Das Volk der Winde - Annabelle Wimmer Bakic - E-Book

Das Volk der Winde E-Book

Annabelle Wimmer Bakic

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Die schamanische Antwort zur Heilung der Erde – mitreißend, berührend, authentisch Das Klima verändert sich, die Erde ist in Aufruhr. Ist diese Entwicklung aufzuhalten? Und was kann ein einzelner Mensch tun? Die bekannte Schamanin Annabelle Wimmer Bakic macht sich auf die Suche und erfährt von uralten Erdheilungsritualen, die die Macht haben sollen, die Harmonie wieder herzustellen und der drohenden Zerstörung Einhalt zu gebieten. Ihr Weg führt sie jedoch nicht nur zu verschiedenen Orten von Tuva über Sibirien bis nach Nepal in die unterschiedlichen Kulturen und zu den entsprechenden Weisheitshütern, sondern auch tief hinein in die Natur der menschlichen Seele. Und sie erkennt, dass diese ausschlaggebend für die Heilung von Mensch und Erde ist: Denn erst müssen die Menschen heilen, dann kann auch die Erde heilen.  Die Heilungsrituale der alten Weisheitshüter Auf ihren Reisen wird Annabelle geleitet vom kollektiven Mythos des Volkes der Winde: Dieser legendäre Stamm soll noch die heilige Sprache aller Wesen gesprochen und das Wissen aller vier Winde besessen haben. Als erstes Volk der Erde waren sie mit der Essenz aller Dinge verbunden, erkannten die Muster der Schöpfung und wussten von der besonderen Bedeutung des Menschen für diese Welt und seine Aufgabe als Heiler und Hüter. Und so wird ihr ein universelles Erdheilungsritual für unsere Zeit offenbart, um die sich entfesselnden Elementarkräfte doch noch befrieden zu können und eine neue Allianz zwischen Menschen und Erde zu schmieden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 364

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Annabelle Wimmer Bakic

Das Volk der Winde

Meine schamanische Reise zur Heilung unserer Erde

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Das Klima verändert sich, die Erde ist in Aufruhr. Doch was kann ein einzelner Mensch dagegen tun? Auf der Suche nach Antworten reist die bekannte Schamanin Annabelle Wimmer Bakic von Tuwa über Sibirien bis nach Nepal zu den spirituellen Kulturen und ihren Weisheitshütern, aber auch in die Natur der menschlichen Seele. Und sie erkennt, dass diese ausschlaggebend für die Heilung von Mensch und Erde ist: Denn erst müssen die Menschen heilen, dann kann auch die Erde heilen. Und so wird ihr ein universelles Heilungsritual für unsere Zeit offenbart, um die sich entfesselnden Elementarkräfte befrieden zu können und eine neue Allianz zwischen Mensch und Erde zu schmieden.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Mottozitat

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Epilog

Heilrituale: Mit den Kräften der Erde heilen

So heilen wir uns

So heilen wir die Erde

Vier große Kräfte zur Heilung, Entwicklung und Weisheit

Die Heilrituale im Einzelnen

So starte ich: Elementaren Heil- und Weisheitskräften begegnen

Der erste Kontakt

Mit der Kraft des Wassers

Heilritual Wasser in vier Schritten

1. Seelenreise in die innere Welt der Erkenntnis

2. Energetische Heilung durch die Kraft des Atems

3. Heilritual für die persönliche Erneuerung

4. Verbindung zum Geist der Weisheit

Mit der Kraft des Feuers

Heilritual Feuer in vier Schritten

1. Seelenreise in die innere Welt der Erkenntnis

2. Energetische Heilung durch die Kraft des Atems

3. Heilritual für die persönliche Erneuerung

4. Verbindung zum Geist der Weisheit

Mit der Kraft der Luft

Heilritual Luft in vier Schritten

1. Seelenreise in die innere Welt der Erkenntnis

2. Energetische Heilung durch die Kraft des Atems

3. Heilritual für die persönliche Erneuerung

4. Verbindung zum Geist der Weisheit

Mit der Kraft der Erde

Heilritual Erde in vier Schritten

1. Seelenreise in die innere Welt der Erkenntnis

2. Energetische Heilung durch die Kraft des Atems

3. Heilritual für die persönliche Erneuerung

4. Verbindung zum Geist der Weisheit

Ritual für den eigenen Entwicklungsprozess

Ritual zur Verbindung mit der göttlichen Mutter

Für meine über alles geliebte Familie:

für Smilla und Anais,

für Stefan

und meine Eltern

Leert euren Geist,

füllt euer Herz

und legt die Waffen nieder.

 

Folget dem Leuchten dieser Welt

und dem Glanz der Sterne.

Taucht ein in die große Harmonie,

dann hört ihr den Urklang der Mutter.

 

Ihr selbst seid dieser Klang

der mit allem gefüllten Stille.

Eins mit den Tönen dieser Welt

und den Gesängen der Schöpfung.

Eins mit dem heiligen Paradies,

finden wir uns und den Frieden.

AMA AMATA MATER AMA

Prolog

Dies ist die Geschichte meiner Ahnen, unser aller Ahnen. Denn sie berichtet von dem einen, dem ersten Volk dieser Erde, dem Volk der Winde.

Sie lebten noch in einer Welt vor Babel, als wir Menschen die heilige Sprache aller Wesen gesprochen haben und mit Gottvater und Gottmutter und dieser Welt eins und verbunden waren. Es war eine Zeit vor Kains Brudermord und Isaaks Opfer für einen allmächtigen Vater, vor den Gesetzen Mohammeds und Buddhas Erleuchtung.

Als wir Menschen noch unmittelbar lebten, was wir waren und sind.

Der Mythos dieses Volkes steht für eine große Sehnsucht in uns: Es geht um die Verbindung zu uns selbst und dieser Welt und um unsere Bedeutung als Mensch für die Erde.

Das Volk der Winde träumte noch vom Garten Eden, weil sie sich erinnern konnten, dass das ihr und unser aller Ursprungsort war. Weil sie erkannten, dass es unsere menschliche Aufgabe ist, diese Welt zu einem irdischen Paradies zu machen. Weil allein der Mensch als Wesen des göttlichen Bewusstseins die Bedeutung der Schöpfung erkennt und weiß, dass es seine Aufgabe ist, ein Hüter und Heiler zu sein, die Muster der Schöpfung zu wahren und jedes Wesen an seine spirituelle Bedeutung zu erinnern.

Damit Harmonie und Frieden entstehen können unter den Völkern dieser Erde.

Das Volk der Winde steht für ein kollektives, universelles Wissen, das in uns allen schlummert und erweckt werden will, weil es unsere Chance ist, uns wiederzufinden, diese Erde zu einem guten Ort für uns alle zu machen und Antworten auf die Herausforderungen der Zeitenwende zu finden, in der wir uns befinden.

