Das Trotzkopfalter - Doris Heueck-Mauß - E-Book

Das Trotzkopfalter E-Book

Doris Heueck-Mauß

4,4

Beschreibung

Gelassen durch die Trotzphase „Ich will aber nicht!“ – Trotzanfälle stellen Eltern auf eine harte Geduldsprobe und bringen sie häufig an den Rand der Verzweiflung. Wie reagiert man, wenn das Kind einen immer wieder aufs Neue herausfordert, sich den Anweisungen widersetzt, schreit und in Tränen ausbricht? Dieser leicht verständliche Ratgeber erklärt typische Trotzreaktionen und kindliche Aggressionen aus Sicht der Eltern und Kinder. Er hilft dabei, die Gefühle und Verhaltensweisen von trotzigen Kindern zu verstehen und gelassener damit umzugehen. Kindliche Wutausbrüche verstehen und damit umgehen Die Bezeichnung „Trotz“ hat für viele Eltern eine negative Bedeutung. Sie fragen sich, ob eine böse Absicht oder Ungehorsam hinter dem Verhalten ihrer Kinder steckt, dass mit strengen Regeln unterbunden werden muss. Dass ein solches Vorgehen jedoch eher noch mehr Widerstand auslösen und in eine negative Verhaltensspirale führen kann, zeigt Doris Heueck-Mauß in ihrem Buch. Sie erklärt, wie Trotz entsteht und was in 2- bis 4-jährigen Kindern vorgeht, wenn sie bockig reagieren. Damit möchte sie Verständnis und Einfühlsamkeit wecken und Eltern anregen, ihr Erziehungsverhalten zu hinterfragen. Zudem gibt sie praktische Tipps, um kleinen Trotzköpfen Grenzen zu setzen und weitere Wutanfälle zu vermeiden. Aus dem Inhalt: • Was bedeutet Trotz? • Kindliche Wutausbrüche und Aggressionen • Das eigene Erziehungsverhalten überprüfen • Das Erziehungs-ABC: Was heißt eigentlich erziehen? • Grenzen setzen, aber wie? • Der Familiencheck

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INHALT

Vorwort

Einleitung: das Trotzkopfalter

Zum Aufbau dieses Buches

Was bedeutet Trotz?

Die emotionelle Welt der Zwei- bis Vierjährigen

Trotz als positiver Entwicklungsabschnitt

Anlässe für trotziges Verhalten

„Ich will alleine!“

Das Kind hat noch kein Zeitgefühl

In das Spiel vertieft

Veränderte Gewohnheiten oder Rituale

Vorsicht vor zu vielen Neins

Alles hat seine Ordnung

Müdigkeit oder Überforderung als Trotzauslöser

Gefühle und Reaktionen der Eltern in der Trotzphase

Die wichtigsten Tipps und Strategien im Überblick

Entwicklungspsychologische Erklärung der Trotzphase

Kindliche Wutausbrüche und Aggressionen

Die Entwicklung kindlicher Aggressionen

(Psycho)logische Gründe

Neugierde und Lebensfreude

Die Reaktionen der Eltern

Entdeckungs- und Forscherdrang

Eifersucht

Macht ausüben

Kontakt aufnehmen

„Ich will jetzt nicht!“

Entwicklungspsychologische Erklärung: Grund und Ziel von Aggressionen

Wissenschaftliche Erklärungsversuche

Aggression ist eine Folge von Frustration

Aggression als Lebenstrieb

Der Zusammenhang zwischen Erziehungsstil und kindlicher Aggression

Ursachen der kindlichen Aggressionen

Das Erziehungsverhalten der Eltern

Geschwisterstreit – Geschwisterneid

Das kindliche Umfeld

Entwicklungspsychologische Erklärung: Das Wichtigste über kindliche Aggressionen

Erziehungshilfen für Eltern

Das eigene Erziehungsverhalten überprüfen

Beobachten des Elternverhaltens

Welche Erziehungseinstellung habe ich?

