Das Vermächtnis der Sidhe - Sabrina Schuh - E-Book

Das Vermächtnis der Sidhe E-Book

Sabrina Schuh

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Beschreibung

In "Das Vermächtnis der Sidhe" stellen sich die Autorinnen Sylvia Rieß und Sabrina Schuh der großen Herausforderung, das Märchen der Gänsehirtin am Brunnen zu adaptieren und aus zwei völlig verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Während Rieß dem König aus dem Original eine neue Geschichte verleiht, entführt uns Schuh in die Fußstapfen der verstoßenen Prinzessin. Ihr Geschichten sind zwei und doch eins – unabhängig lesbar und in sich abgeschlossen ergeben sie dennoch erst gemeinsam ein Gesamtbild. Die Tränen der Sidhe - Sylvia Rieß Seit Jahren erhebt die Klatschpresse schwere Vorwürfe gegen Arthur König. Angeblich soll er seine jüngste Tochter aus dem Haus geworfen haben. Dabei weiß Arthur selbst nicht, was zum Bruch zwischen ihnen führte. Nur eins ist sicher: Flora kann oder will nicht gefunden werden. Doch als Arthur eine fatale Diagnose gestellt wird, begreift er, dass er nicht sterben kann, ohne Flora zumindest einmal wiederzusehen. Wie jedoch soll er sich diesen letzten Wunsch erfüllen, der selbst die Polizei seit sieben Jahren vor ein unlösbares Rätsel stellt? Das Herz der Sidhe - Sabrina Schuh An Floras 25. Geburtstag offenbaren ihre Onkel ihr ein unglaubliches Familiengeheimnis und drohen, sie umzubringen, wenn sie sich nicht für die Familie entscheidet. Völlig aufgelöst flieht Flora und läuft dabei Graf Theobald von Wasserfeld in die Arme, der ebenfalls auf der Abschussliste ihrer Onkel steht. Schon bald finden sich die beiden auf einer Flucht quer durch Europa wieder, die nur ein einziges Ziel hat: gegen unsterbliche Wesen bestehen und überleben. Hinweis: Die Seitenzahl des Taschenbuchs beträgt 258.

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Sylvia Rieß

und

Sabrina Schuh

Das Vermächtnis der Sidhe

 

 

 

 

Das Vermächtnis der Sidhe(Reihe in 2 Bänden)

Sylvia Rieß Faulbacher Str. 24 65589 Hadamar

Sabrina Schuh

Bodenfeldstr. 991438 Bad [email protected]

 

 

1. Auflage Februar 2021© Die Tränen der Sidhe: Sylvia Rieß© Das Herz der Sidhe, Sabrina Schuh

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks, Kopie und Verbreitung in jeglicher Form sind vorbehalten.

Coverdesign*, Satz & Illustration: saje design, www.saje-design.de

*unter Verwendung einer Grafik von vectorstock.com

Lektorat (Teil 1): Sabrina Uhlirsch, www.spreadandread.deLektorat (Teil 2): Pia Euteneuer, www.wortgewand13.de

Korrektorat: Roswitha Uhlirsch, www.spreadandread.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1

 

Nur eine Frage

 

Der Reporter in der ersten Reihe starrte mit einem dümmlich-leeren Grinsen auf Arthurs Brustkorb, ungefähr dahin, wo seine Krawattennadel mit der blauvioletten Perle steckte. Das stete Zucken seiner Pupillen nach rechts oben verriet Arthur, dass der Mann dabei an alles Mögliche dachte – das Mittagessen vielleicht, die kleine Blonde vom Empfang oder einen Anruf seiner Mutter –, nur nicht daran, seine Aufmerksamkeit auf Arthurs Worte zu lenken.

»Na, da scheinen ja einige spannende Neuerungen auf die Medizin zuzukommen«, glaubte er aber dann trotzdem, den Schlusskommentar geben zu müssen, als Arthur seine Notizen zusammenschob. »Nur schade, Herr König, dass Sie so wenig Konkretes zu den einzelnen Programmen äußern konnten. Dennoch vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview.«

Arthur hörte den unverblümten Hohn in der Stimme. Abschätzig musterte er den jungen Mann: viel zu enge Jeans, unmöglicher Haarschnitt und ein affiger Schal um den Hals. Der Bengel tippte ein paar Notizen in sein schickes iPhone. Ein Emporkömmling, für den es nicht lohnte, eine passende Erwiderung zu suchen.