Der Mythos dieses Volkes erzählt von Harmonie und Hingabe, von Aufbruch und Trennung, von Verlust und Verrat, von Krieg und Zerstörung und vom Kampf jeder gegen jeden. Aber auch davon, sich selbst wiederfinden zu können und eine gute Zukunft zu schöpfen. Damit diese Erde zu einem Paradies, einem Ort der Gemeinschaft, der Fülle und des Friedens werden kann.

1

Tuwa

Der Kleinbus vibriert. Ich werde durchgerüttelt und schwanke leicht hin und her im Rhythmus seiner unruhigen Fahrt über holpriges Gelände. Mein Sitz ist abgenutzt und gibt kaum Halt, sein Stoff ist fadenscheinig und verschlissen, die gesamte Polsterstruktur brüchig. Einzelne Fäden haben sich aus dem Gewebe gelöst und greifen suchend um sich. Sie ragen in eine neue Dimension hinein und wirken dabei wie verloren, tastend, suchend, fragend. Sie erinnern mich ein wenig an mich selbst. Denn auch ich bin auf der Suche. Ich sitze hier mit anderen in einem alten, heruntergekommenen Kleinbus, wahrscheinlich noch aus sowjetischer Zeit, und wir sind auf dem Weg zu einem Camp in der Steppe Tuwas, das sich irgendwo zwischen Südsibirien und der nördlichen Mongolei befindet.

Der Bus dröhnt, und der Fahrer versucht den Schlaglöchern, die wie ein Kometeneinschlag die Straße durchziehen, auszuweichen. So holpern wir in flottem Tempo unserem Ziel entgegen und halten Kurs auf diesen geheimen Ort im zentralasiatischen Becken.

Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie die tristen, abgehalfterten Mietshäuser im Zentrum Abakans, der chakassischen Kleinstadt, von der wir aufgebrochen sind, den liebevoll gepflegten Datschas am Stadtrand weichen und wie die Zivilisation langsam, aber sicher hinter uns zurückbleibt. Vor uns erstreckt sich die Weite der sibirischen Graslandschaft, und ich atme erleichtert aus, lasse die Hektik Abakans und den Alltag hinter mir. Ich fühle mich verschwitzt und übermüdet.

Die letzten Tage waren erschöpfend gewesen. Der Abschied von meiner Familie in München, von meinen beiden kleinen Töchtern und meinem Mann, hatte mich traurig gemacht. Wie immer, wenn ich sie verlassen muss. Zudem wurde ich im Flughafen Moskau von russischen Sicherheitsbeamten einer erhöhten Sicherheitskontrolle und einem intensiven Verhör unterzogen und über den Grund meiner Reise ausgefragt. Sie hatten mich von meinen Mitreisenden, mit denen ich gekommen war, getrennt und in ein kleines Büro mit dem Charme einer Gefängniszelle geführt, mich abgetastet und mein Handgepäck durchwühlt, sodass ich mir wie eine Terroristin vorgekommen war. Im Anschluss folgte ein mehrstündiger Flug über die Weiten Sibiriens in einer dröhnenden Propellermaschine, bis wir schließlich im äußersten Westen des Landes, in Abakan, angekommen waren. All das hatte an meinen Nerven gezehrt.

Und bei der Ankunft in dieser Kleinstadt mit sowjetischem Charme hatten wir erfahren, dass das schamanische Camp und Ziel unserer Reise nicht wie erwartet um die Ecke lag, sondern weit entfernt und uns noch viele Stunden Fahrt bevorstanden, noch dazu in einem altehrwürdigen und nicht sehr vertrauenerweckenden und natürlich nicht klimatisierten Gefährt, in dem man sich im Hochsommer entweder vor dem Hitzetod oder einem Achsenbruch fürchten muss.

In diesem Moment dreht der einheimische Fahrer die Musik im Auto hoch, und mongolische Obertonklänge fluten den Innenraum unseres Wagens und lassen die vielfältigen Stimmen und Sprachen der Menschen in den Hintergrund treten. Der sphärische Klang aus Maultrommel und Morin Chuur, der Pferdekopffiedel der asiatischen Steppenvölker, trägt mich weit hinaus. Der einsetzende Kehlkopfgesang, das Khomei, eine volkstümliche Weise, die die Stimmen und Klänge dieses Landes in allen Klangfarben abbildet, verbindet mich mit der Landschaft und lässt mich eintauchen.

Meine Sinne tasten sich vor und erforschen die trockene Grassteppe mit ihren brüchigen Halmen, durch die wir gerade fahren. Ihre fahlen Farben in schmutzigem Grüngelb schimmern im Licht des Vormittags. Manchmal entsteht ein Lichtimpuls, der die scharfen, fast gläsernen Kanten der Halme kurz aufleuchten lässt. Ihre ausgedörrten Spitzen kontrastieren farblich mit dem wässrigen Strom eines breiten Flusses, dessen blaugraue Fluten sich wuchtig durch das steinige Flussbett zu meiner Linken schieben. Am Horizont sieht man eine karge, felsige Hügellandschaft mit vereinzelt stehenden Nadelbäumen. Dorthin fahren wir.

Ich spüre, wie ich langsam entschleunige und anfange, mich zu entspannen, wie ein Gefühl von Ankommen und Erdung entsteht. Die sich ausbreitende Ruhe in mir steht in starkem Kontrast zu meinen inneren Bildern, die mich immer wieder heimsuchen und der Grund für diese Reise sind:

Es geht um den Klimawandel und seine Folgen.

Vor meinem inneren Auge sehe ich von Erdbeben zerrüttete Landschaften, überschwemmte und bereits untergegangene Gebiete, von Trockenheit ausgedörrte Ländereien und von Vulkanausbrüchen zerstörte Territorien, Landschaften, die von Stürmen verwüstet wurden, und Menschen auf der Flucht. All diese Naturkatastrophen ziehen wie in Endlosschleife in mir vorüber. Und ich fühle mich ganz persönlich betroffen. Ausgangspunkt hierfür war eine große Überschwemmung im Chiemgau. Die vom Himmel kommenden und aus dem See steigenden Fluten hatten auch unseren Garten überschwemmt, und ich hatte kurzzeitig um unsere Existenz gefürchtet. Auch wenn alles noch einmal gut ausgegangen war, hatte sich in mir eine Betroffenheit und ein Gefühl der Ohnmacht eingestellt, auch weil der Mensch so ausgeliefert und verletzlich ist. Seitdem war mir der Kampf gegen den Klimawandel zu einem persönlichen Anliegen geworden, und ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen. Deshalb hatte ich mich letztendlich auf diese Reise begeben. Ich fand mich wieder einmal mitten in einem waghalsigen Unternehmen wieder, obwohl ich eigentlich keine Abenteurerin bin.

Der Fahrer bremst scharf ab, und ein Schlafsack löst sich aus dem Gepäck, rollt den Gang hinunter und an mir vorbei. Ich überlege: Der Klimawandel wird globale gesamtgesellschaftliche Folgen haben.

Anthropozän – dieses Wort klingt in mir nach. Es bezeichnet unsere jetzige Epoche, in der der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor für die Welt, die Natur und ihre Arten geworden ist. Wir haben das Klima der Erde verändert. Wie konnte es so weit kommen?, frage ich mich. Im Zentrum von allem steht der Mensch, wir alle. Die Erde sieht heute so aus, weil wir sie dazu gemacht haben. Wir haben ihre Oberfläche geprägt und in die Organisation ihres gesamten Systems eingegriffen. Unser Verhalten hat tiefgreifende Folgen, denn wir sind dabei, die gesamte Erdatmosphäre zu verändern, die uns das Überleben sichert. Das macht mir Angst.

Nicht nur bei der Überschwemmung im Chiemgau, sondern auch bei dem großen Erdbeben in Nepal hatte ich persönlich Anteil genommen. Ich hatte die weiträumige Zerstörung des Kathmandutals gesehen, noch bevor sie eingetreten war. Und war voller Entsetzen gewesen, als sich Wochen später meine inneren Visionen bestätigt hatten und ich im Fernsehen die Bilder der Zerstörung sah. Allein der Gedanke daran lässt in mir das Gefühl, mitschuldig zu sein, aufsteigen und lastet zentnerschwer auf mir. Ich spüre, wie ich kaum atmen kann, so sehr bedrängt es mich, die Mitschuld lässt sich nicht einfach abstreifen und haftet an mir wie das Sekret einer Nacktschnecke.

Vor Kurzem hatte ich gelesen, dass dieser Schneckenschleim als Wundkleber für die Medizin entdeckt wurde, einen perfekten und natürlichen Schutz- und Heilstoff abgibt, der für Arterien und Organe eingesetzt wird.

Ich fragte mich, ob genau das mich hierhergebracht hat. Ist mein Gefühl, mitverantwortlich zu sein, weil ich gegen das Erdbeben nichts unternehmen konnte, obwohl ich es vorab gesehen hatte, der Grund dafür, nach einem Weg der Heilung für die Erde zu suchen? Womöglich war ich auf der Suche nach einem Heilstoff, der uns, die Erde und den Menschen, im Innersten zusammenhält.

Müll zu trennen und weniger zu fliegen ist sehr wichtig. Aber all diese Dinge allein werden nicht ausreichen.

Und so habe ich mich auf die Suche gemacht nach neuen Perspektiven für uns und die Erde.

Im Mittelpunkt all dieser Probleme steht der Mensch, alles ist eine Frage unseres Verhältnisses zur Erde, denn unser Umgang mit ihr hat den Klimawandel bewirkt.

Uns Menschen geht es vor allem um uns selbst. Auf dieser Welt herrscht das Recht des Stärkeren, und nur wer sich durchsetzt, kann gewinnen. Wir sind getrieben von Angst, Sicherheitsstreben und materiellen Wünschen und haben tiefgreifende Ängste vor allem und jedem. Es geht um Gefühle wie Mangel und Verlust, Furcht vor persönlichem Bedeutungsverlust und Panik, die Vormachtstellung zu verlieren. Stets geht es darum, nicht genug zu bekommen, dies ist die Wurzel für ein Immer-weiter, Immer-mehr, das über die Jahrtausende und vor allem die letzten Jahrzehnte zu einer fortwährenden Ausbeutung der Erde und ihrer Arten geführt hat. Wir kämpfen und bekriegen alles und jeden, und wir rauben und plündern und bedienen uns an allem, dessen wir habhaft werden können. Zugrunde liegt ein Überlebenskampf, der für uns alle zu einem bestimmenden Modus geworden ist. Dieser reicht vom Kampf um die Grenzen einer Nation bis ins Innerste der Gesellschaft. Und so kämpft im individuellen Zeitalter jeder gegen jeden und manch einer sogar gegen sich selbst. Es ist ein Strudel der Zerstörung.

Was aber ist der Ausgangspunkt für all das? Was ist die Grundlage dieser Haltung, die Basis unseres Denkens? Denn es ist offensichtlich: Wie wir denken, so fühlen wir, und wie wir fühlen, so handeln wir, und so gestalten wir unsere Welt. Jeden Tag immer wieder neu. Es ist ein sich selbst erfüllendes System, und ich frage mich: Was treibt uns an, und wo nehmen unsere zerstörerischen Werte ihren Anfang?

Mir wird bewusst, dass wir die Quelle der Glaubensmuster unserer westlichen Welt angehen müssen. Es geht darum, zu erkennen und zu prüfen, anzupassen und zu verändern, denn hier braucht es eine grundlegende Erneuerung. Wir müssen neue Antworten auf die Frage finden, wer wir als Mensch sind, auch für diese Welt, und was unsere Rolle, unsere Bedeutung für die Erde ist.

Denn es ist nicht nur so, dass ein altes Weltmodell langweilt, überholt oder in die Jahre gekommen ist. Es hat in eine Sackgasse geführt, aus der es schon bald kein Entrinnen mehr geben wird. Denn wenn wir so weitermachen, wird es über kurz oder lang für uns keine Zukunft mehr geben, weil wir unseren eigenen Lebensraum zerstören.

Daher ist es elementar, unser Verhältnis zur Erde zu überdenken und es neu zu definieren. Wir müssen uns Menschen neu finden und erfinden. Und daher geht es nicht nur um den Klimawandel, sondern vor allem um einen geistigen Klimawandel, den es für diese Welt braucht.

 

Ich bin zu dieser Reise aufgebrochen, um mich auf eine Suche, die Spurensuche nach einer neuen Zukunft, zu machen. Denn meine Sehnsucht ist es, mehr zu tun, als nur Müll zu trennen. Auch wenn das ebenfalls wichtig ist.

Die Musik wird leiser gedreht, und wir fahren an einem großen See vorbei, auf dessen Oberfläche sich der weite, von weißen Wolken durchzogene Himmel spiegelt. Ein gutes Omen: Alles ist im Fluss. Immer. Und es wird immer weitergehen.

Meine Gedanken schweifen zurück in die Vergangenheit und zu dem Erdbeben in Nepal, das nun schon einige Jahre zurückliegt. Es war für mich wie eine Erweckung. Als Teilnehmerin eines schamanischen Seminars hatte ich dieses Beben hautnah in einem Ritual erlebt, es gesehen, gespürt und gehört, seine Wucht erfahren, noch bevor es eingetreten war. Und als es dann tatsächlich kurze Zeit später Wirklichkeit wurde, war in mir der Verantwortungsmensch erwacht. Ich hatte mich zum ersten Mal aufgerufen gefühlt, etwas zu tun. Denn ich hatte es ja kommen sehen und dennoch nichts gemacht. Und fühle mich seitdem schuldig, weil ich tatenlos gewesen war. Was aber hätte ich tun können? Nichts! Oder hätte es doch eine Möglichkeit gegeben? Das frage ich mich seitdem unaufhörlich und kann die Frage nicht beantworten. Aber insgeheim denke ich mir, wenn man schon etwas voraussehen kann, dann könnte man doch auch etwas tun. Wofür sonst wäre so eine Gabe gut, und wofür würde sie nützlich sein?

Auch wenn das Erdbeben streng genommen nicht auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen war, sondern auf eine Reibung der tektonischen Platten, war es für mich zu einem Symbol für die sich entladende Spannung des menschlich-irdischen Verhältnisses und ein Ausdruck des Wehklagens einer vom Menschen geplagten Erde geworden.

 

Meine Gedanken wandern nach Grönland zurück, wo ich zum ersten Mal die weltbewegende Kraft schamanischer Rituale und ihre Möglichkeit, Realitäten zu beugen, kennengelernt hatte. Ich denke an meine Reise durch die Arktis: Dort hatte ich erlebt, wie durch die Verbindung von Himmel und Erde, Realität und Bewusstsein, Alltag und Spiritualität ein magisch-luzides, träumerisches Wissen entstanden war, durch welches ich überirdische Möglichkeiten erhalten hatte. Unglaubliches, Unmögliches, Undenkbares war geschehen, ich war über mich hinausgewachsen und hatte die Realität verändert, obwohl ich nach einem Absturz mit meinem Schlitten mutterseelenallein in dieser Wildnislandschaft verloren schien. Aber ich war nicht nur am Leben geblieben, ich hatte auch den Weg zurück gefunden und meinen verunglückten Schlittenhundführer Ogi gerettet.

Und auch bei der Überflutung unseres Gartens hatte ich in meiner höchsten Not mit schamanischer Arbeit Berge versetzen können. Und dennoch stelle ich all das immer wieder infrage.

Ich bin skeptisch und zweifle im Allgemeinen oft daran, dass es diese Möglichkeiten wirklich gibt, und im Besonderen an mir selbst und meinen vermeintlichen Fähigkeiten. Dennoch weiß ich, es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir denken, und ich habe diese Reise nach Tuwa angetreten, um dies zu erforschen, Antworten zu suchen, Potenziale zu entfalten und neue Perspektiven für den Klimawandel zu finden. Denn mich treibt die Hoffnung.

 

Ich höre grelles Lachen. Eine Mitreisende hat sich über ihren Sitz nach hinten gebeugt, um mit ihrem Hintermann, einem indigenen, tätowierten Zentralasiaten mit samtiger Haut, anzubändeln. Ihre in die Rastahaare geflochtenen Glöckchen läuten leise dazu.

Alle hier sind aufgrund ihrer Faszination für schamanische Rituale gekommen. Siebzehn Leute aus aller Welt sitzen erwartungsvoll in diesem Wagen. Auch die kleine Gruppe, die mit mir von München aus aufgebrochen war. Schon am Flughafen hatte ich sie wegen ihrer besonderen Kleidung als schamanisch inspirierte Schar erkannt und erfahren, dass auch sie auf dem Weg nach Tuwa waren. Der untrügliche Charme ihrer Kleider und die entsprechenden Kraftamulette zeichneten sie aus, und so hatte ich mich angehängt. Ich selbst hatte darauf verzichtet, meinen Eisbärzahn, den ich von meinem Schlittenhundführer als Dank für meine Hilfe und als Zeichen meines Schamanentums geschenkt bekommen hatte, zu tragen. Zum einen wollte ich keine Probleme mit dem Zoll bekommen und diesen für mich so wertvollen Talisman dort zurücklassen müssen, zum anderen habe ich nicht vor, damit aufzufallen, denn ein Eisbärzahn gilt auch unter Schamanen als Zeichen der Macht. Auf dieser Reise will ich unerkannt bleiben und eine unter vielen sein. Daher habe ich mich auch Elisabeth angeschlossen, die der Münchner Reisegruppe vorsteht. Sie ist eine große, schlanke Frau mit grauen Haaren und einer sanften Stimme und will im Rahmen des Camps einige Workshops für Einsteiger anleiten.

Elisabeth steht trotz ihrer zurückhaltenden Art im Zentrum der Aufmerksamkeit. Jetzt steht sie neben unserem Fahrer und erklärt ihren Schützlingen, dass uns in diesem Camp ein Querschnitt aller zentralasiatischen Traditionen erwarten wird, mit Schwerpunkten auf dem sibirischen, tuwinischen und mongolischen Schamanismus.

Ich suche ihren Blick, und kurz darauf kommt sie zu mir und stützt sich am Haltegriff meines Sitzes ab.

»Und was ist mit dir?«, fragt sie. »Warum fährst du eigentlich mit nach Tuwa? Hast du Erfahrung mit Schamanismus?« Sie blickt mich dabei erwartungsvoll an.

Was soll ich darauf sagen?

»Ein wenig«, antworte ich zögernd, »aber nun will ich tiefer eintauchen, und dieses Camp erscheint mir sehr geeignet dafür.«

Wie ich sehe, begeistert sie meine Antwort, denn sie erkennt in mir eine potenzielle Workshopteilnehmerin.

»Das ist ganz schön mutig von dir, dich gleich nach Tuwa und in den Mittelpunkt des Geschehens zu wagen«, antwortet sie. »Denn es kann schon mal hoch hergehen bei den Schamanen. Das sollte nicht unterschätzt werden, was alles in so einem Camp passieren kann, denn schamanische Arbeit kann sehr transformatorisch wirken. Du kannst gerne jederzeit zu mir kommen, wenn du Unterstützung brauchst«, bietet sie mir lächelnd an. Ich lächle dankend zurück, dann macht sie sich auf den Weg zu ihrem Platz.

 

Unser Camp und Ziel der Reise liegt im Herzen des tuwinischen Beckens, einer heißen, weiten Steppenlandschaft, die im Westen vom Sajangebirge eingerahmt ist. Hier findet ein internationales Treffen anerkannter Schamanen von nah und fern statt, die alle zusammenkommen, um Seminare zum Thema Heilung abzuhalten.

Höhepunkt soll ein großes Erdheilungsritual mit allen Schamanen sein, die gemeinsam für die verloren gegangene Beziehung und die Wiederherstellung der Harmonie zwischen Menschen und Erde wirken wollen. Es geht um nichts weniger als den Frieden in der Welt.

Deswegen hatte ich nicht gezögert, hierherzukommen. Denn das sind die Themen unserer Zeit und auch die meinen.