Ursachen elterlicher Frustrationen

Das Erziehungs-ABC: Was heißt eigentlich erziehen?

Jedes Verhalten wird erlernt

Kindliches Verhalten beschreiben

Kindliches Verhalten beobachten

Ein Verhaltensprotokoll anlegen (B/C)

Der Zusammenhang zwischen Verhalten und Zuwendung

Verhalten wird durch Zuwendung verstärkt

Grenzen setzen, aber wie?

Klare Regeln aufstellen

Zu viele Neins vermeiden

Strafen haben Nebenwirkungen

Überzeugen statt verbieten

Der Familiencheck

Schlusswort

Anhang

Wichtige Adressen, die weiterhelfen

VORWORT

Liebe Mutter, lieber Vater,

wie unzählige andere Eltern haben sicher auch Sie sich mit viel Idealismus, gutem Willen und Neugierde auf Ihr erstes Kind eingestellt. Die Babyzeit bedeutete für Sie intensive Zuwendung und Pflege. Ihr Kind zeigte täglich neue Entwicklungsschritte und verlangte nach wiederkehrenden Ritualen und Verhaltensmustern, um sich entwickeln zu können. Und natürlich stand und steht es ganz im Mittelpunkt Ihres Lebens. Diese Zeit der größten Veränderungen und Umstellungen mit vielen schönen, aber auch oft anstrengenden und sorgenreichen Stunden haben Sie bereits gemeistert.

Im zweiten Lebensjahr stellt Sie Ihr Kind nun vor ganz neue Herausforderungen: Seine Mobilität und Neugier sind oft nicht zu bremsen, seine Sprachfreude nimmt immer mehr zu, und Sie erfahren tagtäglich eine Menge über die Persönlichkeit Ihres Kindes. Zugleich stellt es Sie ständig vor neue Situationen und Entscheidungen: Es will seine Umwelt jetzt intensiver erfahren und entdecken! Dabei gibt Ihr Kind auch sehr deutlich seine Bedürfnisse und seinen Willen zu erkennen und fordert Sie heraus. Es braucht seelischen Halt, viel Verständnis und deutliche Grenzen, um zu erkennen, was erlaubt oder nicht erlaubt oder gar gefährlich ist. So lernt das Kleinkind Schritt für Schritt die Regeln der Erwachsenen kennen und erfährt, welche Gebote und Verbote Sie als Eltern vermitteln wollen: eine wichtige Erziehungsaufgabe, damit Ihr Kind später eine selbstbewusste Persönlichkeit werden kann.

Doch Ihr pflegeleichtes und fröhliches Kleinkind kann auch plötzlich ein kleiner Wüterich werden. Es widersetzt sich Ihren Anweisungen, es schreit und schlägt um sich und kann sehr heftig in Tränen ausbrechen. Sie reagieren überrascht, verunsichert, sicher auch manchmal ärgerlich oder hilflos und fragen sich, ob Ihr Kind böse ist? Von Freunden haben Sie schon von der berüchtigten Trotzphase gehört. „Ist unser Kind nun mittendrin?“, fragen Sie sich. „Wie wird diese Phase bei unserem Kind ablaufen, und wie sollen wir am besten damit umgehen?“

Die Bezeichnung „Trotz“ hat für viele Eltern eine sehr negative Bedeutung, so ähnlich wie auch die Bezeichnung „Pubertät“ für manche Eltern jetzt schon graue Wolken am Himmel aufziehen lässt. Doch keine Sorge: Mit ein wenig Hintergrundwissen werden Sie diesen Entwicklungsabschnitt Ihres Kindes besser verstehen und damit gelassener auf seine Trotzausbrüche reagieren können. Die jetzt häufiger auftretende „Bockbeinigkeit“ Ihres Kindes hat nichts mit „Bösartigkeit“ zu tun, vielmehr ist sie eine Reaktion auf Begebenheiten und Verhaltensweisen in seinem unmittelbaren Umfeld, ausgelöst durch seine beginnende Autonomieentwicklung. Das elterliche Verhalten hat einen wesentlichen Einfluss darauf, wann der Trotz wieder aufhört oder ob er sich gar verfestigt.

