind und Lücken haben, sodass sie erst einmal präpariert und transkribiert werden müssen, um für uns lesbar zu sein.

Ich erinnere mich gut an die Stunden, die wir mit der Entschlüsselung des koptischen Textes vom Evangelium nach Thomas verbrachten, eine Sammlung von Sprüchen, die Thomas, ein Jünger Jesu, mitgeschrieben hat, wenn der Meister sprach. Manche Logien erschienen mir befremdlich, wie das, wo der Mensch Löwe wird, wenn der Löwe ihn frisst, oder die zuweilen recht kämpferischen Äußerungen, die man nicht unbedingt von Jesus erwartet hätte. Nachhaltig beschäftigte mich das Logion 2: „Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er sich findet. Und wenn er sich findet, wird er erschüttert sein. Und wenn er so tief bewegt ist, wird er Wunderbares erleben und übernatürliche Kräfte haben.“ Helmuth Jacobsohn war ein Freund von Carl Gustav Jung, dem Psychoanalytiker in Zürich. Er deutete dieses Logion als den Weg der Individuation, einem inneren Weg zu sich selbst, wie ihn Jung beschreibt. Auch Logion 42: „Werdet Vorübergehende!“ prägte sich mir ein und tauchte in vielen Lebenssituationen immer mal wieder in verschiedenen Variationen auf: Werdet Wanderer, bleibt unterwegs! Insgesamt aber blieb der Eindruck, dass man über viele Worte Jesu aus dieser Logien-Sammlung nachdenken sollte; nur blieb mir kein nachhaltiger Eindruck des Gesamtwerkes als eines Evangeliums, einer Botschaft.

Ich hatte mir gewünscht, an der Herausgabe der Bibliothek von Nag Hammadi mitzuarbeiten. Doch Helmuth Jacobsohn meinte irgendwann zu mir: „Das wäre eine Möglichkeit. Aber so, wie ich Sie in diesen Semestern kennen gelernt habe, würde ich denken, Sie sollten Ihr Leben nicht in Bibliotheken verbringen. Sie sollten unter die Menschen gehen und, wenn irgend möglich, eine psychotherapeutische Richtung einschlagen.“ Das war ein guter Rat. Nun arbeite ich seit 45 Jahren als Psychotherapeutin und Homöopathin.

„Begegnung am Vogelsberg“ nennt sich ein Symposion, bei dem sich jährlich Homöopathen, Theologen, Naturwissenschaftler und andere Interessierte treffen mit der Idee, die Homöopathie in einem größeren geistigen Horizont sehen zu wollen. So stand dann auch die Gnosis zur Diskussion und man fragte mich, ob ich einen Vortrag halten würde über das Weltbild der Gnosis, wie es sich in den Schriften des frühen Christentums aus Nag Hammadi zeigt. Nach einem kurzen Durchatmen sagte ich zu. Meine Studien der Koptologie liegen immerhin 50 Jahre zurück – aber ich habe die Herausgabe der Texte und der ganzen Bibliothek immer verfolgt. So kam es, dass ich erneut eintauchte in die Materie und sie nahm mich schnell wieder gefangen.

Hermeneutik als eine Methode existenziellen Verstehens

Wie ich eingangs schon bemerkte, fühle ich mich durch meine neutestamentlichen und philosophischen Studien der Hermeneutik verbunden. Ernst Fuchs und Hans-Georg Gadamer waren für mich wegweisend. Geisteswissenschaften sind Verstehens-Wissenschaften. Sie schaffen Verstehen, sei es durch Auslegung von juristischen Gesetzestexten, sei es durch Interpretationen literarischer Schriften, von Lyrik, von historischen Dokumenten, sei es durch Übersetzung von Literatur aus fremden Sprachen. Verstehens-Wissenschaften arbeiten mit dem Wort, sie bringen die Dinge verstehend, erklärend, erläuternd, begreifend ins Wort. Ein Wort ist keine mathematische Formel, es ist nicht eindeutig. Es hat eine gewisse Lebendigkeit, es hat Anmutungen, Färbungen, Wärme oder Kälte, Sanftheit oder Schärfe. Hermeneutik, wie gesagt, vom griechischen „hermeneuein“, bedeutet: Übersetzen, transferieren, überbringen, rüberbringen. Es soll etwas rübergebracht werden. Denken wir an „Hermes“, den Götterboten.

