Das Tiroler Landlibell von 1511 - Martin P. Schennach - E-Book

Das Tiroler Landlibell von 1511 E-Book

Martin P. Schennach

0,0

Beschreibung

ZUSTANDEKOMMEN UND FORTWIRKEN EINER DER BEKANNTESTEN URKUNDEN DER TIROLER GESCHICHTE IM VERLAUF VON 500 JAHREN Das Landlibell, eine auf den 23. Juni 1511 datierte, feierliche Kaiserurkunde Maximilians I. für die Tiroler Landstände, galt lange Zeit als eine der zentralen Verfassungsurkunden der Tiroler Geschichte, als einzigartig in Mitteleuropa in Bezug auf die Wehrverfassung und deren lange Geltungsdauer. Die vorliegende Publikation behandelt nunmehr sowohl das Zustandekommen des Landlibells als auch sein Fortwirken in den folgenden Jahrhunderten im steten Vergleich mit der Entwicklung in anderen Ländern und gelangt dabei zu einer neuen Beurteilung der Urkunde. Wenngleich Entstehungsart und -zeitpunkt, die Art des Zustandekommens unter Mitwirkung der Landstände und selbst die äußere Form eines feierlichen kaiserlichen Privilegs durchaus nicht ohne Parallelen in anderen Territorien waren, so bleibt die Partikularität dieser Urkunde erhalten.Das Aufkommen des Eigennamens ("elfjähriges Landlibell") um 1550 markiert das Einsetzen der Instrumentalisierung des Landlibells, das von den Tiroler Landständen zunehmend als eine Landesfreiheit angesehen und als Mittel herangezogen wurde, weitreichendere Belastungen der Verteidigungskraft des Landes durch den Landesfürsten nach Möglichkeit zu unterbinden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 409

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MARTIN P. SCHENNACH

Das Tiroler Landlibell von 1511

Zur Geschichte einer Urkunde

SCHLERN-SCHRIFTEN 356

Die Schlern-Schriften wurden 1923 von Raimund v. Klebelsberg (1886–1967) begründet und nach dessen Tod bis Band 289 von Franz Huter (1899–1997) betreut; mit Band 290 übernahmen 1992 Marjan Cescutti und Josef Riedmann die Herausgabe der Reihe.

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler KULTURinstitut.

© 2011 by Universitätsverlag Wagner Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7030-0905-1

Umschlagbild: Das Landlibell von 1511, Ausschnitt (TLA)

Umschlaggestaltung: Dominika Nordholm

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.uvw.at.

Vorwort

Dass einer mittelalterlichen respektive frühneuzeitlichen Urkunde, der für die Verfassungs- und Landesgeschichte herausragende Bedeutung zugeschrieben wird, aus Anlass eines Jubiläums eine Würdigung in Form einer Monographie oder eines Sammelbandes zuteil wird, ist nicht singulär: Ähnliches war, um nur Beispiele aus dem österreichischen Raum zu bemühen, bei der Ostarrîchi-Urkunde von 996, der Georgenberger Handfeste von 1186 sowie dem Privilegium-maius-Fälschungskomplex von 1358/59 auszumachen. Auch der Wissenschaftsbetrieb nutzt historische Jubiläen, denen in der Erinnerungskultur eines Staates bzw. Landes eine besondere Bedeutung zukommt, als willkommene Anlässe für Publikationen.

Der vorliegende Band vereinigt frühere Forschungen des Verfassers zum Landlibell, die verstreut teils in Sammelbänden, teils in (nicht auf das Landlibell fokussierten) Monographien publiziert wurden, zu einer Gesamtdarstellung und -würdigung der Vorgeschichte, des Entstehens und der Wirkungsgeschichte dieser Kaiserurkunde. Diese bleibt trotz aller notwendigen und partiell sehr weit reichenden Neu- und Umbewertungen für die Verfassungsgeschichte des Tiroler Raums von besonderer Bedeutung. Allerdings handelt es sich beim vorliegenden Opusculum nicht nur um eine Zusammenfassung bisheriger Arbeiten: Die Gelegenheit einer monographischen Publikation wurde zu ergänzenden Quellenrecherchen genutzt, einige Aspekte gänzlich neu erarbeitet, rezente Literatur berücksichtigt und gegebenenfalls diskutiert.

