Date Education - Nasanin Kamani - E-Book
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Date Education E-Book

Nasanin Kamani

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Beschreibung

Auf der Suche nach dem perfekten Match? Willkommen im Dating Game! Dr. Nasanin Kamani nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch den Dating-Dschungel. Dabei erzählt die Autorin nicht nur von ihren persönlichen Erlebnissen, sie zeigt anschaulich, wie wir lernen können, unsere*n Auserwählte*n besser zu durchschauen.

Warum falle ich immer auf die gleichen Typenrein? Spielt der andere nur mit meinen Gefühlen? Habe ich etwas falsch gemacht? Was soll ich von verfrühtenLiebesgeständnissen halten?Die Ärztin (Fachgebiet: Psychiatrie und Psychotherapie) gibt nicht nur spannende Begegnungen ihrer eigenen Partnersuche preis, sie spricht die Themen der Stunde an: In ihren Geschichten geht es etwa um Sex ohne Gefühle, Bindungsangst, Ghosting, zu nette Kerle und um das Rätsel, wann der Funke überspringt.

Da ist zum Beispiel Anton: Er istsympathisch, klug und ehrlich - doch auch unbeholfen und verkopft. Reicht die Schwärmerei für mehr oder reden wir uns die Gefühle in solchen Situationen nur ein? Oder was ist mit Daniel: unterhaltsam, offen, selbstsicher. Ein absoluter Glücksgriff oder verbirgt sich hinter diesem lässigen Auftritt ein ungeahnter Abgrund? Und wie gehen wir damit richtig um?

Ein Buch vollerehrlicher Gefühlerund um die komplizierteste wie schönste Sache der Welt - versehen mit einemanalytischen Röntgenblick, der unser Denken, Fühlen und Handeln auf spannende Weise beleuchtet und uns eine hilfreiche Orientierung bei der Partner*innensuche bietet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 290

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Für meine Schwester

Mey

Alle in diesem Buch veröffentlichten Aussagen und Ratschläge wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden, ebenso ist die Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Die Ereignisse in diesem Buch sind größtenteils so geschehen, wie hier wiedergegeben. Für den dramatischen Effekt und aus Gründen des

Personenschutzes sind jedoch einige Namen und Ereignisse so verfremdet worden, dass die darin handelnden Personen nicht erkennbar sind.

Bei der Verwendung im Unterricht ist auf dieses Buch hinzuweisen.

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Originalausgabe

© 2022 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Suparada Ströbel, unter Verwendung eines Motivs von

© Molibdenis-Studio über Shutterstock

Redaktion: Regina Carstensen

Bildnachweis: Autorenbild Umschlag © Matthias Meurer, alle Illustrationen über

Shutterstock; S. 4/ © justone, S. 7/ © Iconic Bestiary, S. 34/ © Blan-k, S. 53/ © Artfury,

S. 85/ © Coosh448, S. 101/ © Martial Red, S. 134/ © Sondel Design, S. 164+199/

© Blan-k, S. 223/ © davooda, S. 261/ © Maxim Cherednichenko, S. 286/ © Aygun Ali

Layout/Satz: Luca Feigs

Herstellung: Amelie Engelhardt

Gedruckt bei GGP Media GmbH, Karl-Marx-Str. 24, 07381 Pößneck

ISBN 978-3-7459-1182-4

www.emf-verlag.de

Inhalt

Vom Suchen und Finden

Ein Mitbewohner mit hohen Nebenkosten

Wer ohne Geschenk auf zwei Hochzeiten tanzt…

Der Seelenstrip: nackte Tatsachen beim Tinder-Date

Sex ohne Liebe, eine Party ohne Anlass

Das Phantom der Uni

Vom verspäteten Höhepunkt

Vom Stopfen eines schwarzen (Sommer-)Lochs

Das Gesetz der Anziehung

Babywolf of Wallstreet 

Die mangelnde Liquidität der Liebe

Warum der zauber nicht verfliegt

VORWORT

Vom Suchen und Finden

Uns alle verbindet die Sehnsucht nach dem richtigen Partner, der uns nimmt und schätzt, wie wir sind – zugleich aber einen Großteil unserer Ansprüche erfüllt.

Frauen, Männer und alle anderen Geschlechter schlagen sich in ihren besten Jahren nicht selten durch den Dating-Dschungel und versuchen, jemanden zu finden, der ein emanzipiertes Weltbild hat, innerlich stabil ist, nicht allzu ausgelaugt oder desillusioniert von Ex-Beziehungen durchs Leben geht, unter keiner Bindungsangst leidet – und vieles mehr. Die Liste an möglichen Problemen ist lang, während jene an passenden Kandidat*innen mit jedem Jahr, das verstreicht, weiter zu schrumpfen scheint.

In diesem Buch erzähle ich von meinen persönlichen Erfahrungen, wobei mir besonders daran gelegen ist, einen ehrlichen und authentischen Einblick in meinen eigenen Dating-Kosmos zu geben – von ersten Treffen bis hin zu intensiven Kennenlernphasen mit Hindernissen, Überraschungen und Wendungen, die dem einen oder anderen sicherlich bekannt vorkommen. Gleichzeitig möchte ich durch professionelle und verständliche Analysen zu den einzelnen Kapiteln den Leser*innen dabei helfen, das Verhalten des Dating-Partners, aber auch das eigene besser zu verstehen: Was denkt er/sie während der Kennenlernphase? Was hat sein/ihr Verhalten konkret zu bedeuten? Wie können wir den Rückzug interpretieren, wie das Meldeverhalten, die gemischten Signale, die schnelle Verbindlichkeit, das plötzliche Abtauchen? Was deutet auf Bindungsangst hin, wasauf ein Warmhalten oder ehrliches Desinteresse? Wann ist Vorsicht geboten, wann Nachsicht, und wie sieht unser Eigenanteil aus bei allem, was uns im Dating widerfährt? Wieso idealisieren wir den einen und entwerten den anderen? Wann sind Trigger im Spiel, die das Drama vorprogrammieren, und wieso betrügen wir uns manchmal selbst, indem wir die Augen vor Red Flags, vor Warnsignalen, verschließen oder auf einen Dating-Partner setzen, bei dem kein Funke überspringt?

