Der Caliban - Isolde Kurz - E-Book

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Isolde Kurz

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Beschreibung

Der Caliban ist ein Roman von Isolde Kurz. Reinlesen: Das alte bresthafte Staatsauto ratterte mit gründlicher Verspätung vor dem Posthaus von San Martino di Castrozza an, das um jene Zeit noch das Wahrzeichen des Doppeladlers trug. Die Fahrgäste sahen übermüdet und durchfroren aus, denn sie waren im Morgengrauen von Bozen aufgebrochen und hatten unterwegs einen kleinen Unfall erlitten, der sie zwang auf freiem Felde frierend und hungernd zu warten, bis der Ersatzwagen zur Stelle kam; dann waren sie auf dem Rollepaß bei schneidendem Wind unter einem Schneegestöber durchgesaust, das sich tiefer unten in eisigen Regenschauer verwandelte. Aber gerade im Augenblick, wo auf der grünen Matte das Kirchlein des heiligen Martinus mit dem frühmittelalterlichen Glockenturm auftauchte, tat das Gewölk in der Höhe einen Ruck und als sie über die Cismonebrücke donnerten, lagen schon die beschneiten Häupter der Palakette vom Cimone bis zum Saß Maor in strahlendem Licht. Nur um ihre Flanken wallte es noch von grauen Dunstmassen, aus denen die Bergwälder da und dort ihre Wipfel hervorstreckten. Wo sich das breite Tal nach Mittag senkt, da lachte der blauste Himmel die grünste Erde an, die nassen Wiesen funkelten, heitere Lärchen begleiteten den Wildbach in die Tiefe, und ganz unten im fernsten Hintergrund lagerten sich, fast durchsichtig vor Helligkeit, die edelgezeichneten Feltriner Alpen wie eine hohe, lichtumflossene Schranke vor dem Paradiesgarten des Südens.

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Der Caliban

Der CalibanAnmerkungenImpressum

Der Caliban

Das alte bresthafte Staatsauto ratterte mit gründlicher Verspätung vor dem Posthaus von San Martino di Castrozza an, das um jene Zeit noch das Wahrzeichen des Doppeladlers trug. Die Fahrgäste sahen übermüdet und durchfroren aus, denn sie waren im Morgengrauen von Bozen aufgebrochen und hatten unterwegs einen kleinen Unfall erlitten, der sie zwang auf freiem Felde frierend und hungernd zu warten, bis der Ersatzwagen zur Stelle kam; dann waren sie auf dem Rollepaß bei schneidendem Wind unter einem Schneegestöber durchgesaust, das sich tiefer unten in eisigen Regenschauer verwandelte. Aber gerade im Augenblick, wo auf der grünen Matte das Kirchlein des heiligen Martinus mit dem frühmittelalterlichen Glockenturm auftauchte, tat das Gewölk in der Höhe einen Ruck und als sie über die Cismonebrücke donnerten, lagen schon die beschneiten Häupter der Palakette vom Cimone bis zum Saß Maor in strahlendem Licht. Nur um ihre Flanken wallte es noch von grauen Dunstmassen, aus denen die Bergwälder da und dort ihre Wipfel hervorstreckten. Wo sich das breite Tal nach Mittag senkt, da lachte der blauste Himmel die grünste Erde an, die nassen Wiesen funkelten, heitere Lärchen begleiteten den Wildbach in die Tiefe, und ganz unten im fernsten Hintergrund lagerten sich, fast durchsichtig vor Helligkeit, die edelgezeichneten Feltriner Alpen wie eine hohe, lichtumflossene Schranke vor dem Paradiesgarten des Südens.

Eine Reisende im Pelzkragen und langen, Mantel schlug ihren grauen Autoschleier zurück, um einen Blick müder Neugier auf die wildgezackte Rosettagruppe zu werfen, die wie eine Erscheinung über dem dampfenden Tale stand, und sagte:

Das also sind die Dolomiten!

Sie sagte es zu sich selbst, denn die Reisegefährten, die der Zufall zusammengewürfelt hatte, kümmerten sich schon nicht mehr um einander, sondern rafften eilig ihre Gepäckstücke zusammen und trennten sich nach flüchtigen, Gruß. Nur die Fremde zögerte ein wenig und suchte mit den Augen umher, ob niemand zu ihren, Empfang gekommen sei, bevor sie etwas enttäuscht dem gepäcktragenden Gasthofdiener den Rasenhang hinan zur »Alpenrose« folgte. Die Begegnenden tauschten bei ihren, Erscheinen rasche Blicke, und heimlich wurde der Name Marianne Sebald geflüstert, denn ihr Gesicht, das aus unzähligen Lichtbildern bekannt war, ging wie ein Steckbrief mit der berühmten Sängerin.

In ihren, Zimmer angekommen, öffnete sie die Balkontür und trat auf die hölzerne Vorlaube, die ganz in Licht gebadet war, hinaus. Da stand die Rosettagruppe in abenteuerlicher Wildheit, gelbgrau mit blendend weißen Gletschern und Firnen, so schreckhaft nahe über dem Tal, als wollte sie der Beschauerin zu Leibe rücken, daß diese in halben, Entsetzen die Augen schloß und ins Zimmer zurücktrat.