Ich habe die Hoffnung, mich mit der tieferen Bedeutung von Erdheilungsritualen vertraut zu machen, ich möchte diese erforschen und ihre Kräfte verstehen und anwenden können. Denn selbst wenn ich skeptisch bin, dass uns diese Rituale gegen den Klimawandel und seine Folgen hilfreich sein könnten, möchte ich doch nichts unversucht lassen. Und ich will etwas tun können, um die Schuldgefühle loszuwerden und Handlungsoptionen zu entwickeln, auch falls sich eine weitere Vorausschau einstellen sollte. Und insgeheim möchte ich einfach an diese Kräfte glauben, denn wir alle haben schon gehört, dass Schamanen erfolgreich für Regen getrommelt haben, der Wetterzauber gilt schließlich als schamanische Kompetenz. Vor Kurzem hatte ich in einer renommierten Tageszeitung gelesen, dass ein brasilianischer Schamane von der Fifa für gutes Wetter zur Fußballweltmeisterschaft beauftragt wurde. Öffentlich geworden war der Handel durch einen steuerlich nicht zuweisbaren Geldausgang in bar, mit dem der erfolgreiche Schamane wieder im Regenwald verschwunden war.

Auch wenn es naiv klingen mag, im Schamanismus und seinen Kräften eine Lösung für die Klimakrise zu sehen, erhoffe ich mir insgeheim neue Möglichkeiten, mildernde Impulse oder rettende Eingebungen von diesem uralten und mächtigen Wissen. Oder wenigstens eine andere Sicht auf die Welt, mit der man ein neues Kapitel aufschlagen könnte.

 

In mir steigen Bilder auf von einer heilen, gesunden Erde, einer Welt, die vor Lebendigkeit und satten Lebenskräften nur so strotzt. Und ich spüre eine tiefe Sehnsucht nach ihren ursprünglichen und kraftvollen, authentischen Landschaften mit einer artenreichen und vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt, in der eine Fülle herrscht wie zum Anfang unserer Zeit: vom Leben gesättigte Meere, Wälder voll mannigfaltiger Bäume, Pilze, Farne und Wild, weite Savannen, die einer Fülle von Großtieren Heimat bieten, Flüsse, aus denen Fischschwärme springen, an denen sich die Bären weiden, und Bergwälder, deren Natur karg und berauschend zugleich ist, ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Und ich spüre, wie mein Herz sich vor Sehnsucht zusammenzieht. Ich würde, ich dürfte nichts unversucht lassen!

Zumal ich aus erster Hand von einem Schamanen aus dem Altai gehört hatte, dass es einen bestimmten Clan unter den teilnehmenden Schamanen des Camps geben soll, der über das Wissen der ältesten und kraftvollsten Erdheilungsrituale verfügt, Wissensträger mit gewaltigen Kräften für das Beugen von Realität. Das ist der eigentliche Grund meiner Reise, wenn ich ganz ehrlich bin.

Dieser Heilerclan soll sich auf eine direkte Verbindung mit den Elementen verstehen und diese leiten und lenken können. Und auch wenn ich das alles kaum glauben kann, so geht es in meinen Augen vor allem um eine neue Allianz mit den Elementen, denn Wasser, Erde, Luft und Feuer hatten sich entfesselt und machten uns Probleme. Manchmal erscheint es mir, als ob sie sich aus dem einst friedvollen Miteinander verabschiedet hätten, um sich gegen uns Menschen aufzubäumen, um die Welt aus unserer Herrschaft zu befreien. Die Elemente waren dabei, sich die Oberfläche des Planeten wieder zurückzuerobern, diese zu transformieren, neu zu ordnen und der Welt ein neues Angesicht zu geben.

Diesen Schamanenclan, der das Wissen über die Elemente besaß und mit ihnen ins Gespräch kommen konnte, wollte ich kennenlernen. Deshalb war ich hier. Ich würde sie bitten, mich als Schülerin anzunehmen, damit ich von ihnen diese uralte Kunst erlernen könnte. Um in eine tiefe Allianz mit Feuer, Wasser, Erde und Luft zu finden und diese auch nach Europa und in die westliche Welt zu bringen, die der Auslöser für all unsere Probleme ist. So könnten wir alle gemeinsam vielleicht noch das Ruder herumreißen und den Klimawandel wenden.

Denn alles ist schließlich eine Frage der Beziehung.

Und vielleicht würden sich auf dieser Reise neue Impulse und Möglichkeiten dafür ergeben und sich Antworten darauf finden lassen, wie genau unsere Beziehung zur Erde war und worauf das alles basierte.

 

Versonnen blicke ich aus dem Fenster. Wir haben die Graslandschaft hinter uns gelassen und fahren nun durch dichten, borealen Regenwald. Üppig gewachsene Nadelbäume erstrecken sich links und rechts der Straße. Das muss die Taiga sein, ein dichter Wald aus Fichten, Kiefern, Zirben und Birken. Reges Licht- und Schattenspiel umfängt uns. Menschen, Häuser und Orte gibt es hier nicht mehr. Allein die Natur bestimmt, was hier geschieht.

Durch eine Öffnung des Waldes wird ein kurzer Blick in die weite Wildnis frei, und ich erkenne das gigantische Ausmaß dieser Waldlandschaft. Die wiegende Bewegung des Busses macht mich schläfrig. Und so dämmere ich langsam hinweg, sanft getragen vom liebevollen Schaukeln unseres Wagens.

Doch plötzlich schrecke ich auf. Ich höre eine schrille Sirene die Ruhe durchschneiden, richte mich auf und sehe, wie ein Polizeiauto in hohem Tempo auf uns zukommt.

2

Die Augen des Adlers

Alle müssen aussteigen. Die Polizei erkennt in uns Touristen und bittet uns zur Kasse. Wir sind zu schnell gefahren, behaupten sie. Und so stehen wir im Wald und zahlen. Es ist schon irgendwie seltsam, dass in dieser Einsamkeit ein Polizeiauto auftaucht und Streife fährt, denke ich. Unmut macht sich in der Gruppe breit. Und eine immer heftiger werdende Diskussion entspannt sich zwischen unserem Fahrer und den Polizisten.

Ich nutze die Zeit und trete in das Dickicht des Waldes. Ich gleite durch eine Familie von Birken und tauche ein in die Welt der immer dichter stehenden Stämme von Fichten, Kiefern und Lärchen. Es riecht intensiv nach unterschiedlichen Nadelbäumen. Meine Füße treten auf unebenen, sandigen Grund, und ich fühle, wie der dichte, mit Tannennadeln besäte Moosteppich meine Schritte federn lässt. Blaubeersträucher durchziehen die Moospolster, und ich sehe, wie die ein oder andere Blaubeere im zarten Licht des Waldes aufleuchtet. Das Licht um mich herum ist durchbrochen und fragil. Morbide schillern einzelne Lichtstrahlen und verbinden sich mit dem geisterhaft changierenden Schattenspiel. Von dieser Natur geht ein geheimnisvolles, magisches Leuchten aus. Gebannt bleibe ich stehen, versuche, alles in mich aufzunehmen, und verschmelze durch das Licht mit den Baumstämmen um mich herum und werde eins mit dieser Biosphäre. Mein Körper ist nur noch einer unter vielen, und ich erlebe, Teil dieser einzigartigen, wilden Landschaft zu sein. Ein Gefühl von Freiheit entsteht in mir, ein Empfinden, das Wildnislandschaften bei uns Menschen auslösen können, weil sie unabhängig von uns sind, frei von kultureller Prägung, von Sozialisation und Konditionierung.