Abschließend sei den Herausgebern der Schlern-Schriften, Herrn em. Univ.-Prof. Dr. Josef Riedmann und Herrn Dr. Marjan Cescutti, sehr herzlich für die spontane Bereitwilligkeit gedankt, mit der sie der Aufnahme der vorliegenden Arbeit in diese Reihe zugestimmt haben.

Innsbruck, im August 2011

Martin P. Schennach

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I.Einleitung

1. Allgemeines

2. Zum Inhalt des Landlibells

II.Die Vorgeschichte des Landlibells

1. Spätmittelalterliche Aufgebote der Städte und Gerichte

1.1. Zur militärischen Bedeutung der Aufgebote

1.2. Die Aufgebote der Städte

1.3. Die Aufgebote der ländlichen Gerichte

2. Zum Umfang des landesfürstlichen Aufgebotsrechts im Spätmittelalter

2.1. Allgemeines

2.2. Persönliche Beschränkungen der „Reisfolge“

2.3. Räumliche Beschränkungen der „Reisfolge“

2.4. Zeitliche Beschränkungen der „Reisfolge“

2.5. Faktische Beschränkungen der „Reisfolge“: Widerständigkeiten und Vermeidungsstrategien

3. Die „Ordnung des Zuzugs“: normative Regelungen der Aufgebote in Tirol vor 1511

3.1. Landesdefension und Landtage im 15. Jahrhundert

3.2. Allgemeines

3.2.1. Zum Begriff „Zuzugsordnung“

3.2.2. Die Geltungsdauer der Zuzugsordnungen

3.2.3. Zuzugsordnungen als Landtagsabschiede

3.2.4. „Ordnung machen“: zeitgenössische Diskurse und Bezeichnungen

3.3. Die ersten Zuzugsordnungen

3.3.1. Die Regierungszeit Erzherzog Sigmunds

3.3.2. Die Regierungszeit Maximilians I

4. Die vergleichende Perspektive: Aufgebote und Zuzugsordnungen in anderen Ländern

4.1. Die Erzherzogtümer Österreich ob und unter der Enns

4.2. Die Steiermark

4.3. Zuzugsordnungen in den österreichischen Ländern um 1511

4.4. Bayern

4.5. Das Erzstift Salzburg, die Eidgenossenschaft und die Republik Venedig

III.Die Entstehung des Landlibells

1. Allgemeines zur Ausfertigung der Kaiserurkunde

2. Landständische Motive

2.1. Drängen auf Urkundenausfertigungen von 1506 bis 1517

2.2. Verbesserung der Verhandlungsposition gegenüber Maximilian I

2.3. Kaiserurkunden als Ersatz für die verweigerte Landesordnung?

2.4. Limitierung landesfürstlicher Ansprüche

2.5. Das Landlibell als ständeinterner Kompromiss?

3. Kaiserliche Motive

3.1. Allgemeines

3.2. Die Urkundenreverse der Landstände und der Hochstifte Trient und Brixen

IV.Der Inhalt des Landlibells

1. Allgemeines

2. Konfliktfeld I: Die „Reisfolge“ der im Bergbau Beschäftigten

3. Konfliktfeld II: Versorgung und Besoldung der Aufgebote

4. Konfliktfeld III: Die ständeinterne Verteilung der Mannschaftskontingente

5. Krieg nur mit Zustimmung der Landstände?

6. Das Bündnis mit den Hochstiften Trient und Brixen

7. Die Behandlung landständischer Gravamina

8. Exkurs: Das Landlibell und das Tiroler Schützenwesen

V.Die Rezeption des Landlibells

1. Die Prägung eines Eigennamens

2. Die „Wiederentdeckung“ des Landlibells um 1550

3. Das Landlibell als „lex fundamentalis“?

3.1. Zum Begriff der „Landesfreiheiten“

3.2. „Lex fundamentalis“ oder Landtagsabschied? Die Diskussionen des 17. Jahrhunderts

