Das Verbrechen in Tavistock-Square & Aus dem Tagebuch eines Hundes - Oskar Panizza - E-Book

Das Verbrechen in Tavistock-Square & Aus dem Tagebuch eines Hundes E-Book

Oskar Panizza

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Beschreibung

Oskar Panizzas Werk 'Das Verbrechen in Tavistock-Square & Aus dem Tagebuch eines Hundes' ist eine bemerkenswerte Sammlung von zwei Novellen, die tief in die Abgründe der menschlichen Psyche eintauchen. Mit einem ganz eigenen literarischen Stil, der von Galgenhumor bis zu tiefgründiger Satire reicht, präsentiert Panizza eine düstere und provokante Darstellung von Verbrechen, Schuld und Wahnsinn. Diese Werke spiegeln den literarischen Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts wider, in dem gesellschaftliche Normen und Werte in Frage gestellt wurden. Panizzas radikaler Ansatz und sein kritischer Blick auf die Gesellschaft sorgen für eine verstörende, aber faszinierende Lektüre. Oskar Panizza, ein umstrittener deutscher Schriftsteller und Arzt, war bekannt für seine provokanten Werke, die oft zu Kontroversen führten. Als Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen nutzte er seine literarische Stimme, um Tabus zu brechen und die Leser herauszufordern. Seine Werke wurden oft zensiert oder verboten, was seine Bedeutung für die Literaturgeschichte unterstreicht. 'Das Verbrechen in Tavistock-Square & Aus dem Tagebuch eines Hundes' ist ein Meisterwerk der Dekadenzliteratur, das Lesern auf der Suche nach anspruchsvoller und provokanter Literatur dringend empfohlen wird.

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Oskar Panizza

Das Verbrechen in Tavistock-Square & Aus dem Tagebuch eines Hundes

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Inhaltsverzeichnis

Aus dem Tagebuch eines Hundes
Das Verbrechen in Tavistock-Square

Aus dem Tagebuch eines Hundes

Inhaltsverzeichnis

Durch den Verstand des Hundes besteht die Welt.Zendavesta

Der Hund ist ein Teil des Menschen selbst.Brehm

Der Hund ist notwendig zum Bestande der Gesellschaft des Menschenvereins.Cuvier

April.

Wurde heute an meinen neuen Herrn verkauft. Ich komme vom Lande. Seit gestern bin ich in der Stadt. Alles ist mir, neu und drängt sich in Form merkwürdiger Eindrücke auf. Ich kann sagen, seit gestern fühle ich, daß ich ein Hund bin. Ich denke. Früher that ich dies Alles unbewußt. Ich sehe, Denken ist eine Arbeit, die oft Schmerz bereitet. Was mich beunruhigt, ist, daß man sie nicht freiwillig verrichtet. Ich bin nicht mehr so glücklich wie früher, aber stolzer. – Daß die Menschen in kleinen Hüttchen beieinander wohnen, wußte ich aus meinem früheren Aufenthaltsort. Aber hier geht Alles ins Schauerliche, Steinerne, Unermeßliche. Ganze Aecker lang dehnen sich hier die Straßen, beiderseits mit wuchtigen, pfundigen Stein-Anlagen besetzt, die weit über die Baugeschicklichkeit des Dachses hinausgehen. Diese Stein-Anlagen sind mit Gucklöchern versehen, aus denen die Menschen oft blitzschnell den Kopf herausstrecken. Dabei kommt es vor, daß, während auf der einen Seite Einer einen Kopf herausstreckt, auf der andern Seite Jemand antwortet. Der Eine nimmt dann einen weißen Fetzen, und streckt ihn in kurzen, unbeholfenen Stößen zum Vis-à-vis hinüber. Die Person drüben steht erst lang steif und regungslos dort; dann hebt sich bei ihr die Oberlippe und die obere Reihe weißer Zähne wird sichtbar. Wozu? Was soll das dumme Zeug? – Wie die Häuser sind auch die Menschen hier von meinem früheren Aufenthaltsort sehr verschieden. Dort schlappte Alles ruhig gleichmäßig durcheinander, dieselben spitzen Gesichter, die gleiche meckernde Sprechmanier. Hier die entsetzlichsten Gegensätze; der Eine hüpft, der Andere scharrt; der Eine treibt das Hinterteil hinaus, der Andere die Brust nach vorn; Der wackelt, Jener zirpt; Dieser zeigt fortwährend Zunge und Zähne, Der dort stiert mit weißen Augäpfeln durch künstlich angeschnallte kleine Guck-Fensterchen. Welcher Wirrwarr! Welche unübersehbare Verschiedenheit! Anfangs wollte ich mich nicht drum kümmern. Doch seh ich, ich muß. Ich muß diese ganze Bagage registrieren, einteilen, schablonieren. Einteilung der Menschenbagage! Wo fang ich nur an? Wo find ich das Allen gemeinsame Moment, um daran die Veränderungen anzuschließen? – Ich glaub, ich fang beim Hinterteil an.