Diese Sorte Berichterstattung kannte Arthur zur Genüge. Er musste schon damit zufrieden sein, wenn sich auch nur ein Drittel des späteren Artikels annähernd mit seinen Aussagen beschäftigte. Viel wahrscheinlicher war, dass der größte Teil davon in der Klatschpresse landete und man sich einmal mehr in wilden Spekulationen um »den König mit dem Herz aus Stein« erging, sein angeblich illegal erworbenes Vermögen breittrat und jene eine Frage zur Tagesordnung machte, mit der die Presse ihn seit nunmehr sieben Jahren versuchte weichzukochen.

Er beugte sich zu seiner Aktentasche und sortierte die Notizen ein, an denen er sich während seines zweistündigen Vortrages entlanggehangelt hatte. Normalerweise waren solche Gedächtniskrücken für ihn nicht notwendig, doch fühlte er sich seit einigen Tagen nicht ganz auf der Höhe. Ein Kratzen im Hals, ein Husten hier und da, Mattigkeit und allgemein schlechte Laune. Eine Erkältung konnte er nun gar nicht gebrauchen.

»Herr König.« Thompsen, der Chef seines Sicherheitsteams, stand neben ihm, den Regenschirm schon über dem linken Arm bereit, als Arthur sich wieder aufrichtete. Zwei weitere Männer in schwarzen Anzügen traten aus dem Pulk der Reporter zu ihnen. Thompsen deutete Richtung Ausgang. »Ich habe den Wagen direkt zum Eingang vorfahren lassen, Sir. Das Wetter draußen ist gerade kein Spaß.«

Arthur nickte. Ohne Worte und ohne noch einmal einen Blick auf die wissbegierigen Aasgeier zu werfen, die bereits seit Jahren versuchten, ihn und sein Unternehmen zu demontieren, folgte er Thompsen ins verglaste Treppenhaus. Durch die Scheiben konnte er die dicken Regenfäden draußen sehen, die der Sicherheitschef wohl mit »kein Spaß« gemeint hatte. Ein heftiger Nordwestwind ließ sie fast waagrecht stehen, was die wenigen Menschen, die man draußen vorbeihasten sah, dazu zwang, die Mantelkragen hochzuschlagen und ihre Schirme fest zu umklammern.

Kurz drifteten Arthurs Gedanken ab zu einem Tag im Spätherbst vor vielen Jahren, der ähnlich stürmisch gewesen war. Zwei pinke Regenjacken kamen ihm in den Sinn. Wie tanzende Blätter waren sie durch den Sturm gesprungen, getragen scheinbar bloß vom unsteten Wind, der sie bald hierhin und bald dorthin wehte. Nach einer Stunde hatten die perlenverzierten Satinschleifen an den blonden und den roten Zöpfen völlig durchnässt heruntergehangen. Dennoch war es einer jener wundervollen Tage gewesen, an denen sich sein Leben perfekt angefühlt hatte.

»Hmhm«, vernahm er da mit einem Mal ein Räuspern nur knapp vor sich. Aus dem Schatten zwischen den Stahlträgern der Treppe und dem neu eingelassenen Fahrstuhl trat ganz unvermittelt eine Gestalt. Selbst Thompsen hatte sie nicht bemerkt und zuckte im ersten Moment überrascht zusammen. Dann aber schob er Arthur in vertrauter Routine hinter sich und ließ die Muskeln spielen.

»Was haben Sie hier verloren …?«, setzte Thompsen dazu an, den vermeintlichen Angreifer einzuschüchtern. Mitten im Satz brach er allerdings ab. »Sie schon wieder«, kam es als Nächstes von ihm und die merkliche Anspannung ließ nach. Arthur schob sich an seinem Bodyguard vorbei und hatte nun ebenfalls freien Blick auf das Gesicht mit dem ungepflegten Bart unter der verwaschenen Wollmütze.