Also das sind die Dolomiten, sagte sie noch einmal zu sich selber, – fremdartig, irrsinnig; ob ich sie lieben werde, weiß ich nicht. Aber wenn ich mich an sie gewöhnen kann, werden sie mich vielleicht stark machen.

Kaum hatte sie ans Starkwerden gedacht, so mußte sie sich vor plötzlicher Schwäche niedersetzen, und Tränen drangen ihr in die Augen. Siehe da, ihr Herzeleid, das sie hinter sich zu lassen glaubte, war ihr über den Rollepaß vorausgeflogen und saß schon sicher eingenistet in dem neuen Raum.

Die Sängerin floh vor einer Liebe, die ihr kein Glück verhieß und ohne die sie doch nicht leben zu können glaubte. Mehrere Jahre eines leidenschaftlichen Verhältnisses, in dem die Entzweiungen und Versöhnungen wechselten wie Ebbe und Flut, hatten ihre Kraft zermürbt und am Ende auch dem Schmelz ihrer Stimme, diesem kostbarsten ihrer Kleinodien, Eintrag getan. Da war ihr keine Wahl geblieben, als der unerträglich gewordenen Lage zu entrinnen und eine Zeitlang ganz für ihre Wiederherstellung zu leben.

Die Stimme werde im alten Glanze wiederkehren, sobald die Nerven sich erholt hätten, denn es liege kein örtliches Leiden vor. tröstete der befreundete Facharzt, den sie zu Rate zog. Ortsveränderung, viel Schlaf und viel Bewegung in frischer Luft und alle trüben Gedanken verscheuchen, das sei das einzige was er verordnen könne. Und keinen Ton singen, ehe der verflogene Wundervogel sich von selber einstelle.

Daraufhin hatte sie einen langen Theaterurlaub genommen und zuerst an der Riviera, dann im Engadin ihr Heil gesucht, aber der Druck der Seele wollte nicht weichen. Nähere Freunde, zu denen sie flüchten konnte, besaß sie keine; sie büßte jetzt, daß sie zu lange und zu ausschließlich nur für Einen gelebt hatte. Die allverhindernden Ansprüche dieses verwöhnten Mannes hatten zwischen ihr und der Umwelt eine Entfernung geschaffen, die zur gähnenden Leere wurde, als sie sich von ihm losriß. Jetzt fühlte sich die gefeiertste Künstlerin der Kaiserstadt an der Donau inmitten der großen Welt, die ihr huldigte, einsam wie im Grabe. Da kam eines Tages von ihrer Schwester Isa, die in Venedig lebte und die Sommer mit Mann und Kindern in San Martino verbrachte, eine farbenglühende Postkarte, worauf die Palagruppe mit rosenroten Fingern in einen kobaltblauen Himmel griff und die Villa Ehrland inmitten giftgrüner Wälder mit einem Kreuz bezeichnet war. Und die Einbildung raunte ihr zu, wenn irgendwo, so müsse auf diesen hängenden Matten, unter diesem strahlenden Himmel in Isas Nähe der Friede wohnen. Bei ihrer schönen, stillen Schwester, die immer das Rechte sah und nie einen falschen Schritt im Leben getan hatte, wollte sie in die Schule gehen. Wenn das nicht half, so gab es keine Hilfe mehr. Ohne weiteres bestellte sie ein Zimmer in der »Alpenrose« und drahtete den Ihrigen: Ich komme.

Diese jüngere Schwester hatte früh und nach freister Herzenswahl geheiratet, einen Witwer zwar, aber einen jugendlichen, vielbegehrten, der sie in die Lagunenstadt führte, wo sie beim Wiegen der Gondeln ein halbverträumtes, ihren trägen Neigungen schmeichelndes Leben führte. Seit der Geburt des jüngsten Töchterchens schien sie zu kränkeln. Aber sie lag sicher im Arm der Liebe. Der Älteren war es nicht so leicht geworden. Einen Jugendgeliebten hatte sie begraben müssen und vieles Leid mit den Ihrigen erlebt, bevor der Wert ihrer Stimme entdeckt wurde, die ihr die Tür zu Ruhm und Reichtum und zu einer neuen Liebe öffnete. Aber nun war der Boden ihres Glücks zum zweitenmal unter ihr eingebrochen, und die Berühmte, Vielbeneidete kam, bei der letzten Blutsverwandten, die ihr geblieben war, das verwundete Herz zu heilen und Lebenskunst zu lernen, woran es ihr ganz gebrach.

Aber das fing nicht gut an. Sie hatte sich ihre Ankunft anders vorgestellt. Immer stellt man sich ja die Ankunft anders vor. Sie brauchte Liebe, viel viel verstehende Liebe um zu genesen, ein warmes Bad, in dem sie wohlig die Augen schließen und die Schmerzen versausen lassen konnte. Wo waren jetzt die zärtlichen Arme, die sich nach ihr ausstrecken sollten? Während des ganzen Wartens auf der frostnassen Wiese hatte sie vor allem gefürchtet, Schwester und Schwager durch die stundenlange Verspätung in Unruhe zu versetzen. Nun hatten die sich um die Stunde ihrer Ankunft überhaupt nicht gekümmert und warteten ruhig ab, daß sie an ihre Tür klopfe. Seit Jahren hatte man sich nicht gesehen, und Jene zeigten so wenig Eile, sie in die Arme zu schließen! Fast bereute sie schon ihr übereiltes Kommen; die starren, grausam nahen Berge vor ihrem Fenster erschienen ihr wie das Spiegelbild ihrer Herzenseinsamkeit und waren ihr so unleidlich, daß sie ihnen beim Niedersitzen den Rücken zudrehte.