*

April.

Viel herumgelaufen; bin schrecklich müde; sehne mich nach meinem Dorf zurück; dort, welcher reiche Verkehr mit der Natur. Hier, welche Eintönigkeit, welche graue mit Steinmauern verschlossene Welt. Dort ein riesiger Himmel, der jeden Tag anders gezeichnet, Baum, Wald, Misthaufen für unsere Nasen, Muh, Muh! und Kikerikih! – Hier verbarrikadierte Welt und dazwischen Welt und dazwischen herumhüpfendes Menschengeschlecht mit Gesticulation und Mundknarren. – Ich weiß noch immer nicht, wie die Leute sich verständigen. Zwar nähern sie sich oft gegenseitig die Köpfe und entblößen die obere Zahnreihe, aber die Nasen scheinen mir zu kurz, um nach unserer Weise sich sofort zu orientieren. Dagegen entstürzen ihren Mündern ein ganzes Geknarr von Geräuschen, förmliche Mundsalven, denen fleißige Gesticulationen hinterdrein folgen. Aber zu einem Verständniß scheinen sie nicht zu gelangen, da das Gequatsch stundenlang dauert, heftiger wird, von Stampfen, Rücken, Stoßen und Zunge-Herausstrecken begleitet wird, bis Beide gehetzt mit dampfenden Mündern von einander scheiden. Armes Geschlecht, das du die Luft zerhackst und dein Gesicht verschneidest, um auszudrücken, was du willst. – Ich starre nur immer die Häuser an. In meinem Dörfchen, da schaute Niemand zum Fenster heraus, als höchstens einmal eine Henne im Hof; die armen Menschen saßen in der Stube, zogen die Beine an und zitterten und froren. Hier steckt Alles langmächtig die Hälse aus den zahllosen Gucklöchern heraus, und reißt die Augen auf, daß das Weiße erscheint. Warum? Sie sehen ja doch nichts weiter als Ihresgleichen: Hunde – ich wollte sagen: Menschen. Diese Gucklöcher spielen hier überhaupt eine ganz andere Rolle; sie gehen ganz hoch hinauf bis an und sogar über den Dachstuhl. Und überall sieht man in ihnen die bekannten abgeschabten, mehligen Gesichter. Wie mir scheint, wollen sie aus der Höhe über die umliegenden Häuser hinweg die Erde – Wiese, Bäume und Wälder – sehen; versperren aber dadurch ihrem vis-à-vis die Aussicht. Dieses, ärgerlich, ewig in die langweilige Straße hinabzuschauen, baut noch höher und versperrt nun seinerseits dem Anderen den Ausblick, bis dieser sich entschließt, auf's Neue zu bauen. Wo soll das hinaus? Hier, scheint mir, liegt eine einseitige Manier und Halsstarrigkeit vor, die bei uns Hunden nicht vorkommt. Ich gedenke später überhaupt auf die Neigung der Menschen zu sprechen zu kommen, sich in möglichst großen Massen zu vereinigen, dachsartige Baue von immenser Höhe und abgekehrten Wänden zu errichten und sich dann gegenseitig zu ärgern. – Ich bin heute zu müde. – Mein neuer Herr ist ein Mensch mit einem Stock in der Hand, der oben einen weißen blitzenden Knopf besitzt. Er benützt diesen Stock als Fuß oder Regulierstange, um den Gang zu mäßigen. Jeden Nachmittag nimmt er mich mit in einen unermeßlich hohen, ringsum verschlossenen Raum, der mit einem merkwürdig riechenden Dampf angefüllt ist und in dem eine Unsumme von schilpenden, klirrenden, kichernden, klappernden Geräuschen hervorgebracht wird: eine Art Geräuschfabrik. – Traf dort auch einige meiner Kameraden, die die Sache schon gewöhnt schienen. –