Diese Landschaften befreien unser Denken, Fühlen und Wollen und lassen uns natürlich, authentisch und kraftvoll werden. Wenn wir die Angst vor ihrer Wildnis und ihrer Einsamkeit überwinden.

Einsamkeit kann eine Droge sein, berauschend. Sie öffnet das Tor in eine andere Dimension unseres Seins und lässt uns mit allen Sinnen leben. Durch mein Erlebnis in Grönland hatte ich diese Selbsterfahrung gemacht und war meiner ureigenen Natur, der Kraft meiner Essenz begegnet. Und ich hatte erkannt, wie wichtig diese Landschaften nicht nur für die Regeneration der Erde, sondern auch für uns Menschen sind. Sie führen uns zu unseren Ursprüngen zurück, wecken archaische Kräfte und ungeahnte Potenziale, sie regenerieren und heilen und ermöglichen eine intensive Selbstermächtigung. Hier finden wir Antworten auf alles.

Die Sehnsucht nach Einsamkeit, nach noch mehr Stille, regt sich in mir, und ich muss seufzen, wenn ich an das Camp denke. Wahrscheinlich würde uns ein lauter, hektisch-bunter Ort voller Geschäftigkeit erwarten. Und wie gerne würde ich jetzt einfach hierbleiben, abseits von allem, fern der Zivilisation und eigenen Erwartung, nur umgeben vom gazeartigen Rauschen der Wälder und einem Licht, das sich wie geklöppelte Spitze um einen legt. Ein durchlässiges, brüchiges Gespinst, das die eigene Haut ersetzt, durchlässig macht und Zwischenwelten öffnet. Mich in einen Zustand der Metamorphose versetzt.

 

Jäh höre ich das Hupen unseres Wagens. Wir müssen weiter. So löse ich mich von dem Wald und seinem Licht, werde wieder ein Teil der Gruppe, und wir setzen unsere Reise fort. Auf der Fahrt kehren meine Gedanken zurück zu diesem Wald und erkunden seine Wirkung auf mich. Welchen Einfluss hat Natur auf uns? Wirkt eine Landschaft sich unmittelbar auf uns aus? Ist es ein Unterschied, ob man im Wald steht oder in der Steppe? Auf einem Berg oder am Strand eines Ozeans?

Ich bin mir sicher, wir sind in Resonanz. Immer. Das Umfeld prägt uns. Es ist ein Eindruck. Und was sich lange eindrückt, wird zu einem Abdruck in uns und wirkt sich auf unsere Stimmung, unser Gemüt, unsere Seele aus. Innen und außen sind in Resonanz und miteinander verbunden. Natur und Landschaft haben großen Einfluss. Und wir suchen uns unsere Landschaften.

Grönland mit seinem ewigen Eis und kristallinen, glitzernden Schnee hat klärend und erweiternd, inspirierend auf mich gewirkt. Meer hingegen wirkt fließend auf unsere Seele und lädt uns zum Träumen ein. Träumer zieht es ans Wasser, dort finden sie ihr Element. Die Tatkräftigen gehen in die Berge und steigen hinauf. Überwinden alle Hindernisse und kämpfen sich bis zum Gipfel vor. Und die Geheimnisvollen lieben den Wald mit seiner Magie aus Licht und Schatten. Dem Stoff, aus dem die Märchen sind.

Wie wird es wohl in der Steppe sein?, frage ich mich. Wie wirkt sie sich auf die Seele aus?

Die Landschaft und der Mensch, das ist wie das Prinzip eines Spiegels. Das Land spiegelt sich in uns, und wir spiegeln uns im Land. Mir wird bewusst, wie wichtig das Umfeld für uns Menschen ist, und ich verstehe, warum auch hoffnungslose, öde, verfallene und perspektivlose Kulturlandschaften oder beraubte, ausgeweidete und zerstörte Naturlandschaften entsprechend auf uns wirken und unser Denken, Fühlen und Handeln mitbestimmen.

Wenn die Elemente verrücktspielen, so spielen auch wir Menschen verrückt, unsere Emotionen fahren Achterbahn. Denn alles hängt zusammen. Wenn die Natur aus dem Gleichgewicht ist, ist es auch der Mensch. Denn hier findet der Mensch seinen Gegenpart, seinen Stimmungsgrund, seinen Urgrund für Körper, Geist und Seele.

Über die Natur können wir Harmonie, Kraft und Frieden finden oder auch Einsamkeit, Verlust und Angst erfahren. Eine kraftvoll unkonditionierte Natur vermag es, uns mit uns selbst wieder in Einklang zu bringen, unsere Sozialisation abzustreifen, Erwartungen hinter uns zu lassen, damit wir in unseren ureigenen Klang zurückfinden können.

Jede Landschaft, jedes Klima, jeder Ort und jedes Wesen – Berg oder Tal, Schnee oder Wüste, Wald oder Wasser, Stein, Pflanze oder Tier – wirkt. Weil es mit uns, weil wir mit ihm verbunden und damit auch in Resonanz sind. Und ich frage mich, diese Gedanken auf die Spitze treibend, ob die zunehmenden Überhitzungen und Überflutungen der Erde im Zusammenhang mit den immer intensiver werdenden Emotionen der Menschen, ihren Überhitzungen und der tiefen Traurigkeit, mit dem erschreckenden Anstieg von Burn-outs und Depressionen bei der Weltbevölkerung stehen? Die Zahlen der letzten WHO-Studie waren alarmierend.

Wir müssen uns fragen, was wir mit der Erde machen und was die Erde und der Klimawandel mit uns macht. Wie wirkt sich der immer größer werdende Verlust von Heimat auf uns aus, und wo wollen wir noch Heimat finden? Eine Heimat, die unsere Seelen, unsere Körper, unser Denken nährt.

 

Ich befürchte, dass die Klimakatastrophen zu einer weiteren Entfremdung des Menschen gegenüber der Erde führen und wir uns immer mehr von der Natur abwenden werden, deren Zerstörung für uns ein tiefer Verlust des Vertrauens für uns und unser Leben bedeutet. Die Zerstörung des Klimas stellt die überzeitliche Konstanz der Erde über Generationen hinweg infrage und lässt uns voller Sorgen und Zweifel in die Zukunft schauen. Das Morgen wird zu einer Zeit der Ängste und Depressionen, die sich zerstörerisch auf unsere Perspektiven und traumatisierend auf unsere Seelen auswirken. Im Zentrum all dessen steht die Beziehung des Menschen zur Welt. Und ich frage mich: Was definiert unsere Einstellung und Haltung gegenüber der Erde und ihrer Natur? Was sind die bestimmenden Erzählungen, die kollektiven Narrative und Bilder, die unser Verhältnis zur Erde prägen?