»Boyd! Machen Sie, dass Sie sich zum Teufel scheren. Die Pressekonferenz ist vorbei. Außerhalb davon beantworte ich keine Fragen«, knurrte er.

»Auf deine Lügen bei diesen Konferenzen kann ich ganz gut verzichten, das weißt du. Außerdem habe ich nur eine Frage an dich.«

»Verpiss dich!«, brauste Arthur auf und hob den Regenschirm auf, den Thompsen eben fallengelassen hatte. Diesen wie ein Schwert erhoben, sprang er auf Boyd zu. In der Bewegung überkam ihn jedoch ein Hustenanfall und zwang ihn in die Knie. Thompsen beugte sich besorgt zu ihm herab.

Aus dem Augenwinkel sah Arthur, wie der Reporter dabei die Augenbrauen zusammenzog. Eine von Boyds Macken, die er am meisten hasste. Es suggerierte ihm irgendwie, dass der Mann, der bei jeder ihrer Begegnungen abgerissener und erbärmlicher aussah, ihn bemitleidete. Lächerlich!

Keuchend schlug Arthur Thompsens Hand aus und stemmte sich hoch. Den Blick starr auf den Ausgang gerichtet, schritt er hocherhobenen Hauptes an Boyd vorbei. Als er den Griff der Tür schon in der Hand hatte und Thompsen wieder wie gewohnt hinter ihm stand, um den Schirm aufzuspannen, flüsterte Boyd in seinem Rücken: »Ich bin nicht der, dem diese Frage auf dem Herzen brennt. Du selbst hast es noch immer nicht geschafft, dich ihr zu stellen. Oder weißt du endlich, was mit deiner Tochter ist?«

Er hatte es tatsächlich getan! Er hatte wieder einmal keine Ruhe gegeben.

›König Arthur verstößt eigenes Kind‹, kam die alte Schlagzeile zurück in seine Erinnerungen.Sie hatte Boyd berühmt gemacht und dafür gesorgt, dass Arthurs Gedanken sich seither täglich um diesen Klatschkolumnisten drehten.

Für einen Augenblick krampfte sich seine Hand um den Türknauf zusammen. Es war so lange her und tat trotz allem immer noch so weh, dass es ihn völlig aus der Fassung zu bringen vermochte. Er sah vor seinem geistigen Auge schon, wie er vorsprang, Boyd am löchrigen Kragen packte und ihm eins mit der Faust verpasste. Aber er schaffte es, sich zu beherrschen.

Er schluckte, schloss die Augen. Einatmen. Stell dir vor, du bist in einem Wald, Arthur. Einem tiefen, grünen, stillen Wald.Ausatmen.

Nach außen wieder etwas gefasster, drehte er sich um und fragte kühl zurück: »Welche meiner Töchter meinen Sie denn? Rosie ist im Sitz der Firma und kümmert sich um die Geschäfte und Amelia ist noch in Übersee. Erst kürzlich haben die Zeitungen ein schönes Foto von ihr und ihrem Verlobten abgedruckt. Vielleicht haben Sie es gesehen. Wurde von einer Person mit sehr viel Feingefühl an der Kamera geschossen.«

Boyd schwieg, doch sein Blick ließ Arthur noch für eine ganze Minute nicht entfliehen. Erst dann schaffte er es, sich von den stechend grünen Augen loszureißen, und trat mit festem Schritt in den strömenden Regen vor dem Kongresskomplex. Thompsen war sogleich neben ihm und die Tür aus dreifachem Panzerglas schwang hinter den nachfolgenden Sicherheitsmännern zu. Dennoch war es Arthur, als höre er noch einmal Boyds Stimme: »Du weißt, dass ich keine der beiden meine, Arthur König. Für keine von ihnen hast du so viel geopfert.«

 

 

Der Regen hüllte sie für Sekunden ein. Der Wind machte Thompsens Bemühungen mit dem Schirm sämtlich zunichte. Die Böen fingen sich unter Arthurs Mantel, rissen ihn hoch. Ein vorbeifahrender Wagen kam ins Schleudern und ein Schwall dreckigen Pfützenwassers landete auf seinen Hosenbeinen.