Dieser Ratgeber will dazu beitragen, dass Sie und Ihr(e) Kind(er) das Trotzkopfalter – diese wichtige Phase der Willens- und Ich-Entwicklung – gemeinsam meistern. Es gibt keine perfekten Kinder und auch keine perfekten Eltern. Doch mit Einfühlungsvermögen und Humor wird der tagtägliche Entwicklungs- und Lernprozess im Umgang miteinander zu einem harmonischen Familienleben führen, in dem Kinder mit gesundem Selbstbewusstsein und Durchsetzungswillen aufwachsen können.

EINLEITUNG: DAS TROTZKOPFALTER

Das Trotzalter ist genetisch nicht festgelegt wie beispielsweise das Lauf- und Sprechalter. Es ist eine ganz individuelle Entwicklungsphase zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes, in der es seinen Willen und sein Ich-Bewusstsein entdeckt.

Manche Entwicklungspsychologen möchten das Wort Trotz ganz aus dem Vokabular streichen und sprechen lieber von „Koller“, „Rappel“ oder „Erregungszustand aus einer Enttäuschung heraus“. Denn Trotz hat eine negative Bedeutung, die die Perspektive genervter Eltern wiedergibt, nicht aber, was im Kind bei einem „Koller“ vorgeht.

Trotz hat nichts mit „bösem“ Willen oder Ungehorsam zu tun!

Wenn das Kind erlebt, dass seine Willenskräfte Wirkung zeigen, probiert es diese neue Kraft (Macht) erst einmal eine Zeit lang verstärkt aus. Sehen die Eltern darin nun „bösen“ Willen oder Ungehorsam, den man schnell wieder „austreiben“ muss, dann werden sich regelrechte Machtkämpfe entwickeln. Je mehr die Eltern mit Strenge reagieren, desto mehr Widerstand wird beim Kind ausgelöst. Druck erzeugt Gegendruck: Das Kind wird vermehrt trotzig reagieren und sich mit aggressivem Verhalten „wehren“. Der Trotz verfestigt sich, Kind und Eltern geraten immer mehr in eine negative Verhaltensspirale und sind frustriert.

So weit muss es aber nicht kommen. Völkervergleichende Studien belegen es: Je freundlicher, liebevoller und aufnehmender Kleinkinder im Alter zwischen eineinhalb und drei Jahren behandelt werden, desto weniger kindlichen Widerstand gibt es. Trotz kommt in manchen Kulturkreisen überhaupt nicht vor. Das sollte uns nachdenklich machen.

FAZIT

Abhängig vom Temperament des Kindes und von der Art und Weise, wie Eltern auf seine unterschiedlichen trotzigen Verhaltensweisen eingehen – also verständnisvoll oder ablehnend und strafend –, wird dieser stark vom kindlichen Willen geprägte Entwicklungsabschnitt sehr individuell verlaufen.

Zum Aufbau dieses Buches

Beim ersten Kind haben Eltern meist noch wenige Erfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten, um mit Ruhe und Gelassenheit auf die Zornesausbrüche ihres Kleinkindes zu reagieren. Viele Eltern reagieren eher spontan und unüberlegt, sind häufig verunsichert und fühlen sich hilflos. In dieser sensiblen, besonders anstrengenden Entwicklungsphase Ihres Kindes sollten Sie deshalb über Hintergrundwissen verfügen. Nur dann werden Sie seine neuen Fähigkeiten – Selbstständigkeit, den Willen entdecken und ausüben, die Grenzen austesten – besser verstehen und seine Motive und Gefühle besser erkennen können.

Dieses Wissen über den Ablauf des kindlichen Trotzes, das der erste Teil dieses Ratgebers vermitteln möchte, wird Ihnen helfen, zorniges Verhalten Ihres Kindes nicht mit Provokation oder Aggression zu verwechseln. Fallbeispiele veranschaulichen die Problematik.