3.3. Die Landstände in der Defensive: Das 18. Jahrhundert

3.4. Ausklänge: Das 19. Jahrhundert

4. „Aus den Kriegshelden wurden Steuerknechte“: Das Landlibell als Grundlage des Tiroler Steuerwesens

4.1. Allgemeines

4.2. Die Zuzugsdifferenz

5. Das „fundamentum confoederationis“: Das Landlibell und die Hochstifte Trient und Brixen

5.1. Allgemeines

5.2. Staatsrechtliche Argumentationen: Das Beispiel Philipp Bärtls von Sommersperg

6. Das Landlibell in der Staatsrechtslehre

6.1. Allgemeines

6.2. Das Territorialstaatsrecht

6.3. Die Reichspublizistik

VI.Historiographiegeschichte

1. Allgemeines

2. Die ständische Geschichtsschreibung (bis ca. 1800)

3. Geschichtswissenschaftliche Entwicklungsstränge

4. Exkurs: Die Trentiner Historiographie

5. Streiflichter: Das Landlibell im öffentlichen Diskurs

VII.Zusammenfassung und Schluss

VIII. Edition des Landlibells

IX.Abkürzungsverzeichnis

X.Quellen und Literatur

1. Ungedruckte Quellen

2. Gedruckte Quellen und Literatur

XI.Orts- und Personenverzeichnis

I. Einleitung

1. Allgemeines

Anlässlich des 500 Jahr-Jubiläums des Landlibells 2011 war der öffentliche Diskurs zwar nicht ausschließlich, aber doch in signifikantem Ausmaß von der regelmäßigen Wiederkehr verschiedener Topoi geprägt, die in ihrer Gesamtheit die Singularität dieser Urkunde zu konstituieren scheinen. So war vielfach zu hören und teils zu lesen:1

–dass der Inhalt des Landlibells in Kontinentaleuropa kein Pendant aufweise;

–dass das Landlibell jedenfalls bis in das 19. Jahrhundert, in Grundzügen bis zum Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 in Geltung gestanden sei;

–dass das Landlibell wenn nicht das Gründungsdokument, so doch eine wesentliche Grundlage des Tiroler Schützenwesens darstelle;

–dass das Landlibell sowohl die Voraussetzung als auch das Ergebnis spezifischer Tiroler Wehrhaftigkeit sei, wie sie besonders in den Geschehnissen von 1809 zum Ausdruck komme;

–dass das Landlibell – und hier gelingt der Brückenschlag zur Gegenwart – zudem „ein epochales Dokument demokratischer Selbstverantwortung“2 darstelle.

Wenngleich diese Gemeinplätze teilweise bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen sind und bis vor einiger Zeit zumindest partiell noch dem Stand der Forschung entsprachen,3 dominiert seit einigen Jahren eine deutlich zurückhaltendere Bewertung des Landlibells.4 Durch die genaue Rekonstruktion des Zustandekommens konnte nachgewiesen werden, dass die Zeitgenossen dem Landlibell nicht von vornherein eine größere Bedeutung als anderen Landtagsabschieden der maximilianeischen Zeit zugewiesen haben. Darüber hinaus ließ sich durch einen Vergleich mit anderen frühneuzeitlichen (insbesondere österreichischen) Ländern belegen, dass der Inhalt, der Entstehungszeitpunkt, die Art des Zustandekommens unter Mitwirkung der Landstände und selbst die äußere Form eines feierlichen kaiserlichen Privilegs durchaus nicht ohne Parallelen in anderen Territorien waren.

Grundsätzlich handelt es sich beim Landlibell um eine auf den 23. Juni 1511 datierte, feierliche Kaiserurkunde Maximilians I. für die Tiroler Landstände und die Bischöfe von Trient und Brixen. Diese enthält vor allem die Regelung des Tiroler Landesaufgebots, des so genannten Zuzugs, also der Verteidigung des Landes durch seine Bewohner. Darüber hinaus enthält das Landlibell neben einer Reihe fiskalischer Vorschriften noch eine Vielzahl anderer, aktuellen Regelungsbedürfnissen im Jahr 1511 Rechnung tragender Bestimmungen. Gerade dieses letztere Konglomerat von Normen resultiert aus dem Charakter des Landlibells als Landtagsabschied, der die Beschlüsse des im Juni 1511 gehaltenen Landtags zusammenfasste.