Da klopfte es, und ein ungeschlachter Junge mit häßlichem, strohgelben, Haar und grobgenagelten Schuhen polterte ins Zimmer um ihr ein Brieflein auf den Tisch zu werfen. Es kam von ihrem Schwager, der sich entschuldigte, daß er wegen Isas leidendem Zustand nicht in Person erscheine; er hoffe, der teure und verehrte Gast werde sich unterdessen gut ausgeruht haben und ein bescheidenes Abendbrot in seinem Hause nicht verschmähen.

Jetzt schnellte die Freude des nahen Wiedersehens wieder hoch auf, und der Vorwurf war verweht. Der Sängerin, die nicht bloß Theaterstern, sondern durch und durch Musikerin war, erging es wie allen Kindern der Musik, daß sie im steten Wechsel der Gefühle lebte. Sie vergaß, daß sie nach der langen Fahrt noch nicht geruht und nichts genossen hatte, und ordnete nur rasch die Haare vor dem Spiegel, um dem Ruf der Ihrigen zu folgen. Noch einen Augenblick betrachtete sie aufmerksam den rassigen Frauenkopf im Spiegel, an dessen Schönheit das Leben mitgearbeitet, aber auch schon leise gerüttelt hatte, und fragte sich, ob Schwester und Schwager sie wohl sehr verändert finden würden. Dann stieg sie in die Vorhalle hinab, sich einen Führer nach der etwas entlegenen Villa Ehrland zu erbitten.

Unten tauchte der strohgelbe Junge, der nach Abgabe des Briefes grußlos wie er gekommen hinausgepoltert war, wieder auf und sagte verdrießlich: Hier.

Bist Du im Dienste des Herrn Konsuls? fragte sie. Ein Blick aus weitaufgerissenen Augen und ein ärgerliches Schütteln des Kopfes, dann stapfte er mit langen Bauernschritten voran. Sie folgte ihm über die Cismonebrücke einen breiten gepflasterten Abhang hinab, an großen Gasthofgebäuden vorüber und endlich durch den Torgang eines allen Klosters, das jetzt gleichfalls Gasthof war und die »Rosetta« hieß, hinaus ins Freie.

Ein herrlicher Fleck Erde. Vor ihr hob und senkte sich das Weideland, von kleinen dunklen Gehölzen durchschnitten und mit vereinzelten Hütten und niederen, grasbewachsenen Felsbrocken besät. Von den Bergen waren die letzten Nebelmassen gewichen, und sie reckten sich in ganzer Größe auf wie halbgeschleifte Riesenburgen himmelandrohender Dämonen mit zertrümmerten Bollwerken, halbeingestürzten Türmen und gräßlich klaffenden Breschen im nackten Gestein. Ernste Kiefern- und lichte Lärchenwälder stiegen unverzagt über das grauseste Steingeröll zu ihnen hinauf, jauchzend grüne Matten drängten sich an den Saum der Wälder heran, zwängten sich zwischen den Lichtungen durch, kletterten die wilden Berghänge empor und grüßten lachend da und dort von den steilen Felsbastionen nieder. Die Sängerin machte eine gewaltsame Anstrengung, um von der milden Erhabenheit dieses Anblicks, der ihr jetzt nicht mehr feindlich war, Besitz zu ergreifen. Aber noch war keine Verbindung zwischen dem was sie vor sich sah und ihrer Innenwelt, und sie wußte nicht, wie beides zusammenbringen.

Jetzt hatten sie ein leichtes Gehölz, das noch von Nässe tropfte, hinter sich und kamen an einen steglosen Wildbach. Der Junge patschte mit seinen grobgenagelten Schuhen ohne weiteres durch, und als Marianne zaudernd stehen blieb, wies er mit mürrischer Geberde auf die blaugezeichneten Trittsteine, die da und dort aus dem Wasser ragten. Dann nahm der offene Talgrund sie wieder auf.

Du gehst zu rasch, mein Junge, so komme ich nicht mit, sagte sie außer Atem, denn das Bürschlein stieg mit dem langausziehenden Gang der Bergbewohner vor ihr her, die auf jedem Schritt zu ruhen scheinen, während sie den Raum mit Siebenmeilenstiefeln durchmessen.