Diese Unterscheidung zwischen Trotz und Aggression ist deshalb wichtig, weil ein Kleinkind, das seinen Rappel bekommt und dabei schreit und um sich schlägt, durchaus aggressive Verhaltensweisen zeigt. Es setzt diese aber noch nicht bewusst ein, sondern bringt seine Enttäuschung mit seinem ganzen Körper spontan zum Ausdruck. Auf einen trotzenden Winzling sollten Sie übrigens anders eingehen als auf ein älteres Kind, das seinen Willen schon sehr gezielt und bewusst durchsetzen möchte. Im schlimmsten Fall tritt es nach der Mutter, schlägt Bruder oder Schwester, beißt oder schreit provokativ laut. Da die aggressiven Impulse in jedem Menschen stecken, also angeboren sind, stellt es eine große Erziehungsaufgabe für Eltern dar, diese Durchsetzungskraft ihres Kindes in sozial erwünschte Bahnen zu lenken. Die kindliche Aggressivität kann also konstruktiv (sich wehren, durchsetzen) oder eher destruktiv (angreifen, verletzen, zerstören) ausgelebt werden. Ihr Kind muss im Laufe seiner Entwicklung mit Ihrer Hilfe lernen, Emotionen wie Wut und Ärger in sozial erträglichem Maße auszuleben. Das bedeutet, über „friedliche“ Verhaltensweisen zu versuchen, seinen Willen zu äußern und eventuell durchzusetzen. Kinder zwischen ein bis drei Jahren reagieren noch sehr emotional und spontan, wenn sie ihre Gefühle ausleben. Da können Eltern helfen, indem sie Grenzen aufzeigen, die ihre Kleinen verstehen. Das Kindergarten- und Vorschulkind dagegen erlebt ganz andere Ursachen als Auslöser für sein rebellisches Verhalten. Es kann seine aggressiven Handlungen sehr gezielt und bewusst einsetzen und damit seine Eltern durchaus herausfordern.

Der zweite Teil dieses Ratgebers informiert über die Entwicklung der kindlichen Aggressionen und ihre vielfältigen Ursachen. In typischen Beispielen werden auch die möglichen unterschiedlichen Ausdrucksformen kindlicher Aggressivität sowie die Motive und Absichten dargestellt. Mit „menschlicher“ Aggression (Ihres Kindes, Ihres Partners und Ihrer Mitmenschen) werden Sie ein Leben lang konfrontiert werden, mit den trotzigen Verhaltensweisen Ihres Kleinkindes nur in einer vorübergehenden Entwicklungsphase. Falls Ihr Kind als entwicklungsverzögert eingestuft wird oder eine körperliche Einschränkung hat, wird es mehr Förderung und Hilfestellung benötigen und kann sich dagegen wehren. Somit wird sich die Phase der Willensentwicklung länger hinziehen, bis ihr Kind seine Einschränkungen verstehen lernt. Natürlich zeigen sich auch ältere Kinder oder Jugendliche mal „bockig“ und uneinsichtig. Hier handelt es sich, streng genommen, freilich nicht um Trotz, sondern um ein passiv-aggressives Verhalten, nach dem Motto: „Jetzt erst recht nicht …“, denn die Folgen werden bewusst in Kauf genommen.

WAS BEDEUTET TROTZ?

Mit der Bezeichnung Trotz wird ein Entwicklungsschritt des Kleinkindes bezeichnet, nämlich seine Fähigkeit, sich als Individuum zu erleben und einen eigenen Willen zu haben. Seinen Willen kann zwar auch der Säugling ausdrücken; er lässt sich aber immer schnell ablenken.