*

April.

Mein Herr benutzt den Stock mit dem glänzenden Knopfe nicht als Fuß- oder Regulierstange, um den Gang zu mäßigen, sondern um mich durchzuhauen.

*

April.

Heute war ein schrecklicher Regentag, ein Gepatsch, ein Getransch, ein Gespritz, was sich Alles hier in der Stadt anders, ich möchte sagen, unnatürlicher ausnimmt, als an meinem früheren Aufenthaltsort. Dort, hört man, sickert die Erde mit Wollust die weißen Himmelsschnüre, die unendlichen, in sich ein; ein meilenweites Geräusch voll stunden- und tagelanger Trauer; eine grandiose Werkstätte. Hier zwischen den Steinquadraten, Türmen und Häusern mit undurchlässigem Boden platscht der Regen herunter wie eine künstliche Gosse, wie aus einem an Stricken über die Stadt hinübergezogenen Wolkenfeld, das nicht hierher gehört. Und die Menschen waten herum und begreifen nicht, wie die Schweinerei daherkommt. – Ich bin ein kleiner Hund, und als ich heut wieder stundenlang hinter den keuchenden Menschenzügen hintranschte, kam mir wieder die alte Versuchung, diese merkwürdige Race näher anzusehen, sie zu prüfen, sie im Hinblick auf den Hund zu studieren. Und ich will mich ausstopfen lassen, wenn ich heute, begünstigt durch den Regen, nicht eine merkwürdige Entdeckung, ein famoses Einteilungsprincip zu Stande gebracht: Ein Unterschied fiel mir schon lange auf bei dieser Hüpf- und Schlenker-Race, daß bei den Einen der Körper in zwei stocksteife, baumdicke Röhren oder Säulen endet, mit denen sie höchst gezwungen, mühsam schlenkernd und zuckend sich vorwärts bewegen; während bei den Andern der Unterkörper in eine kegelförmige Abstumpfung endet, die ihnen aber trotzdem gestattet, ähnlich wie dem Igel, genügend vorwärts zu kommen. Vielleicht giebt es in dieser ganzen Stadt-Comödie noch mehr Menschen- Doch habe ich Alles bisher Gesehene auf diese zwei Haupttypen zurückführen können. Aber wie erstaunte ich heut, als ich – durch meine Kleinheit begünstigt – mitten unter dem Hin- und Hergetrapp bemerkte, daß auch die kegelförmig endenden Menschen unter diesem merkwürdig gewachsenen Fell ähnliche röhrenförmige – freilich wieder ganz anders geartete – aber doch bolzige, sich bewegende Beine haben. Und ich muß mich sehr täuschen, wenn die Zweiteilung des Körpers nicht sehr hoch hinauf geht. Welche Entdeckung! Welch merkwürdige Spielart hat hier die Natur hervorgebracht! Und was hat sie sich dabei gedacht? Also diese voluminösen, unten dick geschwollenen Exemplare haben unter dieser Schwellung Beine! Ich konnte dies heute, wo Einige diesen kolossalen, glockenförmigen Bein-Ueberzug etwas lüfteten, mit aller Schärfe entdecken. Und während also den Einen die Natur gestattet, ihre Beine zu zeigen (und weiß Gott was für schraubenförmige Bewegungen damit zu machen!), gab sie den Andern die Fähigkeit, selbe in eine Art Körper-Glocke (denn dieser Ueberzug ist teilweise hohl) zu verstecken! Also Bein-Zeiger und Bein-Verstecker! Diese beiden Species sind sicher. Mögen Medusen- und Tintenfisch-Endigungen noch bei dieser höchst variablen Race vorkommen (in anderen Städten), die ich noch nicht gesehen. – Diese zwei sind sicher. Beinzeiger und Beinverstecker. Welche Entdeckung! Und was wird noch nachkommen! Mir taumelt der Kopf! –

*

April.