Hektisch wurde vor ihm die Wagentür von seinem Fahrer aufgerissen. Gefolgt von Thompsen und dem Sicherheitsteam stieg er in die Limousine. Als die Tür sich schloss, hüllten die Stille, die Wärme und die Vertrautheit des Wageninneren ihn für Bruchteile von Sekunden so allumfassend ein, dass er sogar die Augen schloss und tief die Luft einzog. Mit einer zitternden Hand am Brustkorb ließ er sich in die Lederpolster sinken. Einatmen. Ausatmen. Ein neuerlicher Hustenkrampf schüttelte ihn.

Die entspannte Stille verflog. Die gerade erlebte Szene mit Boyd drängte sich in seinen Kopf.

»Widerling!«, schimpfte er ohne jegliche Beherrschung los. »Ekelhafter, schmieriger, abgerissener Widerling. Immer dieses Gerede von meinen Lügen. Was ist mit den Lügen der Presse? Boyds Lügen über meine Frau? Dass ich ihren Tod verschuldet habe? Bis heute habe ich keine Entschuldigung von ihm bekommen.«

»Sir, …«

»Meine Zahlen und Fakten sind valide. Es ist nur nicht das, was diese Ökoschmarotzer hören wollen. Meine Forschungen und mein Geld lösen Probleme! Die verstehen nicht, dass man die Welt nicht nur mit einer fixen Idee verbessern kann. Man muss auch die Mittel dazu haben. Aber sind sie bereit, dafür zu arbeiten? Bereit, dafür so weit zu gehen wie ich?«

»Sir, …«

»Natürlich sind sie es nicht. Diese faulen, verweichlichten Muttersöhnchen. Von denen hat doch keiner in seinem Leben auch nur einen Finger –«

»Herr König. Verzeihen Sie, wenn ich unterbreche«, bemerkte Thompsen, »aber wir kommen zu spät zu unserem Termin und Sie müssten sich erst umziehen.« Sein Blick fiel auf Arthurs verdreckte Anzughose. »Wollen Sie, dass ich allein zum Flughafen fahre und Sie vorher an der Villa absetze?«

Arthur stutzte kurz. Die Begegnung mit Boyd hatte den Termin völlig aus seinem Bewusstsein gedrängt.

Eigentlich lächerlich, dass so ein Wicht wie Boyd es so lange schon schaffte, ihn immer wieder aus dem Konzept zu bringen.

»Sir?«, wiederholte Thompsen nachdrücklich.

Arthur haderte einen weiteren Moment lang mit sich. Seinen Gast hatte er persönlich abholen wollen. So viel Aufmerksamkeit hatte Theobald von Wasserfeld verdient. Immerhin war es sein Bestreben, mit der Firma des alten Grafen Philipp von Wasserfeld im nächsten Jahr zu fusionieren. Doch der Graf selbst zeigte sich stur, bärbeißig und nicht im Geringsten bereit zu Verhandlungen in dieser Hinsicht. Er war allerdings auch krank, wie die Gerüchte sagten, und sein Sohn besaß schon jetzt fast alle Vollmachten.

Ganz ähnlich wie bei ihm und Rosie, dachte Arthur, tat es aber sofort als Unsinn ab. Im Gegensatz zu Philipp, der sich sein Leben lang mit zu viel Wein und fettem Braten die Leber ruiniert hatte, war er ein Ausbund an Vitalität und gesunder Lebensführung. Bei diesem Gedanken machte sich ein neuerlicher Hustenkrampf in seinen Bronchien breit und er sah ein, dass es unvernünftig wäre, nicht auf Thompsens gut gemeinten Ratschlag zu hören. Er nickte also und Thompsen signalisierte dem Fahrer, sie erst zum Familienanwesen zu bringen.

 

 

Nach fünfzehn Minuten hielt der silbergraue Bentley schließlich vor der hohen Mauer, welche die charmante Jugendstilvilla im grünsten Teil der Stadt umfasste. Thompsen machte Anstalten mit auszusteigen, doch Arthur winkte ab. »Sie sind spät dran und ich will nicht, dass der Alte von Wasserfeld das gleich als Affront auffasst. Er kann unglaublich schwierig sein. Und ich weiß noch nicht, wie sensibel dieser Theo reagiert.«

Thompsen nickte. Es war gerade ohnehin etwas aufgeklart und kein Problem für Arthur, trockenen Fußes die wenigen Hundert Meter durch den Park zur Haustür zu überwinden.