Die emotionelle Welt der Zwei- bis Vierjährigen

In der Phase zwischen zwei und drei Jahren verändert sich das Selbstempfinden des Kindes. Das hängt mit seiner seelischen und motorischen Reifung zusammen. Das zweijährige Kind spricht nicht mehr von sich in der dritten Person, sondern es wird zunehmend die Wörtchen „ich“, „mich“, „mir“ oder „mein“ verwenden. Es kann sich jetzt im Spiegel oder auf einem Foto erkennen. Im zweiten Lebensjahr bekommt das Kind auch einen Begriff von seinem Körper: Es empfindet sich als groß oder klein, es entdeckt die anatomischen Unterschiede zwischen Junge und Mädchen. Es erlebt, dass es in seinen motorischen Handlungen immer sicherer wird und sich damit auch ein Stück unabhängiger von den Erwachsenen machen kann.

Das Wörtchen „alleine“ wird jetzt ganz wichtig.

Das Kind versucht immer mehr selbst zu machen und wehrt sich gegen die Anforderungen anderer. Der Trotz ist eine Möglichkeit, seine zunehmende Selbstständigkeit auszudrücken, denn oft fehlen ihm ja noch die sprachlichen Möglichkeiten. Dadurch kann es leicht zu Missverständnissen kommen: Das Kind fühlt sich nicht verstanden. Es löst die Enttäuschung und die Spannung, die durch das Missverständnis entstanden sind, mithilfe eines Wutanfalls. Dieser kann dann so heftig ausfallen, dass der Zusammenhang mit dem Anlass gar nicht mehr zu erkennen ist. Eltern stehen dann oft eher hilflos vor dem heftigen Gefühlsausbruch und wissen nicht, wie sie ihrem Kind da wieder heraushelfen können. Es hat ja noch nicht gelernt, mit widerstreitenden Bedürfnissen und Anforderungen oder mit Enttäuschungen und Misserfolgen umzugehen.

Immer wieder gibt es Anlässe, die Ihr Kind in eine Spannung oder einen Konflikt geraten lassen, wie die folgenden typischen Fallbeispiele verdeutlichen sollen.

Trotz als positiver Entwicklungsabschnitt

Die Trotzphase, oder besser gesagt die Phase der Willensund Ich-Entdeckung, ist eigentlich ein positiver Entwicklungsabschnitt, denn die Fähigkeit, wütend zu werden, enttäuscht zu sein und sich zu wehren macht deutlich, dass das Kind lernt, sich als Persönlichkeit zu empfinden. Diese Selbstwahrnehmung hat sich zwar auch schon im ersten Lebensjahr ansatzweise gezeigt, aber erst ab dem Laufalter äußert sie sich konkreter: Das Kind beginnt „mein“ zu sagen oder sich selbst auf einem Foto zu erkennen. Wenn diese Phase auch extrem anstrengend sein kann, so dauert sie zum Glück nicht ewig! Das Kleinkind baut ab dem dritten Lebensjahr auch eine immer höhere Frustrationstoleranz auf. Es ist jetzt in der Lage, über längere Zeit eine psychische Spannung auszuhalten. Es lernt abzuwarten und kann Zusammenhänge besser erkennen. Es entwickelt ein Zeitgefühl. Es beginnt allmählich zu akzeptieren, wenn seine Wünsche nicht sofort befriedigt werden. Und es gerät nicht mehr so oft in die Sackgasse eines Wutanfalls, aus dem es alleine nicht herausfindet. Seine Willensäußerungen werden ab dem dritten Lebensjahr zunehmend zielund personenorientiert. Ihr Kind wird zur Durchsetzung seines Willens öfter seine verbale und aktive Aggressionskraft einsetzen. Wie Sie damit am besten umgehen können, lesen Sie im Kapitel „Kindliche Wutausbrüche und Aggressionen“ (Seite 52).

Anlässe für trotziges Verhalten

„Ich will alleine!“

Beispiel:

Anna, zwei Jahre alt, ist schon recht geschickt im Anziehen, und ihre Mutter ist sehr stolz auf sie. Sie hilft Anna zwar bei schwierigen Kleidungsstücken, was sie aber selbst an- oder ausziehen kann, das lässt sie Anna ganz alleine machen – auch wenn es länger dauert. Heute hat es die Mutter jedoch sehr eilig. Sie hat einen Arzttermin und möchte Anna deshalb schnell anziehen. Als Anna dies bemerkt, schreit sie: „Nein, nein, Anna will alleine machen“, verschränkt die Arme und läuft weg. Die Mutter fängt sie wieder ein. Anna wehrt sich nun mit Händen und Füßen, wirft sich auf den Boden, strampelt wie wild, tritt nach der Mutter und schreit immer wieder: „Nein, nein, alleine machen!“

Was geht in Anna vor?

