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Das Value-Based Health Care Buch E-Book

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Beschreibung

Wie können wir in Zukunft mit weniger Ressourcen immer mehr Menschen würdig und qualitätsorientiert versorgen? Antworten auf diese Frage finden wir heute schon in innovativen Versorgungsmodellen, die die Prinzipien von Value-Based Health Care anwenden und damit beste Gesundheitsergebnisse zu auch langfristig tragbaren Kosten erzielen. Die Prinzipien von Value-Based Health Care wurden von Harvard-Professor Michael Porter und Elizabeth Teisberg, die dieses Buch mit ihrem Geleitwort eröffnet, entwickelt. Der Grundgedanke: Gesundheitsversorgung soll sich an den besonderen Bedürfnissen definierter Patientengruppen orientieren. Sie soll alle Schritte der Versorgungskette berücksichtigen, wobei die Messung der Ergebnisqualität und der Kosten im Zeitverlauf die Daten liefert, um so Versorgungsmodelle mit „Value“ für den Patienten und das Gesundheitssystem zu schaffen. Das Value-Based Health Care Buch erläutert die Prinzipien des Konzepts, angepasst an die Gesundheitssysteme Deutschlands und der Schweiz. Anhand konkreter Beispiele aus diesen Ländern soll im Detail vermittelt werden, wie diese Grundprinzipien schon jetzt an verschiedenen Stellen erfolgreich umgesetzt werden. Dabei richtet sich dieses Buch an alle mutigen Entscheiderinnen und Entscheider im Gesundheitswesen, die optimistisch in die Zukunft blicken, Lösungen finden und patientenzentrierte und nachhaltige Versorgung gerade in herausfordernden Zeiten sicherstellen wollen.

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Seitenzahl: 506

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J. Deerberg-Wittram V. Kirchberger | F. Rüter (Hrsg.)

Das Value-Based Health Care Buch

Gesundheitsversorgung nachhaltig gestalten

mit Beiträgen von

K. Ambord | S. Bilger | N. Biller-Andorno | K. Braune | R. Busse | E.-G. Carl | P. Colatrella | J. Deerberg-Wittram | A. Ekkernkamp | S.-C. Ernst | K. Gasser | C. Gerloff | D. Glinz | J. Graalmann | M. Graefen | N. Haffer | H. Haneke | E. Häusler | A. Hey | A. Hölscher | K. Hohenfellner | M. von Holleben | F. Kanieß | T. Kapitza | V. Kirchberger | B. Kladny | J. Klimke | H.K. Kroemer | T. Kuschel | D. Liedtke | D. Loppow | H. van Maanen | L. van Maasakkers | S. Mayer-Huber | C.A. Meier | P. Mommsen | A. Müller | S. Müller | N. Näf | M. Neubauer | A. Neudam | R. Nieper | J. Nikkhah | C. Perka | F. Pletscher | C. Pross | T. Rödiger | M. Rose | J. Rückher | F. Rüter | B. Schäpers | T. Schlomm | Y. Schreckenberger | N. Schweizer | V. Starker | V. Steinbeck | C. Stellmach | G. Thomalla | S. Thun | J. Thürmer | M. Utzig | A. Vlajnic | D. Volken | P. von Wedel | M. Weerts | S. Wesselmann | C. Zeckey

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Das Herausgeberteam

Dr. med. Jens Deerberg-Wittram

RoMed Kliniken

Pettenkoferstraße 10

83022 Rosenheim

Dr. med Valerie Kirchberger

HRTBT Medical Solutions GmbH

Rosenstr. 2

10178 Berlin

Dr. med. Florian Rüter

Universitätsspital Basel

Medizinische Direktion

Qualitätsmanagement & Value Based Healthcare

Spitalstraße 22

CH-4031 Basel

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Unterbaumstr. 4

10117 Berlin

www.mwv-berlin.de

ISBN 978-3-95466-843-4 (eBook: PDF)

ISBN 978-3-95466-844-1 (eBook: ePub)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2023

Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

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Die Verfasser haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Daher kann der Verlag für Angaben zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen (zum Beispiel Dosierungsanweisungen oder Applikationsformen) keine Gewähr übernehmen. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website.

Produkt-/Projektmanagement: Viola Schmitt und Anja Faulenbach, Berlin

Layout, Satz und Herstellung: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin

Cover: © iStock: Ivcandy

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Zuschriften und Kritik an:

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]

Geleitwort

Stellen Sie sich ein Gesundheitssystem vor, in dem jedem einzelnen Patienten die bestmögliche Versorgung und die umfassendste Heilung von Krankheit und Schmerz geboten wird. Um dieses Gesundheitssystem würde uns die ganze Welt beneiden. Es gäbe weniger traurige Patientenschicksale, eine bessere Lebensqualität und mehr Würde bis zum Lebensende. Dieser Anspruch war der Antrieb der Herausgeber:innen und der vielen Autor:innen, an diesem Buch mitzuarbeiten. Und es sollte die Motivation sein, dieses Buch zu lesen.

Der Sinn eines Gesundheitswesens besteht darin, dem Einzelnen und der Gesellschaft mehr Gesundheit zu geben. Es geht also nicht darum, für die heutige Versorgung einfach weniger zu bezahlen. Sondern es geht vielmehr darum, wie wir bessere Behandlungsergebnisse für möglichst alle Patient:innen erreichen können und wie wir die Voraussetzungen dafür schaffen. Denn bessere Behandlungsqualität reduziert auch die Kosten für Komplikationen, gesundheitliche Verschlechterung und Invalidität. Value-Based Health Care gibt den Weg zur besten Versorgung aller Menschen vor, ohne Rationierung der Versorgung, ohne lange Wartezeiten und ohne ständig steigende Ausgaben.

Seit ich zusammen mit Harvard-Professor Mike Porter das Buch „Redefining Health Care“ geschrieben habe, versuche ich, Value-Based Health Care weltweit in der Versorgungsrealität zu etablieren. Dabei arbeite ich mit Mediziner:innen und Führungskräften auf der ganzen Welt zusammen. Die Herausgeber:innen dieses Buches gehören zu den beeindruckendsten Vertretern beider Welten, mit denen ich bisher zusammenarbeiten durfte. Sie sind Vorreiter bei der Messung und Verbesserung von Behandlungsergebnissen in Kliniken und Gesundheitssystemen. Und sie sind Ärzt:innen, die wissen, dass sich der Nutzen einer Behandlung an der Verbesserung des Gesundheitszustandes jedes Patienten messen lassen muss – zur rechten Zeit, am rechten Ort.

Die Führungskräfte, die in diesem Buch zu Wort kommen, haben den Mut zu messen, worauf es ankommt. Sie fragen nicht nur, ob die Patienten zufrieden sind, sondern ob die Behandlung wirklich dazu beigetragen hat, ihre Leistungsfähigkeit, ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität zu verbessern. Ihr großes Engagement und ihre Erfahrungen bei der Umsetzung einer hervorragenden Gesundheitsversorgung sind für mich äußerst inspirierend.

Ein Gesundheitswesen ist dann erfolgreich, wenn es den Menschen, für die es verantwortlich ist, ein immer besseres Leben ermöglicht. Dieser Anspruch gilt auch für die Beispiele in diesem Buch. Die größte Herausforderung für die Gesundheitssysteme ist die Notwendigkeit, sich ständig weiterentwickeln und verbessern zu müssen. Die Messung aussagekräftiger Behandlungsergebnisse ist von entscheidender Bedeutung, um zu erkennen, ob und wie Versorgung erfolgreich ist. Wir müssen Ungleichheit bei der Versorgung aufdecken und sie beseitigen, um allen Patient:innen wirklich zu helfen.

Lassen Sie sich bei der Lektüre dieses Buches von den Beispielen für Value-Based Health Care inspirieren. Lesen Sie von den Möglichkeiten, wie wir Gesundheit verbessern und die Menschen in Gesundheitsberufen bei ihrer wichtigen Arbeit motivieren können. Die Kosten der Versorgung sind sicherlich relevant, aber die wichtigste Erkenntnis von Value-Based Health Care ist, dass ein Leben in guter Gesundheit auch immer weniger teuer ist als ein Leben in schlechter Gesundheit.

Eine hervorragende Gesundheitsversorgung ist Auszeichnung und Berufung aller Menschen in Gesundheitsberufen. Und sie unterstreicht die professionelle Selbstbestimmung aller Berufsgruppen. Die Konzentration auf die Verbesserung der Behandlungsergebnisse ist in Zeiten überbordender Bürokratie auch ein gutes Mittel gegen Burnout. Die im VBHC-Buch vorgestellten Beispiele weisen den Weg zu einer Neuorientierung der Gesundheitsversorgung zu ihrem ursprünglichen Zweck des Helfens und Heilens. Auf diesem Weg können wir die wertbasierte Transformation unserer Gesundheitssysteme schaffen.

Professor Elizabeth Teisberg, Ph.D.

Im August 2023

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dieses Buch soll Sie erfreuen, erhellen und ermutigen! In Zeiten, in denen wir viel von Krisen hören, über Defizite sprechen und uns in düsteren Zukunftsszenarien überbieten, wollen wir Sie mit unserem Optimismus anstecken. Eine gute Gesundheitsversorgung wird immer wichtiger, weil wir Menschen dankenswerterweise immer älter werden. Und eine gute Gesundheitsversorgung kümmert sich eben um den Erhalt oder die Wiederherstellung von Gesundheit und Lebensqualität. Diesen von uns allen gewollten Erhalt der Gesundheit können wir am besten sicherstellen, wenn sich kompetente Teams ganzheitlich um Patienten mit ihren konkreten Krankheitsbildern kümmern, wenn die Vor- und Nachsorge gut organisiert ist und wenn man die erzielten Gesundheitsergebnisse systematisch erfasst und verbessert.

So wie im letzten Satz kann man ungefähr das Konzept Value-Based Health Care (VBHC) zusammenfassen, das im Zentrum dieses Buches steht. Aber der Theorie-Teil zu VBHC ist nur kurz! Wir wollen zusammen mit unseren Autorinnen und Autoren anhand konkreter Beispiele zeigen, wie schon heute in Deutschland und der Schweiz VBHC umgesetzt wird. Diese Beispiele sollen Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu anregen, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, neue Wege zu beschreiten und ihren Patienten eine qualitativ hochwertige, menschliche und ökonomisch nachhaltige Versorgung anzubieten.

Man kann „Das Value-Based Health Care-Buch“ von der ersten bis zur letzten Seite als eine deutschsprachige Einführung in das Thema lesen. Es eignet sich aber auch als Nachschlagewerk, das die wichtigsten Elemente von VBHC erläutert, Erfahrungsberichte teilt und Anstöße für eine bessere Gesundheitsversorgung bietet. Dafür haben wir das Buch in sieben Sektionen eingeteilt. Im allgemeinen Teil, der Sektion I, wird beschrieben, warum gerade jetzt die Zeit für VBHC aus unserer Sicht gekommen ist.

Die neuen Spielregeln von VBHC in Sektion II erläutern, welchen Einfluss das Konzept auf verschiedene Akteure im Gesundheitswesen hat. In dieser Sektion sind uns vor allem die Beiträge der Patienten wichtig, die erklären, wie aus ihrer Sicht eine gute Versorgung aussehen soll.

Die interdisziplinäre und die integrierte Versorgung werden in den Sektionen III und IV beleuchtet, bevor wir uns ausführlich in den Sektionen V und VI mit der Ergebnismessung und der qualitätsorientierten Vergütung beschäftigen. Den Abschluss in der Sektion VII bilden Beiträge zu den aktuellen Herausforderungen Fachkräftemangel, Arbeitsplatzattraktivität, innovative Versorgungsformen und Nachhaltigkeit.

In unserem Buch kommen Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen zu Wort. Um die Gesundheitssysteme nachhaltig zu verbessern, braucht es neben Ärzten, Pflegenden und Wissenschaftlern auch das Engagement von Versicherern, der Pharma- und Medtech-Industrie, der Gesundheitspolitik und dem Management. Die unterschiedlichen Blickwinkel aller beteiligten Autorinnen und Autoren, ihre Konzepte und Visionen machen das Buch aus unserer Sicht besonders lesenswert.

Wir danken allen Autorinnen und Autoren sehr herzlich für ihre Beiträge und für die intensiven Diskussionen, die wir während der Entstehung des Buches mit ihnen führen durften. Wir haben von diesem Austausch sehr profitiert. Dem Verleger der Medizinisch-Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Dr. Thomas Hopfe danken wir für seine Anregung, dieses Buch herauszugeben und für die kompetente Unterstützung. Viola Schmitt und Anja Faulenbach danken wir für das umsichtige Projektmanagement bei diesem Buchprojekt.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine kurzweilige Lektüre!

Jens Deerberg-Wittram, Valerie Kirchberger und Florian Rüter

Rosenheim, Berlin und Basel im August 2023

Inhalt

IValue-Based Health Care: Eine Begriffsbestimmung

1Was ist Value-Based Health Care?Jens Deerberg-Wittram, Valerie Kirchberger und Florian Rüter

2Die Krankenhauslandschaft in Deutschland: Ausgangssituation und ReformbedarfJens Deerberg-Wittram, Janis Nikkhah, Christoph Pross und Reinhard Busse

3Reform der KrankenhausvergütungJens Deerberg-Wittram, Janis Nikkhah, Christoph Pross und Reinhard Busse

4Value-Based Health Care in der Schweiz: Ein Land im AufbruchChristoph A. Meier und Florian Rüter

IINeue Spielregeln durch Value-Based Health Care

1Gesundheitsversorgung im UrzustandJens Deerberg-Wittram

2Value-Based Health Care und akademische MedizinHeyo K. Kroemer und Florentine Kanieß

3Value-Based Health Care und Life SciencesKatharina Gasser

4Schweizer Gesundheitsversorgung: Blackbox QualitätPhilomena Colatrella

5Nothing about us without us: Value-Based Health Care aus der Perspektive von Menschen mit DiabetesKatarina Braune

6Was uns Prostatakrebspatienten am Herzen liegtErnst-Günther Carl

IIIInterdisziplinäre Versorgung von Menschen mit komplexen Krankheitsbildern

1Integrated Practice UnitsFlorian Rüter

2Die zertifizierten Krebszentren der DKGMartin Utzig, Johannes Rückher und Simone Wesselmann

3Martini-Klinik: Value-Based Health Care durch EigeninitiativeDetlef Loppow und Markus Graefen

4Interdisziplinäre Cystinose-Sprechstunde: Versorgungsmodell für eine seltene ErkrankungKatharina Hohenfellner und Jens Deerberg-Wittram

5Traumaversorgung in Deutschland: TraumanetzwerkeChristian Zeckey und Philipp Mommsen

IVBehandlung ohne Grenzen: Von der Prävention bis zur Rehabilitation

1Die BehandlungsketteJens Deerberg-Wittram

2Hundert Jahre VBHC: Gesetzliche Unfallversicherung und BG KlinikenAxel Ekkernkamp, Reinhard Nieper, Maike Weerts und Josephine Klimke

3Schlaganfallversorgung in Deutschland und das Projekt StroCareGötz Thomalla und Christian Gerloff

4Das Hirslanden Continuum of Care als Beispiel für Value-Based Health CareNiowi Näf, Ana Vlajnic und Daniel Liedtke

VGesundheitsergebnisse messen und verbessern: Von Daten zu Taten!

1Ergebnismessung aus PatientensichtValerie Kirchberger

Exkurs: Dateninteroperabilität

Caroline Stellmach, Nina Haffer und Sylvia Thun

2Eine Partnerschaft zwischen der Life-Science-Industrie und Spitälern als Treiber für VBHC: Optimierung des Patientennutzens am Beispiel des LungenkarzinomsJessica Thürmer, Flurina Pletscher und Dominik Glinz

3Das Endoprothesenregister Deutschland: Mehr Transparenz und Patientensicherheit in der endoprothetischen VersorgungAndreas Hey, Bernd Kladny und Carsten Perka

4Public Reporting von patientenzentrierten GesundheitsergebnissenAnnabelle Neudam

5Standardisierung von Erhebungsinstrumenten: Ein Muss oder ein Kann?Matthias Rose

6Digitale Ergebnismessung: IT als Grundvoraussetzung für die Umsetzung von Value-Based Health CareHannah Haneke und Moritz Neubauer

7Die RoMed-Kliniken und PROMs: Ein ErfahrungsberichtSandra Mayer-Huber und Barbara Schäpers

8Lessons learned: Fünf Jahre PROMs am Universitätsspital BaselSelina Bilger, Annabell Müller und Florian Rüter

9Ein Framework für die PROM-Einführung im GesundheitssystemViktoria Steinbeck, Sophie-Christin Ernst und Christoph Pross

VIQualitätsorientierte Vergütung: Leistung muss sich lohnen

1Qualitätsorientierte VergütungSophie-Christin Ernst, Viktoria Steinbeck, Christoph Pross und Reinhard Busse

2Qualitätsverträge: Ein Instrument zur Umsetzung von Value-Based Health Care in deutschen KrankenhäusernAndreas Hölscher, Philip von Wedel und Christoph Pross

3Von Leuchttürmen zur Breitenwirkung: Anreizmechanismen und modulare QualitätsverträgeYannik Schreckenberger und Moritz Neubauer

4Value-Based Pricing in der Schweiz: Erste Gehversuche am Beispiel der Hüft-TotalprotheseDaniel Volken

5Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Ethische Aspekte des Value-Based PricingThomas Kapitza, Nikola Biller-Andorno und Christoph A. Meier

6EndoXQ: Digitale Innovation und Risk-Sharing im Kontext eines Qualitätsvertrages in der EndoprothetikAndreas Hölscher, Philip von Wedel und Christoph Pross

7Mit Value-Based Health Care in die Zukunft: Praxisbericht Johnson & Johnson AG SchweizSarah Müller und Nora Schweizer

VIIAntworten auf neue Herausforderungen für Value-Based Health Care

1Das Potenzial von Value-Based Health Care für junge Mediziner:innenSophie-Christin Ernst und Hannah Haneke

2Value-Based Health Care meets New WorkVera Starker

3Value-Based Health Care und Präzisionsmedizin: Erfahrungen am Beispiel der DNA-MedTim Rödiger, Tim Kuschel, Harm van Maanen, Jürgen Graalmann und Thorsten Schlomm

4Zwei Seiten derselben Medaille: Qualität & PersonalLisa van Maasakkers

5Value-Based Health Care und NachhaltigkeitMax von Holleben

6Mindful HospitalElvira Häusler und Kilian Ambord

Die Autorinnen und Autoren

I

Value-Based Health Care: Eine Begriffsbestimmung

1Was ist Value-Based Health Care?Jens Deerberg-Wittram, Valerie Kirchberger und Florian Rüter

1.1Das deutsche Gesundheitswesen: Ein gesundes System?

In Zeiten, in denen uns Deutschen der politische Konsens abhanden zu kommen scheint, ist unser Gesundheitswesen eine der letzten Bastionen breiter Zufriedenheit. Politiker aller Fraktionen und Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen sind sich einig: Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt! Ein wesentlicher Grund für diese Einschätzung ist die Tatsache, dass kaum ein Land so uneingeschränkten Zugang zu ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen gewährt. Und wir sind es gewohnt, dass wir für diese Leistungen fast nichts zuzahlen müssen. Dabei sind die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse im Vergleich zu anderen Industrienationen niedrig. Ist Deutschland also das „gelobte Land“, das auch ohne „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen die Vollversorgung einer immer älteren und anspruchsvolleren Bevölkerung meistert?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Produktivität unseres Gesundheitswesens sicherlich sehr hoch ist. Wer in einer Arztpraxis, einer Pflegeeinrichtung oder einem Krankenhaus arbeitet, der weiß, mit welcher „Drehzahl“ wenig Personal immer mehr Patienten versorgen muss.

Das deutsche Gesundheitswesen ist fragmentiert, oft intransparent, manchmal ungerecht und voller Qualitätsdefizite. Das wirtschaftliche Überleben der Leistungserbringer spielt bei immer mehr medizinischen Entscheidungen eine Rolle, und die wirksamsten „Hebel“ heißen Fallzahlsteigerung oder Kostensenkung – am besten sogar beides auf einmal. Ein solches System verliert das große Ziel aus den Augen, um das es eigentlich geht: den Patienten gesund zu machen und dabei die Kosten im Auge zu behalten. Das Verhältnis der medizinischen Ergebnisqualität zu den Versorgungskosten einer Behandlung nennt der US-Amerikanische Wirtschaftsprofessor Michael Porter Value (Porter u. Teisberg 2006). Ein System, das den Value systematisch fördert, bezeichnen sie als Value-Based Health Care (VBHC). Der mangelnde Fokus auf den Value hat auf lange Sicht auch wirtschaftliche Folgen. Fallzahlsteigerung bedeutet wachsende Ausgaben für das Gesundheitssystem, und der mangelnde Fokus auf die Versorgungsqualität befördert vermeidbare Komplikationen, Nachbehandlungen und Notfälle. Die besonderen Belastungen des Gesundheitssystems in den Jahren der COVID-Pandemie haben die Rücklagen der gesetzlichen Krankenkasse und des Gesundheitsfonds vollständig aufgebraucht. Das deutsche Gesundheitswesen ist praktisch pleite, und nur eine rasche Umorientierung kann verhindern, dass wir Leistungen rationieren müssen und damit kranke Menschen benachteiligen.

1.2Value als übergeordnetes Ziel

Value ist nach der Definition von VBHC quantifizierbar, weil sowohl die Ergebnisqualität als auch die Kosten einer Behandlung gemessen werden können. Damit kann Value auch als Zielgröße eines Wettbewerbs im Gesundheitswesen dienen: Die Ärzte oder die Kliniken, die den höchsten Value erzielen, sollen im Wettbewerb gewinnen!

1.2.1Wettbewerb im Gesundheitswesen

Im Wettbewerb des Gesundheitswesens bemühen sich die Anbieter von Leistungen (Ärzte und Kliniken), dass die Nachfrager von Leistungen (Patienten, zuweisende Ärzte und ggf. auch Kostenträger) ihre Versorgungsangebote in Anspruch nehmen. Im idealen Wettbewerb gibt es ausreichend Angebote, Transparenz über die wichtigsten Unterschiede zwischen den Leistungserbringern und ihren Angeboten und Wahlfreiheit der Nachfrager. Im idealen Wettbewerb um den größten Value wird die Auswahl auf Basis von Daten und objektivierbaren Kriterien über Qualität und Kosten getroffen. Fehlen solche Daten oder Kriterien, dann „gewinnen“ möglicherweise die Gesundheitsleistungen, die unnötig oder gar schädlich sind. Und vergisst man den Kostenaspekt, dann wird die Versorgung so teuer, dass zumindest Teile der Bevölkerung von wichtigen Behandlungen ausgeschlossen sind. Ein Beispiel für einen dysfunktionalen Wettbewerb im Gesundheitswesen ist die Versorgung mit langstreckigen Wirbelsäulenversteifungen in Deutschland. Diese Operationen sind sehr teuer, nur für ausgewählte Patientengruppen medizinisch indiziert und in der Durchführung anspruchsvoll. Da oft keine objektiven Kriterien bei der Indikationsstellung herangezogen werden und die Qualität der Operation selten transparent gemacht wird, werden immer mehr dieser teuren Eingriffe an Patienten durchgeführt, die davon nicht profitieren können oder sogar darunter leiden (Zich u. Tisch 2017).

1.2.2Ergebnisqualität

Was ein gutes medizinisches Ergebnis ist, kann nur der Patient beurteilen. Diese Feststellung macht nach wie vor einigen Ärzten zu schaffen: Was soll man machen, wenn die Erwartungen des Patienten unrealistisch sind? Und warum soll ein Arzt für mehr verantwortlich gemacht werden als die perfekte Durchführung einer Operation oder das Verschreiben der richtigen Medikamente? Kann ein Arzt „schuldig“ sein, wenn sich ein Implantat lockert oder der Patient das Einnehmen seiner Tabletten immer wieder vergisst?

Zunächst geht es beim Konzept der Ergebnisqualität nicht um Verantwortung oder gar Schuld. Sondern es geht um das Erheben von aussagekräftigen Daten und ein gemeinsames Verständnis von Erfolg oder Misserfolg. Wenn der Patient nach der Rückenschmerz-Operation genauso große Schmerzen hat wie vorher, dann ist das schlechte Ergebnisqualität, egal wie kunstvoll operiert wurde oder wie fehlerlos das postoperative Röntgenbild aussieht. War dieses Ergebnis vorherzusehen und wurde der Patient nicht entsprechend aufgeklärt, dann ist das ein schlimmes Versäumnis. Und Aufklärung bedeutet nicht nur das Hinweisen auf mögliche Komplikationen! Auch wenn das zuverlässige Einnehmen von Medikamenten bei einem alleinlebenden und leicht dementen Patienten nicht sichergestellt ist, dann ist das „einfache Verschreiben“ nicht ausreichend. Deshalb gilt im Sinne vom Value: Nur wenn eine Behandlung zu einer messbar besseren Lebensqualität, einer Linderung von Krankheitssymptomen und Schmerzen oder zumindest zum Aufhalten einer progredienten Krankheit führt, kann von einem guten Ergebnis gesprochen werden. Diese Ergebnisqualität muss abhängig vom Krankheitsbild in vielen Dimensionen gemessen werden (Porter 2010). Dabei reicht nicht eine kurze Momentaufnahme z.B. bei Entlassung aus dem Krankenhaus oder beim Besuch des Hausarztes. Ergebnisqualität muss konsequent vom Auftreten erster Symptome an bis zum Abschluss der Behandlung regelmäßig und mehrdimensional erfasst werden. Nur in der Langzeitbetrachtung können wir feststellen, ob eine Behandlung wirklich nachhaltig erfolgreich war. Für die Messung der Ergebnisqualität aus Patientensicht haben sich in den letzten Jahren sogenannte Patient-Reported Outcomes (PROMs) etabliert (Black 2013). PROMs sind validierte und wissenschaftlich akzeptierte Instrumente, die als standardisierte Fragebögen eine valide und reliable Information über bestimmte Dimensionen der funktionalen, kognitiven und mentalen Fähigkeiten des Patienten geben. Im Idealfall messen alle Anbieter ihre Ergebnisqualität auf eine standardisierte Weise und machen die Daten nach innen und außen transparent. So ist nicht nur gewährleistet, dass sich Patienten und Zuweiser informieren können, sondern die Transparenz über die eigene Qualität kann gezielt für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden.

1.2.3Behandlungskosten

Für die Beurteilung des Value ist es notwendig, auch die relevanten Behandlungskosten zu kennen. Die finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen sind begrenzt. Deshalb müssen wir uns für die Behandlungen entscheiden, bei denen einer möglichst guten Ergebnisqualität vernünftige Gesamtkosten gegenüberstehen. Ähnlich wie bei der Betrachtung der Ergebnisqualität müssen dabei alle anfallenden Kosten über den gesamten Behandlungsverlauf des Krankheitsbildes erfasst werden. Aus Sicht des Gesundheitssystems ist die isolierte Beurteilung der Kosten eines Eingriffs (z.B. einer Herzoperation) nicht ausreichend. Wichtiger ist vielmehr, wie hoch die Kosten der Behandlung der kardiovaskulären Erkrankung insgesamt waren (wobei die Operation wahrscheinlich ein signifikanter Kostenblock war), und ob eine alternative Behandlung (z.B. eine medikamentöse Therapie oder ein Herzkathetereingriff) bei niedrigeren Kosten zu einer ähnlichen Ergebnisqualität geführt hätte.

1.2.4Die Messung von Value

Im Idealfall werden für jeden Patienten sowohl die Krankheitsbild-spezifischen medizinischen Ergebnisse als auch die Kosten der gesamten Behandlung erfasst. Das ist in Deutschland gerade wegen der Trennung des ambulanten und stationären, des akutmedizinischen und des rehabilitativen Sektors oft schwierig. Doch einige fortschrittliche Organisationen machen bereits seit langer Zeit vor, wie man trotz dieser Hürden für einige Krankheitsbilder den Value erfassen kann. So erfasst die Martini-Klinik in Hamburg, ein Spezialkrankenhaus für die Behandlung des Prostatakarzinoms, bereits seit über 25 Jahren die Ergebnisqualität aller Patienten vom Behandlungsbeginn bis zum Lebensende (Huland et al. 2018). Auch die Charité in Berlin (Karsten et al. 2018), das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das Unispital Basel erfassen für einzelne Patientengruppen die Ergebnisqualität nach Standards des International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM) (Porter et al. 2016).

Die standardisierte Messung der Ergebnisqualität ist mithilfe digitaler Erfassungstools deutlich einfacher geworden. Früher mussten die Patienten Papierfragebögen ausfüllen, die dann zu Auswertungszwecken aufwändig in Datenbanken übertragen wurden. Vor allem die Nacherfassung Monate oder Jahre nach Verlassen des Krankenhauses war schwierig, weil z.B. Patienten umgezogen waren oder weil sie das Zurückschicken der Fragebögen vergaßen. Heute können die Eingaben von den Patienten über datensichere Portale am Computer, am Tablet oder Smartphone erfolgen. Der Aufwand für die Patienten ist damit sehr gering, und die Klinik kann den Patienten unmittelbar wichtige Rückmeldungen zum Genesungsverlauf geben. Die so gewonnenen Daten können direkt verarbeitet und z.B. bei Visiten oder Ambulanzbesuchen verwendet werden. Studien zur Nutzung von PROMs bei der Symptomkontrolle von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen haben gezeigt, dass die konsequente Messung der Behandlungsqualität nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern auch das Gesamtüberleben signifikant verbessert (Basch 2017).

Weniger etabliert als die Messung der Ergebnisqualität ist die routinemäßige Erfassung der Behandlungskosten für Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild. Die meisten Krankenhäuser verfügen über eine Kostenstellenrechnung, bei der die Kosten der verschiedenen Patientengruppen einer Abteilung nicht getrennt betrachtet werden. Lediglich Kostenstellen, die nur Patienten mit einem einzigen Krankheitsbild umfassen, lassen Rückschlüsse auf die durchschnittlichen Behandlungskosten pro Patient im Krankenhaus zu. Allerdings umfassen die Kosten einer Patientengruppe auf Ebene des Gesundheitssystems auch die Kosten vor und nach dem Krankenhausaufenthalt. Um diese sinnvoll erfassen zu können, ist es notwendig, den gesamten Behandlungsprozess detailliert zu dokumentieren, um dann die Prozesskosten der einzelnen Aktivitäten zu erheben. Das dafür geeignete Kostenrechnungsverfahren und seine Anwendung für Analysen von Value sind gut beschrieben (Kaplan u. Porter 2011). Die systematische Erfassung der Behandlungskosten auf Ebene von Krankheitsbildern ist zumindest in einigen hochspezialisierten Fachkliniken üblich.

Die kontinuierliche Messung der medizinischen Ergebnisqualität und der dafür aufgewendeten Kosten ermöglichen Vergleiche, auf Basis derer die Leistungserbringer Verbesserungsprojekte durchführen können. Diese haben zum Ziel, dass entweder die medizinischen Ergebnisse besser werden oder, bei gleichbleibend hoher Qualität, die Kosten sinken. Reine Ergebnisverbesserung ohne Kostenkontrolle kann leicht zu ausufernden Kosten führen. Kostensenkung ohne Qualitätsmessung führt schnell dazu, dass man „am falschen Ort“ spart.

1.2.5Vergütungsmodelle, die Value honorieren

Wenn ein Krankenhaus zusammen mit niedergelassenen Ärzten einen großen Value erzielt und nachweisen kann, dann kann das die Grundlage für qualitätsorientierte Vergütungsmodelle sein. In solchen Vergütungsmodellen garantieren die Leistungserbringer gegenüber den Kostenträgern typischerweise eine bestimmte Ergebnisqualität und nehmen Abschläge bzw. Zusatzkosten in Kauf, sollte die vereinbarte Qualität nicht erreicht werden. Im Jahr 2016 wurden im Krankenhausstrukturgesetz die rechtlichen Voraussetzungen für Qualitätsverträge zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen in Deutschland geschaffen (Krankenhausstrukturgesetz 2015). Derzeit haben also Krankenhäuser für vier Krankheitsbilder (u.a. für die endoprothetische Versorgung von Patienten mit fortgeschrittener Arthrose) Vergütungsvereinbarungen getroffen, bei denen ein nachweisbar verbesserter Value wirtschaftliche Vorteile für die Klinik und die Kostenträger haben soll. Im Jahr 2022 sind weitere vier Leistungsbereiche, unter anderem der wichtige Bereich der Geburten, für Qualitätsverträge geöffnet worden.

Beispiel: Qualitätsorientierte Vergütung orthopädischer Leistungen in Schweden

Schwedens nationales Gesundheitssystem ist steuerfinanziert und es garantiert allen Schweden eine umfassende Gesundheitsversorgung ohne Zuzahlungen oder Leistungsbegrenzungen. Die allermeisten Leistungserbringer sind öffentliche Einrichtungen und die Gesundheitsversorgung ist regional organisiert. Um einer Kostensteigerung durch unkontrollierte Mengenausweitungen entgegenzuwirken, werden einige elektive Leistungen regional ausgeschrieben. Qualifizierte Krankenhäuser können um Mengendeputate bieten, die sie dann im vereinbarten Zeitraum „abarbeiten“. Dieses Vergabeverfahren wurde vom für die Gesundheitsversorgung zuständigen Bezirksrat von Stockholm seit 2009 genutzt, um im sogenannten Orthochoice-Programm Krankenhäuser zu bestimmten Qualitätsgarantien zu verpflichten. Hierbei wurde den beteiligten Kliniken für endoprothetische Leistungen ein Leistungsbündel vergütet, das diagnostische, akuttherapeutische und rehabilitative stationäre und ambulante Leistungen umfasste. Für die Endoprothetik werden in Schweden schon seit den 70er-Jahren in einem nationalen Qualitätsregister umfassende Daten unter anderem zu kurzfristigen und langfristigen Komplikationen nach Gelenkersatzeingriffen erhoben. Auf Basis dieser Daten mussten die am Orthochoice-Programm beteiligten Kliniken Garantien u.a. für vermeidbare Komplikationen und Reoperationen geben. Alle mit solchen unerwünschten Ereignissen verknüpften Zusatzkosten waren mit der Fallpauschale abgegolten und mussten ggf. vom Krankenhaus getragen werden. Das Orthochoice-Programm führte zu einem signifikant besseren Value. Komplikationen gingen im Laufe weniger Jahre um 26% zurück, Reoperation sogar um 36%, und die Kosten sanken um durchschnittlich 20% (Porter et al. 2014).

Ermutigt durch diese Ergebnisse startete der Stockholmer Bezirksrat im Jahr 2014 ein noch weiter entwickeltes Programm, diesmal für Patienten mit Rückenschmerzoperationen. Wieder war das Ziel, Kosten zu sparen und Qualität zu steigern. Zusätzlich sollten aber auch unnötige Eingriffe verhindert werden. Hierfür wurden erstmals neben Daten zu Patientenmerkmalen und Komplikationen auch PROMs genutzt. Das Modell umfasst eine prospektive Vergütung, die von der Art des Eingriffs und der durchschnittlichen Fallschwere abhängig ist, sowie eine leistungsabhängige Vergütung, die von der verbesserten Lebensqualität und Schmerzsituation des Patienten ein Jahr nach der Operation bestimmt wird. Vergütet wird wiederum ein Leistungsbündel, das den Krankenhausaufenthalt des Patienten sowie die Vor- und Nachbehandlung umfasst. Die leistungsabhängige Komponente macht 10% der Gesamtvergütung aus, wobei sie abhängig von den Schmerzen des Patienten bis zu 27% niedriger oder 34% höher ausfallen kann. Dies bedeutet für die Kliniken im schlimmsten Fall, dass auch bei einer exzellent durchgeführten Operation schmerzhafte finanzielle Abschläge fällig werden, wenn der Patient von dem Eingriff nicht profitiert. Dieses Vergütungsmodell lässt Kliniken einerseits vorsichtiger bei der Indikationsstellung für eine Operation und gleichzeitig gründlicher bei der Vor- und Nachbehandlung werden. Schwierige Eingriffe werden nur noch von Kliniken durchgeführt, die ausreichend Erfahrung haben, und einige Krankenhäuser spezialisieren sich sogar auf anspruchsvolle Patientengruppen, bei denen auch leichte Verbesserungen schon „gute Ergebnisse“ sind. Erste Daten zeigen, dass dieses Vergütungsmodell tatsächlich zu niedrigeren Kosten, besserer Nachbehandlung, weniger Komplikationen und weniger vergeblichen Eingriffen führt (Porter et al. 2014).

Beispiel: Qualitätsorientierte Vergütung für die Brustkrebsbehandlung in den Niederlanden

Das Krankenversicherungsgesetz von 2006 in den Niederlanden hat privaten Krankenversicherern die Aufgabe übertragen, ein bezahlbares und für alle zugängliches Gesundheitswesen mit hoher Versorgungsqualität sicherzustellen. Dies führte zur Implementierung des VBHC-Konzepts im niederländischen Gesundheitswesen. Krankenversicherungen erwerben hier Versorgungsleistungen von Krankenhäusern durch Selektivverträge, in denen Preis und Qualität festgelegt werden.

Zilveren Kruis, die größte niederländische Krankenversicherung, hat in fünf Pilotprojekten (Kataraktchirurgie, Brustkrebschirurgie, Neugeborenenversorgung, Depressions- und Angststörungstherapie und Suchtbehandlung) mit verschiedenen Krankenhäusern innovative Versorgungsverträge abgeschlossen, die Ergebnisqualität und Kosten besonders berücksichtigen (Dohmen u. van Raaij 2018). Am Auswahlprozess für diese Verträge haben insgesamt 90 Krankenhäuser teilgenommen.

Vier wesentliche Elemente haben die Verträge gekennzeichnet:

1. Das Krankenhaus und nicht der Versicherer legt auf Basis seiner eigenen Erfahrung fest, welche Kriterien zu berücksichtigen sind.

2. Das Krankenhaus übernimmt volle Verantwortung für die erreichte Ergebnisqualität.

3. Der Versicherer definiert keine Mindestvoraussetzungen bei der Auswahl der Krankenhäuser, d.h. jedes Krankenhaus kann prinzipiell teilnehmen.

4. Die Auswahl des Krankenhauses erfolgt allein auf Basis der historischen Versorgungsqualität (bei den im Vertrag relevanten Qualitätsindikatoren), nicht der Preise oder Kosten.

Santeon ist eine Gruppe von sechs unabhängigen Krankenhäusern in den Niederlanden, die 2010 zusammenkamen, um das Thema Value systematisch weiterzuentwickeln (Okunade et al. 2017). Eine Vereinbarung dieser Zusammenarbeit war die einheitliche Messung der Ergebnisqualität für bestimmte Krankheitsbilder an jedem Standort und der Vergleich der Patientendaten. Die regelmäßigen Treffen und Datenanalysen führten zu signifikanten Verbesserungen der gemessenen Qualität. Aufgrund ihrer herausragenden Ergebnisqualität schlossen die Santeon-Krankenhäuser Ende 2016 mit drei der vier großen Krankenversicherer in den Niederlanden qualitätsorientierte Versorgungsverträge ab. Die Vergütung basiert auf der Ergebnisqualität der Brustkrebsbehandlung und kann je nach Behandlungsergebnis zwischen 95 und 105 Prozent der Fallpauschale liegen. Krankenhäuser erhalten auch einen Bonus für Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr, und das beste teilnehmende Krankenhaus erhält einen zusätzlichen Bonus. Die Transparenz der Daten, der Vergleich mit anderen Anbietern und finanzielle Anreize sollen die Qualität der Santeon-Kliniken weiter verbessern und ihre Positionierung als Gruppe von Qualitätskliniken stärken.

Qualitätsorientierte Vergütung für die Behandlung jugendlicher Diabetiker in den Niederlanden

Typ-1-Diabetes tritt normalerweise im Kindes- und Jugendalter auf und erfordert eine kontinuierliche Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Diese Kontrolle erfolgt durch regelmäßige Messungen, Insulinersatz und eine angepasste Lebensweise. Die Herausforderung besteht darin, dass der Blutzuckerspiegel über den Tag und im Laufe des Lebens stark schwankt. Jugendliche haben besonders Schwierigkeiten, sich an die erforderlichen Verhaltensregeln zu halten. Unzureichend kontrollierter Diabetes kann zu Notfällen und schwerwiegenden Folgeerkrankungen führen.

Diabeter, eine Klinikkette in den Niederlanden, hat ein innovatives Versorgungskonzept für Jugendliche mit Typ-1-Diabetes entwickelt. Die Patienten besuchen nur viermal im Jahr eine der Diabeter Kliniken, werden aber regelmäßig über digitale Kommunikationsmittel und Messdatenübertragungen überwacht. Diabeter verwendet modernste Mess- und Infusionstechnologien und nutzt die Patientendaten zur Weiterentwicklung des Versorgungsmodells.

Diabeter konnte nachweisen, dass es eine bessere kurz- und langfristige Blutzuckerkontrolle sowie die Vermeidung von Folgeerkrankungen im Vergleich zu anderen Kliniken in den Niederlanden bietet. Innerhalb weniger Jahre hat Diabeter einen großen Anteil der Menschen mit Typ-1-Diabetes in den Niederlanden unter Vertrag genommen. Im Jahr 2018 schloss Diabeter mit der größten Krankenversicherung der Niederlande einen zehnjährigen Versorgungsvertrag ab, der nicht die Menge, sondern den Value der Leistungen berücksichtigt. Dieser Vertrag umfasst eine Gesamtvergütung für alle relevanten Versorgungsleistungen und medizinischen Geräte. Diabeter kann entscheiden, wie diese Vergütung für die Versorgung der einzelnen Patienten eingesetzt wird. Die Vergütung berücksichtigt die kurz- und langfristige Blutzuckerkontrolle sowie die Vermeidung von Komplikationen. Die erzielten Zuschläge werden von Diabeter verwendet, um das Versorgungsmodell weiterzuentwickeln (Zilveren Kruis 2018).

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2Die Krankenhauslandschaft in Deutschland: Ausgangssituation und ReformbedarfJens Deerberg-Wittram, Janis Nikkhah, Christoph Pross und Reinhard Busse

2.1Ausgangssituation

In keinem Land Europas gibt es so viele Krankenhäuser bzw. Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner wie in Deutschland. Auch die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus und die Auslastung der Krankenhausbetten sind in kaum einem Land Europas so hoch (s. Abb. 1). Jahr um Jahr erreichen unsere Krankenhäuser Spitzenwerte bei geplanten Gelenkersatzoperationen, Herzkatheter-Eingriffen oder MRT-Untersuchungen (OECD 2021). Überall dort, wo medizinische Leistungen zahlreich sind, ist Deutschland auf einem Spitzenplatz. In Deutschland werden sehr viele Patienten stationär versorgt, z.B. mit COPD, Herzinsuffizienz, Diabetes und auch kleinen operativen Eingriffen, die in anderen Ländern ambulant behandelt werden. Und die Bevölkerung hat sich längst daran gewöhnt, dass man auch mit geringfügigen gesundheitlichen Beschwerden zu jeder Tages- und Nachtzeit in der Notaufnahme des nahe gelegenen Krankenhauses nicht abgewiesen wird. Dieses hohe Leistungsaufkommen ist angebotsinduziert und nicht unbedingt im Sinne einer optimalen Versorgung des Patienten. Ganz im Gegenteil.

Abb. 1 Darstellung der Krankenhauskennzahlen europäischer Länder im Jahr 2019 (Quelle: Eurostat)

Positiv gesprochen ist der Zugang zu Gesundheitsleistungen nirgendwo so frei wie in Deutschland. Die wohnortnahe Krankenhausversorgung wird von einem großen Anteil der Bevölkerung des Landes sehr geschätzt. Deshalb stehen besonders kleine Krankenhäuser meist unter dem politischen Schutz der Kommunalpolitik. Und dort, wo die Zusammenlegung von Standorten von der Politik akzeptiert wird, verhindert oft ein Bürgerbegehren die Umsetzung. In Deutschland hatten im Jahr 2021 mehr als die Hälfte (genau 788) der 1.534 Allgemeinkrankenhäuser (Destatis 2022) weniger als 200 Betten. Die Atomisierung der Krankenhauslandschaft in viele kleine Standorte hat einen doppelten Preis:

Empirisch konnte gezeigt werden, dass nicht spezialisierte Kliniken mit weniger als 300 Betten nur selten in der Lage sind, ihren durch die teure Vorhaltung geprägten Kostenstrukturen ausreichend Leistung und damit Umsatz gegenüberzustellen (Ärzteblatt 2022a). In der Gruppe der meist öffentlichen kleinen Grund- und Regelversorger findet man deshalb den höchsten Anteil defizitärer Krankenhäuser (Augurzky et al. 2022).

Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Herausforderungen haben viele kleine Krankenhäuser aber auch Probleme bei der Versorgungsqualität. Die fachliche Expertise für die Behandlung komplizierter Behandlungen kann in kleinen Abteilungen oft nicht vorgehalten werden. Trotzdem verführt aber gerade der wirtschaftliche Druck viele kleine Häuser dazu, komplexe und hochvergütete medizinische Leistungen durchzuführen. Im Ergebnis führt das oft zu einer Überforderung und nicht leitliniengerechter Versorgung, nicht beherrschbaren Komplikationen und Behandlungsfehlern. Der Zusammenhang von niedrigen Fallzahlen, mangelnder Erfahrung, fehlender Infrastruktur und schlechter Ergebnisqualität konnte gerade für kleine Krankenhäuser immer wieder gezeigt werden (Vogel et al. 2022).

Aus medizinisch-qualitativer und auch wirtschaftlicher Sicht wäre es also vernünftig, die Leistungserbringung zu zentralisieren und die Versorgung der Bevölkerung mit spezialisierten medizinischen Leistungen von wenigen, aber dafür größeren und gut ausgestatteten Kliniken sicherstellen zu lassen. Die damit verbundene bessere Behandlungsqualität würde den Patienten zugutekommen. In Deutschland haben zum Beispiel nur 252 der 1.534 Allgemeinkrankenhäuser mehr als 500 Betten, eine Größe, die für die Vorhaltung eines breiten und sinnvollen Fächerspektrums tatsächlich notwendig ist. Daneben erbringen Fachkliniken mit einer kleineren Bettenzahl, aber dafür einem hohen Grad an Spezialisierung auf planbare Leistungen, einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Ergebnisqualität. Auf der anderen Seite birgt eine zu radikale Zentralisierung von Krankenhausleistungen gerade in Flächenländern wie Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern die Gefahr, dass Patienten oder Rettungsdienste vor allem in Notfallsituationen lange Fahrzeiten zurücklegen müssen, bevor sie ein geeignetes Krankenhaus erreichen.

Es gilt, einen Kompromiss aus einer ortsnahen Versorgung häufiger und wenig komplexer Krankheitsbilder und der Zentralisierung der spezialisierten Behandlung schwerstkranker Patienten und elektiver Eingriffe zu finden.

2.2Krankenhausstrukturen und Trägerschaft

Die Anzahl der Krankenhausbetten variiert von Bundesland zu Bundesland deutlich. Während es in Thüringen 731 Betten sind, werden in Baden-Württemberg nur 488 Betten pro 100.000 Einwohner vorgehalten. Besonders hohe Bettenzahlen pro 100.000 Einwohner finden sich in Großstädten wie München (754) oder Bremen (740), in denen der intensive Wettbewerb um Patienten auch zu besonders hohen Fallzahlen, insbesondere bei planbaren (und nicht selten vermeidbaren) Leistungen, führt (Bertelsmann Studie 2019). Der Wettbewerb um Behandlungsfälle hat seinen Ursprung im DRG-System, in dem hohe Fallzahlen und schwere Eingriffe große Umsätze für die Klinik bedeuten. Große Umsätze sind aufgrund des hohen Anteils von fixen Vorhaltekosten für jedes Krankenhaus wichtig, um einen negativen Jahresabschluss zu vermeiden. Für privatwirtschaftliche Kliniken, die neben dem Versorgungsauftrag auch noch Renditeerwartungen von Kapitalgebern erfüllen müssen und Wachstum generieren sollen, ist das Bemühen um immer größere Umsätze existenziell. Deshalb finden sich bei privaten Trägern die stärksten Umsatzsteigerungen und höchsten Profite im gesamten Krankenhausmarkt (Augurzky et al. 2022). Der Anteil der privatwirtschaftlich organisierten Krankenhäuser hat sich in den letzten Jahren stetig erhöht. Heute sind über ein Drittel der Krankenhäuser und knapp 20 Prozent der 483.606 deutschen Krankenhausbetten in privater Trägerschaft (Destatis 2022). Der Anteil der öffentlich-rechtlichen, frei-gemeinnützigen und privaten Träger von Krankenhäusern unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. So sind in Bayern etwa 70 Prozent der Krankenhausbetten in öffentlicher Trägerschaft, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur 31,5 Prozent. In Hamburg hat der Verkauf der Kliniken des Landesbetriebs Krankenhäuser an einen privaten Träger im Jahr 2007 dazu geführt, dass nur noch 14 Prozent der Krankenhäuser in öffentlicher Hand sind. Die Heterogenität der Trägerschaft setzt sich auch bei den Versorgungsstufen der Krankenhäuser fort. Von den etwa 400 bayerischen Krankenhäusern sind 210 Fachkliniken oder Krankenhäuser mit einem Versorgungsvertrag (also ohne Planbetten). Von den übrigen 190 Versorgerkrankenhäusern sind 144 sogenannte Grund- und Regelversorger und nur 50 Schwerpunkt- und Maximalversorger mit mehr als 500 Betten. Von diesen 50 großen bayerischen Versorgerkliniken sind wiederum 40 in öffentlich-rechtlicher, sieben in frei-gemeinnütziger und nur drei in privater Trägerschaft.

Die verfassungsrechtlich geschützte Trägervielfalt im Krankenhaussektor hat nicht zu einer homogenen Verteilung der Verantwortung in der Notfallversorgung, bei der Behandlung von Schwerstkranken oder in anderen vorhaltungsintensiven Versorgungsbereichen geführt.

2.3Versorgungsstufen der Krankenhäuser und der Versorgungsauftrag

Krankenhausplanung in Deutschland ist Länderaufgabe, und die Krankenhauspläne der Länder legen Standorte, Fachabteilungen, Bettenzahlen und in acht von 16 Ländern Krankenhausstufen fest. Die einzelnen Bundesländer haben dabei im Detail voneinander abweichende Regelungen getroffen. So weisen einige Bundesländer ihren Krankenhäusern unterschiedliche Versorgungsschwerpunkte oder Fachbereiche zu, während Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Krankenhäuser nach sogenannten Versorgungsstufen einteilen. Dabei werden Krankenhäuser der lokalen Grundversorgung von regionalen Schwerpunktversorgern und überregionalen Maximalversorgern unterschieden. Eine besondere Gruppe bilden die sogenannten Fachkrankenhäuser, die z.B. die psychiatrische Versorgung oder eine fachlich eng definierte Versorgung (z.B. als orthopädische Fachkliniken) sicherstellen.

Die Versorgungsstufen der Krankenhäuser und die Anzahl der Planbetten in den jeweiligen Fachbereichen legen fest, in welchem Umfang ein Krankenhaus an der Versorgung der Bevölkerung teilnimmt. Die Zuweisung von Fachbereichen im Krankenhausplan (oder seltener auch in Versorgungsverträgen zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen) entspricht in der Leistungserbringung einer „Lizenz“ zur Erbringung und Abrechnung von fachspezifischen Leistungen gegenüber den gesetzlichen und privaten Kostenträgern. Ein Krankenhaus mit einer Fachabteilung für Chirurgie kann grundsätzlich alle Behandlungen gegenüber den Kostenträgern abrechnen, für die es eine sogenannte chirurgische Fallpauschale gibt. Das bedeutet, dass auch kleine Abteilungen unabhängig von ihrer medizinischen Erfahrung, Kompetenz und Infrastruktur grundsätzlich alle, auch hochkomplexe Eingriffe, durchführen können.

2.4Ergebnisqualität und Leistungskonzentration im Krankenhaussektor

In der politischen Betrachtung und Kommunikation wird Patienten oft suggeriert, dass alle Krankenhäuser vergleichbar gute Qualität erbringen. Wohnortnähe wird als höchstes Gut in der Versorgung betrachtet. Ersteres entspricht nicht der deutschen Versorgungsrealität und Zweiteres ist eine falsche Priorisierung, die immer wieder zu vermeidbaren Fehlbehandlungen, Komplikationen oder Todesfällen führt.

Die Vergabe von breiten und undifferenzierten Versorgungslizenzen auch an kleine Krankenhäuser hat in der Vergangenheit zu erheblichen Qualitätsproblemen in der Versorgung geführt.

So wurden z.B. noch im Jahr 2020 über 14.000 Patienten mit Herzinfarkten (das entspricht sieben Prozent von 203.000 Herzinfarkten) in Krankenhäusern behandelt, die über keinen Linksherzkathetermessplatz verfügten oder weniger als zehn perkutane koronare Interventionen (PCI) pro Jahr durchführen (WIdO 2023). Die Einführung der PCI hat zu einer signifikanten Abnahme der Herzinfarkt-Sterblichkeit von etwa 20 Prozent auf fünf bis sieben Prozent geführt (Nolan u. McKee 2016).

Auch werden immer noch Patienten mit Schlaganfall in Krankenhäusern ohne interdisziplinäre Stroke Unit behandelt, obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass Patienten in Stroke Units eine qualitativ bessere Behandlung erwarten können (Geraedts et al. 2021; Pross et al. 2018). Ähnliche Probleme zeigten sich z.B. bei komplexen chirurgischen Behandlungen wie bei Gastrektomien oder Prostatektomien. Auch diese schwierigen Eingriffe wurden häufig in kleinen Abteilungen durchgeführt, die weder die notwendige chirurgische Expertise, eine geeignete Intensivmedizin oder ein kompetentes Komplikationsmanagement haben. Immer bessere Methoden zur Risikoadjustierung erlauben eine vergleichbare Darstellung der Ergebnisqualität und Fallschwere auch zwischen Krankenhäusern, die ein unterschiedliches Patientenklientel haben. Ein Beispiel hierfür sind Register, die durch die vermehrte Datensammlung und -verknüpfung Transparenz in die Behandlung von Patienten bringen, wie bei Operationen bei angeborenem Herzfehler (Beckmann et al. 2021) oder Krebserkrankungen (Cook u. Collins 2015).

2.5Beispiele für die unzureichende Leistungskonzentration in Deutschland

Eine Zentralisierung von Leistungen führt in vielen Bereichen, besonders aber bei operativen Eingriffen, zu einer höheren Versorgungsqualität. Gerade bei schwierigen Operationen zeigt sich aber auch, dass die Zentralisierung noch nicht ausreichend fortgeschritten ist. In der Hüft-Endoprothetik wurden 2019 etwa 270.000 Erstimplantationen und Revisionen an über 1.200 Krankenhausstandorten durchgeführt. Davon werden noch etwa 3.400 Eingriffe an 138 Standorten mit weniger als 50 Eingriffen pro Jahr durchgeführt. 50 Fälle pro Jahr und Operateur gelten als die Mindestmenge, die von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) als Voraussetzung für den Erhalt der notwendigen Erfahrung empfohlen wird. 2010 waren es noch etwa 4.400 von 240.000 Eingriffen, die an 173 Standorten unterhalb der Mindestmenge durchgeführt wurden. Die gleiche Empfehlung für eine Mindestmenge von 50 Behandlungsfällen pro Jahr gibt es im Bereich der Herzschrittmacher-Implantationen (HSM-Implantationen) durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Die deutschen Mindestmengenvorgaben liegen dabei im europäischen Vergleich im Mittelfeld und unterliegen im Vergleich zu einer eher strengeren Durchsetzung in den restlichen Ländern einer Reihe von Ausnahme- und Übergangsregelungen (Vogel et al. 2018).

Abbildung 2 zeigt die Konzentration der Leistungen an deutschen Krankenhausstandorten in den Bereichen Hüft-Endoprothetik und HSM-Implantationen. Es zeigt sich, dass die Behandlungen von einer Vielzahl von Krankenhäusern an über 1.000 Standorten je Leistungsbereich durchgeführt werden und nur eine geringe Leistungskonzentration zu erkennen ist. In beiden Leistungsbereichen wird nur etwa die Hälfte der Operationen durch die größten Standorte (Q1) durchgeführt. Im letzten Quintil werden Patienten von Standorten behandelt, die im Durchschnitt unterhalb vernünftiger Mindestmengen liegen. Hochproblematisch sind vor allem die Standorte, die weit unter der Mindestmenge behandeln: Bei Hüft-Endoprothetik gibt es 34 Standorte mit weniger als zehn Fällen und bei HSM-Implantationen sogar 166 Standorte mit unter zehn Eingriffen. Unter der Annahme höherer Schwellenwerte, einige Experten empfehlen zum Beispiel mindestens 100 Eingriffe pro Jahr, sollten sich betroffene Patienten und einweisende Fachärzte über möglicherweise auftretende Qualitätsunterschiede zumindest bewusst sein.

Abb. 2 Leistungskonzentration ausgewählter, meist elektiver Eingriffe an deutschen Krankenhäusern (Quelle: GBA Qualitätsbericht 2019)

Bei der Auswahl des behandelnden Krankenhauses aus der Patientenperspektive nehmen die Spezialisierung auf bestimmte Fachgebiete und besondere Qualifikationen des Arztes mit 85 bzw. 84 Prozent einen hohen Stellenwert ein und sind hinter der Sauberkeit und Hygiene (91 Prozent) die wichtigsten Auswahlkriterien (Ärzteblatt 2022b).

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine höhere Spezialisierung in Versorgungsstandorten mit hohen Fallzahlen und eine umfangreiche Erfahrung des medizinischen Personals zu einer besseren Versorgungsqualität führen (Kuklinski et al. 2021).

Zur Erfassung der Versorgungsqualität wurde im Jahr 2006 die verbindliche Veröffentlichung der strukturierten G-BA-Qualitätsberichte für jedes Krankenhaus eingeführt. Darin werden Strukturdaten der Krankenhäuser, das Leistungsangebot sowie Behandlungsergebnisse auf Standort-, Fachabteilungs- und Leistungsebene dargestellt. Zusätzlich werden Qualitätsindikatoren berichtet, die durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) festgelegt werden. Doch führen jährliche Anpassungen der Empfehlungen bzw. Qualitätsberichterstattung durch das IQTIG zu einer im Zeitverlauf nicht immer konsistenten Berichterstattung. Die Beurteilung der Veränderung der Versorgungsqualität im Zeitverlauf wird so erschwert. So werden unterschiedliche Indikatoren für denselben Leistungsbereich verwendet, Indikatoren über die Jahre aufgegeben oder hinzugefügt und Indikatoren nicht standardisiert über Leistungsgruppen hinweg erfasst. Außerdem wird die Qualitätsmessung noch nicht sektorübergreifend über den gesamten Patientenpfad durchgeführt, und die zeitliche Erfassung ist nur auf den Zeitraum bis kurz nach der Entlassung begrenzt.

Abbildung 3 zeigt eine Reihe risiko-adjustierter Qualitätsindikatoren in den Leistungsbereichen Hüft-Endoprothetik und HSM-Implantation. Es zeigt sich, dass eine breite Streuung in der Qualität der Versorgung besteht. Die risiko-adjustierten Ergebnisse zeigen um mindestens 20 Prozent höhere Raten an Eingriffen mit Komplikationen wie z.B. Revisionen, anderen prozedurassoziierten Problemen oder Todesfällen bei Krankenhausstandorten mit niedrigen Fallzahlen. Die Standorte mit geringeren Fallzahlvolumina weisen ebenfalls niedrigere prozentuale Veröffentlichungen der Qualitätsindikatoren aus. Zu berücksichtigen ist zusätzlich, dass eine sehr geringe Fallzahl den falschen Eindruck fehlerfreien Versorgung hervorrufen kann, weil insgesamt seltene Komplikationen bei wenigen Eingriffen eben manchmal gar nicht vorkommen.

Abb. 3 Ausgewählte Ergebnisse risiko-adjustierter Qualitätsindikatoren in deutschen Krankenhäusern (Quelle: GBA Qualitätsbericht 2019)

2.5.1Leistungskonzentration und Ergebnisqualität im Vergleich mit europäischen Nachbarländern

Die mangelnde Leistungskonzentration unterscheidet das deutsche Gesundheitswesen z.B. von der Versorgung in den Niederlanden oder in Dänemark. In Dänemark wurde die Krankenhauslandschaft in den vergangenen 15 Jahren grundlegend reformiert. Die Krankenhausplanung wurde von den 13 ehemaligen Amtskommunen auf die fünf neu geschaffenen Regionen übertragen. Die Anzahl der Krankenhäuser wurde innerhalb von 20 Jahren um mehr als zwei Drittel von 98 auf 32 Krankenhäuser reduziert. Vorrangiges Ziel war die Konzentration von Leistungen an hoch spezialisierten Standorten und die Verbesserung der Infrastruktur durch die Etablierung leistungsfähiger Großkliniken zur Versorgung einer größeren Region (Deutsche Sozialversicherung 2018). Eine solche Konzentration von Leistungen ist, wie oben bereits beschrieben, mit höherer Versorgungsqualität verbunden. Abbildung 4 vergleicht die Überlebensraten von Krebspatienten in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden im gleichen Zeitraum.

Abb. 4 Ergebnisqualität (5-Jahresüberlebensrate) in der Onkologie im Vergleich zu europäischen Nachbarländern (Quelle: OECD)

Die Verbesserung der Überlebensrate bei Krebserkrankungen lässt sich unter anderem durch die Konzentration der Operationen auf wenige hoch spezialisierte Krankenhäuser zurückführen. In Dänemark wurden zwischen 2001 und 2012 die Anzahl der Krankenhäuser, die Operationen bei Rektumkarzinom durchführen, von 47 auf 15 Krankenhäuser reduziert, und Operationen bei Darmkrebs werden nur noch an 20 statt vorher 50 Krankenhausstandorten erbracht (Iversen et al. 2016). Eine ähnliche Anstrengung zur Leistungskonzentration konnte in den Niederlanden beobachtet werden. Vor etwa 20 Jahren wurden noch an 43 von 98 Standorten Pankreatektomien durchgeführt, von denen nur zwei als hoch spezialisierte Zentren hohe Fallzahlen erreichen konnten. Durch die gemeinsame Anstrengung der niederländischen Regionen konnte die Anzahl der behandelnden Krankenhäuser auf 32 gesenkt werden und gleichzeitig die Anzahl der hoch spezialisierten Zentren von zwei auf sechs gesteigert werden. Die Sterblichkeitsrate bei Pankreaskarzinomen zeigte dabei signifikante Unterschiede zwischen Krankenhäusern mit niedrigem Volumen (< 20 Resektionen), bei denen die mediane Überlebensrate bei 16 Monaten und die 90-Tage-Sterblichkeitsrate bei 9,7 Prozent lag, und Krankenhäusern mit höheren Fallzahlen und einer medianen Überlebensrate von 18 Monaten bzw. einer 90-Tage-Sterblichkeitsrate von 4,3 Prozent (Gooiker et al. 2014; van der Geest et al. 2016).

Ähnliche Ergebnisse lassen sich in der Behandlung des akuten Myokardinfarkts erkennen. In Deutschland konnte die altersstandardisierte 30-Tage-Sterblichkeitsrate bei Patienten über 45 Jahren von etwa zehn Prozent in 2005 auf etwa acht Prozent in 2019 gesenkt werden. Die Nachbarländer Dänemark und die Niederlande haben es in dem gleichen Zeitraum geschafft, die Sterblichkeitsrate von zehn Prozent auf drei bis fünf Prozent zu reduzieren. Es zeigt sich also, dass die Reformen und gemeinsamen Anstrengungen von Politik und Gesundheitsversorgern in Bezug auf höhere Leistungskonzentration einen stark positiven Effekt auf die Qualität der Versorgung haben.

Allerdings gibt es auch Studien (z.B. Vaughan u. Browne 2023), die jene Effekte auf andere Kausalitäten zurückführen oder den positiven Zusammenhang zwischen Ergebnisqualität und Leistungskonzentration nur in sehr spezifischen Leistungsbereichen nachweisen konnten.

Die Konzentration von Leistungen ist nicht alleiniger Heilsbringer, sondern muss mit zusätzlichen Investitionen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, einem beschleunigten Ausbau der Digitalisierung und einem Stopfen der allgemeinen Investitionslücke einhergehen.

2.5.2Mindestmengenregelungen zur Verbesserung der Leistungskonzentration in Deutschland

Seit 2002 gibt es Mindestmengen für einige ausgewählte medizinische Leistungen; seit 2006 obliegt diese Aufgabe dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Nach diesen Regelungen dürfen einige komplizierte Behandlungen nur von den Krankenhäusern durchgeführt werden, die in der Vergangenheit eine ausreichend hohe Fallzahl erbracht haben und in der Prognose die Einhaltung der Mindestmengenregelung darlegen können. Ziel dieser Regelungen ist die Zentralisierung der Versorgung komplexer Patienten an Krankenhäusern, die eine qualitativ hochwertige Behandlung durchführen können. Bisher wurden die Mindestmengen allerdings mit verschiedenen Ausnahmeregelungen umgangen und insgesamt waren sie recht niedrig angesetzt. Momentan sind für zehn Leistungen Mindestmengen festgelegt:

1. Lebertransplantationen (20)

2. Nierentransplantationen (25)

3. komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene (26)

4. komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas (20)

5. Stammzelltransplantationen (40)

6. Kniegelenk-Totalendoprothesen (50)

7. koronarchirurgische Eingriffe (keine konkrete Mindestmenge festgelegt)

8. Versorgung von Früh- und Reifgeborenen mit einem Aufnahmegewicht von unter 1.250 Gramm (25)

9. chirurgische Behandlung des Brustkrebses (100)

10. thoraxchirurgische Behandlung des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen (75)

Allerdings wird trotz allen Nachschärfens der Regelung immer noch sichtbar, dass sie nicht konsequent umgesetzt wird: So haben für die komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus insgesamt 138 Krankenhäuser eine positive Prognose für 2023 erhalten, obwohl nur 36 von ihnen im Jahr 2021 die entsprechende Fallzahl erreicht haben. Und obwohl bundesweit also 102 Krankenhäuser die Fallzahlen nicht erreicht haben, haben 11 weitere noch die Genehmigung zur erstmaligen oder erneuten Leistungserbringung erhalten (Eigene Berechnung auf Basis AOK Mindestmengen-Transparenzliste 2023).

Mindestmengenregelungen allein werden also nicht ausreichen, eine medizinisch und ökonomisch vernünftige Krankenhausversorgung in Deutschland sicherzustellen. Deshalb lohnt es sich, einen Blick auf Versorgungsbereiche zu werfen, bei denen ohne Gesetzesänderungen eine bessere Versorgung in geeigneten Zentren zur Regel wurde.

2.6Beispiele einer strukturierten Leistungszuordnung in deutschen Krankenhäusern

Schlaganfall: Bei einigen wichtigen Krankheitsbildern ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, einen guten Kompromiss zwischen schneller Erreichbarkeit eines geeigneten Krankenhauses und bestmöglicher Versorgung sicherzustellen. So werden heute etwa 70 bis 80 Prozent der Schlaganfallpatienten in Deutschland in einer der 335 zertifizierten Stroke Units behandelt (Neumann-Haefelin et al. 2021).

Stroke Units sind spezialisierte Bereiche in neurologischen Abteilungen von Krankenhäusern, in denen Patienten mit akuten Schlaganfällen fachlich optimal diagnostiziert und therapiert werden können. Die Strukturen und Prozesse dieser Stroke Units werden von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft zertifiziert. Dabei werden regionale, überregionale und telemedizinisch vernetzte Stroke Units unterschieden.

