Unsere Carlotta - Isolde Kurz - E-Book

Unsere Carlotta E-Book

Isolde Kurz

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Beschreibung

Unsere Carlotta ist eine wunderbare Geschichte von Isolde Kurz. Auszug: Über der Arnostadt ging eben die Sonne unter, der Himmel war offen, die Glorie brannte, Türme, Kuppeln, Paläste standen in einer Flammenesse, und hineinschauten verzückt die Zypressen der Villa Isotta.

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Unsere Carlotta

Unsere CarlottaAnmerkungenImpressum

Unsere Carlotta

Über der Arnostadt ging eben die Sonne unter, der Himmel war offen, die Glorie brannte, Türme, Kuppeln, Paläste standen in einer Flammenesse, und hineinschauten verzückt die Zypressen der Villa Isotta.

Wir saßen im offenen Gartensaal, die Rede kam zufällig auf Nationalitäten. Es war lange vor dem Weltkrieg, der Niedergang der kulturalten romanischen Völker war damals eine von diesen selbst am eifrigsten geglaubte Lehrmeinung. Einer wollte in der sinkenden Sonne das Sinnbild und Wahrzeichen des schönen Landes sehen, in dem wir lebten: in ebensolcher abendlichen Heiterkeit gehe die italienische Kultur und Rasse unter, um den lebenskräftigeren modernen Völkern Raum zu geben.

Andre widersprachen, es wurde lebhaft hin und her gestritten. Besonders die Hausfrau, von romanischem Blut, aber in langjähriger Ehe einem Deutschen verbunden, sah weiter und wollte von einem Niedergang des italienischen Genius nichts wissen, ohne den in der großen Völkersymphonie eine der schönsten Stimmen fehlen würde, und manches denkwürdige Wort fiel in dem Redekampf, der sich entspann.

Italien, sagte sie unter anderem, ist und bleibt das Land der großen Menschheitstypen, die ewigen Urbilder wachsen hier immer wieder nach. Freilich gibt es bei den modernen Nationen feinere Abtönungen und verwinkeltere Seelenvorgänge, aber das Menschentier, das einfache, mit seinen Grundregungen fehlt, der Urtypus fehlt, von dem die anderen abgeartet sind. Was sonst des Dichters Aufgabe ist, das tut hier die Natur selber: sie vereinfacht die Gestalten.

Zum Beispiel: Verliebte, Eifersüchtige, Rachgierige gibt es in jedem Land; aber die Liebe, die Rache, oder nehmen Sie welche Leidenschaft Sie wollen, ganz in einer Person verkörpert wie in der antiken Tragödie, das finden Sie heute nur noch in Italien. Solch ein menschgewordener Urtrieb, wie z. B. unsere Carlotta war, das schöne Bronzeweib, das Sie ja alle gekannt haben.

Als sie den Namen Carlotta nannte, stieg eine halbvergessene Gestalt aus meiner Erinnerung auf: ein herrliches Weib, wie eine antike Kolossalstatue, mit braunem unbeweglichem Gesicht und großen goldenen Ringen in den Ohren. Sie stand leibhaftig vor mir, wie sie den Rasen am Hügelabhang der Villa Isotta umschorte, die Schaufel kraftvoll in das trockene Erdreich niedertretend und ruhig Scholle um Scholle legend. Ich hatte sie nur einmal gesehen und wußte nichts von ihr, als daß sie Carlotta hieß, aber in meiner unbewußten Erinnerung war die Erscheinung haften geblieben, ohne daß ich mich je mit ihr beschäftigt hätte. Sie sah aus wie die letzte Überlebende einer untergegangenen Rasse aus einer Zeit, wo die Menschen noch weniger zahlreich aber körperlich vollkommener waren.

Das Gespräch war plötzlich abgerissen, und eine verlegene Stille ging durch das Zimmer. Man knüpfte eine neue Unterhaltung an, die nicht mehr ins Sprudeln kam, und trennte sich früh.

Sobald wir allein waren, fragte ich die Frau des Hauses, was es mit der schönen Riesin für eine Bewandtnis habe.

O, wie seltsam ist es doch, rief sie, den Fortgehenden nachblickend, daß die Menschen im Leben nicht ertragen können, was sie in der Dichtung überzeugt und zum Beifall zwingt. Es freut mich, daß Sie nach Carlotta fragen, ihre Geschichte liegt vor der Zeit unserer Bekanntschaft, und ich erzähle sie Ihnen gern. Sie haben das Mädchen erst gesehen, als ihre Kraft schon gebrochen war, schließen Sie daraus, was sie in den Zeiten ihres Glanzes gewesen ist!