Er mäßigte seine Schritte ein wenig ohne umzusehen. Marianne hatte wiederholt versucht, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, aber es war immer nach wenigen Worten abgerissen. Nur daß er Marco heiße und sechzehn Jahre alt sei, konnte sie erfahren. Teilnahmslos betrachtete sie die derbe Gestalt, die vor ihr herschritt, die groben Nagelschuhe, die gewürfelten Wollstrümpfe, von den starken jungen Beinen prall gespannt, den kräftigen Körper im abgetragenen Samtanzug, dessen ursprüngliches Hellbraun ins Goldfarbene schillerte. Von hinten gesehen war er nicht einmal so übel. Aber das Gesicht! Wie konnte nur ein Mensch so abschreckend häßlich sein! Marianne dachte, daß man mit einem solchen Gesicht am besten täte, sich an dem nächstbesten Aste aufzuknüpfen, und wunderte sich, wie nur ihr schönheitliebender Schwager ihr dieses Ungetüm als Boten schicken mochte. Doch gleich darauf sanken Weg und Führer ins Wesenlose, denn beharrlich verfolgte sie ein schönes männliches Gesicht, ein Dichterkopf mit geistreichen Augen und begehrlichen Lippen, der schon manchen Frauenkopf verrückt hatte und endlich auch den ihrigen.

Aus dem ansteigenden zweiten Gehölz tauchten sie wieder über eine grüne Welle hinab. Ringsum weideten zerstreute Kuhherden mit dem Geklingel ihrer Glöckchen auf dem blumendurchwirkten Samt der Matten. Als naturfremde Tochter der Großstadt fühlte sich die Sängerin unter weidenden Herden nicht so ganz behaglich. Der Junge sah es, grinste ein wenig mit seinem breiten Mund und ging weiter, ohne ihr etwas tröstliches zu sagen.

Am Ende wurde sie ärgerlich:

Du führst mich ja nicht den schönen Waldweg, Junge. Ich weiß, die Villa liegt im Walde. Hier über die Wiesen gehen wir um.

Wald ist nässer – viel geregnet – komm' Sie, war die kurze Antwort.

Er sprach immer in der dritten Person der Einzahl mit ihr, was sich komisch ausnahm. Offenbar übersetzte er seine wenigen Reden aus der ladinischen Mundart, in der er mit dem begegnenden Landvolk ab und zu einige Worte wechselte. Sein Deutsch war abenteuerlich gebrochen und kam nur stoßweise mit fremder Betonung heraus. Marianne wollte aus Herablassung ein übriges tun und suchte ihr bestes Italienisch hervor, um sich mit ihm zu verständigen, aber der Junge antwortete:

Die Dame kann deutsch sprechen, wobei ein listiger Blick sein finsteres Gesicht aufhellte. Dann beantwortete er immer in dieser von ihm so sehr misshandelten Sprache beharrend, ihre Fragen nach den Namen der Berge.

Da wußte er so genau Bescheid, daß Marianne ihn fragte;

Du hast wohl einen Bergführer zum Vater?

Er schüttelte den Kopf, und wieder schoß es listig und beinahe lustig aus den dunklen Augen, die seltsam von dem strohgelben Haar, das heller als die Haut war, abstachen. Aber die Unterhaltung schien ihm nicht mehr zu behagen, denn er ging aufs neue mit seinen ruhigen und doch schnellen Schritten voran, daß sie sich nur mit einiger Mühe auf seinen Fersen hielt. Zu reden fand sich nichts mehr. Wozu auch sich um ein Gespräch mit dem stummen Lümmel den Kopf zerbrechen? So versank sie wieder in ihren drehenden Gedankenkreis.

Nach einer halben Stunde Wegs kam oben am Waldrand ein kleines Haus zwischen Lärchen zum Vorschein.

Was fällt dir ein? rief Marianne, als ihr Führer plötzlich den Pfad verließ und geradeswegs durch die Nässe den steilen Wiesenhang zu ersteigen begann. Es muß doch einen Weg da hinauf geben.

Weg ist nicht. Komm' Sie, war die mürrische Antwort.

Da war nichts zu machen, sie mußte ihm nachgehen. Mit hochgezogenem Kleide stieg sie über den Rasen, der zum Glück geschoren war, bergan. Aber die Sonne sengte, und bald wurde der Ungeübten das Atmen schwer. Da lag ein gewaltiger, grünbewachsener Felsbrocken, an Form den großen Dolomitgestalten ähnlich, auf dessen Haupt eine Lärche sproßte, auf dem Berghang. Der Junge deutete auf einen trockenen Vorsprung dieses Miniaturgebirgs: Hier kann Sie sitzen.

Es kam ihm lächerlich vor, daß man nach hundert Schritten müde werden kann, denn er verzog sein braunes Gesicht zum Grinsen, wobei zwei mächtige weißglänzende Zahnreihen zum Vorschein kamen.

Du hast gut lachen, sagte seine ungleiche Wandergefährtin. Gib mir lieber deinen Stock, ich habe ja nichts als mein Schirmchen, das bei jedem Schritt nachgibt.

Er legte ihr schweigend seinen kurzen Bergstock hin und ging mit ihrem Schirmchen voraus. Endlich waren sie oben. Auf abgeplatteter Waldblöße, von einem Halbkreis stehengebliebener Lärchen umgeben, lächelte die Villa mit ihren grünen Laden und der großen, nach Süden blickenden Glasveranda den Kommenden gastlich entgegen. Sie machten einen Bogen, um den Eingang zu erreichen, der auf der anderen Seite lag und zu dem ein bequemer Kiesweg in Windungen vom Wald heraufführte. Auf dem eingestampften Kies des Vorplatzes, der noch vom Regen feucht war, stand eine niedliche, grüne Hütte, aus dichtem Lärchengezweig errichtet, in der drei kleine blonde Mädchen, Isas Kinder auf trockenem Boden spielten. Ohne auf die Ankömmlingin zu achten, die ihnen zärtlich die Arme öffnete, hingen sich alle drei mit Jubelgeschrei an den häßlichen Jungen.

