Das verschenkte Kind - Andreas Mohr - E-Book

Das verschenkte Kind E-Book

Andreas Mohr

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Beschreibung

Kindheit und Jugend eines Bauernjungen in der Eifel (1939 – 1960) Bis vor wenigen Jahrzehnten war es keine Seltenheit, dass Kinder aus kinderreichen Familien an kinderlose Ehepaare abgegeben wurden, damit deren Altersvorsorge gesichert war und Hof oder Weinbaubetrieb einen Nachfolger hatten. Auch Andreas Mohr war so ein 'verschenktes Kind'. Seine Erlebnisse und Gefühle hat er heute niedergeschrieben. Man spürt deutlich, dass er sein Schicksal nachdenklich hinterfragt und froh ist, dass so etwas heute in der Eifel keinem Kind mehr widerfährt.

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© 2016 E-Book AusgabeRHEIN-MOSEL-VERLAGZell/MoselBrandenburg 17, D-56856 Zell/MoselTel 06542/5151 Fax 06542/61158Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-89801-840-1Ausstattung: Marina FollmannFotos aus dem Privatarchiv des Autors

Andreas Mohr

Das verschenkte Kind

Kindheit und Jugend eines Bauernjungen in der Eifel (1939 – 1960)

RHEIN-MOSEL-VERLAG

***

Du hast doch drei Kinder

Eigentlich begann die Geschichte meiner Kindheit eineinhalb Jahre bevor ich auf die Welt kam. Zu diesem Zeitpunkt wurde mein Bruder Aloys Mohr am sechsten Januar 1939, als viertes Kind meiner Eltern Josef und Margareta Mohr, geboren. Als er sechs Wochen alt war, kam meine Mutter für längere Zeit ins Krankenhaus und mein Vater war mit vier Kindern, von null bis sieben Jahre, im Winter 1939 allein. Im Nachbarort Gillenfeld wohnten Verwandte; Cousinen und ein Vetter meiner Mutter. Es waren drei Schwestern, Anna, Maria und Katharina und ein Bruder, Josef Teusch. Katharina war verheiratet und lebte mit ihrem Mann Matthias Reinisch in dieser Großfamilie. Diese Ehe war kinderlos.

Die anderen Geschwister waren nicht verheiratet. Dieses Ehepaar und die drei Geschwister nahmen meinen Bruder als Sechswochenkind zu sich und versorgten den Säugling in hervorragender Weise. Dazu trug der Umstand, dass eine Cousine meiner Mutter (Tante Anna) Krankenpflegerin war, im positiven Sinne bei.

Als meine Mutter nach längerer Zeit aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wollte sie den Säugling wieder heimholen, aber ihre Cousinen bedrängten meine Mutter, ihnen den Kleinen noch eine Zeit lang zu lassen. Sie argumentierten: »Du hast ja noch drei Kinder und wir haben keines.« So zog dieses Hin und Her, Kind zurück, Kind bleibt, sich über ein halbes Jahr und länger hin und meine Mutter wollte, aus Dankbarkeit gegenüber ihren Cousinen, auch nicht das Kind unter allen Umständen, notfalls energisch mit Gewalt, heimholen.

Eines Tages sagte meine Mutter: »Ihr könnt den Jungen behalten, aber nicht adoptieren, denn ich bin wieder schwanger.« Das war ich. Mein Vater wurde etwa Oktober 1939 zuerst zur Grundausbildung eingezogen und musste in den Zweiten Weltkrieg. Er war Ende des Jahres 1939 auf Heimaturlaub.

Meine Mutter mit meinen vier Geschwistern und mir als Säugling in Strohn

Ich werde geboren

Im September 1940 kam ich auf die Welt und meine Eltern hatten wieder vier Kinder daheim. Da mein Vater im Krieg war, hatte meine Mutter alle Hände voll zu tun, um die Landwirtschaft zu betreiben und die Familie zu ernähren. Sie wusste, dass mein Bruder in Gillenfeld bestens versorgt wurde und es ihm an nichts fehlen würde.

So war ich dann das jüngste von fünf Kindern und wurde von den älteren Geschwistern willkommen geheißen. Meine älteste Schwester Gerta war zu dem Zeitpunkt acht Jahre alt und sie hatte die Pflicht mich nach der Schule und an schulfreien Tagen zu versorgen. Dies wurde ihr von meiner Mutter als Pflichtaufgabe zugewiesen. Denn meine Mutter musste ja, dadurch, dass mein Vater im Krieg war, die Landwirtschaft in Feld und Wiese erledigen.

Mein Bruder Aloys in Gillenfeld

Meine Eltern mit vier ihrer Kinder in Strohn (Aloys lebte zu dieser Zeit in Gillenfeld)

Zusätzlich musste sie auch das Vieh versorgen. Und so war meine älteste Schwester für mich so etwas wie eine Ersatzmutter. Meine Schwester Gerta hat mir später oft von dieser Zeit und dieser Situation erzählt und mitgeteilt, dass sie, je älter ich wurde, diese Aufgabe der Versorgung des Kleinkindes, als sehr schön empfunden hatte. So lebte ich dann die ersten drei Lebensjahre wohlgeborgen in unserer Familie mit meinen Geschwistern und meiner Mutter glücklich zusammen.