Er ließ sich dabei Zeit wie immer, um die seltsame Mischung aus allumfassender Trauer und tiefem Frieden auf sich wirken zu lassen, die der Garten stets in ihm hervorrief.

Elise hatte von einem echten Feengarten geträumt. Lange war er nicht mehr als ein Wunsch geblieben. Erst nach der Umstrukturierung des Unternehmens konnten sie sich diesen erfüllen. Die ehemals rein karitative Einrichtung wich einem modernen, mittlerweile milliardenschweren Konzern. Einige Jahre waren sie damit sehr glücklich gewesen. Damit und mit diesem Garten.

Die großen, alten Bäume, der weitläufige Rasen, die üppigen Blumenrabatten und rankende Rosen hatten sie in den gemeinsamen Sommern mit ihrer Pracht und Fülle schier erstickt. Jetzt lag bereits alles Laub zu seinen Füßen, das Gras wurde braun und erinnerte Arthur daran, wie schnell ein weiteres Jahr zur Neige ging. Elises Todestag würde sich damit bald zum fünfundzwanzigsten Mal jähren.

Mit diesem bitteren Gedanken erreichte Arthur die Eingangstür, hinter der sein Hausdiener schon wartete, um Mantel und Schal in Empfang zu nehmen.

»Guten Abend, Sir.«

»Guten Abend, Eric. Sie denken noch an unseren Besuch?«

»Gewiss, Sir. Thompsen holt ihn ab?«

»Ja, ich …« Arthur schielte auf seine schmutzigen Hosen, konnte aber ein Husten nicht unterdrücken.

»Sie müssen sich eine Weile ausruhen, Sir. Thompsen hat mich bereits informiert. Ich habe auf seine Anweisung gleich nach Doktor Schöll schicken lassen.«

Diese Feststellung bedurfte keiner Antwort und so gab Arthur nur ein kurz angebundenes Brummeln von sich. Seinen Hausdiener brachte das jedoch nicht aus dem Konzept.

»Der Doktor lässt ausrichten, dass er in einer Stunde hier sein wird«, fügte er gewissenhaft hinzu.

Schon halb die Treppe zum Obergeschoss hinauf drehte Arthur sich noch einmal um und erwiderte: »Manchmal hab ich das Gefühl, Thompsen hält sich nicht nur für meinen Sicherheitschef, sondern auch für mein Kindermädchen.«

Eine Erwiderung folgte darauf nicht. Der Hausdiener nickte lediglich und verschwand mit einem weiteren »Sir« durch eine der Türen im angrenzenden Empfangszimmer.

Arthur schleppte sich die Treppe hinauf. Seine Lungen brannten mittlerweile und er schnappte nach Luft, als er im Schlafzimmer angekommen war. Ein wenig ausruhen würde ihm vermutlich wirklich guttun. Bis Ende der Woche war es unerlässlich, dass er wieder auf die Beine kam. Rosie konnte ihn im Tagesgeschäft locker vertreten, aber für den Abschluss der neuen Verträge mit Japan würde er persönlich anwesend sein müssen.

 

 

Über diesem Gedanken döste er schließlich noch in Anzug und Schuhen auf dem Stuhl ein. Erst das Läuten der Haustürglocke ließ ihn hochschrecken. Ein Blick auf seine Smartwatch verriet, dass es eine Stunde später war als bei seiner Ankunft. Auf die Sekunde genau. Von Robert Schöll, seinem Freund und Kollegen aus Studientagen, war aber auch nichts anderes zu erwarten. Pünktlichkeit war sein zweiter Vorname, wobei Arthur sich immer gefragt hatte, wie er das als Allgemeinmediziner schaffte. Von den meisten praktizierenden Kollegen hörte man ja anderes.

Damit Robert nun seinerseits nicht warten musste, beeilte Arthur sich damit, in die frischen Sachen zu wechseln, die auf einem Stuhl bereitlagen. Dabei merkte er schon, dass der Schlaf sich ausgezahlt hatte. Das Schwindelgefühl war weg und er verspürte keinerlei Hustenreiz mehr. Beschwingt ging er hinab ins Empfangszimmer, wo allerdings nicht nur Robert, sondern noch ein zweiter, deutlich jüngerer Mann im Anzug auf ihn wartete. Das konnte nur Theobald von Wasserfeld sein.

Wie sein Vater Philipp war er recht hochgewachsen, jedoch schlank und mit Brille. Gerade einmal Ende zwanzig versuchte er, durch das akribische Kultivieren eines gepflegten Bartes etwas reifer zu wirken. Das unsichere Zupfen an seinen Ohrläppchen gab hingegen sofort preis, dass er sich in der jetzigen Gesellschaft nicht ganz wohl fühlte.

Robert Schöll hingegen gab wie immer das perfekte Bild des älteren, weltmännischen Gentlemans. Mit einigen grauen Strähnen im sonst noch immer dichten dunkelblonden Haar und für sein Alter erstaunlich guter Konstitution. Ähnlich wie bei George Clooney und hochwertigem Rotwein schien bei Robert jedes weitere Jahr nur zu seinem Vorteil zu gereichen. Eine Tatsache, für die Arthur ihn stets beneidet hatte.

Er begrüßte zunächst den jungen von Wasserfeld mit festem Händedruck und wandte sich dann Robert zu. Das gleichzeitige Eintreffen der beiden Männer brachte ihn in eine äußerst unglückliche Situation und er überlegte, wie er diese möglichst galant lösen könnte. Der Sohn seines neuen Geschäftspartners sollte schließlich nicht gleich den Eindruck eines kränklichen Tattergreises von ihm bekommen.

»Robert, mein alter Freund. Es ist schön, dass du zum Abendessen reinschaust«, tat Arthur also überschwänglich fröhlich und hoffte, dass Robert verstand und mitspielen würde.

Dieser schaute ein wenig verdutzt und Arthur setzte hinterher: »Theo, – so darf ich Sie doch sicher nennen? –, das ist Dr. Schöll, ein langjähriger Freund der Familie und gleichzeitig unser geschätzter Hausarzt. Er findet gelegentlich den Weg zu uns, auch wenn wir seiner Profession nicht bedürfen.«

Damit schien Robert zu verstehen und nickte Arthur kurz zu.

»Ja. Immer eine Freude hier sein zu können. Und entschuldigen Sie, Herr von Wasserfeld, dass durch meinen spontanen Besuch Ihr Gastgeber gezwungen war, den Hausherrn zu spielen und auf mich zu warten. Wie ich hörte, wollte er eigentlich persönlich am Flughafen sein.«

Arthur atmete erleichtert auf. Robert fuhr fort: »Ich muss allerdings noch einmal Ihre Geduld in Anspruch nehmen. Es gibt nämlich ein paar private Angelegenheiten, die ich mit Arthur gern besprochen hätte, bevor das Abendessen serviert wird.«

»Sicher«, der junge Mann wirkte etwas überfahren, aber nicht ganz undankbar über die Aussicht auf ein paar Augenblicke allein. Arthurs Hausdiener, der im Nebenzimmer gewerkelt hatte, verstand das als sein Zeichen, kam herein und fragte den Grafen nach seinen Wünschen für eine Erfrischung.

Arthur und Robert zogen sich derweil in eins der Zimmer auf der anderen Flurseite zurück und Arthur war heilfroh, den Empfangssalon verlassen zu können. Noch in der Tür zog sich sein Brustkorb wieder zusammen. Es trieb alle Luft aus seinen Lungen und er begann zu husten, noch bevor sich die Tür hinter ihnen schloss.

Na toll. Jetzt würde von Wasserfeld ihn doch für einen kränklichen Tattergreis halten. Robert schien diesen Gedanken zu erraten und kommentierte lauter als er gemusst hätte: »Einfach furchtbar dieses nasskalte Wetter. Überall nur noch Erkältungen.«

»Wobei ich ja nicht der Typ bin, der sich gleich jeden kleinen Infekt holt. Das weißt du, Robert«, protestierte Arthur, sobald die Tür hinter ihnen zu war.

Er knüpfte anschließend aber bereitwillig sein Hemd auf.

---ENDE DER LESEPROBE---