Genie und Wahnsinn - Oskar Panizza - E-Book

Genie und Wahnsinn E-Book

Oskar Panizza

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Beschreibung

Das Buch 'Genie und Wahnsinn' von Oskar Panizza ist ein beeindruckendes Werk, das sich mit der Verbindung zwischen Genie und Wahnsinn auseinandersetzt. Panizza präsentiert eine Vielzahl von historischen und literarischen Beispielen, um zu zeigen, wie kreative Genies oft mit geistiger Instabilität oder Wahnsinn verbunden sind. Sein Schreibstil ist kraftvoll und provokativ, wobei er kontroverse Themen mutig anspricht. Innerhalb des literarischen Kontexts seiner Zeit war Panizza bekannt für seine avantgardistischen Ideen und seine Kritik an gesellschaftlichen Normen und Konventionen. 'Genie und Wahnsinn' ist sowohl ein intellektuell anregendes als auch ein verstörendes Werk, das den Leser dazu bringt, über die Natur von Genialität und psychischer Gesundheit nachzudenken.

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Oskar Panizza

Genie und Wahnsinn

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Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Verehrte Anwesende! Die Pathologie der Seele behauptet gegenwärtig, wie Sie alle wissen, eine hervorragende Stelle in der dramatischen wie erzählenden Literatur. Ich brauche Sie nur an die am letzten öffentlichen Abend hier zum Vortrag gekommene Novelle »Der Muttermörder« von Ola Hansson zu erinnern, oder den Namen Ibsen zu nennen. Der Hauptsatz, der durch all' diese Literatur-Erzeugnisse geht, ist, der Mensch muß so handeln, wie er handelt, auf Grund seiner Vererbung, oder, wenn diese Vererbung eine ungünstige ist, auf Grund seiner Belastung. Die Entdeckung und Ausnützung dieses Satzes war für die Belletristik ein Ereignis allerersten Ranges. Schon das enorme Strafmaterial gab auf Jahre hinaus Stoff für Beschäftigung. – Doch darf nicht vergessen werden, daß die Behauptung von dem Handelnmüssen des Menschen, die heute in der Gesellschaft eine brennende geworden, in Gerichtssälen und Irren-Anstalten längst entschieden und sozusagen zur Ruhe gekommen ist. Schon Anfangs der siebziger Jahre hat Benedict, – um von Gall nicht zu reden, – in seinen »Verbrecher-Gehirne« nicht nur die Meinung ausgesprochen, sondern den Beweis gewagt, daß krankhafte Handlungen auf Grund eines pathologisch veränderten Organs bestehen können, und damit »eine bis über ferne Zonen und Zeiten ausgehende Bewegung« prophezeit. Heute weiß jeder Richter, daß Menschen, besonders Verbrecher, unter Umständen Zwangshandlungen begehen; und kein Schuldig! dürfte heute gesprochen werden, ohne daß der psychiatrische Sachverständige reichlich zu Rathe gezogen. – Hier sind also Juristen und Aerzte einmal der divinatorischen Begabung der Dichter zuvorgekommen. Dieß hindert nicht, daß jetzt, wo die gebildeten Massen von diesem interessanten Problem ergriffen sind, eine nochmalige Durchseiung aller einschlägigen Fragen, stattfinden wird. Und jedenfalls mit großem Nutzen.

Bei dieser Sachlage werden Sie es vielleicht nicht ungünstig aufnehmen, wenn wir heute Abend eine andere Menschen-Classe zum Gegenstand einer Besprechung machen wollen, von der ebenfalls von jeher behauptet worden, daß sie bei Hervorbringung ihrer Werke unter dem höheren Zwang eines Müssens stehn; womit sie natürlich, ebensogut wie der Verbrecher, in das Bereich des Krankseins kamen; und da es sich hier um seelische Vorgänge handelt, in das Bereich der Seelenkrankheit, des Wahnsinns, – nämlich die Genies. Das Genie also, die Art seiner seelischen Verfassung und seine Verwandtschaft zu den Seelen-Erkrankungen, soll uns heute Abend beschäftigen.