Insgesamt kann man bei einer näheren Betrachtung des Landlibells drei Untersuchungsebenen unterscheiden, die auch die Struktur des vorliegenden Bandes bestimmen:

1.Die Analyse des Zustandekommens 1511: Hier wird deutlich, dass dem Landlibell ursprünglich weder inhaltlich noch aus der Perspektive der Zeitgenossen eine besondere Bedeutung zukam und seine Wirkungsgeschichte bis in das beginnende 19. Jahrhundert für keinen der damals handelnden Akteure abzusehen war.

2.Die in der Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzende Rezeption des Landlibells, die mit der Prägung des seither geläufigen Eigennamens einherging, stellt eine zweite Analyseebene dar. Diese Rezeption vollzog sich in drei unterschiedlichen Ausprägungen: Erstens wurde die Urkunde seit etwa 1550 von den Tiroler Landständen instrumentalisiert, um landesfürstlichen Reformvorschlägen auf dem Gebiet des Landesdefensionswesens entgegenzutreten, die mit erhöhten Anforderungen an die personellen und/oder finanziellen Ressourcen des Landes einhergegangen wären. Zweitens wurde das Landlibell von den Bischöfen von Trient und Brixen in Konfrontation mit den habsburgischen Landesfürsten immer wieder ins Treffen geführt, um eigene Rechtspositionen im Bereich des Kriegs- und Steuerwesens abzusichern und ihre Stellung als reichsunmittelbare geistliche Fürsten in ihrem jeweiligen hochstiftischen Territorium zu bewahren. Letzteres schlug sich – drittens – in einer entsprechenden, wenn auch stets oberflächlich bleibenden Behandlung des Landlibells durch die Staatsrechtslehre bzw. Reichspublizistik nieder.

3.Zu analysieren ist schließlich noch die Behandlung der Urkunde durch die Geschichtswissenschaft ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang diente das Landlibell zur Konstruktion einer spezifischen Tiroler Identität während dieses Zeitraums. Die sich damals herauskristallisierenden historiographischen Traditionslinien, die bis vor einigen Jahren von großer Wirkmächtigkeit waren, beeinflussten zudem maßgeblich den öffentlichen politischen wie populärwissenschaftlichen Diskurs, der abschließend zumindest in Grundzügen thematisiert werden soll.

Für eine adäquatere Einordnung und Bewertung des Landlibells erwies es sich zudem als unumgänglich, die Entwicklungsgeschichte des ländlichen und städtischen Aufgebots in Tirol im Spätmittelalter zumindest in Grundzügen zu umreißen und frühere Ansätze zu rechtlichen Normierungen dieser Aufgebote in so genannten Zuzugsordnungen aufzuzeigen.

2. Zum Inhalt des Landlibells

Im Landtagsabschied vom 23. Juni 1511 wurde die gesamte Streitmacht Tirols in vier so genannte „Anschläge“ zu 5000, 10.000, 15.000 und 20.000 Mann eingeteilt, wobei sich die Höhe des jeweiligen Aufgebotes nach dem Grade der jeweils drohenden Gefahr richtete.5 Zum Anschlag von 5000 Mann hatten dabei die Städte und Gerichte der alten Grafschaft Tirol 2400 Mann, die 1500 bzw. 1504/1505 neu hinzugekommenen Gebiete 500 (Pustertal) bzw. 300 Mann („drei Herrschaften“ Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg) zu stellen. Auf den Adel, die Prälaten und die beiden Hochstifte Brixen und Trient entfielen zusammen 1800 Mann. Adel und Geistlichkeit konnten ihre Mannschaft aber auch durch Geldzahlungen ablösen. Schließlich hätten sie andernfalls ihr Kontingent durch die Werbung von Söldnern aufbringen müssen, was in der Praxis kaum tunlich war. Hinsichtlich der Bergknappen wird der Landschaft zugesichert, dass alle „Bergwerksverwandten“, d. h. im Bergbau Beschäftigten, beim Aufgebot der 20.000 Mann ebenfalls zuziehen sollten.6