Nach Gadamer ist Hermeneutik aber nicht nur eine erforderliche Methode für geisteswissenschaftliches Arbeiten, es ist auch eine existenzielle Daseinsform im Sinne Heideggers. „Wer einen Text verstehen will, ist vielmehr bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher muss ein hermeneutisch geschultes Bewusstsein für die Andersheit des Textes von vornherein empfänglich sein.“ Zudem soll dieses Bewusstsein in der Lage sein, bei dieser Arbeit das Recht eines Textes auf sachliche Wahrheit sorgfältig zu beobachten und eigene Ansichten und Vorurteile im Hintergrund zu belassen. Nur so kann der Text sich in seiner Andersheit darstellen. (Anm.1)

Wer immer sich ans Interpretieren begibt, wird damit zum Diener an der Sache, ist aber zugleich mit seinem ganzen Sein, seiner Erfahrung, seinem Denken, seiner Intuition und seinem Spüren gefordert. Auch seine Einfälle sind erwünscht. Ob nun diese der Sache dienen oder abwegig sind, zeigt ihm der hermeneutische Zirkel. Er besagt: Man muss das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstehen. Das ist die hermeneutische Regel, die ihre Wurzeln bereits in der antiken Rhetorik hat. (Anm.2) Einer guten Arbeit im Sinne der Hermeneutik merkt man an, dass der Interpret zu Gast war in einem „morphischen Feld“ – im Sinne Rupert Sheldrakes und dort die geistige Schöpfung, die ein Text immer ist, aufgesucht hat. Das gibt dem Text Ausstrahlung, es lässt ihn frei. Anders ist es, wenn sich der Interpret des Textes bemächtigt, um möglicherweise selber zu strahlen; dann verliert der Text an Leben. In jedem Falle wird die Persönlichkeit des Interpreten, sein Denken, sein Fühlen, sein Sprachempfinden seine Arbeiten prägen.

Hier zwei Beispiele einer Übersetzung der ersten Worte der Bibel, 1. Mose 1, 1-5:

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: „Es werde Licht“ – und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (Martin Luther)

Und Martin Buber übersetzt:

„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war Wirrnis und Wüste. Finsternis allüber Abgrund. Braus Gottes brütend allüber den Wassern. Da sprach Gott: „Licht werde!“ Und Licht ward. Und Gott sah das Licht, dass es gut war. So schied Gott zwischen dem Licht und der Finsternis. Dem Licht rief Gott: „Tag!“ Und der Finsternis rief er: „Nacht!“ Abend ward und Morgen ward: Ein Tag.“ (Anm.3)

Martin Luther hat gut und verständlich übersetzt; Martin Buber lebte in der hebräischen Sprache und bringt deren Dynamik in den Text. Das Brausen Gottes, das heiße Brüten, sein lautes Rufen: „Tag! „Nacht“! Wir erleben ein Naturereignis, wie einen Vulkanausbruch oder einen Tsunami. Es tobt und tost. Das kann Sprache.