 

Ich spüre den Blick des Fahrers auf mir. Schon vorher, als ich als Letzte ins Auto eingestiegen bin, wollte er Kontakt mit mir haben. Ich glaube, er hat gespürt, dass mir seine Musik gefallen hat. Ich erwidere seinen Blick, und er lächelt, dann dreht er das Radio laut und ruft: »Ich bin Wassilij«, und beginnt lautstark im Obertongesang mitzusingen. Ich muss lächeln. Musik verbindet uns über alle Grenzen hinweg.

Dann holt jemand eine Maultrommel hervor. Auch er scheint das Lied zu kennen. Vielleicht ist es der zurzeit angesagteste Hit der Steppenvölker. Alle sind begeistert, und die Stimmung steigt. Es wird mitgesummt und lautstark gesungen, man wiegt sich im Takt, und Worte werden gewechselt. Lachen ertönt. Jemand reicht getrocknete Mangostücke herum. Durch die gute Stimmung im Wagen sind wir zu einer Gemeinschaft geworden, die die Wälder Sibiriens durchpflügt, eine Abenteurergruppe, die sich durch die Wildnis kämpft auf dem Weg in eine geheimnisvolle, verborgene Welt. Voller Elan kurvt der Fahrer durch die letzten Ausläufer des Waldes, dann lassen wir den dichten Baumbestand hinter uns und gelangen in eine steinig-karge, weite Hügellandschaft, in der nur vereinzelt kleine Nadelbaumgruppen zu sehen sind. Die Mangostücke schmecken köstlich, und ich merke, dass ich Hunger habe. Ich krame in meinem Rucksack und finde die Pampuschki, ein traditionelles, flauschiges Hefegebäck, das ich noch kurz vor unserer Abfahrt in Abakan gekauft hatte, und beiße herzhaft hinein.

Wir fahren an einer Gruppe großer Steine vorbei, und wieder verspüre ich diese Last auf meiner Brust, die es mir manchmal so schwer macht zu atmen. Wie in letzter Zeit häufig, fühlt es sich an, als lägen zentnerschwere Steine auf mir. All das hatte angefangen, als ich aus einem Traum erwacht war, in dem ich, von Steinen begraben, reglos am Boden lag. Die Lebhaftigkeit dieses Traumes hatte mich nicht mehr losgelassen, und seitdem taucht dieses Gewicht, diese Enge, immer wieder auf. Wie eine andere Realität, die einen Wimpernschlag lang Bestand hat und dann nur noch als Erinnerung zurückbleibt.

Als die Musik leiser wird, machen sich meine Gedanken wieder auf die Suche. Was sind die Narrative, die unsere Sicht auf die Erde bestimmen? Wo fängt das alles an?

Alles hat immer seinen Ursprung im Paradies, denke ich. Der Garten Eden ist unser Bild der Sehnsucht, ein Urbild von Natur, in der alles verfügbar ist und kein Mangel herrscht. Im Paradies sind wir behütet und geschützt, jeder Wunsch, jedes Bedürfnis wird uns von den Augen abgelesen.

Ist diese Erde so ein Ort?, frage ich mich. War diese Erde jemals so ein Ort?

Es rumpelt, und der Wagen schwankt. Wir sind über einen großen Stein gefahren, und der Fahrer flucht leise vor sich hin. Nach einer kurzen Stille im Auto nehmen die Mitreisenden ihre Gespräche wieder auf, und ich kann meine Überlegungen fortsetzen.

Sehnsüchte und Erwartungen bestimmen unser Bild. Unsere Bedürfnisse definieren das Verhältnis zur Erde. Und so nehmen wir, was wir bekommen können. Denn all das gibt es scheinbar ja umsonst. Die Natur ist eine Ressource, die bis vor Kurzem noch als unerschöpflich galt. Sie hat keinen Wert an sich, nur in Bezug auf uns Menschen und unsere Bedürfnisse. Wie aber bemisst sich der Wert von klarem Wasser, reichen Fischgründen und artenreichen Wäldern, reiner Luft oder starken Nährböden? Erst wenn all das vergeht, fangen wir an, uns Gedanken darüber zu machen. Wenn unser Überleben, die Gesundheit, das körperliche, seelische und geistige Wohlergehen auf dem Spiel stehen.

Der Wagen gerät ins Schlingern und bricht aus. Wir halten uns krampfhaft an den Sitzen fest, und endlich kommt der Wagen, nach einer gefühlten Ewigkeit, zum Stehen.

Alle steigen aus. Der Blick unseres Fahrers ist besorgt. Wassilij untersucht den Wagen: Achsenbruch ist seine Diagnose. Und alle sind ratlos. Er aber zückt sein Handy und telefoniert. Dann heißt es warten.

Ich wandere ein wenig umher und schaue mich um. Es ist schon komisch, dass es auf dieser Reise so viele Widerstände gibt, denke ich. Erst die Polizei, dann der Achsenbruch. An meine Anreise will ich gar nicht erst denken. Es ist, wie wenn nicht gewollt würde, dass wir ans Ziel kommen. Beklemmung macht sich in mir breit.

Auf einmal habe ich das Gefühl, dass ich beobachtet werde.

Ich schaue mich um, sehe aber nur die Mitreisenden, die in Grüppchen zusammenstehen und sich unterhalten. Diejenigen, die sich mit Autos auskennen, stehen um den Fahrer herum und diskutieren, was am besten zu tun ist. Ich aber werde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Da geht mein Blick in den Himmel hinauf, und ich sehe einen großen Steppenadler über mir. Er zieht seine Bahn und schaut mich dabei an. Bilde ich mir das ein?

Aber nein, ich sehe, wie seine Augen genau auf mich gerichtet sind, sie lassen mich nicht mehr los und stieren hart in meine Richtung. Mich überläuft ein kalter Schauer. Je länger ich schaue, desto menschlicher kommen mir die Augen vor. Sie erinnern mich an die eines Mannes.

Werde ich beobachtet? Von einem Vogel? Oder womöglich von einem Menschen, der durch die Augen eines Vogels schaut? So unwahrscheinlich, ja unglaubwürdig das scheinen mag, so wenig ausgeschlossen ist es. Ich hatte davon gelesen, dass einige Schamanen sich darauf verstehen, sich der Existenz anderer Wesen zu bedienen, um an anderen Orten zu sein. Wer aber ist dieser Mann, und was will er? Hat er die Widerstände auf unserer Reise zu verantworten und womöglich ein Interesse daran, unsere Ankunft zu verzögern? Will uns jemand nicht im Camp haben?

 

Der Tag ist weit vorangeschritten. Vor uns liegt das Sajangebirge, und wir müssen noch über den Pass. Dahinter befindet sich das Tal, in dem das Camp liegt.