Der Funke, die Chemie, das „Klicken“ – welche Rolle spielen Zauber und Romantik heute überhaupt noch? Und wie können wir in verschiedensten Dating-Situationen am sinnvollsten handeln?

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen kann amüsieren, ablenken, das Ego pushen, aber auch anstrengen, verunsichern oder gar Ängste auslösen. Herzschmerz und Fails, die zudem viel Zeit kosten, könnten uns häufig erspart bleiben, sofern wir den Mut aufbringen, genau hinzusehen. In diesem Buch tun wir das, gemeinsam: Wir nehmen uns ihn/sie sowie uns selbst unter die Lupe, denn im Grunde sitzen wir alle im selben Boot und kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen und Problemen.

Wer weiß schon, ob uns „The One“ ganz überraschend im Café über den Weg läuft, im Tinder-Account aufblitzt oder gar längere Zeit unbemerkt als Kumpel oder Kollegin direkt vor unserer Nase gestanden hat. Dieses Buch soll dabei helfen, die Datingwelt mit all ihren unterschiedlichen Akteur*innen, Regeln und Trends besser zu durchschauen und damit die Suche nach dem oder der Richtigen ein ganzes Stück zu erleichtern.

Ich wünsche allen Leser*innen ein paar unterhaltsame und erkenntnisreiche Stunden mit Date Education – und viel Glück und Erfolg für das nächste Kapitel im eigenen Dating-Leben!

Richard

Ein Mitbewohner mit hohen Nebenkosten

Manche Anwärter erhalten nur deshalb eine Chance, weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind – dass sie vielleicht das Falsche sagen oder tun, fällt im Zuge eines solchen „Treffers“ eher weniger auf, gerade am Anfang.

Richard hat dahingehend den richtigen Riecher und tritt in mein Leben, als ich einen Schubser ins kalte Dating-Wasser gut gebrauchen kann.

Memo an mich selbst: Rettungsweste nicht vergessen!

Richard lernte ich kennen, als ich für ein paar Monate in eine Studenten-WG zog. Wir lebten direkt in der Nähe der Unibibliothek, zu dritt auf achtzig Quadratmetern. Dank der dünnen Wände bekam ich sowohl die lautstarken Fußballabende mit seinen Jungs als auch die lustvollen Liebeleien mit seiner feurigen Freundin mit, die mir leider nicht sehr wohlgesonnen war. Sie kaufte mir die Rolle der Medizinstudentin, die den ganzen Tag lang in der Bibliothek hing und spätabends mit Tunnelblick im Zimmer verschwand, nicht ab und sah in mir vor allem eine Frau, die sich mit Richard eine Dusche teilte, Tür an Tür mit ihm einschlief und aufwachte, ihm morgens beim Zähneputzen im luftigen Pyjama in die Arme rannte und abends parfümiert im Partydress an ihm vorbeistakste. Sie hielt mich für eine tickende Bombe, die jederzeit hochgehen könnte. Mit ihm. In seinem Zimmer. Sie vom Gegenteil zu überzeugen, war zwecklos: Sie glaubte blind, was ihre Angst ihr diktierte.

Unsere gemeinsame Mitbewohnerin Lisa erzählte mir eines Abends, dass Richard die Eifersucht seiner Freundin mit Absicht befeuerte, und zwar auf meine Kosten: „Er behauptet, du hast ein Auge auf ihn geworfen.“

„Aha“, antwortete ich damals. „Solange sie sich nur gegenseitig fertigmachen und mich da nicht mit reinziehen, ist mir das egal. Ich werde ganz bestimmt kein Bauernopfer in diesem Schlachtfeld sein, das die beiden Beziehung nennen.“

Als Richard mir sechs Jahre nach meinem Auszug eine Facebook-Anfrage schickt, denke ich mir nichts weiter, vermutlich bin ich ihm als Freundschaftsvorschlag angezeigt worden. Nach Annahme der Anfrage erhalte ich rasch eine Nachricht: „Hey, na? Das ist ja ewig her. Wie geht es dir nach all den Jahren? Bist du unserem Stadtteil treu geblieben? Ich lebe noch immer hier. Habe gerade meine Promotion verteidigt und ein paar Wochen frei. Ich schick dir später mal meine Nummer, du kannst ja schreiben, wenn du auf die guten alten Tage Lust auf einen Kaffee hast.“

Die guten alten Tage, in denen er sein Ego damit nährte, mich seiner Freundin zum Fraß vorzuwerfen?

Ich ermahne mich, nicht alles so streng zu sehen: Immerhin sind knapp sechs Jahre vergangen, das sind über 2000 Tage. So lange braucht ein ahnungsloser Medizinstudent, dessen Kleider noch nach der Kreide im Klassenzimmer riechen, um in die Rolle eines Assistenzarztes zu schlüpfen, der im Nachtdienst allein die Station schmeißt und im Reanimationsnotfall im Bee Gees-Rhythmus um Leben und Tod drückt.

Können derartige Entwicklungen in dieser Zeitspanne stattfinden, gibt es doch zumindest den Hauch einer Chance, dass Richard sich vom selbst ernannten WG-Weiberheld, der den Flurfunk verfälscht, in einen bescheidenen Gentleman verwandelt hat.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der andere sich über die Jahre geändert hat?

Veränderungen im Positiven wie im Negativen sind immer möglich. Grundsätzlich sollten wir jedoch nicht von einer radikalen Hundertachtzigradwende ausgehen oder erwarten, dass bestimmte Eigenschaften sich mit der Zeit in Luft aufgelöst haben. Zeit heilt sprichwörtlich Wunden, vollbringt jedoch keine Wunder.