Sie legte sich auf ihrem Kanapee zurecht, dachte ein wenig nach und erzählte dann:

Es war bei einem Sommeraufenthalt in Montepiano, daß die Carlotta in unser Haus kam. Sie kennen die Gegend nicht? – gewiß eine der schönsten im toskanischen Apennin, eine von wilden Schluchten zerrissene und von Bergströmen durchrauschte Hochfläche, die die Wasserscheide zwischen dem Bolognesischen und Florentinischen bildet: die Setta eilt nach Osten dem Reno und der Adria zu, und die Fiumenta stürzt sich mit dem Bisenzio nach dem westlichen Meere. Ebenso zwiespältig ist der Charakter der Bevölkerung, sie spricht toskanisch und gehört der Landeseinteilung nach zu Florenz, neigt aber schon zu dem rauheren und geraderen Wesen der bolognesischen Nachbarn hinüber. Wir wohnten wunderbar im Müllerhause, durch dessen Gewölbe die schäumende Setta stürzt, aber für die Bedürfnisse war schlecht gesorgt, daher das Wirtschaften seine Schwierigkeiten hatte, und das Dienstmädchen, das ich aus der Stadt mitbrachte, wußte sich nicht zu helfen. Auch fehlte es unserer kleinen Stephanie, die eben das Gehen lernte, an Aufsicht, deshalb ließ ich im Ort nach einer Aushilfe suchen. Da quälte mich eine wandernde Krämerin, die mit ihrem Eselwagen ab und zu vor die Mühle kam, ihre Tochter zu mir zu nehmen; das Mädchen habe zwar noch nie gedient, sei aber so fleißig und bescheiden, daß ich gewiß mit ihr zufrieden sein werde. Die Krämerin war eine alte Hexe, die mit ihrem Eselkarren im Lande herumzog, den Sommergästen schlechte Seifen, dem Landvolk farbige Bänder aufschwatzte und allen Klatsch zwischen den zwei Grenzprovinzen vermittelte. Ihre Empfehlung hatte also wenig Gewicht, aber das Wasser ging mir an den Hals, auch hörte ich, daß die Tochter der Mutter sehr unähnlich sei, und willigte ein, sie mir wenigstens vorstellen zu lassen.

Des andern Tages brachte mir die Alte ein großes schönes Geschöpf daher, nicht mehr in der ersten Jugend, und in seiner reifen Fülle mehr Weib als Mädchen, ein Prachtstück der Natur, mit braunem, ruhigem Gesicht, die Haare wie zwei schwarze Flügel über der Stirn und große goldene Ringe in den Ohren, kurz, Sie kannten sie ja – unsre Carlotta. Man begriff nicht, wie das kleine häßliche Weib diesem edlen Koloß das Leben gegeben haben sollte.

Die Prüfung fiel nicht glänzend aus. Fast auf allen Punkten, nach denen ich sie befragte, bekannte sich Carlotta zu gänzlicher Unwissenheit, während die Mutter ihr heimliche Winke gab und des Mädchens Aufrichtigkeit durch erlogene Lobpreisungen gut zu machen suchte Freilich, wenn für Carlotta nichts gesprochen hätte als das Zeugnis ihrer Mutter, so wäre sie wohl nie in unser Haus gekommen, aber das große, wohlgeratene Menschenbild mit dem ruhigen Wesen eines schönen, starken Tieres gefiel mir auf den ersten Blick, und den Ausschlag gab die Kleine, die sich sogleich mit ihr befreundete.

Von Stunde an entspann sich zwischen dem großen braunen Weib und unserm kleinen blonden Kindchen die zärtlichste Liebe. Carlotta wurde nicht satt, die damals noch spärlich sprossenden goldhellen Härchen anzustaunen, in denen sie das Abzeichen einer höheren Gattung, etwas beinahe Göttliches erblickte, und in unbewußter Poesie erfand sie der Kleinen immer neue Liebes- und Schmeichelnamen, eigentlich keine Namen, sondern Naturlaute lallender Leidenschaft, in denen ihr dumpfes Gefühl nach Ausdruck rang. Ihren Taufnamen konnte sie nicht behalten und verkehrte ihn in Stofale, wie die Kleine sich selber noch lange Jahre nachher nannte.

Wie oft mußte ich ihr das Kind vom Arme reißen, wenn sie sich wie ein Kreisel damit auf dem unebenen Waldboden herumschwang, das zarte Ding an den wogenden Busen gepreßt, und dazu wie in Verzückung: Stofale! Stofale! Stofale! schrie, bis ihr der Atem ausging.

Im übrigen rechtfertigte Carlotta das Zeugnis, das sie sich selber ausgestellt hatte, denn selten hat mir ein Mädchen so viel Mühe gemacht. Sie war durch und durch Bäuerin, ohne Fähigkeit, sich in verfeinerte Bedürfnisse einzuleben, und wenn sie mit Mühe eine neue Aufgabe gefaßt hatte, so durfte man sie beileibe nicht in der mechanischen, immer gleichen Verrichtung derselben stören, sonst stand die Maschine mit einem Ruck stille. Nur was sie für das Kind zu tun hatte, das geriet ihr alles leicht und sicher, wie aus einem natürlichen mütterlichen Einfühlen.