Mittagsgespenst - Isolde Kurz - E-Book

Mittagsgespenst E-Book

Isolde Kurz

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Beschreibung

Mittagsgespenst ist eine gruselige Erzählung von Isolde Kurz. An einem geselligen Abend erzählt einer der Gäste von einer unheilvollen Begegnung. Auszug: Man saß am Abend vor der Abreise noch in Florenz beisammen, ein Häuflein deutscher Freunde, das den Winter in Italien verbracht und das Land auf den bekannten Touristenwegen durcheilt hatte. Alle waren freudensatt und sehnten sich nach Hause. Die erschöpfte Bewunderung, die schon seit lange keine Worte mehr fand, schlug in Mißmut um, und man begann dem Lande gram zu werden, das man mit so großem Entzücken betreten hatte, denn man fühlte, daß ein Menschenalter nicht ausreichen würde, um die ganze Tiefe seines Reichtums zu ergründen.

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Seitenzahl: 28

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Mittagsgespenst

MittagsgespenstBemerkungenImpressum

Mittagsgespenst

Man saß am Abend vor der Abreise noch in Florenz beisammen, ein Häuflein deutscher Freunde, das den Winter in Italien verbracht und das Land auf den bekannten Touristenwegen durcheilt hatte. Alle waren freudensatt und sehnten sich nach Hause. Die erschöpfte Bewunderung, die schon seit lange keine Worte mehr fand, schlug in Mißmut um, und man begann dem Lande gram zu werden, das man mit so großem Entzücken betreten hatte, denn man fühlte, daß ein Menschenalter nicht ausreichen würde, um die ganze Tiefe seines Reichtums zu ergründen.

Ein junger Künstler, der am weitesten gekommen war und am schärfsten gesehen hatte, gab dieser Stimmung zuerst Ausdruck.

»Ich möchte doch nicht in einem Lande leben, wo schon alles gethan ist,« sagte er, »es würde mich entmutigen und erdrücken. Ueberall vertreten uns hier die Toten den Weg, und Schillers berühmter Vers verkehrt sich hier ins Gegenteil, denn ihnen gehören die Stunden und der Lebende hat Unrecht.«

»Und die italienische Natur ist eigentlich gar keine Natur,« warf eine junge Frau ein, »sondern nur wie ein Staffeleibild, ein Ding zum Anschauen. Man kommt nie hinein, immer ist man draußen. Da lob' ich mir unsre deutschen Eichenwälder mit ihren feuchten Moosbänken und rieselnden Bächlein. Die sind uns nahe und reden unsre Sprache. Aber giebt es etwas Hochnasigeres als diese Cypressen und Pinien, die mit sich selber glücklich sind und dem Menschen zu sagen scheinen: ›Bleib mir vom Leib, – ich habe nichts mit dir gemein.‹ – Oder vielmehr, sie sagen ihm gar nichts, sie übersehen einfach seine Gegenwart.«

»Ich,« sagte ein andrer, »habe an Italien nichts auszusetzen, als daß es hier zu hell ist, und daß das Sonnenlicht in jede Ritze dringt. Da ist gar nichts Verschleiertes, kein Dämmerwinkelchen für die Phantasie, kein Platz für Geister, Irrlichter und Kobolde. Ich möchte nicht in einem Lande leben, das keine Gespenster hat.«

»Steht es denn fest, daß Italien keine Gespenster hat?« fragte die Gesellschaft.

»Felsenfest. Ich berufe mich auf den jungen Vetturino, der uns durch die Maremma führte. Den habe ich nach Geistergeschichten ausgefragt, so lange ich neben ihm auf dem Kutschbock saß. Zuerst verstand er mich gar nicht, bis ich ihm erklärte, was Gespenster seien – die Seelen der Verstorbenen, die wiederkämen. Darauf sah er mich mit ernsthafter Verwunderung an und schüttelte den Kopf. Bei ihm daheim im Sienesischen, sagte er, wisse man nichts von solchen Dingen, da seien die Toten noch immer ruhig liegen geblieben, wo man sie eingescharrt habe. Aber auf einmal ging ihm ein Verständnis auf und er fügte hinzu: ›Ja, setzt erinnere ich mich – als ich noch klein war und zur Schule ging, da hörte ich von einem gewissen – wie hieß er nur? – Lazarus, mein' ich – der soll wieder aufgestanden sein. Aber man muß nicht alles glauben, was die Leute sagen.‹«

Alle lachten. Aber einer, der bisher geschwiegen, ergriff jetzt das Wort, und die Gesellschaft hörte ihm aufmerksam zu, denn er war ein Sonderling, der nur redete, wenn er etwas zu sagen hatte, und überdies bewohnte er das Land, das die Andern im Flug durchreisten, schon seit zwanzig Jahren.

»Keine Gespenster?« begann er langsam und monoton. – »Ja, wenn Sie von den grauen oder schwarzen huschenden Schattengestalten des Nordens reden, dann stimme ich Ihnen bei, die giebt es hier nicht, die Sonne würde sie sofort aufzehren. Aber wären Sie meinem Rat gefolgt und hätten einen Hochsommer in Italien verlebt, statt beim ersten Sonnenstrahl das Weite zu suchen, dann wüßten Sie, was italienische Gespenster sind.«

Er sprach mit einer tiefen, wenig modulierten Stimme, die etwas Hypnotisierendes hatte.

»Gespenster im Hochsommer?« fragten einige zweifelnde Stimmen.