Ist Anna bockig, böse oder gar aggressiv geworden? Keinesfalls. Anna ist nur enttäuscht, dass sie heute der Mama nicht zeigen kann, wie gut sie es alleine schafft; denn das ist für sie im Moment ganz wichtig. Da sie aber noch kein Zeitgefühl hat, weiß sie auch nicht, was für die Mutter ein Arzttermin und Pünktlichkeit bedeuten. Die Enttäuschung löst sich in einem Wutanfall und in einem Tränensee. Anders kann das Kind diese Spannung noch nicht abbauen.

Was geht in Annas Mutter vor?

Die Mutter steht unter Zeitdruck und ist enttäuscht, dass Anna sich so uneinsichtig verhält – wo sie ihr doch sonst so viel Freiheiten und so viel Zeit lässt, sich selbst anzuziehen. Sie wird immer nervöser, fängt nun an, Anna zu ermahnen und auszuschimpfen. Darauf reagiert die Kleine noch enttäuschter: Wo sie sonst gelobt wurde, wird sie heute ausgeschimpft. Anna erregt sich immer weiter und steigert sich so richtig in ihr Unglück hinein. Die Mutter weiß sich nun nicht mehr anders zu helfen und gibt Anna einen Klaps auf den Windel-Popo. Anna schluchzt, lässt sich aber jetzt widerstandslos hochheben und anziehen. Die Mutter fühlt sich unwohl und ist traurig, dass ihr wegen so eines geringfügigen Anlasses die Hand ausgerutscht ist. Später am Tag ruft sie ganz bekümmert eine Freundin an und erzählt ihr alles. Diese tröstet sie und meint: „Na ja, deine Anna kommt halt jetzt ins Trotzalter.“ Damit sind die Schuldgefühle keineswegs gelindert, die Mutter fühlt sich eher noch hilfloser.

 TIPP

Bereiten Sie Ihr Kind auf Unternehmungen vor.

Die Mutter hätte Anna von dem Arzt erzählen sollen und sie fragen können, welches Kuscheltier sie dem Arzt zeigen möchte. Sie kann Anna erzählen, dass sie in der Praxis malen darf und dass es hinterher beim Bäcker eine Brezel gibt. Jetzt müssen sich aber beide rasch anziehen, und die Mama muss heute mithelfen, damit es schneller geht. Sie weiß ja, Anna kann es so gut alleine. Anna wäre in diesem Fall abgelenkt worden; die Mutter hätte sie auf den Arztbesuch neugierig gemacht, und damit wäre Anna sicher auch kooperativer geworden.

Das Kind hat noch kein Zeitgefühl

Beispiel:

Max, drei Jahre, ist Einzelkind. Ein Grund, weshalb die Mutter jeden Nachmittag mit ihm auf den Spielplatz geht: Dort kann er mit anderen Kindern im Sand spielen. Max freut sich immer sehr auf diese kleinen Ausflüge und steht schon erwartungsfroh mit Eimer und Schaufel vor der Tür. Dann dreht er sich um und bringt der Mutter seine Gummistiefel. Diese ist aber noch mit Bügeln beschäftigt und sagt: „Ja, Max, ich komme gleich – wir gehen bald. Spiel noch ein bisschen.“ Max setzt sich jetzt auf den Boden zur Mutter und beschäftigt sich mit seinen Gummistiefeln. Alle paar Minuten fragt er: „Mama, kommst du jetzt? Ich möchte spielen gehen.“ Die Mutter vertröstet ihren Max weiter und sagt immer wieder „Ja, Max, gleich. Ich komme ja gleich.“ Plötzlich schmeißt Max den Eimer in die Ecke, danach die Gummistiefel und die Schaufel. Er stampft mit den Füßen und schreit: „Ich will jetzt gehen. Ich will gehen.“ Die Mutter schaut erschrocken auf und fängt an zu schimpfen. Schließlich hat sie ihm doch versprochen, dass es bald losgeht. Sie muss aber eben noch schnell ihre Bügelarbeit erledigen.