Mein Herr ist ein Beinzeiger. Ein wunderlicher possierlicher Bursch. Ein selten bewegliches Exemplar. Durch die uns Hunden eingeimpfte Neigung immer einem Geruch nachzugehen – und durch die Not gezwungen einem Menschengeruch – sind wir unfreiwillige Zeugen aller der merkwürdigen Narrheiten dieser hinkenden, schlappenden Race. Die Tollheiten meines Herrn grenzen schon ans Fabelhafte. Zahn-Entblößungen scheint er mit Vorliebe anzuwenden, und damit etwas Bestimmtes ausdrücken zu wollen. Gehen wir zusammen spazieren, so schaut er alle drei bis vier Schritte nach mir um, macht ein zupfendes Geräusch mit dem Mund, tatschelt mir dann auf den Rücken und entblößt die obere Zahnreihe. Weiß der Himmel, was er damit will! Sein Kopf besteht aus zwei Teilen, von denen er die obere Hälfte häufig abnimmt, und mit einer starken Zahnentblößung gegen ein anderes Mitglied seiner Species wendet, welch letzteres aber keineswegs geneigt, diese Verrücktheit mitzumachen, oft nur eine kleine, rückende Bewegung an der entsprechenden Stelle macht, um anzudeuten, daß auch sein Kopf teilbar. Mir steht oft der Verstand still.

*

April.

War heut wieder in jener Geräusch-Fabrik, wohin mich mein Herr jeden Nachmittag mit auffallender Regelmäßigkeit mitnimmt, und wo die meisten Besucher der Wand entlang auf Sammtbänken dicht gepfercht nebeneinander hocken, und eine schwarze häßliche Brühe sich in den Leib gießen, daß das Maul dampft. Kaum ist dies geschehen, so beginnt eine grauenhafte Masse von Mundgeräuschen; ganze Mundsalven brechen hervor; trillernde, klingende, zirpende, krähende Laute folgen sich in unsagbarer Schnelligkeit aufeinander, gemischt mit Zahn-Entblößungen, Kopfschnellungen, Nacken-Verdrehungen, Brustheraustreibungen. Es scheint, daß hier alle jene Mund-Geräusche geübt werden, die später auf der Straße eine so bedeutsame Rolle spielen. Ein blauer Dunst, mit dem die ganze Geräusch-Fabrik erfüllt ist, und der artificiell erzeugt wird, erlaubt jeder Gruppe ihre gesonderte, von den nächsten Tischen nicht beobachtete Arbeit. – Worüber ich mir immer noch nicht klar bin, ist, ob dieses ganze tolle Zeug Verständigungs- oder Belustigungs-Versuche sind. Wenn es das Erstere ist, dann müssen diese Armen trotz aller Fertigkeiten ihrer Mundwerkzeuge enorme Schwierigkeiten zu überwältigen haben. Und ich kann es nur loben, was ich an anderen Tischen in dem gleichen Local gesehen, wo einige Beinzeiger beieinandersitzend Jedes mehrere gefärbte rechteckige, mit lustigen Figuren bedeckte, Blättchen in der Hand hatte, welche sie mit großer Vehemenz auf die Tischplatte hinschnellen, dabei ihr vis-à-vis mit weißherausgetriebenen Augen-Kugeln anstarrend; diese stumme Arbeit geht so einige Zeit zu, bis ein kolossaler Mund-Triller die verzweiflungsvolle Arbeit beschließt, und das Verständniß, wie es scheint, gegenseitig glücklich erreicht ist. –

*

April.