Spielen, Marco, spielen! Bergführer spielen! Bergführer! Der stieß sie brummend weg, stellte hastig das Schirmchen, als ob er sich damit verunehrt hatte, an einen Baum und nahm seinen Bergstock, um fortzulaufen.

So warte doch, sagte Marianne und griff nach ihrer Börse. Da wurde das braune Gesicht des Jungen kupferrot, er machte eine abwehrende Gebärde und schoß auf den Stock gestützt pfeilschnell den Grashang hinunter, die Kinder lachend hinter ihm her.

Ein sonderbarer Kauz, dachte sie.Nun, man wird sich schon wieder einmal begegnen.

Jetzt erschien das tadellos gepflegte Haupt ihres Schwagers mit den blonden, in der Mitte gescheitelten Haaren und dem kurzgehaltenem seidenweichen Vollbart unter der Tür. Er streckte der Schwägerin beide Hände hin mit einer scherzhaft-feierlichen Ansprache:

Gottwillkommen, liebe Schwester! Neige dein ruhmgekröntes Haupt und tritt unter das niedere Dach deines armem unberühmten Schwagers.

Laß dich anschaue, Franz Ehrland. Du bist noch immer ein schöner Mann und würdest einem byzantinischen Christus Ehre machen. Ich danke dir, daß Du unsere Isa glücklich machst, und ich hoffe, mich an eurem Sonnenschein mitzuwärmen, denn die äußeren Ehren, Franz, die tun es nicht.

Da umwölkte sich die glatte Stirn des Konsuls, und er sagte in seinem natürlichen, etwas klagenden Ton:

Du kommst in kein sonniges Heim, Marianne. Mein liebes Weib verursacht mir Kümmernisse. Nach einem angestrengten Winter in Venedig, wo sie es mit ihren Hausfrauen- und Mutterpflichten viel zu ernst nahm, ist sie mir gänzlich zusammengebrochen – sie soll nicht gehen, nicht stehen, wenig reden, sich nicht aufregen. Ich weiß, du wirst mir sorgen helfen, daß sie diese Anordnungen nicht übertritt.

Marianne erschrak nicht allzu sehr, denn sie hatte den Schwager nie anders als wehklagend gekannt. Es war dies sein Stil, seine Haltung vor dem Leben, vielleicht ein geheimer Aberglaube, um sein Glück vor dem Neide der Götter zu decken.

Sie trat mit ihm in einen kleinen Saal zu ebener Erde, wo künstliche Dämmerung herrschte. Auf einem Divan schälte sich etwas langes aus Pelzen und Decken hervor. Dann hielten die Schwestern sich in den Armen. In diesem Augenblick zog Franz die Vorhänge auseinander, eine Flut von Sonnengold überschwemmte Isas gewellten Scheitel mit den ährengelben Flechten und den helleren Löckchen, die sich rechts und links natürlich um die weiße, hohe Kinderstirn und um ein rosenrotes blühendes Seraphsgesicht krausten.

Wie schön sie ist! rief die Angekommene überrascht. Und wie jung! Nicht anders als in ihrer Brautzeit.

Auch du erhältst dich unverändert, liebe Schwester, sagte der Konsul, zu den zwei Frauen tretend, die beide schön und dabei so unähnlich wie möglich waren. Marianne mit ihrem südlichen Gesichtsschnitt war vielleicht die Schönere, ihre braunen Haare schwangen sich mit dem Glanz der frisch enthülsten Kastanie um eine klassisch edle Stirn und ihr Körper hatte den Fluß der reinen Linie bewahrt, doch Isa war jünger und blühender.

Aber mit einem solchen Gesicht kann man doch nicht krank sein, Kleine, sagte die Sängerin.

Die Bezeichnung »Kleine« wollte sich freilich für Isa nicht schicken, denn sie überragte die große Schwester und sogar den hochgewachsenen Gatten um ein gutes Stück. Doch ließ das hochgegürtete Gewand im Verein mit den kindlichen Zügen sie nicht wie eine große Frau, sondern eher wie ein Kind aus einem Geschlecht von Riesen erscheinen.

Es ist nur die Freude des Augenblicks, klagte statt ihrer Franz Ehrland, du wirst schnell genug diese Rosen verbleichen sehen.