Die Rettungswagen kennen die Stroke Units der Region und sind angehalten, Schlaganfallpatienten in die nächstmögliche geeignete Einheit zu fahren. Das System der Stroke Units in Deutschland stellt so in vielen Regionen sicher, dass Schlaganfallpatienten schnell in das Krankenhaus gelangen, das für die Behandlung des Krankheitsbildes gut geeignet ist. Doch auch hier sieht die Versorgungsrealität leider noch anders aus. So behandeln zu viele Krankenhäuser ohne Stroke Unit Patienten mit Schlaganfällen – im Jahr 2018 hatten mehr als 700 der 1.173 Krankenhäuser, die Patienten mit Schlaganfällen aufgenommen haben, keine Stroke Unit. Und bei zehn bis 20 Prozent der Schlaganfälle kann nach derzeitigem Stand der Wissenschaft eine neuroradiologische Intervention zu einer besseren Ergebnisqualität der Behandlung führen (Misselwitz et al. 2020). Die personellen und technischen Voraussetzungen für eine neuroradiologische Intervention können derzeit aber nur 139 überregionale Stroke Units anbieten. Die Etablierung eines flächendeckenden Angebotes wird noch einige Jahre brauchen. Bis dahin müssen Schlaganfall-Patienten nach erfolgter Diagnostik in einer regionalen Stroke Unit noch entweder in überregionale Stroke Units gebracht werden, oder es müssen entsprechende Interventionsteams zu den Patienten kommen (genaueres zu diesem Thema im Kapitel IV.3).

Unfallopfer: Ähnlich wie bei der Schlaganfallversorgung gibt es auch bei der Behandlung von Unfallopfern Netzwerke von zertifizierten lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren. Auch hier ist die Idee, dass Unfallopfer möglichst schnell in ein geeignetes Traumazentrum innerhalb des regional relevanten Traumanetzwerkes gebracht werden. Leichte Verletzungen können von lokalen Traumazentren versorgt werden, schwere Polytraumata gehören dagegen in überregionale Traumazentren. Schwerverletzte mit sehr komplizierten Verletzungen wie schwere Brand- oder auch Wirbelsäulenverletzungen müssen oft mit dem Helikopter viele Kilometer in eine entsprechende Spezialklinik verlegt werden. Das System der Traumanetzwerke sichert einen guten Kompromiss aus schneller Fahrzeit zum Krankenhaus und Kompetenz des jeweiligen Zentrums (näheres zum Thema im Kapitel III.5). Im Bereich der Unfallversorgung haben die Gesetzliche Unfallversicherung und ihre Berufsgenossenschaftlichen Kliniken schon vor über 150 Jahren begonnen, weltweit beachtete Versorgungsstrukturen aufzubauen (näheres zum Thema im Kapitel IV.2).

Herzinfarkt: Auch bei der Versorgung von Herzinfarkten hat sich im Laufe der Zeit ein Netzwerk von geeigneten Kliniken etabliert, die rund um die Uhr Herzinfarktdiagnostik und -behandlung anbieten. Von der DGK wird berichtet, dass in Deutschland im Jahr 2020 etwa 93 Prozent der Herzinfarktpatienten in Kliniken behandelt wurden, die einen Linksherzkathetermessplatz mit Interventionsmöglichkeit vorhalten. Wer die Zahlen genau betrachtet, stellt fest, dass nur 77 Prozent in Krankenhäusern behandelt wurden, die den Kathetermessplatz rund um die Uhr betreiben; weitere fünf Prozent in Häusern ohne 24/7-Betrieb – und weitere elf Prozent in Häusern, die mehr als zehn PCI-Eingriffe dokumentieren, was allerdings auch mit Zeitverzögerung in Nachbarhäusern passieren kann (WidO 2023). Dies bedeutet, dass immer noch jährlich 47.000 Patienten mit Herzinfarkt in Kliniken kommen, die ihren Herzkatheter nicht 24/7 betreiben oder keinen Herzkatheter und/oder nur wenig Erfahrung haben und deshalb den akuten Gefäßverschluss nicht optimal behandeln können.

Hier zeigt sich ein Problem der Krankenhausversorgungslandschaft Deutschlands: Je mehr kleine Krankenhäuser mit wenig Behandlungserfahrung und schlechter Infrastruktur existieren, desto mehr Patienten werden am Ende auch in solchen offensichtlich ungeeigneten Kliniken versorgt. Es erstaunt deshalb nicht, dass Deutschland bei Parametern wie der Krankenhaussterblichkeit bei Herzinfarkten im internationalen Vergleich relativ schlecht dasteht (OECD 2021).

Ungeeignete Krankenhäuser, die schnell erreichbar sind, sind eben häufig „gefährlicher“ als geeignete Krankenhäuser, zu denen man etwas länger fahren muss. Dieses Problem wird von der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt. Die hochgeschätzte wohnortnahe Versorgung durch kleine Krankenhäuser verspricht nur vermeintlich mehr Sicherheit. Ein schlecht ausgestattetes Krankenhaus mit fehlender Erfahrung ist bei der Behandlung komplexer Krankheitsbilder für Schwerkranke oft ein lebensgefährlicher Ort.

Literatur

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3Reform der KrankenhausvergütungJens Deerberg-Wittram, Janis Nikkhah, Christoph Pross und Reinhard Busse

3.1DRG-Fallpauschalen-System

Anfang der 2000er-Jahre sah sich die Gesundheitspolitik in Deutschland mit steigenden Krankenhauskosten bei hohen Fallzahlen und langen Verweildauern konfrontiert. Gerade die im Ländervergleich sehr langen Verweildauern wurden dem bis dato geltenden Vergütungssystem zugeschrieben, das mit Tagespauschalen einen Anreiz setzte, den Aufenthalt von schon weitgehend genesenen und damit nicht mehr aufwendigen Patienten um einige Tage zu verlängern. Um diesem Fehlanreiz entgegenzuwirken, einigte man sich auf die Einführung von Fallpauschalen, die entsprechend der internationalen Terminologie als G-DRGs (German Diagnosis Related Groups) bezeichnet wurden. Zusätzlich wurde durch die Einführung der DRGs ein leistungsorientiertes Vergütungssystem, welches effiziente Leistungserbringung belohnt, angestrebt und es sollte „gleiches Geld für gleiche Leistung“ vergütet werden.

„Mit der Einführung des neuen Entgeltsystems für die stationäre Versorgung ab 2003 gehen wir einen Weg konsequent weg von der Erstattung von Kosten und hin zur Bezahlung von Leistungen. Wir wollen mehr Leistungsgerechtigkeit, wir wollen Qualität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wir wollen eine Honorierung der effizienten Leistung.“ (Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin 2001)

DRGs waren zu diesem Zeitpunkt in einigen Ländern schon erprobt, und so rechnete man auch in Deutschland mit einer Steigerung der Produktivität im Krankenhaussektor. Sinkende Verweildauern und geringere Bettenauslastungen sollten zum Ausscheiden unwirtschaftlicher Krankenhäuser aus dem Markt und damit zu Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem führen. Seit Einführung der DRGs im Jahr 2003 und einer Konvergenzphase von 2005 bis 2009 machen die DRGs tatsächlich den allergrößten Teil der Einkünfte der meisten deutschen Krankenhäuser aus. Das unterscheidet Deutschland von den meisten anderen Ländern, wo die DRGs eher 40 bis 60 Prozent der Krankenhausvergütung ausmachen. Die Höhe der DRG-Fallpauschalen orientiert sich an der Diagnose, den medizinischen Prozeduren und dem Schweregrad der Erkrankung. Mit der DRG wird eine genau definierte Erkrankung und deren Behandlung in einer bestimmten Bandbreite der Verweildauer vergütet (Schreyögg u. Milstein 2020). Die dem DRG-System zugrundeliegende Klassifizierung der Patienten nach Diagnosen (ICD) und Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) haben große Transparenz über das Leistungsgeschehen in den deutschen Krankenhäusern hergestellt.

3.2Kritik am DRG-System in Deutschland

Der deutsche Fallpauschalen-Katalog hat sich seit Einführung der DRGs erheblich weiterentwickelt. Heute umfasst er etwa 1.300 DRGs, von denen fast die Hälfte die Durchführung von mindestens einer therapeutischen Prozedur voraussetzt. Diese prozedurenabhängige Vergütung hat in den letzten Jahren die Zahl von Operationen und Interventionen stetig wachsen lassen. Gleichzeitig hat sie zu einem geringeren Anteil konservativer Therapieverfahren geführt, auch wenn diese ggf. gleich gute oder bessere Behandlungsergebnisse versprechen. Mit der häufigen Bevorzugung invasiver Methoden gegenüber konservativer Behandlung steigen die durchschnittlichen Fallkosten.

Ein Fallpauschalen-System übt grundsätzlich einen Anreiz aus, die Verweildauern im Interesse des Krankenhauses zu verkürzen und damit medizinisch nicht erforderliche Belegungstage zu verhindern. Leider hat sich dieser Effekt in Deutschland nicht im gewünschten Maße eingestellt. Die Verweildauern sind zwar auch nach Einführung der DRGs langsam weiter gesunken. Damit hat sich aber nur ein Trend fortgesetzt, der schon in den 90er-Jahren begonnen hatte. Insgesamt sind die Verweildauern in Deutschland auf einem im internationalen Vergleich hohen Niveau geblieben. Fallpauschalen-Systeme honorieren hohe Fallzahlen. Deshalb verwundert es nicht, dass mit dem DRG-System der ohnehin bestehende Trend der Mengenentwicklung seit den 90er-Jahren fortgesetzt wurde. Während zwischen 1991 und 2002 die Fallzahlen um insgesamt 20 Prozent gestiegen waren, sind sie zwischen 2005 und 2017 um weitere 18 Prozent gewachsen. Diese Fallzahlsteigerungen sind nur zu einem Anteil von etwa 20 Prozent durch demografische Effekte erklärbar (Schreyögg u. Milstein 2020). Zwar haben sich die Leistungszahlen in den Jahren 2017 bis 2019 stabilisiert und sind in den Corona-Jahren sogar deutlich zurückgegangen, aber im internationalen Vergleich hat Deutschland immer noch ein sehr hohes Leistungsaufkommen.