Ausnahmen kann es geben, wenn jemand zum Beispiel einem neuen Glauben beigetreten oder psychisch erkrankt oder genesen ist.

Wir schicken uns über den Tag verteilt ein paar Nachrichten, gegen Abend kommt er dann zur Sache: Er würde mich gerne wiedersehen, Freitag sei gut, er könne mir ja einen Besuch abstatten, gegen acht. Ob ich Lust hätte? Ich starre auf das Handy, ohne recht zu wissen, was ich von seiner forschen Selbsteinladung halten soll. Er will sich treffen, zu zweit, und das obwohl wir nie wirklich befreundet waren – das spricht eher gegen einen platonischen Plausch. Ist in Ordnung, ich bin weder vergeben noch in einer Beziehungsanbahnung, aber warum gleich bei mir?

„Willst du Geld sparen?“, frage ich mit einem Zwinker-Smiley.

„Nein“, antwortet er. „Ich bringe einen Champagner mit, zugegebenermaßen vom Discounter, aber der hat auch seinen Stolz im Wert von 13 Euro.“

„Klingt gut“, sage ich und spreche aus, was ich zuvor gedacht habe: „Aber wieso bei mir?“

„Da wir mal unter einem Dach gelebt haben, dachte ich, es wäre albern, sich jetzt stocksteif in ein Restaurant zu setzen und umzingelt von Fremden Small Talk zu führen. Lass uns doch ganz gemütlich anstoßen – auf meine Doktorarbeit und unser Wiedersehen.“

Freitagabend.

Mittlerweile bin ich neugierig auf das zweite Kennenlernen mit Richard, das nach Monaten des Dating-Stillstands genau zur richtigen Zeit kommt. Zudem finde ich es schön, dass er mich nicht aus den Augen verloren hat – trotz der Schnelllebigkeit, die unserer Generation nachgesagt wird – und beschließe, hinter die kindischen WG-Spielereien von damals einen Haken zu setzen.

Die Zeitspanne zwischen dem Klingelgeräusch und unserer Begrüßung im ersten Stock birgt einen besonderen Nervenkitzel. Ob da vielleicht ein potenzieller The One-Kandidat durch meine Tür spazieren könnte? Ein Anwärter für die Rolle dieser einen besonderen Person, der man nicht nachjagen soll, wenn man den alten Meistern der Romantik glaubt, da sie ganz unverhofft in unser Leben tritt, wenn wir am wenigsten damit rechnen? Sind Dating-Apps die gespitzten Pfeile jener Jagd, welche die Chance auf eine schicksalhafte Fügung verjagen?

Er steht vor mir. Die Haare sind leicht ergraut und der schlaksige Mittzwanziger-Körper hat mit Anfang dreißig den brettharten Bauch eingebüßt. Alles in allem ist er aber immer noch ein ganz attraktiver Typ.

„Da bin ich“, sagt er etwas verlegen. „Lange her, lange her.“

Wir umarmen uns. Ich grinse überfordert und stoße ein lang gezogenes „Heeey“ aus.

„Hey, hey“, erwidert er.

Ich bitte ihn herein. Wir setzen uns auf meine Couch und sind uns blitzschnell darüber einig, dass der Schampus geköpft werden muss – vermutlich in der Hoffnung, der Alkohol würde die Anspannung nach jahrelanger Funkstille und einem intimen Wiedersehen in meinen vier Wänden auflösen. Und ja, die elf Prozent halten ihr Versprechen. Die Stimmung lockert sich, ebenso wie meine Zunge – ich frage ihn ohne Umschweife, warum er damals in der WG behauptet hat, ich wäre heiß auf ihn gewesen.

„Du hast mich so angeschaut, an diesem einen Abend in der Küche, als du Pizza ausgegeben hast, weißt du noch?“

Ich zucke mit den Schultern: „Kann mich nicht mehr erinnern.“

Er lacht gekränkt: „Okay?“

Eine gute Stunde später laufen wir runter zum Kiosk, um ein paar Cracker und Getränkenachschub zu besorgen.

Richard zückt an der Theke schweren Herzens einen Zehner aus seinem Portemonnaie: „Ich bin mal so großzügig.“

Was deutet auf versteckten Geiz hin?

Unabhängig davon, ob Frau oder Mann: Spätestens beim zweiten Kommentar, der sich auf Geld bezieht und dabei einen konkreten Bezug zum Date aufweist (in diesem Fall das Verraten des Schampus-Preises sowie das Erwähnen der eigenen Großzügigkeit beim Zahlen der Kioskrechnung) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Person ein Geiz-Problem hat.

Als wir wieder im Wohnzimmer auf der Couch sitzen, zieht er ein gebundenes Büchlein aus seiner Ledertasche.

„Was ist das?“, frage ich.

„Meine frisch verteidigte Doktorarbeit.“

„Welcher Fachbereich?“

„Rechtsphilosophie.“

„Wow, herzlichen Glückwunsch – Herr Doktor!“

Wir stoßen erneut an. Er bedankt sich mit einem stolzen Lächeln und fragt, wie weit ich denn mit meiner sei.

„Fast durch. Die Datengewinnung hat leider drei Jahre gedauert, jetzt muss ich nur noch alles runterschreiben.“

„Ich dachte, in Medizin wird die Diss den Leuten quasi hinterhergeworfen.“

„Das Einzige, was man uns hinterherwirft, sind Patienten.“

Ich blättere durch die ersten Kapitel seiner Arbeit und ahne bereits beim Überfliegen, wie dicht und zäh ihre komplexen Inhalte sind.

„Leider ohne Widmung“, sagt er. „Aber die kann ich dir gern reinmachen, wenn sie dir gefallen sollte.“

„Ich muss sie also lesen?“

„Na klar, sonst würde ich sie dir ja nicht schenken. Du bist übrigens die fünfte Person, die sie bekommen hat und womöglich sogar die letzte.“

Das Präsent hat seinen Preis. Richard erwartet volles Engagement für die Ehre, die er mir zuteilwerden lässt. Ich bin eine von den Big Five, nur dass ich kein Vetorecht besitze.