Und nun saßen die Schwestern beisammen, liebevoll aber beklemmt, und wußten sich nach so langer Trennung nicht recht ineinander zu finden. In den frühen Mädchenjahren, als sie noch gemeinsam ein Zimmer bewohnten, war die lebenskluge Isa Beschützerin der älteren Schwester gewesen. Denn Marianne war wie alle Künstlerseelen auf dieser Erde nur halb zuhause. Immer hatte sie etwas vergessen, waren ihre Handschuhe verlegt, Börse oder Taschentuch verloren. Isa hielt ihr Ordnung, räumte ihre Schubladen auf, mahnte die Zeitlose, daß sie die Stunden einhielt, und war die Vertraute ihrer ersten Neigung, denn keine hatte vor der anderen ein Geheimnis. Diese Erinnerungen hatten der Sängerin vorgeschwebt, als sie sich ans Herz der Schwester flüchtete. Aber zuviel hatte sich seitdem verändert, es schien kein Weg ins Jugendland zurückzuführen. Marianne hatte das Herz voll von den eigenen Nöten und wußte nichts von denen der Schwester, sie nahm an, daß eine solche glückliche Ehe die Insel des ewigen Friedens sei. Isa dagegen dachte, die Familienlosen könnten überhaupt keine Sorgen haben, und sah Mariannens Leben für ein Feenmärchen an. Beide fühlten, daß sie einander entwachsen waren, und wußten nicht, wie sich wieder nahe kommen. Franzens Gegenwart vermehrte die Befangenheit. Zwischen ihm und der Schwägerin hatte sich nie ein inneres Verhältnis herstellen wollen, um so rücksichtsvoller behandelte man sich gegenseitig. Marianne schätzte des Schwagers unantastbaren Charakter und seine gediegene Bildung, aber sein gewähltes Sprechen, das gerne den nächstliegenden Ausdruck vermied und sich in gesuchten Wendungen und Wortklängen oder in literarischen Anspielungen gefiel, hatte sie niemals warm werden lassen. Einmal ums andere flog ein Engel durchs Zimmer.

Endlich entfernte sich der Konsul in häuslichen Angelegenheiten, denn seit Isa kränkelte, führte er die Wirtschaft. Die Schwestern rückten nahe zusammen. Sie sprachen vom Elternhause. Und jetzt verstanden sie sich wieder.

Das Elternhaus ist doch nie zu ersetzen, auch nicht vom eigenen Heimwesen, sagte Isa.

Und noch viel weniger vom Thespiskarren, antwortete die Schwester, sie umarmend. Dann kam die Rede auf den begabten einzigen Bruder, den ein überstarkes Lebensgefühl auf der gefährlichen Schwelle des Jünglingsalters in den Tod getrieben hatte. Beide Schwestern hatten einst sein Andenken schwärmerisch gepflegt und sein selbstgewähltes Ende, zu dem keine äußere Not, nur das aufgewühlte Innere ihn drängte, für etwas heldenhaftes angesehen. Aber jetzt dachte Isa mit den Gedanken ihres Gatten, und dieser dachte mit der Allgemeinheit, daß Selbstmord eine Flucht und Flucht eine Feigheit sei.

Aus Isas sanftem Munde klang die Verurteilung härter, weil sie sich niemals hinreißen ließ und darum alles was sie sagte so reif durchdacht schien.

Wie weit man sich doch auseinandergelebt hat, dachte die Neuangekommene traurig. – Ihr Dichter mit dem starken Einblick in alles innere Leben hatte die Tat, von der sie ihm erzählte, richtiger eingeschätzt. Es waren sein Worte, mit denen sie der Schwester erwiderte:

Er verzweifelte, weil er sein Weltbild nicht mit der Wirklichkeit in Einklang setzen konnte und ihm ein halbes Leben nicht der Mühe wert war. Unter anderen Verhältnissen wäre er vielleicht ein Held geworden.

Hätte er ein paar Jahre gewartet, so wären ihm die Grillen von selbst vergangen, entgegnete Isa trocken.

Sehr wahrscheinlich. Aber nur Menschen, die mit sich selbst verschwenderisch sind, haben das Zeug, in großen Zeiten Großes zu tun.

Sie konnte es nicht besser sagen, als wie sie es aus dem Munde des Freundes vernommen hatte, und sie fühlte sich dafür als seine Schuldnerin.

Du bist noch immer die alte Romantikerin, meine große, strahlende Marianne.

Ja, und möchte ich es immer bleiben!

Isa fühlte daß sie verletzt hatte, und legte reuig ihre Arme um die Schwester.

Verzeih, wenn ich dir weh tat, aber es war nicht so gemeint. Du denkst größer als ich, Marianne, ich weiß es. Aber verachte deine hausbackene Schwester nicht. Ich möchte dir gerne viel, viel Liebes tun, daß du recht lang in meiner Nähe bleibst und wir uns wieder ganz ineinanderleben können. – Isa hatte eine eigentümlich laue Sprechweise, wobei sie gleichmäßig ohne Rhythmus Wort an Wort setzte. Das wies keine reichen inneren Welten auf, aber Marianne wußte, die Schwester gab ihr in alter Treue alles was sie hatte.

Der Konsul trat wieder ein, und das Gespräch nahm eine allgemeine Wendung. Er begann eine Geschichte zu erzählen, die lang war. Marianne hörte mit höflichem Anteil zu, obgleich sie jetzt gern um einen Imbiß, dessen sie nachgerade sehr bedürftig war, gebeten hätte, denn Isa schien an nichts zu denken. Aber sie wußte, daß sich Franz nicht gerne unterbrechen ließ, und sie hatte sich beim Kommen gelobt, seinen Eigenheiten Rechnung zu tragen und sorgfältig auch den kleinsten Mißklang zu vermeiden. Isa hatte sich wieder zurückgelegt, ihr Gesicht zerfiel. Sobald er ausgesprochen hatte, verlangte sie mit Nachdruck, jetzt der Schwester ihre Kinder vorzustellen.