Unter Genie hat man zu verschiedenen Zeiten recht Verschiedenes verstanden. Im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts gab es eine Zeit der sog. Kraftgenialität, oder der Ur-Genies. Jeder, der mit einiger Keckheit die neuen Forderungen des damaligen Menschheits-Ideals sich zu eigen machte, und mit einer gewissen Verve vortrug, wurde Genie genannt. In Julian Schmidt's Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland findet sich u.a. auf die damalige Zeit angewendet, der Satz: »Eine Reihe munterer Gesellen oder Genies schlossen sich in Frankfurt an den Dichter des »Götz« an ....«. Aehnlich wie später zur Zeit Vogt's und Büchner's jeder junge Mann, der das Bedürfnis fühlte, sich über die Massen zu erheben, damit anfing, sich als »Freigeist« zu erklären, so war damals das emancipirende Wort für die Vorwärts-Strebenden: Genie. Und ich glaube es war Herder, der sich einmal diese bedenkliche Kameradschaft mit den Worten vom Leibe hielt: »Wer mich ein Genie nennt, dem gebe ich eine Ohrfeige.« –

Inzwischen hat die Psychologie den Begriff des Genialen ziemlich eingeengt. Schon immer war man darüber einig, daß die geniale Hervorbringung eine spontane Thätigkeit der Phantasie, des Anschauungsvermögens sei, im Gegensatz zum Intellekt; und da man Anschauungsvermögen im vorigen Jahrhundert zu den sogenannten »unteren Seelenkräften« rechnete, so definirte folgerichtig schon Adelung Genie als »eine vorzügliche Entwickelung der unteren Seelenkräfte.« (»Ueber den deutschen Stil« 1785). Kant sagt, das eigentliche Feld für das Genie ist die Einbildungskraft, weil diese allein schöpferisch (»Anthropologie«). Sehr eingehend spricht sich Schopenhauer über das Genie aus. Er sagt: Die eigentliche Arbeit des Genies geschieht ganz spontan; das innere Erfassen eines Kunstwerks von Seite des Genies ist unabhängig vom Willen; diesem sogar entgegengesetzt; also kein Akt der Willkür; sondern außer unserem Belieben; es ist eine starke Erregung der anschauenden Gehirnthätigkeit; das Talent erfaßt seinen Stoff mit freier Willensthätigkeit; es denkt sicherer, rascher und richtiger als die Andern; das Genie hingegen schaut in eine andere Welt als sie Alle. (»Welt als Wille und Vorstellung«). Jürgen Mayer sagt: das Talent kennt sich selbst; es weiß, warum es zu einer bestimmten Ansicht kommt; das Genie wird sich nie darüber klar; es folgt einem unwiderstehlichen Impuls; nichts Unberechenbareres und Willkürlicheres als eine geniale Idee! (»Genie und Talent«). Maudsley und Eduard von Hartmann glauben, daß die geniale Conception zunächst unbewußt erfolgt und dann plötzlich vor das erstaunte Auge ihres Besitzers tritt. (»Physiology and Pathology of the Mind.« – »Philosophie des Unbewußten«). Jean Paul vergleicht den Moment der Eingebung direkt mit dem somnambülen Zustand. (»Vorschule der Aesthetik«). Und Humboldt sagt: »In dem einzigen Moment, da die Phantasie des Künstlers das Bild in sich geboren, ist das Meisterwerk vollendet, selbst wenn seine Hand in diesem Augenblick erstarrte. Die wirkliche Darstellung ist nur ein Nachhall jenes entscheidenden Moments.« – Aus all diesen Aeußerungen sehen Sie, daß das Eintreten des genialen Augenblicks als etwas Neues, Plötzliches und Fremdartiges aufgefaßt wird, und als etwas vom gewöhnlichen Denken grundsätzlich Verschiedenes. Der geniale Einfall ist ein freiwillig geleistetes Geschenk der betreffenden Geistesanlage, an ihren eigenen Besitzer, unvermittelt, unerwartet, zufällig, wie von außen kommend, so daß der Betreffende selbst überrascht ist. Schon der alte Ausdruck Inspiration vom lateinischen inspirare, einhauchen, deutet an, daß Genies früherer Zeiten ihre Ideen als etwas von außen an sie Kommendes ansahen. Bei allen alten Völkern galt die Dichtkunst als eine Eingebung der Gottheit. Und nicht zufällig ist es, daß der Ausdruck Genius