Wir lesen gemeinsam die ersten zwei Seiten der Einleitung. Er erklärt mir die Hintergründe seiner Themenwahl und ermahnt mich, die Fußzeilen nicht wegzulassen: „Die sind wichtig“, sagt er. „Sonst kann man es auch ganz lassen.“

Wie hoch sollte die Opferbereitschaft am Anfang sein?

Wenn wir keine Lust haben, dem anderen gleich zu Beginn des Kennenlernens einen Gefallen zu tun – auch die Annahme eines Geschenks kann ein Gefallen sein, wenn es mit Zeit und Aufwand verknüpft ist –, wäre es für den weiteren Dating-Verlauf sinnvoll, dies auch deutlich zu machen, da sonst der Eindruck entsteht, dass wir

uns für etwas begeistern, das uns im Grunde weder mit ihm noch ohne ihn interessieren würde (zum Beispiel etwas aus dem Bereich Kultur/Kunst/Sport/Politik oder aber Körper/Sexualität).bereit sind, ab Tag eins deutlich mehr zu investieren, als zu diesem Zeitpunkt erforderlich wäre. Im besten Fall sollten wir die Dating-Phase einfach mit Vorsicht genießen dürfen. eine hohe Bereitschaft zur Anpassung besitzen, welche in diesem frühen Stadium des Kennenlernens einen schwachen, wenn nicht sogar unterwürfigen Eindruck erwecken könnte.

Während wir seine Doktorarbeit in den Händen halten, kommen wir uns körperlich näher. Unsere Finger berühren sich, dann unsere Knie, sein Parfum dringt in meine Nase, mein Muttermal springt ihm ins Auge: „Woran erkennt man eigentlich, ob ein Muttermal bösartig ist?“, fragt er und streichelt mit dem Daumen über den Fleck an meinem seitlichen Hals. Ich erzähle ihm von der ABCDE-Regel, die wir im Studienfach Dermatologie gelernt haben – dass die Malignität eines Flecks sich anhand seiner Asymmetrie, seiner unregelmäßigen Begrenzung, seines Kolorits, Durchmessers sowie seiner Erhabenheit erkennen lässt.

„Das muss ich mir merken“, sagt er. „Alltagstaugliches Spezialwissen.“

Er nimmt noch einen großen Schluck, als wolle er ordentlich tanken, bevor er Vollgas gibt – und ja, tatsächlich, das Ethanol wird zum Benzin für den Motor seines Mutes: Er nähert seinen Mund, der ganz gut auf meinen passt, und küsst mich ohne Zunge. Ich verspüre mehrfach den Impuls, ihm meine einfach selbst in den Mund zu schieben, ziere mich jedoch, den ersten Schritt zu machen. In solchen Momenten verwandle ich mich von der emanzipierten Frau, die sich den Luxus gönnt, nach dem Richtigen zu suchen, bevor sie an Kinder und geteilte Konten denkt, in ein Prinzesschen, dem man gefälligst den Hof machen soll. Eine Rapunzel, die im Turm ihrer widersprüchlichen Träume festsitzt und mit ihrem albern langen Haar kokettiert, statt einfach herunterzuklettern und sich zu holen, worauf sie Lust hat.

Ist es unemanzipiert, hin und wieder in klassischen Rollen­bildern zu denken?

Es ist völlig normal, dass wir trotz der voranschreitenden Emanzipation noch immer verunsichert sind bei der Frage, wie viel Initiative eine Frau ergreifen darf, ohne dabei forsch und „unweiblich“ zu wirken. Insbesondere beim Dating kann das Thema Emanzipation rasch zu Irritationen und Kränkungen führen, auf beiden Seiten. Während die Frau mittlerweile ruhig auch mal die Rechnung zahlen darf, stellt es noch immer ein Problem dar, wenn sie sich sexuell zu offen gibt. Grenzen sind fließend, Gefühle gemischt, Erwartungen widersprüchlich.

Am besten, wir bleiben uns selbst treu – ganz gleich, was Frauenpower-Influencerinnen posten oder die konservative Mama predigt. Es ist völlig legitim, das Bedürfnis zu haben, ein wenig zu taktieren und den anderen zappeln zu lassen – nicht, weil wir das „schwache“ Geschlecht sind, sondern weil wir uns vielleicht in der Rolle der Passiven wohler fühlen oder gar Freude haben am Katz-und-Maus-Spiel.

Er beendet den Kuss mit den Worten: „Ich wusste schon immer, dass du cool bist.“

Und ich muss mir eingestehen, dass er cooler ist, als ich anfangs dachte. Er ist überdurchschnittlich attraktiv, hat eine schöne Stimme, einen angenehmen Geruch und eine präzise Art, sich auszudrücken. Er hat in Rekordtempo Karriere gemacht, wird bald eine Professur antreten und an seinem Lehrstuhl neue Vorlesungen konzipieren. Seinen Humor päppelt er durch das Einstreuen interessanter Fakten auf – und ja, doch, ich muss tatsächlich mitlachen, als er über mein Fachgebiet witzelt und mir YouTube-Videos vom Schwindler Gert Postel zeigt, der sich jahrelang ohne Studienabschluss als renommierter Oberarzt der Psychiatrie durchgemogelt hat: „Na, wenn der Postel damals so viel Anerkennung bekommen hat für seine Arbeit“, sagt Richard angeheitert, „dann kann das ja alles nicht so schwer sein.“

Klar, nett ist das nicht – aber nett ist auch der kleine Bruder von nobody.

Warum finden viele das Enfant terrible sexier als Mr. Good Guy?

Mit jemandem, der Kontra gibt und dabei gerne auch mal über die Stränge schlägt, können wir uns viel eher eine inspirierende Beziehung vorstellen, in welcher

er uns aus der Reserve lockt, statt uns den Hof zu machen, wobei wir die Reibungen als Ansporn empfinden, mehr von uns preiszugeben (etwa eine schlagfertige/taffe Seite, die wir im Alltag sonst zurückhalten).er uns niemals kontrollier- oder berechenbar erscheint und daher auf Dauer attraktiv bleibt. wir hin und wieder umeinander kämpfen müssen, da der „Krieg“ ebenso zur Liebe gehört wie der Frieden.

Das harmlose Schwiegersohn-Modell, das einsatzbereit auf der Ersatzbank wartet, hat vermutlich ein ruhigeres, dafür aber auch langweiligeres Leben im Angebot. Unsere Angst vor der Langeweile ist jedoch größer, als wir in Anbetracht ernsterer Weltprobleme gerne zugeben würden.

Gegen vier Uhr in der Früh verabschieden wir uns wie ein eingespieltes Duo, das sich bereits stichelt. An der Tür gibt er mir einen letzten Kuss, der deutlich zungenreicher und zügelloser ist als der erste.

„Ciao“, sagt er, als er durch die Tür verschwindet, vier Buchstaben, denen er einen bittersüßen Abschiedsklang verleiht. Als wolle er sagen: Ciao. Ich weiß nicht, wann und wo, ich weiß nur, dass sich unsere Küsse wiederholen werden, die dir am Anfang nicht genug waren und von denen du am Ende nicht genug bekamst.

Ich schlafe fest, aber kurz. Den Samstag starte ich mit Rührei und O-Saft, ein Katerfrühstück, das den Mangel an Wasser und Mineralstoffen beheben soll. Was aber hilft gegen den Mangel an Zuversicht, der mit jeder Stunde ohne Handykontakt größer wird? Ich würde mir gern weismachen, dass ich zu pessimistisch bin, zu ungeduldig, doch das Grummeln in meinem Bauch weist mich darauf hin, dass etwas faul ist – und das sind ganz bestimmt nicht die Eier.

Er meldet sich nicht. Auch am Tag darauf trudelt keine Nachricht ein. Am dritten, an dem er spätestens schreiben müsste, wenn er sich an die altbewährte Drei-Tage-Regel hält, geht mein WhatsApp-Konto ebenfalls leer aus.

Die Sicherheit, die er durch den regen Kontakt in der Prä-Date-Phase vermittelt hat, ist in der deutlich wichtigeren Post-Date-Phase flöten gegangen.

Ich gehe das ganze Treffen in meinem Kopf durch und suche im Rückblick nach Hinweisen, die mir das Ausbleiben der obligatorischen „Nachricht danach“ erklären, ohne fündig zu werden.

Warum suchen wir die Schuld bei uns selbst, wenn der andere sich zurückzieht?

a) Wer sich mit Schuld belädt, reißt damit als „Nebeneffekt“ auch die Kontrolle an sich. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, kann ich es auch wieder richtig machen, und das ist für viele erträglicher als tatenloses Rumsitzen und geduldiges Abwarten.

Sollte der andere sich nämlich zurückziehen, ohne dass ich ihn durch mein Verhalten irritiert oder gekränkt habe, liegt es auch an ihm (oder eben nicht), die Distanz wieder aufzulösen.

b) Dass auf Nähe und Intimität ohne triftigen Grund eine ablehnende Distanz folgen kann, auf ein warmes Miteinander ein eisernes Schweigen, verletzt unser Urvertrauen. Es führt uns schmerzlich vor Augen, dass eine Abfolge toller Begegnungen keine sichere Prognose darstellt für den weiteren Verlauf. Das Suchen und Finden vermeintlicher Fehler hat somit auch die Funktion, den wackeligen Boden, auf dem wir im Dating-Jungle stehen, zu stabilisieren. Sollten Naturgesetze wie Ursache und Wirkung nämlich keine Gültigkeit mehr haben, können wir uns auch gleich daheim verkriechen und alle Kontakte löschen.

Tag Nummer vier: Zeit, den Rat von Freundinnen einzuholen.

Meine Sandkasten-Kumpanin hat selbst einen schwierigen Typen am Hals, der Anerkennung so dringlich benötigt wie Atemluft: „Meld dich ruhig. Mario hat nach dem ersten Date auch nicht geschrieben, ich musste ihm alles aus der Nase ziehen – aber die Initiative hat sich gelohnt.“ Gelohnt für ihn. Er kann von Glück reden, dass sie die halbjährlichen „Trennungen“ nicht mehr ernst nimmt und sogar das Pärchenfoto im Profil belässt, im sicheren Wissen, dass er ein paar Wochen später mit seinem Standard-Versöhnungs­geschenk anrückt, einem Wellnessgutschein mit Übernachtung in einer Anlage im Umkreis von 200 Kilometern.

Meine andere Freundin, die ich aus dem Praktischen Studienjahr kenne, verzieht das Gesicht, als ich ihr die Situation schildere: „Was? Der tanzt beim ersten Date mit seiner Doktorarbeit und Aldi-Schampus an wie der letzte Lackaffe und meldet sich nach dem ganzen Tamtam nicht mal? Schreib ihm auf keinen Fall. Das ist, als würdest du ihm Beifall spenden für seine Freakshow.“

Ihre Worte lasten schwer. Dennoch befolge ich den Rat der ersten Freundin und entscheide mich im Zweifel für den Angeklagten statt für meinen Stolz.

„Hey, na?“, schreibe ich. „Hat deine Woche gut gestartet? Entsorge grad schweren Herzens unser Leergut ;)“

Ich bin überrascht über seine schnelle Rückmeldung: Seine Woche habe ganz gut begonnen, er denke häufig an unseren tollen Austausch und würde das Ganze gern wiederholen, am besten am Freitag, selbe Uhrzeit, selber Ort, aber diesmal sei ich für die Getränke zuständig.

„Das mit der Getränkeaufteilung ist dir scheinbar wichtig“, tippe ich zurück.

Er darauf: „Emanzipation ;)“

Ich lege das Handy beiseite und versuche mich zu freuen, obwohl ich ein wenig unglücklich darüber bin, dass der erste Impuls nicht von ihm ausging. Aber gut, sage ich mir, so ist das halt in den ersten Wochen: Man ist ein Nebenschauplatz im Leben des anderen und muss sich den Fleck unterm Spotlight erst mal erarbeiten.

Das zweite Treffen. Wir führen Gespräche über Glücksgefühle, die sich mit dreißig schwieriger einfangen lassen als mit dreizehn. Über Momente der Einsamkeit, die trotz großem Kollegen- und Freundeskreis nicht ausbleiben, über die Woody-Allen-Angst, sich in jeder neuen Lebensdekade an die nostalgische Vorstellung eines besseren „Damals“ zu klammern. Während wir Cocktails mixen, für die ich Tiefkühlobst, Softdrinks und Sekt besorgt habe, offenbart er, dass er nicht mehr wisse, was Heimat bedeute: ob das der Ort seiner Kindheit sei oder der, an dem er sich im Hier und Jetzt wohlfühle.

Mein Wohnzimmer wird zur gemütlichen Bar, zum Auditorium der Alltagsphilosophie, zum Terrain zweier Turtelnden, die abwarten, bis die Abendsonne nicht mehr hinsieht, bevor sie einander um den Hals fallen.

Als wir spontan zu einer Spätvorstellung ins Programmkino bei mir in der Nähe aufbrechen, öffne ich mich allmählich der Idee, dass aus uns etwas werden könnte, und verschließe mich linear dazu der Angst vor einer Verletzung. Ich nehme meinen Mut zusammen und lasse mich fallen, in seine Arme, die mir stark genug erscheinen, um das Gewicht meiner Hoffnung zu tragen. Während des Arthouse-Thrillers lege ich sogar meinen Kopf auf seine Schulter, doch die Geste stößt auf unerwartete Gegenwehr: Richard verschränkt die Arme und lehnt mit dem Oberkörper ein Stück nach vorn, als wolle er den spannenden Geschehnissen auf der Leinwand besser folgen. Ich versuche, die unangenehme Situation zu überspielen und lehne mich mit gekreuzten Beinen nach hinten in den Stuhl.

Auf dem Rückweg diskutieren wir, wie ein Streifen ohne richtigen Plot so viele Preise gewinnen konnte.

Gleich an der nächsten roten Ampel lasse ich die berüchtigte „Mir ist kalt“-Andeutung fallen, die wohl in jedem Land und in jeder Kultur dieselbe Bedeutung hat. Richard legt jedoch weder den Arm um meine Schultern noch bietet er mir seine olivgrüne Übergangsjacke an. Er lässt die Chance, seine ablehnende Reaktion aus dem Kino wiedergutzumachen, einfach verstreichen.

Bei mir daheim läuft dann schon wieder ein anderer Film: einer mit Küssen in Überlänge, die durch Knabberpausen an meinem Dekolletee unterbrochen werden.

Ein Film, der sich nur mit Mühe und Not an den braven „FSK ab 12-Stempel“ halten kann und in der Kategorie best performance without acting einen Oscar verdient hätte.

Warum meidet der andere Annäherungen in der Öffentlichkeit?

Wenn jemand hinter verschlossener Tür allerlei verspielte Intimitäten austauscht, draußen aber eher verkrampft auf eine Annäherung reagiert, liegt das nicht unbedingt daran, dass er kein „öffentlicher Typ“ ist. Vielleicht hat er nur in der Zweier-Blase die Bereitschaft, uns nah zu sein, möchte draußen aber lieber ein Bild wahren, in dem die Farben weniger stark sind und die Figuren weniger scharf – ein verschwommenes Bild, das noch lange kein deutliches Bekenntnis darstellt. Sollten wir das hinnehmen, ohne uns dabei wohlzufühlen, ist das ein Zeichen dafür, dass vor allem er über die Bedingungen und die Stärke der Nähe entscheidet. Zudem besteht die Möglichkeit, dass unser Dating-Partner sich (noch) in einer Beziehung mit einer anderen Person befindet, was er sowohl ihr als auch uns zu verheimlichen versucht.

Diesmal meldet er sich bereits eine Viertelstunde nach unserem Abschied: „Ich wünsche dir eine gute Nacht!“

Ich starre auf mein Handy-Display und versuche zu verstehen, was an dieser banalen Nachricht mich missmutig stimmt. Ist es das fehlende „Bis bald“, das mir ein wenig Sicherheit vermitteln würde? Welche Sicherheit? Die, die ohnehin niemand besitzt, weder am aufregenden Anfang noch am bitteren Ende noch in der schleppenden Mitte? Sicherheit ist eine Illusion, rede ich mir ein, und antworte mit „Träum vom Schönsten“.

Ich ziehe die Jalousien zu, meine einzige Waffe gegen das flutende Licht der Morgendämmerung, das bereits in den Startlöchern steht, schließe meine Augen und schlafe mit demselben mulmigen Gefühl ein, mit dem ich nur vier Stunden später wieder aufwache. Ich verspüre den Drang, die Geschichte mit jemandem zu teilen, der sowohl mich als auch Richard kennt, und rufe unsere ehemalige Mitbewohnerin Lisa an, um ihr zu erzählen, was sich da ganz unvermittelt zwischen uns angebahnt hat.

„Warum hast du mich nicht von Anfang an eingeweiht?“, fragt sie mit einer Stimme, die nicht gerade begeistert klingt.

„Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen, solange unklar war, wohin das Ganze führt. Wieso? Hast du Bedenken?“, hake ich nach.

„Also ...“, beginnt sie zögerlich. „Das ist jetzt echt mies, und ich weiß auch gar nicht, wie ich dir das verklickern soll.“

„Was denn?“

„Richard ist relativ eng mit meinem Cousin befreundet.“

„Ja, das weiß ich, und?“

„Der hatte neulich Geburtstag. Und Richard war auch dort.“

„Und?“

Sie legt eine Pause ein. Keine Spannungs-, sondern eine Verlegenheitspause, denn sie wird mir jeden Moment einen hässlichen Haufen Fakten auftischen, und bei dem Gedanken, dass mir keine andere Wahl bleiben wird, als ihn zu schlucken, wird mir schlagartig übel.

„Pass auf“, sagt Lisa. „Er war da mit seiner Freundin. Und soweit ich weiß, wird sie mit ihm in seinen Heimatort ziehen, vorerst in das Haus seiner Eltern. Dort möchte Richard dann an der Uni arbeiten, und für sie gibt es wohl auch ganz interessante Masterangebote. Von daher verstehe ich gar nicht, wie das zwischen euch beiden überhaupt möglich ist.“

Schweigen.

„Hallo?“, hakt sie nach. „Alles okay?“

„Ja, klar. Wann war das mit dem Geburtstag deines Cousins?“

„Vor Kurzem.“

„Wie ist sie so?“

„Nett. Doch, eine ganz Nette.“

„Hübsch?“

„Ja, schon.“

„Wie alt?“

„Jünger als er, acht Jahre oder so.“

„Was macht sie?“

„Ich glaube, sie schreibt gerade ihre Bachelorarbeit in Sportwissenschaften. Aber nagele mich nicht drauf fest.“

„Alles klar. Kann ich dich die Tage noch mal zurückrufen?“

„Natürlich, bitte halt mich auf dem Laufenden. Soll ich noch etwas Bestimmtes in Erfahrung bringen?“

„Nein, alles gut.“

Nein. Nichts ist gut. Alles ist ungut. Unschön. Unwürdig. Unaufrichtig. Unmoralisch. Mir wird ganz schwindlig von den vielen Un-Worten, die durch meinen Kopf schießen. Zugleich ergeben alle Ungereimtheiten plötzlich Sinn: die Selbsteinladungen in meine Wohnung, das Meiden öffentlicher Plätze, die verkrampfte Reaktion im Kino, der spärliche WhatsApp-Kontakt zwischen den Dates.

Ich fühle mich, als hätte er mir den Stolz gestohlen. Wenn ich verhindern will, dass er ihn obendrein auch noch bricht, muss ich mich wortwörtlich aus der Affäre ziehen.

Habe ich einen Eigenanteil, wenn ich in einer unmöglichen Situation lande (zum Beispiel in einer Dreieckskonstellation)?

Beim Dating Game hin und wieder zu pokern, ist völlig legitim, aber durch das Verschweigen wichtiger Informationen (bestehende Partnerschaft, hohe Verschuldungen, anstehender Ortswechsel) nimmt der andere uns die Möglichkeit, selber zu entscheiden, wie hoch das Risiko sein soll, das wir eingehen möchten. Wir unterschreiben quasi, ohne alle Vertragsbedingungen zu kennen, und steuern damit unter Umständen auf einen emotionalen Bankrott zu. Dafür können wir nichts. Niemand ist in der Lage, Gedanken zu lesen, aber jeder sollte ab und zu seinem Bauchgefühl lauschen, denn es gibt Dinge, die wir spüren, bevor wir sie wissen. Dinge, die wir wissen, bevor wir sie wahrhaben wollen. Und Dinge, die wir wahrgenommen haben, schwarz auf weiß, und dennoch ignorieren. Ab diesem Punkt tragen wir eine Mitverantwortung an der eigenen Misere: Ignoranz mag sich passiv äußern, ist aber ein aktiver Prozess.

Am Abend ist mir noch immer übel. Ich zwänge mir mit Mühe und Not ein paar Scheiben Knäckebrot rein und schalte schon um neun das Licht aus, um den Tag mit dem grausigen Telefonat schnellstmöglich zu beenden. Gegen Mitternacht liege ich noch immer wach: Mein Magen knurrt, während die Info über die sportliche Studentin, die angeblich durch Richards Leben turnt, unzählige Kreise in meinem Kopf dreht. Zudem ist das Ticken der Weckuhr so laut, als hätte jemand ein Mikro am Nachttisch angebracht.

Tick: Du stellst ihn zur Rede.

Tack: Du brichst den Kontakt ab.

Tick: Du bittest Lisa, weitere Details einzuholen.

Tack: Da kann man ja gleich „Stille Post“ spielen.

Tick: Das Dating Game war verloren, bevor es begonnen hat.

Tack: Gewinnen kann nur, wer kämpft.

Tick: Du installierst dir zur Ablenkung Tinder.

Tack: Du vertraust Richard und hältst entspannt den Kontakt.

Bei diesem Tack schlage ich zu: Gleich am nächsten Morgen werde ich ihm ein paar nette Zeilen schicken und darauf vertrauen, dass er sich im Zeitraum zwischen der Geburtstagsfeier und unserem Facebook-Kontakt von seiner Freundin getrennt hat, ohne dass Lisa und ihr Cousin darüber informiert wurden. Warum auch? Sind sie die Deutsche Presse-Agentur? Womöglich wäre es ohnehin besser, die beiden erst mal rauszuhalten, damit kein Durcheinander aus Missverständnissen und Gerüchten entsteht.

Ich nehme mein Handy zur Hand und klicke auf die ungeöffnete Message meiner Sandkastenfreundin: „Und? Wie lief das Telefonat mit deiner alten Mitbewohnerin? Was meinte sie zu Richard?“

„Gut“, tippe ich. „Sie war nur ein wenig überrascht.“

Ich entscheide, Richards frische bis fragliche Trennung vor meinen Freundinnen geheim zu halten, um nicht die schlafenden Beschützerhunde in ihnen zu wecken, welche mir die Story mit Sicherheit zerbellen und zerbeißen würden.

Ist es verkehrt, den Dating-Partner vor bösen Zungen zu schützen?