Franz drückte auf einen Knopf und befahl dem eintretenden Stubenmädchen, einer Venezianerin von wahrhaft titanischem Farbenschmelz, das Fräulein mit den Kindern zu schicken.

Solche Gesichter gibt es noch am Canal Grande! sagte die Sängerin andächtig hinter der Abgehenden her.

Aber Franz, der nie in Gegenwart seiner Frau die Schönheit einer anderen gelten ließ, fand an der herrlichen Erscheinung zu mäkeln, was die Schwägerin zu der Äußerung bewog, sein Auge müsse wohl für den Eindruck des Schönen abgestumpft sein, da er das Glück habe, in einem Lande zu leben, wo es ihm auf Schritt und Tritt entgegentrete.

Sage vielmehr, daß mein Auge zu anspruchsvoll geworden ist, seitdem ich in eure Familie geheiratet habe, antwortete er mit einer verbindlichen Handbewegung gegen die Schwägerin und küßte dann huldigend seiner Gattin die Hand.

Marianne fand sich von diesem Vorgang mehr befremdet als angemutet. Sie hatte sich Isas Eheglück einfacher, selbstverständlicher gedacht.

Die Schöne trat wieder ein, an jeder Hand einen frischgewaschenen und gekämmten Mädchenengel führend. Die Kinder machten kleine noch ungeschickte Knixchen und küßten der Tante die Hand. Dann blieben sie sittig nebeneinander stehen.

Warum haben sie Ännchen nicht mitgebracht? fragte Isa.

Das Mädchen machte ein verlegenes Gesicht und gestand, daß die Kleine nicht kommen könne, weil sie gefallen sei und eben zu Bett gebracht werde.

Gefallen! rief die junge Mutter erschreckt. Wie, wo? Wir haben ja nichts gehört.

Es sei weit weg vom Hause geschehen, erklärte das Mädchen in gebrochenem Deutsch, denn in Isas Haus wurde keine andere Sprache gesprochen, – auf der Wiese drunten bei dem Felsblock. Der junge Herr habe sie wollen das Klettern lehren –

Bei diesen Worten gerieten die zwei stillen kleinen Mädchen in sichtliche Bewegung, sie hingen sich beschwichtigend an die Mutter und baten und schmeichelten, sie möchte nicht böse sein, es sei so schön gewesen; sie hatten Bergführer gespielt –

Bergführer –?

Sie haben Bergführer gespielt bestätigte die schöne Rothaarig, der junge Herr wollte sie das Klettern lehren, dabei ist Annetta gefallen und hat sich das Knie geschürft.

Wie oft habe ich dem Fräulein gesagt, daß sie die Kinder nicht mit Marco spielen lassen dürfe. Hat sie sich sehr weh getan?

Nicht sehr weh, Mutti, versicherten die Kinder. Marco hat uns alle drei an ein Seil geknüpft und heraufgezogen. Dabei hat sich Annetta gestoßen, aber es tut nicht weh.

Der Elende! rief der Konsul, blaß vor Zorn.

Isa wollte sich an allen Gliedern zitternd erheben, aber ihr Gatte drückte sie besorgt in die Kissen zurück, indem er sie beschwor sich ruhig zu verhalten, und stürzte selber weg um nach dem verletzten Kinde zu sehen.

Die Kleinste lag mit stark verweintem Gesicht und verbundenem Knie zu Bett, aber sie lächelte schon wieder. Eine blutige Waschschüssel stand am Boden, und es roch nach Apotheke. Die Bonne, die das Unheil hatte geschehen lassen, eine gleichfalls hübsche Südtirolerin, erhob sich beim Eintritt des Vaters schuldbewußt. Aber Isa hatte sich nicht halten lassen, sondern war ihrem Mann auf den Fersen gefolgt. Als sie das Blut in der Schüssel sah, tat sie einen halben Schrei, worauf die Kleine aufs neue zu weinen anfing. Isa war zu dem Kinde hingestürzt und hatte es auf den Arm genommen, bevor Franz ihr die rasche Bewegung hindern konnte; jetzt ging sie wiegend und tänzelnd mit der Kleinen im Zimmer auf und ab, indem sie das verletzte Beinchen sorgsam mit der Hand unterstützte. Die zwei größeren Mädchen hingen sich ihr noch rechts und links an die Arme und suchten das Kind durch Schmeicheleien zum Schweigen zu bringen. Die träge junge Frau war plötzlich ganz schnellende Kraft und Bewegung, wie sie sich im schönfließenden Hausgewand mit der dreifachen Last, die sie nicht zu spüren schien, durchs Zimmer schwang.

Unterdessen verhörte der Konsul mit strengem Gesicht das verlegene Fräulein.

Wie kommts, daß Sie die Kinder mit Marco spielen ließen? Sie wissen, daß ihnen das verboten ist.