Tante Käth mit Aloys in Gillenfeld

Gerhard, Mutter, Aloys, Gerta, Agnes in Strohn

Dem Drängen des Pastors nachgegeben

Am 13. September 1943 wurde ich drei Jahre alt, und es geschah etwas ganz Gravierendes, was das Leben meiner Mutter, meiner Geschwister und von mir ganz nachhaltig und schmerzlich verändern würde. Mein Bruder Aloys, welcher von der sechsten Woche an bei Cousinen und Vettern meiner Mutter im Nachbarort lebte, starb ganz plötzlich an Wundstarrkrampf. Die einzige Erinnerung, die ich noch daran habe, ist die Beerdigung meines Bruders; ich habe eine Blume in sein Grab geworfen. Meine Tanten und Onkel im Nachbarort haben mir später sehr oft von dem schrecklichen Sterbefall meines Bruders erzählt. Die Trauer und der Schmerz wegen des Verlustes des fünfjährigen Aloys war bei den Tanten und Onkel unermesslich. Einige Tage nach diesen Ereignissen kamen zwei meiner Tanten zu meiner Mutter und hatten folgende Bitte: »Gib uns den dreijährigen Jungen (also mich), mit zu uns nach Hause, als Ersatz für den verstorbenen Bruder Aloys. Wenn auch nur für eine kurze Zeit, damit wir die Trauer um den verstorbenen Jungen besser verwinden können.« Mit dem Zusatz, es geht dem Kleinen bei uns sehr gut und es wird ihm an nichts fehlen.

Pastor Meiser aus Strohn

Onkel Josef aus Berlin (2. von links)

Meine Mutter kam dem Wunsch nicht nach: »Nein, der Kleine bleibt bei mir, bei uns.« Mein Vater war zu dem Zeitpunkt in Russland vermisst und konnte nicht entscheiden.

Kurze Zeit später kam der Bruder meiner Mutter (Josef Zillgen) aus Berlin zu Besuch und er unterstützte seine Cousinen aus dem Nachbarort, bei ihrem Wunsch mich als Nachfolger von Aloys zu bekommen. Auch hier gab meine Mutter nicht nach. Aber es ging jetzt in eine andere Richtung. Tante Anna war als Caritas-Landkrankenpflegerin auch für meinen Heimatort zuständig. Sie hatte zwangsläufig auch eine gute Verbindung zu dem katholischen Pastor meines Heimatdorfes. Sie berichtete dem Pastor von dem Wunsch, mich in ihrer Familie nach Gillenfeld aufzunehmen und dass meine Mutter sich weigerte, mich herzugeben.

Ich als Säugling auf dem Arm meiner Schwester Gerta und Gerhard mit Cousin und Cousinen

Der Pastor hatte Verständnis für ihr Anliegen und versprach, zu vermitteln. Aus diesem Anlass kam er dann zu meiner Mutter und machte ihr klar, dass sie mich doch hergeben sollte. Sie wäre ihren Cousinen gegenüber aus Dankbarkeit verpflichtet und es wäre dann auch möglich, dass ihre Cousinen durch meine Anwesenheit in ihrer Familie die Trauer um den verstorbenen Aloys besser verkraften können. Zu damaliger Zeit war das Wort eines Pastors schon fast ein Gesetz und meine Mutter gab dem Wunsch des Pastors nach und war schweren Herzens bereit mich herzugeben.

Ich, im Alter von 5 Jahren in Gillenfeld

Gerta und Gerhard in Strohn

Meine Mutter Margareta vor der Heirat

Meine Eltern bei ihrer Hochzeit in Strohn, Mai 1931

Links die Schwester meines Vaters mit ihren drei Kindern, mitte und rechts: meine Eltern, ich, Gerhard und Gerta

Mein »Onkel-Tanten-Haus«

Meine Mutter hat mir später oft davon erzählt und ich merkte ganz deutlich, dass sie immer noch im Zwiespalt war, wegen ihrer Zusage, mich wegzugeben. Dann ging alles sehr schnell. Kaum hatte meine Mutter zugesagt, wurde ich auch schon abgeholt. Der Bruder meiner Mutter, Onkel Josef aus Berlin, und Tante Anna, die Krankenpflegerin, packten mich morgens in einen Sportkinderwagen, deckten mich gut zu und brachten mich nach Gillenfeld. Meine Tante Anna hat mir später erzählt, es war ein Herbsttag Ende September/Oktober 1943 mit sehr viel Regen und Sturm. Ich war ganz zugepackt mit Decken. Meine Tante sagte dann auf halbem Wege: »Wir müssen mal nach dem Kleinen gucken, ob er überhaupt noch lebt.« Daran habe ich natürlich keine Erinnerung mehr. Aber an einen kurzen Moment an diesem Tag kann ich mich doch noch erinnern. Als ich in Gillenfeld ins Haus kam, konnte ich gerade so über den Tisch schauen. Ich fragte wortwörtlich: »Bekomm ich denn hier kein Butterbrot?« Dies war der erste Satz in meiner neuen Heimat und alle lachten. Von jetzt an bis zu einem späteren Zeitpunkt, von dem ich noch besonders berichte, habe ich alles nur vom Erzählen meiner Tanten und meines Onkels. Als ich dann angekommen war, schaute ich mich um, nach dem Motto: Wer ist denn alles hier in dem Haus?