Und ich weiß, dass wir das Gebirge noch vor der Nacht passieren müssen. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Jetzt gilt es, alle Kräfte zu bündeln, damit wir noch das Camp erreichen. Wenn ich mir aber unsere Truppe so anschaue, sehe ich, dass alle mit ihren eigenen Themen beschäftigt sind. Niemand ist sich dessen bewusst, was um uns herum geschieht. Und ich erkenne, genau das ist das Problem. Wir müssen uns auf unser Ziel ausrichten, unsere Intention bündeln, unsere Ausrichtung schärfen und den Willen aktivieren. Sonst würden wir in diesem Gebirge stranden und übernachten müssen.

In Grönland hatte ich bereits die Erfahrung gemacht, dass wir nur mit einem klaren Fokus gegen alle Widerstände ankommen können, um schließlich doch noch ans Ziel zu gelangen.

 

Nach einiger Zeit kommt endlich ein Abschlepp- und Reparaturwagen. Wir haben Glück. Ich nutze die Gelegenheit und nehme mir Elisabeth zur Seite.

»Elisabeth, wir müssen unsere Kräfte bündeln, wenn wir ans Ziel kommen wollen. Wir sollten uns auf das Camp fokussieren und schauen, dass keine Probleme mehr entstehen.« Eindringlich schaue ich sie an.

»Du denkst, diese Widerstände hängen mit unserer Reise zusammen?«, fragt sie mich erstaunt.

»Ja, und wenn wir beide uns nicht ausrichten, werden wir die Nacht im Gebirge verbringen müssen.«

Elisabeth schaut mich an. »Du kennst dich doch aus mit schamanischer Arbeit, oder?«

»Ja, und deshalb würde ich dringend empfehlen, dass wir beide daran arbeiten anzukommen. Sonst werden wir die Widerstände nicht brechen können«, antworte ich.

Nachdenklich schaut sie mich an und nickt. »Was schlägst du vor?«, will sie wissen.

»Du setzt dich vorn neben den Fahrer. Ich bleibe in der Mitte. Und wir behalten unser Ziel im Auge. Ohne Wenn und Aber. Wir dürfen nicht träumen oder quatschen, nicht abschweifen. Und auch nicht ängstlich sein. Es braucht eine hohe Konzentration, dann wird es schon werden.«

Elisabeth nickt. »So machen wir es. Und danke dir.«

»Ich danke! Hier geht es um uns alle«, erwidere ich und blicke zu dem Vogel über mir. Dann sehe ich, wie er abdreht und verschwindet.

Der Fahrer ruft, wir können endlich weiterfahren. Unser Wagen ist repariert.

3

Das Camp

Mithilfe der Fokussierung von Elisabeth und mir sind wir schließlich ohne weitere Widerstände durchs Gebirge gekommen, haben den Grat des Berges passiert, den Pass hinter uns gelassen und fahren mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne ins Tal hinab. In der Ferne leuchten verheißungsvoll die Lichter des Camps, das eine kleine Heimat in der offenen Weite dieser Landschaft darstellt. Ein Punkt, der uns anzieht, weil er andere Menschen, Gemeinschaft und Geborgenheit in einem unwirtlichen, lebensfeindlichen Umfeld verheißt. Fast haben wir es geschafft. Beruhigt atme ich aus und entspanne mich etwas. Dennoch bleibe ich wachsam.

Als wir endlich ankommen, sind alle erleichtert. Es ist Abendessenszeit, und die Luft duftet nach dem Essen vielfältiger Kulturen, die sich hier zusammengefunden haben. Der Rauch der Lagerfeuer gibt uns das Gefühl, willkommen zu sein in dieser Gemeinschaft der Steppe.

Zelte und Jurten liegen bunt verstreut über einen großen Platz verteilt, leicht an einen Hang geschmiegt, an dessen Ende man eine Formation großer Steine sieht, die wie ein Mahnmal aufragen.

Nun geht es darum, einen passenden Platz für sich zu suchen, und so halte ich Ausschau. Die Gruppe aus München hat in der Nähe der großen Steine ihren Ort gefunden, und auch ich bin eingeladen, mein Zelt hier aufzubauen. Doch ich wandere weiter und werde schließlich fündig. Es ist ein ebenerdiger Platz mit hartem Untergrund, der mir passend erscheint. In gutem Abstand sehe ich zwei weitere kleine Zelte. Hier platziere ich mich, gehe zum Auto und schnappe mir meinen Rucksack, die Isomatte und meine Reisetasche, und Wassilij hilft mir noch mit dem Zelt. Dann verabschiedet er sich, umarmt mich und drückt mir seine Karte mit der Handynummer in die Hand. »Nur für den Fall, dass du Hilfe brauchst. Die Steppe kann fordernd sein, und wir alle halten hier zusammen«, sagt er. Dann macht er sich daran, in seinem Auto zu übernachten, damit er am nächsten Morgen ganz früh aufbrechen kann.

Ich entfalte mein Zelt, lege die Heringe aus und leihe mir in der Nähe einen Hammer, um die Stahlnägel in den ausgetrockneten Steppenboden hineinzutreiben. Nach einiger Anstrengung ist es vollbracht, und das Zelt steht. Ich lege alles hinein und gehe zum gemeinschaftlichen Toiletten- und Waschverschlag, um mich für die Nacht fertig zu machen. Dann ziehe ich mich in mein Zelt zurück, zu müde, um mir noch etwas kochen zu können, auch wenn mein Magen knurrt.

 

Früh am Morgen erwache ich voller Erwartung auf den Tag. Obwohl es erst kurz nach Sonnenaufgang ist, ist es bereits heiß, und ich schäle mich schwitzend aus dem Schlafsack. Meine Kleidung klebt mir auf der Haut. Ich öffne den Reißverschluss des Innen- und Außenzelts und trete hinaus in den strahlenden Tag. Die Sonne scheint, und ein leichter, warmer Wind bläst. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Stille umfängt mich. Um mich herum schlafen noch alle. Bis tief in die Nacht hinein war gestern Abend noch gesungen und getrommelt worden, und die Lieder an den Feuern hatten mich durch den Schlaf getragen. Während alle noch in ihren Schlafsäcken liegen und träumen, nutze ich die Zeit und lasse den Blick schweifen. Auch in den beiden kleinen Zelten in meiner Nähe regt sich bislang nichts.

Das Camp aus Zelten und Jurten mit einer großen Bühne aus Metall am Rand umfasst ungefähr hundert Leute aus aller Welt. Weiter unten sieht man einen Bereich aus Biertischen und Bänken mit einem überdachten Areal zum Kochen. Auch hier ist noch nichts los.

Dann suche ich mir einen Weg durch die Zelte, umkreise stillgelegte Lagerfeuer, blicke in leere, mit Essensresten verkrustete Töpfe und komme schließlich ans Ende unserer nomadischen Ansiedlung. Ich lasse das Camp ein wenig hinter mir und wandere in die Steppe hinaus, um einen freien Blick zu erhalten.