Er wollte ihnen das Klettern an den Felsen beibringen. Wenn der junge Herr etwas im Kopfe hat, läßt er sich durch niemand abhalten, antwortete das Mädchen verlegen, sichtlich froh, einen Blitzableiter zu haben. Daß sie während der gefährlichen Turnübungen die Kinder allein gelassen hatte um oben am Waldrand mit einem jungen Bergführer aus Primiero zu scherzen, erzählte sie nicht.

Ein Kind von drei Jahren das Klettern lehren! Der Dummkopf! Ich werde ihn lehren die Kinder in Ruhe zu lassen. – Wer hat den Verband angelegt? forschte er weiter.

Herr Marco.

Solch ein Kretin und auch noch Verbände anlegen! Muß denn der Unglücksjunge seine verwünschten Hände überall haben! Gewiß hat er die Wunde verschmutzt. Gleich muß das untersucht werden.

Er wollte mit ungeschickt zugreifenden Fingern, denen man ansah, daß sie in solchen Hantierungen nicht geübt waren, die Binde vom Knie des Kindes abwickeln, aber Isa sagte ganz bestimmt und sachlich:

Laß nur, lieber Schatz. Die Wunde ist desinficiert, man riecht es ja. Wenn Marco den Verband angelegt hat, so kann man ruhig sein. Solche Dinge versteht er.

Mag sein, antwortete ihr Gatte kalt. Aber hören Sie, wandte er sich in gebieterischem Ton an das Fräulein, zum letzten Mal sei es jetzt gesagt, daß er mir nie wieder mit seinen Schwesterchen spielt! Nie wieder!

Die größeren Kinder fingen bei diesen Worten ihres Vaters leise zu schluchzen an und schlichen auf seinen Wink betrübt hinaus.

Marianne, die unter der Türe stand, sah und hörte dem Auftritt mit Verwunderung zu. Als die Unruhe sich gelegt hatte, begann sie zu ihrem Schwager:

Du sagtest vorhin »seine Schwesterchen« –? Von wem ist die Rede? Doch nicht von dem Jungen, den ihr mir entgegen geschickt habt?

Leider ja, antwortete der Konsul finster. Der Lümmel ist mein Sohn.

Ich habe doch nie gehörst, daß du einen Sohn hast, entgegnete die Schwägerin verwundert.

Man spricht nicht gern vom Skelett im Hause.

Marianne blickte fragend auf ihre Schwester, die das Kind jetzt wieder in sein Bettchen gelegt hatte und daneben sitzend zusah, wie es den unterdessen gebrachten Abendbrei mit innigem Vergnügen auslöffelte. Isas Ausdruck war belebter geworden, ihre Augen glänzten, das rosige Kindergesicht auf einem herrlichen, bloßgetragenen Halse goß auch über die schon schwerer werdenden Körperformen seine jugendliche Anmut. Die ganze Erscheinung war in eine strahlende jungmütterliche Lieblichkeit getaucht.

Ja, er ist unser Sohn aus Franzens erster Ehe, antwortete sie leichthin auf Mariannens fragenden Blick. Er hat uns von jeher Schwierigkeiten gemacht, über die ich mich brieflich nicht aussprechen wollte. So kam's, daß du nichts von seiner Anwesenheit auf unserem Planeten erfahren hast.

Marianne, die schon seit geraumer Zeit mit einem Gefühl von Schwindel kämpfte, lehnte sich plötzlich erblassend gegen die Wand.

Was ist dir, Liebste? fragte Isa, hat dich das so mitgenommen? An solche Dinge muß man sich in der Kinderstube gewöhnen.

Du hast von meinen Nerven eine zu gute Meinung, lächelte die Schwester mit erbleichten Lippen. Eine schlaflose Nacht in Bozen, dann viele Standen Auto bei Regen und Schnee, danach die Kinder, und noch so gut wie nüchtern –

Sie ist hungrig, rief Isa entsetzt. Und sagt es nicht. Und ich schlechte Hausfrau denke nicht daran dich zu fragen, ob du etwas Warmes genossen hast.

Darin sind sich die Schwestern ähnlich, sagte Franz Ehrland, der wieder die untadelige gesellschaftliche Haltung angenommen hatte, daß sie nur mit einem Fuß den Erdboden berühren wie der Merkur des Gianbologna. Isa würde dir auch jetzt nichts geben, wenn ich prosaischer Mensch nicht vorgesorgt hätte. Vorwärts, gehen wir zum Abendbrot.

Er bot seiner Schwägerin den einen Arm, seiner Frau den andern und führte sie über den Korridor nach der Glasveranda, wo der Tisch gedeckt war.

Nach der Mahlzeit, als das aufwartende Mädchen sich entfernt hatte, kam Marianne wieder auf das vorige Gespräch zurück und wollte wissen, wie es denn eigentlich um diesen Neffen bestellt sei, von dessen Dasein sie bis zur Stunde keine Kenntnis gehabt hatte.

Der Konsul seufzte nur zu dieser Frage; statt seiner ergriff Isa das Wort und sagte:

Er ist ein wenig von der Natur vernachlässigt, der arme Marco, und seine unbändige Körperkraft bei geringen Geisteskräften macht ihn mitunter gefährlich. Aber er meint es nicht böse, er war nur in seiner ersten Kindheit zu viel sich selber überlassen, dabei ist er so verwildert, daß er hernach in keiner Schule mehr gut tat.