Sollte ein feindlicher Überfall so unversehens und mit solcher Macht geschehen, dass der Zuzug der 20.000 Mann nicht mehr rechtzeitig an die Landesgrenze entsandt werden könnte, war die gesamte wehrfähige Bevölkerung des bedrohten Gebietes durch Glockenstreich oder die Anzeige der Hauptleute und Obrigkeiten zu einem „allgemeinen Zuzug“ aufzubieten und hatte bis zur Ankunft des regulären Aufgebots auszuharren. Bei diesem „Landsturm“ (dieser Terminus scheint im Libell allerdings noch nicht auf) sollten ausdrücklich auch die Hand- und Tagwerker, Dienstleute und Knechte zuziehen, also nicht nur die grundbesitzenden Bevölkerungsteile. Bei einem solchen allgemeinen Aufgebot war die Lebensmittelversorgung („Lieferung“) zunächst von den Städten und Gerichten zu besorgen, sollte ihnen jedoch später vom Landesfürsten abgegolten werden. Hinsichtlich der Besoldung und des Unterhalts des Landvolks sagte Maximilian zu, für beides gleichermaßen aufzukommen, wobei die monatlichen Kosten für einen Fußknecht mit vier, für einen Reiter mit zehn Gulden beschränkt wurden, von denen der Sold jeweils die Hälfte ausmachte. Das Liefergeld war nur dann in bar zu erlegen, wenn die Abstattung in natura nicht möglich wäre. Damit waren die monatlichen Kosten eines Ausgeschossenen im Übrigen gleich hoch wie die für einen Landsknecht.7 Die bisher schon üblichen Restriktionen bei der Verwendung des Aufgebotes, nämlich die Beschränkung der Dienstzeit auf einen Monat und die ausschließliche Verwendung innerhalb der Landesgrenzen, blieben auch weiterhin in Kraft.8 Die Beschaffung und Austeilung des Kriegsmaterials (Waffen, Harnische, Geschütze, Pulver und Kugeln) oblag grundsätzlich dem Landesfürsten, und ebenso hatte er für die von den Untertanen zu verrichtenden Kriegsfuhren eine „geziemende Belohnung“ zu reichen.

Bei der Gefangennahme eines Teilnehmers eines landschaftlichen Zuzugs sollte dieser, egal ob adelig oder nicht, vom Landesfürsten losgekauft werden. Umgekehrt sollten alle auf Tiroler Seite gemachten Gefangenen dem Landesfürsten zustehen, was diesem die entsprechenden Lösegelder sicherte.9 Vom Gegner eingenommene Burgen und Gebiete waren bei Wiedereroberung den früheren Besitzern, deren Eigentum, Pfand oder Lehen sie waren, zu restituieren. Misslang die Zurückgewinnung, hatte der Landesfürst Schadenersatz zu zahlen. Neueroberungen fielen jedenfalls diesem zu.

Von besonderem Interesse ist ferner die Bestimmung, dass ohne Wissen und Willen der Stände kein von Tirol ausgehender Angriffskrieg geführt werden sollte.10

An die spätmittelalterliche Praxis anknüpfend, sah auch das Landlibell die Verbindung der Grafschaft Tirol mit den Hochstiften Brixen und Trient zum Zwecke der Landesverteidigung vor: Letztere verpflichteten sich, ihren Teil an den diesbezüglichen Pflichten und Lasten zu übernehmen. Im Gegenzug versprach ihnen das ganze Land Tirol Beistand bei Feindesgefahr. Außerdem wurden die Hochstifte Brixen und Trient, die schließlich reichsunmittelbare geistliche Fürstentümer waren, von Kaiser Maximilian von der Beitragspflicht zur Reichsheerfahrt entbunden.11

In engem Konnex mit den soeben umrissenen Defensionsbestimmungen stehen die im Landlibell enthaltenen fiskalische Vorschriften zur Einhebung jener Steuern, die von den auf dem Landtag versammelten vier Landständen und den beiden Bischöfen zu Zwecken der Landesverteidigung bewilligt worden waren.

Rund ein Drittel des Umfangs des Landlibells macht die Erledigung landständischer Beschwerden (Gravamina) durch Kaiser Maximilian I. aus. So enthält das Landlibell beispielsweise Bestimmungen über das Münzwesen, über die Jagd, die Besteuerung der auswärtigen, d. h. außerhalb Tirols residierenden Grundherren, den Missbrauch von Monopolen durch Handelsgesellschaften, die Vergabe von Gemeindegründen, den Import ausländischer Weine oder die Verwendung falscher Maße und Gewichte durch die lokalen Obrigkeiten. Dabei handelt es sich freilich partiell nur um landesfürstliche Zusagen ohne normativen Gehalt, die vor dem Hintergrund der Verhandlungssituation im Juni 1511 interpretiert werden müssen.12

1Vgl. zum Folgenden die Ausführungen zur Historiographiegeschichte und zur Rolle des Landlibells in Politik und Öffentlichkeit in Kap. VI.5.

2Vgl. den Begleitkommentar zur im Archiv-Verlag erschienen Faksimile-Edition des Landlibells, o. O., o. J.

3Vgl. nur für viele Huter, 450 Jahre, 1961; Steinegger, Landlibell, 1991; Köfler, Land, 1985, S. 116–145 und 278–280; Wopfner, Entstehung, 1933, S. 156–157; Hye, Grundzüge, 2005, bes. S. 33; Hye, Schützen, 2001, S. 15.

4Vgl. die einschlägigen Vorarbeiten bei Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 139–152; Schennach, Quellen, S. 43–71; Schennach, Landesverteidigung vor 1703, 2005; Schennach, Rezeptionsgeschichte, 2005; Schennach, Gesetz und Herrschaft, 2010, S. 91–111; Schennach, Landlibell, 2011.

5Eine Edition des Landlibells findet sich in Kap. VIII; frühere Editionen u. a. bei Schennach, Quellen, 2004, S. 161–172; Köfler, Landtag, 1985, S. 118–131 (Übertragung ins Neuhochdeutsche); Brandis, Landeshauptleute, 1847/50, S. 411–422; Schober, Urkunden, 1990, S. 57–67; zum Inhalt siehe auch Jäger, Landständische Verfassung, Bd. II/2, 1882, S. 460–468; Wiesflecker, Maximilian I., Bd. 4, 1981, S. 85–86; Kurzmann, Kaiser Maximilian und das Kriegswesen, 1985, S. 29–31; Schennach, Quellen, 2004, S. 65–71; Schennach, Landesverteidigung, 2003, S. 141–142.

6Vgl. Kap. IV.2.

7Vgl. Baumann, Landsknechte, 1994, S. 86–87: Der Konstanzer Reichstag von 1507 hatte ausdrücklich festgehalten, dass diese vier Gulden für „Sold, Kost und Schaden“ gelten sollten.

8Zu den gewohnheitsrechtlichen Normen im Landlibell siehe Kap. IV.1.

9Zum Hintergrund Schennach, Quellen, 2004, S. 72–73.

10Hierzu ausführlich Kap. IV.5.

11Näheres in Kap. IV.6. und Kap. V.5.

12Vgl. zu diesem Themenkreis Kap. III.2.2. und V.7.

II. Die Vorgeschichte des Landlibells

1. Spätmittelalterliche Aufgebote der Städte und Gerichte

1.1. Zur militärischen Bedeutung der Aufgebote

Die Wendung „steuern und raisen“ bezeichnete im Spätmittelalter konzis die beiden wesentlichen Verpflichtungen der Untertanen gegenüber dem Landesfürsten, nämlich die Pflicht zur Aufbringung von Steuern einerseits und zur Leistung von Kriegsdienst im Rahmen des so genannten „Aufgebots“ oder „Zuzugs“ andererseits. „Raisen“ im Sinne einer solchen Beteiligung an Kriegszügen ist in Tirol noch im beginnenden 17. Jahrhundert belegt.1