Nun ist es ja in der Erforschung der Zeugnisse des frühen Christentums ein wichtiges Anliegen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu befragen. Davon hängt schließlich Glaube und Unglaube ab. Es steht die Wahrheit der Verkündigung Jesu auf dem Spiel. Das bedarf gesicherter Methoden, historisches Material zu bearbeiten. Seit der Aufklärung ist der Verstand das Maß aller Dinge und oberstes Gebot wissenschaftlichen Arbeitens: durch Zweifel langsam zur Wahrheit zu gelangen. „So bezweifelt grundsätzlich die methodische Wissenschaft alles, woran man überhaupt zweifeln kann, um auf diese Weise zur Sicherheit ihrer Resultate zu gelangen“. (Anm.4)

Die Forschungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts zu den neutestamentlichen Schriften, also den Schriften, die Zeugnis ablegen zu Leben und Lehren Jesu, füllen ganze Bibliotheken mit solchem Material. Kein Autor einer Schrift, dessen Autorenschaft nicht angezweifelt wird, kaum eine Aussage, die so ganz gewiss nicht von Jesus geäußert wurde. Und so steht dieses Herangehen der Forschung absolut auf dem Boden der Aufklärung und ihrer „Entmachtung der Überlieferung“. (Anm.5)

Bei Germanisten kursieren da solche Sprüche wie: „Hier irrt Goethe. Er liebte in diesem Jahr nicht Lotte, sondern Christiane.“ Ein Interpret weiß es eben besser.

Anmerkungen zur Übersetzung des Thomasevangeliums

Die koptische Handschrift des Thomasevangeliums aus dem Fund von Nag Hammadi ist das einzige vollständige Dokument, das von diesem Evangelium existiert. Im Nachhinein hat man drei, fünfzig Jahre zuvor ebenfalls in Ägypten gefundene, Bruchstücke in griechischer Sprache als Teile des Thomasevangeliums identifizieren können. Ursprünglich wurde das Evangelium in griechischer Sprache verfasst, wobei Jesus Aramäisch sprach und die ersten Aufzeichnungen wohl aus seiner direkten Umgebung stammen. (Anm.6)

Der Verfasser wird Didymus Judas Thomas genannt. Da ist Judas der eigentliche Name, Thomas bedeutet auf Aramäisch „Zwilling“ und Didymus ist die griechische Bezeichnung für „Zwilling“ und scheint den nicht aramäisch sprechenden Leser zu informieren, dass es sich hier um einen Zwilling handelt. Judas Thomas ist also der eigentliche Name: Judas, der Zwilling. In den Nag Hammadi-Texten finden wir viele Interna aus dem Kreis der Jünger; speziell das Evangelium nach Philippus sagt uns, dass Jesus zwölf Jünger hatte und sieben Jüngerinnen. Da gab es nun einmal den Jünger Judas Iskariot und den Jünger Judas Thomas. Um die beiden nicht zu verwechseln, nannte man möglicherweise den Letzteren einfach Thomas. Eine andere Variante kursiert auch: Thomas habe die gleiche stattliche Statur wie Jesus gehabt, wir würden sagen, er war sein Double, deshalb nannte man ihn den Zwilling (Jesu). Auch denkbar. Jedenfalls segelte er in der Jüngerschaft meistens einfach unter dem Namen Thomas.

Nun gibt es auch, wie üblich, Zweifel an der Urheberschaft des Thomas (Anm.7). Ich neige dazu, der Überlieferung die Macht zurückzugeben und dieses kostbare Dokument so zu verstehen, wie es sich zeigt: Ein Dokument aus der unmittelbaren Umgebung Jesu, welches ein Kernstück seiner Unterweisungen zeigt, die er seinen Jüngern ganz privat und im Geheimen zukommen ließ. Für die Urheberschaft eines Zeitzeugen, also eines aus dem Kreis der Jünger, dürfte auch sprechen, dass dieses Evangelium weder die Geburt Jesu, noch seine Kreuzigung erwähnt, noch andere Stationen seines Lebens und Wirkens. Hier geht es um die Mitschrift seiner Gespräche im engen Kreis seiner Vertrauten. Diese wurden in besonderer Weise von Jesus geschult und würden ganz selbstverständlich dann auch, wie der Meister, von Ort zu Ort ziehen können und Kranke heilen. „Und wenn ihr in irgendein Land geht und in den Gegenden herumwandert und man euch aufnimmt, dann esst, was man euch vorsetzt. Und heilt die Kranken unter ihnen.“ (29/14)