Sollte die Inschutznahme des anderen damit einhergehen, dass wir unseren eigenen Schutz aufgeben – zum Beispiel, indem wir uns vor Freunden verschließen, um ein positives Bild vom potenziellen Partner zu wahren –, ist das oftmals ein Zeichen dafür, dass wir uns gerade emotional in Gefahr begeben.

Richard freut sich über meine Nachricht und schlägt ein Wiedersehen für den kommenden Freitag vor: „Gerne wie gewohnt bei dir, diesmal bin ich wieder dran mit den Getränken.“

Ich frage, ob wir uns nicht mal bei ihm treffen wollen: „Oder versteckst du eine Leiche im Keller?“

Er schickt einen albernen Lach-Smiley: „Nicht nur eine.“

„Dann halt bei mir“, schreibe ich widerwillig. „Ich erwarte dafür aber bessere Schampus-Qualität.“

Er: „Dafür bin ich zu arm.“

Ich: „Dein arm wäre für viele ein dickes reich.“

Er: „Die Subjektivität ist die Wahrheit.“

Ich: „Sagt wer?“

Er: „Kierkegaard.“

Warum überschreiten wir den Point of no Return?

Es gibt ihn, den Point of no Return, an dem wir stehen bleiben sollten, um uns vor (weiteren) emotionalen Verletzungen zu schützen. Wenn wir uns diesem bedeutsamen Punkt nähern, spüren wir seine Energie manchmal sogar körperlich in Form von Schlafproblemen, Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen oder innerer Unruhe. Dennoch wird er oftmals wie fremdgesteuert überschritten. Wir wollen den Weg trotz der vielen Warnschilder weitergehen und uns mit eigenen Augen davon überzeugen, was uns auf den letzten Metern erwartet. Das Gepäck auf unserem Rücken ist hierbei mit der Resthoffnung auf ein Happy End beladen.

An diesem Freitag mache ich mich besonders lange zurecht und fühle mich dabei, als würde ich in den Kampf gegen eine andere Person ziehen, die unfairerweise weder von dem Schlachtfeld weiß, das Richard hinter ihrem Rücken hergerichtet hat, noch von der Gegnerin, die sich in ihre strahlendste Rüstung wirft. Ich trage natürliche Make-up-Töne auf, ein blumig-süßes Parfum, das ihm noch aus der WG-Zeit in Erinnerung ist, und schlüpfe in ein knielanges, enges Kleid mit V-Ausschnitt und einem weiß-blauen Farbmuster, das die Lust auf einen gemeinsamen Strandurlaub weckt.

Date Nummer drei. Nach einer langen Episode in meiner Wohnung laufen wir gegen ein Uhr nachts an einen nahe gelegenen Weiher, legen uns ins Gras wie sorglose Sechzehnjährige, Hand in Hand mit Blick an die Sternendecke. Ich frage mich nicht mehr, ob ich mit dem Feuer spiele, sondern beschließe, mich im Dating-Fluss treiben zu lassen, furchtlos Richtung Fortsetzung, ins Meer der kommenden Monate – stromaufwärts, nicht abwärts.

Der Gedanke, wir könnten uns verlieren, ist nur schwer zu ertragen.

Warum werden die Gefühle stärker, obwohl die Sicherheit gesunken ist?

Verlustangst kann das Verliebtheitsgefühl steigern. Diese Steigerung hat nichts damit zu tun, dass der andere objektiv begehrenswerter geworden ist, sondern damit, dass die Sorge, unser idealisiertes Objekt zu verlieren, körperliche (Appetitlosigkeit, Magengrummeln, Herzrasen) sowie psychische Reaktionen (Gedankenkreisen, Schlafstörungen, innere Unruhe) auslösen kann. Diese verstärken die emotionale Abhängigkeit zum Dating-Partner, da wir glauben, dass nur er und niemand sonst uns durch sicherheitsbringende Nähe und verbindliche Worte aus diesem Zustand befreien kann.

Rufen wir uns diese Tatsache immer wieder ins Bewusstsein, besteht vielleicht die Chance, denjenigen, der uns nicht guttut, von uns zu stoßen, statt den Gedanken an seinen Verlust bis ins Unermessliche zu dramatisieren.

Zwischen drei und vier Uhr morgens unterbricht Richard einen unserer innigen Küsse, indem er meinen Oberkörper vorsichtig wegdrückt und sich aufsetzt, während ich liegen bleibe.

„Warte“, sagt er. „Warte. Warte.“ Er atmet tief durch. „Bitte warte mal einen Moment.“

Sein „Warte“ ertönt wie ein lauter Gong, der das Ende vom Lied einläutet. Ich muss nicht warten. Warten müssen nur die, die noch nicht die leiseste Ahnung haben, was sie erwartet. Ich kenne jedoch das Kleingedruckte, das er mir vorenthalten hat und ich durch Dritte dennoch zu lesen bekam. Was habe ich mir nur dabei gedacht, es zu ignorieren? Dass die Wahrheit einfach das Feld räumt, als hätte sie weder Rechte noch Pflichten?

„Ich bin offiziell noch nicht ganz frei“, sagt er.

Stille.

Der Wind bläst sein Nachtlied, die Bäume rascheln mit, irgendein zwitscherndes Vöglein gibt seinen Senf dazu.

„Offiziell?“, frage ich.

„Also inoffiziell schon. Ich bin inoffiziell ungebunden.“

„Und offiziell?“

„Offiziell bin ich gebunden.“

„An was?“

Er zögert einen Moment: „An meine Freundin.“

„Du hast eine Freundin?“

„Nur offiziell.“

„Und weiß sie davon, was nun alles offiziell und was inoffiziell ist?“

„Das ist eben der Punkt, wir haben das alles noch nicht geklärt. Sie ist gerade für eine Fortbildung in Australien.“

„Was macht sie dort?“

„Einen Tauchschein und zwei Trainerscheine. Sie ist Sportlerin.“