Die Aufbietung der städtischen und ländlichen Bevölkerung zu Verteidigungszwecken war durchaus kein Tiroler Spezifikum;2 vielmehr stellten derartige Aufgebote um 1500 in ganz Kontinentaleuropa neben dem Söldnertum und dem formal bis in das 17. Jahrhundert beibehaltenen Lehensaufgebot eine der Säulen der Kriegsführung dar und blieben dies weitgehend bis in das 18. Jahrhundert.3 Freilich hatte sich die anteilige Bedeutung dieser drei konstitutiven Elemente des mittelalterlichen Kriegswesens bis in die Zeit Maximilians I. aufgrund der Veränderungen in der Kriegsführung fundamental gewandelt: Das Lehensaufgebot zu Pferd, dessen Einsatz in Tirol wie in anderen Territorien zeitlichen und räumlichen Beschränkungen unterlag, hatte bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine Bedeutung weitgehend verloren.4 Parallel hierzu hatte, einhergehend mit dem sukzessiven Bedeutungsgewinn von Schusswaffen, dem Anwachsen der Heeresstärken und der sich immer deutlicher abzeichnenden Überlegenheit von Fußtruppen gegenüber schwer gepanzerten Reitern, die Relevanz von Söldnern zugenommen.5 In maximilianeischer Zeit stellten Soldtruppen in Europa das Kernelement jeder größeren militärischen Operation dar.6 Dennoch hafteten der Kriegsführung mit Söldnern aus Sicht des Kriegsherren erhebliche Nachteile an: Ihre Aufbringung durch Anwerbung war ebenso kostspielig wie zeitintensiv, ihr Unterhalt und ihre Besoldung während eines Kriegszugs verschlang Unsummen: In Kriegszeiten wurden nahezu sämtliche dem sich formierenden frühmodernen Staat zur Verfügung stehenden Finanzmittel vom militärischen Sektor absorbiert.7 Schließlich war ihr Einsatz mit erheblichen Risiken vor allem disziplinärer Natur verbunden. Im Fall von verzögerten oder ausbleibenden Soldzahlungen drohten Meutereien; Versorgungsdefizite wurden häufig sogar im Territorium des Kriegsherren durch Übergriffe auf die Zivilbevölkerung abgedeckt. Selbst nach Ende eines Kriegszugs, der mit der „Abdankung“ (Entlassung) der Söldner endete, stellten sie häufig ein sicherheitspolizeiliches Problem dar, indem abgedankte Kriegsknechte („Gartknechte“) einzeln oder gruppenweise auf der Suche nach einem neuen Dienstgeber umherstreiften und für die Bevölkerung des von derartigen Durchzügen betroffenen Gebiets eine erhebliche Belastung darstellten. Angesichts dieser Nachteile des Söldnereinsatzes kam dem Aufgebot der Untertanen eine komplementäre Funktion im Rahmen der Kriegsführung zu: Die städtischen und ländlichen Aufgebote waren vergleichsweise rasch und flexibel aufzubringen und, da die Kosten der Truppenwerbung wegfielen, kostengünstig: Zwar waren sie ebenfalls zu unterhalten und grundsätzlich sollten die dienstpflichtigen Männer während des Einsatzes den gleichen Sold wie ein professioneller Kriegsknecht (à vier Gulden im Monat) erhalten, doch waren bei den Aufgeboten die Konsequenzen ausbleibender Zahlungen bei weitem nicht so verheerend. Diesen Vorteilen des Landesdefensionswesens stand aus landesfürstlicher Sicht der Nachteil gegenüber, dass sich Einsätze der Mannschaftskontingente nur für eine defensive Kriegsführung eigneten, da die Verwendung generell auf das jeweilige Land beschränkt war. Zudem war die Einsatzdauer ebenfalls (häufig auf einen Monat) limitiert. Nochmals sei betont, dass die Verwendungsbeschränkung der Zuzugskontingente auf das jeweilige Land in Abweichung von der früher hartnäckig ventilierten Ansicht kein Tiroler Spezifikum ist – geschweige denn ein den Tiroler Landständen von Maximilian erteiltes Privileg –, sondern dem Wesen und Charakter der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesdefensionswerke immanent ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!