Was geht in Max vor?

Max hat sich erst sehr gefreut und war auch bereit, ein wenig zu warten. Das Wörtchen „gleich“ („Gleich bin ich fertig“) kann er aber noch nicht richtig einordnen. Er erlebt, dass die Mutter sagt: „Ich komme gleich“, während sie weiter bügelt. Jetzt reagiert Max enttäuscht, und bei der dritten Vertröstung wird er richtig wütend. Er hat den Eindruck, dass sein Wunsch nicht ernst genommen wird und dass er heute nicht mehr zum Spielen kommt. Für Max ist dieser Zeitraum „gleich“ einfach zu unübersichtlich und zu lang. Er hat doch ganz deutlich seinen Eimer und seine Stiefel hingestellt – als Zeichen, dass es jetzt losgeht …

Zu langes Warten kann für Kleinkinder ein Auslöser sein für Enttäuschungen, für Ärger und Erregung. Sie müssen sich dann in Wutausbrüchen erst mal Luft machen. Auch bei diesem Beispiel will das Kind die Mutter nicht ärgern, sondern seine Spannung muss nach der erlebten Enttäuschung einfach erst einmal raus.

Was geht in Max’ Mutter vor?

Für die Mutter ist das Verhalten von Max schwer einzuordnen, denn sie hat ihm doch gesagt, dass sie gleich fertig ist und nur noch die paar Sachen zu Ende bügeln muss. Sie ist enttäuscht, dass Max so wütend reagiert, und verspürt wenig Lust, noch mit ihm auf den Spielplatz zu gehen. Als sie ihm sagt: „Wenn du so weiter tobst, dann bleiben wir ganz zu Hause“, folgt ein neuer, viel heftigerer Wutausbruch. Max fühlt sich nun total missverstanden und ist frustriert.

TIPP

Vermeiden Sie lange Wartezeiten.

Vorschlag:

Da Kinder im Alter von Max weder ein Zeitgefühl haben noch die Uhr lesen können, wäre es günstiger gewesen, die Mutter hätte Max in ihre Arbeit mit einbezogen: „Hier, schau, ich bügle gerade deine Hose fertig. Dann kannst du sie morgen wieder anziehen“ oder „Das Hemd für Papa bügle ich schnell zu Ende, dann stelle ich das Bügeleisen weg und wir gehen zusammen zum Spielplatz.“ Max hätte dann geduldig zuschauen können und verstanden, warum er noch warten muss, bis es rausgeht.

Kleinkindern sollte man also nicht zu früh irgendwelche zeitlichen Ankündigungen machen, denn sonst kann die Wartezeit für sie unerträglich lang werden. Das Kind wird ungeduldig und reagiert enttäuscht mit einem Trotzanfall, der dann wiederum den Eltern die Lust nimmt, mit dem Kind noch etwas zu unternehmen. Bei einem Trotzanfall wäre es dann sicherlich richtiger, das Kind einfach in den Arm zu nehmen und zu sagen: „Gell, du warst ganz enttäuscht, weil ich halt doch noch länger gebraucht habe, aber jetzt gehen wir wirklich.“ Das Kind hätte sich verstanden gefühlt und sich schneller beruhigt. Die gute Laune wäre auf beiden Seiten ganz schnell wiederhergestellt.

In das Spiel vertieft

Ein weiterer Anlass für den Trotzanfall eines Kindes ist möglicherweise gegeben, wenn es unvorbereitet oder zu schnell aus seiner Spielwelt gerissen wird.

Beispiel: