Das Vermächtnis der Tante Susanne - Isolde Kurz - E-Book

Das Vermächtnis der Tante Susanne E-Book

Isolde Kurz

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Beschreibung

Das Vermächtnis der Tante Susanne ist eine spannende Geschichte von Isolde Kurz. Reinlesen: Das kleine Städtchen, wo ich meine Kindheit verbrachte, wimmelte von wunderlichen Originalen. Eines der auffallendsten war das alte Fräulein Susanne Gutbrot, pensionirte Lehrerin an der Mädchenschule, eine Gestalt von so beängstigender Häßlichkeit, daß sie noch Jahre lang, nachdem ihre Leiblichkeit schon vom Erdboden verschwunden war, als böser Geist durch meine Träume schlich. Sie hatte ein Gesicht, das fast nur Nase war, dünnes, weißes Haar, ein graues, stachliges Schnurrbärtchen und pflegte im Gehen mit einer tiefen, rauhen Stimme vor sich hin zu brummen. Sommer und Winter trug sie ein schmieriges, schwarzseidenes Fransentüchlein um den Kopf und einen verschossenen, türkischen Shawl um die Schultern, beides sorgfältig nach hinten ins Dreieck gelegt, so daß sie, vom Rücken gesehen, einer wandelnden geometrischen Zeichnung glich.

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Das Vermächtnis der Tante Susanne

Das Vermächtnis der Tante SusanneAnmerkungenImpressum

Das Vermächtnis der Tante Susanne

Das kleine Städtchen, wo ich meine Kindheit verbrachte, wimmelte von wunderlichen Originalen.

Eines der auffallendsten war das alte Fräulein Susanne Gutbrot, pensionirte Lehrerin an der Mädchenschule, eine Gestalt von so beängstigender Häßlichkeit, daß sie noch Jahre lang, nachdem ihre Leiblichkeit schon vom Erdboden verschwunden war, als böser Geist durch meine Träume schlich.

Sie hatte ein Gesicht, das fast nur Nase war, dünnes, weißes Haar, ein graues, stachliges Schnurrbärtchen und pflegte im Gehen mit einer tiefen, rauhen Stimme vor sich hin zu brummen. Sommer und Winter trug sie ein schmieriges, schwarzseidenes Fransentüchlein um den Kopf und einen verschossenen, türkischen Shawl um die Schultern, beides sorgfältig nach hinten ins Dreieck gelegt, so daß sie, vom Rücken gesehen, einer wandelnden geometrischen Zeichnung glich.

Im Herbst und Frühjahr sah man sie häufig an Hecken und Zäunen hinstreichen und eifrig das ausgejätete, liegen gebliebene Unkraut in ein Körbchen sammeln. Mit diesem Unkraut bepflanzte sie einen kleinen Fleck Erde vor der Stadt, den sie ihren Garten nannte. Es war nur ein Stück umgeschortes Wiesenland von wenigen Schritten im Geviert, an einem Feldweg gelegen und von einer Berberitzenhecke umzäunt, die eine rohe Lattenthür abschloß. Ein Cornelkirschbaum stand darin, dessen säuerliche Früchte – in dortiger Gegend Dürrlitzen genannt – ihr immer von der Schuljugend weggenascht wurden, bevor sie ganz ausreiften. In diesem mit der Schere ganz unbekannten Gehege, das aus unregelmäßigen Beeten und schmalen, grasdurchwachsenen Kieswegen bestand, sproßte ein Wirrsal von Nesseln, Knöterichen, Wegwarten, der rothe Fuchsschwanz wucherte massenhaft, fast mannshoch stand der giftige Eisenhut, wilde Malwen und kleine, unschuldig lächelnde Stiefmütterchen krochen über alle Wege, denn Niemand hinderte diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, sich ganz nach ihrem Belieben auszubreiten.

Wenn Jemand die Alte beim Sammeln dieser Auswürflinge anredete, so stieß sie heiser heraus:

»Die Menschen sind ungerecht – ja ungerecht« – als ob sie eine ganz neue Wahrheit ausspräche.

Hielt man ihr dann vor, daß das Alles nur Unkraut sei, so wurde sie zornig und antwortete:

»In der Botanik gibt es kein Unkraut, es sind Pflanzen wie andere« – und ging weg, indem sie unverständliche, aber keinesfalls schmeichelhafte Reden vor sich hinmurmelte.

Man sah sie stets allein, denn sie haßte Alles, was Menschenantlitz trug, und ihren Verwandten, deren noch verschiedene im Städtchen lebten, wich sie auf Straßenweite aus. Nur der Tod vermochte sie auszusöhnen mit aller Creatur, denn so oft Jemand starb, sei es Mann, Weib oder Kind, folgte Susanne Gutbrot in einem dreieckigen, schwarzen Kaschmir dem Geleite und stand mitten unter den Leidtragenden am offenen Grabe. War's Neugier, Schadenfreude oder wollte sie dadurch ausdrücken, daß zwischen ihr und ihren Mitmenschen nichts gemeinsam sei als die Vergänglichkeit? Ich weiß es nicht; ihr Erscheinen bei diesen Anlässen war jedenfalls eine so bekannte Gewohnheit, daß sie keiner Seele zu denken gab.

Ein gegenseitiges tiefes Mißtrauen herrschte zwischen der Jugend und dieser verbitterten Gestalt. Sie lauerte hinter ihrem Zaun und schlug nach uns mit Stecken, sobald eine Hand sich nach ihren Berberitzen ausstreckte; wir dagegen warfen ihr im Vorbeigehen Steine in ihre Unkrautrabatten und rissen aus ihrem Zaun die Latten weg.

Weshalb wir diesen Krieg mit ihr führten, hätten wir selbst nicht zu sagen vermocht. Der Hang, das wunderliche Fräulein Gutbrot zu quälen, war uns schon von der vorhergegangenen Generation vererbt. Wir wußten nichts von ihr, als daß sie eben immer da gewesen war in ihrem schwarzen Fransentüchlein und dem verschossenen türkischen Shawl, daß sie von jeher mit den Kindern auf schlechtem Fuß gestanden, und daß wir nur ein verjährtes Recht brauchten, indem wir ihr öffentlich Grimassen schnitten und ihr heimlich ihre Beete ausrauften oder ihre Dürrlitzen aufaßen, bevor sie reif waren.

Erst als ich herangewachsen war und man dieser seltsamen Gestalt schon lange nicht mehr in den Straßen begegnete, erkundigte ich mich einmal näher nach dem absonderlichen alten Wesen.

Da erfuhr ich, woran ich nie gedacht hatte, daß die alte Susanne einmal jung gewesen war und nicht nur jung, sondern auch hübsch, ja geradezu das hübscheste Mädchen der Stadt. Aber ein lächerliches Mißgeschick, das von den Uebelwollenden ausgebeutet und immer aufs neue in das Gedächtniß der Menschen zurückgerufen wurde, hatte ihr ganzes Leben vergiftet.

Sie war als Waise bei ihrem Halbbruder, dem Kaufmann Christian Gutbrot, aufgewachsen, der sie ihrer flinken Manieren und ihres guten Kopfes wegen gern im Laden verwendete. Dabei hatte sie Zeit, zwischen der Bedienung der Kunden Romane aus der Leihbibliothek zu lesen, die sie unter dem Ladentisch versteckt hielt. Die paar tausend Gulden Kapital – man rechnete damals noch nach Gulden –, die ihr von Mutterseite gehörten, steckten im Geschäft und hätten ihr im Fall ihrer Verheiratung herausgezahlt werden müssen, was Herr Christian Gutbrot und seine Gattin Auguste, eine böse Sieben, durchaus nicht für sehr eilig hielten.

Susanne aber dachte über diesen Punkt anders. Ein junger Provisor an der Volksschule, den sie von der Tanzstunde her kannte, hatte ihr Herz gewonnen, und beide suchten eifrig Gelegenheit, einander zu sprechen.

Dem Kaufmann fiel der starke Bedarf des jungen Provisors an Mandelseifen und Malzbonbons auf, und er fand es räthlich, seine Schwester vom Ladentisch zu entfernen.

Aber erfinderisch, wie Liebende sind, wußte das Pärchen sich zu helfen. Zwischen des Provisors hohem Dachstübchen und der Speicherluke des Gutbrot'schen Hauses begann ein Verkehr, der bei den Nachbarn nicht unbemerkt blieb. Schräg über ein Gewinkel von Innenhöfen und niedrigen Dächern wanderten an einem Bindfaden, der unter unsäglichen Schwierigkeiten an beiden Endstationen befestigt worden war, Briefe, Blumen und andere Liebeszeichen hin und her. Als aber die jungen Leute ihre Unvorsichtigkeit noch weiter trieben und eine nächtliche Zusammenkunft über den Dächern ins Werk setzen wollten, ereignete sich die verhängnißvolle Katastrophe.

Der Provisor sollte, wie es scheint, auf Katzenwegen von dem anstoßenden Dachvorsprung eines Nachbarhauses aus die Bodenluke erklimmen; aber es war dabei ein, wenn nicht hoher, so doch steiler Giebel zu übersteigen, wo er den Muth verlor. Er blieb, vom Schwindel gepackt, stecken und stieß ein jämmerliches Hülfegeschrei aus, das die schlafenden Nachbarn aus den Betten trieb. Der unglückliche Romeo mußte unter allgemeinem Halloh mit einer Feuerwehrleiter herabgeholt werden. Er schützte freilich vor, daß er an Mondsucht leide und im Schlafwandel sich auf den Dachfirst verstiegen habe, aber man glaubte ihm nicht; denn Viele wollten im Mondschein das tapfere Susannchen an der Dachluke erkannt haben, wie sie sich anschickte, ihrem furchtsamen Liebhaber zu Hülfe zu kommen.