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Frauen leiden häufiger als Männer an Migräne, Depressionen, Schlaganfällen – und doppelt so oft an Alzheimer. Woran liegt das? Wie unterscheidet sich das weibliche vom männlichen Gehirn? Die Neurowissenschaftlerin und Ärztin Lisa Mosconi weiß, wie wenig bisher über das weibliche Gehirn geforscht wurde und welche Folgen dies für die Gesundheit von Frauen hat. In ihrem Buch beschreibt sie die drastischen Unterschiede zwischen dem weiblichen und männlichem Hirnstoffwechsel, und wie wir das Gehirn schützen – durch Ernährung, Stressreduktion und besserem Schlaf. Dieses Buch zeigt, was Frauen für die Gesundheit ihres Gehirns und ihres Körpers tun können, um schwere Erkrankungen zu vermeiden und dauerhaftes Wohlbefinden zu erlangen.
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Seitenzahl: 509
Veröffentlichungsjahr: 2020
Dr. Lisa Mosconi
Länger leben, besser schlafen, Demenz vorbeugen- wie Frauen gesund bleiben
Frauen leiden häufiger als Männer an Migräne, Depressionen, Schlaganfällen – und doppelt so oft an Alzheimer. Woran liegt das? Wie unterscheidet sich das weibliche vom männlichen Gehirn? Die Neurowissenschaftlerin und Ärztin Lisa Mosconi weiß, wie wenig bisher über das weibliche Gehirn geforscht wurde und welche Folgen dies für die Gesundheit von Frauen hat. In ihrem Buch beschreibt sie die drastischen Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Hirnstoffwechsel, und wie wir das Gehirn schützen – durch Ernährung, Stressreduktion und besseren Schlaf. Dieses Buch zeigt, was Frauen für die Gesundheit ihres Gehirns und ihres Körpers tun können, um schwere Erkrankungen zu vermeiden und dauerhaftes Wohlbefinden zu erlangen.
Dr. Lisa Mosconi, Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin, hat in Florenz promoviert und leitet die Women’s Brain Initiative und ist Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College, wo sie als Professorin für Neurologie und Radiologie lehrt. Zudem ist sie Mitglied der psychiatrischen Fakultät an der New York University.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «The XX Brain» bei Avery, New York.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2021
Copyright der deutschen Erstausgabe © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«The XX Brain» Copyright © 2020 by Lisa Mosconi
Covergestaltung Anzinger und Rasp, München
ISBN 978-3-644-00808-3
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für die Frauen der Welt und ihr Gehirn, das sie zu dem macht, was sie sind.
Ich bin eine Alzheimer-Tochter.
Bei meinem Vater, Sargent Shriver, wurde 2003 Alzheimer diagnostiziert – 2011 starb er an der Krankheit. Er war mit einem besonders scharfen Verstand gesegnet gewesen, einem wunderbar gestimmten Instrument, das uns oft mit Ehrfurcht erfüllte und inspirierte. Es war außerordentlich schmerzlich mitzuerleben, wie dieser Mann, der ein wandelndes Lexikon gewesen war und so viel über so viele Dinge gewusst hatte, schließlich nicht mehr in der Lage war, einen Löffel oder eine Gabel zu erkennen oder sich an meinen Namen zu erinnern – geschweige denn an seinen eigenen.
Der Kampf meines Vaters mit der Alzheimer-Krankheit und später der Schlaganfall meiner Mutter (ein starker Risikofaktor für Demenz) motivierten mich, mit all meiner Kraft dazu beizutragen, eine Therapie gegen diese verheerende Krankheit zu finden.
Seit mehr als 15 Jahren stehe ich beim Kampf gegen Alzheimer an vorderster Front. Als Aktivistin und Journalistin arbeite ich daran, diese Krankheit ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Wege zu finden, künftige Generationen vor dieser Geißel zu schützen. Ich habe vor dem Kongress gesprochen, die Organisation The Women’s Alzheimer’s Movement gegründet, die preisgekrönte Dokumentation Alzheimer’s Project bei dem Fernsehsender HBO produziert, einen Kinderbuch-Bestseller über Alzheimer geschrieben, um ein Gespräch über Generationen hinweg in Gang zu bringen, und ich war Executive Producer bei dem mit einem Oscar ausgezeichneten Film Still Alice, der die Geschichte einer Frau erzählt, die an Demenz erkrankt.
Im Jahr 2010 habe ich in Zusammenarbeit mit der Alzheimer’s Association den Bericht The Shriver Report: A Woman’s Nation Takes on Alzheimer’s veröffentlicht, in dem wir zum ersten Mal öffentlich darlegten, dass zwei Drittel aller Alzheimer-Patienten Frauen sind. Diese alarmierende Tatsache veranlasste mich, Frauen bei meinem Kampf gegen Alzheimer an die erste Stelle zu setzen.
Denken Sie einmal darüber nach. Alle 65 Sekunden entwickelt eine weitere Person Alzheimer, und von diesen Neuerkrankten sind rund zwei Drittel Frauen – und wir wissen noch immer nicht, warum. Für eine Frau über sechzig ist das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, doppelt so hoch wie das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Warum wird bei einem derart hohen Risiko nicht breit und öffentlich über diese Krise diskutiert?
Und es sind auch Frauen, die zwei Drittel der 40 Millionen unbezahlten Pflegekräfte in den USA ausmachen – 17 Millionen von ihnen kümmern sich ganz allein um Demenzpatienten. Es überrascht kaum, dass sich vergleichbare Zahlen überall auf der Welt finden. Diese Pflegerinnen sind Frauen, die neben ihrer Pflegetätigkeit gleichzeitig im Haus oder außerhalb des Hauses arbeiten (oder beides). Sie versuchen, ein Leben zu bewältigen, zu dem oft auch die Versorgung kleiner Kinder gehört, und übernehmen dabei zugleich die anstrengende Aufgabe, sich um Angehörige mit Demenz zu kümmern. Letzteres ist schon für sich allein ein außerordentlich belastender Job. Wie sollen sich diese Frauen, deren eigene Gesundheit bereits auf dem Spiel steht, genügend um sich selbst kümmern, während sie mit der täglichen körperlichen Belastung, mit Stress und Kummer fertigwerden müssen, denen sie tagein, tagaus, Jahr für Jahr ausgesetzt sind?
Diese Fragen standen im Zentrum meiner Arbeit für The Women’s Alzheimer’s Movement oder WAM. Eine der wichtigsten Aufgaben dieser Bewegung besteht darin, Frauen über ihr Risiko aufzuklären, diese verheerende Krankheit zu entwickeln. Vielleicht noch wichtiger ist es, sie mit den nötigen Informationen auszurüsten, um ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Familienleben in die Hand zu nehmen, indem sie lernen, sich ihr ganzes Leben lang um ihr Gehirn zu kümmern. Zudem finanzieren wir auf Frauen ausgerichtete Alzheimer-Forschung und entwickeln Wege, diese Forschung in die Praxis umzusetzen. Unser Ziel ist es, die Einrichtung exzellenter medizinischer Zentren zu unterstützen, die Menschen – vor allem aber Frauen – helfen, Ärztinnen und Ärzte sowie die nötige Expertise zu finden, die sie brauchen, um Alzheimer hinauszuzögern oder der Krankheit vorzubeugen. Wir wissen, dass es bei Frauen spezifische Arten und Weisen gibt, diese Krankheit zu entwickeln, die sich von denjenigen bei Männern unterscheiden. Und wir wissen auch, dass es, medizinisch gesehen, spezielle kritische Momente und Ereignisse im Leben einer Frau gibt, die unter Umständen ihr Risiko erhöhen, an Alzheimer zu erkranken. Warum sollten wir daher nicht so viel wie möglich über das Gehirn einer Frau und dessen Verbindung mit ihrem allgemeinen Gesundheitszustand lernen, um Interventionen anbieten zu können und damit den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit zu verzögern, wenn ihm nicht gar vorzubeugen?
Das Buch, das Sie gerade in Händen halten, Das weibliche Gehirn, weist Ihnen den richtigen Weg.
Dr. Lisa Mosconi hat ihre gesamte berufliche Laufbahn der Erforschung dieses Problems gewidmet. Auch ihr Leben wurde von Alzheimer beeinflusst. Ihre Großmutter war eines von vier Kindern; sie hatte zwei jüngere Schwestern und einen Bruder. Alle drei Schwestern starben an Alzheimer, während ihr Bruder verschont blieb. Als Lisas Großmutter so krank wurde, dass sie ständige Pflege benötigte, übernahm Lisas Mutter die äußerst strapaziöse Rolle der Hauptpflegerin und setzte sich damit auch dem Stress und der zehrenden emotionalen Belastung aus, die mit der Übernahme einer solchen Aufgabe einhergeht. Lisa erlebte aus erster Hand, wie Alzheimer offenbar selektiv die Frauen um sie herum ins Visier nahm, und sah gleichzeitig, dass die Hauptlast der Pflege ebenfalls auf den Schultern der Frauen des Haushalts ruhte. Der tiefgreifende Einfluss, den diese Erfahrungen auf ihr Leben ausübten, brachte sie dazu, nach den Antworten zu suchen, die Sie in diesem Buch finden.
Dr. Lisa Mosconi, die sich dies zur Lebensaufgabe gemacht hat, zeigt nun einen Weg auf, wie sich Frauen vor Demenz schützen können, die für sie die Pflege anderer oder die eigene Erkrankung bedeuten kann.
Wie Sie auf den kommenden Seiten lesen werden, hat die Medizin lange Zeit eine Geschlechterungleichheit in Bezug auf Gehirngesundheit einfach hingenommen – eine Disparität, die durch die Tatsache «wegerklärt» wurde, dass Frauen in der Regel länger leben als Männer. Aber inzwischen wissen wir, dass dabei auch andere Faktoren eine Rolle spielen.
Während sich die meisten auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die für Alzheimer so typischen Knäuel und Plaques konzentrierten, vermutete Lisa Mosconi eine Verbindung zwischen Stoffwechselgesundheit und der erhöhten Alzheimer-Prävalenz von Frauen. Sie folgte ihrem Bauchgefühl, als sie vermutete, unsere Hormone könnten eine Schlüsselrolle dabei spielen, dass Frauen besonders anfällig für diese Krankheit sind. Gemeinsam mit einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ebenso dachten und mit dem Status quo unzufrieden waren, wollte sie sich genauer anschauen, auf welche Weise Geschlechtshormone und die beiden XX-Chromosomen einen ganz speziellen Einfluss auf die weibliche Gesundheit ausüben. Wie sich herausgestellt hat, treffen neben Alzheimer auch andere Krankheiten wie Depressionen, stressbedingte Leiden, Autoimmunerkrankungen und Entzündungen Frauen anders und oft schwerer, als es bei Männern der Fall ist.
Ich lernte Lisa Mosconi kennen, als ich mich bei einem der führenden Vertreter auf dem Gebiet der Alzheimer-Prävention, Dr. Richard Isaacson, einem kognitiven Basistest unterzog. Richard startete am Weill Cornell und am New York-Presbyterian Hospital ein Alzheimer-Präventionsprogramm, womit er seiner Zeit weit voraus war. Die WAMunterstützt seine Bemühungen seit 2016; er sucht nach wissenschaftlichen Fakten, die eine Verbindung zwischen Änderungen des Lebensstils und einer Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit belegen, darunter auch einer Reduzierung des Risikos, an Alzheimer zu erkranken. Im Jahr 2017 machte mich Richard mit der neuen Wissenschaftlerin bekannt, die er gerade von einem anderen Krankenhaus abgeworben hatte, um mit ihr als stellvertretende Direktorin der Klinik zu arbeiten. Er wusste, dass ich mich für ihre Arbeit interessieren würde, da ihr Fokus auf Frauen lag. Lisa Mosconi hatte gerade die erste Studie publiziert, die zeigt, dass das weibliche Gehirn in den Jahren vor und nach der Menopause anfälliger für Alzheimer werden kann, und seitdem beschäftigt sie sich vorwiegend mit der Verbindung zwischen den Hormonen jüngerer Frauen und deren Auswirkungen auf das Gehirn. Auch dank ihrer Arbeit wissen wir inzwischen, dass Frauen nicht erst nach den Wechseljahren anfangen dürfen, über Gehirngesundheit nachzudenken, sondern bereits Jahrzehnte zuvor. Dr. Mosconis innovative Arbeit veranlasste uns, sie einzuladen, dem WAM Scientific Advisory Council beizutreten, und 2018 begannen wir, eines ihrer Forschungsprojekte zu unterstützen.
Als ich Lisa Mosconi für die Today-Show interviewte, sagte sie etwas, das mich zutiefst erschütterte: «850 Millionen Frauen in aller Welt sind gerade in die Wechseljahre gekommen oder stehen kurz davor.» Ich wiederhole: 850 Millionen Frauen. Sie fuhr fort: «Als ob Hitzewallungen, Schlaflosigkeit und Gewichtszunahme noch nicht genug wären, können die Wechseljahre für manchen Frauen auch der Beginn eines lebenslangen Kampfes mit Demenz sein.»
Ganz offensichtlich brauchen wir eine Lösung.
Als Gesellschaft ist uns nicht genügend bewusst, wie hormonelle und gesundheitliche Sachverhalte, die besonders für Frauen von Bedeutung sind – gewisse Medikationen, Schwangerschaft, Perimenopause, ja sogar Schlafmangel –, unser Gehirn beeinflussen. Die meisten verschreibungspflichtigen Medikamente, die Frauen einnehmen, sind nur an Männern getestet worden. Die meisten medizinischen Fachleute, die Frauen meines Alters normalerweise aufsuchen, sind männlich. Wenn es sich nicht gerade um Ihren Gynäkologen handelt, spricht er mit Ihnen nicht über Hormone. Und er spricht mit Ihnen auch nicht über Wechseljahre. Und niemand spricht mit Ihnen über die Perimenopause.
Die einzigartige weibliche Physiologie verdient und fordert Staunen, Respekt und Forschung, und dies in einer Weise, mit der wir uns gerade erst angemessen zu befassen beginnen. Vielleicht kann diese Krise, ausgelöst durch eine Alzheimer-Epidemie, die Frauen so mitleidlos von allen Seiten bedrängt, gleichzeitig eine Revolution in der Gesundheitsfürsorge für Frauen auslösen – eine Revolution mit sehr langer Vorlaufzeit.
In dieser Situation kommt uns Dr. Mosconi als Retterin in der Not zu Hilfe.
Lisa Mosconis Arbeit war entscheidend für die Entdeckung, dass das weibliche Gehirn empfindlicher auf hormonelle Einflüsse wie auch auf spezifische medizinische und lebensstilbedingte Risikofaktoren reagiert als das männliche. Im vorliegenden Buch zeigt sie uns Schritt für Schritt, auf welche Weise wir uns geistig und körperlich pflegen und schützen können, um sicherzustellen, dass unser Gehirn unser ganzes Leben lang flexibel und widerstandsfähig bleibt – vor, während und nach den Wechseljahren. Sie lehrt uns, selbst aktiv zu werden, wenn es darum geht, unsere individuellen Risiken zu verstehen und zu testen, bereitet uns darauf vor, einen Gesundheitsplan zu entwerfen, und stattet uns dann mit den entscheidenden Kenntnissen aus, die uns ermöglichen, unter den therapeutischen Optionen die besten auszuwählen. Ihre Ergebnisse sind personalisiert und zielorientiert und bieten ein robustes, maßgeschneidertes Programm, das modernste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt. Als Wissenschaftlerin liegt es ihr fern, uns ein Wundermittel zu versprechen, das alles im Handumdrehen ins Lot bringt. Stattdessen fordert sie uns auf, uns aktiv um unser gesundheitliches Wohl zu kümmern.
Das Sich-Kümmern um das eigene Gehirn muss früh beginnen. Es erfordert Ausdauer. Es erfordert Disziplin. Aber es zahlt sich aus – lebenslang.
Zu den aufregendsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Gehirngesundheit gehört die Nachricht, dass Veränderungen des Lebensstils so auf eine Person zurechtgeschnitten werden können, dass sie die Reparatur, Verjüngung und Langlebigkeit des Gehirns fördern. Wo Medikamente nach wie vor versagen, reagieren insbesondere Frauen bemerkenswert positiv auf geschlechtsspezifische medizinische und Lebensziel-Anpassungen. Lisa war von Beginn dieser Entwicklung an ganz vorne dabei.
Diese Erkenntnis ist entscheidend, denn Alzheimer ist eine Gehirnerkrankung, die schon 20 bis 30 Jahre vor Auftreten der ersten Symptome ihren Anfang nimmt. Auch wenn gangbare Verbesserungen in jedem Alter machbar sind, bleiben möglichst frühzeitige Interventionen der Schlüssel zum Erfolg. Wie wir heute leben, beeinflusst unsere spätere Lebensqualität. Selbst wenn Ihre Gesundhit für Sie bislang nicht im Vordergrund stand, können Sie heute mit Veränderungen beginnen, die im wahrsten Sinne des Wortes «die Lage retten» können.
Ich persönlich habe viele der Empfehlungen zur Gehirngesundheit in diesem Buch aufgegriffen. Ich habe meine Ernährung umgestellt, wenn auch nicht so sehr, wie ich es wahrscheinlich sollte. Ich schlafe mehr. Ich versuche, mein Stressniveau zu reduzieren. Ich habe immer schon Sport getrieben, doch ich versuche nun, ihn anders zu betreiben. Ich versuche, möglichst wenig mit toxischen Inhaltsstoffen konfrontiert zu werden. Ich versuche, in der Natur spazieren zu gehen und die Technik außen vor zu lassen. Ich habe ein spirituelles Leben, das einen großen Teil meines Seins ausmacht. Ich versuche, sozial aktiv zu bleiben. Ich versuche, neue Dinge zu lernen. Tatsächlich lerne ich gerade, Poker zu spielen.
Wie es dem Buch bei mir gelungen ist, hoffe ich, dass Das weibliche Gehirn Sie inspirieren kann, sich mit dem Wissen, das Dr. Lisa Mosconi Ihnen an die Hand gibt, einen Weg zu bahnen. Als Frauen haben wir jedes Recht, evidenzbasierte, wissenschaftlich belastbare Informationen zu fordern, die uns sagen, was wir als Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter und Enkelinnen jetzt tun können, um unsere gesundheitlichen Risiken zu mindern, während wir unsere kognitive Gesundheit optimieren. Es ist höchste Zeit, dass wir uns informieren, wie wir Hilfe für Familienmitglieder in Not erhalten können. Gleichzeitig müssen wir uns selbst mit dem Bewusstsein und den nötigen Instrumenten bewaffnen, um unser eigenes körperliches und geistiges Wohlergehen sicherzustellen.
Lisa Mosconi und ich teilen dieselbe Passion. Uns ist es sehr wichtig, Frauen dazu zu bringen, ihrer Gehirngesundheit in dieser Weise Priorität einzuräumen. Ebenso wollen wir Frauen ermutigen, besser auf sich selbst zu achten und ihren Körper insgesamt wertzuschätzen. Wir möchten Sie inspirieren, sich für die Gesundheit von Frauen einzusetzen, neugierig zu bleiben und sich weiterzubilden, Ihre Stimme zu erheben und nach den Antworten zu verlangen, die Sie brauchen, um bei guter Gesundheit zu bleiben.
Ich wünschte, ich hätte dieses Buch in meinen Zwanzigern lesen können. Ich wünschte, jemand hätte mit mir nach der Geburt jedes meiner vier Kinder über die Veränderungen gesprochen, die Schwangerschaft und Geburt sowie die Zeit danach für meine kognitive Gesundheit mit sich bringen können. Ich wünschte, jemand hätte mich in meinen Vierzigern über die Veränderungen aufgeklärt, die im nächsten Jahrzehnt nicht nur in meinem Körper eintreten würden, sondern auch in meinem Gehirn. Ich habe solche Informationen damals nicht erhalten, aber ich bin dankbar, dass es dieses Buch nun gibt, für meine Töchter und die Generationen von Frauen, die, so hoffe ich, lernen werden, sich um ihr Gehirn zu kümmern – und so ihr Risiko verringern, Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zu entwickeln.
Ich sage oft, dass unser Verstand unser größter Trumpf ist. Er begleitet uns unser ganzes Leben lang; daher ist der Zeitpunkt, sich darum zu kümmern, jetzt gekommen. Und wenn wir alle auch bereits in jungen Jahren beginnen sollten, uns um unser Gehirn zu kümmern, so ist es doch – ganz gleich, wie alt wir sind – niemals zu spät, und das gilt auch für heute. Ich hoffe, Dr. Lisa Mosconi wird Sie mit diesem Buch dazu inspirieren, dies zu tun, und die Reise in Ihr Gehirn wird Ihnen Spaß machen!
Maria Shriver
Die Gleichberechtigung von Frauen, die seit den Tagen der amerikanischen Suffragetten und der Women’s-Lib-Bewegung auf der ganzen Welt so weit gekommen ist, wird gerade in Echtzeit neu bewertet. Zwischen #MeToo auf der einen Seite und Lean in (Autobiographie der Facebook-Erfolgsfrau Sheryl Sandberg) auf der anderen Seite, zwischen der ständig wachsenden Forderung an Frauen, trotz der nach wie vor bestehenden Gehaltslücke in gleicher Weise zum Arbeitsmarkt und zum Haushalt beizutragen, stellt sich tagtäglich die Frage, wie gleich oder wie anders Frauen sind. Gleichzeitig tobt in der Öffentlichkeit eine Diskussion darüber, was es überhaupt bedeutet, eine Frau zu sein.
Ich begann mit dem Schreiben dieses Buches unter dem Eindruck von #MeToo, eine Bewegung, die aus einem neuen Erkennen heraus entstand, auf welch unterschiedliche Arten Frauen unverblümt missbraucht und attackiert werden. Es gibt jedoch tiefgründigere Strömungen in dieser Bewegung, die stattdessen davon sprechen, wie Frauen in subtilerer Form unterdrückt werden – nicht attackiert, sondern vernachlässigt, abgewiesen und manchmal auch sabotiert.
Global gesehen, werden Frauen finanziell benachteiligt, indem sie durchgängig und überall weniger verdienen als Männer. In großen Teilen der Welt sind sie in vielerlei Hinsicht juristisch schlechtergestellt, werden manchmal sogar als eine Art Besitz angesehen. Sie werden in ihrer intellektuellen Entfaltung behindert, denn Frauen machen zwei Drittel der 774 Millionen Analphabeten im Erwachsenenalter auf der Erde aus, eine Zahl, die sich in den letzten zwanzig Jahren nicht wirklich verändert hat. Solche Ungleichheiten kommen überall ans Licht – es bleibt jedoch abzuwarten, ob mehr oder lautere Stimmen tatsächlich zu Veränderungen führen.
Doch bei all den Diskussionen über die mannigfaltigen Weisen, in denen Frauen anders als Männer behandelt werden, wird ein Thema völlig vernachlässigt, das mir besonders am Herzen liegt: die ausgeprägte Geschlechterungleichheit, wenn es um Gesundheit und Wohlbefinden geht.
Frauen sind nicht nur in Hinsicht auf ihre soziale, finanzielle und physische Sicherheit benachteiligt, auch ihre Gesundheit ist in großer Gefahr. Uns Frauen wurde versprochen, wir könnten «alles haben», doch wir mussten feststellen, dass dies gleichbedeutend mit «alles tun» ist. Und wir müssen heutzutage nicht nur alles tun, sondern das auch noch für ein geringeres Gehalt und weniger Anerkennung – all dies auf Kosten unserer Gesundheit. Wir werden darauf trainiert zu schauen, wie viele Bälle wir gleichzeitig in der Luft halten können, und man ermutigt uns, uns mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, sie dort zu halten, einfach so.
Während wir diesen schwierigen Hindernislauf absolvieren, tendieren wir dazu, dabei sehr hohe Standards anzusetzen, wodurch viele von uns Körper und Geist ständig stark überfordern. Und während wir wie verrückt jonglieren, drängt uns die Gesellschaft dazu, dabei bloß nicht ins Schwitzen zu geraten, stets zu lächeln und überdies sicherzustellen, dass wir «gut aussehen». Auf der langen Liste von gesellschaftlichen, kulturellen und familiären Forderungen an Frauen hat unsere Gesundheit leider keinen Platz. Man braucht keine Wissenschaftlerin zu sein, um darauf hinzuweisen, dass hier etwas schiefläuft.
Es bedarf jedoch tatsächlich einer Wissenschaftlerin, um anzuprangern, dass Frauen auch medizinisch links liegengelassen werden, denn selbst in der Medizin werden unsere Belange zu oft übersehen, missverstanden oder nicht berücksichtigt. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Medizin historisch von Männern dominiert wurde, was dazu führte, dass das grundlegende Modell für einen Großteil der medizinischen Forschung nicht der Mensch, sondern der Mann war. Aus einer ganzen Reihe von Gründen, die wir im Verlauf dieses Buches diskutieren wollen, sind medizinische Maßnahmen weitgehend an Männern getestet und nach ihren Bedürfnissen dosiert worden und basieren auf dem männlichen Modell.
Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern die Folge tief verwurzelter Annahmen, die Ärzte Jahrhunderte hindurch dazu verleitet haben, eine «Bikini-Medizin» zu lehren und zu praktizieren. Für diejenigen von Ihnen, denen dieser Begriff nichts sagt: Einen Großteil der Geschichte hindurch gingen Ärzte davon aus, dass sich Männer und Frauen nur durch diejenigen Körperteile unterscheiden, die bei Frauen von den kleinen Stoffdreiecken eines Bikinis bedeckt sind – nämlich unsere Fortpflanzungsorgane. Abgesehen von diesen «Partien» – als wenn man davon absehen könnte –, diagnostizierten und behandelten die meisten Ärzte beide Geschlechter auf genau die gleiche Weise. Dieser verzerrte Ansatz ist in den «harten» Wissenschaften genauso vorherrschend und höchst destruktiv wie in vielen anderen Aspekten unserer gesamten Kultur.
Angesichts der Weltsicht, die sich von diesem Modell ableitet, ist schon die Idee der weiblichen Gesundheit an sich problematisch. Wenn man Ärzte auffordert, sich eine Patientin unter dem Gesichtspunkt der «Frauengesundheit» anzuschauen, werden sie wahrscheinlich eine Mammographie durchführen oder einen Cervixabstrich machen, um nach Krebs zu suchen. Das Blut auf Östrogen und andere Hormone zu testen, gehört ebenfalls zur üblichen Praxis. Frauengesundheit beschränkt sich auf die Gesundheit unserer Fortpflanzungsorgane. Damit soll nicht bestritten werden, dass all diese Verfahren die Leben von Millionen Frauen in aller Welt verändert und verbessert haben. Dennoch sind genau diese Forschungs- und Interventionsschwerpunkte direkte Konsequenzen einer reduktiven Auffassung für das, was eine Frau ist.
An meinem Arbeitsplatz als Direktorin der Women’s Brain Initiative am Weill Cornell Medical College und stellvertretende Direktorin der ersten Alzheimer’s Prevention Clinic (Klinik zur Vorbeugung gegen Alzheimer) in den USA durchsuche ich die Pressemitteilungen jeden Tag nach einer Schlagzeile, die bislang noch nicht aufgetaucht ist. Es geht um die ungeschriebene Geschichte der Gesundheit eines Teils des weiblichen Körpers, den kein Bikini jemals bedecken wird: des Gehirns.
Die Gesundheit des weiblichen Gehirns ist einer der am stärksten vernachlässigten Problembereiche, ein Gebiet, das aufgrund des auf Männern basierenden medizinischen Paradigmas ständig unter den Teppich gekehrt wird. Unter all den Dingen, mit denen eine Frau sich angeblich beschäftigen soll, spielt unser Gehirn seltsamerweise kaum eine Rolle. Und nur wenige Ärzte sind imstande, die weibliche Gehirngesundheit (die sich in vielfacher Weise von der männlichen unterscheidet) wirklich zu beurteilen.
Im Rahmen meiner Arbeit stütze ich mich natürlich auch auf die bereits erwähnten Tests zur Frauengesundheit, um unsere Patientinnen besser zu verstehen und ihnen besser helfen zu können. Aber wenn ich an Frauengesundheit denke, greife ich zu Techniken zur Gehirndarstellung (Brain-Imaging-Techniken) wie Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronenemissionstomographie (PET), um zu sehen, was in den Köpfen unserer Patientinnen vor sich geht. Denn dort laufen einige der wirklich wichtigen dynamischen Vorgänge der Frauengesundheit ab. Weit mehr als unsere Brüste und Eierstöcke sind unsere Gehirne bedroht.
Wenn sich das übertrieben anhört, hier sind die Statistiken, die den meisten Menschen nicht vertraut sind:
Frauen entwickeln doppelt so oft Angststörungen und Depressionen wie Männer.
Frauen haben im Vergleich zu Männern ein mehr als dreifach höheres Risiko, an einer Autoimmunstörung zu erkranken, einschließlich solcher, die das Gehirn angreifen, wie etwa Multiple Sklerose.
Frauen haben im Vergleich zu Männern ein vierfach erhöhtes Risiko, an Migräne und Kopfschmerzen zu leiden.
Frauen bilden häufiger als Männer Meningeome aus, die häufigsten Hirntumore.
Mehr Frauen als Männer sterben an Schlaganfällen.
Aus Sicht der Neurowissenschaften zeichnet sich aber eine weitere, noch folgenreichere Gefahr für unsere kollektive und individuelle Zukunft am Horizont ab – eine stille Epidemie, die vor allem Frauen bedroht und derer sich die meisten Menschen gar nicht bewusst sind.
Die Alzheimer-Krankheit sucht das 21. Jahrhundert heim. In den meisten Regionen der Welt gibt es kaum jemanden, der nicht eine persönliche Geschichte darüber erzählen kann, wie diese Krankheit einen nahestehenden Menschen ergriffen hat, sei es einen Eltern- oder Großelternteil, einen geliebten Verwandten oder einen engen Freund. Jenseits dieser schmerzlichen persönlichen Geschichten zeichnet sich inzwischen ein breiteres kollektives Narrativ ab.
Von allen Herausforderungen, mit denen sich das alternde Gehirn konfrontiert sieht, ist nichts mit dem beispiellosen Ausmaß der Alzheimer-Krankheit vergleichbar, die inzwischen zur häufigsten Form der Demenz geworden ist und gegenwärtig allein in den Vereinigten Staaten 5,7 Millionen Menschen betrifft.[1] Wenn die Erkrankungsraten weiter in ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit zunehmen, wird sich die Anzahl der Betroffenen bis 2050 fast verdreifachen. Das heißt, dass dann rund 15 Millionen Amerikaner an Alzheimer leiden werden. Um das in Relation zu setzen: Das entspricht den Einwohnerzahlen von New York, Chicago und Los Angeles zusammengenommen. Weltweit wird die Zahl der Alzheimer-Kranken dann zwischen der Bevölkerungsgröße von Russland und Mexiko liegen!
Kurz gesagt: Uns steht nichts weniger als eine Alzheimer-Epidemie bevor.
Gleichzeitig müssen wir uns der Tatsache bewusst werden, dass Alzheimer Männer und Frauen nicht in gleichem Umfang betrifft. Die meisten Menschen wissen nicht, dass Alzheimer seine eigene Epidemiologie hat und bei einem selektiven Teil der Bevölkerung stark überrepräsentiert ist. Tatsächlich nimmt Alzheimer vor allem Frauen ins Visier. Um es klar zu sagen: Nach aktuellen Statistiken sind heute zwei von drei Alzheimer-Patienten Frauen.
Alzheimer ist inzwischen eine ebenso reale Bedrohung für die weibliche Gesundheit wie Brustkrebs. Das Risiko für Frauen in ihren Sechzigern, im weiteren Verlauf ihres Lebens an Alzheimer zu erkranken, ist rund doppelt so hoch wie ihr Risiko, Brustkrebs zu entwickeln. Und dennoch gilt Brustkrebs eindeutig als Frauengesundheitsthema, Alzheimer hingegen nicht. Eine der verblüffendsten Tatsachen dieser Krankheit ist, dass das Risiko einer 45-jährigen Frau, im weiteren Verlauf ihres Lebens Alzheimer zu entwickeln, 20 Prozent beträgt, bei einem Mann gleichen Alters hingegen nur 10 Prozent.[2] Damit soll das Leiden von Männern mit Alzheimer nicht heruntergespielt werden. Aber wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass letzten Endes deutlich mehr Frauen am Ende ihres Lebens unter Alzheimer leiden werden.
Und als wäre das noch nicht genug, sind es wieder einmal Frauen, die die Hauptlast der Betreuung in dieser anhaltenden Krise tragen. Denn es sind überwiegend Frauen, die sich – freiwillig oder nicht – in der Rolle der Vollzeit-Pflegekraft wiederfinden. Gegenwärtig leisten 10 Millionen Amerikanerinnen unbezahlte Pflegearbeit und unterstützen demenzkranke Verwandte, und sie alle zahlen den hohen emotionalen und finanziellen Tribut, der mit dieser zermürbenden Arbeit einhergeht.
Es ist an der Zeit, diese Zahlen anzuerkennen – nicht nur, um dieser flächendeckenden Epidemie entgegenzutreten, sondern auch, um diese spezifische Krise für die Frauengesundheit endlich als solche zu sehen, sie wissenschaftlich zu erforschen und darauf zu reagieren. In den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen wie ich wachsende Anstrengungen unternommen, um herauszufinden, was genau am weiblichen Gehirn uns eigentlich so anfällig dafür macht, Alzheimer und ein breites Spektrum anderer Hirnerkrankungen auszubilden. Warum passiert das? Können wir es verhindern? Unsere Studien haben eine ganze Palette provokanter existenzieller und wissenschaftlicher Fragen aufgeworfen, darunter nicht zuletzt diese: Warum haben wir all dies nicht schon längst herausgefunden?
Schon immer haben bestimmte Krankheiten die Geschlechter unterschiedlich betroffen. Dass wir diese Krankheiten in Bezug auf die Gesundheit von Frauen verstehen (oder missverstehen), ist noch nicht lange der Fall. Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass es nicht um den absichtlichen Versuch ging, die Gesundheit von Frauen zu unterminieren, aber auch niemand wirklich darüber nachdachte, wie sich gewisse Entscheidungen auf uns auswirken würden.
In den 1950er Jahren und Anfang der 1960er wurde schwangeren Frauen gegen Schwangerschaftsübelkeit häufig der Wirkstoff Thalidomid verschrieben. Ein paar Jahre später stellte sich heraus, dass das vermeintlich harmlose Mittel bei vielen tausend Kindern zu schweren angeborenen Schäden geführt hatte. Das veranlasste die amerikanische Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde (FDA), den Einsatz dieses Medikaments zu verbieten. Um Risiken für den Fötus zu vermeiden, empfahl die FDA zudem, alle Frauen im gebärfähigen Alter so lange von sämtlichen explorativen klinischen Studien auszuschließen, bis die Sicherheit und Wirksamkeit des getesteten Medikaments feststand.[3] Diese vorsichtige Haltung wurde jedoch missinterpretiert und auf sämtliche Studientypen ausgeweitet, was im Endeffekt dazu führte, dass alle Frauen von der Pubertät bis zum Abschluss der Wechseljahre von der Teilnahme an der medizinischen Forschung ausgeschlossen wurden. Infolgedessen gab es in der medizinischen Forschung auch keine Informationen über Frauengesundheit mehr.
Überdies konzentrierten sich auch Tierversuche auf Männchen, da ihre Ovulationszyklen Weibchen angeblich zu «unzuverlässig» für wissenschaftliche Studien machten. Somit wurde Forschung jahrzehntelang ganz überwiegend an männlichen Zellen, männlichen Mäusen und männlichen Patienten betrieben, die die medizinische Praxis ihrerseits mit Daten versorgten, die auf die Hälfte der Bevölkerung nicht (oder nur teilweise) zutrafen. «Normal» bedeutete «männlich».
Schließlich brachte die Aids-Epidemie in den 1980er Jahren die erste wirkliche Herausforderung für jene «protektionistische» Politik mit sich, die die Teilnahme von Frauen an der medizinischen Forschung verhinderte. Aktivisten kämpften unermüdlich darum, die FDA zu überzeugen, Patienten Zugang zu experimentellen Medikamenten zu ermöglichen, mit denen sich Aids vielleicht behandeln ließ. Dieser mühsame und schwer erkämpfte Sieg mobilisierte Tausende von Frauen, die ihren gerechten Anteil daran einforderten. Zur gleichen Zeit führte ein dramatischer Anstieg an Frauen, die in den 1970er Jahren ein Medizinstudium aufgenommen hatten, zu einer wachsenden Gruppe von im Gesundheitswesen tätigen Frauen, die willens und in der Lage waren, den Status quo, der die Frauengesundheit behinderte, in Frage zu stellen. Frauen nahmen nun auch wichtige Positionen im Kongress ein, Frauen engagierten sich beruflich in der Gesundheitspflege und wurden dabei von Frauengruppen, die ihre Interessen im Auge hatten, unterstützt – so begann sich eine Front zu bilden, die gemeinsam und energisch auf diese Versäumnisse hinwies. Warum wurde Frauengesundheit auf Gynäkologie und Geburtshilfe beschränkt? Wie konnte man die gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen auf wenig mehr als einen oft ignorierten Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und Kinderbetreuungsdienste reduzieren?
Der darauffolgende Eklat führte dazu, dass das Government Accountability Office (ein vom Kongress eingesetztes Kontrollorgan, das ein Auge auf die bundesstaatlichen Ausgaben hat) in den 1990er Jahren einen provokanten Bericht veröffentlichte, der bemängelte, dass Frauen in klinischen Studien nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Schließlich waren einige der größten Studien, wie die Physicians’ Health Study und das Multiple Risk Factor Intervention Trial (bekannt unter dem ironischen Akronym MR. FIT) ausschließlich mit männlichen Probanden durchgeführt worden. Der Bericht war so überzeugend, dass sich die National Institutes of Health (Nationale Gesundheitsinstitute) veranlasst sahen, das Office of Research on Women’s Health zur Förderung der Frauengesundheitsforschung zu gründen. Wenige Jahre später wurde der Revitalization Act verabschiedet, der fordert, dass Frauen bei humanmedizinischen Forschungsvorhaben als Teilnehmerinnen berücksichtigt werden.
Heute sind wir Wissenschaftler nicht nur in Europa gesetzlich verpflichtet, Männer und Frauen für die Forschung zu rekrutieren. Aber anstatt die Auswirkungen auf jedes Geschlecht separat zu betrachten, werfen die meisten Studien alle Daten am Ende in einen Topf. Durch sorgfältige statistische Manipulationen der gesammelten Daten werden anschließend oft alle wichtigen Indikatoren für Unterschiede zwischen den Geschlechtern entfernt. Wir sollten solchen Befunden nicht ohne weiteres trauen. Diese Praxis, die keineswegs in intellektueller Trägheit oder Kurzsichtigkeit ihren Ursprung hat, geht häufig auf eine zu knappe Finanzierung zurück. Um Männer und Frauen unabhängig voneinander zu betrachten, benötigt eine Studie die doppelte Anzahl von Versuchspersonen, die doppelte Zeit und doppelt so viel Geld. Viele Forscher haben keine andere Wahl, als das Geschlecht aus der Gleichung herauszurechnen und dessen nicht zu leugnenden Einfluss auf das Studienergebnis zu unterschlagen. Infolgedessen stammen die Informationen, die Ärztinnen und Ärzten über Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten bekannt sind, bis heute aus zugunsten von Männern verzerrten oder «geschlechtslosen» Studien.
Diese Hartnäckigkeit, mit der Männer und Frauen als biologisch gleich betrachtet werden, ist besonders frustrierend, wenn man bedenkt, dass geschlechtsspezifische genetische und hormonelle Faktoren einen enormen Einfluss darauf haben, wie wir auf ein Medikament reagieren und wie wirksam dieses Medikament ist.
So wissen wir beispielsweise seit langem, dass Frauen Medikamente anders verstoffwechseln als Männer und oft andere Dosierungen benötigen. Dennoch werden Dosierungen nur selten entsprechend dem Geschlecht angepasst,[4] was dazu führt, dass Frauen im Vergleich zu Männern ein doppelt so hohes Risiko für eine unerwünschte Arzneimittelwirkung haben. Dieser Effekt zeigt sich auch darin, dass acht der zehn verschreibungspflichtigen Medikamente, die zwischen 1997 und 2000 vom US-amerikanischen Markt genommen wurden, für Frauen ein größeres Gesundheitsrisiko darstellten als für Männer. Ein weiteres schockierendes Beispiel für diesen Trend zeigt sich in der allzu häufig verschwiegenen Geschichte, die hinter der Substanz Flibanserin steckt, dem «weiblichen Viagra».[5] Als es um die Nebenwirkungen des Arzneistoffs ging, bestand die Gruppe der Testpersonen aus 23 Männern und nur 2 Frauen!
Amerikas beliebtestes Schlafmittel mit dem Wirkstoff Zolpidem (besser bekannt als Ambien) ist ein weiterer Fall, der belegt, wie diese Einseitigkeit oft zu gefährlichen Schlussfolgerungen führt, bevor Geschlechtsunterschiede medizinisch berücksichtigt werden. Im Jahr 2012 wurde deutlich, dass Männer und Frauen, die exakt die gleiche Dosis Zolpidem einnahmen, drastisch unterschiedliche Reaktionen zeigten. Die betroffenen Frauen «auf Ambien» hatten ein erhöhtes Risiko, am nächsten Morgen zu schlafwandeln, im Schlaf zu essen und sogar Auto zu fahren, was zu medikamentenspezifischen Autounfällen führte. Warum? Wie sich herausstellte, erreichen Frauen bereits bei viel geringeren Dosierungen als Männer eine maximale Zolpidem-Konzentration im Blut. Schließlich forderte die medizinische Gemeinschaft eine Neubewertung des Medikaments, was dazu führte, dass die FDA die zuvor empfohlene Dosis für Frauen halbierte! Zwei Jahrzehnte lang hatten Millionen Frauen jedoch eine viel zu hohe Dosis des Medikaments eingenommen und waren in Gefahr gebracht worden, nur weil sie Anweisungen folgten, die frauenspezifische Kriterien ignorierten. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, sind hohe kumulative Dosen von Zolpidem in jüngerer Zeit mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung gebracht worden.[6]
Das wirft die Frage auf, wie viele andere Beispiele es in der Medizin für geschlechtsspezifische Versehen gibt, die zulasten von Frauen gehen. Je mehr wir uns damit beschäftigen, desto häufiger finden wir Beispiele, etwa spektakuläre Diskrepanzen hinsichtlich unserer Fähigkeit, Frauen einfach nur korrekt zu diagnostizieren. Frauen werden nicht nur Medikamente bis zur Überdosierung verschrieben, sondern sie erhalten auch eher eine Fehldiagnose, oder ihre Symptome werden nicht richtig erkannt, weil Ärztinnen und Ärzte sich auf mangelhafte Daten stützen.
Aus der Kardiologie stammen einige der bekanntesten Beispiele dafür, was in der Medizin bei Patientinnen falschläuft. Tragischerweise haben Frauen im Vergleich zu Männern ein um das Siebenfache erhöhtes Risiko, fehldiagnostiziert und bei einem Herzinfarkt nach Hause geschickt zu werden.[7] Das Problem ist, dass Ärzte die Symptome bei Frauen nicht erkennen, da sie sich unter Umständen stark von denjenigen bei Männern unterscheiden und zudem ganz allgemein schwächer ausgeprägt sind. Offenbar berichtet nur eine von acht Patientinnen über Beschwerden wie beim sogenannten Hollywood-Herzanfall (mit Engegefühl im Brustkorb und starken Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen); wie sich herausgestellt hat, ist dies eine typisch männliche Symptomatik. Stattdessen zeigen mehr als 70 Prozent der Frauen grippeähnliche Symptome, wie Kurzatmigkeit, kalten Schweiß oder Übelkeit und Schmerzen im Rücken, Kiefer oder Magenbereich – und all das kann ganz ohne Brustschmerzen auftreten.
Welche anderen Symptome entgehen uns, wenn wir eine Frau so diagnostizieren, als sei sie ein Mann? Wie viele von uns sind bereits fehldiagnostiziert worden und werden auch weiterhin fehldiagnostiziert? All dies führt leider sehr häufig dazu, dass Gesundheitsprobleme von Frauen heruntergespielt oder nicht ernst genommen werden. Um alles noch schlimmer zu machen, bekommen Frauen eher als Männer zu hören, ihre Schmerzen seien psychosomatisch, hypochondrisch oder eine Folge emotionaler Belastung.[8] In den meisten Fällen verlässt eine Frau, die Schmerzen hat, die Arztpraxis mit einem Rezept für ein Antidepressivum statt für ein Schmerzmittel.
In der Medizin ist es eine schlichte Tatsache, dass wir uns um Frauen nicht so gut kümmern wie um Männer. Eine Frau muss letztendlich oft beweisen, dass sie so krank ist wie ein Mann, oder sie muss männliche Symptome widerspiegeln, um dasselbe Maß an medizinischer Betreuung zu erhalten. Dieses Manko ist in der medizinischen Praxis inzwischen so offensichtlich, dass dafür der Begriff «Yentl-Syndrom» geprägt wurde. Der Name bezieht sich auf den Film Yentl, der 1983 mit Barbra Streisand in der Hauptrolle ins Kino kam. Die jüdische Frau, die sie spielt, gibt vor, ein Mann zu sein, um eine Religionsschule besuchen und Rabbi werden zu können. Das Yentl-Syndrom macht uns auf einen uralten und noch immer andauernden Kampf aufmerksam: Männer haben lange Zeit qua Geburt einen Großteil aller Vorteile, Privilegien und Zugangsberechtigungen genossen, während Frauen dafür kämpfen mussten.
All dies gilt für sämtliche Aspekte unserer Gesundheitspflege, daher kann es nicht überraschen, dass es auch für die Gesundheit unseres Gehirns zutrifft. Frauen fallen Alzheimer zum Opfer, sind aber auch von Migräne, Kopfschmerzen und einer Reihe anderer Hirnleiden betroffen. Die moderne Medizin ist jedoch zu großen Teilen ungenügend darauf vorbereitet, sie zu unterstützen.
Zum Glück kommt ihnen heute die Wissenschaft zu Hilfe. In den letzten Jahren ist unglaublich viel getan worden, um diese Geschlechterungleichheit anzuprangern und die weibliche Gehirngesundheit genauer zu erforschen. Mit meinem Buch möchte ich diese Arbeit über die fachwissenschaftliche Forschung hinaus bekannt machen und dem «vergessenen Geschlecht» mehr Gehör verschaffen.
Seit Studienzeiten habe ich mich darauf konzentriert, Werkzeuge und Strategien zu entwickeln, um die kognitive Gesundheit zu optimieren und gleichzeitig die Alzheimer-Krankheit zu bekämpfen, vor allem bei Frauen. Diese Passion, die meine ganze berufliche Laufbahn geprägt hat, geht zum großen Teil darauf zurück, dass ich die verheerenden Auswirkungen von Alzheimer in meiner eigenen Familie erlebt habe. Mitzuerleben, wie meine Großmutter langsam in eine immer tiefere Demenz abglitt, hat mich darin bestärkt, meine ganze Arbeit der Erforschung sämtlicher Möglichkeiten zu widmen, die Krankheit möglichst früh zu entdecken. Als die beiden jüngeren Schwestern meiner Großmutter ebenfalls Alzheimer entwickelten, ihr Bruder hingegen nicht, wuchs meine Entschlossenheit weiter. Nun stelle ich fest, dass ich meine Mutter ständig beobachte und nach Warnzeichen Ausschau halte, wenn mich auch beruhigt, dass sie sich gesund ernährt und noch mit 76 Jahren ihren Yoga-Kopfstand macht. Als Frau in mittleren Jahren sorge ich mich um mein eigenes Risiko. Und als Mutter möchte ich sicherstellen, dass meine Tochter Antworten, Optionen und Lösungen hat.
Als Wissenschaftlerin habe ich meine ganze Arbeit dem Ziel gewidmet, präventive medizinische Betreuung zum Erhalt kognitiver Funktionen zu einem integralen Bestandteil der medizinischen Ansprüche einer jeden Frau zu machen, genauso alltäglich wie regelmäßige Mammographien, Pap-Tests und Darmspiegelungen. Lassen Sie uns im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam ein neues Blatt aufschlagen und in ein Morgen aufbrechen, in dem es im Gesundheitswesen eine Gleichheit der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten gibt, auch für unser Gehirn, sodass wir alle echte Hoffnung schöpfen können.
Das weibliche Gehirn prangert die totgeschwiegene Krise in der Frauengesundheit an: Das Buch zeigt, dass sich die wirkmächtigen X-Chromosomen, die in ihrer Dopplung Frauen von Männern unterscheiden, nicht nur auf unsere Fortpflanzungsorgane auswirken, sondern aufgrund ihrer Wechselwirkungen mit unserem übrigen Genom, unserer Umwelt und unserem Lebensstil darüber hinaus auch auf jeden Aspekt unserer Gesundheit – und vor allem unser Gehirn.
Als Frauen sind wir nicht nur benachteiligt, was Einkommen, Macht und Repräsentation angeht, sondern auch im Hinblick auf Wissen über unsere Gesundheit, und das sowohl kollektiv als auch individuell. Es ist an der Zeit, dies zu korrigieren und unsere speziellen Symptome und Befindlichkeiten anzusprechen, sei es in Bezug auf unser Gehirn oder unseren Körper als Ganzes. Wir alle wünschen uns, dass unsere kognitive Lebensspanne so lang ist wie unser ganzes Leben – wir können nicht warten, bis Anzeichen eines kognitiven Verfalls auftreten. Wir müssen schon jetzt proaktiv werden.
Ziel dieses Buches ist, jeder Leserin Strategien an die Hand zu geben, die dem weiblichen Gehirn genau das bieten, was es braucht, nicht nur, um alle Fallgruben zu überwinden, sondern um zu gedeihen. Diese Empfehlungen basieren auf den Erkenntnissen aus meinen vielen Jahren klinischer Forschung und der Beschäftigung mit Frauen und Männern in verschiedenen Stadien kognitiver Fitness. Manche hatten ein perfektes Gedächtnis und eine eindrucksvolle Aufmerksamkeitsspanne. Andere vergaßen manchmal Namen und Details und sorgten sich, weil ihr Gedächtnis nicht mehr so gut war wie früher. Wieder andere litten bereits an kognitivem Verfall oder Demenz. Aufgrund dessen, was ich über die potenziellen Schwachstellen (Vulnerabilitäten) von Frauen und die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Gehirn weiß, habe ich ein spezielles Programm entwickelt, um die kognitiven Fähigkeiten von Frauen zu optimieren und die notwendigen Strategien zu liefern, die nötig sind, um diese Selbstfürsorge das ganze Leben hindurch aufrechtzuerhalten.
Die Strategien, die ich skizzieren werde, sind darauf ausgelegt, Verstand, Gedächtnis und kognitive Fähigkeiten zu stärken und das Alzheimer-Risiko vor allem bei Frauen zu verringern. Ich werde zudem viele häufige Krankheiten und Beschwerden ansprechen, die Frauen jeden Alters betreffen, von Depressionen und Angststörungen bis zu Stress und Schlaflosigkeit, darüber hinaus auch Hormonungleichgewichte, Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkrankheiten, weil sie alle auch auf die Gesundheit unseres Gehirns starken Einfluss haben. Diese Strategien sind für jede Frau wesentlich, die ihre geistige Gesundheit bewahren möchte, ganz gleich, wie alt sie ist.
Zum Glück ist es niemals zu spät, sich um sich selbst zu kümmern. Ganz gleich, wann Sie damit beginnen, die Vorteile sind wissenschaftlich unbestreitbar. Wenn wir uns über unsere persönlichen Wahlmöglichkeiten Klarheit verschaffen, können wir uns von den Kosten und Nebenwirkungen «magischer Pillen», vom kleinlauten Akzeptieren unseres genetischen «Losglücks» befreien und uns möglicherweise invasive Behandlungen oder chirurgische Eingriffe ersparen.
Dieses spezialisierte Vorbeugungsprogramm erfordert drei Grundschritte:
Verstehen, wann und warum das weibliche Gehirn Schaden riskiert, wenn wir älter werden.
Sorgfältiges Überprüfen unserer Risikofaktoren.
Anwendung dieses Wissens auf unser Alltagsleben, indem wir uns entschließen, unser Gehirn, unseren Körper und unsere so kostbare Vitalität vor einer solchen Schädigung zu schützen.
Zu diesem Zweck ist das Buch in drei Teile unterteilt:
Teil I. Verstehen:Die Forschung hinter der Praxis liefert das grundlegende Wissen, das nötig ist, um zu verstehen, wie das weibliche Gehirn funktioniert, welchen Herausforderungen und Bedrohungen es gegenübersteht und welche Gelegenheiten zur Optimierung wir haben. Hier teile ich mit Ihnen Erkenntnisse aus erster Hand aus meiner eigenen Forschung, ergänzt durch meine persönlichen Erfahrungen als Wissenschaftlerin und als Frau.
Teil II. Prüfen:Lassen Sie sich testen beschreibt die diagnostischen Schlüsselverfahren, die nötig sind, um die Gehirngesundheit zu optimieren und Krankheiten bei Frauen vorzubeugen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Screening-Prozess liegt. Dabei werden wir berücksichtigen, dass keine zwei Frauen gleich sind; deshalb ist die Identifizierung der grundlegenden Ursachen Ihrer persönlichen Risiken und Symptome der Schlüssel zum Entwurf des besten Behandlungsplans für Sie. Was müssen Sie wissen, um sich effizienter um sich selbst zu kümmern? Welche Tests lohnen sich wirklich, und was genau messen sie? Wie definieren Sie Ihre Ausgangsbasis? Was sind Ihre persönlichen Risikofaktoren, und wie können Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt zusammenarbeiten, um diese Risiken zu reduzieren?
Teil III: Handeln:Optimale Hirngesundheit, minimale Risiken liefert Ihnen evidenzbasierte Empfehlungen, die darauf abzielen, Risiken zu handhaben, während Ihre kognitive Leistungsfähigkeit verbessert und geschützt wird. Wir beschäftigen uns mit der breiten Palette von Symptomen, über die Frauen jenseits der 30 gewöhnlich berichten, darunter Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen und Stress. Zu diesen Symptomen gehört auch Vergesslichkeit, ein Thema, mit dem wir uns ausführlich beschäftigen werden. Wir besprechen zudem körperliche Veränderungen, die zu Gewichtszunahme, Insulinresistenz und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können; ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem sinkenden Hormonspiegel und dem Beginn der Wechseljahre. Dadurch machen wir einen Bogen um die allzu oft verwirrenden und widersprüchlichen Online-Gesundheitsnachrichten. Stattdessen beschäftigen wir uns mit den neuesten belegten Studien über Lifestyle-Medizin, einschließlich medizinischer Versorgung, Ernährung und Nahrungsergänzungsmitteln, die wissenschaftlich geprüft sind, sowie mit den Empfehlungen zu körperlicher Bewegung, Schlafhygiene und Stressreduktion, die tatsächlich funktionieren.
Wenn wir wissen, wann eine Frau zum ersten Mal durch diese Entwicklungsprozesse anfällig wird, erlaubt uns das zu entscheiden, wann wir beginnen sollten, Veränderungen einzuleiten, und welche dieser Veränderungen besonders effektiv sind, um Risiken zu verringern und unsere kognitiven Funktionen zu erhalten. Dies ist ein Fahrplan, dem Sie folgen können, ein Plan, der Ihren Kompass auf eine optimale und lebenslange Gehirngesundheit ausrichtet, fort von Hirnerkrankungen wie Alzheimer. Ob Ihr Ziel ist, Ihre geistige Leistungsfähigkeit auf lange Sicht zu fördern, sich ruhiger und glücklicher zu fühlen, mehr Energie zu verspüren oder besser zu schlafen, Gedächtnisaussetzer zu minimieren oder Ihr Demenzrisiko ganz allgemein zu senken – ich bin zuversichtlich, dass diese einfachen Schritte Ihrem Gehirn helfen werden, in den kommenden Jahren Ihres Lebens optimal zu funktionieren.
Als Leser sind Sie vielleicht ein Mann, der sich um Frauen sorgt – vielleicht um Ihre Mutter, Ihre Partnerin, Ihre Tochter –, oder vielleicht sind Sie auch nur einfach aufrichtig interessiert an der anderen Hälfte der Bevölkerung. Herzlichen Dank für Ihr Interesse! Auch wenn dieses Buch, ohne sich dafür zu entschuldigen, für Frauen geschrieben ist und von Frauen handelt, werden unsere Ziele, die Frauengesundheit voranzutreiben, ohne Hilfe von Männern niemals Realität werden können. Es geht nicht um «Frauen gegen Männer», «ohne Männer» oder «anstatt von Männern». Ganz im Gegenteil geht es darum, Frauen in einem breiteren Kontext zu verstehen. Das Gehirn jeder Frau benötigt die richtige Ernährung, Schlaf und körperliche Bewegung, aber es ist keine neue Erkenntnis, dass es auch Empathie, Liebe und die Unterstützung der Männer (und anderer Frauen) in seinem Umfeld braucht.
John Grays Bestseller Men Are from Mars, Women Are from Venus (deutsch: Männer sind anders, Frauen auch), in der er die heute berühmte Metapher «Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus» prägte, spielt mit der alten populärwissenschaftlichen Faszination hinsichtlich der psychologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Zahlreiche Komödien drehen sich um den berühmt-berüchtigten Kampf der Geschlechter. Wenn uns daran läge, könnten wir in den Chor einstimmen und uns ein weibliches Gehirn vorstellen, das aus Zonen besteht wie dem Ich-muss-augenblicklich-Schokolode-haben-Knoten, der Klatsch-und-Tratsch-Drüse oder dem höchst aktiven Kinder-und-Ehe-Zentrum. Natürlich besäßen unsere männlichen Gegenstücke ihr eigenes Repertoire an ähnlich satirisch verzerrten Arealen, darunter ein paar Elektrowerkzeug-Drüsen, einen rasch feuernden Lahme-Ausreden-Lappen und eine stets trotzige «Sich verirren und es nicht zugeben»-Region.
Warum sich Männer und Frauen unterschiedlich verhalten, darüber wird bereits seit alters her diskutiert. Die Idee, das Gehirn könne die wichtigste Ursache für die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen sein, ist jedoch überraschend modern und wurde als echter Schlüsselfaktor erst in den 1960er Jahren wirklich akzeptiert. Zuvor war man überzeugt, unsere Genitalien würden die entscheidende Rolle spielen. Im Jahr 1992 machten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch eine entscheidende Entdeckung: Unsere sogenannten Geschlechtshormone, wie Östrogen und Testosteron, beeinflussen nicht nur unser Sexualverhalten, sondern auch unsere Gehirnfunktion.[9] Mit anderen Worten hat sich herausgestellt, dass die Hormone, die untrennbar mit unserer Sexualität verbunden sind, ebenso entscheidend für das allgemeine Funktionieren unseres Geistes sind.
Zwar bieten unser biologisches Geschlecht und die damit einhergehenden Hormone keine universelle Erklärung für unsere Gesundheit oder unser Verhalten, dennoch manifestieren sich Geschlechtsunterschiede im Gehirn in vielerlei faszinierender und oft übersehener Weise. Das liegt zum Teil daran, dass Hormone Produkt unserer DNA sind, und wie wir wissen, unterscheidet sich unsere DNA in Abhängigkeit vom biologischen Geschlecht. Viele Menschen wissen jedoch nicht, dass das X-Chromosom deutlich größer ist als das vergleichsweise winzige Y-Chromosom. Ein internationales Forscherteam hat 1098 Gene auf dem X-Chromosom identifiziert[10] – wohingegen das Y-Chromosom nur 78 Gene trägt. Das heißt, dass eine Frau aufgrund ihrer zwei X-Chromosomen über 1000 Gene mehr besitzt als ein Mann, und viele davon spielen für die Hormonproduktion wie auch für die Gehirnaktivität eine entscheidende Rolle.
Alle Frauen sind sich intuitiv bewusst, dass ihr Gehirn und ihre Hormone in ständigem Austausch stehen, und viele von uns führen ihre Stimmungen darauf zurück. Tatsächlich haben unsere weiblichen Hormone starke, tiefgreifende Effekte auf das Gehirn, und diese Effekte gehen weit über die typischen Merkmale des prämenstruellen Syndroms (PMS) und die Vielfalt anderer Hochs und Tiefs hinaus, die mit unserem Menstruationszyklus einhergehen.
Hormone sind potente biochemische Verbindungen, die an so gut wie jedem Vorgang in Körper und Gehirn beteiligt sind, einschließlich Zellstoffwechsel, Gewebewachstum und Erholung von Verletzungen. Dadurch halten Hormone unser Gehirn lebendig, voller Energie und jung. Gleichzeitig halten sie unsere Knochen stark, unseren Darm aktiv und unser Sexleben in Schwung. Darüber hinaus beeinflussen sie unser Gewicht, die Immunfunktion und auch die Umwandlung von Nahrung in nutzbare Energie. Dank ihrer alles umfassenden Rollen beeinflussen unsere Hormone jeden Aspekt unserer Physiologie und damit auch unserer körperlichen wie geistigen Gesundheit. Wenn Ihre Hormone ins Stolpern geraten, spüren Sie dies überall, von Ihren Gelenken bis zu Ihren Gedanken. Je nachdem, ob unsere Hormone ausbalanciert sind oder aus dem Gleichgewicht geraten, erleben wir nicht nur Veränderungen bei einer ganzen Reihe körperlicher Funktionen, sondern auch in bei unserer kognitiven Leistung, unserer Stimmung und unserer geistigen Frische; das reicht bis hin zu der Art und Weise, wie wir denken, reden, fühlen und uns erinnern.
Zwar sind alle Hormone in dieser Hinsicht wichtig, doch ein Großteil der Forschung konzentriert sich auf 17-Beta-Östradiol, besser bekannt als «Östrogen» (auch «Estrogen») als einem wichtigen, wenn nicht gar dem wichtigsten Faktor für die weiblich Gehirngesundheit.[11] Östrogen ist ein «Masterregulator» im weiblichen Gehirn und dient vielen Zwecken, die nichts mit Fortpflanzung, sondern vielmehr mit dem Energiestoffwechsel zu tun haben. Östrogen spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Energieproduktion und dem allgemeinen Gleichgewicht verschiedener Gehirnfunktionen (Homöostase). Das ist besonders wichtig, um Hirnzellen gesund wie auch aktiv zu halten und um die Gehirnaktivität in Regionen zu unterstützen, die für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Planung zuständig sind.
Zudem ist Östrogen ein neuroprotektives («nervenzellschützendes») Hormon und spielt eine entscheidende Rolle für den Schutz des Gehirns, indem es das Immunsystem auf Trab bringt und so die Nervenzellen (Neurone) vor Schäden schützt.
Und Östrogen schützt nicht nur unsere Nervenzellen, sondern fördert zudem die Ausbildung neuer Verbindungen zwischen diesen Zellen. Ein wohlverknüpftes Gehirn ist seinerseits widerstands- und anpassungsfähiger. Darüber hinaus ist Östrogen auch so etwas wie ein «natürliches Antidepressivum». Der Östrogenspiegel beeinflusst die hirneigene Produktion von Gamma-Aminobuttersäure (GABA), einer Verbindung, die das Nervensystem beruhigt, während sie zugleich die Freisetzung von Endorphinen fördert, den natürlichen Schmerzkillern des Körpers. Und schließlich tragen all unsere Hormone zur Hirndurchblutung bei, was entscheidend ist, um das Gehirn mit genügend Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.
All diese Effekte setzen in unserem Gehirn schon während der Entwicklung des Embryos in der Gebärmutter ein. Im Lauf der Zeit spielen zirkulierende Hormone eine wichtige Rolle bei der sexuellen Differenzierung des Gehirns.[12] Androgene (männliche Hormone wie Testosteron) erzeugen ein «männliches» Gehirn, während ein Mangel an solchen Androgenen in Verbindung mit einem nachfolgenden Anstieg an Östrogenen (weiblichen Hormonen) zu einem «weiblichen» Gehirn führt.
Auch wenn diese Unterschiede subtil sind, kann man sie, wenn man sich die Gehirne von Männern und Frauen so genau anschaut, wie ich es tue, manchmal entdecken. Je nachdem, welcher Hormontyp im Gehirn vorherrscht (Östrogen bei Frauen, Testosteron bei Männern), produziert es unter Umständen mehr oder weniger an bestimmten Neurotransmittern, den chemischen Botenstoffen, die das Gehirn für Signalgebung, Kommunikation und Informationsverarbeitung einsetzt. Im Allgemeinen erzeugt das Gehirn von Männern mehr Serotonin, den «Wohlfühl»-Neurotransmitter, der für Stimmung, Schlaf und auch Appetit eine Rolle spielt.[13] Frauen produzieren hingegen mehr Dopamin im Gehirn, eine Verbindung, die für den eigenen Antrieb und belohnungsmotiviertes Verhalten verantwortlich ist.
Noch spannender ist, dass manche Teile unseres Gehirns «sexuell dimorph» sind, das heißt, dass sie sich je nach biologischem Geschlecht in ihrem Bau ein wenig unterscheiden.[14] Wie sich beispielsweise herausgestellt hat, kann man die Tatsache, dass Männer und Frauen Dinge nicht in derselben Weise sehen, sowohl im übertragenen als auch im realen Sinne verstehen. Denn tief im visuellen Cortex, dem Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung visueller Information zuständig ist, finden wir ein gutes Beispiel dafür, warum Männer und Frauen im Hinblick auf das, was sie sehen, nicht immer einer Meinung sind. Während Männer mehr M-Zellen besitzen, die für die Wahrnehmung von Bewegung zuständig sind, haben Frauen mehr P-Zellen, die besonders zur Wahrnehmung von Objekten und Formen geeignet sind. (Könnte das erklären, warum es Frauen leichter fällt, Dinge im Kühlschrank zu finden?)
Was unsere Ohren betrifft, so haben Frauen im Allgemeinen ein besseres Gehör als Männer, teilweise deshalb, weil wir 11 Prozent mehr Neurone im primären auditorischen Cortex (Hörrinde) haben, dem Teil des Gehirns, in dem Schallinformation entschlüsselt wird. Und obwohl Männer generell ein größeres Gehirn haben, weil sie generell größer sind, haben Frauen eine dickere Großhirnrinde, die offenbar auch besser vernetzt ist.[15] Insbesondere sind der Hippocampus (das Gedächtniszentrum des Gehirns) und die Amygdala (das emotionale Zentrum des Gehirns) im weiblichen Gehirn enger mit dem frontalen Cortex verbunden, der für abstraktes Denken, Planen und Logik zuständig ist.
Infolgedessen sind Geschlechtsunterschiede in der Gehirnkonnektivität im limbischen System, dem Teil des Gehirns, der den oben bereits erwähnten Hippocampus und die Amygdala umfasst, besonders stark ausgeprägt. Das limbische System strahlt auch auf das Erleben von Liebe und Zuneigung aus und damit auf die unzähligen Faktoren, die daran beteiligt sind, eine Familie zu haben.[16] Dieser Teil des Gehirns ist für die Motivationen und Emotionen zuständig, die elterliche Instinkte steuern; das reicht vom Stillen bis zum Beschützen von Kindern, ganz zu schweigen von dem Impuls, sich mit ihnen zu beschäftigen und zu spielen. Wenn Sie Kinder haben, sind Sie vielleicht manchmal nachts auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer geschlichen, um sie atmen zu hören oder um ihnen einen Kuss auf die Stirn zu drücken, bevor Sie selbst schlafen konnten. Oder Sie haben vielleicht im Gedanken daran gelächelt, Ihren Kindern ihre Lieblings-Gutenachtgeschichte vorzulesen, obwohl Sie diese Geschichte doch wahrscheinlich schon mehr als hundertmal vorgelesen haben. All dies sind Zeichen für das limbische System in Aktion. Männer haben diese Qualitäten ebenfalls, doch Frauen besitzen sie im höchsten Maße. Plötzlich erscheinen einige vertraute kulturelle Klischees nicht mehr ganz so seltsam, nicht wahr?
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass männliche und weibliche Gehirne zwar bis zu einem gewissen Maß unterschiedlich verschaltet sind und einige biochemische Unterschiede aufweisen, dies aber keine großen Auswirkungen auf das Verhalten hat. Um es ganz deutlich zu sagen: Es gibt nichts in unserer Biologie, was die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Hinblick auf Gleichberechtigung, Entlohnung oder Chancen rechtfertigen könnte. Es gibt auch keine wissenschaftliche Basis für ein «geschlechtsbezogenes Gehirn». Blau versus Rosa, Barbie versus Lego, Geschäftsmann versus Sekretärin – all das sind soziale Konstrukte, die nichts damit zu tun haben, wie unsere Gehirne aufgebaut sind oder operieren. Leider sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien allzu oft manipuliert worden, um zu implizieren, ein Geschlecht, nämlich das männliche Geschlecht, sei besser oder intellektuell höher entwickelt als das andere. Vielleicht haben Sie schon einmal gehört, dass «mathematische Brillanz ein männliches Phänomen» ist, ein Vorurteil, das übersieht, dass Männer schon viel länger Zugang zu höherer Bildung haben – ganz zu schweigen davon, dass es trotz aller Hindernisse viele brillante Mathematikerinnen gibt: Ada Lovelace, Emmy Noether und Katherine Johnson, um nur einige wenige zu nennen. In Wahrheit sind Männer und Frauen einander intellektuell ebenbürtig, wenn wir vielleicht auch auf etwas anderen neuronalen Routen zu unseren Ergebnissen kommen.
Gleichwohl sind Männer und Frauen, rein biologisch gesehen, in gewissem Maße unterschiedlich. Eine solche Diversität erzeugt geschlechtsspezifische Gesundheitsrisiken und Anfälligkeiten (Vulnerabilitäten). Insbesondere häufen sich die Hinweise – und hier kommen wir wieder auf meine Forschung und einen besonders wichtigen Punkt zurück –, dass das männliche und das weibliche Gehirn unterschiedlich altern, was zum Teil an Veränderungen von Quantität und Qualität unserer Hormone liegt.
Unser Gehirn macht im Lauf unseres Lebens eine Reihe von hormonellen Übergängen durch, etwa wenn wir von der Kindheit in die Pubertät kommen, unsere Fruchtbarkeit schließlich zurückgeht und die Wechseljahre beginnen. Während sich in der Pubertät geradezu eine hormonellen Explosion ereignet, kann der Verlust der Fruchtbarkeit für eine Frau ein härterer Schlag sein als erwartet. Wenn man Östrogen als Treibstoff fürs Gehirn statt für Babys ansieht, wird die Größe der Veränderung sehr viel deutlicher.
Wie zu Beginn des Buches erwähnt, haben mein Forschungsteam und ich uns auf die Gehirngesundheit konzentriert, wobei uns speziell interessiert hat, was passiert, wenn eine Frau altert. Mit «altern» meine ich nicht das Erreichen eines «Seniorinnen»-Status, sondern ich meine jede Frau jenseits der Adoleszenz. Im Lauf der Jahre haben wir mehrere Brain-Imaging-Studien mit gesunden Frauen in Alter von 21 bis 60 Jahren durchgeführt und sie mit gesunden Männern desselben Alters verglichen. Wir untersuchten mehrere Faktoren, darunter als Erstes, wie das Gehirn Glukose (Traubenzucker) verarbeitet, seinen wichtigsten Energielieferanten. Wir suchten nach Alzheimer-Plaques (Eiweißablagerungen in der grauen Hirnsubstanz) und hielten nach Gehirnatrophie, Hinweise auf einen Schlaganfall oder Gefäßprobleme Ausschau. Dann folgten wir vielen dieser Probandinnen und Probanden längere Zeit, manchen über ein paar Jahre, anderen über 15 bis 20 Jahre.
Wenn wir eine Bestandsaufnahme der Unterschiede zwischen Männern und Frauen machen, finden wir einen auffälligen Unterschied im entscheidenden mittleren Lebensabschnitt: Frauen kommen allmählich in die Wechseljahre, Männer nicht. Als wir unsere Untersuchungen fortsetzten, stießen wir auf eine ganze Reihe interessanter Resultate, doch das bei weitem erstaunlichste Ergebnis war sicherlich, dass der langsame Rückgang der weiblichen Fruchtbarkeit, der mit den Wechseljahren einhergeht, einen immensen Einfluss auf unser Gehirn hat. Wie sich herausgestellt hat, beeinflussen die Wechseljahre viel mehr als nur die Fruchtbarkeit einer Frau. Bei den meisten Frauen lösen die hormonellen Veränderungen eine breite Palette wohlbekannter Wechseljahre-Symptome aus, wie Hitzewallungen, nächtliche Schweißausbrüche, Schlafstörungen. Depressionen und Gedächtnislücken. Obgleich diese Symptome typischerweise mit unseren Eierstöcken (Ovarien) in Zusammenhang gebracht werden, entstehen sie tatsächlich an einem ganz anderen Ort: in unserem Gehirn. Der Rückgang des Hormonspiegels, das charakteristische Kennzeichen der Wechseljahre, führt dazu, dass ein wichtiges schützendes Element im weiblichen Gehirn verlorengeht.[17] Tatsächlich ist bekannt, dass ein Schwinden der Hormone den Alterungsprozess beschleunigt.[18] Wenn wir älter werden, geht die Konzentration von Hormonen, die Muskeln und Knochen aufbauen, im ganzen Körper zurück, während der Spiegel von Hormonen, die Gewebe abbauen, ansteigt. Infolgedessen nutzen sich unsere Zellen stärker ab und werden seltener repariert. Die Haut wird faltiger, das Haar trockener, und die Knochen brechen leichter. Leider können dieselben Vorgänge auch innerhalb unseres Gehirns ablaufen, unsere Neurone schwächen und damit unser Gehirn anfälliger für Alterungsprozesse und Krankheiten machen.
Bei den meisten Frauen äußern sich solche Veränderungen in Form von lästigen Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen. Bei manchen Frauen schwächen hormonelle Veränderungen jedoch zudem die Fähigkeit des Gehirns, Krankheiten wie Alzheimer zu widerstehen.
Das ist offensichtlich, wenn wir uns die Gehirnscans in der Abbildung unten ansehen. Der Scan links zeigt den Hirnstoffwechsel oder die Gehirnaktivität einer Frau in der Anfangsphase der Wechseljahre, ein Stadium noch ohne Symptome, das als Prämenopause bezeichnet wird. Der Scan rechts zeigt stattdessen die Gehirnaktivität einer Frau nach Abschluss der Wechseljahre (Postmenopause). Die Grauskala spiegelt die Gehirnaktivität wider; je heller der Grauton, desto höher die Aktivität, je dunkler, desto weniger Aktivität. Der Scans der postmenopausalen Frau sieht insgesamt dunkler aus, was heißt, dass ihr Gehirn einen substanziell geringeren Gehirnstoffwechsel aufweist als das Gehirn der prämenopausalen Frau links. Das ist kein Einzelfall, sondern so sieht das «durchschnittliche» Gehirn nach der Menopause aus. Bei einigen Frauen war dieser Rückgang sehr deutlich und die Gehirnaktivität um mehr als 30 Prozent reduziert. Alarmierenderweise gab es ähnliche Befunde auch bei perimenopausalen Frauen (Frauen zwischen Prä- und Postmenopause), die ebenfalls einen deutlichen Rückgang der Stoffwechselaktivität aufwiesen. Männer des gleichen Alters zeigten hingegen kaum oder in vielen Fällen auch gar keine Veränderungen.
Noch beunruhigender war, dass einige Frauen, die auf dem Weg in die Wechseljahre waren, eine vermehrte Ansammlung von amyloiden Plaques aufwiesen, den typischen Kennzeichen der Alzheimer-Krankheit.[19] Darüber hinaus zeigten diese Frauen eine progressive Abnahme der Stoffwechselaktivität und eine Schrumpfung (Atrophie) der Gedächtniszentren des Gehirns. Diese Befunde stellen deutliche Warnsignale dar, denn ein ähnliches Muster von Hirnveränderungen findet man oft bei Patienten im Frühstadium von Alzheimer.
Der Zeitpunkt deutet auch auf ein erhöhtes Risiko für eine zukünftige Alzheimer-Erkrankung hin. Einer der schockierendsten Befunde, auf den die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stießen, ist, dass Alzheimer bereits Jahrzehnte vor Auftreten der ersten Symptome im Gehirn beginnt. So starten die negativen, von Alzheimer hervorgerufenen Veränderungen im Gehirn schon im mittleren Lebensalter, in unseren Vierzigern und Fünfzigern … nicht erst in hohem Alter.[20] Für einige mag dies eine große Überraschung sein, daher lassen Sie mich diesen Befund näher erklären. Wir haben Alzheimer stets mit älteren Menschen assoziiert, denn im Alter hat die Krankheit schließlich so viel Schaden angerichtet, dass der kognitive Verfall nicht mehr zu übersehen ist. In Wirklichkeit setzt die Krankheit sehr viel früher ein.
In mancher Hinsicht ist Alzheimer so etwas wie ein Börsencrash. Ein solcher Crash kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist das Endergebnis einer langen Reihe miteinander verflochtener wirtschaftlicher Entwicklungen, die schließlich zum Zusammenbruch führen. Genauso ist Alzheimer nicht so etwas wie eine Erkältung, die man sich plötzlich einfängt, sondern eher wie ein Herzleiden oder sogar Krebs, Krankheiten, die man sich ebenfalls nicht über Nacht zuzieht. Vielmehr ist Alzheimer das Resultat einer ganzen Reihe von genetischen, medizinischen und durch die Lebensführung bedingten Ereignissen, die «unterwegs» eingetreten sind.[21] Ihre Effekte beginnen sich meist in der Lebensmitte auf das Gehirn auszuwirken, wobei die Symptome erst in höherem Lebensalter auftreten – ein Prozess, der im Gehirn mancher Frauen offenbar früher beginnt, während des Übergangs zu den Wechseljahren.